Meine Dramen, Band 2

 

Hugo von Hofmannsthal

 

 

 

 

Inhalt:

 

 

Hugo von Hofmannsthal – Biografie und Bibliografie

 

Der Abenteurer und die Sängerin

Personen.

I

II

 

Das Bergwerk zu Falun

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

Vierter Akt

Fünfter Akt

 

Jedermann

Dramatis Personae

 

Ödipus und die Sphinx

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

 

Der Rosenkavalier

Personen

Erster Akt

Zweiter Akt

Dritter Akt

 

 

 

 

Meine Dramen, Band 2, H. von Hofmannsthal

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849655945

 

www.jazzybee-verlag.de

admin@jazzybee-verlag.de


Dieses Werk bzw. Inhalt und Zusammenstellung steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz. Die Details der Lizenz und zu der Weiterverwertung dieses Werks finden Sie unter http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/de/. Der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon wurden der TextGrid-Datenbank entnommen, wo der Inhalt und die Zusammenstellung oder Teile davon ebenfalls unter voriger Lizenz verfügbar sind. Eine bereits bestehende Allgemeinfreiheit der Texte bleibt von der Lizensierung unberührt.

 

 

 

Hugo von Hofmannsthal – Biografie und Bibliografie

 

Dichter, geb. 1. Febr. 1874 in Wien, verstorben am 15. Juli 1929 in Rodaun (bei Wien). Studierte daselbst erst die Rechte, dann neuere Literaturgeschichte und Sprachen und widmete sich bald ausschließlich der Schriftstellerei. Schon im Alter von 18 Jahren veröffentlichte er unter dem Pseudonym Theophil Morren die feinsinnige dramatisch-lyrisch-reflektierende Studie »Gestern« (Leipz. 1892; 2. Aufl., Berl. 1904). Im selben Jahre gelang ihm das kleine Drama »Der Tod des Tizian« (gedruckt Berl. 1901), voll ergreifender Betrachtungen über die Schönheits- und Lebensfülle der Werke Tizians. In der kleinen dramatischen Dichtung »Der Tor und der Tod« (2. Aufl., Berl. 1900) ist die Gefühlsverkümmerung eines Décadents in hinreißender Sprache geschildert. In dem »Theater in Versen« (Berl. 1899) vereinigte H. das einaktige Drama »Die Frau im Fenster«, die Erdrosselung einer treulosen Frau durch ihren Ehemann darstellend und durch magische Traumstimmung fesselnd, ferner »Die Hochzeit der Sobeide«, worin der tragische Untergang einer Frau geschildert wird, die den gediegenen Ehegatten verschmäht und sich einem nichtswürdigen Gecken hingibt, endlich »Der Abenteurer und die Sängerin«, das, wie mehrere Stücke Hofmannsthals, in Venedig spielt und den Bankrott ästhetisch-genußsüchtiger Lebensführung schildert. Außer dem weniger bedeutenden Drama »Der Kaiser und die Hexe« (Berl. 1900) verfaßte H. noch eine grell übertreibende Bearbeitung der »Elektra« des Sophokles (2. Aufl., das. 1904). H. ist ausgezeichnet durch lyrische Gefühlsverfeinerung und symbolisch ausdrucksvollen Stil und entfernt sich weit von der naturalistischen Technik der Neuzeit.

 

Wichtige Werke:

 

·                     Andreas

·                     Ariadne auf Naxos

·                     Das Dorf im Gebirge

·                     Das fremde Mädchen

·                     Das große Salzburger Welttheater

·                     Das Glück am Weg

·                     Das Kloster des Heiligen Lukas

·                     Das Märchen der 672. Nacht

·                     Das Märchen von der verschleierten Frau

·                     Defoe

·                     Der Abenteurer und die Sängerin

·                     Der Brief des letzten Contarin

·                     Der goldene Apfel

·                     Der Kaiser und die Hexe

·                     Der Rosenkavalier

·                     Der Schwierige

·                     Der Tor und der Tod

·                     Der Unbestechliche

·                     Der Wanderer

·                     Die Frau ohne Schatten

·                     Die Briefe des Zurückgekehrtene

·                     Die Frau ohne Schatten (Erzählung)

·                     Die Frau ohne Schatten (Opernlibretto)

·                     Die Wege und die Begegnungen

·                     Ein Brief (Brief des Lord Chandos an Francis Bacon)

·                     Elektra (Tragödie)

·                     Erinnerung schöner Tage

·                     Erlebnis des Marschalls von Bassompierre

·                     Gedichte

·                     Jedermann (Drama)

·                     Gerechtigkeit

·                     Knabengeschichte

·                     Lucidor

·                     Raoul Richter, 1896

·                     Reise im nördlichen Afrika

·                     Reitergeschichte

 

 

Der Abenteurer und die Sängerin

 

Personen.

 

Ein Abenteurer, unter dem Namen Baron Weidenstamm.

Vittoria.

Cesarino.

Lorenzo Venier.

Sein Oheim, der Senator Venier.

Die Redegonda, Sängerin.

Achilles, ihr Bruder.

Marfisa Corticelli, Tänzerin.

Ihre Mutter.

Salaino, ein junger Musiker.

Der Abbate Gamba.

Der Sohn des Bankiers Sassi.

Le Duc, Kammerdiener des Barons.

Ein alter Komponist.

Dessen Dienerin.

Ein Juwelier.

Ein fremder älterer Mann.

Drei Musiker.

Diener.

 

In Venedig, um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.

 

I

In einem venezianischen Palast, den der Baron bewohnt: das Vorzimmer, vielmehr ein hoher geräumiger Vorsaal. Im Hintergrund große Tür auf die Treppe, daneben rechts eine kleine Tür ins Dienerzimmer, links ein Fenster in den Hof. Die rechte Wand hat ein vergittertes Fenster auf den Kanal hinaus. An der linken Wand kleine Tür ins Schlafzimmer und noch eine Tür. Der Saal selbst hat Stuckdekoration im Barockgeschmack und kein Mobiliar als einige große Armstühle mit verblichener Vergoldung.

Es treten auf: der Baron und Lorenzo. Der Baron in Lila, mit blaßgelber Weste, Lorenzo ganz schwarz.

Der Baron tritt zuerst ein, mit den Gebärden des Hausherrn.

 

BARON. Nein, nein, Ihr müßt mir diese Ehre erweisen, ich tue es nicht anders. Ihr seid ein Edelmann, ich bin ein Edelmann. Ihr heißt Venier, ich heiße Weidenstamm. Ihr gehört zu den Familien, die diese Stadt regieren, ich liebe diese Stadt über alles. Wir finden uns in der Oper, ich will den Namen einer Sängerin wissen, ich sehe mich nach einer Person von Stand um, an die ich meine Frage richten könnte. Eure Haltung, Eure Kleidung, Euer gemessener Blick, Eure wundervoll schönen adeligen Hände ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich, und ich finde nichts wünschenswerter, als eine Unterhaltung fortzusetzen, die der Zufall angeknüpft hat.

VENIER. Sie sind sehr gütig, und ich bin um so beschämter als –

BARON. Wir wollen uns Du sagen, wie in der großen Welt in Wien und Neapel. Ich will dir erklären – verzeih –

 

Klatscht in die Hände.

Venier, stumme Bewegung.

Le Duc tritt von links auf.

 

BARON. Le Duc, ich komme an, Niemand ist da, mir aus der Gondel zu helfen. Auf der Treppe ist kein Licht. Im Vorhaus kann man den Hals brechen. Wo ist der Lakai, den du aufnehmen solltest? Wo ist der Diener, den der Wohnungsvermieter zu schicken versprochen hat?

 

Zu Venier.

 

Du mußt mich entschuldigen, ich bin noch keine vierundzwanzig Stunden hier und, wie du siehst, schlecht bedient.

LE DUC. Euer Gnaden, es waren drei da, aber mit solchen Galgengesichtern –

BARON. Genug, du wirst morgen zusehen. Jetzt Lichter, ich habe Spiel! Tokaier, Kaffee!

 

Zu Venier.

 

Darf ich dir sonst etwas anbieten?

 

Pause, während Le Duc serviert.

 

VENIER. Sie sind nicht das erste Mal in Venedig, Baron?

BARON. Wie kannst du das glauben? Aber du machst mich unglücklich, ich sehe, du fühlst dich nicht zu Hause.

 

Auf ihn zutretend.

 

Venier, wir überlegen es uns keinen Augenblick, den zehnten Teil unseres Vermögens hinzulegen, wenn wir unter dem Kram eines Antiquitätenhändlers den Kopf eines sterbenden Adonis oder eine Gemme mit beflügelten Kindern finden. Wir fahren stundenweit ins Gebirge, um die Fresken zu sehen, die eine längstvermoderte Hand an die Wände einer halbverfallenen Kapelle gemalt hat. Wir begehen die größten Torheiten um einer Frau willen, die wir im Vorübergehen gesehen haben; und um die Bänder eines Mieders aufzulösen, ehe wir wissen, was dieses Mieder verbirgt, setzen wir unser Leben ein und bedenken uns keinen Augenblick. Aber einen Mann, der uns gefällt, anzureden, einen Menschen zu suchen, ein Gespräch, das vielleicht Unendliches bietet, welche Schwerfälligkeit haben wir da, welche Mischung von Bauernstolz und Schüchternheit. Die Zurückhaltung, deren wir uns einer Statue, einem Gemälde, einer Frau gegenüber schämen würden, einem Manne gegenüber scheint sie uns am Platz.

VENIER. Und ist es vielleicht auch ebendarum, weil wir Männer sind.

BARON trinkt sein Glas aus.

Du bist ein Venezianer, ich bins zehnfach!

Der Fischer hat sein Netz, und der Patrizier

das rote Kleid und einen Stuhl im Rat,

der Bettler seinen Sitz am Rand der Säule,

die Tänzerin ihr Haus, der alte Doge

den Ehering des Meeres, der Gefangne

in seiner Zelle früh den salzigen Duft

und blassen Widerschein der Purpursonne:

ich schmecke alles dies mit einer Zunge!

VENIER für sich.

Wer ist der Mensch? 

BARON.

Hoho, ich bin vergeßlich.

Wie gehts der schönen Frau des Prokurators

Manin? 

VENIER.

Die lebt nicht mehr. 

BARON.

Die lebt nicht mehr?

Mit den meergrünen Augen! 

VENIER.

Die ist tot

Seit sieben Jahren. 

BARON.

Tot? Was du nicht sagst!

VENIER.

So ist es lang, daß Sie den Aufenthalt ...

BARON.

Recht lang. Drum atm ichs ein mit solcher Lust.

 

Er geht ans Fenster rechts.

 

Zu meiner Zeit saß auch der Alte noch

mit seiner roten Mütze auf der Treppe

der kleinen Löwen und erzählte Fabeln.

VENIER.

Der Cigolotti? 

BARON.

Wundervolle Fabeln!

Von Serendib und von der Insel Pim-pim.

 

Er macht das Fenster auf.

 

Welch eine Luft ist das! In solcher Nacht

ward diese Stadt gegründet. Ihre Augen

schwammen in Lust, er hing an ihrem Hals,

sie tranken nichts als aufgelöste Perlen.

VENIER.

Wer?

BARON.

Weißt dus nicht, weißt du den Anfang nicht?

Ihr seid die Letzten nur von ihrem Blut.

VENIER.

Wovon den Anfang? 

BARON.

Von Venedig. Hier

war solch ein öder Wald am Rand des Meeres

wie bei Ravenna. Aber Fischer zogen

an Perlenschmüren und an ihrem langen

goldroten Haar Prinzessinnen ans Ufer.

VENIER.

Prinzessinnen? 

BARON.

Von Serendib, was weiß ich!

Sie waren nackt und leuchteten wie Perlen

und lebten mit den Fischern. Andre kamen

dann nach, auf Ungeheuern durch die Luft

und durch das Meer gefahren. Tra la la –

 

Er sucht eine Melodie.

 

Wie war das, was sie sang? Tra la la la ...

VENIER aufstehend.

Wer sang? 

BARON.

Die Mandane! heut in der Oper.

Oder Zenobia, wie? Sehr schön. Sehr schön.

 

Er fährt wieder in seiner Erzählung fort.

 

Doch später dann zerging die Zauberstadt –

nicht ganz! es blieb ein Etwas in der Luft,

im Blut! Mit rosenfarbnen Muschellippen küßte

das Meer und leckte mit smaragdnen Zungen

die Füße dieser Stadt! Die Kirchen stiegen

wie Häuser der verschwiegnen Lust empor –

VENIER. Sie haben die Beredsamkeit eines Dichters, mein Baron.

BARON. Oh, eines Liebhabers, höchstens eines Liebhabers.

VENIER. Eines Liebhabers, der sich gerade hier ...?

BARON. Der glücklichsten Stunden erinnert, der unbeschreiblichsten, der unvergeßlichsten ...

 

Venier, Bewegung.

 

BARON. Sie war ein Kind und wurde in meinen Armen zum Weib. Ihre ersten Küsse waren unerfahren wie aus dem Nest gefallene junge Tauben, ihre letzten Küsse sogen die Seele aus mir heraus! Wenn sie kam, abends oder in der Früh, schlanker als ein Knabe! sie war in den großen alten Mantel gewickelt, dann warf sie ihn hinter sich und trat hervor wie ein Reh aus dem Wald.

VENIER. So hinter sich ...

BARON. Den Mantel, ja.

VENIER. Den Mantel, und trat hervor.

BARON.

Sie glühte unter meinen Küssen auf.

Sie hatte einen andern Mantel dann

von nacktem Glanz und ungreifbarem Gold.

Ihr Hals war angeschwollen und ihr Mund

gekrümmt vom Schluchzen grenzenloser Lust.

Beladen war ein jedes Augenlid

mit Küssen, jede Schulter, jede Hüfte!

Ich habe hundertmal im Arm von andern der anderen vergessen, wie durch Dunst durch ihren Leib hindurch den Perlenglanz von jenem Leib im Dunkeln schwimmen sehn und zu mir glühen durch den Dunst goldfarben ein erbsengroßes Mal an ihrer Brust –

VENIER.

Ein Mal! hier! hier? 

 

Zeigt an den Hals.

 

BARON.

Wie? Hier mich dünkt.

 

Denkt nach.

 

Nein, hier.

 

An der Brust.

 

Was ficht dich an? 

VENIER.

Nichts, nichts, beinahe nichts.

 

Geht nach rechts vorne.

Baron geht zu Le Duc nach links rückwärts.

 

VENIER rechts vorne stehend. Ich bin wahnsinnig, meine ganze Angst und Erregung ist sinnlos und ich kann sie nicht bemeistern. Er hat mich in der Oper um ihren Namen gefragt, also kennt er sie nicht. Zwar er könnte sie doch früher gekannt haben und hätte nur wissen wollen, wie sie jetzt heißt. Das Muttermal! Jede zweite Frau hat eines. Und er hat ja die falsche Stelle bezeichnet. Warum fallen mir nur die Punkte auf, die meinen Verdacht bestätigen, nicht die, die ihn entkräften! Es war noch etwas,

 

Nachdenkend.

 

noch etwas sehr Schlimmes! Das mit dem Mantel, das mit dem Mantel!

BARON zu Le Duc. Der Brief an die Opernsängerin ist bestellt?

LE DUC. Zu Befehl, Euer Gnaden, und es ist auch schon eine alte Frau draußen, welche die Antwort bringt.

BARON. Wo? her mit dem Brief!

LE DUC. Sie will nur Euer Gnaden selbst – sie wartet in der Kammer neben dem Vorsaal.

BARON. Ich gehe sogleich.

 

Laut.

 

Zwei Spieltische! Auf jeden vier Lichter!

 

Zu Venier.

 

Du entschuldigst mich für einen Augenblick.

VENIER geht zu Le Duc. Wer ist dein Herr?

 

Will ihm Geld geben.

 

LE DUC zurücktretend. Eure Exzellenz werden wissen, daß ich die Ehre habe, dem Herrn Baron Weidenstamm aus Amsterdam zu dienen.

VENIER. Weidenstamm! Weidenstamm! es gibt keinen Holländer auf der Welt, der ein solches Venezianisch spricht.

LE DUC. Ich habe sagen gehört, Verwandtschaften –

VENIER. Des Teufels Verwandtschaften!

LE DUC. Zumindest habe ich aus dem Mund meines gnädigen Herrn selbst die wiederholte Versicherung, daß er sich seit mehr als fünfzehn Jahren niemals in Venedig aufgehalten hat.

VENIER. Die hast du, braver Mensch? die wiederholte Versicherung?

LE DUC. Wiederholt und ausdrücklich.

VENIER gibt ihm Geld. Du bist ein sehr braver Mensch und verdienst, einem so ausgezeichneten Kavalier, wie der Baron ist, attachiert zu sein.

LE DUC. Ich küsse Euer Exzellenz die Hände.

VENIER. Vor fünfzehn Jahren war sie ein zwölfjähriges Kind. Und dann: er spricht nie von ihrem Singen; wie hab ich solch ein Narr sein können, das zu übersehen. Er wäre tausendmal zu eitel, so etwas zu verschweigen.

 

Baron kommt zurück, Venier ihm freundlich entgegen.

 

VENIER.

Nun aber wirklich gute Nacht, und morgen

zum Frühstück, hoff ich, tust du mir die Ehre:

Casa Venier, die jüngere, drei Schritte hinter San Zaccaria.

BARON.

Wie? Gute Nacht? jetzt wär es Schlafenszeit?

Du denkst nicht dran! und ich denk nicht daran,

dich fortzulassen! Nun kommt mein Bankier,

vielmehr sein Sohn und bringt, soviel er kann,

an lustiger Gesellschaft. 

VENIER.

Nun, ich kann

beinah erraten. 

BARON.

Wie? 

VENIER.

Die Redegonda,

die Brizzi – 

BARON.

Eine andre nannte er.

VENIER.

Die Corticelli, wie? 

BARON.

Mir scheint. 

VENIER.

Dazu

zwei, drei Tagdiebe, einer, der Sonette

und einer, der Pasquille schreibt, der dümmste

Abbate und der zudringlichste Jude –

BARON.

Und du und ich,

dann ists die Arche Noah! Jeder Art

ein Tier. Und daß so viele Arten sind,

das macht die Welt so bunt. Wen möchtest du

entbehren? Ich den tollen Neger nicht,

der von der Riva taucht um einen Soldo

und mit den Hunden sich ums Essen beißt,

und nicht den goldnen Dogen, der an uns

vorüberschwebt auf einer Purpurwolke

und einem goldnen Schiff. In tausend Masken

läuft er um mich und zupft mich am Gewand,

der Dieb, der Schlüssel stahl zu meinem Glück.

 

Lebhafter.

 

In einen Edelstein hineingebannt

ist unsres Geistes Geist, des Schicksals Schicksal.

Der hängt vielleicht zwischen den schönen Brüsten

der Redegonda, und er schläft vielleicht

bei Zwiebeln in der Tasche eines Juden,

was weiß ich! nicht? 

VENIER.

Du bist sehr aufgeräumt.

BARON tritt nahe zu ihm.

Sei nicht zu stolz darauf, daß du nicht Dreißig bist!

Was später kommt, ist auch nicht arm. Rückkehren

und nicht vergessen sein: der Mund wie Rosen,

die offnen Arme da, hineinzufliegen!

Als wär man einen Tag nur fern gewesen –

und den Ulysses grüßte kaum sein Hund!

 

Immer fröhlicher.

 

Ich will hier Feste geben. Schaff mir Löwen,

 

Zu Le Duc.

 

die Blumensträuße aus den Rachen werfen!

Vergoldete Delphine stell vors Tor,

die roten Wein ins grüne Wasser spein!

Nicht drei, nicht fünf, zehn Diener nimm mir auf

und schaff Livreen. An den Treppen sollen

drei Gondeln hängen voller Musikanten

in meinen Farben. 

VENIER lächelnd.

Ihr beschämt uns alle.

BARON.

Wie? schon zuviel? zuviel? noch nicht genug!

Ich will den Campanile um und um

in Rosen und Narzissen wickeln. Droben

auf seiner höchsten Spitze sollen Flammen

von Sandelholz genährt mit Rosenöl

den Leib der Nacht mit Riesenarmen fassen.

Ich mach aus dem Kanal ein fließend Feuer,

streu so viel Blumen aus, daß alle Tauben

betäubt am Boden flattern, so viel Fackeln,

daß sich die Fische angstvoll in den Grund

des Meeres bohren, daß Europa sich

mit ihren nackten Nymphen aufgescheucht

in einem dunkleren Gemach versteckt

und daß ihr Stier geblendet laut aufbrüllt!

Mach Dichterträume wahr, stampf aus dem Grab

den Veronese und den Aretin,

spann Greife vor, bau eine Pyramide

aus Leibern junger Mädchen, welche singen!

Die Pferde von Sankt Markus sollen wiehern

und ihre ehrnen Nüstern blähn vor Lust!

Die oben liegen in den bleiernen Kammern

und ihre Nägel bohren in die Wand,

die sollen innehalten und schon meinen,

der Jüngste Tag ist da, und daß die Engel

mit rosenen Händen und dem wilden Duft

der Schwingen niederstürzend jetzt das Dach

von Blei hinweg, herein den Himmel reißen!

 

Plötzlich innehaltend.

 

St! St! hör ich nicht singen? Kommts nicht näher?

Merk auf! Hörst du nicht eine süße Stimme?

Hierher! Noch nichts? Nein, früher war es stärker!

Du hörst gar nichts! So ists in meinem Blut.

VENIER ist plötzlich wieder aufgestanden und hat sein Glas so heftig auf den kleinen Tisch gesetzt, daß es klirrend zerbricht.

Hier ist ein Glas entzwei. Verzeihen Sie.

Es gibt dergleichen Tage, wo ein tolles

und widerwärtiges Geschick den Kopf,

von Schlangenhaaren wimmelnd, uns entgegen

aus jeder Türe reckt und unterm Tisch

hervorkriecht, dran wir sitzen! Flecken hat

die Sonne selbst, am Mond hängt weißer Aussatz,

und unser ganzes Innre geht in Fetzen,

darein sich Diebe wickeln.

BARON.

Es ist ein Alp. 

VENIER.

Beinah, nur schläft man nicht!

BARON.

Komm, gehn wir auf und ab, die Luft tut wohl.

O hättest du gelernt wie ich zu leben,

dir wäre wohl.

Ich achte diese Welt nach ihrem Wert,

ein Ding, auf das ich mich mit sieben Sinnen

so lange werfen soll, als Tag und Nächte

mich wie ein ächzend Fahrzeug noch ertragen.

Leben! Gefangenliegen, schon den Tritt

des Henkers schlürfen hörn im Morgengrauen

und sich zusammenziehen wie ein Igel,

gesträubt vor Angst und starrend noch von Leben!

Dann wieder frei sein! atmen! wie ein Schwamm

die Welt einsaugen, über Berge hin!

Die Städte drunten, funkelnd wie die Augen!

Die Segel draußen, vollgebläht wie Brüste!

Die weißen Arme! Die von Schluchzen dunklen

verführten Kehlen! Dann die Herzoginnen

im Spitzenbette weinen lassen und

den dumpfen Weg zur Magd, du glaubst mir nicht?

VENIER.

Wie kannst du einen Blick so sehr mißdeuten?

BARON.

Ich sage dir, es gibt nichts Lustigres

als hier im Zimmer auf und nieder gehn,

sich Wein einschenken, essen, schlafen, küssen

und draußen an der Tür den wilden Atem

von einem gehen hören oder einer,

die lauert und in der geballten Faust

den Tod hält, deinen oder ihren Tod!

Dein Leben, wie des kalydonischen Königs

an ein Scheit Holz, geknüpft an eine Kerze,

die wo vor einem höchst verschwiegnen Spiegel

in sich verglühend vor Erwartung flackert –

und das, worauf der Widerschein der Fackel,

indes du fährst zur Nacht, mit Lust umhertanzt,

vielleicht dein nasses Grab! Hoho, sie kommen!

 

Es treten auf: Sassi, Marfisa Corticelli mit ihrer Mutter, der Abbate, zuletzt Salaino.

 

SASSI.

Wie gehts, Mynheer? 

BARON.

Wie gehts, mein lieber Sassi?

Spielt Ihr den Hausherrn, mich laßt Diener sein

und Euren Gästen meine Dienste weihn.

SASSI die Marfisa an der Hand vor ihn führend.

Marfisa Corticelli, die Camargo

des Augenblicks, eine, nein die Tänzerin Venedigs!

BARON.

Marfisa! Euren Namen auszusprechen

heißt Duft einatmen einer seltsam süßen

und wilden Frucht; erlaubt den Lippen, sie zu brechen.

 

Küßt sie.

 

DIE MUTTER.

Was lobt Ihr ihre Lippen? Ihre Lippen

sind so wie andrer Mädchen. Mit der Spitze

der Füße trillert sie, und in den Kehlen

der Kniee hat sie hübschre Melodien

als andre, wenn sie sich den Hals ausschrein.

 

Baron schaut verwundert.

 

DIE MUTTER knixt.

Ich bin die Mutter. 

BARON mit Verbeugung.

Lamia, die Mutter

der jüngsten Grazie! 

SASSI vorstellend.

Der Abbate Gamba,

der Plinius, Cicero und Aretin

dieses Jahrhunderts. 

BARON.

Viel in einem, viel!

Hier noch ein Freund? 

 

Auf Salaino.

 

DIE CORTICELLI.

O dies ist kaum ein Mensch,

gebt auf ihn nicht mehr acht als wie auf einen Schatten!

BARON.

So ist es deiner? 

DIE CORTICELLI.

Ja, ein Tollgewordner!

mit gräßlichen Gebärden hinter mir,

so wie der plumpe Faun die Nymphe ängstigt.

SASSI.

Dies ist ein junger Musiker, Salaino,

der für das übermütige Ding zuviel

Seufzer verschwendet – 

DIE MUTTER.

Aber sonst auch nichts!

DIE CORTICELLI.

Laß ihn doch, Mutter. Und ich bitt euch alle,

tut so wie ich und gebt auf ihn nicht acht.

BARON.

Hier der Patrizier Lorenzo Venier,

seit wenig Stunden meinem Herzen nah,

doch teuer wie ein alterprobter Freund.

 

Venier verbeugt sich unmerklich, sieht alle durch ein Lorgnon an. Le Duc mit Erfrischungen von  

links. Gamba zu Venier. Sassi, Marfisa, Mutter zu Le Duc. Baron rechts rückwärts bei Salaino.

 

BARON zu Salaino.

Wie, junger Mensch, du hast nichts und du willst

dies weiter tragen? Armut, dies Gefängnis,

aus dem man nicht entspringt, weils mit uns läuft.

Den Hohn und Speichel einer solchen Vettel!

Du hast nichts! dann hat jeder dicke Schuft

von Seifensieder ja dein Haus, dein Bett

und küßt deine Geliebte, spürst dus nicht so?

Vielmehr er hat ein Recht auf ein Stück Fleisch

aus deiner Brust und darf das Messer noch

an deinem Haar abputzen! spürst dus so!

 

Greift ihm dabei ins Haar.

 

Wir werden spielen, wart, wir werden spielen,

und hier ist für den Anfang! 

 

Gibt ihm Geld.

 

Nägel kauen,

an einem schmutzigen Kanal die Lacke

von Stockfisch atmen und auf feuchtem Stroh

von weißen Knien mit goldnem Strumpfband träumen,

bis das Geheul der Katzen auf den Dächern

dem Traum ein Ende macht. Verfluchtes Leben!

SALAINO mit erstickter Stimme, den Blick zur  Seite.

Ich wäre grad so gern der alte Grabstein

am Kirchentor, auf den die Weiber treten,

die halbverfaulte Alge im Kanal,

der Hund von einem Blinden! Manchen Tag,

mein ich, mich schleift ein Pferd an seinem Schweif,

daß ich von unten mit verdrehten Augen

die ganze Welt ansehen muß, so starr

und so verhaßt ist mir des Lebens Anblick.

Ich kann den Fetzen goldgestickten Stoffs

nicht anschaun, den ein Heiliger von Stein

um seinen toten Leib hat, wie viel minder

ertrag ichs, wenn ich die Lebendigen seh,

in lauter Lust gewickelt wie ein Wurm

im Granatapfel. 

BARON.

Hast du keine Schwester?

Zur Kupplerin mit ihr! Was, keinen Bruder,

an den Kapellmeister, der Bubenstimmen

für Engelschöre braucht, ihn zu verkaufen?

Auch nicht? So ging ich und verhandelte

das Leben eines Menschen, den ich nie

gesehn, und liehe die Pistole mir

als einen Vorschuß von der Summe aus,

die ich mit ihr verdienen wollte. Was?

Genug davon. Auf später.

 

Geht zu den anderen hinüber.

 

BARON zu der Gruppe.

Wir spielen gleich. Seid wie zu Hause, bitt ich.

 

Führt Marfisa am Arm nach vorne.

 

Was kann ich tun, Marfisa, um dir nicht

ganz zu mißfallen? 

MARFISA.

Viel, o eine Menge.

 

Baron küßt sie auf den Arm.

 

MARFISA.

Nicht das. Wenn du mich gern hast – 

BARON.

Nun? 

MARFISA.

So gehst du

und mietest Leute – oh, sie tuns um wenig –

wenn du mich gern hast, so mißfällt dir doch,

wer mich mißhandelt, unterdrückt, erniedrigt –

BARON.

Mißfällt? Ich haß ihn wie den Pfahl im Fleisch.

MARFISA.

Und wenn du hassest, läßt du doch nicht ungestraft?

BARON.

Des Schurken Namen sag, ich find ihn.

MARFISA klatscht in die Hände.

Du tust es mir? 

BARON.

Den Namen! 

MARFISA.

Costa. 

BARON.

Wie?

MARFISA.

Vicenzo Costa,

der Geck, das ekelhafte Ungeheuer,

der Pächter des Theaters, der die Brizzi

das pas de deux, das mir versprochene,

das große, tanzen läßt. Er geht am Abend

allein nach Haus, ich weiß. Bei San Moisé.

Zwei Männer tuns leicht. Du tusts! Du tusts!

Du bist ein großer Herr, und fremd, hast Diener –

BARON.

Und wirds dich freuen? 

MARFISA.

Wie nichts auf der Welt!

BARON.

Und glaubst dann – 

MARFISA.

Was? 

 

Baron will sie küssen.

 

MARFISA.

Vielleicht! vielleicht auch nicht!

 

Reißt sich los, läuft nach rückwärts.

 

BARON will ihr nach, auf einmal steht die Mutter vor ihm. Liebe Frau, Ihre Tochter ist das entzückendste kleine Ding, das ich je berührt habe – mit der Fingerspitze. Sie ist ein so von Leben starrendes wildes funkelndes Wesen wie ein kleiner Turmfalke.

MUTTER. Sie haben sie nur von ihrer unbedeutendsten Seite kennengelernt.

BARON. Ganz richtig, ich brenne darauf, sie besser kennenzulernen. Ich sehe, Sie versteht mich, Sie versteht mich.

MUTTER. Ich hoffe, Euer Gnaden werden öfter das Ballet mit Ihrem Besuch beehren.

BARON. Sie versteht mich nicht. Ich gedenke mich hier nur wenige Tage aufzuhalten und möchte keine Gelegenheit versäumen, Ihre Tochter kennenzulernen. Ich werde morgen bei ihr vorsprechen.

MUTTER. Oh, das ist ganz unmöglich, gnädiger Herr, unsere Appartements sind absolut nicht präsentabel. Es ist absolut unmöglich.

BARON. Was heißt unmöglich?

 

Gibt ihr Geld.

 

Sie wird trachten, bis morgen die Appartements präsentabel zu gestalten.

MUTTER. Oh, es ist unmöglich, meine Tochter ist nicht im Besitz eines konvenablen Negligé, um so distinguierte Gäste zu empfangen.

BARON. Ich werde die Ehre haben, ihr durch meine Gondel ein sehr konvenables Negligé zuzuschicken.

MUTTER. Ich weiß nicht, ob Euer Gnaden auswendig die Maße –

BARON. Überlassen Sie das meinen Augen, gute Frau. Ich habe hier drinnen Maße genug, zehntausend verschiedene Frauen aus zehntausend blinden Marmorblöcken herauszumeißeln, aber ich habe nicht die Laune, mich mit totem Material abzugeben.

 

Redegonda tritt auf, ihr Bruder, als Lakai, hinter ihr.

 

REDEGONDA.

Geh vor und meld mich an! 

SASSI ihr entgegen, mit einer großen Handbewegung.

Die Redegonda!

BARON ihr entgegen.

So ruft, wer am Verdeck zuerst erwacht:

die Sonne! und die andern rufens nach.

Ich hört Euch diesen Abend, Mademoiselle,

und neidete den körperlosen Tönen

den Weg auf Euren Lippen. Muß ich nun

ein niedrig Band beneiden, schlechte Spitzen,

die diesen Hals berühren? Welcher Gott

war dies, der starb vor Sehnsucht nach dem Anblick

des wundervollsten Nackens? Seinen Namen

hab ich vergessen, doch ich teile, fürcht ich,

sein Schicksal, wenn Ihr geht. 

REDEGONDA sich fächelnd.

Sehr schön gesagt.

BARON indes Le Duc Erfrischungen serviert.

Erlaubt Ihr? 

 

Redegonda trinkt.

 

BARON.

Dieses Glas ist nun so wenig

mehr feil, da es an Euren Lippen lag,

als eine von den Kammern meines Herzens!

REDEGONDA.

O solche Gläser haben wir noch viele

zu Haus! Nicht wahr, Achilles? Wenn Ihr wollt,

könnt Ihr sie alle kaufen.

 

Lacht.

 

BARON.

Ihr spielt?

REDEGONDA.

Tut Ihrs für mich? 

BARON.

Ich bin zu glücklich,

laßt Ihr mich nur den letzten Ruderer sein

an Eures Glückes Schiff. 

REDEGONDA.

Was heißt das? 

ACHILLES leise.

Geh!

 

Baron, mit Le Duc, ist beschäftigt, Sassi, Marfisa, die Mutter, den Abbate an den Spieltisch links rückwärts zu bringen.

 

REDEGONDA vorne zu Venier.

Ah, Herr Venier! 

 

Venier grüßt, legt die Hand auf den Mund.

 

ACHILLES zu Redegonda.

Er winkt Dir, du sollst schweigen.

REDEGONDA.

Wovon? 

ACHILLES.

Nun, wahrscheinlich von seiner Frau.

REDEGONDA.

Ach so! Warum? 

ACHILLES immer halblaut.

Was weiß ich? Schweig!

 

Redegonda und Achilles ungefähr in der Mitte, Venier geht nach links vorne, Baron kommt von rückwärts zu Redegonda zurück, die durch ihr Lorgnon die Gesellschaft mustert.

 

REDEGONDA.

Wie? Die ist da? Die Tänzerin! Ich bin

nur gern beim Spiel mit meinesgleichen. 

BARON.

Göttin

an Schönheit, müßtet Ihr dann Euren Spieltisch

aufschlagen lassen im Olymp. 

REDEGONDA.

Wo ist das?

 

Baron führt sie zum Spieltisch, winkt Salaino herbei, der die ganze Zeit, im Hintergrund stehend, mit den Blicken der Marfisa folgte. Ein fremder älterer Mann tritt in die Türe, mit einer schüchternen Verbeugung, den Dreispitz unter dem Arm. Niemand bemerkt ihn.

 

VENIER links vorne allein. Ich bin hier lächerlich und kann nicht fort. Und doch, es war keine Täuschung: als dieser Mensch sich auf den Platz neben meiner Loge setzte und ihr Blick, der mich suchte, auf ihn fiel, wurde sie unter der Schminke blaß, und der Ton, der schon auf ihrer Lippe schwebte, tauchte wieder unter wie ein erschreckter Wasservogel, und von dem Augenblick an sang nur mehr ihre Kunst, nicht mehr ihre Seele. Soll ich mich in solchen Dingen irren, ich, der ich aus ihren Schritten auf dem Teppich, aus einem Nichts, aus dem Schlagen ihrer Augenlieder erraten kann, woran sie denkt? Und doch kann ich mich irren und diese ganze Qual kann um nichts sein! Hier ist niemand, den ich fragen könnte; die Redegonda ist zu dumm, Sassi zu boshaft. Und doch war mir, als hätte das ganze Haus gefühlt, daß in ihr etwas Ungeheures vorgegangen war. Und in ihrem Spiel war etwas wie Nachtwandeln, sie ging wie unter einem Schatten. Wer ist dieser Mensch? Mir ist, ich dürfte ihn nicht aus den Augen lassen, als wüßte ich, er ist auf geheimnisvolle Weise bestellt, in mein Leben hineinzugreifen.

Wo hab ich das gehört: Ich seh den Dieb,

der zur geheimsten Kammer meines Glücks

den Schlüssel stahl: er geht um mich herum,

doch kann ich ihn nicht fassen: hab ich das

geträumt? und wann? 

SASSI vorkommend, zu Venier.

Wie, kommt Ihr nicht zum Spiel?

VENIER.

Sassi, wer ist der Mensch? 

SASSI.

Ich glaub, nicht viel

Nachdenkens wert. Ein Abenteurer, glaub ich,

doch lustigre Gesellschaft als die Puppen,

von denen man Großvater und Großmutter

mit Namen nennen kann. 

VENIER.

Wie kommst du zu ihm?

SASSI.

Ich? vielmehr er zu mir: mit einem Brief,

der auf viertausend Golddublonen lautet.

VENIER.

Und ausgestellt? 

SASSI.

Von Arnstein Söhnen, Wien.

BARON geht rückwärts von Marfisas Seite weg, um den Tisch herum; er ruft nach vorne.

Ihr langweilt euch! 

SASSI.

Im Gegenteil, Mynheer!

 

Baron rückwärts stehend, neben Salaino, dem er spielen zusieht.

 

SASSI nach rückwärts gehend.

Ich nehm die Bank. 

BARON.

Ich bitte, Sassi, nehmt sie.

DER ABBATE geht zu Venier nach vorne, sich vorstellend.

Abbate Gamba.

VENIER.

Lorenzo Venier, wir sehen

uns nicht das erste Mal. 

ABBATE.

Ihr seid sehr gütig,

Euch zu erinnern.

 

Leises Gespräch, Abbate zeigt seine Uhr; beide gehen nach rechts vorne.

Der alte Mann ist unbemerkt an den Tisch gegangen, steht hinter der Kerze und pointiert mit.

 

BARON über Salainos Schultern schauend.

Nimm rot und bleib! 

 

Nach einer Pause.

 

Es wird! es wächst! es schwillt!

Schon bücken sich zwei, drei vor dir, indes du

aus deiner Gondel steigst, schon brennt ein Licht

auf einer Treppe, schon für dich bewegt sich

ein Vorhang, und ein Tisch mit schönen Speisen

steht da, für zweie aufgedeckt, die Magd

schielt nur nach deiner Hand, um zu verschwinden.

ABBATE vorne, zu Venier.

Verlassen Sie sich drauf, ich faß ihn plötzlich

und drück ihn an die Wand. 

VENIER.

Wir werden sehn.

BARON rückwärts, zu Salaino.

Nun gut und gut! Nun liegt schon mehr und mehr

gebundne Beute da, mit Zobelpelz

und goldenen Geweben halbverdeckt!

Dies ist die Larve schon, der Engerling

von einem großen Herrn! Jetzt sind schon hundert,

die um die Wette kriechen! Die Illustrissima,

die hochmütige schöne Bragadin,

dreht schon den Kopf. Nun aus dem Dunkel vor!

ABBATE zu Venier.

Dies sind die Reden eines Taschenspielers

und eines armen Teufels, der groß prahlt.

BARON zu ihnen vorkommend.

Ihr lacht! Den Teufel, ja, den spiel ich gern;

den meint Ihr doch, Abbate, der den großen

Goldklumpen nachts ins Netz des armen Fischers warf?

Nein, sagt mir, Freunde wer ist dieser Mensch?

 

Er zeigt auf den fremden alten Mann am Spieltisch.

 

Kennt ihr ihn nicht? 

ABBATE.

Ich nicht, fragt Sassi.

BARON.

Der kennt ihn nicht, er hat schon mich gefragt.

 

Der alte Mann ist inzwischen vom Spieltisch weggegangen und verschwindet verstohlen durch die Tür im Hintergrunde.

 

Nun geht er fort. Bei Gott, mir tut der Mensch

bis in die Seele leid. Er suchte immer lang

und legte noch ein Goldstück, jedes schien

zu zittern, wie er selbst, auf eine Karte

und immer gegen uns. Und jedesmal

zerschellte sein elendes Schifflein kläglich

an jenem dieses Burschen, dessen Segel

vom Wind des Glücks wild aufgeblasen waren.

 

Er geht ans Fenster, sieht hinab, geht dann nach links an die Tür, winkt Le Duc zu sich.

 

ABBATE zu Venier.

Es gibt dergleichen, die wie Raben Aas

die Häuser wittern, wo gespielt wird abends

und mit den Fledermäusen und Nachtfaltern

auf einmal da sind. 

VENIER.

Der sah traurig aus.

BARON zu Le Duc.

Lauf diesem Menschen nach im braunen Rock,

er geht die zweite Brücke, lauf und gib ihm

soviel. Sag nicht, von wem. Steh ihm nicht Rede.

 

Le Duc ab.

 

BARON bleibt einen Moment stehen, blickt ins Leere.

Dies war vielleicht mein Vater.

Zumindest hab ich meinen nie gesehn

und möchte keinem von dem Alter wehtun

aus Angst, es wär gerade der. Es gibt

Zufälle von der Art. Mir träumts auch öfter.

Gott weiß, der tolle Krüppel in dem Dorf,

wo ich heut durchkam und vor zwanzig Jahren

auch einmal schlief, der war vielleicht mein Sohn

und fletschte grad auf mich so wild die Zähne.

 

Er will zum Spieltisch zurückgehen; Abbate hält ihn auf.

 

ABBATE.

Erlaubt, reizender Hausherr, einen Blick!

 

Führt ihn unter ein Licht, betrachtet ihn sehr aufmerksam.

 

Wir sehn uns nicht das erste Mal! Allein

mich dünkt, Ihr habt Euch wunderbar verändert!

 

Verdeckt mit seiner Hand einen Teil vom Gesicht des andern.

 

BARON betrachtet ihn ebenso aufmerksam, wie eine Statue, von rechts, dann von links, dann von unten.

Wahrhaftig nicht das erste Mal! Wo aber

kanns nur gewesen sein? 

ABBATE triumphierend.

Das frage ich!

BARON.

Doch nicht im Haag? an jenem blutigen Abend? ...

Ich hielt den Kopf des sterbenden Oranien

in meinem Arm, und ringsum drängte sich

unheimliches Gesindel durch die Fackeln:

da war auch einer da, ein alter Jude,

zudringlicher als andre, aber wie,

der? soll ich meinen Augen traun, wart Ihr?

 

Abbate tritt zurück, beleidigt.

 

BARON läßt ihn nicht los.

Nein, nein, jetzt hab ichs! In Damaskus dort,

am Hof Yussuf Alis, der Oberste,

wie sag ich schnell, der Stummen? Wieder nicht!

 

Abbate tritt noch einen Schritt zurück.

 

BARON.

Und doch gesehn, bestimmt gesehn! In Rom

bei Kardinal Albani – 

ABBATE.

Das kann sein.

BARON.

Ihr wart der Monsignore, 

 

Fängt zu lachen an.

 

dem die Damen –

 

Sagt ihm etwas ins Ohr.

 

und dem der Kardinal dann durch die Diener –

 

Sagt ihm noch etwas ins Ohr, faßt ihn bei beiden Händen, schüttelt sie kräftig.

 

Wie! 

 

Lacht.

 

Das wart Ihr! und habt mich gleich erkannt!

Ich wars, der Euch ... 

 

Ihm ins Ohr.

 

ABBATE wütend.

Niemals und nimmermehr

war ich das, Herr, ich habe mich geirrt:

ich hab Euch nie gesehn. 

BARON.

Wie schade, schade!

 

Zu Venier.

 

Und du verachtest ganz das kleine Spiel?

SALAINO am Spieltisch, laut.

Ich hab die Bank, wer legt dagegen? 

VENIER nach rückwärts gehend.

Ich!

REDEGONDA geht vom Spieltisch nach links vorne, Achilles aufwartend hinter ihr.

Richt mir die Schnalle am Schuh, sie ist verschoben.

Was willst du denn, du Garstiger, daß du

mich in den Arm so kneifst; ich hätt beinah

laut aufgeschrien. 

ACHILLES.

Was flüstert er mit dir?

REDEGONDA.

Er will, daß ich

heut abends bei ihm bleib, wenn alle fortgehn.

ACHILLES.

Und? 

REDEGONDA.

Er mißfällt mir nicht. Er ist auch artig

mit Frauen. Du, ich glaub, er ist ein Fürst

und reist mit falschem Namen. 

ACHILLES.

Hat er dir

schon was geschenkt? 

REDEGONDA.

Noch nicht, allein ich seh doch,

daß er freigebig ist. 

ACHILLES.

Sag ihm vor allem,

du willst, er soll mich zum Bedienten nehmen.

Dann mach ich alles. 

REDEGONDA.

Doch wie fang ichs an?

ACHILLES.

Ganz frech. 

REDEGONDA.

Sag ich, daß du mein Bruder bist?

ACHILLES.

Nichts Dümmeres! kein Wort! 

REDEGONDA.

Allein, mein Graf –

ACHILLES.

Was braucht der zu erfahren? 

REDEGONDA.

Glaubst, es geht?

 

Lacht.

 

O weh, die Corticelli, die ist boshaft,

vor ihrem Mundwerk hab ich solche Angst

die bringts heraus! merk dir, ich habs gesagt!

BARON zu ihnen tretend.

Wie, Reizendste? ich morde diesen Burschen

vor Neid.

REDEGONDA.

So nehmt ihn lieber, statt so schwere Schuld

auf Euch zu laden, schnell in Eure Dienste,

dann dient er Euch, und nichts gibts zu beneiden.

BARON.

Ihr wollt mir Euren Diener überlassen?

REDEGONDA.

Ihr sagtet doch, Ihr wollt die Gläser kaufen,

daraus ich trank, nun hier ist ja der Mensch,

der täglich mir die Haare lockt und brennt,

das ist ja noch viel mehr! 

BARON.

Beinah so viel

als eine Eurer Locken, also mehr

als Zypern und Brabant!

REDEGONDA.

Er ist nicht dumm, und wär er ordentlicher,

so hätt ers leicht zu Besserm bringen können:

er hat Geschwister, die was andres sind.

ACHILLES schnell.

Wir sind aus einer Stadt und Nachbarskinder.

BARON.

Sooft sie kommt, bedienst du sie allein,

sonst wirst du ihres Dieners Diener sein.

 

Bei der Tür im Hintergrund ist der Juwelier hereingekommen und steht lauernd. Auf ein Zeichen  

von Achilles kommt er schnell nach vorne; Stellung von links nach rechts: Achilles, Redegonda, Baron, Juwelier. Juwelier hält dem Baron Perlenohrgehänge hin.

 

BARON.

Tut der Rialto Marmorkiefern auf

und speit den alten Tubal uns hervor?

JUWELIER. Ich seh, der Herr kennt mich. Das sind ein Paar Ohrgehänge, wie der Herr keine zweiten solche findet in Venedig. Es hat eine Illustrissima sterben müssen in großer Verlegenheit, damit ich diese Ohrringe in die Hand bekomme und sie kann anbieten dem Herrn um einen Preis zum Lachen.

BARON die Ohrgehänge in der Hand.

O Perlen, Perlen! nichts von Steinen! – Leben!

Sie halten Leben wie ein Augenstern:

die Sterne droben, diese goldnen Tropfen,

sind jeder, sagt man, eine ganze Welt:

so gleichen die, nur von weit weit gesehn,

dem Leib von Überirdisch-Badenden.

Vielleicht sind Kinder,

die einst der Mond mit Meeresnymphen hatte,

hineingedrückt, sie frieren in der Luft:

hier ist ihr Platz, hier saugen sie sich wach!

 

Hält sie an den Hals der Redegonda.

 

JUWELIER.

Ich seh, der Herr versteht sich auf Perlen.

 

Geht eilig ab.

 

BARON.

Halt, und dein Preis! 

JUWELIER an der Türe.

Ich seh, der Herr versteht.

Ich kenn das Haus. Morgen ist auch ein Tag.

BARON.

Ganz recht! ich kann sie ja nicht überzahlen!

 

Mit einem Blick auf die Redegonda.

 

REDEGONDA.

Wie meint Ihr das? 

BARON.

Schlag ich für nichts dies an,

daß du sie trägst?

 

Redegonda gibt ihm die Hand zum Küssen.

 

BARON.

Die Hand! und wann den Mund? o heute, heute,

unnützes Warten ist nichts als der Wurm

in einer reifen Frucht. O, Warten ist

die Hölle! 

REDEGONDA.

Wenns dies boshafte Geschöpf,

die Corticelli weiß, bin ich des Todes!

 

Zu Achilles.

 

Fällt dir nichts ein?

ACHILLES.

Wir gehn zum Schein mit allen andern fort

und kehren um, sobald uns eine Ecke

verdeckt – 

BARON.

Ein braver Bursch! 

REDEGONDA.

Wenn sie uns sehn,

so weißt du dann, ich habs vorausgesagt.

BARON.

So willst du nicht? 

REDEGONDA.

O ja, nur hab ich Furcht,

die Menschen sind so neidisch, wenn man schön ist

und nicht gemein wie sie. 

 

Rückwärts treten alle vom Spieltisch weg, außer der Mutter, die noch ein Glas austrinkt. Sassi, Venier, der Abbate gehen nach vorne, Marfisa und Salaino nach rechts. Achilles nimmt sogleich eine andere Haltung an.

 

BARON.

Wie? Brecht ihr auf?

 

Salaino tritt ganz dicht zu Merfisa mit glühenden Augen.

 

MARFISA kokett.

Und was?

SALAINO.

Und dies: ich bin verliebt in dich, verliebt,

verliebter als Narzissus in sich selber:

er fand im Wasser sich, ich find dein Bild

bis in den flüssigen Spiegel der Musik –

MARFISA.

Nichts Neues sonst? 

SALAINO.

Und dies: ich reiß mein Selbst

von diesem Traum, um dens wie Efeu rankt,

und müßt ich alle Nerven ihm zerreißen.

MARFISA.

Wie schade! 

 

Halb von ihm weggehend.

 

SALAINO.

Wie? 

MARFISA.

Ich hörte nur »zerreißen«

und dachte an das Kleid. 

SALAINO.

An welches Kleid?

MARFISA.

Du hättest mir doch eins gekauft – 

SALAINO.

Ich dir?

MARFISA.

Wenn ich mit dir gegangen wäre – 

SALAINO.

Du?

MARFISA.

Mit dir? Ich hätt es angezogen und

wär vor dem Spiegel auf und ab gegangen

und hätt auf dich gewartet, du indes –

SALAINO.

Nun, ich – 

MARFISA.

Du hättest nicht getan – 

SALAINO.

Marfisa!

MARFISA.

Du hättest doch getan! 

SALAINO.

Was, was getan?

MARFISA.

Du weißt ja doch, wer mich gekränkt hat – 

SALAINO.

Wie?

Dies zu versprechen ist zu häßlich. 

MARFISA.

Ja.

Nicht reden, mit den Augen nur versprechen!

SALAINO.

Da. Aber tust dus nur deswegen? 

MARFISA.

Still!

Still jetzt! Geh mir nur ruhig nach! gib acht!

Ganz still, ganz still, sonst macht die Mutter Lärm.

 

Sie geht ganz unbefangen einige Schritte nach vorne, dann, den Blick auf die Mutter geheftet, langsam nach rückwärts, wie in einem Ballett, zur Tür hinaus. Salaino folgt ihr schnell. Die Mutter bemerkt ihn, läuft den beiden nach. Sassi kehrt sich in diesem Augenblick um, klatscht in die Hände. Alle lachen.

 

REDEGONDA.

Was das für Menschen sind! 

ABBATE.

Die sind schon fort.

Wir folgen ihrem Beispiel, wenn auch nicht

so wortlos und so eilig.

 

Verbeugt sich.

 

BARON verbeugt sich.

Abbate!

VENIER.

Ich seh dich morgen, schnellerworbner Freund.

REDEGONDA zu Achilles.

Geh vor und leuchte! 

BARON.

Mademoiselle! 

SASSI.

Ich finde

nicht Worte ... 

BARON.

Sie beschämen mich! 

 

Noch winkend.

 

Abbate!

 

Alle ab. Der Baron bleibt allein; tritt ans Fenster.

Pause.

Le Duc tritt wieder auf mit einem Brief.

 

BARON.

Von wem? 

LE DUC.

Die gleiche alte Frau,

Die schon vor einer Stunde – 

BARON.

Von Vittoria!

 

Erbricht den Brief, liest.

 

LE DUC.

Antwort? 

BARON.

Ist keine. 

 

Geht auf und ab.

 

Wie! sie will hierher!

So steigt von links und rechts aus dieser Nacht

hier Gegenwart und hier Vergangenheit

empor, jedwede eine schöne Nymphe.

Und Zufall tanzt, der übermütige Gott,

wie ein betrunkner Stern in dunkler Luft

und streut Verwirrung! Doch ich nehms auf mich!

Und ficht er aus dem Dunkel – ich pariere!

REDEGONDA tritt lustig und atemlos auf.

Versteck mich! schnell! ein Mann ist hinter mir!

Ich fürcht, es ist der Graf! wenn der mich findet,

der mordet dich und mich. Ich habs gewußt!

Ich habs vorausgesagt! ich habs gesagt!

BARON führt sie durch die kleine Tür links vorne.

Nur Mut! nur still! hier steh ich, du bist sicher!

 

Venier tritt ein, hastig und erregt. Er ist sehr blaß. Hinter ihm Le Duc, der dem Baron Zeichen macht, daß noch eine Person draußen im Vorzimmer ist.

Baron zeigt ihm, er solle sie in das Zimmer rechts rückwärts führen.

Le Duc schließt die Tür in dieses Zimmer. Indessen  

schlägt es Mitternacht.

 

BARON halb für sich.

Wie! mehr Verwirrung! Folgen sie einander

wie Puppen an der Turmuhr, weil es schlägt?

VENIER ist an der Tür einen Augenblick unschlüssig stehengeblieben, kommt jetzt rasch auf ihn zu. Herr Holländer! ich tue hier ein Ding, das Ihr aufnehmen dürft, ganz wie Ihr wollt und wofür Ihr später jede Genugtuung haben sollt. Umstände nötigen mich, Argumente, die sich um meinen Hals legen wie der Strick des Henkers.

 

Hält inne.

Baron zuckt die Achseln.

 

VENIER. Wenn das der Fall ist, was ich befürchte, so steht vor Euch ein Mensch, an dem das Schicksal einen unfaßbaren Diebstahl begangen hat, einen Diebstahl, gegen den alle Diebestaten zu nichts werden seit jener ersten berühmten, als die zwei in die schlafende Stadt krochen, das Heiligtum vom Altar stahlen und den von einer langen Reise ermüdeten Fremdlingen im ersten Schlaf die Kehlen abschnitten ... ein Diebstahl, der dem Bestohlenen alles wegnimmt, alles was war, was ist, was sein wird, und das Werkzeug dieses Diebstahls seid ihr.

BARON. Messer Lorenzo Venier, ich bin um zwanzig Jahre älter als du, und du bist mein Gast. Das macht die Musik zu meiner Antwort. Hör auf dies:

Die Dame,

die sich bei mir befindet, ist dir nichts;

ich hab dich nicht gefragt, ob du vermählt bist,

doch ist es weder deine Frau, Geliebte,

noch sonst dir nah, ja, der Beachtung wert.

VENIER.

Wie weißt du das? Ich hab mich so verstrickt

durch eine kleine Falschheit, daß ich nun,

wo Scham und Zweifel mir den Mund verschließen,

nichts andres weiß, als diesen ganzen Knoten

entzweizuhaun, bevor er mich erwürgt.

BARON.

Die hier drin steht, der steht dein Ernst so fern

wie finstre Waffen einem Maskenkleid.

VENIER.

Du weißt nicht, wer mir nahsteht, wenn sie dirs

nicht mehr verriet als ich, und sie hat zehnmal

mehr Grund als ich zu diesem Maskenspiel.

BARON.

Wär hier ein Ding, das für mich reden könnte,

ein Zipfel ihres Mantels! Könnte dies

ihr blondes Haar, das hier am Vorhang hängt,

goldfarbige Lippen auftun, diesen Argwohn

zu scheuchen. 

LORENZO.

Wie, ein blondes Haar? 

BARON.

Der Vorhang

entriß es ihr. 

LORENZO.

Der Vorhang! 

 

Er besieht es.

 

Dunkles Gold

wie die vom Weihrauch dunklen innern Kuppeln

der Markuskirche! welchen blöden Narren

macht Phantasie aus mir –

Was soll ich sagen? Wenn du morgen kommst,

sollst du sie sehen. Kenntest du mich besser,

so wüßtest du, ich bin nicht immer so

und nähmst es für den Krampf, der eine Kerze

zuweilen packt, daß sich ihr ganzes Licht

zusammenzieht und sie beinah erlischt.

Doch so ... 

BARON.

Du bist so edel von Natur,

sehr wohl vergleichst du dich mit einem Licht,

das manches Mal, bedrängt vom finstern Hauch

des Lebens, flackert. Wahrhaft edle Art

hat dies vom Feuer, daß ihrs nicht gelingt,

sich zu verstecken, wickelt sie sich auch

in Finsternis, verkriecht sich in den Klüften

des Kaukasus in eine Schäferhütte,

sie glüht hindurch. Wer hinkommt, beugt die Knie!

LORENZO.

Nun laß mich gehn. So machst du mich dem Feuer

zu ähnlich. Meine Wangen brennen schon.

BARON.

Noch nicht. Du hast noch etwas gutzumachen.

LORENZO.

Wie kann ichs? 

BARON.

Daß du dieses Spielzeug annimmst

und trägst. 

 

Gibt ihm eine kleine Dose.

 

LORENZO.

Gold und Saphire! 

BARON.

Stört dich das,

so denk, es wäre Zinn, nicht darum gab ichs:

es ist mein Bild darauf, und damals war ich