Maja von Vogel

Unter Verdacht

Kosmos

Umschlagillustration Ina Biber, Gilching

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

weitere Informationen zu unseren Büchern,

Spielen, Experimentierkästen, DVDs, Autoren und

Aktivitäten findest du unter kosmos.de

© 2014, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-14394-0

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Schock beim Abendessen

»Hmmm, lecker!« Kim schloss genießerisch die Augen, während sie in die knusprige Neujahrswaffel biss, die sie mit einem Klacks Sahne und Schokostreuseln garniert hatte.

»Ich liebe Neujahrswaffeln!« Auch Marie knabberte begeistert an dem Gebäck. »Wie gut, dass deine Mutter so gerne backt, Franzi.«

Franzi nickte. »Finde ich auch. Greift zu! Frisch schmecken die Waffeln am besten.«

Das ließen sich Kim und Marie nicht zweimal sagen. Gefräßiges Schweigen senkte sich über den Pferdeschuppen. Kim fühlte sich rundum wohl. Auf dem Tisch flackerte eine Kerze und der Bollerofen in der Ecke verbreitete kuschelige Wärme. Kim spülte den letzten Bissen ihrer Waffel mit einem Schluck Roibusch-Vanille-Tee hinunter. Es war ein Samstagnachmittag Anfang Januar, draußen war es klirrend kalt und die drei !!! hatten sich zum ersten Detektivclub-Treffen des Jahres in ihrem Hauptquartier versammelt. Der ehemalige Pferdeschuppen befand sich direkt neben dem Bauernhaus von Franzis Familie, was den Vorteil hatte, dass die Mädchen häufig in den Genuss von Frau Winklers Backkünsten kamen. Kim, die Süßes fast so sehr liebte wie ihren Freund Michi, fand diesen Umstand ausgesprochen angenehm. Da der Club gerade sowieso keinen aktuellen Fall hatte, konnte sich Kim voll und ganz auf die leckeren Waffeln konzentrieren.

»Habt ihr gute Vorsätze fürs neue Jahr?«, erkundigte sich Marie, während sie Schokoladensoße auf ihre Waffel träufelte. »Ich hab mir zum Beispiel vorgenommen, mich nicht mehr so oft über Lina aufzuregen. Das kostet mich einfach zu viele Nerven!«

Maries Stiefschwester schaffte es mit ihrer oft etwas dreisten Art immer wieder, Marie zur Weißglut zu treiben. Ganz anders als Finn, Maries kleiner Halbbruder, den sie über alles liebte. Marie konnte ihn stundenlang herumtragen oder im Kinderwagen durch die Gegend fahren.

Franzi grinste. »Meinst du wirklich, das klappt?«

Marie zuckte mit den Schultern. »Ich werde es zumindest versuchen, auch wenn es nicht leicht wird. Stellt euch vor, neuerdings lädt Lina ständig ihre Freundinnen ein, um mit Finn anzugeben. Gestern wollte sie mir doch glatt verbieten, einen Spaziergang mit dem Kleinen zu machen, bloß weil sie ihn einer Mitschülerin vorführen wollte. Finn ist doch kein Zirkuspferd, und erst recht nicht Linas Eigentum!«

»Vereinbart doch einen Zeitplan«, schlug Kim vor. »Montags, mittwochs und freitags darf sich Lina um Finn kümmern und dienstags, donnerstags und samstags bist du dran.«

Franzi kicherte. »Und am Sonntag hat Finn seinen freien Tag.«

Maries Miene hellte sich auf. »Gute Idee! Das werde ich Lina nachher gleich vorschlagen.«

Franzi nippte an ihrem Tee. »Also, ich hab mir gar nichts fürs neue Jahr vorgenommen. Meistens werfe ich meine guten Vorsätze sowieso nach ein paar Tagen wieder über Bord.«

Kim seufzte. »Geht mir genauso. Letztes Jahr wollte ich weniger Süßigkeiten essen und mehr Sport treiben. Hat leider nicht geklappt.« Sie verzog das Gesicht, als sie an die Berge von Plätzchen, Lebkuchen und Dominosteinen dachte, die sie über Weihnachten verputzt hatte. »Darum hab ich dieses Jahr einen anderen Vorsatz: Ich will endlich meine Krimi-Kurzgeschichte beenden und regelmäßig Schreibübungen machen.«

Kim war nicht nur die Gründerin und der Kopf des Detektivclubs Die drei !!!, sie schrieb auch gerne Kriminalgeschichten und träumte davon, später eine berühmte Autorin zu werden. Leider kam das Schreiben bei der vielen Detektivarbeit oft zu kurz. Kim dachte nicht gern daran, wie lange ihre letzte Krimi-Kurzgeschichte schon als unvollendete Datei irgendwo im Speicher ihres Laptops vor sich hin schlummerte. Sie musste dringend aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden!

»Ich habe genau das Richtige für dich!« Franzi zog einen zerknitterten Zettel aus ihrer Jeanstasche und reichte ihn Kim. »Den Flyer hab ich im Café Lomo mitgenommen.«

Kim strich den Zettel glatt. Auf schwarzem Grund stand in neongrünen Buchstaben:

POETRY-SLAM

Wann? 19. Januar, 19.00 Uhr

Wo? Im Café Lomo

Wer? Du! Ja, genau du!

Melde dich mit deinem Text direkt bei uns an.

Das Publikum kürt den Sieger.

Das ist deine Chance!

SEI DABEI!

Kim ließ den Flyer sinken. »Das Lomo organisiert einen Poetry-Slam?«, fragte sie überrascht.

Franzi nickte. »Cool, oder?«

Marie runzelte die Stirn. »Ist ein Poetry-Slam nicht so eine Art Dichterwettstreit?«

»Genau«, bestätigte Kim. »Jeder kann dort auf der Bühne seine selbst geschriebenen Texte vorlesen. Meistens ist die Zeit auf fünf Minuten pro Teilnehmer begrenzt. Die Slammer treten gegeneinander an und das Publikum entscheidet durch seinen Applaus, wer gewinnt.«

»Klingt gut«, sagte Marie. »Machst du mit?«

Kim schüttelte heftig den Kopf. »Bist du verrückt? Ich würde lieber sterben, als meine Geschichte vor lauter fremden Leuten vorzulesen. Außerdem ist sie noch nicht fertig.«

Kim hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Wenn sie in der Schule ein Referat halten musste, bekam sie vor Aufregung jedes Mal Herzklopfen und feuchte Hände. Sie war immer heilfroh, sobald sie es hinter sich hatte.

»Dann wäre der Slam doch der perfekte Anlass, deine Kurzgeschichte endlich zu beenden.« Franzi tippte auf den Flyer, den Kim auf den Tisch gelegt hatte. »Das ist eine super Gelegenheit, um zu testen, wie deine Texte bei anderen Leuten ankommen.«

»Nein, danke!« Kim zog die Schultern hoch. »Weißt du, was passiert, wenn ein Slammer dem Publikum nicht gefällt? Er wird gnadenlos ausgebuht! Das würde ich nicht überleben …« Allein bei der Vorstellung wurde Kim beinahe übel. Vielleicht lag das aber auch daran, dass sie bereits fünf Neujahrswaffeln mit reichlich Sahne verdrückt hatte.

»Ach was, du wirst bestimmt nicht ausgebuht«, sagte Marie. »Zumindest Franzi und ich werden dir zujubeln, versprochen!«

Kim grinste schief. »Das ist lieb von euch. Ich werde darüber nachdenken, okay?« Ihre Freundinnen brauchten ja nicht zu wissen, dass ihre Entscheidung längst gefallen war: Nie im Leben würde sie sich freiwillig in aller Öffentlichkeit lächerlich machen!

Franzi nahm die bauchige Kanne und goss ihren Freundinnen Tee nach. »Ich soll euch übrigens von Felipe grüßen. Wir haben vorhin geskypt.«

»Danke!« Marie warf ihrer Freundin einen mitfühlenden Blick zu. »Vermisst du ihn immer noch so sehr? Also, ich würde es ja keine einzige Woche ohne Holger aushalten.«

Franzis Freund Felipe war Halbmexikaner und machte schon seit mehreren Monaten ein Praktikum in einem mexikanischen Museum. Holger hingegen, mit dem Marie zusammen war, wohnte nur wenige Gehminuten von Marie entfernt im schicken Ostviertel und die beiden sahen sich fast täglich.

»Anfangs war es schwer, aber inzwischen habe ich mich halbwegs an unsere Fernbeziehung gewöhnt«, erzählte Franzi. »Natürlich fehlt mir Felipe. Andererseits habe ich so mehr Zeit für meine Hobbys. Ich kann mit Tinka ausreiten, wann ich will, oder stundenlang mit Leonhard durch den Skatepark cruisen.«

Franzi hatte ein eigenes Pony, das sie über alles liebte. Außerdem war sie sehr sportlich und ging gerne skaten, joggen, klettern oder schwimmen.

Kim grinste vielsagend. »So, so, du triffst dich also immer noch regelmäßig mit Leonhard. Das ist ja hochinteressant!«

Prompt lief Franzi rot an. »Wie oft soll ich es euch noch sagen? Leonhard und ich sind einfach nur gute Freunde, mehr nicht!«

Marie schnaubte spöttisch. »Das denkst auch nur du. Leonhard ist bis über beide Ohren in dich verliebt, so sieht’s aus!«

»Unsinn!« Franzi schüttelte den Kopf. »Zwischen uns läuft nichts und damit basta!«

Kim und Marie wechselten einen Blick, doch ehe sie nachhaken konnten, öffnete sich die Tür und ein Schwall kalter Luft drang in den Pferdeschuppen. Frau Winkler erschien auf der Schwelle.

»Hallo, ihr drei«, begrüßte sie die Mädchen. »Wie schmecken euch meine Neujahrswaffeln?«

»Gut, wie du siehst.« Franzi hielt ihrer Mutter die leere Schale hin.

»Die Waffeln waren wirklich köstlich«, bestätigte Kim.

»Freut mich.« Frau Winkler lächelte Kim und Marie zu. »Habt ihr Lust auf Lasagne? Ich habe gerade eine große Portion in den Ofen geschoben. Wenn ihr mögt, könnt ihr zum Abendessen bleiben. Natürlich nur, wenn eure Eltern nichts dagegen haben.«

»Gern!« Lasagne war Kims absolutes Lieblingsessen. Außerdem wusste sie aus Erfahrung, dass Frau Winkler nicht nur gut backen, sondern auch himmlisch kochen konnte. Marie nickte ebenfalls.

»Prima! In einer halben Stunde gibt es Essen.« Frau Winkler drehte sich um und schloss die Tür hinter sich.

Kim stöhnte. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nicht so viele Waffeln gegessen.« Sie hielt sich den Bauch.

»Da musst du jetzt durch«, sagte Marie ungerührt.

»Mach einfach deinen Hosenknopf auf«, schlug Franzi vor. »Dann geht’s dir bestimmt gleich besser.«

»Gute Idee!« Kims Miene hellte sich auf, während sie an ihrer Jeans nestelte. Sie seufzte erleichtert. »Jetzt bin ich bereit für die Lasagne!«

»Guten Appetit, allerseits!« Frau Winkler lächelte in die Runde und alle begannen zu essen. Der große Holztisch in der gemütlichen Küche des Bauernhauses war voll besetzt. Neben Franzis Eltern und den drei !!! saßen Franzis sechzehnjährige Schwester Chrissie, ihr Bruder Stefan und Oma Lotti am Tisch. Franzis Oma hatte vor einiger Zeit einen Schlaganfall gehabt. Seitdem konnte sie sich nicht mehr alleine versorgen und lebte bei Familie Winkler.

Kim beobachtete, wie Frau Winkler die Lasagne auf dem Teller ihrer Schwiegermutter in mundgerechte Happen zerteilte und Oma Lotti zu essen begann. Die alte Frau aß langsam und konzentriert. Manchmal fiel ihr ein Bissen von der Gabel. Doch sie ließ sich nicht beirren, sondern probierte es einfach noch einmal. Kim bewunderte Franzis Oma für ihren eisernen Willen. Dass sie nach dem Schlaganfall wieder essen und laufen gelernt hatte, war wirklich toll. Auch sonst bestand sie darauf, so viel wie möglich selbst zu machen.

»Könnte ich noch einen Nachschlag bekommen?« Stefan hielt seiner Mutter seinen Teller hin. »Schmeckt super!« Während sich Oma Lotti gerade den dritten Bissen in den Mund schob, hatte Franzis Bruder seine Portion bereits ratzekahl aufgefuttert.

»Schleimer!« Chrissie warf ihm einen spöttischen Blick zu. »Das sagst du nur, damit Mama dir nachher die restliche Lasagne einpackt. Was machst du überhaupt schon wieder hier? Haben sie dich aus deiner WG geworfen?«

Stefan war Student und lebte in einer Wohngemeinschaft in der Stadt. Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich wollte nur meine Wäsche abholen.«

Franzi grinste. »Der kleine Stefan lässt sich von seiner Mama die Wäsche machen, wie süß!«

»Was kann ich dafür, dass unsere Waschmaschine kaputt ist?«, verteidigte sich Stefan, während er seinen Teller in Empfang nahm, auf den Frau Winkler ein großes, dampfendes Stück Lasagne gelegt hatte.

»Komisch nur, dass du immer rein zufällig genau zur Essenszeit vorbeikommst«, stichelte Franzi. »Ist euer Herd vielleicht auch kaputt? Oder kann der Herr nicht kochen?«

»Freche Göre!« Stefan wollte Franzi einen Klaps auf den Hinterkopf geben, aber sie wich geschickt aus. »Gut, dass ich mir deine Sprüche nicht mehr täglich anhören muss.«

Franzi lachte. »Danke gleichfalls! Auf dein mürrisches Gesicht am Frühstückstisch kann ich gut verzichten, du alter Morgenmuffel!«

»Dann sind wir uns ja einig.« Stefan zwinkerte Franzi zu. Obwohl sich die beiden gerne mal kabbelten, waren sie im Grunde ein Herz und eine Seele.

»Deine Wäsche liegt gewaschen und gebügelt im Korb im Flur«, informierte Frau Winkler ihren Sohn.

»Danke, Mama«, nuschelte Stefan mit vollem Mund.

»Muttersöhnchen!«, zischte Franzi.

Kim grinste. Sie mochte die lockere Stimmung bei Winklers. Manchmal wünschte sie sich, sie hätte auch ältere Geschwister. Ihre zehnjährigen Zwillingsbrüder Ben und Lukas waren leider furchtbare Nervensägen.

»Noch ein bisschen Lasagne, Kim?«, fragte Frau Winkler.

Kim nickte eifrig. »Gerne!«

Als sie Franzis Mutter gerade ihren Teller entgegenstreckte, klingelte es an der Haustür.

»Wer kann das denn sein?«, fragte Frau Winkler verwundert.

Herr Winkler runzelte die Stirn. »Hoffentlich kein Notfall.« Er stand auf und verließ die Küche. Franzis Vater war Tierarzt und wurde manchmal sogar mitten in der Nacht gerufen, weil ein Tier seine Hilfe brauchte.

»Vielleicht eine Fohlengeburt«, vermutete Franzi.

Im Flur waren Stimmen zu hören, dann kam Herr Winkler zurück. Er war sehr blass. Hinter ihm erschienen zwei uniformierte Polizisten.

»Guten Abend!« Der eine Polizist, ein hochgewachsener Typ mit dunklen Haaren und Schnauzbart, tippte sich an die Mütze.

»Sind Sie Stefan Winkler?«, fragte der andere, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten. Er war einen Kopf kleiner als sein Kollege und hatte ein rundes, rotes Gesicht. Als Stefan nickte, fuhr er mit barscher Stimme fort: »Wir müssen Sie bitten, uns aufs Präsidium zu begleiten.«

Stefan rutschten Messer und Gabel aus der Hand. Das Besteck landete klirrend auf dem Teller. »Aber … warum?«

Vorsicht, Butter im Anflug!

Es war totenstill in der Küche. Die eben noch fröhliche Stimmung war umgeschlagen und die Zimmertemperatur schien mit dem Auftauchen der Polizisten um mehrere Grad gesunken zu sein. Kim zog fröstelnd die Schultern hoch.

»Die Herren behaupten, du hättest einen Autounfall gebaut.« Herr Winkler runzelte die Stirn. »Stimmt das?«

»Nein!« Stefan schüttelte den Kopf.

»Das werden wir auf dem Präsidium klären.« Der kleinere Polizist klimperte drohend mit seinen Handschellen. »Mitkommen!«

Kim konnte es kaum glauben. Wurde Stefan tatsächlich verhaftet? Den anderen schien es ähnlich zu gehen. Alle waren starr vor Schreck. Oma Lotti war so weiß wie die Wand und sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Chrissie schlug sich die Hand vor den Mund und schluchzte auf. Frau Winkler sah verwirrt zwischen den Polizisten und Stefan hin und her. Selbst Franzi schien es die Sprache verschlagen zu haben.

Kim löste sich als Erste aus ihrer Erstarrung. »Moment mal«, sagte sie so ruhig wie möglich, als Stefan sich wie in Trance erhob. »Sie können doch nicht einfach hier auftauchen und Stefan ohne Angabe von Gründen mitnehmen.«

»Stimmt!« Marie nickte. »Was genau wird ihm denn vorgeworfen?«

Franzi warf ihren Freundinnen einen dankbaren Blick zu. »Das wüsste ich auch gerne.«

Der große Polizist mit dem Schnauzbart, der etwas freundlicher zu sein schien als sein Kollege, antwortete: »Es hat gestern Abend einen Unfall mit Fahrerflucht gegeben. Dabei wurde ein Mensch lebensgefährlich verletzt.«

»Und unser Sohn soll diesen Unfall verursacht haben?«, fragte Frau Winkler ungläubig.

»Es gibt Hinweise, die dafür sprechen«, sagte der Polizist ausweichend.

»Ich hatte keinen Unfall«, beteuerte Stefan. »Und wenn, würde ich niemals Fahrerflucht begehen.«

»Da hören Sie es!«, rief Frau Winkler. »Mein Sohn sagt die Wahrheit. Ihre Beschuldigungen sind völlig haltlos.« Ihre Augen funkelten ärgerlich.

Der Polizist mit dem roten Gesicht seufzte ungeduldig. »Wie gesagt, das klären wir auf dem Präsidium.«

»Ihr Sohn wird vorerst nur als Zeuge vernommen«, fügte sein Kollege beruhigend hinzu.

»Dann komme ich mit.« Frau Winkler stand auf.

Ihr Mann nickte. »Wir begleiten dich, Stefan. Wenn es nötig ist, besorgen wir dir sofort einen Anwalt.«

Stefan hob abwehrend die Hände. »Jetzt haltet mal den Ball flach, Leute. Das ist bestimmt alles nur ein Missverständnis.«

»Trotzdem lassen wir dich nicht im Stich.« Frau Winkler wirkte wild entschlossen.

»Das ist lieb von dir, Mama, aber ich bin kein kleines Kind mehr«, sagte Stefan so diplomatisch wie möglich. »Ich bin erwachsen und werde das alleine klären.«

»Aber …«, begann Frau Winkler, doch ihr Mann legte ihr die Hand auf den Arm.

»Stefan hat recht. Wir sollten seinen Wunsch respektieren.« Herr Winkler nickte seinem Sohn zu. »Du machst das schon. Denk dran, wir stehen alle hinter dir.«

»Und versprich mir, sofort anzurufen, wenn du Hilfe brauchst.« In Frau Winklers Augen lag tiefe Sorge. Es fiel ihr sichtlich schwer, ihren Sohn gehen zu lassen.

»Versprochen.« Stefan drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und wandte sich an die Polizisten. »Wir können los.«

Kim schluckte, als die beiden Männer Stefan wie einen Schwerverbrecher aus der Küche führten. Sie ballte die Fäuste, doch sie konnte nichts tun. Auch Marie und die Winklers sahen fassungslos zu. Als die Haustür ins Schloss fiel, begann Chrissie hemmungslos zu weinen, während Oma Lotti unablässig den Kopf schüttelte und unverständliche Worte vor sich hin murmelte.

»Reg dich nicht auf, Mutti, alles wird gut.« Herr Winkler beugte sich zu seiner Mutter hinunter und versuchte, sie zu beruhigen.

Frau Winkler nahm Chrissie in den Arm und drückte sie. »Wir müssen jetzt ganz fest zusammenhalten«, murmelte sie mit erstickter Stimme. »Nur so können wir Stefan eine Stütze sein.«

Auch in Franzis Augen schimmerten Tränen. Doch sie wischte sie mit einer energischen Bewegung weg und gab Kim und Marie einen Wink. Gemeinsam räumten sie in Windeseile den Tisch ab und zogen sich in den Pferdeschuppen zurück.

»Mann, das war ganz schön heftig«, stellte Marie fest.

Kim seufzte. »Allerdings.«

»Jammern bringt uns jetzt auch nicht weiter.« Franzi war zwar immer noch ziemlich blass, aber ihre Augen blitzten kämpferisch. »Stefan braucht unsere Hilfe!«

Marie nickte. »Und wir werden ihn nicht hängen lassen.«

Kim sprang auf. »Wie wär’s mit einer Extraportion Energie? Die haben wir jetzt wirklich nötig.« Sie streckte den Arm aus. Die anderen folgten ihrem Beispiel und alle drei legten die Hände übereinander.

»Die drei !!!«, sagten Kim, Franzi und Marie im Chor.

Kim sagte »Eins!«, Marie »Zwei!« und Franzi »Drei!«.

Zum Schluss hoben sie gleichzeitig die Hände und riefen: »Power!!!«

Detektivtagebuch von Kim Jülich

Sonntag, 9:04 Uhr

Die drei !!! sind wieder im Einsatz! Der erste Fall des Jahres hat uns alle sehr aufgewühlt. Unglaublich, aber wahr: Stefan wurde gestern von der Polizei zum Verhör abgeholt! Angeblich soll er einen schweren Unfall gebaut und anschließend Fahrerflucht begangen haben. Franzi ist sich sicher, dass ihr Bruder so etwas niemals tun würde. Ich kann mir das auch nicht vorstellen. Stefan ist viel zu vernünftig und verantwortungsbewusst für so eine Tat. Wir müssen seine Unschuld beweisen – so schnell wie möglich!

Leider können wir nicht viel unternehmen, solange wir keine genaueren Informationen haben. Deshalb haben wir gestern sofort Kommissar Peters angerufen. Manchmal ist es wirklich praktisch, einen Kontaktmann bei der Polizei zu haben! Der Kommissar wusste noch nichts von Stefans Festnahme, da er für den Fall nicht zuständig ist. Er hat aber versprochen, sich zu informieren und bei uns zu melden. Hoffentlich beeilt er sich!

Arme Franzi, sie war gestern ganz schön fertig. Der schreckliche Verdacht gegen ihren Bruder muss furchtbar für sie sein. Aber sie ist wild entschlossen, trotzdem zu ermitteln. Franzi ist wirklich eine starke Persönlichkeit. Natürlich werden Marie und ich ihr helfen. Wäre doch gelacht, wenn Die drei !!! diesen Fall nicht lösen würden!

Das Sonntagsfrühstück bei Familie Jülich war wie immer laut und chaotisch. Während sich Ben und Lukas um das letzte Milchbrötchen stritten, goss Kims Mutter ihrem Mann und sich Kaffee ein und verschüttete dabei die Hälfte.

»Entschuldige, Schatz«, murmelte sie, während der Kaffee über den Tisch lief und auf Herrn Jülichs Hose tropfte.

»Kein Problem.« Kims Vater tupfte mit einer Papierserviette auf seiner Hose herum, aber der Kaffeefleck ließ sich nicht so leicht entfernen.

Frau Jülich seufzte. »Ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist.«

»Aber ich.« Herr Jülich lächelte seiner Frau zu. »Du bist nervös, weil morgen dein großer Tag ist. Das ist doch ganz normal. Schließlich bekommt nicht jeder Lehrer die Möglichkeit, Schulrektor zu werden.«

»Allerdings.« Frau Jülich stellte die Kaffeekanne zur Seite und setzte sich an den Tisch. Doch statt endlich etwas zu essen, sprang sie sofort wieder auf. »Die Butter ist ja fast alle! Ich hole schnell ein neues Päckchen aus dem Kühlschrank.«

Kim und ihr Vater grinsten einander zu.

»Sie ist wirklich nervös«, stellte Kim leise fest.

Ihr Vater nickte. »Und wie!«