Für Bianca
Manche Begegnungen schreiben Geschichte …
Alec, Weihnachtsabend 2016
Hitze strömte über meinen Körper. Die Luft war zum Schneiden dick, was nicht nur an der Enge des kleinen Hinterzimmers der Kneipe lag, in das wir uns drückten. Ich zog die Knie an, damit ich mit ihnen nicht gegen den Rücken meines Bruders stieß. Mein T-Shirt klebte an meiner verschwitzten Haut und meine Wut wummerte heftig gegen meine Brust. Dieser Abend war verdammt unbefriedigend gewesen und schürte meine Erbitterung ins Endlose.
»Was für eine schwachsinnige Aktion. Hätten wir wenigstens etwas gestartet, stattdessen haben wir den Weihnachtsabend mit Rumschnüffeln verbracht«, schnauzte mein Bruder und schlug mit der Faust auf den groben, runden Holztisch vor sich.
Zustimmendes Gemurmel machte sich unter den gut zwanzig Leuten breit.
»Und was hätte uns das gebracht, Ley, hm?«, fragte Bjarne in einem sanften Ton, der seinem Aussehen Lügen strafte. Seine Augen glimmerten gelblich. »Das Anwesen ist geschützt. Wir konnten nicht mal hören, was da drinnen vor sich ging, noch wie viele sich von diesem Abschaum im Haus befanden.«
Ley knurrte. Ich legte meine Hand auf seine Schulter, aber er schüttelte sie ab.
»Ich stimme Bjarne zu«, sagte ich beschwichtigend. »Auch wenn es mir gegen den Strich geht. Wir wären ins offene Messer gelaufen, Marley. Für was? Noch mehr Verluste?«
»Wenn wir nur einen von ihnen in die Hände bekommen hätten …«, erwiderte er.
Moss stieß sich vom Türrahmen ab und schlagartig kehrte Stille zwischen den holzvertäfelten dunklen Wänden ein. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah durch den Raum. Der Leader des Packs war furchteinflößend. Und das lag nicht nur an seiner Größe von knapp zwei Metern oder den breiten Schultern, die sein schwarzes Longsleeve fast sprengten. Dem Ausdruck in seinen dunklen Augen war es zu schulden, dass man so empfand. Gepaart mit den schräg stehenden, buschigen Brauen, den kräftigen Gesichtszügen, den wuchtigen Lippen, die einzig da zu sein schienen, um seine enorm spitzen und weißen Zähne zu verstecken, und dem dunklen Vollbart, wurde das Bild eines furchtlosen Kriegers in schwindelerregende Höhe gepusht.
Niemand legte sich mit dem Leader an.
»Es war nie euer Auftrag anzugreifen. Alles, was ihr machen solltet, war Ausschau zu halten. Solange unsere Brüder und Schwestern noch ihre Haftstrafe absitzen müssen, bedeutet das für uns vorsichtig zu sein.« Moss knurrte tief. »Ich erwarte von euch, dass ihr mir Informationen beschafft. Jede Kleinigkeit und wenn sie euch noch so unnütz erscheint. Ich will alles hören. Alles! Hab ich mich klar ausgedrückt?«
Die Wölfe nickten, doch Marley sprang auf und rannte aus dem Raum. Ich seufzte genervt. Na super. Mein Blick schweifte zu Moss, der mich bereits anstarrte.
»Ihr könnt gehen. Du bleibst.«
In Windeseile leerte sich das Zimmer. Unwillkürlich umfing mich Kühle und die Hitze flachte schlagartig ab. Ich rutschte vom Fensterbrett und lehnte mich dagegen. Jetzt war ich gezwungen den emotionalen Ausbruch meines Bruders auszubaden, dabei wollte ich nur nach Hause und zumindest noch ein bisschen das Fest mit ihm feiern. Abwartend sah ich Moss an, dessen Körperspannung bis zu mir herüber vibrierte. Einige Sekunden vergingen.
»Spuck's schon aus, Moss«, forderte ich ihn ungeduldig auf und verschränkte ebenfalls die Arme unter der Brust.
Moss hielt den Zeigefinger hoch, öffnete die Tür einen Spalt und brüllte: »Stellt die verfickte Musik lauter!«, ehe er sie wieder zuknallte. Irgendein Metalsong erklang, aber ich war zu abgelenkt, um herauszufinden, welcher. Mit wuchtigen Schritten kam Moss auf mich zu und postierte sich direkt vor mich. Dieser Scheißkerl knallte mir mal wieder seine Überlegenheit vor den Latz. Und aus dem Grund würde ich den Teufel tun, um für eine Standpauke zum ihm aufzusehen, also fixierte ich einen Punkt auf seiner Brust.
»Sagtest du nicht, du hast Ley im Griff?«
»Das hab ich. Streng genommen müsste er bei den Besprechungen überhaupt nicht anwesend sein, also steck dein angekratztes Ego sonst wohin. Die Belehrung kannst du dir sparen.«
»Alec!«, stieß er drohend aus, packte mein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und zwang mich so ihn anzuschauen. Direkt in seine Augen, deren Iris sich von kugelrund in rautenförmig verwandelte und golden aufglühte. Seine Knochen knackten. Moss zog scharf den Atem ein, die Nasenflügel bebten. »Dein Duft hilft nicht gerade meine Verwandlung zu stoppen.« Unvermittelt drängte er sich gegen mich. Die Ausbeulung hinter seiner Jeans drückte sich hart gegen meinen Bauch. »Wäre es nur ein Jahrhundert eher …«, zischte er bemüht leise und seine Finger lösten sich, um an meinem Hals entlangzufahren.
»Wären meine Eltern nicht tot und du würdest dich nicht wie das letzte Arschloch auf diesem Planeten aufführen …«
Fauchend wich er zurück, ohne seine Hand von mir zu nehmen. Ich spürte, wie er mit sich kämpfte, und alles zog sich in mir zusammen. Es wurde von Begegnung zu Begegnung schlimmer mit ihm und ich fragte mich, wo das noch hinführen sollte.
»Ich hab einen Auftrag für dich«, unterbrach er meine Gedanken in einigermaßen gefasstem Ton. »Und diesmal übst du ihn auch aus. Bis zum Schluss!«
»Sonst was?«, flüsterte ich und presste fest die Lippen aufeinander.
»Sonst werde ich mich Leys Erziehung annehmen.«
Cary
Mit einem erstickten Laut schoss ich hoch. »Vida!« Panisch griff ich auf die andere Bettseite, aber sie war frei. Natürlich war sie frei. »Fuck!« Mit zitternder Hand fuhr ich mir fahrig übers Gesicht und fiel zurück auf die Matratze. Ein Traum. Es war nur ein Traum gewesen. Einer von vielen in den vergangenen Wochen. Und eine von vielen schlaflosen Nächten, seit Megan in mein Leben getreten war. Megan. Die Schwester meiner großen Liebe. Die nur ein Zimmer weiter lag und schlief. Deren Anwesenheit mich so stark an Vida erinnerte und mich gleichzeitig beruhigte.
Es schürte jetzt schon Panik in mir, wenn der Tag käme, an dem sie zurückging. Nach Lavon. Zu ihrer Familie. Zu ihren Freunden. Dahin, wo sie eigentlich lebte. Denn wenn Megan weiter so gute Fortschritte machte, ihr neues Sein, das einer Feenelfe, in den Griff zu bekommen, würde es nicht mehr lange dauern, bis sie in ihr altes Leben zurückkehren konnte. Bald schon würde sie alle ihre Fähigkeiten aufgedeckt und gelernt haben damit umzugehen, um nicht in der menschlichen Welt aufzufallen. Und dann wäre sie weg. Und mit ihr der Teil von Vida. Meine letzte lebende Verbindung zu der Liebe meines Lebens.
Ich warf das Seidenlaken von mir und schwang die Füße über den Bettrand. Ohne hinzusehen, schaltete ich die Nachttischlampe ein und griff nach dem Bild.
»Du spielst nicht fair, Sonnenschein!« Ich sprang auf den nächstgelegenen Baum und kauerte mich auf einen dicken Stamm. Der Wald, der an unser Anwesen angrenzte, lag in tiefster Dunkelheit. Ich kniff die Augen zusammen und schärfte meinen Sehsinn.
Vida kicherte. »Ich spiele nicht.«
Mein Blick fegte durch die Äste und Blätter, aus der die Stimme gekommen war. Ich bräuchte nur ein minimales Glitzern. Nur einen kleinen goldenen Stern, den sie verlor, wenn sie sich bewegte. Nur einer.
Ich spürte einen Luftzug vor mir und im nächsten Moment glimmerte etwas am Baum gegenüber auf. Geschmeidig sprang ich hinüber und schnappte nach ihr, doch da war sie mir schon wieder entschlüpft.
»Vida!«, grollte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Etwas kitzelte an meinem Nacken, als sie plötzlich dicht neben meinem Ohr flüsterte: »Ich spiele nicht.« Ein Sternenschauer erhellte die Nacht und Vidas strahlendes Gesicht erschien vor meinem. Ihre Augen funkelten. »Ich liebe.«
Sanft strich ich über den Glasrahmen. Das Bild zeigte sie in jener Nacht. Ein tanzender Stern in der Dunkelheit. Ihr wallendes weißes Kleid, das mit ihren langen blonden Haaren um die Wette flatterte. Vida hatte es geliebt zu tanzen. Sie hatte lange Kleider geliebt und war gerne eine Frau – ein Mädchen gewesen.
Es gab nur eine Sache, die sie noch mehr verehrt hatte … die sie heiß und innig geliebt und sich regelrecht nach ihr verzehrt hatte.
Und das war die Farbe Violett gewesen.
***
»So früh schon wach?«
»Verflucht. Meg!« Ich riss mir ein Trockentuch ab und wischte den verschütteten Kaffee von meiner Hand und der Küchentheke.
Megan setzte sich daneben und schnappte sich meinen Becher. »Sorry.« Sie drückte verschmitzt die Lippen aufeinander, während ich mir eine neue Tasse organisierte.
»Schon gut. Ich spüre keine einzige Emotion an dir. Das ist gut. Du bist gut! Dafür verschütte ich auch gern mal Kaffee.«
»Danke. Allerdings nervt mich dieses Wändeziehen jetzt schon. Noch mehr verstellen. Darauf hab ich so was von keinen Bock!«
Ich lachte. »Na super. Noch ein Nudist.«
Megan zuckte mit den Schultern. »Also, rück's raus. Warum bist du schon wach? Es ist erst fünf.«
»Ich führe heute Vorstellungsgespräche und muss vor Ladenöffnung dort sein.«
»Hat wer gekündigt?«
»Nope. Ich suche nach Personal, weil ich einen neuen Club eröffnen will. In Lavon.«
»Ist nicht dein Ernst!«
»Was ist nicht sein Ernst?«, ertönte es hinter uns. Ash kam in die Küche geschlendert, drängte sich zwischen Megs Beine und gab ihr einen langen Kuss. »Warum hängst du schon wieder mit diesem Punk ab, anstatt mit mir aufzuwachen?«, fragte er, als er sich von ihr löste.
»Weil du eine unglaubliche Schnarchnase bist.«
»Wer sich's leisten kann.« Ich grinste, aber Ash zog nur die Augenbrauen hoch. Kopfschüttelnd. Gut. Ich gab's ja zu. Das war kein besonders geschmeidiger Seitenhieb gewesen. Ash besaß ein Heim für Kinder, die misshandelt worden waren, und da passte der Begriff Arbeit absolut nicht. Nur waren seit einigen Wochen unsere Frotzeleien ziemlich abgekühlt, deswegen fand ich diese Fopperei ausnahmsweise in Ordnung.
»Also, was ist nicht dein Ernst?«, wiederholte Ash seine Frage und angelte sich eine Flasche Blut aus dem Kühlschrank.
»Cary möchte einen weiteren Club eröffnen.«
»Bekommst wohl den Hals nicht voll, Raffzahn?«
»So ungefähr.« Ich zwinkerte belustigt.
»In Lavon«, ergänzte Megan und Ash hielt in seiner Tätigkeit inne. »Verscheißer mich nicht!«
»Warum tut ihr beiden so überrascht?«
»Vielleicht, weil Lavon Elizas und mein Zuhause ist? Komischer Zufall.« Megan legte einen Zeigefinger unter ihr Lid und zog es runter.
»Tatsächlich ist das Air pleite und suchte dringend einen Abnehmer für einen sehr guten Preis. Das konnte ich unmöglich ablehnen.«
»Was?« Entsetzt schlug Megan mit der flachen Hand auf die Theke. »Das Air ist pleite? Scheiße! Ich hab da meine Jugend verbracht. Tanzen, Alkoholexzesse und Sex!« Sie sprang herunter und schwebte davon. »Ich muss Eliza anrufen.«
»Alles okay?«, fragte ich Ash, der sich fahrig über die Brust strich. Was er seit einigen Wochen ziemlich oft tat. Wenn ich nach seinen Gefühlen ging, die er gnadenlos jedem ungefragt präsentierte, dann war er – eifersüchtig.
»Geht schon.« Er zog den Becher Blut herunter, den er sich in der Mikrowelle warm gemacht hatte, und brummte: »Ist der Laden wirklich pleite oder hast du nachgeholfen?«
Ich lachte leise. »Ist das wichtig? Du weißt, dass sie nicht für immer bleibt.«
»Das versuche ich geflissentlich zu verdrängen.«
»Siehst du – ich nicht.«
Ich stellte die Tasse in die Spüle und trabte zur Tiefgarage runter. Dort schwang ich mich auf meine tiefblaue Maschine. Eine Harley Softtail Breakout. Frisiert und aufgepimpt vom besten Mechaniker unter den Nachtschwärmern – dem Schotten.
Mit zweihundert Sachen cruiste ich durch Magia. Die Straßen waren geräumt und gestreut worden und relativ frei, da es noch früh am Tag war. Wahrlich der einzige Grund, den Winter zu mögen. Die Tatsache, dass wir Vampire uns ein paar Stunden länger draußen aufhalten konnten.
Ich parkte direkt neben dem Club, der in einer Sackgasse in der Innenstadt lag. Von außen betrachtet gab das Violet Pixie nicht viel her, doch genau so mochte ich es. Es war wie eine Verpackung. Unscheinbar, aber der Inhalt – Bämm!
Die Außenfassade war nicht verputzt, sondern bestand aus rostbraunem Mauerwerk, das an abgeplatzten Stellen litt. Der Eingang bestach durch eine stahlgebürstete Tür, über der sich ein Schild befand, auf dem in handgeschriebenem und violettem Schriftzug der Name des Clubs stand. Understatement in seiner reinsten Form, was die Leute jedoch nicht davon abhielt, hier ein paar Stunden dem Alltag zu entfliehen.
Der Schnee knirschte unter meinen Sohlen, als ich von der Maschine abstieg. Umgehend schwang die Eingangstür auf.
»Hab ich doch richtig gehört.« Meii grinste und wir begrüßten uns mit einem Handschlag.
»Alter. Wie sieht's aus?«
»Alles sauber.«
Ich nickte erleichtert. Gut. Seit den Anschlägen auf Morgans Verlag und die Königsfamilie, explizit Ash, galt erhöhte Alarmbereitschaft im Club. Meii, der eigentlich mein stellvertretender Geschäftsführer war, arbeitete deswegen verstärkt als Sicherheitschef. Einer seiner vielen Jobs, die er bei mir in seinen sechzig Jahren bereits runtergerissen hatte. Ich schätzte mich glücklich, schon seit einigen Jahrzehnten mit ihm zusammen den Club betreiben zu können. Denn er war nicht nur ein Multitalent, sondern extrem vertrauenswürdig und gehörte neben meinen Brüdern zu meinen besten Freunden.
»Hast du Fender als Außenposten eingeteilt?«, fragte ich. Obwohl es bisher zwar noch keine Ausschreitungen gegeben hatte, traute ich dem Frieden nicht und war lieber vorbereitet, als einen Schlag in den Nacken zu bekommen.
»Jap. Übrigens hat Mister Roosh angerufen. Er lässt fragen, ob wir noch Verstärkung brauchen.«
Dieser Kerl konnte es nicht sein lassen. Grinsend beäugte ich den Gestaltwandler. »Hat er dir wieder ein Angebot gemacht?«
»Auch das«, erwiderte Meii nickend. »Ich habe gesagt, ich werde für Ersteres Rücksprache mit dir halten und für Letzteres auf ihn zurückkommen, wenn du mir – kündigst.« Wir lachten gleichzeitig los. Als wenn das jemals passieren würde …
Kion Roosh war ein alter Kumpel aus Schulzeiten. Strenggenommen war er mein Bruder. Der Fünfte im Bunde. Er betrieb eine Sicherheitsfirma und beschäftigte die besten Leute. Fast! Denn mein Sicherheitsteam im Club war besser. Dank Meii. Den ich ihm vor der Nase weggeschnappt hatte. So wie er mir Kyt. Und ich ihm Fender. Und er mir Sullk, und so weiter. Seit einigen Jahrzehnten spielten wir dieses Spiel nun bereits und ich lag einen Punkt vorn, weshalb Kion beständig versuchte mir Meii abzuwerben. Sobald der neue Club in Lavon an den Start ging, würde eine neue Runde beginnen. Von meiner Seite aus – und darauf freute ich mich wie ein kleiner Junge auf Weihnachten.
»Richte ihm meinen Dank aus. Solange alles ruhig ist, benötigen wir keine Verstärkung. Und schieb bitte eine persönliche Nachricht hinterher: Bis ich dir kündige, hat seine Firma Bankrott gemacht oder er ist von der Sonne geküsst worden.«
»Alles klar«, brummte Meii, ohne die Belustigung in seiner Stimme zu unterdrücken.
»Wie viele haben sich angemeldet?«
»Knapp vierzig. Alle Arten.«
Ich scannte meine Iris und die Tür zu meinem Büro öffnete sich. Der Unterton in seinen letzten Worten war mir nicht entgangen. »Du hältst es immer noch für keine gute Idee.«
»Nope. Aber es ist deine Entscheidung.«
Schwungvoll warf ich mich in meinen Bürostuhl und Meii schob mir die Liste über den Tisch zu. Rasch überflog ich die Namen. Es war keiner dabei, den ich kannte. Im Gegensatz zu Meii war ich der Meinung, dass es dem Club guttat, weiterhin mit allen Arten von Nachtschwärmern zusammenzuarbeiten, um die Diskrepanz zwischen den Gruppen nicht weiter voranzutreiben.
Vielleicht war das Violet Pixie deswegen bisher von einem Anschlag verschont geblieben. Weil die Leute einen Platz brauchten, der eine Art neutrale Zone darstellte. Einen Ort, wo man jeden Scheiß, den man mit sich herumtrug, vor der Tür abgeben und einfach ein paar Stunden Spaß haben konnte.
»Wenn etwas schiefgeht, hab ich ja dich«, erwiderte ich leichthin. »Außerdem sind die kreativsten Barkeeper unbestritten die Elfen und die attraktivsten Bedienungen die Feen.«
»Zur Hölle«, monierte Meii. »Deine Worte bei allen Monden.« Er nickte ergeben und stand auf. »In zehn Minuten geht's los.« Bevor er ging, klopfte er mit der Faust auf den Schreibtisch.
Innerlich grinsend wandte ich mich meinen Unterlagen zu. Meii war ein Fan von Feen und er erlag regelmäßig ihrem Charme. Allerdings war bisher noch keine dabei gewesen, die sein Herz berührt hatte. Was bei einer gewissen Elfe nicht der Fall zu sein schien, aber das war wohl eine ganz eigene Geschichte, in die mich nicht einmischen wollte. Zumindest vorerst nicht.
Ich checkte die Abrechnungen und studierte noch mal das Angebot, das mir für das Air vorlag. Es würden einige Jahre ins Land ziehen, bis ich nach diesem Kauf mein Polster wiederaufgebaut hatte, doch die Investition lohnte sich. Nicht nur in finanzieller Hinsicht. Das Air lag in einer guten Gegend und war bei meinen Besuchen auch immer außerordentlich frequentiert gewesen.
Wichtiger war jedoch, dass ich Megan nah sein konnte, ohne damit einen falschen Eindruck zu erwecken. Und verdammt, so wie ich mich verhielt, konnte man tatsächlich verkehrte Schlüsse ziehen.
Seufzend goss ich mir einen Whisky ein. Wie sollte einer von ihnen auch nur diese spezielle Verbindung begreifen, die Megan allein durch die Tatsache schuf, dass sie die Schwester von Vida war. Dass sie die einzige Verbindung war zu der Person, die ich über alle Maße liebte und nie wiedersehen würde. Mit ihr sprechen. Anfassen. Sie lieben …
Ich schnappte mir die Liste der angekündigten Bewerber und mein Blick fiel auf einen der Monitore, die an der Wand neben meinen Schreibtisch angebracht waren und mir einen Überblick über den gesamten Club verschafften. Ein Pulk von Leuten hatte sich im Hauptsaal versammelt. Aber das war nicht das, was meine Aufmerksamkeit erregte. Einen Bildschirm weiter beobachtete ich eine komplett in schwarzes Leder gehüllte Person, die auf einem röhrenden Motorrad saß, das direkt neben meiner Harley parkte. Kerzengerade saß der Fahrer auf der vibrierenden Maschine. Leichte Nebelschwaden drangen hinter dem Auspuff hervor und vergingen im Nichts. Ich ging ein Schritt näher an den Bildschirm, was wirklich selten bescheuert war, da ich selbst aus zehn Meilen Entfernung noch alles gut erkennen konnte. Trotzdem. Irgendwas in der Haltung der Person weckte meine Sinne. Es war, als würde sie zögern. Ja. Ich sah eindeutig Unsicherheit.
Aber warum?
Mehrere Minuten verstrichen, als Meii den Kopf durch die Tür steckte.
»Zwei Minuten«, reagierte ich, bevor er etwas sagen konnte.
»Alles klar«, entgegnete er und ich wandte den Blick zurück zum Bildschirm, unfähig mich von dem Bild zu lösen.
Das war absurd. Ich wusste noch nicht mal, ob sich hinter der Montur ein Mann oder eine Frau verbarg. Selbst die Hände waren hinter schwarzen Lederhandschuhen versteckt. Eine Umhängetasche, deren Gurt quer über die Brust verlief, lag hinter dem Rücken verborgen. Hm. Diese Kurven … die Art, wie die Person sich bewegte …
Ich schüttelte mich, um zu klarem Verstand zu kommen, als das Wummern erstarb. Die letzte Auspuffwolke zog gen Himmel, nachdem der Fahrer den Zündschlüssel abgezogen und in die Jackentasche gesteckt hatte. Die behandschuhten Hände glitten links und rechts an den Helm und mit einer fließenden Bewegung wurde dieser vom Kopf gezogen. Lange, glatte, bis zum Po reichende, tiefschwarze Haare kamen zum Vorschein, die sanft hin und her geschüttelt wurden. Ein Kloß bildete sich rasend schnell in meinem Hals. Die Frau nahm den Helm unter den einen Arm und schob sich mit der anderen Hand die Haare aus dem Gesicht. Unvermittelt hob sie den Blick und starrte mich direkt an. Besser gesagt, in die Außenkamera des Parkplatzes.
Ihre Augen glimmerten golden und der Ausdruck, der sich darin spiegelte, stand im so krassen Kontrast zu der Unsicherheit von eben, dass es mir absolut den Boden unter den Füßen wegriss … Hass. Abgrundtiefer Hass.
Alec
Es war noch nicht ganz klar, wem der größere Anteil Abscheu gebührte, der durch meine Adern floss. Moss, diesem Bastard, weil er mich hierzu zwang, oder dem Kerl, dem dieser Laden gehörte.
Ich schwang mein Bein über das Bike und lief zum Eingang des Violet Pixie. Vor ein paar Jahren war ich hin und wieder zum Feiern hergekommen, aber das lag in der Vergangenheit. Heute war ich ein anderer Nachtschwärmer. Das Mädchen dieser Zeit war Geschichte.
Noch bevor ich klopfte, ging die Tür auf und ein Hüne von einem Mann stand im Türrahmen. »Willkommen. Du bist dann wohl unsere letzte Bewerberin.«
Ich nickte und trat ein. »Und du bist?«
»Mein Name ist Meii. Ich bin der Sicherheitschef.«
Ich klopfte den Schnee von den Schuhen und schlenderte dem Kerl hinterher, in den Tanzsaal, der hell erleuchtet etwas von seinem magischen und zauberhaften Charme einbüßte. Auf der Tanzfläche, die die Form eines überdimensionalen Diamanten hatte, stand eine große Gruppe Nachtschwärmer. Beeindruckt pfiff ich durch die Zähne. Mit so viel Konkurrenz hatte ich nicht gerechnet.
»Keine Sorge. Wenn du gut bist, hast du den Job.«
Ich zog die Augenbrauen hoch und starrte Meii an, der neben mir stehen geblieben war. »Komm«, sagte er grinsend und ich folgte ihm zu den anderen Leuten. Bevor ich meine Mitstreiter genauer begutachtete, verstärkte ich noch mal meine Wände. Sicher war sicher.
Der größte Anteil der Bewerber waren Frauen, die wenig mit ihren Reizen geizten. Miniröcke, die als breiter Gürtel durchgehen konnten, knallrot geschminkte Lippen und Oberteile, die ich mir persönlich nur als Schal anziehen würde. Keine Ahnung, was die dachten, wo sie sich bewarben. »Hey, Meii?«
Der blonde Hüne drehte sich zu mir um. »Was gibt's?«
»Ich bewerb mich hier nicht in einem Stripclub, oder?«
Einige Umstehende lachten, während eine Fee missbilligend mit der Zunge schnalzte und mich von oben bis unten herablassend ansah.
Tja. Hättest du dich mal lieber nicht im Kleiderschrank deiner zehnjährigen Schwester bedient, dachte ich und grinste.
»Nicht, dass mir das bekannt wäre. Wir können den Boss aber gern mal fragen«, sagte Meii und lachte.
Nickend deutete er mit dem Kopf zur Treppe, wo genau dieser herunterkam – Cary Grant! Meine Belustigung erstarb augenblicklich. Mein inneres Feuer entfachte und ich musste heftig die Zähne zusammenbeißen, um nicht loszuknurren. Der Griff um meinen Helm verstärkte sich. Mühevoll regulierte ich einen normalen Atem und versuchte meinen Puls flach zu halten.
Er kam näher und sein Blick tauchte in meinen. Das Violett seiner Augen flackerte kurz silbern auf und gab ihn als Vampir zu erkennen. Mit verschränkten Armen blieb er vor mir stehen. Das schwarze T-Shirt spannte unter seinen Bizeps und seine Tattoos tanzten unter der Bewegung, als er sich einen Tick zu mir vorbeugte. In meinen Lederstiefeln erreichte ich genau seine Größe, weshalb ich ihm auf Augenhöhe begegnen konnte. Was mir sehr gelegen kam. Ich hasste es, wenn man auf mich herabsah.
»Was willst du wissen, Kleines?«, raunte er mit tiefer, dunkler Stimme und ein Schauder jagte mir den Rücken hinunter. Verfluchte Scheiße! Ich dachte, ich hätte mich besser im Griff. Fremdgesteuert leckte ich mir über die Lippen. Der komplette Saal spitzte die Ohren. Ganz großes Kino. So viel dazu, mich unauffällig zu verhalten. »Wenn die Berufskleidung die einer Schlampe ist, um hier arbeiten zu können, bin ich weg«, antwortete ich mit überraschend fester Stimme.
Sein Augenbrauenpiercing zuckte auf. Und das war die einzige erkennbare Reaktion auf meine Worte. Unbeabsichtigt hielt ich den Atem an. Langsam trat Cary ein Stück zurück und befreite mich endlich von seinem Blick, den er nun in aller Ruhe abwärtsgleiten ließ. Unten angekommen umspielte ein süffisantes Lächeln seinen Mund. »Ich stelle euch Arbeitskleidung, die deinen Ansprüchen genügen sollte, Kleines. Du wirst mich also von deinem Können überzeugen müssen, wie jede und jeder andere hier auch, ganz gleich, was er im Moment trägt.«
Er trat ein weiteres Stück zurück und schaute durch die Menge. Ich schluckte den Kloß hinunter und erlaubte mir wieder zu atmen. Dabei spürte ich, wie mein Herz stolperte. Mein unbändiger Hass auf diesen Kerl verwandelte sich so langsam in rasenden Zorn auf mich. Ich verhielt mich wie ein verdammter Teenager im Hormonrausch und das Schlimmste war, dass dieser verfluchte Vampir und Gefühleleser das wahrscheinlich auch noch mitbekam.
»Okay. Genug Unwichtigkeiten. Kommen wir zum Programm. Ich suche für meinen neuen Club vorerst zehn Bedienungen und ebenso viele Barkeeper. Falls es einer von euch noch nicht mitbekommen haben sollte: Der Club wird in Lavon eröffnet, derzeit von Donnerstag bis einschließlich Samstag von einundzwanzig bis fünf Uhr. Oberhalb des Clubs wird es Zimmer geben, in denen ihr kostenfrei während der Arbeitszeiten wohnen könnt, damit euch die Fahrerei erspart bleibt. Eingearbeitet werdet ihr hier. Ich erwarte von euch höchste Professionalität. Schwärmer, die noch nie gekellnert oder gekeept haben, können gleich wieder abziehen. Ich suche nach Leuten, die wissen, was sie tun, und denen man nicht erst noch die Welt erklären muss. Sauberes Auftreten, Pünktlichkeit und respektvolles Miteinander sind ein Muss. Alles andere wird nicht geduldet. Wenn ihr das verinnerlicht habt, biete ich euch einen sicheren Arbeitsplatz. Kostenfreie Arbeitskleidung, inklusive Reinigung. Freies Wohnen an den Arbeitstagen und einen Stundenlohn von anfangs zwanzig Dollar, inklusive Krankenversicherung, für diejenigen, die sie brauchen. Noch Fragen?«
»Wie sieht es mit Flirten am Arbeitsplatz aus?«, fragte ein Kerl in zerrissenen Jeans und einem Poloshirt. Grüner Glimmer – Kobold.
»Es wird nichts mit Kunden angefangen. Wenn ihr Spaß haben wollt, sucht euch den woanders. Alles, was ein schlechtes Licht auf mein Personal wirft, wirft auch ein schlechtes Licht auf mich und meinen Club. Und das ist ein No-Go. Wenn du also da bist, um im Club nur an Fickgeschichten zu kommen, verschwinde am besten gleich wieder. Was ihr untereinander treibt, ist mir egal, solange es nicht den Betrieb stört. Verstanden?«
Tja. Das waren klare Worte. Und für mich völlig irrelevant. Ich musste nur meinen Auftrag erfüllen und dann war ich sowieso wieder weg. Für so einen Bullshit wie Liebe, Sex oder Flirts hatte ich weder die Zeit noch die Nerven.
Ungefähr acht Nachtschwärmer trabten davon. Perfekt. Mit einem Schlag gleich weniger Konkurrenz. Nicht dass ich mich wirklich sorgte. Ich wusste, was ich konnte. Trotzdem. Das Leben war ein Arschloch und man wusste nie, was es für einen bereithielt.
»Fangen wir an. Die Bedienungen kommen mit mir, die Barkeeper gehen mit Meii.«
Die Menge teilte sich. Unschlüssig blieb ich stehen. Na super. Welcher Posten würde mir mehr Informationen einbringen? Ich starrte zu Meii und den Barkeepern. Hinter der Theke zu arbeiten wäre mir lieber, weil es meine Passion war, Drinks zu mixen. Aber immer nur auf einer Stel…«
»Was ist los, Kleines? Überfordert dich die Ansage schon?«
Mein Blick schnellte zu der Stimme, in der unüberhörbar Spott mitschwang. Cary neigte den Kopf und schaute mich fragend an. Das Feuer in mir entfachte erneut. Dieser selbstgefällige Ausdruck in seinem Gesicht! Und was nahm sich dieser Kerl überhaupt das Recht heraus, mich Kleines zu nennen? Ich schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ich warte ab, wo am Schluss noch Bedarf besteht, und in dem Bereich werde ich dann für dich arbeiten.«
»Hört, hört. Was für ein gesundes Selbstbewusstsein. Du spuckst ganz schön große Töne.«
»Ich weiß, was ich kann, und ich werde einen Job bei dir bekommen. Sonst hätte ich mir nicht die Mühe gemacht, meinen Arsch hierher zu bewegen.«
Ein paar Leute zogen scharf den Atem ein, während die Tussi-Fraktion mich als Bitch betitelte. Allen voran die Fee, die mich seit meiner Frage nicht mehr aus den Augen ließ. Aber das perlte an mir ab wie Öl auf meiner Lederjacke. Ich war nicht hier, um Freundschaften zu schließen.
»Wenn das so ist, hast du sicher nichts dagegen, den Anfang zu machen und deiner Konkurrenz zu zeigen, was du draufhast!« Cary kam zum mir geschlendert, wobei seine Bikerboots nichtsdestotrotz auf dem glänzenden Fliesenboden laut aufknallten, und hielt mir die Hand hin. »Deine Sachen.«
Ohne ihn aus den Augen zu lassen, drückte ich ihm den Helm und meine Umhängetasche in die Hände und zog meine Lederjacke aus.
»Uh, heiß«, raunte der Kobold und spielte damit auf die Korsage an, die aus glänzendem Samt und eng um meinen Oberkörper geschnürt war, jedoch durch die breiten, verspielten Stoffträger meine gut in Szene gepushten Brüste verdeckte.
»Zu heiß für dich«, erwiderte ich kühl und beobachtete, wie Cary auf die Innenseite meines Arms starrte, als ich ihm die Lederjacke hinhielt. In keltischer, verschnörkelter Schrift stand in roten und schwarzen Lettern mein Lebensmotto draufgeschrieben. Für ewig tief in meine Haut gestochen.
Is fheàrr teine beag
a gharas na teine mòr a loisgeas.
Das kleine Feuer, das
wärmt, ist besser als das große Feuer, das verbrennt.
Er streckte den anderen Arm aus und ich erkannte in der gleichen Schrift, an der gleichen Stelle an seinem Arm ebenfalls ein Tattoo. Vida Kjare entzifferte ich und übersetzte es aus dem Keltischen. Leben Liebe? Was meint er damit?
»Fender«, unterbrach er meine Grübelei und ein durchschnittlich aussehender Kerl mit Glatze stand unvermittelt bei uns und nahm Cary meine Sachen ab. Echt jetzt? Was für ein verdammter Hofstaat.
Er deutete hinter mich. »Zur Bar. Nach dir.«
Klar. Damit du schön auf meinen Hintern glotzen kannst. Arschloch. Absichtlich bewegte ich meine kurvigen Hüften einen Tick schwungvoller. Sollte er doch draufstarren, bis ihm die Augen brannten. Niemals würde er auch nur einen Finger an mich legen. Nicht noch einmal.
Ich drückte mich hinter die Theke und besah mir fix, wo alles stand, bevor ich mir eine Schürze unter dem Regal hervorholte und mir die Hände wusch. »Ich bin bereit.«
Einige Mitstreiter saßen zwischenzeitlich auf den Barhockern vor der Theke, andere standen an den Tresen gelehnt, aber alle schienen hochinteressiert, wie ich mich schlagen würde. In dem einen oder anderen Gesicht konnte ich die Hoffnung sehen, dass ich mich so richtig aufs Eis legte. Darauf könnt ihr lange warten.
Cary zog sich einen Tresenhocker an den Durchgang der Bar und setzte sich mit locker verschränkten Armen drauf. »Kennst du unsere Karte?«
»Klar.«
»Wie viele sind wir, Meii?«
»Einschließlich Sicherheitspersonal fünfunddreißig«, antwortete dieser.
Cary rieb sich über seinen sorgfältig gestutzten Bart, der im Gegensatz zu dem gestylten Irokesen nicht lila, sondern dunkelbraun war, genauso wie seine gebogenen Augenbrauen. »Das macht dann einmal die Karte plus fünf Getränke deiner Wahl.«
Die Jungs und Mädels rutschten unruhig auf ihren Plätzen umher. Fünfunddreißig Cocktails! Der hatte sie doch nicht mehr alle. Wenn jeder von uns dieses Kontingent heute bewältigend musste, wären wir morgen noch nicht fertig. Aber wem machte ich was vor? Seine Spitze war nur an mich gerichtet. Diese Befürchtung war also haltlos.
Am liebsten hätte ich kurz die Augen geschlossen, um in mich zu gehen, doch die Blöße gab ich mir nicht. Ich schluckte meine Wut darüber runter und entgegnete mit gefasster Stimme: »Wenn ich dir hier schon eine Show bieten soll, dann nur in einem stilvollen Ambiente. Licht aus. Musik an. Am besten etwas von den Dropkick Murphys, falls es in diesem Club so was wie gute Musik überhaupt gibt.«
»Fender«, sagte Cary und augenblicklich wurde das Licht gedimmt und die Stroboskoplichter flirrten im Saal umher.
»Mein Cocktail kommt zum Schluss. Ich rate dir, dass er etwas Besonderes ist«, flüsterte Cary, als die ersten Klänge von I'm Shipping Up To Boston erklangen.
Gänsehaut zog sich über meine erhitzte Haut. Nicht nur weil wir Wölfe sogar über ein noch besseres Gehör als die Vampire verfügten, sondern weil er einen Moment für seinen letzten Satz gewählt hatte, wo die anderen durch die einsetzenden Beats des Songs abgelenkt waren. Diese Herausforderung galt mir persönlich.
Ich warf einen schnellen Blick auf ihn. Sein Gesicht verriet nichts über seine Emotionen. Völlig unbewegt starrte er mich an, die violettfarbenen Augen dunkel schimmernd auf mich geheftet.
Ich biss die Zähne zusammen und begann die Karte abzuarbeiten. Mit wendigen Handgriffen zauberte ich einen Cocktail nach dem anderen, ohne zu pausieren oder auch nur einmal die Karte studieren zu müssen. Meine Hausaufgaben hatte ich gemacht.
Während ein farbenfroher Drink nach dem anderen auf der Theke erschien, forderte Cary meine Mitstreiter auf sich zu bedienen. Zu den außergewöhnlichen Cocktails wie dem Magic Dragon, Purple Haze oder dem Forgotten Rocks, die es nur im Violet Pixie gab, kreierte ich noch vier Klassiker. Sex on the Beach, Frozen Margherita, Long Island Icetea und einen Piña Colada.
Als ich zu Carys Cocktail kam, zögerte ich einen Augenblick, zog dann aber den Orangensaft, den Cherry Brandy und den italienischen Wermut zu mir. Ich kippte die drei Getränkesorten per Augenmaß in den Shaker und suchte mir einen Blended Scotch Whisky von Chivas aus, den ich hinzugab.
»Hey, Hübsche. Ein ordentlicher Barkeeper mixt keinen Whisky zu 'nem Cocktail.« Ein braunhaariger Kerl mit einem Undercut beäugte mich kritisch.
»Genau«, pflichtete ihm die Fee bei, die mir seit meinem Kommentar abschätzige Blicke zuwarf.
Entgeistert schüttelte ich das Getränk auf Würfeleis und seihte es danach in ein vorgekühltes Glas ab. Dumpfbacken. Alle beide. Ohne Verzierung oder anderen Schnick Schnack händigte ich den Blood & Sand an Cary aus. Seine Finger berührten meine, als er das doppelwandige Glas entgegennahm, und ein elektrischer Schlag ließ meine Hand überrascht zurückzucken. Erschrocken schaute ich Cary an, dessen Gesichtsausdruck völlig neutral blieb. Ich rieb mir über die Finger, die nun unangenehm kribbelten. Hatte er das nicht auch gespürt?
Er setzte das Glas an und trank einen Schluck. Atemlos wartete ich ab. Seine Zunge glitt langsam über seine Lippen, ehe er den Rest in einem Zug herunter kippte. Dann stand er auf, stellte das Glas auf die Theke und sagte: »Die Bedienungen zu mir, die Barkeeper bleiben hier bei Meii.«
Ohne mich noch einmal zu beachten, ging er davon.
Ähm? Hallo? Irritiert räumte ich den Platz auf, legte die Schürze ab und ging mir meine Sachen holen. Dachte dieser Penner tatsächlich, dass ich ihn nach einer Reaktion oder zumindest einer Antwort anbettelte? Ganz sicher nicht.
Ich schlüpfte in meine Jacke, schwang meine Tasche über mich, griff nach dem Helm und steuerte den Ausgang an. Das Brodeln in mir war zurückgekehrt und hing nur noch an einem seidenen Faden. Ich schaffte das nicht. Dieser Kerl war der letzte Abschaum. Und er verhielt sich auch so. Ich musste mir einen anderen Weg überlegen, um die Informationen zu beschaffen, die Moss von mir verlangte. Ich war clever, mir würde etwas einfallen.
Schwungvoll stieß ich die Eingangstür auf. Kälte klatschte mir ins Gesicht, als eine dunkle Stimme tief in mein Gehör und weiter in meinen Bauch drang. »Morgen Abend. Zwanzig Uhr. Sei pünktlich … Kleines.«
Cary
Das Dröhnen ihrer Maschine verebbte und ich lenkte meine Konzentration auf die Nachtschwärmer vor mir. Meine Motivation, Personal auszusuchen, war mit ihrem Abgang den Bach heruntergegangen. Was für eine Wahnsinnspower. Diese Lady konnte einen Abend an der Bar locker alleine rocken. Und das wusste sie. Trotzdem stiefelte sie hier raus, als hätte irgendjemand ihr Talent angezweifelt. Ganz so selbstbewusst, wie sie mit ihren lässigen Sprüchen und den unverschämten Forderungen umherwarf, war sie dann doch nicht. Und genau das gab mir zu denken.
Im Schnellverfahren überprüfte ich die Bewerbungen, stellte Aufgaben und markierte mir die zehn Personen, die ich zukünftig gern in meinem Team haben wollte, sollten ihre Bewerbungsunterlagen stimmig sein. Dann ging ich zu Meii, besah mir kurz die Kreationen der Barkeeper und verschwand in meinem Büro. Ich goss mir einen Whisky ein und setzte mich hinter meinen Schreibtisch. Mein Blick fiel auf den Monitor, auf meine Maschine, die verwaist auf dem Clubparkplatz stand.
Irgendetwas war hier im Gange. Dieser unverhohlene Hass, der aus ihren Augen gesprüht hatte, war während der Vorstellungsrunde gänzlich verschwunden gewesen. Stattdessen hatte hinter dem bemüht neutralen Blick immer wieder mal etwas aufgeflackert, das diesem Gefühl ähnelte.
Aus welchem Grund wollte sie unbedingt hier arbeiten, wenn sie doch offensichtlich einen heftigen Groll gegen das Violet Pixie hegte? Oder galt diese Abneigung mir?
Ich schüttelte den Kopf. Nein. Das konnte nicht sein. Ich kannte sie gar nicht. Und ich war mir sicher, dass ich mich an sie erinnert hätte. Ich liebte Vida und mir waren die inneren Werte einer Frau wichtiger als ihr Aussehen. Nichtsdestotrotz wusste ich das besonders attraktive Geschlecht zu würdigen. Und diese hier war seit Langem eine Lady, die mich mit ihrem Auftreten regelrecht umwarf. Die wohlgeformten Beine in den mörderischen Lederstiefeln. Die Kurven, die durch ihre Lederkleidung perfekt zur Geltung gebracht wurden. Das seidige Haar, das so tiefschwarz schimmerte wie der Hass, der aus ihren dunklen Augen geblitzt hatte. Die unglaublich langen Wimpern, die das Braun ihrer Iris umrahmten und sie mit dem schwarzen Lidstrich noch düsterer erscheinen ließen. Und dann … diese Lippen. Breit, voll und knallrot geschminkt. Was für ein verdammter Eyecatcher inmitten des ganzen Schwarz.
Ein Stöhnen entwich mir. Fuck! Seit knapp drei Jahrzehnten hatte mich keine Frau mehr interessiert. Keine. Einzige. Ich rieb mir mit den Handballen die Augen. Das schlechte Gewissen schlug in mich hinein wie ein Blitz. Was dachte ich mir da eigentlich? Ich war vergeben. Mein Herz lag bereits in den Händen einer Frau. Meiner Frau. Dem schönsten und unwiderstehlichsten Wesen, das es auf diesem Planeten gegeben hatte. Der ich ewige Treue geschworen hatte, auch wenn wir nicht verheiratet gewesen waren …
Die Tür schwang auf und im nächsten Moment trat Meii ein, der Einzige neben meinen Brüdern, der Zugang zu meinem Büro besaß.
»Bist du schon durch?«, fragte er und deutete auf den Stapel vor meiner Nase. Jeder Nachtschwärmer hatte eine schriftliche Bewerbung mitbringen müssen.
»Nein. Setz dich, wir machen es zusammen.«
Keine zehn Minuten brauchten wir, um unser neues Personal aufzustellen. Nach über sechzig Jahren Berufserfahrung konnten wir beide schon auf den ersten Blick feststellen, welcher Kandidat geeignet war und welcher nicht.
»Was ist mit Schneewittchen Addams?«
Ich zog grinsend eine Braue hoch. »Schneewittchen Addams?«
»Absolut. So wie die Dame auf Krawall gebürstet war und mit diesem märchenhaften Aussehen gibt sie doch die perfekte Mischung aus Schneewittchen und Morticia Addams ab.«
»Ist also nicht nur mir aufgefallen. Wie ist dein Eindruck?«
Meii pfiff scharf durch die Zähne. »Wir wären Idioten, wenn wir sie nicht einstellen würden. Und wahrscheinlich sind wir Idioten, wenn wir es tun.«
Ich lachte trocken. Wenn er da mal nicht recht hatte. »Ich hab keine Bewerbung von ihr.«
»Sie hat keine mitgebracht.«
»Kennst du ihren Namen?«
»Alec soundso.«
»Alec? Bist du dir sicher?«
»Nope. Aber den hat sie mir genannt. Und mehr hab ich nicht von ihr.«
»Nun. Dann warten wir mal ab, ob Schneewittchen uns morgen mit ihrer Anwesenheit beehrt.«
***
Die frischen Fußspuren im Schnee waren klein. Lächelnd gab ich dem Grabstein einen Kuss, nachdem ich die dünne Schneeschicht abgeräumt hatte. »Hey, Sonnenschein. Jetzt hab ich wohl deine Schwester verpasst.« Ich kniete mich hin und versank im kühlen Weiß. »Wahrscheinlich hat sie dir schon erzählt, dass ich vorhabe einen weiteren Club zu eröffnen – in Lavon. Und so, wie ich sie kenne, hat sie sich über die Wahl des Ortes ausgelassen. Ich schätze, niemand versteht, was ich für sie empfinde. Näher komme ich dir nur noch, wenn ich deine Eltern besuche. Und trotzdem ist es nicht das Gleiche.«
Ich steckte die Hände in die Taschen der Lederjacke und schaute zum Baum hinauf. Manchmal war es, als würde er mir mit sprechen … als würde sie mit mir sprechen. Ich wartete eine Weile, aber heute blieben die kahlen Äste still.
»Na gut. Vielleicht hat dich Megans loses Mundwerk erschöpft. Ich liebe dich, Vida.« Das schlechte Gewissen rollte über mich, kaum dass die Worte meine Lippen verlassen hatten. Sollte ich Vida von Schneewittchen Addams erzählen?
Ich fand sie unbestritten heiß und ihr gesamtes Auftreten hinterließ immer noch einen bleibenden Eindruck bei mir. Zählte das Schweigen darüber bereits als Untreue? Schon allein der Gedanke daran? Ich war verwirrt. Das war das erste Mal seit Vidas Tod, dass ich so intensiv auf eine Frau reagierte.
Ich rieb mir den Nacken und starrte überfordert auf den Stein, auf dem nur ihr Namen und ein Spruch eingraviert waren.
Vida Kjare – ein Leben in Liebe
Mein Leben, meine einzige Liebe. »Ich vermisse dich, Sonnenschein«, flüsterte ich, drückte dem Grabstein einen Abschiedskuss auf und ging davon, ohne ein Wort über Alec verloren zu haben.
Weil es nichts über sie zu erzählen gab. Meine Bewunderung für sie lag in ihrem Talent und meine Neugier über die zwiegespaltene Persönlichkeit, die sie zelebriert hatte.
Und an nichts anderem.
Alec
Wütend kickte ich meine Stiefel zu den anderen Schuhen in die Ecke.
»Alec?« Marley stolperte verschlafen ins Wohnzimmer. »Dé tha a'dol?«
»Nichts. Ich bin nur müde und schon eine Weile nicht mehr gerannt.«
»Ach so. Hat Moss dich erreicht?«
»Ich war bei ihm. Geh wieder schlafen, du musst fit sein für die Schule.«
Gähnend schüttelte Marley den Kopf. Seine Rastas flogen dabei sanft hin und her. »Du hörst dich an wie Màthair.«
Ich lächelte liebevoll. »Eine schöne Erinnerung.«
Seine Augen weiteten sich. »Unfair«, murmelte er, wandte sich ab und schlurfte zurück in sein Zimmer, das unter der Treppe zur zweiten Ebene versteckt lag. Ich zog die Lederjacke aus und ging hinüber in die Küche, um mir einen Tee zuzubereiten. Die Sonne glimmerte hell durch das doppelseitige Fenster und der Schnee glitzerte so stark, dass es fast in meinen Augen brannte. Der Februar stand vor der Tür und ich konnte den Frühling kaum erwarten. Ich fand den Winter einfach nur ätzend, vor allem den heftigen Schneefall, den er jedes Jahr mit sich brachte. Damals, als wir von Schottland hierherziehen mussten, war das einzig Positive, das ich dem Umzug abgewinnen konnte, die Aussicht auf besseres Wetter gewesen.
Der Kessel pfiff. Ich nahm ihn vorsichtig vom Herd und goss das kochend heiße Wasser in einen Mug. Die frische Teemischung, die ich aufbereitete, besorgte ich mir immer von einer Fee. Es gab kein anderes Geschöpf, welches die Kunst der perfekten Blätter- und Kräutermischung so beherrschte wie eine Waldfee.
Ich lehnte mich mit den Hüften gegen die Küchenzeile aus wild zusammengewürfelten Schränken. Die kleine Holzhütte, die einsam mitten im Wald stand, war aus der Nachlassenschaft meiner Eltern und verfügte zum Glück über eine Strom- und Wasserversorgung, denn eigentlich war das Gebäude nicht für das tägliche Leben gebaut worden.
Das kleine Zimmer, das Marley benutzte, war vorher eine Abstellkammer gewesen und in der Küche gab es nur Platz für einen Minitisch, der an die Wand gerückt stand und an dem lediglich zwei Leute Platz fanden, wovon einer dann am Durchgang zum Wohnzimmer saß.
Eine Liebeshöhle, hatte mein Vater immer darüber gescherzt, wenn wir hier zu Besuch gewesen waren und er nach dem Rechten geschaut hatte. Liebeshöhle. Ich umklammerte den dampfenden Becher und Schmerz durchzuckte mich. Das war es seinerzeit tatsächlich für meine Eltern gewesen. Und jetzt war es der Ort, der Marley und mir Schutz bot und unser Leben als Wölfe erleichterte.
Ich trank ein paar Schlucke, besuchte rasch das kleine Bad, das gegenüber von Marleys Zimmer lag und in dem man sich zwischen der Dusche, dem Waschbecken und der Toilette gerade mal im Kreis drehen konnte, und stieg leise die knarzende Holztreppe zu meinem Schlafzimmer hinauf. Die zweite Ebene umfasste die Fläche für ein zwei mal zwei Meter großes Bett, ein überquellendes Bücherregal und einen Beistelltisch, der mit Kerzen vollgestellt war, da es hier oben keine Steckdose gab. Auch konnte man nur an der Brüstung aufrecht stehen, weil die Dachschräge direkt über dem Bett begann. Ich stellte den Becher auf einen Bücherstapel und zündete die Kerzen an. Die Türen von Bad und Küche waren geschlossen, genauso wie die Fensterfront im Wohnzimmer, die man von außen mit Holzläden dichtmachte. Ein wenig Licht drang immer hindurch, doch da unsere Hütte umgeben von Bäumen lag, war es selbst im heißesten Sommer kein Problem, hier zu schlafen. Zumindest was die Helligkeit betraf. Die Hitze war ein anderes Thema.
Ich lehnte mich an den Bettpfosten, der hinter einem Meer von Kissen nicht mehr aufzufinden war, und zog mein Tagebuch aus der Schublade des Beistelltischs. Einige Monate, nachdem Marley und ich nach Coreline gekommen waren, hatte ich mit meinen Einträgen begonnen. Zuerst sporadisch und mittlerweile regelmäßig. Dieses dünne, in Leder gebundene Buch war mein Seelenpartner. Meine Freundin. Meine Vertrauensperson.
Jan. 17
Moss ist ein verdammtes Arschloch. Der Abend im Violet Pixie verlief katastrophal, aber er besteht darauf, dass ich den Job bei diesem Idioten annehme. Ich hätte ihm gar nichts davon gesagt, doch offensichtlich gibt es unter den Bewerbern oder dem Personal einen Spion.
Ich lachte trocken auf. So ein hinterlistiger Penner. Jetzt ließ er mich schon von einem anderen Nachtschwärmer beschatten! Ein Spion für einen anderen. Daingead!
Der Verräter kann von Glück sagen, dass ich nicht weiß, wer er ist. Für sein Befinden ist es auf jeden Fall besser. Besonders wenn er einen Platz im Team bekommen haben sollte. Meine gesamte Konzentration muss sich nämlich auf des Königs Freund beschränken. Auf Cary Grant. Auf diesen großkotzigen, eingebildeten, rechthaberischen Mistkerl, der mich zit–
Nein. Ich atmete tief durch und strich die letzten Worte.
der dafür verantwortlich ist, dass ich weiter in dieser Hölle sitze anstatt in Schottland. Und das passiert kein zweites Mal!
Fester als beabsichtigt klappte ich das Buch zu und steckte den Füller an den Einband. Carys selbstgerechter Blick ploppte vor meinem inneren Auge auf und das Feuer in meinem Magen entfachte erneut. Wenn ich diesem Idiot Informationen entlocken wollte, kam ich nicht drum herum, mich mit ihm gutzustellen. Und das würde eine Herausforderung werden.
Aber so was von.
***
»Marley!«, brüllte ich mittlerweile genervt und verteilte die Eier und den Speck auf den Tellern.
»Was schreist du denn so?«
»Ich muss los und du zur Schule. Setz dich und iss.«
Er wuchtete seinen breiten Körper auf den Stuhl, der umgehend hinter seiner Statur verschwand. Nicht mehr lange und er wäre ein vollständig ausgebildeter Wolf und ich war verdammt erleichtert, dass er zu den kräftigeren Werwölfen gehörte. Irgendwie gab es bei den männlichen Wölfen nur zwei Figuren. Die kernige holzfällerartige und die eines unterentwickelten Nerds.
Ich hielt ihm den Brotkorb hin und nahm mir dann selbst eine Toastscheibe raus. »Hast du für den Test gelernt?«
»Nein.«
»Marley!«
»Maaann, Alec.« Seine buschigen schwarzen Brauen verengten sich, als er die Augen zusammenkniff. Enerviert starrte er mich an. »Kann ich erst mal frühstücken, bevor du mir den Kopf abreißt?«
Ich seufzte ergeben. Marley war ein wandelndes Pulverfass. Er befand sich mitten in der Pubertät und seine Hormone spielten total verrückt. An manchen Tagen kam ich bei seinen Stimmungsschwankungen nicht mit und nicht selten führte eine Frage, die am Tag zuvor noch ruhig beantwortet wurde, kurz darauf zu einem ausufernden Streit. Wenn ich nach meinem Gefühl ging, war heute einer dieser Morgen, die eher ins Negative umschlugen. Deswegen stand ich auf, holte den Kaffee und goss ihm einen großen Becher ein.
»Danke«, brummte er und ich grinste innerlich. Seine Stimme klang, jetzt nachdem er den Stimmbruch überwunden hatte, genau wie Dads.
Ich setzte mich wieder, pickte Ei auf die Gabel und begann zu essen. Die Sonne war schon lange unter- und das Holz in unserem Kamin ausgegangen. Die frische Temperatur, die durch unsere Hütte zog, störte mich nicht. Wir Wölfe verloren nicht so leicht unsere Körperwärme, die ungefähr zehn Grad höher als bei den menschlichen Wesen lag.
»Hast du den Job?«
»Ja. Ich fange heute an.«
Marley pfefferte das Messer auf den Teller. »Das gefällt mir nicht, Piuthair! Warum musst ausgerechnet du für den Clan spitzeln? Soll Moss sich doch selbst darum kümmern.«
»Weil nun mal niemand so gut hinter der Bar ist wie ich.« Und dieses Arschloch von Leader mir damit eine Lektion erteilen will. »Es wird mir nichts passieren. Das ist öffentliches Gebiet. Ich bin umgeben von Menschen und anderen Nachtschwärmern.«
»Es gefällt mir trotzdem nicht. Wenn der Bruder herausfindet –«
»Tut er aber nicht. Weder dass ich als Spion unterwegs bin, noch –« Schmerz durchfuhr mich und automatisch legte ich die Hand an mein Schlüsselbein.