Cover

Gwenda Bond

SUSPICIOUS
MINDS

Das Geheimnis um Elfi –
die Vorgeschichte zur Erfolgsserie

Aus dem amerikanischen Englisch
von Melike Karamustafa

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019
unter dem Titel Suspicious Minds bei Del Rey,
einem Imprint von Random House, New York.

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This translation published by arrangement with Del Rey, an imprint

of Random House, a division of Penguin Random House LLC

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2019 by

Penguin Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: www.buerosued.de
nach einem Entwurf von Tony Mauro und Scott Biel

Umschlagmotiv: Tony Mauro und Scott Biel

Übersetzung: Melike Karamustafa

Redaktion: Susann Harring

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-24251-0
V002

www.penguin-verlag.de

Für alle starken und inspirierenden Mütter,
besonders meine eigene



Prolog

JULI 1969
Hawkins National Laboratory
Hawkins, Indiana

Der Mann lenkte den tadellos gepflegten schwarzen Wagen über die schnurgerade Straße in Indiana und drosselte das Tempo erst, als ein mit Ketten verschlossenes Tor in Sicht kam, an dem ein Schild mit der Aufschrift Sperrgebiet angebracht war. Der diensthabende Wachmann warf einen kurzen Blick durch das Seitenfenster, bevor er das Nummernschild inspizierte, dann winkte er ihn durch.

Es war offensichtlich, dass man ihn im Labor bereits erwartete. Vielleicht waren auch die Anweisungen und detaillierten Vorgaben schon umgesetzt worden, die er zur Vorbereitung seines neuen Reichs vorab geschickt hatte.

Als er das nächste Wachhäuschen erreichte, kurbelte er das Seitenfenster hinunter, um dem Soldaten, der als Sicherheitsbeamter für die Einrichtung tätig war, seinen Ausweis zu zeigen. Der Mann studierte seine Zugangslizenz, vermied es jedoch, ihm in die Augen zu sehen. Wie die meisten Menschen. Er dagegen schenkte Personen, denen er zum ersten Mal begegnete, seine volle Aufmerksamkeit. Zumindest anfangs. Eine blitzschnelle Bestandsaufnahme, mit der er sie innerhalb von Sekundenbruchteilen – schneller als ein Gedanke – katalogisierte: Geschlecht, Größe, Gewicht, Ethnie und davon ausgehend eine Einschätzung ihrer Intelligenz und, das war das Wichtigste, ihres Potenzials. So gut wie jeder Mensch erwies sich nach der Beurteilung von Letzterem als weit weniger interessant als vielleicht zuerst vermutet. Aber er gab niemals auf. Genau hinzusehen und eine Einschätzung vorzunehmen, war Teil seiner Natur, ein entscheidendes Element seiner Arbeit. Die allermeisten Menschen waren für ihn nicht von Interesse, aber diejenigen, die es doch waren … Sie waren der Grund, aus dem er hier war.

Der Wachsoldat war leicht einzuschätzen: männlich, ein Meter sechsundsiebzig, achtzig Kilo, weiß, durchschnittlich intelligent, Potenzial … ausgeschöpft, indem er mit einer seitlich getragenen Waffe, die er vermutlich noch nie benutzt hatte, in einem Wachhäuschen saß und Ausweise kontrollierte.

»Herzlich willkommen, Mr. Brenner«, sagte der Soldat schließlich, nachdem er ein paarmal abwechselnd den Mann im Wagen und die Plastikkarte in seiner Hand studiert hatte.

Es hatte beinahe etwas Komisches, dass seine ID Informationen über Eigenschaften preisgab, die sich Brenner gewünscht hätte, wenn er sich selbst betrachtete: eins sechsundachtzig, achtundachtzig Kilo, weiß. Der Rest: überdurchschnittlicher IQ, Potenzial … grenzenlos.

»Man hat uns informiert, dass Sie erwartet werden«, fügte der Soldat hinzu.

»Dr. Brenner«, korrigierte er den Mann freundlich.

Der Blick des Wachmanns aus leicht zusammengekniffenen Augen glitt an ihm vorbei zum Rücksitz, wo sich die fünfjährige Versuchsperson Acht zusammengerollt hatte. Die Hände zu schmalen Fäusten geballt und unter das Kinn geschoben, lehnte sie an der Tür und schlief. Es war ihm ein Anliegen gewesen, ihre Überstellung in die neue Einrichtung persönlich zu überwachen.

»Natürlich, Dr. Brenner«, bestätigte der Wachmann. »Wer ist das Mädchen? Ihre Tochter?«

Seine Skepsis war nicht zu überhören. Im Gegensatz zu seinem eigenen milchig-blassen Teint war Achts Hautton um einige Schattierungen dunkler, was jedoch nicht zwingend etwas zu bedeuten hatte, wie Brenner dem Mann hätte erklären können. Aber es ging den Soldaten nichts an, und abgesehen davon, hatte er recht. Brenner war niemandes Vater. Vaterfigur. Das war das höchste der Gefühle.

»Ich bin mir sicher, dass man mich drinnen bereits erwartet.« Brenner musterte den Soldaten noch einmal. Zurückgekehrt aus einem vergangenen Krieg. Einem Krieg, den sie bereits gewonnen hatten. Im Gegensatz zu Vietnam. Im Gegensatz zu der stillen Eskalation mit den Sowjets. Sie waren bereits mit dem Krieg der Zukunft beschäftigt, aber dieser Mann wusste nichts davon. Er bemühte sich um einen freundlichen Tonfall. »An Ihrer Stelle würde ich keine weiteren Fragen stellen, wenn die anderen Versuchspersonen eintreffen. Im Sinne der Vertraulichkeit.«

Der Soldat spannte sichtlich den Kiefer an, ließ es jedoch dabei bewenden. Stattdessen sagte er mit einem Blick auf den ausgedehnten Komplex mehrstöckiger Gebäude hinter ihnen: »Ja, drinnen warten sie bereits auf Sie. Parken Sie, wo Sie möchten.«

Ein weiterer überflüssiger Hinweis. Er gab Gas.

Irgendein langweiliger Teil des bundesstaatlichen Beamtenapparats hatte für den Bau und die generelle Instandhaltung der Einrichtung bezahlt, während sehr viel geheimere Arme der Regierung dafür gesorgt hatten, dass sie nach den Wünschen Brenners ausgestattet worden war. Da es sich um eine streng geheime Untersuchung handelte, konnte man natürlicherweise nirgendwo damit werben. Die Agency verstand, dass bedeutsame Forschung nicht nach den üblichen Standards ablief. Die Russen hatten keine Probleme damit, ihre Labore von der Regierung anerkennen zu lassen; aber sie waren gewillt und in der Lage, jeglichen Widerspruch im Keim zu ersticken. Irgendwo im Rest der Welt betrieben die Kommunisten genau in diesem Moment dieselben Experimente, für die der fünfstöckige Gebäudekomplex mit seinen Kellergeschossen vor ihm ausgelegt war. Sobald einer von Brenners Angestellten dies vergaß oder zu viele Fragen stellte, würde man ihn daran erinnern. Damit seine Arbeit weiterhin allerhöchste Priorität hatte.

Acht schlief noch immer, als er aus dem Wagen stieg und zur hinteren Tür ging. Vorsichtig öffnete er sie und streckte eine Hand aus, um das Mädchen zu stützen, damit es nicht herausfiel. Zu ihrer eigenen Sicherheit hatte er sie für die Fahrt ruhiggestellt. Sie war viel zu wertvoll, als dass er ihren Transport jemand anderem überlassen hätte. Die Fähigkeiten der anderen Testpersonen hatten sich dagegen als enttäuschend herausgestellt.

»Acht.« Er kniete sich neben die offene Wagentür und rüttelte sie sanft an der Schulter.

Das Mädchen schüttelte den Kopf und hielt die Augen dabei geschlossen. »Kali«, murmelte sie.

Ihr echter Name. Sie bestand auf ihn. Unter normalen Umständen ließ er ihr das nicht durchgehen, aber heute war ein besonderer Tag.

»Wach auf, Kali«, sagte er. »Du bist zu Hause.«

Sie blinzelte, ein hoffnungsvolles Schimmern in den Augen. Sie hatte ihn missverstanden.

»Dein neues Zuhause«, fügte er hinzu.

Der Schimmer erstarb.

»Es wird dir hier gefallen.« Er half ihr, sich aufzusetzen, und streckte anschließend eine Hand aus. »Papa möchte, dass du jetzt wie ein großes Mädchen dort hineingehst. Dann darfst du weiterschlafen.«

Nach kurzem Zögern legte sie ihre schmale Hand in seine.

Während sie auf den Eingang zugingen, bemühte er sich um das freundlichste Lächeln, das er hatte. Er ging davon aus, vom stellvertretenden Leiter der Einrichtung in Empfang genommen zu werden, doch stattdessen erwarteten ihn in einer langen Reihe Männer – und eine Frau – in Laborkitteln. Seine Mitarbeiter, nahm er an. Er spürte die geballte Nervosität, die wie Wellen von ihnen ausging.

Ein gebräunter Mann mit tiefen Falten im Gesicht, der eindeutig zu viel Zeit in der Sonne verbrachte, trat vor und streckte ihm die Hand entgegen. Er warf einen kurzen Blick auf Acht, bevor er sich wieder ihm zuwandte. »Dr. Brenner, ich bin Dr. Richard Moses, stellvertretender Forschungsleiter. Wir sind hocherfreut, Sie bei uns begrüßen zu dürfen. Jemanden von Ihrem Format … Wir wollten, dass Sie gleich das ganze Team kennenlernen.« Er sah wieder Kali an. »Und das ist bestimmt …«

»Ich bin Kali«, murmelte das Mädchen verschlafen.

»Eine sehr müde junge Dame, die gern ihr neues Zimmer sehen würde«, sagte Dr. Brenner und ignorierte die ausgestreckte Hand des Mannes. »Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich um eine gesonderte Unterbringung gebeten. Und dann möchte ich einen Blick auf die anderen Versuchspersonen werfen, die sie an Bord geholt haben.«

Als Brenner die Türen am anderen Ende der Lobby entdeckte, fasste er Achts Hand fester und steuerte zielstrebig darauf zu. Einen Moment war es totenstill, und sein Lächeln verwandelte sich beinahe in ein echtes, bevor es vollends verschwand.

Dr. Moses mit den verschmierten Brillengläsern erwachte aus seiner Starre und schloss hastig zu Dr. Brenner auf, den Rest des aufgebrachten Laborpersonals hinter sich. Dienstbeflissen beeilte er sich, den Knopf an der Gegensprechanlage zu bedienen, die neben der Sicherheitstür angebracht war, und nannte seinen Namen.

Hinter ihnen verschmolzen die Unterhaltungen der Ärzte und Labormitarbeiter, die ihnen folgten, zu einem mehrstimmigen Summen.

»Die Versuchspersonen wurden natürlich noch nicht vorbereitet«, erklärte Dr. Moses, als die Doppeltür vor ihnen aufschwang, und warf einen Blick auf Kali, die mit jeder Sekunde, die sie in der ungewohnten Umgebung verbrachte, alarmierter schien. Sie mussten sie schnell hier eingewöhnen.

Auf der anderen Seite der Tür wurden sie von zwei strammstehenden Soldaten empfangen. Ein positives Zeichen, dass zumindest die Sicherheitsvorkehrungen einigermaßen gut waren.

Die beiden Männer kontrollierten Dr. Moses’ Ausweis und wandten sich dann Dr. Brenner zu, doch der stellvertretende Forschungsleiter winkte ab.

»Er hat noch keine ID erhalten.«

Als die beiden Männer daraufhin keine Anstalten machten, sie vorbeizulassen, wuchs Dr. Brenners Zufriedenheit mit den Sicherheitsmaßnahmen um ein weiteres Quäntchen. »Beim nächsten Mal habe ich meinen Ausweis dabei«, sagte er. »Außerdem besorgen wir Ihnen Kopien der Papiere der Testperson.« Er deutete mit einem diskreten Nicken auf Acht.

Einer der beiden Wachmänner deutete ein Nicken an, dann durfte die ganze Gruppe passieren.

»Ich dachte, ich hätte hinreichend deutlich gemacht, dass ich die Versuchspersonen gleich bei meiner Ankunft kennenlernen möchte«, sagte Dr. Brenner. »Mein Wunsch sollte Sie also nicht weiter überraschen.«

»Wir sind davon ausgegangen, dass Sie sie nur beobachten würden«, erklärte Dr. Moses. »Möchten Sie, dass wir sie parametrisieren? Sollen wir sie auf Ihren Besuch vorbereiten? Das könnte unsere bisherige Arbeit empfindlich stören. Durch die bewusstseinsverändernden Präparate leiden einige von ihnen unter paranoiden Störungen.«

Dr. Brenner hob seine freie Hand. »Nein, wenn ich das gewollt hätte, hätte ich es Ihnen mitgeteilt. Also, wohin gehen wir jetzt?«

Die von der Decke hängenden Lampen verströmten das furchtbar grelle Licht, das so häufig die wissenschaftlichen Erkenntnisse in dieser Schattenwelt erhellte, und zum ersten Mal an diesem Morgen hatte Dr. Brenner das Gefühl, dass dieser Ort zu seinem neuen Zuhause werden könnte.

»Hier entlang«, sagte Dr. Moses, bevor er sich an die einzige Frau in der Herde von Labormitarbeitern hinter ihnen wandte. »Dr. Parks, würden Sie einen der Pfleger bitten, dem Mädchen etwas zu essen zu bringen?«

Angesichts der Tatsache, dass man sie zu einer Aufgabe verdonnerte, die vermeintlich Frauen vorbehalten war, presste Dr. Parks die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, nickte aber.

Zu Dr. Brenners großer Erleichterung verhielt sich Acht ruhig, und kurz darauf erreichten sie einen kleinen Raum, in dem sich ein Hochbett für Kinder und ein Zeichentisch befanden. Das doppelstöckige Bett war ein spezieller Wunsch von ihm gewesen, um Acht in der Sicherheit zu wiegen, dass er tatsächlich nach einem Spielgefährten für sie suchte.

Es fiel ihr sofort auf. »Ist das für einen Freund?«

»Früher oder später, ja«, antwortete er. »Jemand bringt dir gleich etwas zu essen. Kannst du so lange allein hier warten?«

Sie nickte. Die Munterkeit, die sie durch die Aufregung bei ihrer Ankunft ergriffen hatte, war inzwischen schon fast vollständig wieder verflogen – er hatte ihr eine relativ hohe Dosis des Beruhigungsmittels verpasst –, und sie sank erschöpft auf die Bettkante.

Dr. Brenner wandte sich der Tür zu, in der die weibliche Laborangestellte mit dem Pfleger aufgetaucht war.

Dr. Moses hob fragend die Augenbrauen. »Kommt sie allein zurecht?«

»Vorerst ja«, sagte Dr. Brenner, bevor er sich an den Pfleger wandte. »Sie sieht vielleicht aus wie ein gewöhnliches Kind, aber das sollte Sie nicht dazu verleiten, die Sicherheitsbestimmungen zu vernachlässigen. Sonst könnte sie Sie überraschen.«

Der Pfleger sah zunehmend beunruhigt aus, schwieg jedoch.

»Zeigen Sie mir das erste Zimmer«, forderte Dr. Brenner. »Das Personal kann bei den jeweiligen Versuchspersonen warten. Es besteht allerdings keine Notwendigkeit, sie in irgendeiner Weise vorzubereiten.«

Als sich das versammelte Team Dr. Moses zuwandte, um seine Zustimmung zu erhalten, zuckte der ergeben mit den Schultern. »Tun Sie, was Dr. Brenner gesagt hat.«

Dienstbeflissen stürzten die Mitarbeiter in verschiedene Richtungen davon. Sie lernten schnell.

Im ersten Zimmer befand sich eine Testperson, die aufgrund ihres Klumpfußes untauglich für den Versuch war. Der Mann hatte den starren Gesichtsausdruck von jemandem, dessen erste Wahl zur Lösung von Problemen Marihuana war. Durchschnittlich in jeder Hinsicht.

»Möchten Sie, dass wir dem nächsten Patienten seine Dosis verabreichen?«, fragte Dr. Moses. Es war allzu offensichtlich, dass er Dr. Brenners Methoden nicht verstand.

»Ich lasse Sie wissen, wenn ich etwas brauche.«

Dr. Moses nickte, und sie durchquerten fünf weitere Räume.

Es war so, wie er erwartet hatte: zwei Frauen, von denen keine besonders außergewöhnlich war, und drei Männer, die absolut nicht außergewöhnlich waren, außer vielleicht hinsichtlich ihrer Durchschnittlichkeit.

»Rufen Sie alle zusammen, damit wir uns unterhalten können«, sagte Dr. Brenner.

Dr. Moses führte ihn in einen Konferenzraum, wo er ihn nach einem letzten nervösen Blick zurückließ, um die anderen Mitarbeiter zusammenzurufen.

Kurz darauf erschienen die Laborangestellten, die ihn bereits am Eingang begrüßt hatten, und setzten sich an den Tisch. Ein paar der Männer waren bemüht, lockere Konversation zu betreiben, um vorzutäuschen, dass an den Ereignissen dieses Morgens absolut nichts Ungewöhnliches war. Dr. Moses zischte ihnen zu, leise zu sein.

»Das wären alle«, erklärte er schließlich.

Dr. Brenner sah sich in der Runde seiner Mitarbeiter um. Es würde einiges an Arbeit bedeuten, aber ihre stillschweigende Aufmerksamkeit ließ ihn darauf hoffen, dass das nötige Potenzial in ihnen steckte. Angst und Autorität gingen Hand in Hand. »Alle Testpersonen, die ich heute Morgen gesehen habe, können entlassen werden.« Er winkte gelangweilt ab. »Bezahlen Sie ihnen, was auch immer ihnen versprochen wurde, und stellen Sie sicher, dass sie sich an die Vertraulichkeitserklärung erinnern, die sie unterschrieben haben.«

Einen Moment lang herrschte Stille, während das Team die Bedeutung seiner Worte zu begreifen versuchte. Dann hob einer der Männer, die sich zu Anfang noch unterhalten hatten, die Hand.

»Doktor?«

»Ja?«

»Mein Name ist Chad. Ich bin hier noch neu, aber … warum? Wie sollen wir dann unsere Experimente durchführen?«

»Die Frage nach dem ›Warum‹ ist es, die uns in der Forschung vorantreibt.« Chad der Neue nickte, bevor Dr. Brenner fortfuhr: »Auch wenn man mit der Frage seinen Vorgesetzten gegenüber vorsichtig sein sollte. Aber ich werde Ihnen trotzdem verraten, warum. Es ist wichtig, dass wir alle verstehen, wofür wir hier sind. Hat irgendjemand eine Vermutung?«

Nach der Zurechtweisung von Chad traute sich niemand, etwas zu sagen. Für einen Moment glaubte er, die Frau würde sich melden, doch sie faltete nur die Hände vor sich auf dem Tisch.

»Gut«, sagte er. »Ich mag nämlich keine Vermutungen. Wir sind hier, um die Grenzen menschlicher Fähigkeiten auszuweiten. Ich habe kein Interesse an den gewöhnlichen Hausmäusen unter den Menschen. Sie werden uns keine außerordentlichen Resultate liefern.« Er machte eine kurze Pause und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Alle hörten ihm aufmerksam zu. »Ich bin mir sicher, dass Sie von den erbärmlich gescheiterten Testreihen anderer Labore gehört haben; und die bisherige Ergebnislosigkeit Ihrer eigenen Arbeit ist der Grund dafür, dass ich hier bin. Es hat einige Peinlichkeiten gegeben, und die meisten von ihnen lassen sich auf die Auswahl inadäquater Versuchspersonen zurückführen. Wer auch immer geglaubt hat, dass uns Gefängnisinsassen und Asylsuchende die Ergebnisse liefern könnten, die wir brauchen, hat sich lächerlich gemacht. Dasselbe gilt für Arbeitsverweigerer und Kiffer. In den nächsten Tagen werden weitere junge Patienten für ein verwandtes Versuchsprogramm hier eintreffen, aber ich wünsche mir Testpersonen verschiedener Altersstufen. Es gibt berechtigte Gründe für die Annahme, dass die Kombination aus chemischen bewusstseinsverändernden Mitteln und dem richtigen Anreiz der Schlüssel ist, um zu den Geheimnissen vorzudringen, nach denen wir suchen. Denken Sie allein an die Vorteile, die es uns verschaffen würde, wenn wir unsere Feinde zum Reden bringen, wenn wir sie beeinflussen und Kontrolle über sie ausüben könnten … Aber ohne die richtigen Versuchspersonen werden wir keine Resultate erzielen. Punkt. Es ist absolut sinnlos, einen willensschwachen Verstand zu manipulieren. Wir brauchen solche mit Potenzial.«

»Aber … wo bekommen wir die her?«, fragte Chad.

Brenner machte sich in Gedanken eine Notiz, ihn am Ende des Tages zu feuern, bevor er sich vorbeugte und antwortete: »Ich werde ein neues Screening-Protokoll für die Identifizierung geeigneter Kandidaten von unseren Zuliefer-Universitäten vorlegen und anschließend selbst die Personen auswählen, mit denen wir weitermachen. Nicht mehr lange und Sie werden mit Ihrer richtigen Arbeit in diesem Labor beginnen.«

Niemand widersprach.

Ja, sie lernten tatsächlich schnell.