Das Buch

Irgendwo im Niemandsland ...

... vor der tschechischen Grenze, da wohnen sie – die wilden Kerle: Stammtischbrüder mit aus Granit gemeißelten Gesichtszügen, Großbauern mit fetten Ranzen und kurzer Lebenserwartung, kleine Neonazis und ihre väterlichen Freunde, vom Landleben gezeichnete Discoqueens mit messerscharfen Mundwerken.

Als im beschaulichen Grafenberg das neue Biogaskraftwerk explodiert und die zwei reichsten Bauern der Gegend tot im Wald liegen, wird Stefan Brandl, der Polizeibeamte der Gemeinde, aus dem Winterschlaf geweckt. Ehe er sichs versieht, steckt er mitten drin in einem trüben Sumpf aus Gewalt, Geldgier und politischen Interessen. Haben die Todesfälle etwas mit den Nationalen Bayerwaldlern zu tun? Oder gar mit dem tschechischen Bordellbesitzer, der große Pläne in der Region hat?

Brandl erlebt nun seine geliebte Heimat Bayerwald von einer ganz anderen Seite: dunkel, brutal und geheimnisvoll. Aber auch mit einem gerüttelt Maß an morbidem Humor.

Der Autor

Harry Kämmerer, geboren 1967, aufgewachsen in Passau, lebt mit seiner Familie in München. Verlagsredakteur mit Herz für Musik, Literatur und Kabarett.

Verfasser einer Dissertation zum Thema „Satire im 18. Jahrhundert“ und der kultigen Krimis Isartod, Die Schöne Münchnerin, Heiligenblut und Pressing.

Harry Kämmerer

Harte
Hunde

Kriminalroman

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Für Reini & Andi & Christian

 

Im Graf Verlag erschienen von Harry Kämmerer außerdem:

Isartod (2010, auch lieferbar als List Taschenbuch 61082)

Die Schöne Münchnerin (2011, List Taschenbuch 61158)

Heiligenblut (2013, List Taschenbuch 61212)

Pressing (2014, List Taschenbuch 61238)

 

ISBN 978-3-8437-1050-3

© 2013 by Ullstein Buchverlage, Berlin

Umschlaggestaltung: herzblut02 GmbH, München, nach einem Entwurf von Christian M. Weiß

Umschlagmotiv: © Roger Fritz

 

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E-Book: LVD GmbH, Berlin

How does Aspirin know where it hurts so much?
Cat Sun Flower

 

 

 

 

Bayerwald, oh, Bayerwald

Es zieht hier oft ein Lüftlein kalt

Über Berg und Feld und Wiese

Hier gibt’s Idylle und auch Krise

Malerische Flecken und sehr gern

Orte ohne jeden Kern

Hier ist vieles fett und grün

Vieles überhaupt nicht schön

Eternit und Resopal

Sind Standard, ganz normal

Wirtshaus und auch Straßenbild

Bundesstraße röhrt es wild

Wet-T-Shirt-Party – Großraumdisco

Versus prachtvoll Deckenfresko

Heilige in Goldbarock

Landkreisbeauty – Minirock

Bayerwald, oh, Bayerwald

Es zieht hier oft ein Lufthauch kalt

Über Berg und Feld und Wiese

Hier gibt’s das Gute und das Miese

Vieles anders, als man meint

Selbst wenn die Sonne noch so scheint

Täusch dich nicht, das Bayern hier

Ist trüber noch als Zwickl-Bier

Täusch dich nicht, das Bayern hier

Ist trüber noch als Zwickl-Bier

MATTERHORN

Hublsteiner rieb sich die Nase. Nase? Fünfschrötiger Zinken, erhaben wie das Matterhorn. Sie, er, es sog die Abendluft tief ein. Alles neu macht der Mai. Nein. Oktoberkühle, schwer und satt. Boohhhh. Krass. Der herbe Gestank der Gülle kroch zäh den Hang hinauf und umhüllte alles. Bouquet des Erfolgs. Wertvollster Rohstoff. Dort unten die Quelle des edlen Dufts, sein Schmuckstück, unter einer Kuppel aus Beton: die nagelneue Bio­gas­anlage Wiesbach. Kathedrale der Abgase. Wenn das Ding auf vollen Touren lief, genug Energie für die zweiundzwanzig Höfe von Wiesbach. In Zukunft auch für die Nachbargemeinde Wiesöd, wenn sich der Pramminger endlich auf den Deal einließ. Auf seinem Grund sollten weitere Sickergruben für eine zweite Gas­aufberei­tungs­anlage entstehen. Und irgendwann könnte man auch die gesamte Kreisstadt Grafenberg mit Biogas beglücken. Denn Kuhscheiße gab es hier im Übermaß.

Der Pramminger … Großbauer und Bauunternehmer – wie er selbst. Eigentlich hatte er ihn dick bis oben hin. Doch Konkurrenz sorgt manchmal für ungeahnte Allianzen. Wenn es darum ging, sich gegen Malming vorm Wald durchzusetzen, ließ Hublsteiner Fünfe grade sein. Der Bürgermeister von Malming wollte unbedingt selbst so eine Anlage. Und die damit verbundenen För­der­gelder der FOB. Future of Bavaria war das neueste Hightechkind der Bayerischen Staatsregierung. Fokus Grenzlandförderung. Selbstverständlich bemühten sich Hublsteiners Parteifreunde um die Sicherung der politischen Verhältnisse hier im östlichsten Winkel Bayerns. Einfaches Rezept: Arbeit, niedrige Gaspreise, glückliche Wähler. Für Hublsteiner persönlich bedeutete der Einstieg in die regio­nale Energieversorgung vor allem Macht und Profit. Da hatte Malming keine Chance. Trotz vorbildlicher Haus­halts­bilanz. Was man weder von Wiesbach noch von Wiesöd und von Grafenberg schon gar nicht behaupten konnte. Trotzdem hatte er den Zuschlag bekommen. Selber schuld, wenn Malming einen schwulen SPDler als Bürgermeister hatte. ›Da flutscht so ein Antrag beim Wirtschaftsministerium in München nicht so wirklich‹, dachte Hublsteiner zufrieden.

Heimatverbunden und zukunftsorientiert, das waren die Schlagworte, nach denen Hublsteiner sein Leben ausrichtete. Ohne Klischees. Mit dem Scheiß von »Laptop und Lederhose« hatte das nichts zu tun. Er war jemand, der zupackte und meistens Blaumann trug. Mit dem Computer hatten maximal seine Kinder gespielt, als sie noch zu Hause wohnten. Jetzt waren sie längst in München. Hublsteiner war Businessman. »Business« bedeutete hier vor allem Geschäfte auf dem Nährboden von Beziehungen. So hatte es sich zum Beispiel bereits mehrfach ausgezahlt, dass er dem Grafenberger Bürgermeister Wagner die Scheune gebaut hatte. Zu einem Superpreis, mit Leiharbeitern aus Rumänien. Ein Wahnsinn, was die für fünf Euro die Stunde stemmten! Na ja, dass der eine vom Dachstuhl gefallen war und sich das Genick gebrochen hatte, war schon blöd gewesen. Aber in der Jauchegrube auf seinem Hof lag der sehr gut, und bald würde nichts von ihm übrig sein. Die Scheiße war ja so was von aggressiv. Ja, wozu die alles gut war, sauber! ›Supersache. Läuft!‹, dachte Hublsteiner und sah auf die Uhr. Ein bisschen Zeit war noch.

ZÄRTLICH

Pramminger rieb sich nicht die Nase, sondern die dicke Wampe. Machte sich ein weiteres Bier auf. Schnaps wäre eigentlich angebrachter in dieser kühlen Herbstnacht. Aber es ging nichts über eine frische Halbe Waidla-Bräu. Das rustikale Etikett mit dem biertrinkenden Wolpertinger war in der Dunkelheit nicht zu sehen. Pramminger wusste auch so, wie es aussah – war schließlich seine Marketingidee gewesen. Ah, er liebte den scharfen Stich des Bockbiers. Prammingers Atem stieg in weißen Wolken auf. Er spähte vom Hochsitz auf die Lichtung. Märchenhaft, das mondbeschienene hohe Gras, die Schattenrisse der Fichten. Aber er hatte keinen rechten Blick dafür. Er war schlecht gelaunt. Wie immer, wenn ein anderer und nicht er ein gutes Geschäft machte. Heute hatte der Hubl­steiner die Biogasanlage in Betrieb genommen, und offenbar lief sie fehlerfrei. Mal sehen, wie lange noch. Er lachte und rülpste. Aber ihm war nicht zum Lachen. Das alles stank ihm gewaltig. Sogar einige Bauern aus Wiesöd lieferten ihre Gülle bei Hublsteiner an. ›Ich schwimm in einem Riesenmeer aus Scheiße – und hab meine Schwimmflügel vergessen.‹ So kam sich Pramminger vor. Vielleicht sollte er doch auf den Deal mit dem Hublsteiner eingehen? Er brauchte den Grund nicht wirklich. Dann würde er mitverdienen. Gas aus Scheiße – wirklich ausbaufähig! Trotzdem – jeder würde wissen, dass Hublsteiner die Ge­schäfts­idee gehabt hatte. Das war gegen seine Ehre … Und dann müsste er auch seine Aktion abblasen. Nein, er wünschte dem Hublsteiner die Pest auf den Hals.

Er hatte gehofft, auf der Pirsch zumindest ein bisschen abschalten zu können. Von wegen. Wenn ihm jetzt wenigstens ein ordentlicher Bock vor die Flinte laufen würde! Der Mond stand inzwischen so hoch, dass die ganze Lichtung beschienen war. Wie ein Fußballplatz im Flutlicht. Pramminger musste an seine Fußballkarriere beim FC Wiesbach 1908 denken. Er mit dem Hublsteiner zusammen in einer Mannschaft. Da noch Herz und Seele. In der Schule sogar nebeneinander gehockt. Es raschelte im Unterholz. Pramminger griff zum Fernglas und suchte die Lichtung ab. Zweige knackten. Pramminger legte das Gewehr an. Starrte durchs Zielfernrohr. Da trat er aus dem Dunkel heraus. Ein großer … nein, kein Bock, das war … Erst war sich der Pramminger nicht sicher, doch, ja, die Nase. Der Hublsteiner! Was machte der hier, mitten in der Nacht! Hublsteiner stand auf der Lichtung und wartete. Auf wen, auf was? Auf ihn etwa? Er wusste, dass das hier sein Revier war. Pramminger berührte zärtlich den Abzug seines Gewehrs. Er würde sagen: »Ein Jagdunfall, sehr tragisch. Es war so dunkel …«

Der Schuss zerriss die Stille.

Pramminger schockstarr. Hatte nicht abgedrückt. Im Gegenteil – war instinktiv hinter die Brüstung getaucht.

Nach einiger Bedenkzeit wagte er einen Blick. Auf der Lichtung lag der Hublsteiner, sauber niedergestreckt. ›Es trifft immer die Richtigen‹, dachte Pramminger schadenfroh. Kurz. Sehr kurz nur. Dann ergriff ihn die Angst. Was, wenn der Schütze merkte, dass es einen Zeugen gab? In dem Moment jodelte sein Handy. Rechte Hand panisch in die Tasche. Aus.

Nichts passierte. Pramminger wartete. Als er nach einer endlos langen Minute den Kopf hob, um über die Brüstung zu spähen, hörte er den Knall, und die Kugel zerfetzte ihm die Stirn, riss ihn hoch und schleuderte ihn auf die Bank zurück. Blattschuss.

›Es trifft immer die Richtigen‹, würde sich der Hubl­steiner jetzt ebenfalls denken. Wenn er noch denken könnte. Aber er hatte die letzte Reise ja schon vor Pramminger angetreten. Vielleicht trafen sich die beiden jetzt beim Boandlkramer, wo sie ein Bier trinken konnten, um die glorreiche gemeinsame Vergangenheit aufleben zu lassen. Damals, als Pramminger Mittelstürmer beim FC Wiesbach 1908 war. Und der Hublsteiner Innenverteidiger. Die großen Erfolge. Wie sie Malming im Abstiegskampf aus der Kreisliga geschossen hatten. Elfer. Letzte Spielminute. Voll auf den Mann. Pramminger hatte dem Reisinger, dem besten Torwart weit und breit, mit voller Wucht in die Eier getroffen. Reisinger hatte die Arme hochgerissen, der hohe Ball hatte einen sonderbaren Spin nach unten gemacht und war samt Torwart ins Netz geknallt. Tosender Jubel bei 08. Eisspray bei Malming. Der Reisinger musste tagelang Kühlpads in der Unterhose tragen. Ja, an solch gloriose Geschichten könnten sie sich gemeinsam erinnern. Bei einem Bier. Im Jenseits. Und einfach all den Ärger runterspülen. Ach, die Geschichte mit der Biogasanlage – drauf gschissn!

LETZTE RUNDE

Im Wirtshaus Zur Post brachte der Wirt die letzte Runde an den Stammtisch. Dort Querschnitt bayerischer Dickschädeligkeit in Zinnoberrot, hochglänzend. Korrekter Artikulation kaum mehr mächtig, raunzte und rülpste es wie dicker Eintopf auf der Herdplatte, die man vergessen hatte abzuschalten. Die üblichen Grafenberger Verdächtigen: Hendlzüchter Hallhuber, die Groß­bauern Hintermaier, Gschwendtner und Bronner, Land­maschinen­händler Fachinger, Baulöwe Rottmann und der örtliche Polizeichef Meisel. 600 Kilo rotes, haariges Fleisch. Alkohol­imprägniert und mit festen Grundsätzen. Harte Hunde.

»Der Hublsteiner hat doch den Arsch offen, die dumme Sau!«

»Jetzt soll ma dem Zipfel sein Gas kaufen?«

»Eher kauf ich im Baumarkt eine Kartuschn, bevor ich dem sein Scheißgas kauf.«

»Meinst du, mei Frau kocht mit de Schörs von dem seine Kühe? Echt ned.«

»Den machma fertig.«

»Aber so was von!«

»Und ich sag dir eins: Der Pramminger macht da a mit!«

»A geh Schmarrn!«

»Die zwoa Deppen. Wenn’s ums Geld geht, halt’n selbst di zam.«

»Die bledn Zipfel!«

»Geh, Leit, jetzt wartet’s halt erst mal ab!«, versuchte Meisel seine echauffierten Spezln einzubremsen. Was ihm nicht gelang. Alle redeten wild durcheinander. Niemand war erfreut über den Umstand, dass sie in Zukunft ihr Gas vom Hublsteiner und vielleicht auch vom Pramminger kaufen sollten. Selbst wenn es zweifelsfrei billiger war als vom Grafenberger Versorger BayGas. Sparen war das eine, doch Missgunst das andere. Sie gönnten dem Hublsteiner das Geschäft nicht. Dem Pramminger auch nicht. Wenn es jemand nicht verdient hatte, dann die geldgierigen Säcke. Da bestand Konsens.

Eigentlich war die ganze Aufregung umsonst, weilten doch beide nicht mehr unter den Lebenden. Aber das wussten die Stammtischbrüder noch nicht, als sie lautstark aus dem Wirtshaus stolperten, um röhrend in die Nacht zu verschwinden.

ASPIRIN

Stefan Brandl erwachte mit schwerem Kopfweh. Mit vierunddreißig sollte man keine Undergrounddisco im Bayerischen Wald mehr betreiben und auch nicht in einer Metal-HipHop-Band spielen. Und tagsüber Polizist sein. Früher war das wunderbar nebeneinander gelaufen. Da konnte er acht Halbe an einem Discoabend trinken und morgens topfit im Büro auflaufen. Heute brummte ihm der Schädel bereits nach vier Halben, und er musste morgens drei Aspirin einwerfen. Die Frauen lagen ihm auch nicht mehr zu Füßen wie Anno Domini. Früher war er die beste Partie weit und breit – zumindest für eine Nacht. »A Hund is er scho!«, raunten die Männer. Solange es nicht die eigene Frau war oder gar die Tochter, mit der sich Brandl vergnügte. Aber seit er die Mitte Dreißig überschritten hatte, war es nicht mehr das Gleiche. Leichtigkeit adé. Der Lack blätterte gewaltig. Manchmal fühlte er sich einfach nur wahnsinnig müde. Er besah sich den nackten Frauenrücken in seinem Bett. Mattrosa erleuchtet vom ersten Tageslicht. Kannte er die Frau? Nicht, dass er wüsste. Das Tattoo über dem Arsch zeigte einen Mississippi-Schaufelraddampfer. Gut gemacht, sehr detailreich.

Lautlos stieg er aus dem Bett und tappte auf das Kondom, das ein schlurpsendes Geräusch von sich gab. Uah. Er hob es auf und tippelte über den kalten Stein­boden in die Küche. Mülleimer. Stöhnte leise. Ihm tat alles weh. Schwanz dick wie eine Lyoner, rot glühend wie eine Pfefferbeißer. Keine Erinnerung, was gestern alles gelaufen war. Wahrscheinlich besser so. Küche wie Müllhalde. Überall schmutziges Geschirr. Er lud die Es­presso­maschine und stellte sie auf die Herdplatte. Im Flur Klamotten. Er betrachtete skeptisch einen G-String mit Hello Kitty. Seiner war das nicht. Er nahm die Sachen mit ins Bad.

Als er in der Dusche unter dem heißen Wasserstrahl stand, dachte er über sein Leben nach. So konnte es nicht weitergehen. Nachts der Traum von ewiger Jugend in der eigenen Disco, tagsüber der freundliche Beamte in der Polizeidienststelle Grafenberg. Und im Bett eine Lady, von der er nicht mehr als den Rücken sehen wollte. Er zog seine alten Sachen noch mal an, stürzte den Kaffee runter und schlich aus dem Haus. Schwang sich auf seine Kawasaki 900 Turbo, das heißeste Bike des Bayerwalds. Na ja, einstmals. Er hatte das Teil mit achtzehn gekauft und hielt ihm bis heute die Treue. Das Ding machte immer noch zweihundertvierzig Sachen, ansonsten röhrender Spritfresser, dessen Turbolader nach Lust und Laune einsetzte und für so manch überraschende Momente im Straßenverkehr sorgte. Aber Brandl hing an seiner Kawa. War aus der Zeit gefallen – wie er selbst. WROOAAAARRRR!

UFO

Die Explosion war infernalisch. Das Spannbetondach hob sich wie ein Topfdeckel. All die braune Soße wurde in den milchweißen Morgenhimmel gepeitscht. Die Häuser in direkter Nachbarschaft des Biokraftwerks wurden von einem zähen braunen Sprühnebel überzogen. Furcht­erregen­der Gestank drang in alle Ritzen des Herbstmorgens. Die Gruberin, die gerade Wäsche aufhängte, wischte sich den braunen Film aus dem Gesicht und schenkte ihrer ehedem weißen Bettwäsche einen Blick tiefer Ver­zweiflung.

»Was is ’n passiert!?«, rief ihr Mann, der aus dem Schweinestall gelaufen kam.

»A Ufo. Notlandung in der Güllegruam!«

»A geh?« Der Gruber sah irritiert zum Misthaufen.

»Na, des Biodings is explodiert.«

Ein breites Grinsen fräste sich in Grubers Gesicht. »Heilige Scheiße. Wird der Hublsteiner doch ned graucht ham in der Anlage …«

Schon erklang die Sirene der Freiwilligen Feuerwehr Wiesbach. Gruber schickte sich an, zum Spritzenhaus zu kommen. Schließlich war er der Fahrer des Löschwagens.

KNÖCHELTIEF

Die Feuerwehr konnte nicht mehr viel tun. Die Explosion hatte das große Betonbehältnis komplett zerstört. Die Kuhscheiße stand auf den Wiesen knöcheltief. Mit Atemschutzgeräten wagten sich zwei Feuerwehrleute in das Innere der Ruine, um nachzusehen, ob dort eine Person zu Schaden gekommen war – am Ende gar der Hublsteiner selbst. Aber nichts. Kein Mensch. Dafür die Reste eines stählernen Druckbehälters. Offenbar hatte jemand hier eine Bombe hochgehen lassen. Kein Fall für die Feuerwehr, sondern für die Polizei.

Diese war gerade ganz in der Nähe, aber anderweitig beschäftigt – in Person von Stefan Brandl. Die Ehefrauen der Herren Pramminger und Hublsteiner hatten morgens bei der Polizei angerufen – fast konzertierte Aktion –, weil sie ihre Männer vermissten. Nicht im emotionalen Sinne. Rein physisch. Nachdem sie die ganze Nacht nicht heimgekommen waren, machten sich die Damen jetzt doch Sorgen. Sie vermuteten ihre Gatten im FicFac, dem Großraumpuff bei Strážný kurz hinter der Grenze in Tschechien – Konkurrenz hin oder her. Hublsteiner machte aus seinen tschechischen Lustreisen schon lange kein Geheimnis mehr. Was hatte er zu seiner Frau gesagt, als das Blitzfoto von der tschechischen Polizei gekommen war – mit einer Lederlady auf dem Beifahrersitz? »Des war a Anhalterin. Weißt, da musst du schon aufpassen. Ned, dass dene was passiert. Die Straßen san ja voll mit dene ganzen ausg’fotzten Nutten, des is gefährlich, wenn du da so allein in der Pampas rumstehst.« Auf gut Deutsch: Er schiss sich gar nix. Der Pramminger hingegen sagte zu seiner Frau immer: »Geh Mausi, weißt eh: I schau doch bloß a bisserl.«

Jedenfalls waren die Gatten am frühen Vormittag noch immer nicht heimgekehrt. Brandl kümmerte sich. Die tschechischen Kollegen hatte er bereits angerufen. Ergebnislos. Jetzt sah er sich ein bisschen in der Gegend um. Der Pramminger hatte ein paar Hektar Forst, wo er gelegent­lich auf die Pirsch ging. Vielleicht war er ja dort.

Inzwischen stand die Herbstsonne fett am Himmel und brachte die Schönheit des Bayerischen Waldes zum Leuchten: das satte Grün der Wiesen und der Nadelbäume, das Farbenspiel der Laubbäume, das silberne Band der Bundesstraße. Rage against the Machine dröhnte aus der Stereoanlage des altersschwachen Dienstgolfs, als Brandl über die gut ausgebaute Straße kurvte, die Augen lose auf den Straßenrand gerichtet, rechts und links. Schließlich sah er tatsächlich Prammingers Mercedes in einer Parkbucht. Bei seinem Forst. Also doch auf der Jagd. Immer noch? Da war auch Hublsteiners BMW X5. Aha. Romantisches Stelldichein? Nach außen Kontrahenten und dann Schulter an Schulter auf der Pirsch?

Brandl stieg aus dem Wagen und streckte die Glieder. Er musste bieseln. Sein goldener Strahl schoss dampfend ins Gebüsch. Er stutzte. »Ja, was hamma denn da?« Er zog den Reißverschluss hoch und ging in die Hocke. Fasziniert betrachtet er die Gruppe stattlicher Steinpilze, jetzt leider frisch geduscht. ›Wo ein paar sind, sind bestimmt noch mehr‹, dachte er fröhlich. Tatsache. Manchmal gab es Tage, da war einem das Glück hold. Er sah immer wieder Steinpilze am Wegesrand, sodass seine Mütze bald nicht mehr ausreichte, um die kostbaren Pilze zu beherbergen. Er stopfte sich die Taschen seiner Jacke voll.

Auf der Lichtung stand letzter Bodennebel noch über hohem Gras, mystisch erleuchtet von der Sonne. Brandl ging zu dem Jägersitz. Ein Tropfen fiel auf sein Haar. Er sah in den Himmel. Keine Wolke. Noch ein Tropfen. Diesmal auf die Wange. Als er ihn wegwischte, merkte er, dass der Regen rot war. Entsetzt blickte er zum Hochsitz hinauf. Trat einen Schritt zur Seite. Der Boden quatschte. Vollgesogen wie ein Schwamm. Brandl brauchte nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was das war. BLUT.

Brandl stieg die Leiter hoch. Volltreffer. Auf dem Hochsitz: der Pramminger – in eleganter Jagdmontur lässig zurückgelehnt auf der Bank, kühler Zug im erstaunten Gesicht. Kein Wunder, denn ein Teil der Stirn und die hintere Partie seines Kopfes fehlten. Weggeknallt. Prammingers letzte Gedanken klebten am Stamm der nächsten Fichte. Eintopf für einen Fliegenschwarm und ein Batail­lon Ameisen.

Prammingers Gewehr am Boden des Hochsitzes. Selbstmord? Brandl roch am Lauf der Flinte. Nein. Er blickte hinab. Woher mochte der Schuss gekommen sein? Jetzt sah er den zweiten Vermissten, dahingestreckt im grünen Moos. Brandl war sich instinktiv sicher, dass es nur der Hublsteiner sein konnte. »Na, sauber, a Jagd­unfall ist des ned«, murmelte er und wählte die Nummer seiner Dienststelle, um Verstärkung anzufordern, beziehungsweise die zuständige Mordkommission aus Straubing. Auf den Schreck erst mal eine Zigarette. Er steckte sie an, rauchte, dachte nach. Was Pramminger mit gedankenverlorenem Blick tolerierte. Als Brandl fertig war, stieg er vom Hochsitz und ging zum Hublsteiner, sah auch ihm ins Gesicht. Was davon übrig war. Schlachtplatte. Ebenfalls Kopfschuss. Hier keine Waffe. Und keine Jagdkleidung, sondern wie meistens Janker an Blaumann. Brandl zog die Lederhandschuhe an und holte den dicken Geldbeutel aus Hublsteiners Brusttasche. Prall gefüllt mit Fünfzig-Euro-Scheinen. Er nahm sich fünf – was mit den Handschuhen nicht so einfach war – und steckte den Geldbeutel zurück. »Weil du die Geburtstagsparty in meiner Disco immer noch nicht bezahlt hast, alter Geizkragen.« Hublsteiner ließ ihn gütig gewähren. Brandl hatte nicht den Hauch eines schlechten Gewissens. Das wilde Fest zu Hublsteiners fünfzigstem Geburtstag. Zuckende Leiber zu grauen­voller Musik. YMCA, Major Tom und der ganze Dreck. Live is Life. Ja, so schnell war’s vorbei. Hatten sie gleichzeitig abgedrückt? Ein Duell? Aber wo war Hublsteiners Waffe? Nichts. Und Prammingers Gewehr war nicht abgefeuert worden. War der Pramminger erschossen worden, weil er Zeuge von Hublsteiners Tod auf der Lichtung geworden war? Oder umgekehrt? Fragen über Fragen. Brandl stiefelte vorsichtig durchs Unterholz. Er sah zum Hochsitz und drehte sich um. Da hinten, der gefällte Baum wäre ein geeignetes Versteck. Knapp fünfzig Meter. Um so genau zu treffen, musste man ein guter Schütze sein. Natürlich dachte Brandl gleich an den Schützenverein und daran, wer sich mit einem der Herren in der Wolle hatte. Aber schwierig, warum mit beiden? Die waren Todfeinde, und hier in der Region standen die einen auf Hublsteiners Seite und die anderen auf Prammingers. Ja klar, die Gerüchte um die Kooperation bei dem Biogas. Da war keiner begeistert. Aber deswegen schoss man doch nicht … Im Gras blitzte etwas: Patronenhülse. Brandl war schon versucht, sie aufzuheben. Aber nein! Er war hier nicht der ermittelnde Beamte. Das sollten die Profis machen.

Jetzt kam sein Chef Meisel samt Gefolge den Waldweg entlang. Er hielt seine Dienstmütze in der Hand und zeigte strahlend seine Beute: »Steinpilze, direkt beim Parkplatz vorne.« Er steckte die Nase in die Mütze und schnuffelte. »Mmh! Und noch feucht vom Morgentau.«

Brandl deutete zu Hublsteiner. »Wie hingerichtet. Großkalibrige Waffe. Der Pramminger ist am Hochsitz. Da drüben bei dem Baumstamm liegt eine Geschosshülse.«

»Du hast nichts angefasst?«

»Natürlich nicht.«

»Gut so. Die Kollegen aus Straubing sind in einer knappen Stunde hier. Schauen wir uns schon mal um.«

Meisel marschierte durch das kniehohe Gras, Blick starr auf den Boden gerichtet. Plötzlich stutzte er. Zwischen den Halmen schimmerte es metallisch. Er zog die Latexhandschuhe an und griff vorsichtig nach dem Gegenstand. Pistole! Mit spitzen Fingern hob er sie hoch. Ungeschickt. Sie entglitt ihm, und er konnte sie gerade noch packen. BUMMM! »I shoot you, dirty Mother­fuggas!!!«, gellte eine verzerrte Stimme – aus der Waffe. Brandl hob den Kopf und sah in Meisels dämliches Gesicht. Eine Spielzeugwaffe mit einem Soundchip. Meisel grinste verwirrt und drückte noch mal ab. BUMMM! »I shoot you, dirty Mother­fuggas!!!«

Die beiden Streifenpolizisten warfen sich wieder ins Gras.

»Interessant«, meinte Meisel und reichte Brandl die Waffe.

»Ja, vielleicht ist das die Tatwaffe«, sagte Brandl ­ergeben.

»Wir müssen jeder noch so kleinen Spur nachgehen«, murmelte Meisel und suchte weiter den Boden ab. »Mit dem Äußersten rechnen, in das Gehirn des Täters hineinkriechen, seine Gedanken lesen, sie voraussehen …«

KONTRASTREICH

Bald flatterten lustige Kunststoffbändchen im frischen Bayerwaldwind, und Gestalten in weißen Schutz­anzügen stolzierten durchs Gelände. ›Wie bei ’nem Atomunfall‹, dachte Brandl und wartete pflichtschuldigst am Rand des Geschehens, bis seine Meinung gefragt war. Jetzt kam Meisel auf ihn zu, im Schlepptau die beiden ermittelnden Beamten. »Brandl, das sind die Frau Röhrl und der Herr Janucek aus Straubing, beides Hauptkommissare. Du unterstützt die Straubinger bei allem, was sie brauchen, ist das klar?«

Hauptkommissarin Röhrl war eine wahrhaft große Frau in Blond, eine Bavaria, bestimmt eins neunzig. Janucek sah aus wie Helmut Qualtinger in jungen Jahren. Verwegener Typ. Größenmäßig guter Durchschnitt, so eins achtzig, wie Brandl. Frau Röhrl war die Tonangebende: »Servus, I bin die Michi. Ich schlag vor: Jagdunfall. Und wir legen das zu den Akten.«

»Akten sind mein Spezialgebiet. Ich bin der Stefan, und da bin i dahoam. Normalerweise gibt’s bei uns bloß Tote, wenn sich einer auf der B12 derrennt.«

»Schön habt ihr’s hier«, sagte Janucek, »ich bin der Rudi, servus. Besprechung im Wirtshaus. Habt’s ihr so was?«

»Wenn’s ned mit der Güllegrube explodiert ist, gibt’s auch ein Wirtshaus.«

»Was ist explodiert?«

»Unsere neue Biogasanlage. Ein Sprengsatz. Heut morgen. Vielleicht gibt’s da einen Zusammenhang, also mit den beiden Toten …«

»Aha …« Rudi kräuselte die Stirn.

»Dem einen gehört die Anlage.«

Der Rechtsmediziner rief Röhrl und Janucek zu sich. Brandl zog sich hinter die Absperrbänder zurück, um eine zu rauchen. Blick über die Lichtung. Irgendwas war komisch hier. Was nur? Das halbhohe Gras, die vielen kleinen rosa Blumen, die den Waldboden bedeckten, die Spinnweben, die Tautropfen, die im Sonnenlicht glitzerten. Echt schön hier im Bayerwald. Alles so friedlich, wenn man die Leichen und die vielen Polizisten abzog. Aber irgendwas stimmte nicht. Ihm war vorhin was aufgefallen. Auf dem Hochsitz. »Hey, runter da!«, stoppte ihn einer der Männer von der Spurensicherung, als er auf den Jägerstand steigen wollte. Widerwillig stieg Brandl wieder runter. Sah sich um. Kein weiterer Hochsitz.

»Brandl, was wird des, bist du wahnsinnig?«, rief Meisel und hielt ihn am Bein fest, als Brandl eine Fichte hochkletterte.

»Lass meine Haxn los!«, zischte Brandl.

»Spinnst du? Wie schaut denn des aus, vor de Straubinger? Wo samma denn?«

»Bei de Waidler. Jetzt lass mein Bein los, sofort!«

»Ich bin dein Vorgesetzter.«

»Ich ermittle«, sagte Brandl und kletterte weiter. Dann stieß er einen Pfiff aus.

»Was ist da oben?«, fragte Meisel, jetzt doch neugierig.

»Hol mal die Kollegen«, rief Brandl.

»Den Teufel tu ich. Was ist da oben?«

»Hier oben ist nix, aber da unten!«

Da unten war was, Tatsache, und eigentlich war es nicht zu übersehen. Zumindest, wenn man von oben draufschaute. Vorhin im Morgendunst nur schemenhaft zu erkennen, jetzt aber scharf und in voller Blüte. Sehr kontrastreich. Die fliederfarbene Erika ergab von oben ein riesiges Hakenkreuz, wie auch Röhrl und Janucek feststellten, nachdem sie auf den Hochsitz gestiegen waren.

»Respekt«, meinte Janucek, »Auf die Idee muss man erst mal kommen.«

»Ja, meine Männer sind hervorragend ausgebildet«, pflichtete ihm Meisel bei.

»Und, meinen Sie, wir haben es hier mit einer Straftat mit Neonazi-Hintergrund zu tun?«, wandte sich Janucek an Meisel. Der zuckte mit den Achseln. »Gibt es hier einen Flugplatz?«, fragte Janucek. »Denn wenn jemand Freude an so was hat, muss er es ja von oben sehen.«

»Das kann man doch vom Hochsitz.«

»Ein recht singuläres Vergnügen. Nazis sind eher so Gruppendynamiker.«

»In Meierhofen gibt es einen kleinen Sportflugplatz.«

»Und, kennen Sie jemand von den Sportfliegern?«

»Hm, ja, der Vorsitzende ist der Bürgermeister von Grafenberg. Der Wagner Hans.«

FRANZ-JOSEF

Das Büro des Bürgermeisters von Grafenberg war kon­gruent mit der Wohnstube von Hans Wagners Bauernhof. Inneneinrichtung niederschmetternd, Halali aus Eiche rus­ti­kal mit Hirschgeweihen an vergilbten Rau­putz­wänden in einem Raum fast ohne Licht. Wagners zwei halbwüchsige Töchter lümmelten in kurzen Lolitaröcken vor dem Fernseher und sahen Bavaria’s Next Dirndl Explosion oder irgendeine Castingshow. Überall Zeitschriften und Pizzakartons. Man sah, dass hier die Frau fehlte.

»Schaut des aus, als wohnt da a Frau?«, raunzte der in Gummistiefeln und Parka gewandete Wagner.

Brandl musterte ihn. Der einst stolze Wagner Hans, der seit einer gefühlten Ewigkeit in Grafenberg Bürgermeister war, der sich immer trachtenmäßig korrekt gekleidet hatte, jetzt nur noch ein Schatten seiner selbst. Seit dem Tod seiner Frau vor einem halben Jahr war Wagners volles schwarzes Haar komplett weiß geworden. Gesicht aufgeschwemmt. Rest auch. Zu viel Schnaps und Bier. Kein Wunder bei dem Schicksalsschlag. Und dann die beiden Grazien am Hals. Im Ort sprach man hinter vorgehaltener Hand von den »Mininutten«. Was nicht ganz von der Hand zu weisen war – zumindest optisch. Wagner war jedenfalls ein gebrochener Mann und Vater.

»Sagen Sie, Herr Wagner, haben Sie schon von den Todes­fällen im Wald gehört?«, fragte Michi.

»Der ganze Ort spricht von nix anderm.«

»Wie standen Sie zu den beiden Herren?«

»Wie man zu zwei so Platzhirschen steht. Man arrangiert sich. Die beiden konnten sich nicht riechen, aber auf kommunaler Ebene hat es gepasst. Wiesöd und Wiesbach sind die beiden größten Ortsteile von Grafenberg.«

»Und das mit der Biogasanlage?«, fragte Brandl.

»Das hat dem Pramminger natürlich brutal gestunken. Die hätt er selbst gern gehabt. Aber wenn der Hublsteiner so gute Verbindungen zur Regierung hat …«

»Wie schaut’s denn mit Ihrem Alibi aus?«

»Für wann?«

»Letzte Nacht. Für den Mord am Hublsteiner und Pramminger.«

»Ah, geh! Als Bürgermeister bring ich zwei so wichtige Leute um? Die einen Haufen Steuern zahlen. Warum sollte ich das machen?«

»Das wissen wir doch nicht. Also, Ihr Alibi?«

»Ich war daheim. Meine Töchter wollen was zum Abendessen, die müssen ins Bett. Und später bin ich selber schlafen gegangen.«

Nächste Frage von Michaela: »Haben Sie hier in der Gegend ein Problem mit Nazis?«

»Was soll des heißen?«

»Wie stehen Sie zu rechtem Gedankengut?«

»Rechts der CSU darf es keine Partei geben.«

»Das wollte ich hören. Lebt Franz-Josef Strauß noch?«

»Mir san ned im Himmel, mir san im Bayerwald. Aber logisch, ihr seid’s aus Oberbayern. München, ha?« Er musterte Michaela abschätzig.

»Obacht, mia san aus Straubing!«

»Es ist Folgendes«, sagte Janucek vermittelnd, »am Ort, wo die beiden Leichen gefunden wurden, gibt es ein Nazisymbol. Ein Hakenkreuz aus Erika.«

»Welche Erika?«

»Die Pflanze, Bodendecker.«

Hans Wagner lachte. »Und jetzt denken Sie …?«

»Wir denken nicht, wir fragen. Also, gibt’s hier in der Gegend Probleme mit Neonazis?«

Wagner schüttelte den Kopf. »Nein, hier ist die Welt noch in Ordnung.«

»Aha, und wer war der kreative Gärtner?«

MASSARBEIT

Brandl hatte nichts dagegen, den Fremdenführer für die beiden Straubinger zu geben, kam er doch so in den Genuss, seine bayerische Heimat mal von oben zu sehen. Furchtlos musste man schon sein, denn Wagner steuerte seine Cessna wie einen Traktor – ruppig. Nach einigen magen­erschüt­tern­den Luftlöchern erreichten sie eine kommode Flughöhe, die einen wahrhaft zauberhaften Ausblick auf den Bayerischen Wald und den angrenzenden Böhmerwald bot. Dunkelgrün und Herbstlaub in bunten Farben und die leuchtende Sonne am Himmel sorgten für heitere Betriebsausflugsatmosphäre. »Ja, wenn man das so sieht«, sagte Brandl, »möchte man glatt in die CSU
eintreten.«

»So schaust du aus«, brummte Wagner. »Wo is jetzt euer Hakenkreuz?«

»Die Lichtung ist in der Nähe vom Bachinger Weiher.«

Abrupt riss Wagner das Steuer herum, und die drei Polizisten klammerten sich angstvoll an die Vordersitze und ans Armaturenbrett.

Wie ein glitzerndes Auge lag der Bachinger See zwischen den Baumwipfeln. Jetzt kam auch die Lichtung in Sichtweite. In strahlendem Lila war das Hakenkreuz zu sehen. »Öha«, sagte Wagner und musste lachen. »Die Farbe dad unserm schwulen Sozi gfalln.«

»Schwule oder Nazisymbole – da ist nix lustig dran«, sagte Janucek.

Wagner überlegte ein wenig, dann sagte er: »’tschuldigung. Was machen wir jetzt?«

»Noch eine Runde drehen. Schauen, ob es noch mehr Kreuze gibt. Und Sie haben das noch nie gesehen?«

»Nein, das ist schon ziemlich nah an der tschechischen Grenze. Normalerweise fliegt man von hier in Richtung Passau und Vilshofen oder nach Straubing.«

»Da unten ist noch ein Kreuz!«, rief Michaela.

»Und da noch eins«, sagte Janucek und deutete nach rechts. »Ich glaub, ihr habt’s sehr wohl ein Problem. Des schaut eindeutig so aus, als gibt’s bei euch mehr als einen Nazi­gärtner.«

In diesem Moment spotzte der Motor. »Mist«, brummte Wagner, »ich hab vergessen zu tanken.«

»Und jetzt?«, fragte Brandl. »Die paar Meter kommen wir doch zurück?«

Wagner schüttelte den Kopf. »Koa Chance. Wir sind fast leer losgeflogen. Aber keine Panik, die Kiste hab ich noch immer runtergebracht. Seht’s ihr die B12 irgendwo?«

»Sie wollen nicht auf der Bundesstraße landen?!«

»Habt’s ihr eine bessere Idee?« Der Motor spotzte noch ein paar Mal, dann setzte er komplett aus. Es wurde totenstill in der Kabine – von Seiten der Besatzung, die Windgeräusche waren ohne den Motorsound laut und schneidend. Von einer Straße war weit und breit nichts zu sehen. Bald würden sie die Baum­wipfel streifen. Keine hundert Meter mehr. Plötzlich war sie da, die Zufahrt zu dem Einödhof. »Des schaff ma nie!«, stöhnte Brandl. Wagner peilte die Straße an. Nur noch zehn Meter über dem Boden. Bumm! Die Räder schlugen hart auf, Wagner hatte genau die schmale Straße getroffen. Super gemacht, aber das Flugzeug war schnell, zu schnell. »Bremsfallschirm«, murmelte Brandl, während die Cessna mit hohem Tempo auf die Scheune des Einödhofs zuschoss. Vollbremsung! Das würde nicht reichen. Vier, drei, zwei, eins … Nichts.

Brandl öffnete die Augen. Die Cessna stand zwei Meter vor der Scheune. Maßarbeit.

»Respekt«, murmelte er und drehte sich um. Die beiden Straubinger Kommissare waren kasweiß. Sie schälten sich aus dem Cockpit. Michi fummelte nervös eine Schachtel Zigaretten heraus. Brandl deutete auf das Flugzeug: »Äh, hier lieber nicht rauchen.«

»Wenn ma eins ned ham, dann Sprit«, sagte Wagner.

»Brandl, wem gehört der Hof?«, fragte Michi, während sie das Feuerzeug anknipste.

»Dem alten Staller und seinen beiden Söhnen.«

»Und wo san die? Landet doch sicher ned jeden Tag ein Flieger bei denen vorm Haus.«

Brandl ging zu dem Wirtschaftsgebäude, spähte hinein, dann zum Stall hinüber. Nichts. Wohnhaus. Keiner da. Janucek betrat die Scheune und stöhnte auf. »Kommt’s mal her!«

Ihre Augen brauchten ein bisschen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dann sahen sie die drei Stallers. Sie hingen von einem Deckenbalken wie die Fledermäuse. Also andersherum. Richtigherum – Kopf oben. Die hohlen Wangen lappig wie Vampirflügel. »Ja, Scheiße«, murmelte Wagner. Die anderen pflichteten ihm bei. Mit offenen Mündern. Wie bei den hängenden Herren. Wo Fliegen munter ein und aus flogen. Michi war schon am Handy. »Wie heißt’n des hier?«

»Staller-Hof. Bei Baching.«

»Da is ganz schön was los bei euch«, sagte Janucek.

Brandl nickte. Das war ein bisschen viel. Fünf Leichen und das explodierte Biogaskraftwerk. In dieser beschaulichen, unterdurchschnittlich erfolgreichen Touristenregion, wo sicherlich der eine oder andere ein bisschen Dreck am Stecken hatte oder mal besoffen Auto fuhr, aber mehr nicht!

Erster Überblick: An die Scheune hatte jemand Nazi­runen geschmiert.

»Der Jüngste, der Hubert«, meinte Brandl, war mal auf der Wache wegen Nazisymbolen. So Buttons auf der Jeansjacke. Aber da war er siebzehn. Wie die orientierungslosen Jungs halt sind.«

Im Wohnhaus fanden sie nichts Besonderes, wenn man ignorierte, dass dort drei Männer nach ganz eigenen hygienischen Regeln gelebt hatten. Nicht nur sie, sondern auch zahlreiches Getier, vor allem in der Küche. Kleinsttierzoo. Der Kühlschrank bot außer Bier keine Lebensmittel. »Weißt du, was mich wundert«, sagte Wagner zu Brandl. »Die Stallers hatten doch einen Schäferhund, so ein richtig böses Viech. Wo is der?«

Brandl fand ihn in seinem Zwinger. Was von ihm übrig­geblieben war. Offenbar hatte jemand eine Hand­granate in den Käfig geworfen. Die haarigen Reste des Hundes klebten an der Rückwand des Wirtschaftsgebäudes.

Als er auf den Hof zurückging, sah er Wagner neben seiner Cessna posieren. Ein Reporter lichtete ihn ab. »Kiermayer!«, schrie Brandl über den Hof. »Dass di glei schleichst!«

Kiermayer winkte ihm fröhlich zu.

Brandl legte die Hand aufs Objektiv. »Was machst du hier? Hat der Wagner dich angerufen?«

»Naa, ich wollt eigentlich zu euch nach Wiesbach wegen dem Biodings. Und dem Pramminger und dem Hublsteiner.«

»Woher weißt du des?«

»So was spricht sich rum.«

»Und was machst du hier?«

»Ich hab das Flugzeug von der Straße aus gesehen. Kleiner Zwischenstopp. Weil die Leichen in Grafenberg, die laufen ja nicht davon.«

»Hast du hier sonst noch was gesehen? Außer dem Flugzeug?«

»Wieso, gibt’s hier noch was?«

Jetzt rollte bereits der Polizeikonvoi aus Grafenberg an. Kiermayers Augen leuchteten.

SUPERGAU

Meisels Amtsstube in Grafenberg war gut gefüllt: die zwei Straubinger, Brandl, Doris Roßmeier, eine Kripobeamtin aus Passau, und der Pressesprecher der Polizei Nieder­bayern Dr. Markus Zimmermann aus Landshut. Meisel ­erteilte Zimmermann das Wort.

»Meine Damen und Herren, pressetechnisch gesehen ist das der Supergau. Eine Biogasanlage fliegt in die Luft, zwei Würdenträger dieses schönen Landstrichs lassen ihr Leben bei einem mysteriösen Attentat, dann gibt es drei Tote auf einem Einödhof, und zu allem Überdruss bepflanzen durchgeknallte Neonazis Waldlichtungen mit Hakenkreuz-Erika. Und morgen steht alles in der Passauer Neuen Presse ! Wie kommt der Kiermayer zum Tatort auf dem Einödhof? Des muss ihm doch einer gesteckt haben!«

Brandl schüttelte den Kopf. »Das war purer Zufall, der hat die Notlandung von der Cessna gesehen.«

»Notlandung? Hier geht’s ja drunter und drüber.«

»Jetzt gast’s euch mal nicht so hoch«, meinte Michi. »So was passiert halt.«

»Ja, im wilden Osten«, meinte Zimmermann. »Was meinen Sie, Frau Roßmeier?«

»Dass Sie sich nicht so aufblasen sollten. Ich bin zwar nur als Schwangerschaftsvertretung in Ostbayern, aber ich bin in Passau aufgewachsen. Und Landshut ist sicher nicht der Nabel.«

Michi grinste. Zimmermann sah schlecht gelaunt in die Runde. »Keine weiteren Infos an die Presse und ja nicht das Gerücht aufkommen lassen, dass die Taten zusam­men­hängen.«