Über das Buch

Die 12-jährige Mathilda ist ein echter DIY-Profi und sprüht nur so vor tollen Ideen. Trotzdem darf sie keinen eigenen YouTube-Kanal haben. Dabei müssen doch ihre Videos an die Öffentlichkeit: Ob Puff-Pastry-Rezepte, Tipps für das Homespa oder coole Klamotten-Hacks - Mathilda steckt voller unerkannter Talente!

Doch wer braucht eigentlich YouTube?

Kurzerhand veröffentlicht sie ihre Blogeinträge einfach an der Schülerpinnwand. Und plötzlich folgt ihr die ganze Schule! Aber auch Neider lassen nicht auf sich warten …

Ein Buch über den Wunsch vieler Teenager:

Ein eigener YouTube-Kanal

Inhalt

That’s me

Was man als jüngeres Geschwister nie tun sollte, es aber trotzdem tut

Video Time

Safety first

Küchen-Talk

Voll analog!

Miss X

Schwestern-Talk

Yay!

Milda allein zu Haus

Klar, es geht immer noch krasser

Jede Menge Follower

Man kann sagen: Läuft bei mir!

WHAT?

Ich will’s mir gar nicht ansehen …

Ich bin Miss X!

Laute Gespräche

Von Verdächtigen und falschen Verdächtigungen

Wir sind alle ein bisschen Miss X

Un’ ich sach noch …

Was für ein Wort!

Es geht echt immer noch krasser!

Von Prioritäten und wie sie sich plötzlich ändern können …

Bonustrack

HACK #01: STICKER-MANIA

HACK #01: OVERNIGHT-OATS

HACK #01: FLOWERS FOREVER

HACK #01: PEACHY ICE-TEA

HACK #01: HALF BLEACHED JEANS

That’s me

That’s me. Mathilda.

Im Moment sitze ich am Schreibtisch und übe meine Unterschrift. Nicht, dass irgendjemand auf der Welt meine Unterschrift bräuchte, aber ich bin gerne vorbereitet …

Ich schwanke noch zwischen Mathilda Zimmermann, M. Zimmermann, Mathilda N. Zimmermann und M. N. Zimmermann. Zimmermann ist eigentlich ganz praktisch wegen des großen Zetts, das kann man rasant und zackig über die Linie wuschen und anschließend die vielen Ms und Ns meines Namens in mehr oder weniger wogenden Wellen hintendransetzen – aber Mathilda hat echt sehr viele Schwungschwingen: Egal wie ich es schreibe, es sieht einfach immer niedlich aus, auch wenn man den i-Punkt nicht kringelt (was ich aber sowieso nicht mache, weil ich keine i-Punkt-Kringlerin bin). Moment, stopp, nicht dass du denkst, ich mag meinen Namen nicht, doch, doch! Auch die vielen Abkürzungen: M, Matz, Tilda, Matti, Matzi, Tildi … Meine große Schwester Olivia, genannt Liv, sagt meistens Milda. Sie hat sich nämlich bis zum Kindergarten geweigert, bestimmte Buchstaben auszusprechen, Ts und Rs und S und Sch und alle Ffff- und sonstigen Zischlaute. Mama zieht sie heute noch damit auf, dass sie auf die Frage der Erzieherinnen, wie ihr Name sei, geantwortet habe: »I-hei-he-Li!« oder auch »I-bi-die-Li.«

Das N steht für Nike, das ist mein zweiter Vorname. Nike, wie die Sportmarke. Die Sportmarke spricht man übrigens Nai-ki aus, nicht Naik, habe ich im Fernsehen gesehen, da hat ein Reporter den Nai-ki-Chef persönlich danach gefragt.

Nike ist die griechische Göttin des Sieges und zu der sagt man ganz normal Niiike. Die römische Göttin des Sieges heißt Viktoria, deswegen ist das auch Livs zweiter Vorname. Weshalb Mama ausgerechnet diese beiden Namen ausgesucht hat, ist ein bisschen peinlich und hat was mit Fortpflanzung zu tun. Die Geschichte geht so: Weil Mama mit vier Brüdern aufgewachsen ist und das ziemlich stressig gewesen sein muss, hat sie sich nichts mehr als eine Tochter gewünscht. Dass ihr erstes Kind dann tatsächlich ein Mädchen wurde, bedeutet ja, dass ein weiblicher Samen das Rennen zur Eizelle gewonnen hat, er war also der Sieger, deswegen Viktoria. Und als ich dann auch ein Mädchen wurde, war es eben Nike.

Na ja, meine Mutter ist speziell. Aber speziell nett. Ein bisschen verrückt vielleicht. Verpeilt. Aber so sind Künstlerinnen halt. Im Moment experimentiert sie mit Marmelade-Bildern. Sag jetzt einfach nichts … Anscheinend gibt es Menschen, die kaufen Gemälde nicht nur, weil ihnen gefällt, was drauf ist, sondern auch wegen der Mal- oder Farbtechnik oder wegen der Crazyhaftigkeit des Künstlers. Wenn du mich fragst, ist der einzige Grund, warum Mama mit Marmelade malt, dass die sehr, sehr viel günstiger ist als echte Künstlerfarbe. Mama hat aber auch noch einen Brotjob, also einen, mit dem sie unser Geld verdient. In einer Kunstgalerie verkauft sie »langweiliges Mainstream-Konserven-Gekritzel«, wie sie das nennt. Und dazu stehen Mamas Bilder echt im krassen Gegensatz. Ich finde sie toll, unser Haus hängt voll davon. Sogar von außen, auf der Terrasse und an der Hauswand auf dem Weg zur Garage. Und zur Not könnte man sie ja sogar aufessen, na ja, zumindest abschlecken.

Es ist überhaupt sehr bunt bei uns. Wir haben rosa Kochtöpfe und jedes Zimmer hat eine andere Wandfarbe. Für Besucher ist das immer erst mal wie ein Schock und in 99 % aller Fälle kommt ein Spruch mit ›Villa Kunterbunt‹. Aber wenn man sich dran gewöhnt hat, kann man sich gar nicht mehr vorstellen, welchen Sinn es ergeben sollte, langweilig weiße Wände zu haben.

Doch eine Ausnahme gibt es: Livs Zimmer ist anders. Kahl und weiß, außer einer Wand, an der mindestens fünf Millionen Ballettbilder hängen, weil Liv eine wirklich sensationelle Ballerina ist. Sie tanzt schon, seit sie fünf ist. Ihre erste Ballettlehrerin war eine steinalte Dame mit einem sperrigen Namen, die ihr wegen ihrer mürrischen Art, dem halbdunklen Tanzraum in einer uralten Villa, bei immer geschlossenen Fensterläden und einem leiernden Kassettenrekorder, höllische Angst eingejagt hat. Aber etwas in Liv wollte tanzen, deshalb hat sie es fast zwei Jahre dort ausgehalten, bevor sie an eine modernere Schule gewechselt ist. Dafür bewundere ich sie wirklich. Ich fand das Abholen nach dem Unterricht schon den Horrortermin der Woche, weil die Ballettlehrerin dann von Mutter zu Mutter gegangen ist und immer etwas an der Schülerin auszusetzen hatte. Ich hab’s später auch mal mit Ballett versucht. Aber Geräteturnen liegt mir mehr. Viel mehr sogar. Ich geh manchmal sogar dreimal die Woche hin.

Liv mag auch kein gemütliches Licht, ihr genügt eine Deckenlampe, die so kalt strahlt, dass man ein echtes Iglu-Feeling kriegt. Sie hat eine Ballettstange im Zimmer und bestimmt sechs Paare zertanzter Spitzenschuhe an der Wand hängen, die sie als Stiftebehälter benutzt. Ihr Zimmer ist also mehr ein Ballettsaal mit Bett und Schreibtisch. Wie zum Ausgleich stehen dafür im Rest des Hauses genügend Kerzen, um bei einem Stromausfall die ganze Straße zu erleuchten.

Ach so, zu Mamas Bildern wollte ich noch Folgendes erzählen: Es gibt eines von mir und Liv auf einer riesigen Leinwand im Wohnzimmer an einer moosgrünen Wand. Darauf sind nur unsere Gesichter zu sehen, in SchwarzWeiß und so echt wie der kleine Schnappschuss aus dem Fotoalbum, von dem Mama es abgemalt hat. Und jetzt kommt’s: Ich glaube, es ist das einzige Gemälde auf der Welt von zwei Kindern, die sich gerade aus vollem Herzen anbrüllen – und niemand weiß mehr, um was es bei diesem Streit eigentlich ging, aber es scheint uns beiden sehr wichtig gewesen zu sein: Man hört Liv fast kreischen, unsere Gesichter sind voller Zornestränen und mein Mund so wütend verzogen, dass ich mich frage, wie ich das hingekriegt habe. Wer immer das Gemälde zum ersten Mal sieht, hält kurz verwirrt inne und muss dann losprusten. Mama wartet schon immer drauf und sagt, dass die Reaktion des Betrachters die eigentliche Kunst an diesem Bild sei.

Gut, jetzt kennst du also meine Familie.

Einen Vater dazu gibt es nicht. Also es gibt ihn natürlich schon, aber nicht als Papa, wie man das so kennt. Mein Vater ›hat sich aus dem Staub gemacht‹, kaum dass ich auf der Welt war. Was aber natürlich nichts mit mir zu tun hat – was einer von Mamas am häufigsten wiederholten Sätzen ever ist, damit ich nicht denke, ich sei daran schuld, und ein Trauma kriege oder so was. Als ich noch kleiner war, habe ich mir immer vorgestellt, mein Vater müsse ein Staubgeist sein, grau und irgendwie neblig und trüb, ohne Gesicht. Das hat für mich ganz gut gepasst. Irgendwann habe ich dann verstanden, dass ›aus dem Staub machen‹ eine Art Umschreibung für ›einfach abhauen‹ ist. Und als wir vor Kurzem in der Schule Sprichwörter analysieren sollten, war es klar, welches ich auswähle. Und siehe da, es bedeutet tatsächlich genau das, was es beschreibt: Früher im Krieg, wenn die Soldaten auf den Schlachtfeldern aufeinander losgingen, wurde immer sehr viel Staub aufgewirbelt. Den haben manche Soldaten ausgenutzt, um ungesehen zu fliehen und sich in Sicherheit zu bringen. So was nannte man Fahnenflucht und das war total verboten und wurde hart bestraft, meistens mit dem Tod.

Klar, einen coolen Dad zu haben, fände ich natürlich schon schön, aber wie sagt Omi immer: Man kann nicht alles haben, wo sollte man es auch hintun? Das ist übrigens das Tolle an meiner Omi, dass sie so praktisch ist. Zu ihrem Geburtstag und zu Weihnachten will sie zum Beispiel auf keinen Fall etwas geschenkt bekommen, so hat man schon eine Aufgabe weniger und macht ihr damit gleichzeitig die schönste Freude.

Was man als jüngeres Geschwister nie tun sollte, es aber trotzdem tut

Ich bin inzwischen mit meiner Unterschrift ganz zufrieden und stelle fest, dass zehn Minuten ja schon lässig um sind und ich mal wieder aufs Handy gucken darf. Mama hat mittlerweile so viele verschiedene Medien-Zeit-Regeln aufgestellt, dass wir eigentlich nie genau wissen, welche gerade aktuell gelten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir uns im Moment auf die ›Alle zehn Minuten eine kurze Interaktion‹-Vereinbarung geeinigt haben.

Als ich mein Smartphone aufnehme, höre ich Liv nebenan über ein YouTube-Video kichern und mich durchfährt ein Stich Eifersucht. Ist Liv inzwischen aus dem Regelbefolgungsalter herausgewachsen, oder was? Sie hängt ständig am Handy und fragt nicht mal mehr, ob sie drandarf! Sie muss auch abends das Licht nicht bis zu einer bestimmten Uhrzeit ausgemacht oder sich im Bad fertig gemacht haben. Also schon, aber macht sie halt nicht und Mama kann ja nicht gleichzeitig schlafen UND mit dem Schlaf-Zimmer-Ruhe-Handy-Chill-Zeiten-Zettel zur Kontrolle an ihrem Bett stehen. Und genauso rechtfertigt Mama ihre total unpädagogische und ungerechte Mach-halt-was-du-willst-Haltung in Bezug auf Liv auch noch, wenn ich sie drauf anspreche.

Aber das tue ich lieber nicht, zumindest nicht so oft. Denn soll ich dir sagen, was dann kommt? Du kennst das, wenn man sich als jüngeres Geschwisterkind beschwert, dass das ältere schon so viel darf und das total ungerecht und gemein ist, ich schwör’s dir, lautet die prompte Antwort vom Geschwisterkind (mit einem total empörten und zutiefst beleidigten Tonfall): »Als ich so alt war wie du, durfte ich noch GAR kein Handy haben / musste ich IMMER um acht das Licht ausmachen / durfte ich NIE GNTM gucken« und so weiter.

Und die deiner Mutter lautet: »Als (Name des Geschwisterkindes) so alt war wie du, hatte er / sie noch gar kein Handy / durfte nicht mal am Wochenende so lange aufbleiben wie du unter der Woche / durfte sich niemals so schwachsinnige Sachen im Fernsehen ODER AUF DEM TABLET ansehen!!!«

Zusammengefasst wollen sie beide sagen: BESCHWER dich nicht, du hast es auf alle Fälle besser als die / der Numero Uno. Na ja, ich will das jetzt mal so stehen lassen … Ein bisschen was Wahres ist schließlich dran. Auch wenn mir natürlich tausend Gegenbeispiele einfallen. Also hundert vielleicht.

Jedenfalls sehe ich, dass in unserer Klassengruppe schon wieder siebzehn Nachrichten eingegangen sind. Von den Jungs. Nur Smileys, Kackhaufen und Kotzgesichter. Das nervt. Typisch. So was ist doch keine Unterhaltung …

Ups, da fällt mir gerade ein, dass WhatsApp ja auch zu Mamas Gegenargumenten zählt. Ich bin nämlich bei WhatsApp, wie jeder in meiner Klasse (außer einem Mädchen, das darf nicht mal ein Smartphone haben und tut mir entsprechend leid!), obwohl WhatsApp erst ab 16 ist. Aber ich glaube, Mama denkt immer noch, das sei ab 13 Jahren erlaubt, und irgendwie konnte ich sie mit meinem »Ach komm schon, Mama, 12 ist das neue 13«-Spruch überraschend schnell überzeugen, dass WhatsApp okay geht. Sie findet es nämlich selbst ganz praktisch, dass wir eine Familiengruppe haben und wenn es ihrer Beruhigung dient, uns hinterherzustalken, dann bitte.

Ich scrolle ein wenig durch meine Videos und sehe mir noch mal mein Back-DIY von gestern an. Ich bin ziemlich zufrieden damit, die Schnitte passen perfekt auf den Takt des Songs im Hintergrund. Für die Aufnahme habe ich mein Smartphone mit Doppelklebeband an die Küchenlampe über dem Tisch geklebt – keine Ahnung, warum ich da noch nicht früher draufgekommen bin, denn für die letzten Videos habe ich fast länger gebraucht, um aus irgendwelchen Bücherstapeln, Notenständern oder Tischlampen ein Stativ zu basteln, als für die eigentlichen Aufnahmen. Ich muss allerdings zugeben, dass ich die ganze Zeit ziemlich Schiss hatte, dass mir das Handy in den Teig fällt, aber dieses Spiegelklebeband pappt wirklich wie verrückt. Ich hätte das Handy beinahe nicht mehr von der Lampe bekommen – es ist auch wirklich nur ein winziges Stückchen Lack vom Lampenschirm mit abgegangen … Jetzt weiß ich endlich, warum Mama mit der Rolle so geizig ist und wir ihre persönliche Genehmigung brauchen, wenn wir von DEM GUTEN DOPPELSEITIGEN ein Stück brauchen: wie sonst halten die vielen Spiegel in unserem Haus an den verrücktesten Stellen? Hatte ich erzählt, dass unser Haus ziemlich winzig ist? Aber mit geschickt platzierten Spiegeln kann man optisch das Doppelte an Fläche rausholen. Deswegen hängen sie überall, nein, kleben sie überall. Unser Bad zum Beispiel ist so winzig, dass man sich kaum drin umdrehen kann, aber mit den neun an die Kacheln geklebten Wandspiegeln wirkt es wie der reinste Wellnesspalast. Ganz nebenbei hat die Rundumverspiegelung auch den Vorteil, dass einem ohne große Verrenkungen ein Ganzkörpercheck gelingt, und der ist ja, gerade wenn man darauf wartet, endlich einen Busen zu bekommen, fast noch wichtiger als Zähneputzen. Und ich warte schon lang. Du weißt ja, 12 ist das neue 13, nur mein Körper scheint das nicht zu kapieren. Bei meinen Freundinnen klappt diese Haltung ohne Probleme. Bloß ich habe nicht mal den Hauch eines Hügels. Ins Freibad könnte ich locker nur in Bikinihose, oberkörpermäßig sehe ich aus wie ein Junge, während meine Freundin Polina schon einen BH trägt. Und da hilft Mamas Spruch ›Wo nix ist, kann später auch nix hängen‹, auch nicht gerade weiter. Besonders, weil ich anscheinend wirklich aus der Art geschlagen bin, Liv wächst und gedeiht nämlich in alle Richtungen, so schnell können wir gar keine BHs nachkaufen, wie sie neue Größen braucht, und ich habe nicht das Gefühl, dass ein Ende in Sicht ist.

Dass meine Pubertät aber doch irgendwie im Gange ist, lässt sich immerhin an meinen (spärlich) sprießenden Schamhaaren erkennen. Manchmal wächst wochenlang keins, dann sind plötzlich über Nacht drei dazugekommen. Tja, mit zwölf kannst du deinen Schamhaaren noch Namen geben … Vor Kurzem hatten wir einen Termin zur Jugenduntersuchung bei der Kinderärztin. Wie jedes Mal betrachtete sie mich mit gerunzelter Stirn, als ob sie mich zum ersten Mal sähe, dabei bin ich seit meiner Geburt bei ihr in Behandlung und zusätzlich dasjenige Kind, das immer den Kopf schüttelt, wenn sie einem nach der Untersuchung das Gummibärchenglas hinhält. Es gruselt mich schon beim Gedanken daran, wie viele Schnupfen-Husten-Windpocken-und-was-weiß-ich-alles-für-Viren- und-Bakterien-Hände da jeden Tag reinfassen!

Also, die Augen der Ärztin bohrten sich in mein T-Shirt und als sie dort nicht den Hauch einer Wölbung entdecken konnte, schob Mama den hilfreichen Satz: »Sie ist halt sehr sportlich« hinterher, als ob sie sich für meinen fehlenden Busen entschuldigen müsste. Das wollte Frau Dr. Dings, ich vergesse immer, wie sie heißt, aber nicht gelten lassen und ehe ich michs versah, hatte sie auch schon in meinen peinlichen Kätzchen-Schlüpfer gelinst, der seit ich neun bin einfach nicht zu klein wird, und ließ den Bund mit einem zufriedenen Nicken wieder an meinen Bauch zurück flitschen. Übersetzt hieß das wahrscheinlich so viel wie: Alles im grünen Bereich, solange es dort unten sprießt, kommt der Rest auch noch.

Ich starte mein Video, die Musik legt los und meine Stimme ertönt:

»Hi Leute, hier bin ich wieder, eure Matti von Amazing Jumping Cupcake, DEM Channel für Lifestyle, Süßes und …«

»Nicht schon wieder, ich hab das jetzt schon hundert Mal gehört!«, brüllt Liv herüber, gefolgt von einem dumpfen Schlag, als sie zur Betonung ihrer Genervtheit etwas an die Wand zwischen unseren Zimmern wirft.

Hastig stelle ich den Ton leiser.

»Ist ja guuut!«, rufe ich augenrollend.

»… heute zeige ich euch, wie man aus Puff Pastry etwas ganz Besonderes zaubert«, erkläre ich im Video weiter. »Alles, was ihr braucht, ist eine Rolle Blätterteig, Zimtzucker, Schokocreme, Marmelade oder Apfelmus, Schokolade, Käse und Schinken.« Jede neue Zutat erscheint wie von Zauberhand auf dem Küchentisch. Aaah, ich kann mich gar nicht dran sattsehen, die Schnitte sind mir dermaßen gut gelungen, bin echt impressed. Achtung, jetzt, rollt sich der Blätterteig unter magischem Glitzergefunkel von ganz alleine auf einem Blatt Backpapier aus. »Und, Leute, Puff Pastry hört sich doch schon gleich viel leckerer an als Blätterteig, oder?«, kommt meine Stimme fröhlich aus dem Off.

»Ich bin so dermaßen die Videokünstlerin«, murmele ich zufrieden und stelle mir vor, wie sich, pling, pling, mit jeder Sekunde, die das Video online ist, die Followerzahl meines Kanals ins Gigantische erhöht.

Video Time

»Als Erstes zeige ich euch das Windrad.

Bestreicht das Quadrat aus Teig dünn mit Schokocreme und schneidet den Teig dann an den Ecken ein. Jetzt klappt ihr die Ecken in die Mitte und drückt sie etwas fest.

Mit der nächsten Technik werden aus langweiligen Schnecken feine Cinnamon-Flowers.

Bestreut ein rechteckiges Stück mit reichlich Zimtzucker und rollt es dann zu einer Schnur zusammen. Daraus wird eine Schnecke gedreht. Legt zwei davon aneinander und drückt sie an den Seiten richtig kräftig zusammen. Noch mal die losen Enden befestigen, fertig.

Mein liebstes Muster ist der Strohstern.

Ich nenne es so, weil es mich an Weihnachtssterne erinnert. Es geht total einfach und sieht hinterher sensationell aus. Legt ein Stück Schokolade in die Mitte und schneidet von dort aus den Teig bis zum Rand ein, klappt die Seiten über die Schokolade und presst sie gut fest. Nun drückt ihr einfach die Ecken jedes Dreiecks für den Strohsterneffekt zusammen, wow, so speziell!

Und dann sieht man, hops, hops, hops die fertigen Blätterteigteile aufs Backblech wandern, wo sie noch ein paarmal um sich selbst kreiseln, bevor sie still liegen.

»Hab ich echt saugut hingekriegt«, lobe ich mich selbst. Hat zwar Stunden gedauert, aber das hat sich gelohnt.

Da geht es auch schon mit der nächsten Szene weiter:

»Als Nächstes zeige ich euch meinen Swiss-Cheese-Wrap, ihr werdet gleich sehen, warum er so heißt. Drückt mit einem Zahnpastatubendeckel oder einem Fingerhut aus der einen Hälfte von der quadratischen Teigplatte kleine Löcher heraus. Die andere Seite belegt ihr mit Käse, Schinkenstreifen oder Gemüse nach Wahl oder alles zusammen. Klappt den Wrap zu und versiegelt den Rand mit einer Gabel.

Als Letztes gibt es meine Candy-Roll, ein Bonbon aus Blätterteig.

Ihr könnt euer Candy mit Marmelade oder Apfelmus füllen. Oder einem Zettel mit einer kleinen Botschaft. Den Teig darüber einfach zusammenrollen und die Enden verzwirbeln. Fertig. Und ab damit in den Ofen.«