Bernd Stegemann (Hg.)

Lektionen 4 Schauspielen Ausbildung

 

 

 

 

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Inhaltsübersicht

VORWORT

I. AUFNAHMEPRÜFUNG

„SCHAUSPIELEREI? – EINE BROTLOSE, UNORDENTLICHE KUNST“

Franziska Kötz (Stuttgart)

II. IMPROVISATION

VORÜBUNGEN UND IMPROVISATIONEN

Bernd Stegemann

„PROBIERSTEIN DES AKTEURS“

Annemarie Matzke (Hildesheim)

ZWEI ARTEN DES SPIELENS

Robert Schuster (Berlin)

THEATERSPIELFLOW

Dietmar Sachser (Bochum)

III. SZENENSTUDIUM

DAS SZENENSTUDIUM

Bernd Stegemann

NIMM’S MAL DIREKT!

Christoph Lepschy, Kai Ohrem und Helmut Zhuber (Salzburg)

BIS ALLES KLAR WIRD

Titus Georgi (Hannover)

SICH SELBER AUSHALTEN, DAS IST DAS SCHWERSTE

Klaus Zehelein und Jochen Schölch (München) im Gespräch mit Bernd Stegemann und Nicole Gronemeyer

SCHAUSPIEL FUNKTIONIERT ÜBER DAS, WAS MAN NICHT KANN

Veit Schubert (Berlin) im Gespräch mit Bernd Stegemann

SCHAUSPIELEN IST EIN HANDELNDES REAGIEREN AUF DEN PARTNER

Eckhard Winkhaus (München) im Gespräch mit Bernd Stegemann

VI. SPRECHEN UND BEWEGUNG

GESTISCHES SPRECHEN

Viola Schmidt (Berlin)

FORMEN BILDEN, FORMEN VERNICHTEN

Martin Gruber (Berlin)

UNBÄNDIGER MENSCH – BEZWINGBARER KÖRPER?

Ulfried Kirschhofer (Salzburg)

V. THEORIE

AUSWEITUNG DER SPIELZONEN

Michael Börgerding (Hamburg)

TEXT, DARSTELLUNG, INSTITUTION

Marion Tiedtke (Frankfurt am Main)

VON INNEN NACH AUSSEN

Philipp Hauß (Wien)

DER DILETTANTISCHE EXZESS

Jens Roselt (Hildesheim)

DIE STAATLICHEN SCHAUSPIEL SCHULEN IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM

BERLIN HOCHSCHULE FÜR SCHAUSPIELKUNST „ERNST BUSCH“

BERLIN UNIVERSITÄT DER KÜNSTE

BERN HOCHSCHULE DER KÜNSTE

ESSEN FOLKWANG UNIVERSITÄT DER KÜNSTE

FRANKFURT AM MAIN HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST

GRAZ UNIVERSITÄT FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST

HAMBURG HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER

HANNOVER HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER

LEIPZIG HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER „FELIX MENDELSSOHN BARTHOLDY“

LINZ ANTON BRUCKNER PRIVATUNIVERSITÄT

LUDWIGSBURG AKADEMIE FÜR DARSTELLENDE KUNST BADEN-WÜRTTEMBERG

MÜNCHEN BAYERISCHE THEATERAKADEMIE AUGUST EVERDING

MÜNCHEN OTTO-FALCKENBERG-SCHULE

POTSDAM HOCHSCHULE FÜR FILM UND FERNSEHEN „KONRAD WOLF“

ROSTOCK HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND THEATER

SALZBURG UNIVERSITÄT MOZARTEUM

STUTTGART STAATLICHE HOCHSCHULE FÜR MUSIK UND DARSTELLENDE KUNST

WIEN MAX REINHARDT SEMINAR

ZÜRICH ZÜRCHER HOCHSCHULE DER KÜNSTE

|8|VORWORT

Als Max Reinhardt 1905 die Schauspielschule des Deutschen Theaters gründete, wurde diese erste professionelle deutsche Schauspielschule mit viel Argwohn betrachtet. Zwei Fragen wurden seinem Gründer und den Lehrern gestellt: „Ist denn eine Kunst lehrbar, deren eigentliches Wesen im Gefühl liegt? Man hat Talent oder keines. Wozu lernen?“ Und ähnlich dringlich wurde die gegenteilige Behauptung als Frage gestellt: „Raubt nicht der Unterricht, der glättet, einteilt, seziert, gleich als wollte er die Staubfäden zählen, den Blütenstaub, den Reiz keuscher Unbefangenheit? Nimmt der Lehrer nicht mehr, als er zu geben vermag?“1

Beide Befürchtungen begleiten bis in die Gegenwart die Ausbildung an Kunsthochschulen. Wenn es eine gemeinsame Antwort hierauf gibt, so lautet sie wohl: Ohne Talent kann die beste Schule nichts ausrichten, doch sie kann helfen, die Begabungen zu entdecken und zu entwickeln. Für die zweite Befürchtung gilt, dass schlechte Lehrer vieles im angehenden Schauspieler verwirren und verschütten können. Die zahlreichen jungen Menschen, die jährlich die Ochsentour durch die neunzehn deutschsprachigen Schauspielschulen antreten, können hiervon berichten. Und die Lehrer an den Schulen, die sich mit der großen Schar an enthusiastischen jungen Menschen beschäftigen, um die wenigen herauszufinden, denen sie einen ihrer knappen Studienplätze anbieten können, mögen manchmal verzagen. Zu oft sind offensichtlich begabte Spieler durch manchmal jahrelange Erfahrungen in Laientheatergruppen oder die Vorbereitung selbsternannter Schauspiellehrer schon so beeinträchtigt, dass eine Aufnahme fraglich erscheint.

Der Schauspieler ist Künstler und Instrument in einem. Jede Erfahrung, die er auf der Probe oder während einer Vorstellung macht, gräbt sich in sein Bewusstsein ein und verändert sein Spiel. Jede Wirkung, die er vor Publikum erzielt hat, speichert er als eine mögliche Variation seines Ausdrucksvermögens. Reinhardts Impuls, eine Schauspielschule zu erfinden, um |9|für sein gerade neu gegründetes Deutsches Theater ausreichend qualifizierten Nachwuchs auszubilden, weiß um die große Irritierbarkeit der Schauspieler. Die Verführung durch den schnellen Erfolg als komische, pathetische oder skurrile Figur, das leichte Spiel mit äußerlichen Marotten und nachgeahmten Wirkungen behinderte ihn bei seiner Entwicklung des Theaters. Er teilte mit Stanislawski die Sehnsucht, ein Ensemble von Schauspielern bilden zu können, die miteinander und aufeinander abgestimmt sind.

Was als gutes Schauspiel gilt, wechselt im Laufe der Zeiten nicht nur die Gewänder, sondern mehr noch die Spielweisen. Die Gründung von Schauspielschulen versucht auf die Anforderungen, die vom realistischen und naturalistischen Drama ausgehen, eine schauspielerische Antwort zu finden. Bis heute ist das realistische Schauspiel die teils verborgene, teils offensichtliche Basis der Ausbildung. Die zweite große Erneuerung des Schauspiels durch das epische Theater ist inzwischen ebenso zum festen Bestandteil der Ausbildung geworden. Neuere Strömungen wie sie von der Performance und Postdramatik ausgehen, werden versuchsweise und punktuell integriert. Einen Überblick über die verschiedenen Epochen und handwerklichen Besonderheiten bietet der Band Lektionen 3 Schauspielen Theorie.

In diesem Band „Schauspielausbildung“ wird die gegenwärtige Ausbildung in fünf Kapiteln erläutert. Hierzu haben Lehrer der verschiedenen staatlichen Schauspielschulen versucht, ihre Unterrichte darzustellen. So wird ein Einblick in die Unterschiedlichkeit der methodischen Ansätze als auch ein Überblick der Lehrinhalte möglich.

Für das Erlernen einer „Techne“, wie im Altgriechischen die Künste genannt wurden, gilt nach wie vor, dass nur die Konzentration auf eine technische Möglichkeit und die ausreichende Übung dieser Technik Erfolg verspricht. Wer das Klavierspielen erlernen will, dem nutzt der Hinweis wenig, dass der Synthesizer schon vieles von allein könne und man darum nicht so viel Zeit auf die Geläufigkeit der Finger verwenden müsse. Auch ist ihm nicht gedient, wenn jeden Tag ein anderes Instrument erlernt werden soll. Durch die aktuelle Vielfalt der Theaterästhetiken befindet sich der einzelne Schauspielstudent jedoch in genau dieser Situation. Es ist gerade als Anfänger sehr schwer, die erlernbaren einzelnen Schauspieltechniken innerhalb dieser Gleichzeitigkeit der Stile und Techniken zu erkennen.

|10|Die Schauspielschulen und ihre Lehrer sind für die Orientierung eine wesentliche Hilfe. Alles auf einmal ist nicht zu erlernen. Sinnvolle Portionen machen eine gelungene Ausbildung aus. In der Bestimmung dieser Unterrichtseinheiten liegt der große Dissens zwischen der Theaterwissenschaft und den Schauspielschulen, denen vorgeworfen wird, sie würden durch ihre Übungen die große Komplexität des Theaters zu sehr vereinfachen. Was hierbei von der Theaterwissenschaft ignoriert wird, ist die Tatsache, dass das Erlernen einer Kunst etwas anderes ist als die wissenschaftliche Analyse derselben. Der Künstler muss es können, es reicht nicht, es nur zu wissen.2

Die Art und Weise, wie die Lerninhalte nachvollziehbar bestimmt und unterrichtet werden, macht die Qualität der Ausbildung aus. Diese sollte vorbereiten auf die vielfältigen Anforderungen, die dann der Beruf an den Schauspieler stellt. In der täglichen Praxis der Proben und Aufführungen benötigt er seine künstlerische Intuition, um erkennen zu können, was von seinem Handwerk sinnvoll und was in dem Kontext der Inszenierung falsch wäre. Ein Beharren auf den erlernten Fähigkeiten aus der Schule ist ebenso unkünstlerisch wie eine bedingungslose Kapitulation vor dem Regiewillen. Nur die Berufserfahrung kann hier das richtige Maß finden. Voraussetzung dafür ist jedoch in jedem Fall eine gute Ausbildung, die den Schauspieler in die Lage versetzt, professionell agieren und über seine Kunst reflektieren zu können.

Im Anhang sind alle Informationen gesammelt, die erforderlich sind, um sich an den staatlichen Schulen bewerben zu können. Die Zahl der jährlichen Bewerber übersteigt bei weitem die Zahl der Studienplätze. Ein langer Atem ist notwendig und eine gute Vorbereitung. Die Bände Lektionen 3 Schauspielen Theorie und Lektionen 4 Schauspielen Ausbildung wollen zur Orientierung beitragen.

 

Bernd Stegemann

Berlin im Oktober 2010

|11|I. Aufnahmeprüfung

|12|Franziska Kötz (Stuttgart)

„SCHAUSPIELEREI? – EINE BROTLOSE, UNORDENTLICHE KUNST“

Zur Aufnahmeprüfung an staatlichen Schauspielschulen

Wie oft haben Sie das schon gehört?

Lernen Sie erst einmal etwas Ordentliches! Schauspielerei ist doch eine brotlose Kunst. Ist Ihnen nicht bewusst, wie viele diplomierte, staatlich anerkannte Schauspieler sich von einem kleinen Auftrag für Synchronsprecher zu einer unscheinbaren Nebenrolle im Fernsehen, von einem befristeten Gastengagement in Castrop zu einem in Parchim durchs Leben hangeln und zwischendrin in Berlin Taxi fahren oder kellnern? Und sie alle haben sich vordem als das Nachwuchstalent der deutschsprachigen Bühnen, mindestens aber als Hamlet oder Ophelia gesehen, haben von Ruhm und Erfolg geträumt oder davon, durch ihr Spiel die Welt oder zumindest die Menschen zu verändern.

Und Sie wollen trotzdem Schauspieler werden?

Wie recht Sie doch haben mit diesem Wunschtraum! Denn ohne ihn schafft man weder die Aufnahmeprüfung an einer staatlichen Hochschule, noch das Studium, noch meistert man den Beruf. Die wichtigste Voraussetzung, die nur Sie selbst für sich prüfen können, ist die, unbedingt spielen, das heißt, etwas erzählen zu wollen und zu sagen zu haben. Dieses ureigene, persönliche „Etwas“ – das man nicht notwendig definieren wollen muss – sollte Ihnen niemand nehmen können. Wer Schauspiel studieren will, sollte deshalb so hartgesotten wie empfindsam und so willensstark wie berührbar sein, denn es kommt einiges auf ihn zu.

Die formalen Voraussetzungen

Noch vor dem Anfang aller Mühen steht die Aufnahmeprüfung, die üblicherweise einmal jährlich stattfindet, für die sich an einer staatlichen Hochschule zwischen 500 und 1500 Kandidaten auf nur 8 bis 25 Studienplätze bewerben. Von den Bewerbern sind fast doppelt so viele Frauen wie Männer. |13|Die Theaterliteratur aber bietet umgekehrt proportional weit mehr Männerals Frauenrollen, weshalb die meisten Schulen die Zulassung von Frauen auf höchstens die Hälfte der zu vergebenden Studienplätze begrenzen.

Die Hochschulreife (Abitur) ist meistens Voraussetzung für die Zulassung, diese kann aber – nach dem erfolgreichen Bestehen des eigentlichen Auswahlverfahrens – durch eine sogenannte „Begabtenprüfung“ ersetzt werden, die die grundsätzliche Befähigung zu einem Studium prüft.

Die meisten Hochschulen verlangen bereits mit der Bewerbung die Vorlage eines ärztlichen Attestes, das die allgemeinen körperlichen und speziell die stimmlichen Voraussetzungen für eine Ausbildung zum Schauspieler bescheinigen muss.

Die Kandidaten sollten nicht älter als 25 Jahre alt sein. Dies hat einen ganz pragmatischen Grund: Wenn jemand im Alter von 25 Jahren sein Studium beginnt, dann ist er oder sie (ich spare mir im Weiteren, die Geschlechter einzeln zu nennen, das Genus Maskulinum meint also immer auch die Frauen) bei Abschluss seines Studiums 29 Jahre alt und konkurriert auf dem Arbeitsmarkt mit Absolventen, die gerade einmal Anfang 20 sind, oder mit Gleichaltrigen, die aber schon mindestens fünf Jahre lang Berufserfahrung gesammelt haben. Das heißt, dass sich die Chancen auf ein festes Engagement wesentlich verschlechtern würden. Ein weiterer Aspekt ist der, dass je älter jemand ist, desto gefestigter ist seine Persönlichkeit – für eine Ausbildung, die einen wandelbaren Menschen voraussetzt, ist dies von Nachteil.

Ein Bewerber, dem es ernst mit seinem Wunsch ist, Schauspieler zu werden, sollte sich von vornherein darauf einstellen, mehr als nur eine Aufnahmeprüfung zu absolvieren. Er wird von Prüfung zu Prüfung Erfahrung sammeln, sich steigern oder gegebenenfalls die Einsicht gewinnen, dass die Schauspielerei doch nicht sein Beruf ist. Allerdings kann man an einigen Schulen höchstens zweimal vorsprechen.

Was wird geprüft?

Geprüft wird die sogenannte „schauspielerische Begabung“ durch das Vorspielen dreier monologischer Szenenausschnitte, von denen zumindest einer aus dem klassischen Repertoire (Antike bis Schiller / Goethe / Kleist) |14|kommen und in gebundener Rede (Vers) geschrieben sein sollte. Die Länge der einzelnen Ausschnitte sollte die Dauer von etwa fünf Minuten nicht überschreiten. Nicht von Nachteil ist es, aber nicht an jeder Hochschule obligatorisch, ein Lied (klassisch oder modern) vorsingen und sich dabei vielleicht sogar auf Gitarre oder Klavier selbst begleiten zu können. Dabei sollte es sich um einen schauspielerischen Liedvortrag handeln, d. h., es geht weniger um den „schönen Gesang“, als vielmehr darum, durch ein Lied eine Haltung zum Ausdruck zu bringen.

Entscheidend für die Auswahl der Vorsprechrollen ist ausschließlich das persönliche Interesse an einer konkreten Figur und Situation, die man durch sein Spiel glaubwürdig darstellen können sollte. Für eine erste Orientierung mögen die verschiedenen, im Buchhandel erhältlichen Sammlungen von Theatermonologen hilfreich sein. Diese sollten aber nur den Anlass dafür liefern, sich umfassend und grundsätzlich unbedingt mit dem gesamten Stück, aus dem man einen Monolog spielen möchte, auseinanderzusetzen. Da Theatertexte einen gestisch-spielerischen Sprachduktus haben, sollten solche den eher episch-erzählenden Prosatexten vorgezogen werden. Selbstverständlich kann man den jeweiligen Text, falls notwendig, kürzen oder gegebenenfalls einen Dialogpartner herausstreichen – wobei der Sinn der Situation natürlich erhalten bleiben muss.

Um eine Figur spielen zu können, reicht es nicht aus, deren Text auswendig zu lernen, sondern man muss über sie so umfassend wie nur möglich Bescheid wissen. Zum Beispiel sollte man sich wenigstens folgende Fragen beantworten können: Woher tritt eine Figur auf, aus welcher vorhergehenden Situation kommt sie? In was für einem Raum befindet sie sich? Sitzt sie, steht sie, liegt sie – warum und wie? Ist sie allein oder hat sie ein Gegenüber? Welches Verhältnis hat sie zum Gegenüber, was will sie von ihm? Welche unter Umständen widerstreitenden Interessen / Absichten / Neigungen prägen die Figur in der jeweiligen Situation? Was genau denkt sie, und welche Entwicklung vollzieht sie in der Abfolge ihrer Gedanken? Was ist ihr konkretes Ziel in der Szene? Was für eine Körperlichkeit zeichnet die Figur aus, und wie äußern sich welche Gefühle im Körper? Aus all dem ergibt sich, wie die Figur gekleidet ist und welche Möbel oder Requisiten erforderlich sind. Wobei Sie darauf achten sollten, mit so |15|wenig Aufwand wie möglich aufzutreten und mit so wenig Gegenständen wie nötig auszukommen – Sie müssen bedenken, dass Sie mit diesem ganzen Gepäck zum Vorsprechen anreisen müssen und nur sehr wenig Zeit haben, sich umzuziehen und die Szene einzurichten; Tische und Stühle stellt Ihnen selbstverständlich die jeweilige Schauspielschule zur Verfügung (Rauchen ist meistens verboten). Sollte die Szene irgendwelche Waffen erfordern, seien Sie bitte so freundlich, selbige vorher der Kommission zu zeigen, damit diese sich nicht bei Leib und Leben bedroht fühlen muss.

Für die Einstudierung einer Rolle reicht es nicht aus, den Text still und leise am Tisch vor sich hinzusprechen, man sollte sich nicht nur gedanklich in die Figur hineinversetzen, sondern man sollte versuchen, sich in sie zu verwandeln. Dazu braucht man Platz – zur Not verziehe man sich an einen einsamen Ort – denn der Text muss laut gedacht und gesprochen und mit dem ganzen Körper gespielt werden.

Unterstützung durch einen Schauspiellehrer ist bei der Erarbeitung der Rollen weder notwendig noch von Vorteil. Ganz im Gegenteil: je deutlicher die eigenständige und eigenwillige Auseinandersetzung mit der Figur im Spiel wird, desto besser. Bei der Aufnahmeprüfung interessiert die persönliche Haltung des Bewerbers zu seiner Figur und nicht die seines Schauspiellehrers! Dagegen kann es hilfreich sein, seine Szenen Freunden oder auch der Familie zu zeigen, um sich mit dem notwendigen Vorgang der Veröffentlichung vertraut zu machen. Ob man sich deren Kritik zu eigen macht, lässt sich dann immer noch entscheiden.

Die viel zitierte „schauspielerische Begabung“ objektiv und widerspruchsfrei definieren zu wollen, ist so gut wie unmöglich. Es lassen sich höchstens einige Indizien nennen, aufgrund derer man möglicherweise auf jene ominöse Begabung schließen könnte, wobei deren Einschätzung immer subjektiv bleiben muss – ein weiterer Grund, nicht nur eine einzige Aufnahmeprüfung zu machen. Jede Prüfungskommission kann sich irren und befindet aufgrund mehr oder weniger subjektiver Kriterien. Die „persönliche Überzeugungskraft“ ist ein Beispiel für ein solches Indiz. Darunter ist zu verstehen, wie glaubwürdig, das heißt, wie entschieden und kraftvoll es einer Person gelingt, die Haltungen einer Figur zum Ausdruck zu bringen. |16|Die sogenannte „Präsenz“ ist ein weiteres Indiz. Damit ist gemeint, ob und inwieweit eine Person in der Lage ist, selbstverständlich und selbstbewusst einen Raum einzunehmen. Es geht dabei grundsätzlich nie um ein „richtiges“ oder „falsches“ Spiel – es geht ausschließlich um ein entschiedenes oder eben unentschiedenes, das heißt nicht überzeugendes Spiel. Was darunter zu verstehen ist, kann sich von Schule zu Schule unterscheiden, was erklärt, dass einige an der einen und andere an der anderen Schule aufgenommen werden.

Nicht zuletzt ist entscheidend, dass es Ihnen spürbar Freude macht, zu spielen! Wenn diese sich dem Zuschauer mitteilt, werden Sie auf jeden Fall einen positiven Eindruck hinterlassen.

Wie wird geprüft?

Das Verfahren ist von Hochschule zu Hochschule recht unterschiedlich. Manche Schauspielschulen halten verteilt über das Jahr zu festgelegten Terminen Vorprüfungen ab und entscheiden dann in nur einer Endrunde, wen sie im betreffenden Jahr aufnehmen wollen; andere Schulen prüfen innerhalb eines festgelegten Zeitraumes von durchschnittlich zwei Wochen nur einmal im Jahr. Meistens wird über drei Runden geprüft; häufig finden die erste und auch die zweite Runde an ein- und demselben Tag statt, und erst wenn man in die dritte und letzte Runde aufgenommen ist, muss man damit rechnen, zu einem festgelegten Tag erneut anreisen zu müssen.

Üblicherweise kann man sich darauf einstellen, dass zwischen 50 und 100 Kandidaten am selben Tag vorsprechen. Nach der Begrüßung durch die Prüfungskommission legen die Kandidaten die Reihenfolge ihres Vorsprechens fest. Der Bewerber kann meistens selbst entscheiden, mit welcher seiner drei Rollen er beginnen will. Üblicherweise wird die erste Rolle nicht abgebrochen, sondern darf zu Ende gespielt werden. Dann entscheidet die Kommission, ob und welche der beiden weiteren Rollen sie noch sehen möchte. Diese Rolle kann möglicherweise abgebrochen werden oder aber ein Lehrer unterbricht Sie und arbeitet mit Ihnen an der Rolle, d. h., er wird Sie darum bitten, spezifische Vorgaben, die er Ihnen macht, im Spiel umzusetzen. Gegebenenfalls möchte er auch etwas ganz anderes von Ihnen sehen und stellt Ihnen eine neue Aufgabe. Darauf können Sie sich selbstverständlich |17|nicht vorbereiten – Sie können „nur“ wach und aufmerksam sein. Ihre Bereitschaft und Fähigkeit, auf neue unerwartete Impulse reagieren und diese umsetzen zu können, ist hierbei Gegenstand der Prüfung.

Natürlich werden Sie aufgeregt sein! Überlegen Sie sich deshalb am besten schon vorab, wie es Ihnen gelingen kann, sich selbst zu beruhigen, und welche Techniken Ihnen helfen, sich zu konzentrieren und trotz Ihrer Anspannung aufmerksam zu bleiben.

Manche Schulen bieten den Kandidaten, sollten sie nicht weitergekommen sein, eine kurze Kritik und Einschätzung des jeweiligen Vorspiels durch ein Mitglied der Prüfungskommission an.

In der Regel erfahren Sie noch an demselben Tag, ob Sie in die Endrunde gekommen sind. Gegebenenfalls wird Ihnen die Aufgabe gestellt, dafür eine weitere neue Rolle, die man Ihnen nennen wird, einzustudieren.

Zu dieser letzten, entscheidenden Runde der Aufnahmeprüfung, die meistens von frühmorgens bis spätabends dauert – unterbrochen von Phasen nervenaufreibenden Wartens – reisen die ausgewählten Bewerber erneut an. Der Tag kann zum Beispiel mit einem Aufwärmtraining beginnen, für das Sie sich bequeme Kleidung mitbringen sollten, und kann mit einer gemeinsamen Improvisationsaufgabe für die gesamte Gruppe fortgesetzt werden – jede Schule setzt da andere Schwerpunkte. In jedem Falle müssen Sie davon ausgehen, dass Sie Ihre drei Rollen und die Ihnen eventuell gestellte Aufgabe dieses Mal nicht nur vor einer relativ kleinen, zwei- bis dreiköpfigen Prüfungskommission wie noch in den Vorrunden, sondern vor der gesamten Lehrerschaft der Schauspielschule vorspielen müssen. Sie sollten sich darauf einstellen, dass ein Lehrer mit Ihnen an einer der Rollen arbeiten wird. Möglich ist ebenfalls, dass man Sie in einem Einzelgespräch zum Beispiel zu Ihrer Motivation und zu Ihrem bisherigen Werdegang befragt. Am Ende des Tages kommt der große Moment und den Bewerbern wird mitgeteilt, wer die Aufnahmeprüfung bestanden hat.

Da in jeder Schauspielschule die Aufnahmeprüfung ein bisschen anders verläuft und die Termine, Zeiten, Verfahren und Kriterien unterschiedlich sind, ist es unverzichtbar, sich direkt bei der jeweiligen Hochschule – zum Beispiel auf deren Homepage oder im letzten Teil dieses Buches – über das jeweilige Bewerbungsverfahren gründlich zu informieren.

|18|Von einem aber können Sie bei allen Schauspielschulen ausgehen: Über nichts freuen sich die Lehrer mehr, als über einen begabten Bewerber! Die Kommission will sich von Ihnen überzeugen lassen, sie will Ihrem Spiel glauben können. Daher ist die erste und letzte Voraussetzung die, dass Sie an sich und Ihre Befähigung zum Spielen glauben. Toi toi toi!

 

Franziska Kötz, geboren 1963 in Hamburg, Studium der Germanistik und Philosophie. Ab 1991 Arbeit als Dramaturgin an den staatlichen Schauspielbühnen und der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin, Staatsschauspiel Dresden, Schauspielhaus Chemnitz und am Bayerischen Staatsschauspiel in München. Ab 2000 Chefdramaturgin und Mitglied der Künstlerischen Leitung am Nationaltheater Mannheim, in gleicher Funktion ab 2004 am Schauspielhaus Bochum. Zusammenarbeit mit den Regisseuren Benno Besson, Simone Blattner, Andrea Breth, Edith Clever, Dieter Giesing, Elmar Goerden, Gerd Heinz, Jens-Daniel Herzog, Alexander Lang, Elke Lang, Axel Manthey, Wilfried Minks, Niels-Peter Rudolph, Lore Stefanek, Katharina Thalbach, Hasko Weber, Tobias Wellemeyer u. a.

Seit Herbst 2007 Leiterin der Schauspielschule an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und Intendantin des Wilhelma Theaters.

|19|II. Improvisation