Yvonne Wundersee lebt mit ihrem Mann und den zwei Söhnen am Rande der schönen schwäbischen Alb. Zusammen mit den zwei Hunden genießt sie gern die Natur und schickt ihre Gedanken auf Reisen. So entstehen wunderschöne, fantastische Abenteuergeschichten, mit denen sie ihre Leserinnen und Leser verzaubert.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2020 Yvonne Wundersee

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7543-8572-2

Coverdesign: http://thebookcoverdesigner.com/designers/betibup33/

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

Das Rascheln in den Zweigen war meine Musik. Mein Baum stand im vollen Saft. Die Kraft seiner Erneuerung stärkte auch mich. Ich lebte in jeder Faser. In den Spitzen seiner Wurzeln, wie auch in jeder noch so winzigen Knospe. Mutter Natur umhüllte mich mit Liebe und Fürsorge. Sie ließ mich wachsen und gedeihen. Entbehrungen waren mir nicht fremd, umso mehr freute ich mich über den Reichtum und den Überfluss, der mir im Frühjahr geschenkt wurde. Ich streckte mich, um die wärmenden Strahlen der Sonne bis zum Boden hindurch scheinen zu lassen. In diesem Moment verspürte ich endloses Glück. Ich war Teil dieser Natur. Meine Freunde waren die Vögel, die in meiner Krone ihr Nest gebaut hatten. Sie sangen für mich ihre schönsten Lieder. Ein kleines Eichhörnchen saß in seinem Kobel. Bald würden die Kleinen zur Welt kommen. Ich freute mich darauf, die Babys zu behüten und ihre Mutter mit meinen Früchten zu versorgen. Auch die Ameisen, die ihren Bau zwischen meinen Wurzeln angelegt hatten, waren meine Freunde. Sie kitzelten mich sanft, wenn sie auf der Suche nach dem Harz meinen Stamm hinaufkletterten. Ich hätte endlos über mein Leben weiter schwärmen können. Ich liebte es.

Warum ich dieses Geschenk bekam?

Es sollte meine Bestrafung sein. Ich wurde zu einer Dämonin. Einst war ich eine ganz normale Frau. Der Mann, der mich lieben und ehren sollte, wollte eigentlich nur eine billige Magd, die immer seine Wünsche erfüllte. Er nahm keine Rücksicht auf meine Gefühle. So wollte ich nicht leben. Ich verließ ihn, um ein eigenes, selbstbestimmtes Leben zu führen. Er aber ging zum einzigen Gott und log dort über den Grund meines Weggehens. Er, der Einzige, war darüber so erbost, dass er mich zu einem Wesen, gebunden an die Unterwelt, machte. Da ich aber sein Geschöpf war, sollte ich nicht in der Hölle darben, sondern seine Hilfe sein. So wurde ich, Lilith, zum Herzen des Weltenbaums. Ich hielt die Welten zusammen, dass die Dimensionen nie ihre Hölle oder ihren Himmel verlieren würden. Ich erfüllte meine Aufgabe gut, denn nach nur 100.000 Jahren gewährte mir Gott einen Tag im Jahr, an dem ich wieder als junge Frau auf der Erde wandeln durfte.

An Beltane eines jeden Jahres feierte ich mit den Menschen. Wir begrüßten den Frühling und wünschten uns ein ertragreiches Jahr.

Die Dorfbewohner kannten mich und freuten sich schon auf meinen Besuch. Sie wussten von meinem Leben. Als riesiger Baum konnte ich Wolken umleiten und sie vor Dürren bewahren. Ich hielt ihren Boden mit meinen Wurzeln locker und düngte ihn im Herbst mit meinem Laub. Sie feierten im Schatten meiner Blätter und das ein oder andere Paar küsste sich zum ersten Mal, versteckt hinter meinem dichten Blätterwerk.

Beltane war ein besonderer Feiertag. Hätte ich einen wählen können, dann wäre es genau dieser gewesen. Am frühen Abend trugen die Menschen Tische aus ihren Häusern. Sie wurden zu einer langen Reihe aufgestellt, die einmal durch das ganze Dorf führte. Jeder bereitete Speisen zu und stellte sie auf die Tischreihe. Es war ein wunderbarer Festschmaus für das ganze Dorf. Alle durften dabei sein, egal ob reich oder arm, jung oder alt. In dieser einen Nacht waren alle gleich. Es gab köstliche Kleinigkeiten, aber auch opulente Braten zu essen. Leckere Süßspeisen, kleine Kuchen und riesige Torten schmeckten genauso gut, wie frisch gebackenes Brot und Käse. Meist aß ich so viel, dass mein Bauch fast platzte. Der alte Piet, es gab immer einen alten Piet, spielte dann bald auf seiner Fiedel und andere Musikanten stimmten ein. Junge Burschen forderten mich schüchtern zum Tanz und ich stimmte gerne zu. Wir wirbelten herum und ich lachte wie die anderen Mädchen des Dorfes. Wir tanzten an der Tischreihe vorbei, bis wir die üppigen Weiden hinter dem Dorf erreichten. Dort war schon ein großer Haufen Holz aufgestapelt, auch abgestorbene Äste von meinem Baum waren dabei. Wir tanzten weiter, immer um den Haufen herum. Ich wurde von einem zum anderen weitergereicht und genoss diese ausgelassene Zeit in vollen Zügen. Das Dorfoberhaupt ging mit einer brennenden Fackel auf den Holzhaufen zu. Auch er lächelte glücklich: „Dieses Freudenfeuer soll dir zu Ehren brennen, liebe Lilith. Mögen unsere Kinder und Kindeskinder dich ehren und schätzen, als das, was du für uns bist, das reine Glück! Du gibst uns fruchtbaren Boden und schützt uns vor heftigem Wetter. Wir danken dir dafür. Sei uns willkommen in diesem und jedem weiteren Jahr!“ Dann warf er die Fackel auf das trockene Holz. Es fing sofort Feuer. Es brannte lichterloh. Ich erkannte meine Zweige, die einen grünen Schein abgaben. Das Feuer wärmte mein Gesicht und die Worte wärmten meine Seele. So feierten wir weiter. Wir sprangen gemeinsam über die ersterbenden Flammen und freuten uns des Lebens, bis der Morgen graute. Dann brachten mich die Dorfbewohner zurück zu meinem Baum. Ich umarmte ihn innig und er nahm mich wieder in sich auf. Wir waren wieder eins und ich freute mich bereits auf das nächste Beltane.

So vergingen viele, viele Jahre.

Doch vor ungefähr 500 Jahren war das schöne Leben plötzlich vorbei. Mittlerweile war aus meinem kleinen Dorf eine wohlhabende Stadt geworden. Längst kannte ich nicht mehr alle Bewohner und Gäste, die Beltane hier feierten. Trotzdem liebte ich das Fest, da es meine Zeit war, auf Erden wandeln zu können. Auch diesmal tanzte ich ausgelassen und lachte den ganzen Abend. Ein junger Mann bat sehr oft um einen Tanz. Er himmelte mich regelrecht an und ich genoss seine Aufmerksamkeiten. Er war sehr hübsch mit seinen dunklen Augen und dem schwarzen Haar, das ihm in dicken Strähnen auf die Schultern fiel. Er hielt mich in seinen starken Armen und drehte mich um das Feuer, bis mir schwindlig war. Dann zog er mich an seine Brust und ich schmiegte mich in seine Arme. Als an diesem Morgen die Sonne aufging, war ich zum ersten Mal traurig darüber nicht bleiben zu dürfen. Mein Baum spürte das und ließ die Blätter hängen. Ein paar Tage später war ich aber wieder froh über mein Leben. Ich freute mich einfach auf das nächste Beltane und träumte davon dem schönen Fremden einen Kuss zu stehlen.

So vergingen die Tage und Nächte und ich war froh darüber. Doch eines Abends verspürte ich unglaubliche Schmerzen. Mein Innerstes barst in einem Ansturm aus Pein. Ich erzitterte und war nicht mehr in der Lage die Welten zu halten. Die Unterwelt fiel aus meinen Wurzeln und der Himmel befreite sich aus meiner Krone und stieg mitsamt den Wolken empor. Ich schrie, ohne eine Stimme zu haben. Gott bemerkte meine Situation, kurz bevor das Leben vollständig aus mir strömen konnte. Er trennte mich von Yggdrasil, meinem Weltenbaum. Ich stürzte als unsterbliche Dämonin auf die Erde. Mein Baum lag gespalten und tot neben mir. Ich zitterte am ganzen Leib, als ich die Äste berührte, aber kein Echo meiner Liebe fand. Ich streichelte den zerstörten Stamm und fand einige Meter weiter, einen zerschmetterten Körper unter einem dicken Ast. Als ich das Gesicht des Mannes sah, erschrak ich. Das war Inanna. Ein Freund. Wir hatten viele Jahre miteinander gegessen und getanzt. Ich kannte ihn schon als pausbäckiges kleines Kind, das seine Händchen nach mir ausstreckte. Warum hatte er das getan? Ich sank auf die Knie und weinte bitterliche Tränen. Mein Leben war vorbei. Ich betete zu Gott, erhielt aber keine Antwort. Natürlich nicht. Ich war kein Geschöpf des Himmels und auch keines der Erde. Der Kontakt zum Schöpfer war mir damit verwehrt. Er hatte mich nur retten können, indem er mich zu einer Dämonin wandelte.

Schritte nährten sich raschelnd. Bevor ich mich umwenden konnte, spürte ich feurige Fesseln an meinen Handgelenken. Und eine Stimme, die mir mein Herz zerfetzte, flüsterte in mein Ohr: „Jetzt kannst du bei mir bleiben. Jetzt gehörst du mir!“ Ich drehte mich entsetzt zu meinem schönen Tänzer um. Seine schwarzen Haare glänzten in der untergehenden Sonne und sein Gesicht drückte absolute Entschlossenheit aus.

Von einer Sekunde zur anderen umgab mich eine völlig fremde Welt. Meine Fesseln waren verschwunden. An ihrer Stelle funkelten goldene Armreifen an meinen Handgelenken. Um mich herum sah ich brennende Berge und Lavaströme. Ich drehte mich erschrocken zu dem Mann um. Er lachte laut auf und sagte: „Willkommen in deinem neuen Zuhause, meine Liebste. Darf ich mich vorstellen. Mein Name ist Satan.“

Aus dem Nichts wuchsen metallene Stangen aus dem Boden. Sie umgaben mich in einem Abstand von jeweils zehn Metern. Die Stangen wurden von Stein ummantelt, sodass stabile Mauern daraus erwuchsen. Auch ein Dach bildete sich über unseren Köpfen. In dem entstandenen Zimmer ploppten Gegenstände wie aus dem Nichts auf. Ein breites, goldenes Bett mit einem Himmel aus zarten weißen Stoffen, ein Tisch aus Ebenholz mit vier Stühlen, eine Küche mit allen Gerätschaften entstanden vor meinen Augen. Ein Bücherregal dominierte einen großen Teil der Wand und neben dem Bett entstand ein wunderschöner goldener Wandspiegel. Er war mit Kristallen verziert, die sieben große Opale umrahmten. Ein kleiner Raum wurde abgeteilt, der wohl das Badezimmer werden sollte. Ich schaute mich begeistert um. Ich hatte immer gedacht, dass ich jetzt, als Dämonin, ein schreckliches Leben haben würde. Mit einem so wunderschönen Zuhause beschenkt zu werden, überstieg alle meine Wünsche. Ich lief zu Satan und umarmte ihn stürmisch. „Danke! Ich danke dir so sehr! Es ist ein so schönes Zuhause!“ Er beugte sich vor und küsste mich. Es war kein sanfter und vorsichtiger Kuss. Wild und besitzergreifend stürmte sein Mund auf meine Lippen ein. Gierig strichen seine Hände über meinen Körper und ich war so glücklich, dass er mich ebenso sehr wollte wie ich ihn. Wir liebten uns lange und leidenschaftlich. Viel später schlief ich lächelnd in seinen Armen ein.

Irgendwann wachte ich allein in dem großen Bett auf. Ich streckte mich und gähnte herzhaft. Wie lange war ich nicht mehr so erwacht. Ich vermisste meinen Baum und brauchte die Natur um mich. Hoffnungsvoll stand ich auf und tappte auf nackten Fußsohlen in die Mitte des Raumes und drehte mich suchend um. Die Angst schnürte mir langsam die Kehle zu, als ich begriff: Hier gab es keine Tür! Mein neues Zuhause war ein Gefängnis!

Viele Wochen verbrachte ich allein innerhalb dieser Mauern. Ein Ausbruch war nicht möglich und ich arrangierte mich damit allein zu sein. Ich hatte Essen, Trinken und Kleidung. Die Bücher im Regal wechselten stetig, sodass ich mir doch ein wenig die Zeit vertreiben konnte. Mein wachsender Bauch machte mir auch Hoffnung nicht mehr lange allein bleiben zu müssen. Ich würde ein Kind bekommen. Wie viele Jahrtausende hatte ich nicht einmal davon zu träumen gewagt, einmal eine Mutter sein zu können. Ich freute mich darauf. Wie würde Satan darauf reagieren? Das machte mir ein wenig Sorge, aber vielleicht hatte er mich ja schon vergessen!

Als Monate später die Wehen einsetzten, war ich immer noch allein. Er hatte mich nicht besucht. Bestimmt wusste er nicht einmal, dass er bald Vater sein würde. Es dauerte viele Stunden, in denen der Schmerz mich fast die Besinnung verlieren ließ, bis mein kleiner Junge das Licht der Welt erblickte. Ich verliebte mich sofort in ihn. Seine schwarzen Augen schauten vertrauensvoll zu mir auf. Er war bezaubernd. Als ich ihn an meine Brust legte, schmatzte er zufrieden und wir schliefen bald gemeinsam ein.

Mein kleiner Lou wuchs kräftig und war mein ganzer Sonnenschein. Er krabbelte bereits und folgte mir überall hin. Sein süßes Gesicht strahlte mich jeden Morgen an und seine sanften Atemzüge wiegten mich in den Schlaf.

Eines Tages erschien Satan wie aus dem Nichts in unserem kleinen Reich. Er strahlte mich an, als wäre er erst gestern weggegangen. Als er Lou erblickte, sah ich plötzlich unbändige Gier in seinen Augen. Er ging auf ihn zu, aber Lou fing an zu weinen und krabbelte verzweifelt in meine Richtung. Ich hob ihn auf und setzte ihn auf meine Hüfte.

„Was hast du mit ihm vor?“, fragte ich misstrauisch.

„Was denkst du? Er ist mein Sohn. Er wird einmal der Herr der Unterwelt werden, wenn ich es nicht mehr sein kann oder will. Ich will ihn zu mir nehmen. Ihm die Welt zeigen und ihn lehren, was es heißt, ein Fürst der Unterwelt zu sein“, antwortete Satan.

Ich verstand seine Bitte und auch ich wollte ein besseres Leben für mein Kind. Es sollte nicht in diesem Gefängnis leben müssen und ich stimmte zu.

Er nahm also meinen kleinen Lou mit sich. Am selben Tag kam er wieder zu mir. Er liebte mich, als wären wir nie getrennt gewesen, säuselte mir Worte der Liebe ins Ohr und erzählte mir wie toll unser kleiner Lou doch sei.

An diesem Abend machte er mir ein Geschenk. Er stellte mich vor den Spiegel. „Ab heute sollst du wieder einen Tag bekommen, an dem du in die Menschenwelt gehen kannst. Ich schenke dir Beltane. Du kannst mit den Menschen wieder feiern und dein Leben genießen. Ich weiß, dass ich sehr wenig Zeit habe, aber ich muss mich um das Reich und nun auch um unser Kind kümmern.“

Ich drehte mich zu ihm um. Die Tränen stiegen mir in die Augen. Was für ein tolles Geschenk. Ich hatte ein Stück Freiheit zurückbekommen.

In den nächsten Jahren schenkte ich Satan viele Kinder. Er kam immer, um sie zu holen. Danach liebten wir uns und ich war froh über mein Leben.

Meinen Tag an Beltane genoss ich bei den Menschen. Sie liebten mich weiter, auch wenn mein Baum ihnen keine Erleichterungen mehr schenken konnte. Ihr Leben war entbehrungsreich und beschwerlich. Trotzdem sah ich die Lebensfreude in ihren Gesichtern. An einem Abend traf ich auf einen jungen Krieger, sein Name war Steel. Er war ruhig und verschlossen, der einzige Mann, der nicht lachte und scherzte. Ich setzte mich zu ihm auf einen umgefallenen Baumstamm und fragte: „Was quält dich? Ich würde dir gern helfen?“

Er antwortete leise: „Du bist Lilith, nicht wahr?“ Ich nickte ihm lächelnd zu. „Kennst du die Geschichte, warum Yggdrasil sterben musste?“ Mein Lächeln erstarb und ich schüttelte den Kopf. Er schwieg lange, dann straffte er die Schultern und begann zu erzählen: „Ich kenne einen Krieger. Sein Name ist Mathias. Sein Vater war Inanna.“

„Das kann nicht sein! Inanna ist seit vielen Jahren tot. Sein Sohn müsste heute weit über einhundert Jahre alt sein“, fiel ich ihm ins Wort.

„Mathias ist unsterblich! Genau wie seine Mutter, Inannas Frau. Ein Geschenk Satans dafür, dass Inanna den Weltenbaum gespalten hat. Mathias hat mir erzählt, dass sein Vater und seine Mutter schwer krank wurden, nachdem Satan sie besuchte und er die Bitte, den Baum zu zerstören, abschlug. Mathias wurde am selben Tag in einem Kampf schwer verletzt und stand an der Schwelle des Todes. Seine Schwester starb einen plötzlichen Tod. Ihr konnte nicht mehr geholfen werden. In dieser Nacht träumte Inanna einen Fiebertraum von Gold und Juwelen in den Wurzeln des Weltenbaums. Er sah, wie er damit das Leben seiner Familie retten konnte. Er sah die besten Ärzte kommen, die ihnen wirksame Medizin gaben. Am nächsten Abend zerschlug er den Baum, fand aber nur den Tod. Nur seine Frau und sein Sohn werden auf ewig auf Erden wandeln. Ich frage mich, warum Satan dich so dringend brauchte?“

Damit stand er auf und ging ins Dorf zurück.

Ich aber blieb auf dem Baumstamm sitzen und dachte über das Gehörte nach.

Am Morgen zog der Spiegel mich unerbittlich zurück in mein Gefängnis. Ich legte die Hand auf meinen sanft gerundeten Bauch und grübelte. Wieder ließ sich Satan erst Monate später bei mir blicken. Mein Baby saß auf dem Boden und spielte mit bunten Steinen. Plötzlich stand er im Raum. Er nahm den kleinen Schatz und war kurz darauf verschwunden. Einige Stunden später stand er wieder vor mir und hielt die Arme auf. Ich ließ mich in seine Umarmung sinken und erneut liebten wir uns. Als wir später nebeneinander im Bett lagen, bat ich ihn: „Satan, ich bin hier so einsam. Kannst du mir bitte erlauben, dass Tiere zu mir kommen können. Sie könnten mir Gesellschaft leisten und ich möchte meine Kinder sehen. Ich möchte sehen, wie groß Lou geworden ist. Ich vermisse sie alle so sehr.“

Satan stand auf und zog sich seine Hose an. Dabei kehrte er mir den Rücken zu. Er drehte sich um und in seinem Blick war Kälte: „Die Tiere zur Gesellschaft sollst du haben, aber deine Kinder gibt es nicht mehr.“ Was hatte er da gesagt? Ich musste mich verhört haben! „Was meinst du damit, dass es meine Kinder nicht mehr gibt. Was ist geschehen?“, stammelte ich, nicht in der Lage mich zu bewegen. „Schon als ich dich das erste Mal sah, wusste ich, was du warst. Du hast die Macht Seelen zu erschaffen, die Leben schaffen. Du hast die Macht von Mutter Natur. Du musstest nur meine Kinder gebären, mit der Macht der Unterwelt ausgestattet, und ich konnte ihre Seelen verschlingen, um stärker und mächtiger zu werden. Ich werde dich niemals gehen lassen, denn deine Kinder werden meine Macht vergrößern, bis ich eines Tages auch die Herrschaft über die Dimensionen antreten kann! Dafür danke ich dir und machen wir uns doch nichts vor. Es hat dir doch auch gefallen!“

Er knöpfte gerade sein Hemd zu und ging zum Spiegel. Er strich mit einer Hand darüber und schon kam ein kleiner Hase hindurch in mein Zimmer gesprungen. Er setzte sich auf den flauschigen Teppich und schaute sich aufmerksam um. Diese Situation war so falsch, dass ich wie erstarrt war. Ich konnte nicht mehr denken. Mein Herz zerriss in tausend kleine Stücke. Ich schloss die Augen und als ich sie wieder öffnete, war ich allein. Das Häschen saß noch immer im Zimmer.

Wochen später hatte ich die Gewissheit, wieder schwanger zu sein. Panik machte sich in mir breit. Wie sollte ich dieses Kind schützen? Nie wieder sollte mein Kind ein Opfer der Gier seines Vaters werden. Wenige Wochen später, durfte ich mein Gefängnis wieder verlassen. Es war Beltane. Nur konnte ich mich diesmal nicht freuen. Ich fühlte mich wie ein getriebenes Tier, hielt mich abseits und überlegte, was mir helfen könnte.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Erschrocken drehte ich mich um. Steel stand hinter mir. „Was ist mit dir? Wo sind die Freude und dein Lachen geblieben?“, fragte er. Da brach ich in Tränen aus. Er nahm mich in seine Arme. Wir zogen uns in den Wald zurück und ich erzählte ihm alles. „Ich will dieses Kind schützen. Es ist unschuldig und hat es verdient zu leben!“, endete ich. Da legte auch er die Hand auf meinen Bauch. Warm und weich fühlte ich seine Wärme durch den Stoff meines Kleides. Ich schaute zu ihm auf. Flehend und ängstlich. Da legte er sanft seine Lippen auf meine. Dieser Kuss war so anders als alles, was ich je gespürt hatte. Meine Beine verwandelten sich in Gummi. Er hielt mich, bevor ich zu Boden stürzen konnte. Seine Hände strichen sanft über meinen Rücken, als seine Zunge sich einen Weg in meinen Mund suchte. Er erforschte mich und ich ihn. Seine Berührungen waren zärtlich und weich. Wir liebten uns nicht nur mit unseren Körpern, sondern auch mit unseren Herzen, mit Blicken und Worten.

Als wir nackt nebeneinander auf dem Waldboden lagen, küsste er meinen Bauch. Er flüsterte so leise, dass ich ihn kaum hören konnte: „Ich werde dich retten, kleiner Engel. Dich und deine Mama!“ Mir rannen leise die Tränen aus den Augen. Wenn er das doch nur schaffen würde.

Wir zogen unsere Kleider bald darauf wieder an und setzten uns zusammen. Wir versuchten, einen Plan zu schmieden, aber verwarfen jede Idee gleich wieder. „Nur Tiere können durch den Spiegel zu mir kommen. Leider können sie nicht viel für mich tun, außer meine Einsamkeit erträglicher zu machen“, schimpfte ich. „Ein kleiner weißer Hase kommt jeden Tag. Wenn ich ihm doch nur das Baby auf den Rücken schnallen könnte.“

Viel zu bald spürte ich den Sog an meinem Körper. „Es zieht mich zurück. Auf Wiedersehen!“, konnte ich noch rufen, dann stand ich schon wieder in meinem Zimmer.

Die Wochen gingen ins Land. Der kleine Hase kam jeden Tag. Er holte sich eine Karotte ab, ließ sich eine Weile streicheln und hoppelte dann durch den Spiegel zurück in den Wald. Dabei konnte ich jeden Tag einen kurzen Blick auf Steel erhaschen. Er beobachtete wie der Hase aus dem Nichts auftauchte und auch, wo er vorher verschwunden war.

In der Nacht, als mein Kind geboren werden sollte, stand er plötzlich vor meinem Bett. Ich schwitzte und hatte starke Schmerzen. Die Wehen plagten mich, aber er hielt meine Hand, kühlte meine Stirn und blieb an meiner Seite. Als mit einer starken Wehe mein Kind geboren wurde, hob er es auf, nabelte es ab und legte es mir in die Arme. Gemeinsam beobachteten wir das kleine Mädchen in meinen Armen. In all den Jahren war sie das erste weibliche Kind, das ich zur Welt brachte.

„Sie soll Lilly heißen“, sagte ich.

„Wir müssen gehen, meine Liebste“, flüsterte Steel.

Er hob etwas Blutiges vom Boden auf. Es war ein frisch abgezogenes Schaffell. Er legte es sich um die Schultern. Ein zweites legte er mir um, als ich aufstand. Dann nahm er Lilly auf den Arm und durchschritt den Spiegel. Ich wollte ihm folgen, aber stieß nur gegen das feste Glas. Für mich gab es keinen Weg. Vor wahnsinniger Trauer und unbändiger Wut, schaffte ich es, Mutter Natur anzurufen. Sie erkannte mich als das Mädchen aus ihrem Weltenbaum und erfüllte mir einen Wunsch. Sie erstellte Abbilder von Steel und meinem Kind auf jeder Dimension und gab jedem Abbild auch einen Teil der jeweiligen Seele. So sollten meine Liebsten schwerer zu finden sein. Er würde die Seele meiner Tochter nicht auf einmal bekommen. Sie würde ein Leben haben. Steel besuchte mich mit Lilly jede Woche vor dem Spiegel. Ich sah sie größer werden. Ihre roten Locken sahen aus wie frisches Herbstlaub. Sie war so schön, mein Kind! Sie nannte Steel Papa und er sagte Tochter zu ihr. Zu schnell war diese Zeit vorbei.

Satan stand im Zimmer und schaute sich fragend um.

„Wo ist das Kind?“, fragte er hart.

„Es ist kein Kind da“, antwortete ich ihm ehrlich, „und du wirst auch nie wieder ein Kind aus meinem Leib bekommen. Ich werde nicht mehr mit dir zusammen sein.“

Da schlug er zu, hart und unerbittlich. Blut schoss aus meiner Nase und ich kippte mit dem Stuhl zu Boden. „Ich werde Kinder mit dir haben und wenn ich dich schänden und dann neun Monate lang festbinden muss“, schrie er mich an. Er packte mich an den Haaren und zog mich zum Bett. Er riss mir mein Kleid vom Körper und stürzte sich auf mich. Dabei schlug er immer wieder auf mich ein.

„Neiiiiiiin!“, schrie ich und spürte wie erneut die Macht von Mutter Natur in mich floss. Ich griff in seinen Schritt und legte meine andere Hand auf seine Brust. Die Magie durchfloss ihn und er wurde an die gegenüberliegende Wand geschleudert. Blut floss an seinen Beinen herab. In diesem Moment explodierte der Spiegel. Schwarze Rauchschwaden wurden aus der Brust von Satan gezogen. Sein Oberkörper verbog sich durch die schiere Macht, die an ihm zog. Der Rauch verschwand in den sieben Opalen, die noch im Rahmen hingen, dann wurden auch sie durch die Öffnung des Spiegels gerissen und auch ich wurde vom Sog erfasst. Der Spiegel machte aus mir einen Menschen und katapultierte mich irgendwo hin.

Satan aber, wurde durch mich zur Kinderlosigkeit verdammt. So herrschte er nun in der Unterwelt mit geteilter Seele und ohne Manneskraft.

KAPITEL 1

„Miri komm schon. Wir sind schon wieder zu spät!“ Ich rannte die Straße entlang, an Passanten mit Kaffeebechern und den üblichen Anzugträgern vorbei. Miri folgte mir lachend.

„Heute wird er uns bestimmt noch mehr quälen als sonst.“

„Findest du das lustig. Ich habe überall blaue Flecke vom Samstag.“ Aber trotzdem konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Schwer atmend kamen wir am DoJo an. Frau Fachtel, unsere Fechttrainerin, wartete bereits mit verschränkten Armen an der Glasfront. Ich winkte ihr zu. Als Antwort erhielt ich nur eine hochgezogene Augenbraue. Oje, sie war wirklich sauer.

Miri und ich stürzten in den Umkleideraum und zogen uns in Windeseile unsere Trainingsklamotten an. „Wird schon nicht so schlimm werden“, sagte Miri, während sie ihre blonden, langen Haare in einem Pferdeschwanz bändigte. Miri war hübsch, klein, meine beste Freundin und ein hoffnungsloser Optimist. Für sie war das Glas immer halbvoll.

Ich schnaubte als Antwort und wusste schon, dass ich heute Abend mein Kühlpad benötigen würde. Und trotzdem liebte ich das Training. Meine Granny hatte mich im Alter von zehn Jahren hier angemeldet und da sie wusste, dass ich nichts ohne Miri tat, wurde auch sie kurzerhand dazu verpflichtet. Jetzt, sieben Jahre später, waren wir beide kurz davor in Japan unsere Prüfung für den siebten Dan abzulegen. Außerdem konnten wir Fechten und Bogenschießen. Einmal wöchentlich gingen wir auf den Schießplatz, um auch mit Handfeuerwaffen zu üben. Hier war mir Miri haushoch überlegen. Keine Ahnung, wie sie das machte, aber sie traf mittlerweile wirklich jedes Ziel, egal ob fest oder beweglich. Das Highlight der Ausbildung war aber das halbjährliche Überlebenstraining. Zuerst blieben wir in den Nationalparks der USA, dann kamen die Wälder Kanadas und die Wüste Mexikos hinzu. Aber mittlerweile hatten wir jeden Kontinent bereist. In Wüsten, Dschungeln und der eisigen Tundra unser Lager aufgeschlagen und dort mehrere Wochen nur mit Zelt, Schlafsack und einem Rucksack überlebt. Wir lernten, uns anzupassen und jeglicher Witterung zu trotzen. Mit unserem Trainer gingen wir jagen und sammelten Beeren, Kräuter und Wurzeln. Er zeigte uns, wie wir einfache Waffen bauen und nutzen konnten. Abends saßen wir am Lagerfeuer und er erzählte uns Geschichten aus den Regionen, in denen wir uns gerade befanden. Wir brauchten in dieser Zeit keine technischen Hilfsmittel, denn wir hatten uns und die Natur. Diese Zeit schweißte mich nur noch mehr mit Miri zusammen. Wir waren ein Team und konnten uns blind aufeinander verlassen. Für was diese Ausbildung zum Elitekämpfer gut war, wusste ich nicht, denn es war uns strengstens verboten, an Wettbewerben teilzunehmen.

Trotzdem stand ich jetzt am Rand der Übungsmatte und wartete mit gesenktem Kopf auf die Zurechtweisung für unser zu spät kommen.

„Elisabeth Steel, deine Großmutter zahlt ein Vermögen für deine Ausbildung. Da kann ich doch erwarten, dass du dein Training ernst nimmst und pünktlich erscheinst. Das ist jetzt das zweite Mal in Folge, dass ihr zu spät kommt. Was ist deine Entschuldigung?“ Meister Kun schaute mich mit seinem stechenden Blick an, der mir jedes Mal eine Gänsehaut bescherte. Warum wurde nur immer ich gerügt? Miri ließen sie in Ruhe. Oft gaben sie mir auch das Gefühl, dass nur meine Entscheidungen zum Fehlverhalten von Miri beitrugen. Aber ich hatte schon lange gelernt, dass es nichts brachte, sich darüber zu beschweren. Meister Kun bombardierte mich dann nur mit seinen Weisheiten über das Annehmen der eigenen Verantwortung und dem Wert des richtigen Handelns. Ändern würde es aber nichts.

„Meister Kun, es tut mir leid. Ich habe keine Entschuldigung, die in ihren Augen gerechtfertigt wäre.“

Jetzt mischte sich unsere Trainerin für Fechtkampf ein. „Aber was habt ihr denn so Wichtiges zu tun gehabt?“

„Wir waren mit zwei Jungs beim Eisessen.“ Miri sprach so leise, dass selbst ich sie kaum verstehen konnte. Aber das Knurren von Meister Kun verstand ich sehr gut. Er holte schon Luft, um mit einer seiner Predigten zu beginnen. Da legte ihm die Trainerin die Hand auf die Schulter.

„Damit hätten wir rechnen müssen. Elisabeth ist eine junge Frau geworden. Natürlich sehen das die jungen Männer auch.“ Dann wandte sie sich wieder an mich. „Natürlich darf das Training darunter nicht leiden und wir werden die versäumte Zeit hinten anhängen. Ich erwarte von dir, dass du Verabredungen zukünftig auf deine freien Tage legst. Ich werde mit Meister Kun sprechen, dass wir das Training nur noch an vier Tagen in der Woche durchführen, dafür aber jeweils eine halbe Stunde länger arbeiten. Das gilt auch für dich, Miriam.“

Ich schaute mit aufgerissenen Augen zu ihr auf. Ich sollte wirklich drei Nachmittage in der Woche frei bekommen, um was auch immer zu tun. Ich schaute zu Miri und sie grinste von einem Ohr zum anderen.

„Jetzt aber auf die Matte. Ich will ein vollständiges Aufwärmprogramm von Euch sehen.“

Der Nachmittag verging wie im Flug, auch wenn der Schweiß unsere Haare an den Nacken klebte und unsere Wangen vor Anstrengung rot leuchteten. In der Abenddämmerung machten wir uns euphorisch auf den Weg nach Hause. Wir lachten und überlegten uns, was wir alles mit der gewonnenen Zeit anfangen wollten. Kino, Disko, Abende mit Freunden am Strand, Verabredungen, natürlich nur gemeinsam, und so vieles mehr. Die Welt der Teenager stand uns nun offen. „Wir sollten eine Liste machen“, sagte Miri aufgeregt. Ich stimmte ihr zu und fühlte mich so frei, wie schon lange nicht mehr. Das Herz klopfte freudig in meiner Brust und das Lächeln hatte sich tief in mein Gesicht gegraben. Viel zu schnell erreichten wir die Weggabelung, an der wir uns trennen mussten. Miri wohnte mit ihren Eltern in einer kleinen 3 Zimmer-Wohnung in Downtown und ich musste noch zwei Blocks zu unserm Haus geradeaus weitergehen. Wir umarmten uns, quietschten noch einmal vor Freunde und hüpften gemeinsam. „Ich schreibe dir, wenn mir noch mehr Dinge einfallen“, rief ich ihr nach. Und sie reckte den Daumen nach oben und warf mir dann eine Kusshand zu. Ich schwebte die letzten Meter nach Hause.

Ich schloss die Tür des herrschaftlichen Hauses auf, in dem wir wohnten. Leider war es schon etwas in die Jahre gekommen, aber trotzdem war es noch wunderschön. Die ständigen Renovierungsarbeiten und das fehlende Budget dafür, hatten so manchen Stilbruch entstehen lassen. Statt des ehemals fürstlichen Kronleuchters hing nun eine große IKEA-Lampe in der Eingangshalle. Der Boden war mit den alten sandfarbenen Fliesen ausgelegt, die das Licht spiegelten. Ich schmiss meine Tasche in die Ecke und schlitterte nach links in den kleinen Salon.

„Mum, Dad? Seid ihr zu Hause?“ Keine Antwort, aber ich hörte ein Klappern aus der Küche.

„Ich bin zu Hause“ rief ich laut.

„Wir sind in der Küche, Schatz.“

Dort wurde ich mit einem fröhlichen „Iddi, Iddi“ begrüßt. Amelie, meine kleine Schwester, streckte ihre schmutzigen Finger nach mir aus. Der Brei klebte ihr im ganzen Gesicht und tropfte von ihren Händen. „Ich hab dich auch lieb, aber die Umarmung kommt, wenn du sauber bist.“ Ich stupste ihr auf die Nasenspitze und gab meiner Mum einen Kuss auf die Wange. Ihr Batikkleid war auch mit dem leckeren Karottenbrei verschmiert und in den langen Locken klebten Nudeln. Aber ihre Augen strahlten vor Geschäftigkeit.

„Ja, seit sie unbedingt selber essen will, muss ich die doppelte Menge für sie kochen.“

Ich musste kichern. „Ja, wir sollten uns einen Hund anschaffen. Der könnte sie ablecken und würde davon kugelrund werden.“

Jetzt lachte Mum auch. „Das müsste dann aber doch ein kleiner Hund sein, sonst frisst er diese süße Knutschkugel mit Haut und Haaren.“ Sie nahm das runde Gesichtchen in die Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. In dem Moment patschte mein Schwesterherz ihre kleinen Hände zusammen und spritze den Brei damit durch die Luft. Mum drehte erschrocken den Kopf in meine Richtung. Brei tropfte von ihrem Kinn.

Ich biss mir auf die Lippe, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. „Ich gehe nach oben, bevor ich den Kleister in die Haare bekomme.“

„Da bin ich wohl zu spät dran. Sobald dein Vater kommt, springe ich unter die Dusche.“

„Mach das. Ich schreibe an meinem Aufsatz weiter und gehe früh ins Bett. Das Training war heute so hart.“

Später klopfte es an meiner Tür.

„Komm rein“, rief ich müde und wischte mir über die tränenden Augen. Es wurde sowieso Zeit aufzuhören. Ich konnte mich kaum noch konzentrieren.

„Ich habe dich heute noch gar nicht gesehen. Darf ich dir kurz Gesellschaft leisten?“

„Klar setz dich, Dad.“ Ich zeigte auf mein Bett und war gespannt, was mein Vater mir zu sagen hatte.

„Seit Amelie da ist, haben wir so wenig Zeit für dich. Der kleine Wirbelwind hält uns ganz schön auf Trab.“ Er räusperte sich und sah zerknirscht zu mir auf. „Ich hoffe, du weißt, dass wir dich sehr liebhaben und stolz auf dich sind. Bitte vergiss das nicht. Du kannst immer zu uns kommen, wenn du reden willst. Es klappt vielleicht nicht sofort, aber wir werden uns immer die Zeit nehmen, um auch für dich da zu sein.“

Ich stand auf und nahm meinen Vater in die Arme. „Natürlich verstehe ich das. Als ich so klein war, wie Amelie hatte ich Euch ja auch ganz für mich allein. Amelie sollte das gleiche Recht haben. Ich weiß ja, dass ich auf euch zählen kann, wenn es eng wird.“

Er küsste mich auf die Stirn. „Wann bist du nur so erwachsen geworden? Aber jetzt erzähl mir von deinem Tag. Mum hat gesagt, dass du heute so glücklich ausgesehen hast, als du vom Training kamst.“

Freudestrahlend erzählte ich meinem Vater von meiner gewonnenen Freiheit, aber als meine Sätze immer wieder vom Gähnen unterbrochen wurden, stand er auf.

„Schlaf jetzt, meine Große. Wir haben ja morgen auch noch Zeit zum Reden.“

„Gute Nacht, Dad. Gib Mum und Amelie einen Kuss von mir. Ich schlafe bestimmt wie ein Stein.“

„Wie schläft ein Stein?“, fragte er, grinste und schloss die Tür.

Ich zog meinen Pyjama an und schlüpfte unter die Decke. Mit Vorfreude löschte ich das Licht der Nachttischlampe und schlief sofort ein. „Was war das?“

Hellwach setzte ich mich in meinem Bett auf. Im Zimmer war es stockfinster und mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ich lauschte in die alles verschlingende Dunkelheit, hörte aber nichts. Doch ich spürte eine unnatürliche Kälte, die sich um mich herum ausbreitete. Sie kroch an meinem Körper empor. Das Atmen fiel mir schwer. Es fühlte sich an, als würden kleine Eiskristalle in mich hineinfließen. Meine Lungen sogen die Luft ein und erfroren mit jedem Atemzug mehr. Etwas war hier! Ich zitterte am ganzen Körper. Nur mit Mühe konnte ich das Klappern meiner Zähne unterdrücken. Natürlich wäre es völlig egal, wenn mein Gebiss sich in Presslufthämmer verwandelte. Was sich auch immer hier bei mir befand, es wusste, dass ich anwesend war. Vielleicht erfreute es sich ja an meiner Angst.

Plötzlich hörte ich aus dem Schlafzimmer meiner Eltern ein zartes Wimmern. Amelie, meine kleine Schwester, musste aufgewacht sein. Sie war acht Monate alt und ein kleiner Sonnenschein. Amelie weinte eigentlich nie! Sie war immer fröhlich. Ich drehte den Kopf in die Richtung, aus der dieses herzzerreißende Geräusch kam. Warum ging Mum nicht zu ihr? Sie würde ihre kleine Tochter niemals weinen lassen. Schlagartig veränderte sich alles! Aus der Kälte entwickelte sich ein beißender Sturm, der durch mein Zimmer rauschte. Ich hörte wie die Blätter von meinem Aufsatz über „Deutsche Geschichte“ vom Schreibtisch geweht wurden. Sie flatterten in einem wilden Wirbel durch den Raum. Die Haare wehten mir ins Gesicht und peitschten auf meine Wangen. Durch dieses Getöse hindurch vernahm ich ein tiefes Grollen. Es dröhnte wie ein Donner. In dieses Donnergrollen mischte sich ein unheimliches Zischen und dann war es bei mir! Ganz nah! Ich konnte es mit jeder Faser meines Körpers spüren, kalt, widerwärtig, schleimig! Ich zuckte vor Schreck zusammen. Kalter Schweiß sammelte sich auf meinem Rücken und ich rutschte in die hinterste Ecke meines Bettes, um der unbekannten Gefahr zu entkommen. Etwas Eiskaltes spürte ich an meiner Wange. Sanft strich es darüber. Vom Kinn bis zu meinem Haaransatz über dem Ohr. Ich schauderte. Die Berührung wanderte in mein Haar und es fühlte sich an, als hätte ich eine ekelhafte Schleimspur im Gesicht. Mit einem Ruck packte das Etwas mein Haar und riss meinen Kopf hart nach hinten. Vor Schmerz schrie ich laut auf! Verzweifelt versuchte ich mich, aus dieser Zwangslage zu befreien, aber wohin ich auch schlug und trat, es war nichts da. Niemanden den ich wegstoßen konnte.

Ich stieß meine Wasserflasche vom Nachttisch, die in tausend Scherben zersprang. In der Hoffnung, mich zu befreien, schlug ich mit meiner Faust versehentlich gegen meinen Wecker. Dieser flog durch das gesamte Zimmer und knallte gegen die Wand. Selbst in meinen rotblonden Locken gab es nichts, dass meine Hände herausreißen konnten. Nur der Schmerz war da, aber nichts Greifbares, dass ihn verursachte. Blinde Panik erfasste mich! Ich fühlte mich ausgeliefert. Tränen brannten in meinen Augen. Was sollte ich nur tun? Ein mitleidloses, kratzendes Lachen erfüllte mein Zimmer. Was sollte das alles hier? Waren das die letzten Sekunden meines Lebens? Sollte ich von einem unsichtbaren Monster aus der Finsternis umgebracht werden? Aber wieso? Wie konnte es sein, dass jetzt so etwas passierte? Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf. Ich suchte fieberhaft nach einem Ausweg aus dieser Zwangslage, konnte aber keinen finden.

"Was willst Du von mir?", schrie ich das Wesen an. Schlagartig verschwand der reißende Schmerz. Meine Kopfhaut brannte, als meine Haare ihre Freiheit wieder hatten. Die Kälte zog sich sehr langsam zurück. Der Sturm legte sich und die Seiten meines Aufsatzes sanken langsam zu Boden.

Als ich schon erleichtert aufatmen wollte, hörte ich eine Stimme. Sie flüsterte so leise, dass es auch ein Windhauch hätte sein können: „Hüterin, auch diesmal wirst Du es nicht verhindern können. Sie ist der letzte Schmetterling! Ich habe mein Ziel so gut wie erreicht! Hahaha! Ich werde es vermissen mit Dir zu spielen...!“ Diese Worte ließen mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich wollte schreien, aber mein Hals war wie zugeschnürt. Fühlte es sich so an, wenn man unter Schock stand?

Die Kälte war nun vollständig aus meinem Zimmer verschwunden. Es war ruhig! Alles fühlte sich an wie immer. Vielleicht hatte ich das Ganze ja nur geträumt. Ein sehr realistischer Alptraum, aber eben doch nur ein Traum. Ja, das musste es gewesen sein, einfach nur ein Traum! Auch wenn ich mir selber nicht glauben konnte, rutschte ich wieder unter meine Bettdecke und schlug sie über meinen Kopf. Erst hier konnte ich wieder einen klaren Gedanken fassen. Was hatten die Worte zu bedeuten? „…Sie ist der letzte Schmetterling…“ was… Ohhh NEIN!!!

Ich riss die Decke von mir herunter und sprang aus dem Bett. Ich spürte nicht, dass sich die Glassplitter der Wasserflasche tief in meine Fußsohlen bohrten. Das warme, klebrige Blut, welches aus der Wunde sickerte, nahm ich kaum wahr. Ich stürzte aus meinem Zimmer, rannte den Flur entlang, riss die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern auf und schaltete das Licht an. Die gelben Vorhänge flatterten sanft vor der geöffneten Balkontür. Auf dem kleinen Tischchen lag das Buch, welches Mama heute noch begeistert gelesen hatte. Mein Blick schweifte zum Bett meiner Eltern. Warum wachten sie nicht auf? Was meine Augen dort sahen, brannte sich in mein Gehirn! Mein persönlicher Horrorfilm!

Da lagen meine Eltern in ihrem Bett, in dem ich mich so viele Jahre am Sonntagmorgen an sie kuschelte. Ihre Hände, mit denen sie mich immer liebevoll hielten, waren auf der Decke gefaltet und sahen knochig und alt aus. Ihre Augen, aus denen immer Liebe und Stolz geleuchtet hatten, waren nun leblos und weit geöffnet. Der Mund meiner Mutter, der mir noch vor wenigen Stunden eine gute Nacht und schöne Träume wünschte, war zu einer Fratze verzogen. Der meines Vaters zu einem stummen Schrei aufgerissen. Beide wirkten, als würde unendlicher Schmerz sie peinigen. Ich musste sie nicht berühren, um zu wissen, dass beide tot waren. Ihre Haut zeigte einen unnatürlichen Grauton und spannte sich straff über die hervorstehenden Knochen. Ich wollte raus hier, aber meine Beine trugen mich wie von allein zum Bettchen von Amelie.

Da lag sie mit ihrem Schnuller im Mund. So rosig und wunderschön wie jeden Tag seit ihrer Geburt vor acht Monaten. Meine kleine Schwester. Ihr war nichts passiert! Ich nahm sie hastig aus ihrem Bettchen. Sie musste weg von diesem schrecklichen Ort.

Sie schlief ruhig in meinen Armen. Was war nur mit ihr? Nun bemerkte ich eine rote Stelle auf ihrer Wange. Was war das und wieso wachte Amelie nicht auf? Ich sah mir diesen Fleck genauer an und erschauerte. Er hatte die Form eines kleinen roten Schmetterlings und er bewegte sich. Was hatte das zu bedeuten? In diesem Augenblick löste sich etwas von Amelies Haut. Zarte Flügel erschienen an der Stelle, wo der Schmetterling ihre Haut zeichnete. Kleine Beine erschienen an einem langen, pelzigen Körper. Dort wo vorher das Hautmal war, bewegte ein bunter Falter sanft seine Flügel. Dann erhob er sich in die Luft, flog zum Fenster und durch den geöffneten Spalt hinaus ins Freie. Amelie erschlaffte in meinen Armen. Erneut von Angst ergriffen, versuchte ich sie zu wecken, aber es gelang mir nicht. Sie atmete schwach. Das konnte ich spüren, aber ich bekam sie einfach nicht wach! Ich schrie sie an: „Amelie! Amelie! Du musst aufwachen!!!“ Ich begann sie vorsichtig in den Oberschenkel zu zwicken, aber auch das brachte sie nicht dazu die Augen zu öffnen.

Ich rannte mit ihr auf dem Arm durch den langen Flur unserer herrschaftlichen Vorstadtvilla. Die Holzdielen knarrten protestierend unter meinen Füßen. Nur weg von dem Raum, in dem sich meine persönliche Hölle befand. Weg von meinen über alles geliebten Eltern, die so grauenhaft wirkten. Auf der Treppe wäre ich fast über meine Inliner gestolpert. Im letzten Moment sprang ich darüber hinweg. Das tat meinem jetzt sehr stark blutenden Fuß nicht gut, aber ich ignorierte den Schmerz. Gleichzeitig wurde ich von einem Schwindel erfasst, den ich kaum aushalten konnte. Die Treppe begann zu schwanken und mein Sichtfeld wurde unscharf.

Verzweifelt schüttelte ich den Kopf und konnte nur einen klaren Gedanken fassen: „Beschütze Amelie! Lass nicht los!“ Im Wohnzimmer angekommen, riss ich das Telefon aus der Halterung und wählte 911. Schwach sank ich auf unser geblümtes Sofa. Meine Beine hätten mich keine Minute länger getragen. Nach dem dritten Mal Klingeln meldete sich endlich eine Frau mit einer gelangweilten Stimme: „Notrufzentrale, wie kann ich ihnen helfen?“ Ich stammelte etwas von „alle tot“, „schnell kommen“, „Michiganstreet 5“, dann wurde es schwarz um mich herum… mein letzter Gedanke galt Amelie, die ich immer noch fest umklammert hielt.

KAPITEL 2

Die Dunkelheit hielt mich umfangen wie ein warmer schützender Umhang. Ich klammerte mich daran fest. Ich wollte nicht mehr aufwachen und für immer in dieser Welt ohne Erinnerungen bleiben. Aber je mehr ich mich anstrengte in der Dunkelheit zu verweilen, desto schneller entglitt ich ihr. Langsam kam das Bewusstsein zu mir zurück. Ich wollte meine Augen nicht öffnen, denn das helle Licht drang sogar durch die Augenlider und blendete mich. Mein Fuß brannte wie Feuer und ich musste vor Schmerz kurz aufstöhnen, als ich versuchte, ihn zu bewegen. Sofort spürte ich, wie sich eine warme Hand in meine schob und sanft mit dem Daumen über meinen Handrücken strich. Eine vertraute und liebevolle Stimme drang an mein Ohr: „Sweety, ich bin bei Dir! Du bist nicht allein! Komm wach auf!“ Ein Lächeln zog über mein Gesicht: „Granny“, seufzte ich und blinzelte dem blendenden Licht entgegen. Da war sie. Meine über alles geliebte Granny.

Das Lächeln, das sie mir schenkte, wirkte angestrengt und erreichte ihre Augen nicht. Sie sah müde und abgeschlagen aus. Die Falten, auf ihrem sonst so sorgenfreien Gesicht, hatten sich noch tiefer in ihre Haut gegraben. Bevor ich fragen konnte, was denn passiert war, kamen auch schon die Erinnerungen zurück. Die schrecklichen Bilder stürmten auf mich ein und ich drohte unter der Last zu ersticken. Es war wie ein Faustschlag in den Magen, der mich würgen ließ. War das wirklich passiert? Waren meine Eltern tot? Was war mit Amelie?

Das Lächeln erstarb in meinem Gesicht. Der Kloß in meinem Hals wuchs ins Unermessliche. Gleich würde ich ersticken. Mit einem keuchenden Atemzug schossen mir die Tränen in die Augen. Ich schluchzte laut und Granny zog mich in ihre Arme, ohne ein Wort zu sagen. Wir hielten uns einfach fest. Ich wusste, dass sie genauso litt wie ich. Sie hatte ihre Tochter verloren. Ihr einziges Kind. Ich spürte, wie ihre Tränen meine Schultern durchnässten. Es war das Einzige, was wir machen konnten. Unseren Tränen freien Lauf lassen und den ganzen Kummer zulassen. Eine gefühlte Ewigkeit hielten wir uns so fest. Ich erinnerte mich an jeden Moment, den ich mit meiner Granny erlebt hatte. Sie war ein wichtiger Teil meiner Familie. So etwas wie das Oberhaupt. Sie hatte meine Schule ausgesucht und auch über meine Hobbys bestimmt. Mit Miriam, meiner besten Freundin, verbrachte ich wundervolle Nachmittage bei Granny. Und sie wachte immer streng über unsere Ergebnisse in der Schule und auf der Kampfsportakademie. Dabei betonte sie immer, um mein Wohl besorgt zu sein und auch meiner Mum stand sie immer zur Seite. Sie hatte ihr Kind von ganzem Herzen geliebt. Nun stützten wir uns gegenseitig und spendeten einander Trost, bis sich die Tür öffnete und wir unsanft aus unserer kleinen traurigen Welt gerissen wurden. Herein kam ein großer, hagerer Mann mit stechenden blauen Augen, die in meine Seele zu schauen schienen. Er trug einen weißen Kittel und Gummischuhe, die bei jedem Schritt quietschten. Das kalte Licht der Neonröhren spiegelte sich in seiner Glatze. Um seinen Hals hing ein Stethoskop. Das Lächeln in seinem Gesicht schien mir so deplatziert in dieser Situation. „Guten Tag Elisabeth. Ich bin Dr. Schreiber. Schön, dass du aufgewacht bist. Wir werden uns schon um Dich kümmern. Bist ja wichtig, nicht wahr?“ Mit schnellen Schritten war er bei mir und schüttelte überschwänglich meine Hand. Was war das denn? Feinfühligkeit war bei diesem Herrn wohl ein Fremdwort.

Erst jetzt realisierte ich meine Umgebung. Ich lag in einem Krankenhausbett. Die Bezüge waren schneeweiß und unterstrichen noch die kalte Atmosphäre, die die Neonröhren in dem kargen Zimmer zauberten. Neben meinem Bett standen ein kleiner weißer Tisch und ein Stuhl, den meine Oma näher zum Bett herangezogen hatte. Ein großes Fenster, ein Einbauschrank und sonst gab es hier nichts. Doch..., gegenüber von meinem Bett war eine blendend weiße Wand, die nur einem einzigen Bild schmückte.

Als ich dieses Bild nun genau in Augenschein nahm, wurde ich weiß wie eine Marmorsäule. Ich riss die Augen auf, meine Hand wanderte nach oben und mein Finger zeigte auf den Wandschmuck, aber über meine Lippen kam kein Wort. Auf dem Gemälde prangte ein Schmetterling. Er war schön, farbenfroh und groß. Das war der Schmetterling, der aus meiner kleinen Schwester aufgetaucht war. Die Fragen sprengten fast meinen Kopf. Das hier war ganz sicher nicht das städtische Krankenhaus, in dem Mama Amelie entbunden hatte. Dieser Raum hier war viel kleiner als die Zimmer dort. Mein Fenster hier war vergittert und dahinter sah ich nicht die Fassaden der anderen Wolkenkratzer, sondern Berge. Schneebedeckte Hügel reichten bis in die Wolken. Ein Anblick, den ich sonst nur von Postkarten kannte. Seit wann gab es in New York Berge?

Meine Granny nahm mich wieder in die Arme und flüsterte leise: „Ich weiß, Sweety. Ich weiß.“ Langsam hob ich meinen Kopf und schaute ihr in die Augen. Was sagte sie da? Mein Blick war fragend. „Was weißt Du?“, krächzte ich heißer. „Wo bin ich hier? Was ist hier eigentlich los?“ Gran nahm mich in die Arme, gab mir aber keine Antwort. Wie konnte sie etwas darüber wissen? In meinem Kopf flog alles durcheinander. Ich fühlte mich, als wenn ich jeden Moment explodieren müsste. Ich schob Oma von mir und sah ihren verzweifelten Blick. Ich wollte sie schütteln, sie anschreien. Sie sollte es mir erklären, aber als ich meinen Mund öffnete, kamen keine Worte heraus. Doch ich schrie! Ich musste die Panik und Verzweiflung herauslassen! Ich konnte nicht aufhören! Ich schrie, so laut ich konnte. Ich schrie und schrie. Ich war nicht mehr in der Lage mich zu stoppen. Ich weiß nicht, ob Dr. Schreiber mit diesem Nervenzusammenbruch rechnete, aber er zog eine fertig aufgezogene Spritze aus seiner Tasche und injizierte mir, was auch immer, in meinen Arm. Sofort verschwamm das Krankenzimmer vor meinen Augen und das Letzte, was ich sah, war das immer noch lächelnde Gesicht von Dr. Schreiber und daneben die Tränen verquollenen Augen meiner Gran.