Vorwort

Es ist für humorvolle Menschen ein großes Vergnügen, die Geschichten von Wolfgang Schierlitz zu lesen. Mit dem ihm eigenen Wortwitz und genauem Blick auf das Komische von Situationen des Alltäglichen versteht es Schierlitz, uns Landsleuten ironisch den Spiegel vorzuhalten.

Wenn man will, kann man sich darin erkennen.

Ein gelungenes Buch, genießbar nicht nur zur Weihnachtszeit.

Günther Maria Halmer

Erwartungen

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»Ich habe das Christkind gesehen!« Mit diesem Spruch erregte der kleine Beni sofort größte Aufmerksamkeit.

Die Kindergärtnerin, eine Verwandte von uns, zeigte sich sehr überrascht, obwohl sie einiges gewohnt war von den Kleinen. So viel Fantasie war jedoch selbst bei ihrer Erfahrung nicht alltäglich. Denn der junge Mann bekundete auf das Drängen der ganzen Kindergartenschar: »Es war mindestens zehn Meter hoch, hatte fünfzehn Flügel (bis dorthin konnte er bereits fast problemlos zählen) und sieben Düsenantriebe. Seine Haare waren nicht frisiert. Bart hatte es auch keinen, sondern eine Sonnenbrille. Sämtliche Zähne waren sehr gut geputzt (da haperte es bei seiner Körperpflege etwas). Ich wollte ihm sagen, was ich alles brauche für Weihnachten. Doch da musste es leider sofort zum Fenster hinausdüsen, indem es noch das Lied von den Kinderlein, die kommen sollen, sang.«

Neidvoll und stark beeindruckt lauschten die anderen. Nur der Maximilian bemerkte, dass er das nicht glauben kann, »weil ein zehn Meter hohes Christkind niemals beim Fenster hinauskommt und nicht einmal bei der Türe«.

Darauf meinte der Beni nur lakonisch: »Ein Christkind kann alles!«

Dann waren alle schwer beschäftigt, ihre Wünsche für das Christkind aufzumalen. Abenteuerliche, bunte Gemälde von ersehnten Sachen und erwartungsvolle Gesichter zeigten den Ernst der Lage. Manche Wünsche waren aber doch etwas hoch gegriffen. Wie soll denn das gute Christkind gleich fünf Elefanten herbeizaubern? Darauf die kleine Tierliebhaberin: »Das können auch Zwergelefanten sein.«

Besonders heiß diskutiert wurde aber vor allem die Übermittlung der Wünsche. Die meisten misstrauten der normalen Post sehr. »Ob die überhaupt mit ihren gelben Fahrrädern bis zum Himmel hinaufkommen?«

Doch der Seppi kannte sich aus: »Freilich«, meinte er, »die haben ja sogar Luftpost!«

Die Moni wusste es noch besser: »Das geht heute alles total über Luft und mit Digitalwellen, vielleicht sogar ohne Fahrräder!«

Es war nicht leicht für die Kindergärtnerin, alle wieder auf den Boden der Realität zurückzuholen. Die Kunstwerke wurden mit Namen versehen und eingesammelt, mit dem Versprechen, den besten Übermittlungsweg zur höheren Warte einzuschlagen. Nach den Weihnachtsferien sollte eine repräsentative Ausstellung der bunten Wünsche im Kindergarten erfolgen. »Dazu könnt ihr dann eure Eltern und Geschwister, alle Verwandten und Bekannten einladen!«, meinte die Kindergärtnerin.

Vorläufig jedoch musste noch die sichere Zustellung endgültig geklärt werden. »Und wenn wir sie einem Bekannten des Christkindes mitgeben?«, meinte eine besonders Schlaue.

»Wen meinst du denn da?«, fragte die Kindergärtnerin neugierig.

»Ja, wen schon, natürlich den Nikolaus!«

Doch da war Skepsis angebracht. »Der ist doch schon so alt und vergisst vielleicht das meiste!«

Das ergriff sofort einige stark, und sie brachen in Tränen aus. Aus den eigenen Reihen kam dann die Erleichterung: »Der schaut nur alt aus. In Wirklichkeit ist der erst ungefähr 19 Jahre alt!«

Markus konnte das bestätigen: »Der Bart ist ja überhaupt nicht echt, das habe ich persönlich gemerkt!«

Das war einer Kennerin der Materie zu viel: »Ein falscher Bart darf ja nur im Fasching verwendet werden, sonst überhaupt nie!«

Aber nun meldete sich der absolute Fachmann für Christkindangelegenheiten. Der Beni zeigte sich völlig uneigennützig, indem er sich zur Übermittlung aller Wünsche zur Verfügung stellte: »Ich kenne das Christkind am besten von euch allen, und zwar aus eigener Erfahrung. Her mit den Wünschen, dann mach ich das schon! Wahrscheinlich treffe ich es sofort gleich morgen wieder.«

Das erzwungene Geschenk

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Weil die äußerste Benutzergrenze für eine schlaftaugliche Matratze bei maximal 15 Jahren liegt, hat sich einer unserer Freunde zu Weihnachten eine neue gewünscht. Nein, er hat sie sich wünschen müssen.

Wie uns seine Frau berichtete, war ihr lieber Schnarcher lange nicht davon zu überzeugen. »Es war beinahe wie damals, als ich auf getrennten Schlafzimmern bestand, weil ich das ohrenbetäubende Getöse seiner Schnappatmung nicht länger ertragen konnte. Da wirkt ein aktiver Presslufthammer beinahe wie ein Einschlaflied.«

Erst auf ihren kategorischen Befehl »Heuer wünschst du dir zum Fest endlich eine neue Matratze!«, war er schweren Herzens dazu bereit. Freilich hielt er so eine Unnachgiebigkeit für kaltherzig und menschenfeindlich, auch wenn er dank seiner unbestreitbaren lyrischen Begabung schmunzelnd meinte: »So eine Federkern-Schlaraffia entfaltet ja ihr Bukett erst nach vielen Jahrzehnten. Sie ist die Heimat meiner Träume bis zurück in die Jugendzeit. Und sie hat wesentlichen Anteil an meinem Leben, das man ja bekanntlich zum großen Teil verschläft. Außerdem: Wo sollen denn die vielen armen Hausmilben bleiben, die man beherbergt? Immer wenn in stiller Ruh die Federn leise ächzten, trug sie mich durch dunkle Stunden. Und als ich einmal in mondheller Nacht als Schlafwandler auf dem Fensterbrett weilte, da war mir plötzlich, als hörte ich ihre traute Stimme: ›Wanderer zwischen den Welten, kehre heim zu mir, bevor du abstürzt und dir dein kostbares Genick brichst!‹«

Es war tatsächlich immer noch seine Schlafunterlage aus der Jugendzeit, weil er das ehrwürdige Teil schon stolz in die Ehe mitgebracht hatte.

Die resolute Angetraute: »Warst du nicht bis zu deinem zwölften Lebensjahr Bettnässer?«

Das ging für ihn nun wirklich zu weit. »Erstens ist das nicht mehr meine Kindermatratze, und zweitens war ich schon ungefähr seit dem elften Lebensjahr total trocken! Frank und frei kann ich sagen, dass zwar später die Frauen gewechselt haben, die Matratze aber schon seit geraumer Zeit geblieben ist.«

Seine Frau ließ sich aber nicht provozieren: »Sei froh, dass ich gekommen bin. Deine einzige, dämliche Jugendfreundin von damals war ja nicht einmal in der Lage, einen vernünftigen Satz zu produzieren. Sie legte auch offensichtlich keinen Wert darauf, mit dir ihr weiteres Leben durchzubringen.« Und dann kam ein lockerer Rat: »Vielleicht solltest du mitsamt deiner versifften Matratze lieber einmal zum Psychiater gehen!«

Auf so eine Anspielung hatte er aber nur gewartet, und er konnte das erfrischende Wortspiel fortsetzen: »So mancher Psychiater sollte lieber an der Matratze seiner Patienten horchen, ihre Ausstrahlung einatmen, statt dumme Fragen zu stellen. Vielleicht kann er dann erahnen, was in einer tiefgründigen Persönlichkeit wie der meinen so vorgeht. Was weiß denn so ein verbohrter Spezialist schon von der unergründlichen Welt der Träume und des Entspannens? Die bilden sich ja alle nur ein, sie selbst wären der bedeutende Sigismund Freud. In Abwandlung einer bekannten Operettenmelodie kann ich nur sagen: ›Was kann der Sigismund dafür, dass er immer noch so populär ist?‹«

Nun war es an ihr, mit höheren Argumenten auf seine Ausführungen zu antworten: »Das Volk der Dichter, Lyriker und Denker, zu dem du dich ja immer wieder stolz zählst, kann es sich einfach nicht erlauben, seine Zukunft auf verlotterten Ruhelagern zu vergeuden. Um mit Goethe zu sprechen: ›Auf allen erneuerten Matratzen ist Ruh, warte nur bis Weihnachten, dann pennst entspannter auch du!‹ Außerdem war ein angemessenes Nachtlager schon für die zwölf Stämme Israels unabdingbar, wie es im Buch der Bücher bei Josua, Kapitel und Vers soundso, heißt.«

Da war er aber der Meinung, auch ein religiöser Überbau könnte ihn keinesfalls überzeugen: »Wir wollen doch nicht vom Matrazinium zum Patrozinium ausweichen. Das geht mir jetzt wirklich zu weit weg vom Thema.« Und weil es schon später am Abend war, legte er sich für diesmal und noch einige, wenige Tage wieder auf seine alte Matratze und verfiel bald in nostalgische, unergründliche, süße Träume.

Aber Weihnachten und damit die neue Matratze nahten unerbittlich. Je näher der Termin der Lieferung kam, desto nervöser wurde der gute Mann. Als seine liebe Frau die Lieferanten genau am 24. Dezember in sein Schlafzimmer dirigierte und kurz darauf in perfekt vorbereiteter Logistik das alte, versiffte Teil abgeholt wurde, hatte sie ihn wohlweislich vorher zum Einkaufen geschickt, um Probleme oder gar Verwicklungen zu vermeiden.

Das größte Fest des Jahres und der Liebe verlief friedlich, ja beschaulich. Die ziemlich erwachsenen Kinder waren gekommen. Eine kleine Bescherungszeremonie fand statt. Und unser schlauer Ehemann war der festen Überzeugung, dass die Androhung mit der Matratzenerneuerung dem Vergessen anheimgefallen sei. Zufrieden und genüsslich schlürfte er reichlich den wohlmundenden Weihnachtspunsch. Mit dem Verzehr des wundervollen Festmenüs und dem Absingen von nostalgischen, überlieferten Ohrwürmern zur Würdigung des christlichen Festes verlief der traute Abend recht stimmungsvoll. In seliger Vorfreude auf sein altbewährtes Nachtlager verschwand dann der gute Mann unauffällig, um seine verdiente Ruhe zu genießen. Unter dem Bettüberzug aber lauerte schon heimlich die neue Matratze.

Der nächste Morgen sah am Frühstückstisch einen übernächtigen, zerknitterten, um den Schlaf gebrachten Menschen: »Ich weiß überhaupt nicht, warum ich seit undenkbarer Zeit heute zum ersten Mal so furchtbar schlecht geschlafen habe!«

Die übrigen Familienmitglieder waren zwar äußerst erstaunt, taten aber so, als ob sie es auch nicht wüssten. Die liebe Ehefrau meinte besorgt: »Vielleicht liegt es am Wetter.«

Echtes Flackern, verstellbar

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Eigentlich musste ich nur deswegen durch den Weihnachtsmarkt, weil ich in einem Geschäft auf der anderen Seite ein bestelltes Geschenk abholen wollte. Aber wie das so ist, schon trifft man Bekannte am Glühweinstand, und man kommt nicht weiter. Ein überdimensionaler Lichterbaum strahlt mittendrin, und irgendwoher klingt es feierlich. Da werden schöne Weihnachtslieder geblasen.

Schon habe ich ein Glas in der Hand. Wegen der Kälte trinkt man das heiße Gebräu, wärmt die Hände am Glas und lauscht den Worten der guten Leute. Alle sind recht aufgeschlossen, haben großartige Tipps für mehr oder weniger interessante Weihnachtsgeschenke auf Lager oder geben kuriose Erlebnisse zum Besten.

Am gelungensten fand ich die Geschichte mit den künstlichen Kerzen. Freimütig und sehr unterhaltsam, ja fast masochistisch, erzählte ein sympathischer Mitmensch nach dem vierten Glas Glühwein:

»Eigentlich kann ich sie nur empfehlen, auch wenn dann bei uns dadurch der Christbaum im vorigen Jahr abgebrannt ist.« Der Mann holt in seiner Erzählung weiter aus. »Es war ein Sonderangebot. Zwölf kabellose LED-Kerzen im Set mit Infrarot-Fernbedienung, Halteclips und Batterien. Am tollsten fand ich die stufenlose Einstellung der Stimmung durch das verstellbare Flackern. Das zeigte sich wirklich täuschend echt. Schon auf kurze Entfernung hatte man die Illusion, dass diese Dinger wirklich brennen. Es war zunächst ein trauter Abend im Kreise der Familie, und alle waren glücklich.«

»Sind zwölf Kerzen für einen richtigen Christbaum nicht etwas knauserig?«, warf ich ein.

»Das ist es ja gerade. Unsere kleine Tochter meinte das offensichtlich auch. Deshalb hatte sie wohlmeinend heimlich auf der Rückseite, dort, wo der Baum an der Wand stand, mindestens fünf echte Kerzen aufgesteckt. Vor der Bescherung ging sie als Letzte aus dem Wohnzimmer und zündete sie schnell noch an. Nun flackerten diese mit den LED-Kerzen um die Wette. Sie sorgte damit für die größte Überraschung dieses Weihnachtsfestes.

Wir haben dann fröhlich gefeiert und unsere trauten Weihnachtslieder mehrstimmig gesungen. Alle waren sehr gut drauf. Aber nur bis das Engelshaar Feuer fing. Zunächst waren wir so verblüfft, dass sich das Löschen etwas verzögerte. ›Die brennen ja wirklich‹, rief meine Frau noch verwundert. Als dann sämtliche Blumenvasen leer waren, kokelten die Reste der Baumruine immer noch vor sich hin. Wand und Decke hatten sich schwarz verfärbt. Der neue, weiße Flokati-Teppich war plötzlich durch die Rußauflage auch sehr dunkel in der Tönung geworden. Man konnte ihn nicht wiedererkennen. Meine Frau bekam einen Heulkrampf, und der Hund ist wegen dem Rauch beim geöffneten Fenster hinaus. In seiner Panik dachte er nicht daran, dass wir im ersten Stock hausen. Er war aber immer schon etwas exzentrisch. Bis lange nach Weihnachten blieb er verschwunden.

Vor weiteren Unbilden blieb er aber dadurch verschont. Denn dann sind die Feuerwehren angerückt. Irgend so ein blöder Nachbar hatte sie alarmiert. Und weil immer noch Rauch beim Fenster hinausdrang, haben sie sofort zielgenau hereingespritzt. Pudelnass flüchteten wir aus der Räucherkammer in die Küche.

Den gesamten Fall einschließlich Wasserschaden und Teppichreinigung habe ich dann bei der Versicherung gemeldet. Ich war aber leider versicherungsmäßig nicht vorgebildet. Also konnte ich nur wahrheitsgemäße Angaben machen. Dummerweise habe ich auch noch einen Rechtsanwalt eingeschaltet, der mir von vorneherein keine Hoffnung machen konnte: »Da werden wir kein Glück haben. Einen Fall mit wahrheitsgemäßen Angaben habe ich noch nie gewonnen.«

Ich musste dann sogar auch noch die Wohnung unter uns renovieren lassen, obwohl die paar Wasserflecken kaum auffielen. Wer schaut denn schon ständig nach oben?

Unser Schaden ist zwar inzwischen behoben, aber der Brandgeruch will und will nicht ganz verschwinden. Ein Besucher fragte neulich freundlich: ›Gab es heute zu Mittag Räucherfisch bei euch?‹ – Leider waren auch noch zehn von den zwölf LED-Kerzen verbrannt.«

»Da wirst du ja Weihnachten heuer ausfallen lassen«, meinte ein Spaßvogel unter den Glühweinkonsumenten. »Zwei Kerzen sind ja wirklich zu mickrig.«

Doch der gute Mann hatte schon vorgesorgt: »Heuer wird nicht mehr lange geflackert. Es steht ein feuerfester Plastikbaum mit Schmuck und normalen künstlichen Kerzen mitten im Wohnzimmer. Unsere Tochter hat fest versprochen, eigenwillige Aktionen zu unterlassen. Da kann nichts mehr passieren. Selbst einen Kurzschluss habe ich einkalkuliert. Der Feuerlöscher ist griffbereit! Meine Frau sagte zu dem Thema nur noch: Wenn unsere freiwillige Feuerwehr dieses Jahr wieder zum Sammeln erscheint, geben wir nichts mehr her. Und deine restlichen LED-Kerzen habe ich in den Müll geworfen!«

Die etwas andere Krippe

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Für gewöhnlich ist das Töpfern ein Privileg von Frauen, die sich mit ihren familiären Aufgaben unterfordert fühlen. Viele entdecken da überraschend ihre künstlerische Begabung. Besonders wenn es auf Weihnachten zugeht, wird fleißig für einen Vorrat an Geschenken oder für die erste Ausstellung gearbeitet. Eine frustrierte Akteurin: »Man braucht ja schließlich Anerkennung für seine Werke. Ohne Wertschätzung und Resonanz – das bin ich doch zu Hause das ganze Jahr über.«

Hin und wieder ist auch ein frustrierter Mann als Kursteilnehmer der Volkshochschule auf dem Weg, seine Begabung auszuloten. Die üblichen Gegenstände, die während der Ausbildung entstehen, sind Vasen, Lampen und Gefäße aller Art. Oft sind sie in der Ausführung noch etwas unbeholfen. Erst im Fortgeschrittenenstadium wagt man sich an schwierigere Aufgaben. Es entstehen Figuren menschlicher und tierischer Verkörperung.

Unser Nachbar war da aber schon besonders fortgeschritten. Er arbeitete längst fleißig am eigenen Brennofen in seinem Keller, der zu einem umfangreichen Töpferatelier ausgebaut worden war.

Ich kannte ihn flüchtig von Gesprächen, die bei Begegnungen auf der Straße stattfanden. Dabei stellte er sich als grundsätzlicher Ablehner, ja sogar Hasser von Politik aller Couleur heraus. Besonders als Hasser von deren Verursachern in Parlamenten und Gremien. Für gewöhnlich, aber besonders in der Adventzeit, arbeitete er offensichtlich beinahe Tag und Nacht in seiner Töpferwerkstatt. Das bemerkte ich, weil er sehr oft, ja sogar nachts, rauchenderweise aus seinem hell erleuchteten Kellerfenster hervorlugte.

Einmal, als ich vorbeigehen wollte, zischte er mir so lange zu, bis ich mich hinabbeugte. Geheimnisvoll flüsterte er: »Ich arbeite an einer großen Aufgabe. Noch vor Weihnachten bin ich fertig. Dann musst du in mein Atelier kommen.«

Und so geschah es. Umgehend bat er mich während der staden Zeit in sein Refugium unter der Erde. Mit gemischten Gefühlen stieg ich hinter ihm die Treppe hinab. War er am Ende gar ein Terrorist, der Sprengkörper zusammenbastelte? Ein sogenannter Schläfer, der für den grausamen Dschihad arbeitete? Oder nur ein Sonderling, der einen Vogel hatte?

Dann staunte ich aber doch über das feudal gestaltete Atelier. In der Mitte war eine umfangreiche Krippe aufgebaut. Geschmackvoll erstreckte sich die fein ausgearbeitete Landschaft südlicher Art weit durch den Raum, durchsetzt mit vielen getöpferten Tieren, ausgerichtet auf einen alten Heustadel, in dem ein schwaches Licht brannte. Sämtliche Figuren waren größer als üblich, bunt bemalt und eindrucksvoll. Bei näherem Hinsehen bemerkte ich, dass alle mit interessanten Gesichtern versehen waren. »Die habe ich das ganze Jahr über gesammelt, aus Zeitungen und Zeitschriften«, verkündete er.

Da blickte mich ein Schaf mit dem Kopf der Familienministerin an, ein Schafbock schaute naiv als Minister für besondere Aufgaben in die Gegend. Unser bekannter Landtagsabgeordneter schlug gerade als Pfau ein schönes Rad. Der Ochse in der Krippe lugte mit dem Gesicht des Außenministers um die Ecke, und der Esel war der Minister mit dem Mauttick. Mein Nachbar hatte beinahe alle bedeutenden Lenker unseres Staates in sein Tierreich aufgenommen. Die Bundeskanzlerin zeigte sich in ein Kamel verwandelt, und der Bayerische Ministerpräsident blickte als überdimensionales, grellbuntes Chamäleon hinter einem Busch hervor. Maria stand an der Krippe als Justitia mit verbundenen Augen, und der gute Josef stellte sich als Dionysos, der Gott des Weines, heraus.

»Anders kann der doch das ganze Theater nicht ertragen«, meinte der Schöpfer dieser Performance. Und in der Krippe lag – ein getöpferter Globus – unsere gute Erde, sichtlich verletzt und mit Pflastern versehen. »Das machen die Politiker aus unserem Planeten«, verkündete er.

»Ja«, sagte ich, »da hast du aber nur unser Land ausgewählt.«

Er schüttelte den Kopf und flüsterte: »Ich habe bereits eine Lagerhalle gepachtet. Meine nächste Aufgabe ist es, die Heilsgeschichte in eine weltweite Anklage zu verwandeln! Da werde ich sämtliche Verantwortlichen auf globaler Basis aufführen!«

Besondere Geschenke und Gerüchte

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Mindestens einmal im Jahr denkt man an heiße Maroni. Dafür muss man sich aber in das Getümmel und Klingelingeling vom Weihnachtsmarkt stürzen. Und weil es temperaturmäßig wieder einmal unter den Nullpunkt gegangen ist, ziehe ich anschließend mit der Maronitüte in der Hand zum Glühweinausschank hinüber. Man will ja schließlich nicht erfrieren. Und außerdem verspricht das kuriose Ambiente bestimmt wieder die beste Unterhaltung. Dort, das weiß jeder, werden nämlich die unwahrscheinlichsten Geschichten erzählt. Sei es Politik aus erster Hand, seien es interessante Krankengeschichten, Schauermärchen über Personen, die abwesend sind, immer wird man auf dem Laufenden gehalten. Sogar exotisch anmutende Erlebnisse machen die Runde. Da geht es zu wie auf einem Bazar im Morgenland – trotz der unpassenden Temperatur.

Wer weiß zum Beispiel schon, warum der CSU-Klausurtagungs-Ort Wildbad Kreuth gefährdet ist? Einer aus der Runde weiß es. Er ist zufällig anwesend. Es ist der Jäger aus der Gegend, hinten vom Weißachrevier. Er hat genaue Kenntnisse: »Da spielt die Angst mit. Ich habe ein Rudel Wölfe gesichtet. Und Horden von Wildschweinen treiben dort schon lange ihr Unwesen. Sie haben die BMW-Staatskarosse unseres Ministerpräsidenten übel zugerichtet und den Präsidenten der Gebirgsschützen samt seinem Vorderlader in die Flucht geschlagen. Fehlt nur noch, dass wieder ein Schadbär auftaucht!«

Das lässt aber eine Frau, die einen riesigen Korb mit saisonbedingten, kitschigen Geschenken eingekauft hat, nicht so ohne Weiteres ruhen. Sie versucht den stolzen Jäger anderweitig zu übertrumpfen. Beifallheischend meint sie: »Ich habe Krebs gehabt. Ich habe ihn bezwungen! Ich habe fünf Wochen nur Gelbe Rüben gegessen und Heilwasser getrunken.« Die ganze Runde staunt nicht schlecht.

»Trotzdem nicht vom Fleisch gefallen«, meint ihre Nachbarin und blickt respektvoll auf die Vollschlanke.

Aber auch wichtige Tipps und Hinweise erfreuen die Lauschenden. Gerade vor Weihnachten ist man ja auf Präsentquellen aller Art angewiesen, um nicht mit leeren Händen dazustehen. Beispielsweise meint mein Nebenmann: »Jetzt habe ich endlich ein besonderes Geschenk für meine Schwiegermutter gefunden. Das war nicht leicht. Sie hat nicht nur selber einen Vogel, sondern ist auch Vogelliebhaberin. Das ganze Jahr über füttert sie die lieben Sänger, bis sie kaum mehr fliegen können. Und da sehe ich neulich im Nachbargarten eine Futterstation. Es balgen sich mindestens 50 gefiederte Kerle um das Körnerzeug. Das Ganze ist ein ansprechendes Häuschen mit der Aufschrift ›Körnerparty‹. Ich habe den Nachbarn konsultiert und dann sofort bestellt. Mit diesem ausgefallenen Präsent treffe ich bestimmt genau ins Schwarze. Damit untermauere ich das gute Verhältnis zu dieser lieben Frau.«

Und schon wird er gefragt. »Hast du eine Adresse?«

Natürlich hat er die: »Übrigens ist heute eine mehrseitige Beilage in der Zeitung. Einfach nachschauen. Es handelt sich um einen Eventbauernhof mit einem Riesenangebot an interessanten Dingen.«