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›Ich bin da‹ – das ist der Name Gottes (vgl. Ex 3,1–15). Das ist kein Spruch aus einem Buch. Es ist für mich Erfahrung. Diese Erfahrung ist der Grund, warum ich Benediktiner geworden bin. Nach der Zeit der Kandidatur (sechs bis zwölf Monate), des Noviziats (ein Jahr) und der Einfachen Profess (drei Jahre) ist in einem Benediktinerkloster die Entscheidung fällig: Feierliche Profess (für immer) ja oder nein. Das fiel mir im Jahre 1987 nicht ganz leicht. Nicht etwa, weil ich an meiner Berufung als Mönch zweifelte. Nein, im Gegenteil. Die Frage, die mich bewegte: Wie kann ich meinen Glauben an den Gott, der da ist, am besten leben? Auf meine ganz persönliche Weise? Als Antwort darauf berührte mich neben der benediktinischen Lebensweise das Zeugnis der Kartäuser schon lange ganz tief. Diese Lebensform, in der fast alles radikal losgelassen wird, was anderen Menschen wichtig ist, macht nur Sinn, wenn Gott derjenige ist, der uns das Leben schenkt und er allein es ist, der uns das Leben in Fülle schenken kann. Dann habe ich alles, wenn ich in seiner Gemeinschaft bin – und das ist Himmel.
Guigo von Kastell, der fünfte Prior der Großen Kartause bei Grenoble (gegründet 1084 durch den hl. Bruno), schreibt dazu: »Das arme Leben in Einsamkeit ist zu Beginn schwer, wird mit der Zeit leicht und am Ende himmlisch. In Widerwärtigkeiten ist es standhaft, bei Zweifeln treu, im Glück maßvoll. Es ist bescheiden im Lebensstil, einfach im Benehmen, züchtig im Reden, keusch im Verhalten. Es ist höchst erstrebenswert, da es ganz und gar keinen Ehrgeiz hegt.«
Mit einem befreundeten Priester sprach ich damals über mein Ringen. Er schickte mir einmal mit einem kurzen Kommentar (»Weshalb man sich nicht in einem Kartäuser-Kloster vergraben soll«) einen kopierten Ausschnitt aus der Pastoralregel Gregors des Großen. Darin hieß es: »Es gibt also solche, die mit großen Gaben ausgestattet sind, die aber ihre Sorge einzig nur der Betrachtung widmen, dem Nächsten durch die Predigt nicht nützen wollen, dagegen ruhige Zurückgezogenheit und beschauliche Einsamkeit lieben.« Dieser Wink genügte. Ich bat um Zulassung zur Feierlichen Profess im Benediktinerkloster Einsiedeln.
Die Berufung der Kartäuser hielt ich aber auch weiterhin immer in großer Ehrfurcht vor Augen. Bis heute. Mir wurde auch klar, dass Gregor der Große gegen egoistische Motivationen Stellung bezogen hatte, nicht gegen das Leben in Gottes Gegenwart in aller Radikalität. Bei vielen Entscheidungen später war mir das Glaubenszeugnis in der Kartause ein wichtiger Indikator für das, worauf es letztlich ankommt.
Ich bin dankbar, dass ich meinen Weg so leicht gefunden habe. Viele ringen jahrelang darum. Das Angesprochensein von Gott erfahren dürfen, ist eine ganz persönliche Erfahrung. Können wir dazu etwas beitragen? Ein wichtiger Schritt ist es, die Sehnsucht nicht unter viel Alltagsschutt zu belassen. Denn wenn die Sehnsucht erlahmt, führt das unmerklich zu Herzenshärte. Deshalb beten wir nach der Weisung des heiligen Benedikt jeden Morgen aus dem Psalm 95: »Würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören! Verhärtet euer Herz nicht!«
Die Palette der Berufungen, die wir als Getaufte leben können, ist sehr breit. Das Leben in einem Kloster oder in der Welt habe ich nie als Gegensatz wahrgenommen. Im Gegenteil. Im konkreten Alltag an dem Ort, wo ich meinen Platz gefunden habe, darf ich Gottes Stimme hören. Aus diesem Hören können auch heute in einem Kloster Projekte entstehen, die über die Klostermauern hinaus Menschen bewegen.