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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74097-855-6
»Ilka, Ilka! Du ahnst nicht, was mir passiert ist!« Freudestrahlend lief Rosanna auf ihre Freundin zu, die sie zufällig vor dem Kaufhaus getroffen hatte. Schon wollte sie lossprudeln, um Ilka die Neuigkeiten, die sie so begeisterten, zu berichten.
Doch Ilka faßte Rosanna beim Arm. »Immer langsam mit den jungen Pferden«, meinte sie. »Laß uns zusammen ins Eiscafé gehen. Dann kannst du mir alles in Ruhe erzählen.«
Rosanna blickte auf ihre Armbanduhr. Es blieb ihr noch fast eine Stunde, bevor sie Benjamin vom Kindergarten abholen mußte. Genug Zeit also, um auf Ilkas Vorschlag einzugehen.
Kaum hatten die jungen Frauen im ›Bella Italia‹ Platz genommen und sich einen Mocca-Becher bestellt, da hielt Rosanna es nicht mehr länger aus.
»Rate, wen ich neulich kennengelernt habe! Auf der Party bei Lukas und Desirée«, sagte sie voller Aufregung und beantwortete die Frage sofort selbst. »Du wirst es mir sicher nicht glauben, – Rainer Heller!«
»Rainer Heller?« fragte Ilka skeptisch. »Den berühmten Regisseur? Das kann doch nicht wahr sein!«
»Ja, genau den!« Rosanna strich sich eine Strähne ihres rabenschwarzen Haares aus der Stirn. »Ich habe sogar mit Rainer Heller getanzt und mich sehr lange mit ihm unterhalten und Rotwein mit ihm getrunken, und dann hat er, dann hat er... O Ilka! Ich bin der glücklichste Mensch der Welt!«
»Dann hat er sich in dich verknallt«, lachte Ilka und pickte eine Moccabohne von der Sahne, die ihren Eisbecher bekrönte.
»Nein, natürlich nicht«, meinte Rosanna etwas verlegen. »Etwas ganz anderes ist passiert, etwas viel, viel Besseres!«
»Was könnte denn besser sein als die Liebe?« Das Zucken um Ilkas Mundwinkel verriet sehr deutlich, wie sehr sie sich amüsierte.
Rosanna atmete tief ein. »Rainer Heller hat mir eine Rolle angeboten!« platzte sie schließlich heraus. »Die Hauptrolle in seinem neuen Film!« Genüßlich lehnte sich Rosanna in ihrem Stuhl zurück und blickte Ilka herausfordernd an.
Ilka war so perplex, daß sie mitten in der Bewegung innehielt. Ungläubig starrte sie ihre Freundin an. »Rainer Heller bietet dir eine Rolle an? In seinem neuen Film?« fragte sie endlich und zog dabei die Augenbrauen ganz dicht zusammen.
»Es wird ein Kriminalfilm«, schwärmte Rosanna und begann, das Eis mit Vehemenz aus ihrem Becher zu löffeln. »Eine moderne Adaption nach Edgar Wallace. ›Die Hexerin‹ heißt er.«
»Und du sollst tatsächlich die Hauptrolle spielen?« fragte Ilka.
»Du spinnst ja!«
»Ja, wenn ich es doch sage! Rainer Heller ist der Meinung, daß ich die ideale Verkörperung seiner Hauptfigur sei. Und falls du mir nicht glaubst, dann schau’ her! Rainer Heller und ich haben bereits einen Vorvertrag ausgehandelt.« Rosanna kramte kurz in ihrer Tasche und zog eine dünne Aktenmappe heraus, die sie neben Ilkas Eisbecher legte. »Gedreht wird im Allgäu, in einem malerischen Nest namens Obereibenstein. Dort gibt es nämlich ein phantastisches Schloß, Schloß Battenthal, welches genau Rainer Hellers Vorstellungen entspricht. Du weißt, er ist ein Perfektionist und legt äußersten Wert auf…«
»Schloß Battenthal?« fragte Ilka und blickte mit großen Augen auf die Aktenmappe. »Nie gehört.«
»Das Schloß verfügt über einen riesigen Park«, erklärte Rosanna. »In drei Wochen starten die Dreharbeiten, und ich muß noch…«
Ilka hörte Rosanna gar nicht mehr zu. Sie war viel zu sehr mit Lesen beschäftigt. Endlich hatte sie begriffen, daß es tatsächlich stimmte, was Rosanna sagte. »Du hast wirklich die Hauptrolle bekommen«, stellte Ilka fest und blickte von der Mappe auf. Dabei nahmen ihre Augen einen eigentümlich glasigen Ausdruck an.
Ilka starrte ihre Freundin lange an, doch eigentlich nahm sie Rosanna plötzlich gar nicht mehr richtig wahr, vielmehr schien Ilka durch Rosanna hindurchzusehen. Dabei lief in Sekundenschnelle ihr eigenes Leben vor Ilkas geistigem Auge ab. Dabei dachte Ilka auch an die Zeit, die sie zusammen mit Rosanna auf der Schauspielschule verbracht hatte. Und an den Tag, als sie ihr Studium wieder aufgab, um Mathias zu heiraten, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte. Mathias, der mit Ilka eine Familie gründen und viele Kinder haben wollte…
»Ilka, das ist die Chance meines Lebens.« Rosanna griff nach der Hand ihrer Freundin und drückte sie. »Es bedeutet eine sehr, sehr große Herausforderung für mich.«
Ilka nickte und rührte sprachlos in ihrem Eisbecher. Auch Rosanna schwieg jetzt still, denn sie hatte noch etwas auf dem Herzen und wußte nicht, wie sie es sagen sollte. Doch es dauerte nicht lange, da nahm Ilka ihrer Freundin das Wort förmlich aus dem Mund. »Und was ist mit Benjamin?« fragte Ilka nämlich.
Rosanna senkte den Kopf und zuckte mit den Schultern. »Ich weiß noch nicht, was ich mit meinem Kind machen soll«, meinte sie und machte eine längere Pause. »Aber vielleicht könntest du…«, fuhr sie schließlich fort.
»Du denkst, daß ich mich um Benjamin kümmern soll, während du in diesem komischen Schloß herumturnst?« fragte Ilka. »Wie hieß es doch gleich? Schloß Battenthal?«
Rosanna nickte. »Du bist Benjamins Patentante. Und da du soooo viele Kinder hast…«
»... da fällt es nicht weiter auf, wenn eins mehr in meinem Haus herumtobt?« lachte Ilka und schüttelte den Kopf. Dann sagte sie eine ganze Weile nichts mehr und verspeiste in aller Gemütsruhe den letzten Rest Eis.
»Dieser Film ist sehr wichtig für mich«, bemerkte Rosanna. »Er könnte der Anfang einer größeren Karriere sein. Außerdem bekomme ich eine exzellente Gage. Du weißt, wie sehr ich das Geld brauche. Immerhin hat mich Benjamins Vater auf einem Berg Schulden sitzenlassen.«
Endlich hatte Ilka auch den letzten Rest Moccasoße aus dem Eisbecher gekratzt. Mit einer energischen Bewegung schob sie den Becher beiseite und seufzte. »Okay«, sagte sie schließlich. »Ich mache es. Ob drei oder vier Kinder ihre Beine unter meinen Eßtisch strecken, ist eigentlich ganz egal.«
»Du machst es? Du nimmst Benjamin für die Dauer der Dreharbeiten bei euch auf?«
»Klar!«
»O Ilka!« Mit einem Satz sprang Rosanna auf und flog ihrer Freundin um den Hals. »Ich wußte, daß ich mich auf dich verlassen kann! Danke, Ilka! Danke!«
Bereits kurze Zeit später brachte Rosanna Benjamin für einen Tag zu ihrer Freundin. Sie mußte nämlich nach Frankfurt fahren, um den endgültigen Filmvertrag zu unterschreiben. Direkt im Anschluß daran sollte eine Pressekonferenz stattfinden, auf der Rosanna viele ›Hohe Tiere‹ aus der Film- und Medienbranche kennenlernen würde, unter anderem Herzog von Wässerle, den Filmproduzenten. Deshalb war sie sehr aufgeregt, als sie mit Benjamin auf Ilkas Haus zuging.
Als sie auf die Klingel drückte, sah Benjamin mit großen Augen zu seiner Mami auf. Sein Gesichtchen verzog sich immer mehr, es fehlte nicht viel, und er hätte angefangen zu weinen. Rosanna beugte sich zu ihm herunter und strich ihm über das Haar.
»Es ist nur für einen Tag«, flüsterte sie. »Heute abend hole ich dich wieder ab.« Dabei wurde ihr ganz flau im Magen. Herrje, dachte sie, wenn Benjamin jetzt schon so traurig ist, wie soll das erst werden, wenn ich endgültig nach Obereibenstein fahre?
*
»Wer ist denn der Herr dort hinten? Der mit dem blonden Haar?« fragte Rosanna auf der Pressekonferenz eher beiläufig. Dabei nippte sie an ihrem Sektglas und tat so, als sei sie nicht wirklich an einer Antwort interessiert.
Cora von Roßspringe, Rainer Hellers Regieassistentin, stellte sich kurz auf die Zehenspitzen, um in der Menschenmenge nach dem blonden Herrn Ausschau zu halten. »Ach, das ist Simon von Schönerau, der Verwalter von Schloß Battenthal«, stellte Cora fest. »Kommen Sie, ich stelle Sie einander vor.«
»Ich glaube, das wird nicht nötig sein«, bemerkte Rosanna betont gelangweilt und bemühte sich, nicht zu dem bewußten Herrn hinüberzublicken. Sie wollte es unbedingt vermeiden, daß irgend jemand ihr Interesse an dem
gutaussehenden, sympathischen Mann bemerkte. Trotzdem fügte Rosanna noch hinzu: »Aber wenn Sie unbedingt wollen, Cora…«
Cora schien Rosannas letzte Bemerkung nicht zu hören. »Okay, dann eben nicht«, bemerkte sie ziemlich cool und wandte sich wieder Herzog von Wässerle zu, dem Filmproduzenten.
Mist! Jetzt habe ich meine Chance verpaßt, dachte Rosanna. Vor Ärger über sich selbst hätte sie sich am liebsten auf die Lippen gebissen. Aber was sollte sie machen? Sie konnte ja wohl schlecht selbst zu Simon von Schönerau hingehen und ihn ansprechen!
Oder doch? – Ja, wenn sie es recht bedachte, warum eigentlich nicht?!
Schon wollte sich Rosanna aus der Gruppe lösen, die Herzog von Wässerle umringte, da sprach der Produzent sie plötzlich an, wobei er einen höchst merkwürdigen Gesichtsausdruck machte.
»Wie ich hörte, haben Sie soeben den Filmvertrag unterschrieben«, sagte der Herzog. »Rainer Heller setzt große Stücke auf Sie, mein Kind. Immerhin entspricht Ihr Äußeres exakt seiner Vorstellung von seiner Hauptfigur.«
Rosanna fühlte sich ziemlich verunsichert. Hoffentlich erwähnt Herzog von Wässerle nicht, daß ich noch nie eine größere Filmrolle hatte, dachte sie. Daß ich erst zweimal in Werbespots aufgetreten bin und einmal in einem eher unbedeutenden Fernsehfilm.
Doch leider schien Herzog von Wässerle keine Gnade zu kennen. Er hob seinen Kopf in die Höhe und blickte ziemlich blasiert von oben auf Rosanna herab. »Es hat Herrn Heller viel Überredungskunst gekostet, mich davon zu überzeugen, daß Sie die Richtige für die zu besetzende Rolle sind, meine Liebe«, bemerkte er. »Ich hoffe, Sie machen mir und dem Filmteam keine Schande, Kleines!«
Rosanna war wegen Herzog Wässerles Worte so brüskiert, daß sie, die ansonsten ziemlich schlagfertig war, nicht wußte, was sie sagen sollte. Am liebsten wäre sie auf der Stelle im Erdboden versunken. Deshalb empfand sie es wie eine Erleichterung, als sie plötzlich eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Schnell drehte sie sich um. Es war Rainer Heller, der sie jemandem vorstellen wollte.
Ehe Rosanna so recht begriff, wie ihr geschah, schob Rainer sie auch schon durch die Menge der Journalisten, Fotografen und Filmleute und all der anderen mehr oder weniger wichtigen Menschen, die dichtgedrängt im Foyer des Hauptgebäudes der Visionia-Filmgesellschaft standen.
Endlich hatte Rainer Heller sein Ziel erreicht und Rosanna fand sich ganz unvermittelt dem bewußten Herrn gegenüber, Simon von Schönerau, dem Verwalter von Schloß Battenthal. Seine unmittelbare Gegenwart ließ das Herz der jungen Frau sofort höher schlagen.
»Sie sind Rainer Hellers Hauptdarstellerin?« bemerkte Simon mit seiner wohltönenden Stimme, die tief in Rosannas Seele drang und sie verführerisch umschmeichelte. Rosanna spürte, wie eine heiße Welle ihren Rücken hinaufkroch, während es in ihrem Kopf wurde wie Watte, so daß sie Mühe hatte, klar zu denken. Als Simon jetzt gar Rosannas Hand in die Höhe hob, um einen Kuß darauf zu hauchen, und sie dabei sehr charmant anlächelte, da war es vollends um sie geschehen.
Oh, mein Gott! schoß es durch Rosannas Kopf. Ich darf mich doch jetzt nicht verlieben! Ich brauche all meine Kraft, um mich auf meine Arbeit zu konzentrieren! Ich muß Rainer Hellers Anforderungen gerecht werden! Ich muß die Erwartungen erfüllen, die man in mich setzt! Ich muß dem Produzenten und dem Filmteam zeigen, was in mir steckt!
»Es wird mir eine große Freude sein, Sie in drei Wochen auf Schloß Battenthal begrüßen zu dürfen.« Simons Worte rissen Rosanna jäh aus ihren Gedanken. Wie verzaubert blickte sie in seine hellen blauen Augen, mit denen er sie unverwandt ansah.