Cover

Buch

Willkommen in einer wirklich völlig verkehrten Welt!

In 52 Kurzgeschichten strapaziert der bekannte Comedian Jürgen von der Lippe gemeinsam mit seiner Gag-Partnerin Monika Cleves sämtliche Lachmuskeln des Lesers. Sich auszumalen, wie eine der aberwitzigen Geschichten mit den eigentlich ganz harmlos klingenden Titeln ausgeht, hat keinen Sinn. Denn so unterschiedlich sie auch sein mögen, alle haben sie etwas gemeinsam: Sie halten immer eine nicht voraussehbare Wendung und völlig abgefahrene Pointe bereit!

 

Autor

Jürgen von der Lippe, geb. 1948, ist einer der bekanntesten Entertainer Deutschlands, der bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Das Allround-Talent mit den knallbunten Hawaiihemden hat nicht nur als Musiker und Comedian großen Erfolg, sondern ebenso als Schauspieler und Fernsehmoderator. So moderierte er u. a. die Sendung Was liest du?, in der er mit prominenten Gästen lustige Bücher vorstellte. Daneben war von der Lippe auch in der Sat.1-Quizshow Ich liebe Deutschland zu sehen, in der er als Spielleiter und Moderator agierte.

 

Autorin

Monika Cleves ist seit mehr als einem Dutzend Jahren Jürgen von der Lippes Fachkraft für Pointen- und Textwesen. Sie lebt in Bochum.

 

Von Jürgen von der Lippe ist bei Blanvalet bereits erschienen:

Das witzigste Vorlesebuch der Welt (37686)

Jürgen von der Lippe

Monika Cleves


Verkehrte Welt

 

blanvalet

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E-Book-Ausgabe bei Blanvalet,

einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Copyright der Originalausgabe © Eichborn AG,
Frankfurt am Main, August 2010.

Umschlaggestaltung: bürosüd° GmbH, München

Umschlagillustration: © Nastja Holtfreter
(www.nastjaholtfreter.de)

HS · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26359-1
V001

 

www.blanvalet.de

BANKGEHEIMNIS

Ich hatte gerade mein Kärtchen in den Kontoauszugsdrucker gesteckt, als ein maskierter Mann die Bank überfiel.

»Geld her«, sagte er erstaunlich leise, fast schüchtern, warf einen Jutesack über das Panzerglas und nestelte in seiner Jackentasche. Die Waffe, was auch immer das sein mochte, steckte offensichtlich so unglücklich darin fest, dass er sie nicht herausbekam. Die Nerven, dachte ich und wollte ihm schon zu Hilfe eilen, da hörte ich den Kassierer laut auflachen: »Geld? Was für Geld? Guter Mann, lesen Sie denn keine Zeitung? Wir haben nichts mehr. Nada. Niente. Nothing.«

»Sie nehmen mich wohl nicht ernst?«, gab der Maskierte zurück.

»Nein, kein Scherz«, erwiderte der Bankangestellte gut gelaunt und erhob sich von seinem Stuhl. »Kommen Sie herum, ich zeig Ihnen gerne unseren Safe. Nichts mehr da. Ebbe. Selbst die abgepackten Geldbündel mit manipulierten Scheinen für Überfälle hat man uns weggenommen.«

»Tja«, sagte seine Kollegin, mitleidig mit den Schultern zuckend, »da kann man nix machen.« Dann faltete sie sorgfältig den Jutebeutel zusammen und schob ihn durch die Geldschleuse zurück.

»Mist! Das ist doch ein Komplott, man hat sich gegen mich verschworen, immer dasselbe, hab langsam die Faxen dick«, hörte man den Unglückswurm brabbeln, während er sich den Strumpf vom Kopf zog und auf dem Absatz kehrtmachte. Die tiefe Enttäuschung in seinem Gesicht rührte mich. Ich lief ihm nach und rief: »Hey, Sie haben Ihren Beutel vergessen, Herr Beck!«

Ich kannte ihn aus dem VHS-Kurs »Dachgeschossausbau – gewusst wie«, wo er mich mit seinem Vortrag über den problemlosen Umgang mit Architekten und Handwerkern ermutigt hatte, dem »Im-Sommer-zu-heiß-und-im-Winter-zu-kalt«-Effekt auf den Grund zu gehen.

Er drehte sich um; ich reichte ihm den Beutel, und er wischte sich damit seine Tränen von der Backe.

»So schlimm war das nun auch wieder nicht, Herr Beck«, tröstete ich ihn, »stellen Sie sich vor, was mir letztens auf einer kleinen Postbank passiert ist. Es war kurz vor Mittag, ich wollte schnell den Pokergewinn vom Wochenende aufs Sparkonto einzahlen, und als ich dem Beamten das Sparbuch und die 8.000 über die Theke schiebe, zieht der plötzlich eine Pistole, stellen Sie sich das mal vor. Der hat mir alles abgeknöpft, Portemonnaie, Brieftasche, selbst den Ehering, und bevor ich gehen durfte, musste ich ihm sogar noch einen …«

»Sagen Sie nichts, ich weiß Bescheid, dasselbe ist mir auch passiert. Ich wollte bei der Dresdner Bank was abheben, da zeigt der mir eine Flasche ›Kleiner Feigling‹ und sagt frech: ›Hier drin ist der Ebola-Virus! Wenn Sie einen anderen Tod sterben möchten, dann stellen Sie mir jetzt mal flott einen Barscheck über Ihr gesamtes Guthaben aus, oder …‹ Na ja, wir haben noch ein bisschen erzählt und uns zum Nordic Walken verabredet. Vielleicht klappt’s ja, natürlich nur, falls sie ihm nicht die Stöcke klauen.«

 

ALTE LIEBE

Sie trafen sich zufällig bei der Eröffnung einer Ausstellung im Museum für Zeitgenössische Kunst wieder und begrüßten einander herzlich mit gegenseitigen Umarmungen und Oberarmboxen.

»Das ist ja ein Ding, Mann, wir haben uns doch bestimmt 20 Jahre nicht gesehen!«, sagte Hape, inzwischen selbst ein berühmter Maler.

»Wenn das mal ausreicht«, lachte Bruno.

»Männer, es sind exakt 25 Jahre, ich weiß es genau«, korrigierte Christian, dessen Gedächtnis wie eine Rechenmaschine funktionierte, weshalb er zu Recht die Leitung des Stadtarchivs innehatte. Gemeinsam gingen sie durch die Ausstellung, handelten luzid die Qualität der gezeigten Werke ab und genossen die alte Vertrautheit, die ihr gemeinsames Kunstinteresse rasch hatte auferstehen lassen. Sie hatten damals jede Menge saugute Zeit miteinander verbracht, bis sie erkannten, dass sie blöderweise alle in dieselbe Frau verknallt waren, aber das war lange her.

»Und, was treibt ihr so zum privaten Vergnügen?«, fragte Hape, nachdem sie sich im Foyer etwas zu trinken beschafft hatten.

»Im Augenblick guck ich mir am liebsten bei YouTube ›Malen mit Bob Ross‹ an«, erzählte Bruno, der als Chef-Produktdesigner einer Weltfirma im Elektroniksektor Auszeichnungen und die entsprechende Bezahlung einfuhr. »Jau, ich erinnere mich«, lachte Hape, »der war rattenscharf.«

»Genau«, kicherte Christian, »hab ich mir in den Siebzigern auch angeguckt, wie der mit seiner Afro-Mähne immer den Pinsel stakkato gegen die Staffelei schlug, pak pak pak pak pak.«

»Heute ist das Kult«, Hape schüttelte kaum wahrnehmbar den Kopf, »ich häng auch bei YouTube und schau mir die alten Folgen mit dem Koch aus der Muppet-Show an.«

»Smörrebröd, Smörrebröd, röm pöm pöm pöm«, ahmte Christian laut das Erkennungslied der kochenden Puppe nach und fing sich einen kritischen Blick des Museumsdirektors ein.

»Mein Liebling«, fuhr Hape unbeirrt laut fort, »ist die Folge, wo er schon die Shrimps in den Topf geworfen hat, und drei andere Shrimps kommen herein, so mit mexikanischen Hüten auf und Demoschildern mit VIVA ZAPATA, und befreien die!« Hape lachte Tränen.

»Jetzt sag nicht …«, wandten Hape und Bruno sich an Christian. »Doch, doch«, gab dieser zu, »ich auch, bin auch regelmäßig bei YouTube und zieh mir die alten Kottan-Folgen rein.«

In diesem Moment setzte sich die Eingangsdrehtür in Bewegung, wehte erst einen Schwall kalter Luft herein und dann sie, Sina. Die drei Freunde standen da wie vom Blitz getroffen, vom Donner gerührt und anschließend vom Defibrillator wieder ins Leben zurückgeholt. Das war nicht mehr die sinnliche 17-Jährige, die sie vor einem Vierteljahrhundert um den Verstand gebracht hatte, und doch kannten sie jede Falte, jede Pore, jede Hautunreinheit nicht nur ihres aufreizend verlebten Gesichts, sondern auch ihres von fremder Meisterhand gestrafften Körpers. Denn die Filmchen mit Sina hatten die meisten Klicks auf YouPorn, YouTubes versauter Schwester, bei der Hape, Bruno und Christian so gut wie jeden Abend vorbeischauten, nachdem sie ihr Nostalgieprogramm absolviert hatten.

»Ich muss nach Hause, zu Frau und Kindern«, sagte Bruno, der als Erster sprechfähig aus dem Staunkoma erwachte.

»Ich muss auch los«, sagte Christian und blickte auf seine 15 000-Euro-Breitling, »es ist schon zwanzig nach neun, und ich habe Katrin versprochen, spätestens um zehn zu Hause zu sein. Sie muss morgen früh raus, sie ist Krankenschwester, wisst ihr, und wir frühstücken immer gemeinsam. Das ist so ein Ritual von uns, das ist wegen der Wechselschicht enorm wichtig für unsere Beziehung, das versteht ihr sicher«, reihte er nervös Satz an Satz und überprüfte dabei mit der rechten Hand den Sitz der Haare, die, schräg über den Schädel gekämmt, die drohende Glatze camouflierten.

»Feiglinge«, Hape schüttelte wieder den Kopf, »jetzt entspannt euch doch mal. Ihr habt sowieso keine Chance mehr.« Er deutete mit dem Kopf in Sinas Richtung. Neben ihr stand jetzt der blendend aussehende junge Mann, der nach ihr hereingekommen war. Sie unterhielten sich angeregt und kamen direkt auf sie zu. Sie wandte den Blick von ihrem juvenilen Begleiter, und freudiges Erkennen blitzte in ihren jadegrünen Augen auf: »Nein, ich werd nicht mehr«, rief sie ehrlich entzückt, »das Strebertrio, Bruno, Chris und Hape! Darf ich euch meinen Sohn vorstellen? Giovanni, diese drei Jungs waren mal hinter deiner alten Mutter her. Mensch, Hape, wenn ich damals gewusst hätte, dass du mal wo Riesen für ein Bild abgreifst! Bruno, du bist ’ne große Nummer in der Werbung, hab ich gelesen, und was machst du, Chris?«

»Ich leite das Stadtarchiv.«

»Super, das ist immer eine sichere Sache, wenn die Stadt nicht gerade eine U-Bahn baut, wie damals in Köln.« Chris lächelte freudlos.

»Und was machst du, Sina?«, fasste sich Hape als Erster ein Herz.

»Ihr werdet lachen, ich habe mich mit Pornos dumm und dusselig verdient und leite seit einiger Zeit eine eigene Produktionsfirma; Giovanni ist mein Geschäftsführer. Wir produzieren Pornos für Frauen.«

»Ah, das ist dann so ähnlich wie bei Iris Berben und ihrem Sohn, der produziert ja auch, oder?«, fragte Christian.

»Ich bitte dich, Chris, das kann man nicht vergleichen, die ist doch viel älter!« Sina wollte sich schier ausschütten über ihren kleinen Joke. »Wollen wir unser Wiedersehen noch begießen, die schließen eh gleich?«, fragte Sina in die Runde. »Aber ich hau schon mal ab, Mama, du weißt, ich muss Sloterdijk noch anrufen, und vielleicht sieht man sich noch«, sagte Giovanni, küsste seine Mutter zärtlich auf die Wange, winkte in die Runde und war weg.

»So, Jungs, was machen wir nun mit dem angebrochenen Abend?«

»Tja, wir waren gerade dabei, uns zu verabschieden. Es war ein erfüllter Tag mit dir als Krönung, aber morgen wartet ein neuer Arbeitstag mit den üblichen Verpflichtungen«, sagte Bruno eine Spur zu locker.

»Muss auch nach Hause zu meiner Frau, vielleicht guckt die ja gerade deine Pornos«, schmunzelte Hape, und auch Christian zuckte bedauernd mit den Schultern. »Schade«, Sina war sichtlich enttäuscht, »ich hätte gerne da angeknüpft, wo wir vor 25 Jahren aufgehört haben!« Die drei Freunde sahen sich völlig geplättet an.

»Wie meinst du das?«, fand Hape als Erster die Sprache wieder. »Na ja, ich habe euch doch erzählt, dass ich jetzt Pornos für Frauen produziere, und da sind auch ältere Menschen gefragt, ihr erinnert euch doch an Wolke 9, Sex im Alter, ein Riesenerfolg, und im Publikum nur Frauen.«

»Du meinst«, fragte Christian hörbar entsetzt, »wir sollen in einem Porno mitmachen?«

»In einem ehrlichen Erotikfilm für das reifere weibliche Publikum«, sagte Sina und lächelte sie unschuldig an.

»Da bin ich noch zu jung für«, sagte Bruno, »und ich brauch auch kein Geld im Moment.« Hape musste lachen.

»Kommt drauf an«, sagte Christian, »wenn Sloterdijk auch mitspielt, würde ich es mir überlegen.«

Sina schaute Hape neugierig an. »Ne, lass mal stecken, Sina«, Hape kämpfte mit einem Lachflash und schnappte nach Luft, »ich glaube, ich würde vor Aufregung nichts zustande bringen, aber ich habe mal einen Porno gesehen, da saß so ein auf Franzose gequälter Maler mit Baskenmütze und gezwirbeltem Schnurrbart im Bild und malte das Ganze, die Rolle wäre was für mich!«

»Gekauft!«, strahlte Sina, »und ich habe auch schon den Titel: ›Der Pinselstrich – Alte Nutten in Öl‹, kommt, Jungs, das ist wie Schwimmen, das verlernt man nicht!« »Nein, nein«, meinte Hape, »das sollte ein Witz sein! Ich schwinge meinen Pinsel nur noch auf meiner eigenen Leinwand, das reicht mir. Außerdem haben wir die sexuelle Revolution damals gemacht, ist heute nicht mehr mein Thema.«

»Tja, da könntest du recht haben, ist heute wohl eher ein Frauending«, sagte Sina, »also gut, dann lasst uns wenigstens Kärtchen tauschen, vielleicht ruft man sich mal an, zum Vatertag oder so.«

Sinas Lachen hatte nichts an Suggestivkraft verloren, ebenso der Einblick in ihr Dekolleté, den sie bei der herzlichen Verabschiedung mit Küsschen auf die Wange gewährte.

»Immer noch ein heißer Ofen, was?«, meinte Hape, als sie das Museum verließen. Bruno musste husten. »Kann man wohl sagen«, krächzte er.

Christian schlug ihm freundschaftlich auf den Rücken.

»Jetzt bloß keine Schnappatmung.«

Lachend gingen sie ihrer Wege. Drei Monate später saßen sie in Begleitung ihrer Frauen erwartungsvoll in der ersten Reihe des Kinos, in dem die Premiere von Sinas neuester Erotik-Komödie »Reife Früchte schmecken süßer« in wenigen Minuten beginnen sollte. Sina hatte ihre hochoffizielle Einladung inklusive Flugtickets nach Hamburg und Zimmerreservierung im Kempinski-Atlantic handschriftlich ergänzt um die Zeile: »Die Begleitung der Gattin ist Voraussetzung!«

»Wo bleibt sie denn nur?«, fragte Hape, als das Licht ausging und der rote Vorhang sich öffnete. »Sie ist doch schließlich die Hauptperson!«

Das sollte sich als Irrtum erweisen. Giovanni, Sinas Sohn, spielte den jungen, feurigen, immer geilen Latin Lover mit einem Faible für jung gebliebenes Gemüse.

Es schien ihm und den drei Hauptdarstellerinnen wirklich einen Riesenspaß zu machen. Für Bruno, Christian und Hape wurde es ein unvergesslicher Abend. Wann sieht man schließlich die eigene Frau schon mal in einem Porno? Dass Sloterdijk ganz kurz mal als Maler zu sehen war, kriegten sie gar nicht mit.

 

ANALYSEFOLGEN

Den blonden Schopf halblanger Haare, die ungezähmt im Wind wehten, erkannte ich sofort und freute mich, seine Besitzerin zufällig hier in der Fußgängerzone wiederzusehen.

»Hallo Nina«, rief ich, bremste ab und stieg vom Rad.

»Hey«, sagte sie freundlich, aber ihr Lächeln wirkte etwas gequält.

»Was treibst du denn hier, heute nicht im Einsatz?«

Ich kannte sie aus dem Freibad, wo sie als Schwimmmeisterin arbeitete und normalerweise stets gut gelaunt darauf achtete, dass alle Gäste wieder heil aus dem Wasser kamen. Obwohl sie ein bisschen pummelig und nicht gerade groß geraten war, hatte ich ein Auge auf sie geworfen und mich in den letzten Wochen viel öfter, als es meinen Neigungen entsprach, ins kühle Nass begeben. Besonders ihr Gang hatte es mir angetan; er glich dem eines alten Seemanns, der mehr Zeit auf rauer See als an Land verbracht hat und jeden Schritt so elastisch anlegt, dass überraschende Schwankungen sofort aufgefangen werden können.

»Oh shit«, sagte sie, »habe mir gerade Bandagen für die Knöchel gekauft.«

»Was ist denn passiert?«, fragte ich und schaute von den kurzen Shorts die hübschen braun gebrannten Beine entlang bis hinunter zu den Füßen, die in hohen Basketball Sneakers ohne Schnürsenkel steckten.

»Ach Mist«, sagte sie lachend, »ich hab eine Laufanalyse machen lassen, und da hat man mir erklärt, dass ich falsch laufe, dass ich länger abrollen muss, weißt du, so …« Sie machte es mir vor und sah dabei bezaubernd aus. »Das hab ich gestern Abend beim Joggen genauso gemacht, und jetzt tut mir alles weh, kann kaum noch laufen.«

»Da sagst du was, die heilige Anneliese, die Schutzpatronin der Analysten aller Disziplinen, hätten sie mal besser als Hexe verbrannt, statt heiliggesprochen«, sagte ich, um nach einem Blick in ihre Augen, die Verwirrung, Unmut und Langeweile widerspiegelten, nur keinerlei Hauch von Verstehen und daraus resultierendem Amüsement, meinen Versuch, witzig zu sein, abzubrechen und in die sicheren Gewässer nüchterner Information zurückzupaddeln.

»Ich war mal bei einem Physiotherapeuten, der sagte: Sie stehen ja völlig schief, und dann hat er mich zurechtgebogen und gesagt: So stehen Sie gerade, versuchen Sie immer, diese Haltung einzunehmen, und ich fühlte mich wie Quasimodo, und am nächsten Tag konnte ich mich kaum noch rühren.«

Ich blickte sie erwartungsvoll an, und Nina sagte: »Ja, war schön, dich zu sehen, ich muss dann mal los.«

Was zum Teufel lief mit meiner Kommunikation falsch? Ich hatte gelesen, dass es andere Menschen sofort für einen einnimmt, wenn man ihre Gestik spiegelt und inhaltlich auf sie eingeht. Also erzählte ich immer etwas Ähnliches, nicht ohne vorher einen Witz zu machen, denn Humor steht bei allen Frauen ganz oben auf dem Wunschzettel, wie jeder weiß.

Abends in der Kneipe erzählte ich meinem Kumpel Karl von dem missglückten Landemanöver und schloss mit der Frage: »Sollte ich meine Kommunikationsstrategien mal analysieren lassen?«

Karl blickte von seinem Bier auf und sagte: »Das kannst du dir sparen, der Fall ist klar: Du äffst die Weiber beim Reden nach und wunderst dich, dass die das nicht spannend finden. Die sagen sich doch: Langweilig sind wir selber, ein Kerl muss kurz und knackig reden, capisce?«

»So einfach ist das?«

»Ja, und jetzt halt die Klappe.«

Ich beschloss, das frisch Gelernte gleich am nächsten Tag in die Praxis umzusetzen, und wie der Zufall es wollte, traf ich Nina abends im Cinemaxx wieder. In Begleitung einer Freundin stand sie am Popcornstand. »Na, läuft es sich heute schon besser mit den frisch analysierten Füßen?«, sprach ich sie an. Ihr Blick verriet keine Freude, mich zu sehen, aber auch keine Abneigung.

»Erinnere mich nicht daran«, sagte sie abwinkend, »schon genug, dass ich für diesen Schwachsinn auch noch zahlen musste.«

»Viel?«, fragte ich so kurz wie möglich.

»Na, immerhin 80 Euro, und wenn ich noch die Bandagen dazuzähle, hat mich der Spaß über 100 gekostet.«

»Was dagegen, wenn ich unter diesen Umständen das Popcorn übernehme? Ich müsste dann natürlich in der Mitte sitzen, damit ihr auch gut rankommt.«

Blitzartig schoss mir die Erinnerung an die Szene in »Her mit den kleinen Engländerinnen« durch den Kopf, wo der Typ ein Loch in den Boden des Popcorneimers gebohrt und seinen Dödel durchgesteckt hat und in aller Ruhe abwartet, bis die Perle neben ihm sich bis dahin durchgefressen hat. Ohne eine Antwort abzuwarten, rief ich der Bedienung zu: »Einmal die preiswerte 5-KiloTrommel Popcorn salzig und drei Corona, bitte!«

»Du, lass mal gut sein«, riss mich Nina aus meinen Erinnerungen, »Dörthe und ich sind frisch verliebt, da brauchen wir keinen Typ mit ’nem Eimer Popcorn zwischen uns, capisce?«

»Schade«, sagte ich mehrdeutig, und zur Bedienung gewandt: »Storno bitte, die Situation hat sich verändert!«

»Moment, so geht das nicht, du hast bestellt, ich hab das gebongt, ein Eimer Popcorn und drei Corona, und einer muss das jetzt bezahlen, capisce?«

»Ist ja gut«, sagte ich, »drei Bier sind für einen gesunden Mann, der einen Eimer Popcorn vor sich hat, gerade richtig.«

Ich zahlte und dachte noch: »Wieso breitet sich dieses blöde ›capisce‹ eigentlich gerade epidemieartig im Ruhrgebiet aus, das müsste man echt mal analysieren.«

 

BAR-BAR

»Was ist denn heute Abend hier los?«, fragte Donald den Barmann.

»Ein Frauenkegelclub aus dem Rheinland«, kam es mit der charmant-holperigen Sprachfärbung zurück, wie sie Spanier annehmen, wenn sie lange in Deutschland leben.

»Und deswegen müssen Sie deutsche Schlager in der Lautstärke spielen?«

»Sí, lo siento«, kam es mit einer Trauer zurück, zu der neben dem mediterranen nur noch der russische Mensch fähig ist. Natürlich auch alle anderen Menschen, aber dann brauchen sie handfeste Gründe.

»Paco, mach uns mal eine Pinna Kollata für alle«, krähte die Rudelführerin und klang dabei wie Ulla Schmidt auf Speed.

Paco hob zum Zeichen des Einverständnisses kurz die eindrucksvollen Augenbrauen und begann zu wirbeln. Die Rummelplatzbeschallung hatte gerade von Andrea Berg zu Chris de Burgh gewechselt.

»Jetzt gehen sie bei ihren Party-Mixen schon alphabetisch vor«, dachte Donald, »ob ich bis zu Costa Cordalis wohl noch einen Dry Martini kriege? Geschüttelt natürlich, vier Teile Bombay Sapphire-Gin, ein Teil Noilly-Prat-Vermouth, mit einem Dash Olivenlake, was ihn zu einem Dirty Martini macht, und mit einer Limonenschale abgespritzt. Und zwei Oliven statt einer.«

Und dann kam zu seiner großen Erleichterung »Sexual Healing« von Marvin Gaye. Aus der Dreiersitzgruppe ihm gegenüber löste sich eine fast schon adipöse Mitbürgerin, in mildtätigen Chiffon gehüllt, und begann solo für ihren Partner zu tanzen, mit Moves, die sie wohl für anmutig und aufreizend hielt. Bei jeder Drehung gingen die Arme über den Kopf, wie wenn sie sich eines Unterrocks entledigte, häufig schob sie sich nahe ans Objekt ihrer Begierde heran, fuhr ihm mit der Hand über Haar und Nacken, hauchte ihm wohl auch Obszönitäten ins Ohr. Der Mann saß sehr verspannt da, das Lächeln mehr eine mechanische Gebissfreisetzung, nur die Augen suchten panisch den Raum ab, in der abwegigen Hoffnung, dass kein anderer Gast Notiz nähme.

Donald hatte sich nicht mehr so amüsiert, seit er vor vielen Jahren von Dieter Bohlens Penisbruch gelesen hatte. Seine miese Laune war einer fast chemischen Euphorie gewichen; er beschloss, sich die absolute Mehrheit der auf Exzess gebürsteten Pudelköniginnen schönzusaufen, doch noch bevor er die grundsteinlegende Bestellung an den Barmann bringen konnte, dröhnte der Schlachtruf »Damenwahl« aus den rheinischen Feuchtgebieten, und die entfesselten Windsbräute stürmten los. Mit der aus der einschlägigen Literatur bekannten Intelligenz eines Schwarms versperrten sie den flüchtenden Herren die rettenden Ausgänge und führten einen nach dem anderen ab – auf die Tanzfläche. Desmond Dekkers »You can get it, if you really want« tötete die letzten Hemmungen ab und ließ auch Miss Chiffon andere Saiten aufziehen. An der Krawatte versuchte sie den Angeschmachteten aus den Polstern zu zerren, doch der hielt sich nach Luft ringend am Tisch fest. »Du langweiliger alter Sack!«, schallte es vernehmlich zu Donald herüber. Er wandte sich um und sah nur noch den halbtoten Senior, die Enttäuschte war verschwunden. Auf der Tanzfläche zogen gerade zwei stattliche Damen einen dünnen Mittvierziger zwischen sich und tanzten Sandwich, wobei er optisch keine Rolle mehr spielte, bis auf seinen kardinalslila verfärbten Kopf, der sich von vier drallen Brüsten arretiert im Takt wiegte.

»Un Carajillo, por favor«, wandte Donald sich an Paco.

»Sin o con?«

Gemeint war: den Schnaps mit oder ohne Kaffee.

»Sin«, entschied Donald; »con«, befahl eine Stimme direkt hinter ihm, die jeden Gedanken an Widerspruch im Keim erstickte.

Die Kegelqueen höchstselbst, flankiert von zwei Hofdamen, denen man auch Geldtransporte in Millionenhöhe anvertraut hätte, sah ihm tief in die Augen.

»Wie sagte Cher immer? Badet ihn, pudert ihn und bringt ihn in mein Zelt! Aber dat hat noch Zeit, Schatz, erst will die Mama tanzen!«

In diesem Moment klingelte Donalds Handy.

»Sorry«, sagte er und ging ein paar Schritte zur Seite. »Ja?«

»Mach hinne, zahl und komm raus, der Typ hatte nur 400 Euro in der Brieftasche, da müssen wir noch ein bisschen ackern heute Abend!«

»Alles klar, ich komme, aber dann ziehst du dich erst um, dieser Chiffonfummel sieht echt scheiße aus.«

 

BEGEGNUNGEN

Der Mann im hellen Waschledersakko saß allein an einem Ecktisch des Lokals und las das Feuilleton der SZ. Eine junge Frau trat an den Tisch und fragte: »Warten Sie schon lange?«

Er blickte kurz auf und sagte etwas unwirsch: »Länger, als ich es zu tolerieren pflege.«

Sie sah ihn unverwandt an und flüsterte: »Ich möchte Ihre dunklen Seiten ergründen.«

»Möchten Sie mir nicht erst mal die Speisekarte bringen?«

Kaum merklich schüttelte sie den Kopf.

»Tragen Sie Ihr Waschledersakko aus Nostalgiegründen oder weil Sie damit das Sichtfenster zu Ihrer Seele putzen möchten?«, fragte die junge Frau im Neoprenanzug mit Nerzkragen und Taucherbrille auf dem Kopf unbeeindruckt weiter. Dem Mann fiel die Zigarette aus der Hand, knapp neben den Ascher. Sie ergriff sie rasch, nahm einen tiefen Zug, reichte sie zurück und sagte: »Ihre Glut ist für mich nicht zu übersehen. Möchten Sie mit mir darüber reden?«

In diesem Moment trat eine nackte Frau an den Tisch und fragte fröhlich: »Na, ihr zwei Turteltauben, schon was gefunden?«

»Na klar«, sagte die Neoprenfrau, »ich nehm die frittierten Heuschrecken und einen Algenwein, bitte!«

»Ich hätte gern das Sashimi vom Seeigel und eine Brottrunk-Bärenfang-Schorle. Und nun zu Ihnen«, sagte der Mann und wandte sich an die Neoprenfrau, »was wollen Sie von mir?«

»Die Sache ist die, ich gehöre einer Sekte an, die sich in Neoprenanzüge kleidet, wer einen Monat dabei ist, darf einen Nerzkragen tragen, nach zwei Monaten auch eine Taucherbrille, wer jeden Monat ein Mitglied wirbt, hält seinen Status, wenn nicht, verliert man erst seine Taucherbrille, dann den Nerzkragen und zuletzt den Neoprenanzug.«

»So wie die Kellnerin?«

»Nein, die Kellnerin ist einfach nackt, weil das hier ein Lokal mit Nacktbedienung ist!«

»O. k., noch mal gefragt, was wollen Sie von mir?«

»Ich möchte zusehen, wie Ihnen der Kragen platzt«, antwortete sie unverschämt grinsend.

»Kleines dummes Luder, will mich provozieren«, dachte er und bot ihr mit einer nicht besonders einladenden Geste den freien Stuhl an seinem Tisch an.

»Warum sollte mir der Kragen platzen?«

»Ach, kommen Sie, das wissen Sie doch«, sagte sie mit komplizenhaftem Augenzwinkern und machte es sich auf dem Stuhl bequem.

»Sie wollen es nur nicht wahrhaben, und deswegen befinden Sie sich in einem infantilen Fragestrudel.«

»Wie bitte?«

»Ja, Sie fragen ständig Sachen, die Sie schon längst wissen. Sie fragen nach der Speisekarte, obwohl Sie bereits wissen, was Sie essen möchten, Sie fragen mich, was ich von Ihnen will, dabei habe ich es Ihnen gleich gesagt, Sie fragen und fragen und fragen, aber das wird Ihre bevorstehende Gefühlseruption nicht verhindern. Ich kann den Knall schon riechen.«

»Ich glaube, ich höre auch Ihren Knall. Nehmen Sie bitte Abstand davon, mich als Mitglied Ihrer bescheuerten Fetisch-Sekte anwerben zu wollen, ich habe erstens eine Gummiallergie und lasse zweitens dem World Wild Fund For Nature nicht nur regelmäßig ein paar Euros rüberwachsen, sondern greife gern auch mal praktisch ein.«

Er zündete bedächtig ihren Nerzkragen an und schaute ihr dabei ganz ruhig in die Augen.

»So«, zwitscherte die nackte Kellnerin, »hier sind schon mal eure Getränke, soll ich sie gleich auf den brennenden Nerzkragen kippen?«

»Gern«, erwiderte die Neoprennymphe, griff nach ihrem Tauchermesser und säbelte geschickt den Kragen seiner Waschlederjacke ab.

»Wie heißt es in der Bibel: Kragen um Kragen, Haut um Haut!«