Séamus Ó Grianna

Selbst der beste Plan

Erzählungen

Aus dem Englischen von
Gabriele Haefs und Julian Haefs

Mit einem Nachwort
von Ralf Sotscheck

Die englische Originalausgabe erschien erstmals
bei Mercier Press in Cork / Irland.

Dieses Buch wurde mit der Unterstützung
von Literature Ireland veröffentlicht.

© 2021 by mareverlag, Hamburg

Covergestaltung Nadja Zobel, Petra Koßmann / mareverlag

Coverabbildung akg-images / Rockwell Kent

Typografie (Hardcover) mareverlag

Datenkonvertierung E-Book Bookwire

ISBN E-Book: 978-3-86648-399-6

ISBN Hardcover-Ausgabe: 978-3-86648-608-9

www.mare.de

Inhalt

Mickey – Gott hab ihn selig!

Denis der Träumer

Manus MacAward, Raucher und Geschichtenerzähler

Home Rule

Die Rache der See

Blagadán

Einzelkampf

Bei Sonnenuntergang

Maifest-Zauber

Ein Hundeleben

Selbst der beste Plan

Die blonde Mary

Die Spionin

Die Früchte der Bildung

Edward Devanny

Glossar

Die große Liebe und ein Schaf als Mitgift – Nachwort von Ralf Sotscheck

Mickey – Gott hab ihn selig!

I

In den Rosses hatte die Heiratszeit begonnen, die Zeit zwischen dem Dreikönigstag und dem Beginn der Fastenzeit.

Conall Ferry wollte heiraten. Das würde ihm jedoch nicht leichtfallen, denn er war von scheuem unbeholfenen Wesen. Er ging niemals zum Tanz oder zu anderen Geselligkeiten, wo ein junger Mann Mädchen treffen und Bekanntschaften schließen konnte.

Er besuchte nur einmal im Jahr die Messe, und zwar am St. Patrick’s Day. Es war jedoch nicht der mangelnde Glaube, der ihn von der Messe fernhielt. Nein, es war der Mangel an Kleidung. Er hatte nur Lumpenkram, den seine Mutter auf dem Jahrmarkt des Dorfes für ihn gekauft hatte. Lange Zeit schien ihm das nichts auszumachen. Die Nachbarn waren sogar der Ansicht, dass er die Lumpen bevorzugte, denn so konnte er sich, wann immer er Lust hatte, vor dem Feuer auf dem Lehmboden ausstrecken.

Das war ja auch schön und gut. Als er aber heiratslustig wurde, musste er sich mit sich selbst und seiner Lage auseinandersetzen. Dabei kam er bald zu dem Schluss, dass er eine Frau und eine anständige Hose brauchte. Seine einzige Hose bestand nur noch aus Fetzen und Flicken.

Er erzählte seiner Mutter, dass er gern heiraten wollte. Sie stimmte sofort zu. Sie sagte, es sei Zeit für ihn, und erflehte für ihn Gottes Segen und Führung. Mehr sagte sie nicht. Conall stand da und sah sie an. Konnte sie denn wirklich nicht begriffen haben, dass er sich eine Hose kaufen musste? Sie hatte es offenbar nicht begriffen. Und sie hatte ihre eigene Lösung für das Problem.

»Mutter«, sagte Conall endlich. »Könntest du mir das Geld für eine Hose geben?«

»Nein, das könnte ich nicht, mein Sohn«, antwortete seine Mutter. »Ich habe keine rote Kupfermünze im Haus, außer dem Pachtgeld, und das ist morgen fällig. Aber sag mal, hast du denn die Frau? Wenn ja, dann müsste es einfach sein, dir die Hose zu besorgen. Du könntest dir eine leihen.«

»Ich würde mich schämen, mir eine Hose zu leihen, in der ich heiraten kann«, sagte Conall.

»Dich schämen!«, sagte seine Mutter. »Kennst du nicht das alte Sprichwort: Wer sich zu bitten schämt, geht mit leeren Händen fort? Du wärst nicht der Erste, der in geliehenen Sachen vor den Traualtar tritt. Aber wir wollen das der Reihe nach machen. Ich habe dich gefragt, ob du die Frau hast. Wenn ja, dann geh zu Manus Roe O’Donnell und bitte ihn, dir eine Hose zu leihen. Manus und ich sind verwandt. Und wenn das Blut der roten O’Donnells noch nicht verblasst ist, dann wird Manus nicht zulassen, dass es meinem Sohn an einer Hose zum Heiraten fehlt.«

»Wenn ich mir also eine Hose leihen muss«, sagte Conall, »wäre es dann nicht besser, das zuerst zu erledigen? Es wäre doch überaus peinlich, ein Mädchen zu fragen, ob sie mich heiraten will, und sie sagt Ja, und dann sitze ich auf dem Trockenen, weil mir die Hose fehlt?«

»Wäre es nicht genauso peinlich«, sagte die Mutter, »wenn du die Hose zum Heiraten geliehen bekämst, und dann sitzt du auf dem Trockenen, weil dir die Braut fehlt? Aber ich nehme an, du kennst dich in deinen Angelegenheiten am besten aus.«

Manus Roe O’Donnell war ein geschäftiger, hart arbeitender Mann, und er hatte das, was kein anderer Mann in der Pfarre hatte – drei Hosen! Er hatte eine Sonntagshose, eine Werktagshose und eine Zwischendrinhose, die weder neu noch alt war. Manus war ein herzensguter Mann, zumal, wenn es um sein eigen Fleisch und Blut ging (denn das Blut der roten O’Donnells war durchaus nicht verblasst).

»Natürlich«, sagte er zu Conall. »Ich habe eine brauchbare Hose, genau die richtige für dich … bitte sehr … jetzt geh mal da in die Kammer und zieh sie an … ein bisschen lang. Aber da weiß ich Rat. Krempel einfach die Hosenbeine hoch … noch ein paar Zoll … so. Passt wie angegossen. Und jetzt wünsche ich dir alles Gute.«

»Ich habe die Hose«, sagte Conall zu sich. »Jetzt fehlt mir nur noch die Frau.«

Es gab in der Gegend ein Mädchen – Sawa Gallagher –, auf das Conall ein Auge geworfen hatte. Er hatte schon oft mit ihr gesprochen. Sie war ein sehr nettes Mädchen, fand er. Sie hatte bezaubernde Augen und eine bezaubernde Art, etwas zu sagen.

Natürlich hatte Conall mit Sawa nie über das Heiraten gesprochen. Dazu war er zu schüchtern. Aber er würde ihr den Heiratsantrag ja nicht persönlich machen müssen. Er könnte jemanden bitten, das für ihn zu übernehmen. So war es damals in den Rosses nämlich üblich.

Conall wandte sich an einen jungen Mann aus der Nachbarschaft – Mickey Sweeney. Mickey war ein netter, fröhlicher Bursche und immer bereit, einem Nachbarn einen Gefallen zu tun. Er galt auch als eine Art Advokat, und es hieß, mindestens drei Männer seien als Gatten angenommen worden, die sonst abgewiesen worden wären, wenn die Brautwerbung einem anderen als Mickey anvertraut worden wäre.

»Mickey«, sagte Conall, »ich glaube, ich würde gern heiraten.«

»Sehr klug von dir«, sagte Mickey.

»Mickey, ich wollte dich bitten, die Frau für mich zu fragen.«

»Das wird mir doch ein Vergnügen sein. Das bring ich für dich in Ordnung, mein Junge. Und wir werden eine Hochzeit feiern, wie sie die Rosses seit Menschengedenken nicht mehr gesehen haben. Wer ist übrigens die Glückliche?«

»Ich habe schon seit Langem ein Auge auf ein richtig nettes Mädchen geworfen«, sagte Conall. »Sawa Gallagher.«

»Sawa Gallagher!«, sagte Mickey mit zitternder Stimme. Sawa Gallagher! Gerade die, an die Mickey selbst so oft dachte. Und die er bitten wollte, ihn zu heiraten, wenn die Zeit reif wäre. Wäre er nicht ganz schön angeschmiert, wenn seine Liebste einen anderen nähme? Mickey wollte erst in einigen Jahren heiraten. Er fürchtete, sein Vater würde ihm kein ausreichend großes Stück Land abgeben. Nun steckte er in der Klemme. Was, wenn Sawa der Spatz in der Hand lieber wäre als die Taube auf dem Dach? Diese Art von weltlicher Weisheit besaßen Frauen doch angeblich seit dem Anbeginn der Zeiten!

»Ich möchte dir raten, dein Glück bei einer anderen zu versuchen«, sagte Mickey, als er sich von seinem Schock erholt hatte. »Ich habe gehört, dass Sawa dem Großen Jack McGee aus Milltown so gut wie versprochen ist. Und wenn du dir einen Korb holst, spricht das gegen dich. Es ist das Schlimmste, was einem Mann passieren kann. Ein Mädchen ist heute vielleicht durchaus bereit, dich zu heiraten, aber sowie sie gehört hat, dass eine andere dich nicht wollte, schon schaut sie dich morgen nicht mehr an. Das gilt natürlich für jeden Mann so gut wie für dich. Frauen sind seltsame Wesen. Die meisten würden lieber ihr Leben lang allein bleiben, als ›die Krümel einer anderen aufzulesen‹, wie es heißt. Ich möchte dir also raten, keinen Korb zu riskieren, indem du Sawa Gallagher fragst. Wie wäre es mit Madge McGinn?«

»Die mag ich nicht«, sagte Conall.

»Dann Sheela Rodgers?«, fragte Mickey.

»Wenn du Sawa Gallagher nicht für mich fragen magst«, sagte Conall, »sag das ganz offen. Dann suche ich mir einen anderen Brautwerber.«

»Sei doch mal vernünftig, Mann«, sagte Mickey und riss sich zusammen. »Ich mach das doch für dich. Wieso auch nicht? Ich wollte dir nur einen guten Rat geben, zu deinem eigenen Besten. Das ist alles.«

»Na gut«, sagte Conall. »Dann wäre das geklärt. Ich hol uns jetzt erst mal einen Tropfen Poitín. Und morgen sprichst du für mich mit Sawa Gallagher.«

Am nächsten Abend machte Mickey sich auf den Weg. Ihm blieb nichts anderes übrig. Wenn er es nicht machte, könnte Conall jederzeit einen anderen schicken. Aber Mickeys Gehirn war inzwischen nicht untätig gewesen. Er hatte gewaltig nachgedacht. Er war zu dem Schluss gekommen, dass ihm nur eine Möglichkeit blieb. Und zwar diese: Conalls Antrag auszurichten. Und wenn Sawa irgendeine Neigung zeigte, zuzustimmen, dann würde Mickey ihr ebenfalls einen Antrag machen – sollte sein Vater sich das Land doch an den Hut stecken.

Mickey kam zu Sawas Haus. Und wie immer war er dort willkommen.

»Gibt’s was Neues?«, fragte die Hausfrau.

»Ich habe seltsame Nachrichten«, sagte Mickey. »Ihr werdet es kaum glauben, aber es ist die Wahrheit. Ich bin heute Abend mit einem witzigen Auftrag hier. Ich komme mit einem Heiratsantrag für Sawa.«

Sawa war plötzlich gewaltig damit beschäftigt, Torf aufs Feuer zu legen.

»Dürfte man vielleicht fragen, wer dich schickt?«, fragte die Hausfrau.

»Es muss wohl heraus«, sagte Mickey. »Aber bitte, macht mir keine Vorwürfe. Ich bin hier nur der Bote. Eine solche Bitte kann ich doch niemandem abschlagen. Natürlich habe ich ihm geraten, zur Vernunft zu kommen und bei seinen Leisten zu bleiben. Aber das hat nicht geholfen.«

»Himmel, wer ist es denn?«, fragte die Hausfrau.

»Ihr würdet das in tausend Jahren nicht erraten«, sagte Mickey. »Conall Ferry.«

»Der müsste doch sparsam sein, wenn er irgendwie auf seine Eltern kommt«, sagte die Hausfrau.

»Na ja, ich dürfte das nicht sagen«, antwortete Mickey. »Aber in so einem Moment muss die Wahrheit ans Licht. Er ist sehr faul. Er hat noch nicht einmal alle Kartoffeln ausgemacht. Die faulen in der Erde vor sich hin. Und er säuft wie ein Loch. Beim letzten Jahrmarkt hat er ein Kalb verkauft und das Geld bis auf den letzten Penny mit einer Bande von Kesselflickern vertrunken. Am Abend lag er sternhagelvoll bei Morrisons im Hinterhof.«

»Dann nüchtert er ja offenbar blitzschnell aus«, sagte Sawa. »Ich bin ihm auf dem Heimweg begegnet, und da war er so nüchtern wie jetzt du.«

»Ich erzähle nur, was ich gehört habe«, sagte Mickey. »Ich war nicht auf dem Jahrmarkt. Ich gehe nur hin, wenn ich Geschäfte habe – ein Tier zu kaufen oder ein Tier zu verkaufen. Aber egal, wie er es mit dem Trinken hält, faul ist er. Das ist kein Gerücht. Ich weiß ganz genau, dass er in keinem Jahr vor Anfang April einen Spaten in die Hand nimmt.«

»Und wann hat er die Wiese neben dem Haus umgegraben?«, fragte Sawa. »War das im letzten April?«

Damit hatte Mickey nicht gerechnet. Sawa verteidigte Conall! Egal, was er sagte, sie war auf Conalls Seite. Nun kam Mickey der Gedanke, dass er möglicherweise die falsche Karte ausgespielt hatte, dass es vielleicht besser gewesen wäre, so zu tun, als wäre es ihm egal, ob Sawa Conall heiraten wollte oder nicht.

»Wie seht ihr das denn?«, fragte er die Eltern.

»Das überlassen wir ihr«, sagte der Vater. »Sawa muss entscheiden. Es geht doch um ihr Schicksal, nicht um unseres.«

Mickey begriff, dass er die Partie verloren hatte. Er musste rasch handeln. Er konnte Sawa keine Zeit lassen, sich die Sache zu überlegen. Ihn überkam die plötzliche Angst, dass sie Conalls Antrag annehmen könnte. Und dann wäre alles verloren.

»Na«, sagte er und versuchte zu lächeln, »ich gebe wohl besser jetzt zu, dass es nur Unsinn war. Der arme Conall Ferry! Ich hoffe, ihr glaubt mir, dass ich kein Wort davon gemeint habe, was ich über ihn gesagt habe. Aber so ein kleiner Witz kann doch nichts schaden. Was ich hier in die Wege leiten möchte, ist meine eigene Hochzeit. Und ich bin mein eigener Brautwerber. Ich bin gekommen, um Sawa zu fragen, ob sie mich heiraten möchte.«

Niemand sagte etwas. Sawa kratzte Wolle. Sie wirkte vollkommen in ihre Arbeit vertieft, so als ginge Mickeys Antrag sie gar nichts an.

Endlich brach ihre Mutter das verlegene Schweigen. »Ich hätte nicht gedacht, dass du in den nächsten ein bis zwei Jahren schon heiraten wolltest«, sagte sie.

Sawa kratzte Wolle.

»Ich habe meinen Entschluss für mich behalten, bis ich bereit war, mich zu erklären«, sagte Mickey.

»Na«, sagte der Vater, »wie schon gesagt, als ich dich noch für den Brautwerber für einen anderen gehalten habe – und entschuldige bitte, wenn ich deine Witze nicht verstanden habe –: Wir werden unserer Tochter bei ihrer Entscheidung keine Steine in den Weg legen. Das ist ihre Angelegenheit. Was sagst du, Sawa?«

»Ich bin heute Abend nicht in Stimmung, um überhaupt irgendetwas zu sagen«, sagte Sawa. »Ich habe mich viel zu sehr geärgert. Denn wenn mir in Herz und Seele auf dieser Welt etwas verhasst ist, dann Verleumdung und üble Nachrede. Conall Ferry ist nicht faul. Er ist kein Trinker. Er kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten. Niemand hat ihn je ein böses Wort über einen Nachbarn sagen hören. Einige von uns könnten sich daran wirklich ein gutes Beispiel nehmen.«

»Komm schon«, sagte die Mutter. »Hör auf mit dem Predigen und sag etwas zu dem Antrag, der dir da gemacht worden ist.«

»Ich hatte nicht vor, in diesem Winter zu heiraten«, sagte Sawa und machte weiter mit ihrer Arbeit, wie um Mickey zu zeigen, dass sie ihn zwar heiraten wollte, dass sie sich aber noch immer darüber ärgerte, was er über einen anständigen, umgänglichen Nachbarn gesagt hatte.

Und damit war die Sache entschieden. Am nächsten Morgen verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Pfarre. Und die Frauen, die jungen wie die alten, hatten Gesprächsstoff. Wirklich eine unglaubliche Neuigkeit! Conall Ferry hatte einen Brautwerber zu einem Mädchen geschickt. Und der Brautwerber hatte die Braut für sich selbst geworben!

Mickey und Sawa heirateten eine Woche später. Conall Ferry ging zur nächsten Destille und trank dort den ganzen Tag. In der Abenddämmerung taumelte er heimwärts. Später kam er zu dem Haus, wo die Hochzeit gefeiert wurde – natürlich ohne eingeladen zu sein. Er ging hinein und ließ sich hinter der Tür auf einen Stuhl fallen. Nach einer Weile erhob er sich mühsam. Er hatte einen irren Blick. Er schwankte durch den Raum zum Feuer hinüber und begann mit seinem betrunkenen Gestammel. Er müsse Sawa sehen, sagte er. Er habe eine Frage an sie. Warum habe sie ihn so gemein betrogen? Und mit Mickey habe er auch noch ein Hühnchen zu rupfen, sagte er.

Sawa schob Mickey in ein Zimmer neben der Küche. Der Hausherr versuchte, Conall zu beruhigen, aber das half nichts.

»Ich bin genauso gut wie dieser räudige Sohn eines räudigen Flickschusters«, sagte Conall.

»Noch ein Wort, und ich brech ihm an der Türschwelle das Genick«, sagte Mickey zu Sawa.

»Ach, Mickey«, sagte Sawa und legte die Arme um ihn, um ihn aus dem Handgemenge herauszuhalten. »Du hast den armen Kerl doch wirklich ausreichend besiegt. Es wäre für immer eine Schande für dich, ihm jetzt auch nur ein Haar zu krümmen. Der arme Wicht ist die Prügel nicht wert.«

»Wenn er nicht betrunken wäre«, sagte Mickey, »würde ich ihm einen Grund geben, sich das Ohr zu reiben.«

»Betrunken oder nüchtern, er hat keine Aufmerksamkeit verdient«, sagte die Braut. »Wenn der arme Trottel auch nur einen Funken Verstand hätte, hätte er sich doch nie im Leben eingebildet, dass ich ihn heiraten könnte.«

»Aber neulich an dem Abend hast du ihn verteidigt«, sagte Mickey.

»Ich habe ihn verteidigt«, sagte Sawa, »weil ich so wütend auf dich war, dass du seinen Brautwerber machtest, dass ich dir bei allem widersprochen hätte. Ich bin immer noch sauer, wenn ich daran denke. Wie konntest du, wie konnte irgendwer auf die Idee kommen, dass ich diesen armen, schniefenden Trottel heiraten würde? Und wenn er der letzte Mann vor dem Ende der Welt wäre. Ich war wütend auf dich, so war das.«

»Na, Liebling, das ist jetzt ein für alle Mal vorbei«, sagte Mickey.

II

Fünf Jahre und einige Monate darauf lag Mickey Sweeney im Sterben. Sawa saß an seinem Lager, ein Bild der Trauer. Freundliche Nachbarn schauten herein, um ihr Beileid auszusprechen und jegliche Hilfe anzubieten, die sie liefern konnten. Mein Vater brachte eine Kiepe voll Torf und stellte sie in einer Ecke der Küche ab. Sawa blieb stumm. Später brachte meine Mutter eine Flasche Milch. Sie stellte die Flasche auf die Kommode und trat dann ans Feuer. »Wie hat er die Nacht überstanden?«, fragte sie Sawa.

»Schlecht«, sagte Sawa. Mehr sagte sie nicht.

Conall Ferry kam herein. »Wie geht es ihm heute?«, fragte er Sawa.

»Ach, Conall, Conall, ich fürchte, er stirbt«, sagte Sawa. »Es geht ihm immer schlechter … Ach, es ist ein grausamer Schlag, nicht wahr, Conall?«

Es ging Mickey wirklich immer schlechter, das stand fest. Am nächsten Morgen, ungefähr eine Stunde vor Anbruch des Tages, starb er.

Die Nachbarn versammelten sich im Haus. Conall Ferry fütterte die Kuh und holte Torf herein. Jemand wurde in den Laden geschickt, um Tonpfeifen und Tabak zu kaufen. Und im Haus wurde alles für die Totenwache vorbereitet.

Die Nacht kam. Im Haus wimmelte es nur so von Menschen, vom Kamin bis zur Tür. »Conall«, sagte die Witwe zu Conall Ferry, »verteil du den Tabak, und verteil ihn reichlich. Gib ihnen so viel zu rauchen, wie sie mögen. Er würde das so wollen, denn er hatte ein großes Herz.«

Eine verkrüppelte, grauhaarige alte Frau ging zu dem Bett, auf dem der Leichnam aufgebahrt war, und begann zu klagen. Es war Mickeys Mutter. Niemand war von ihrem Wehgesang beeindruckt. Ihre Stimme war schwach und heiser. Ihre Totenklage bestand nur aus wenigen Wörtern, und die wiederholte sie ein ums andere Mal. »Ochón und ochón, mein Kind, mein eigenes geliebtes Kind!«

Nach einigen Minuten stand Sawa auf und stimmte in die Klagen der alten Mutter ein … Tödliches Schweigen senkte sich über das Haus. Bald waren alle Frauen in Tränen aufgelöst, viele Männer auch. Der Kummer der alten Frau schien sie nicht im Geringsten zu berühren, Sawas Klage jedoch presste ihnen das Herz zusammen.

»Oh, Mickey, Mickey! Vorige Nacht konntest du nicht schlafen, aber in dieser Nacht liegst du im tiefsten Schlaf. Einem Schlaf, aus dem du niemals wieder erwachen wirst. Die vorige Nacht war eine lange und grausame Nacht für dich, Mickey. Du dachtest, dass die Finsternis dir das Leben aus dem Leib quetschte und dass du wieder zu Atem kommen würdest, wenn du nur das Tageslicht erblicktest. So oft hast du mich gebeten, hinauszugehen und nachzusehen, ob schon die ersten Streifen der Morgendämmerung am Himmel zu sehen wären. Ach, Mickey, Mickey, du musstest gehen, ehe die Dämmerung kam. Für mich war es die schwarze Dämmerung – die Dämmerung, die ich niemals vergessen kann … Gestern um diese Zeit hast du mich um etwas zu trinken gebeten, aber heute hast du keinen Durst. Warum hast du uns verlassen, Mickey? Warum bist du gestorben? Warum hast du Frau und Kind allein auf dieser bitteren Welt zurückgelassen? Oh, Mickey, dein Sohn, dein Sohn! Er glaubt, dass du nur schläfst, und er fragt mich, wann du wieder aufwachst. Aber das Warten darauf, dass du deine Augen öffnest, wird für ihn lang und grausam werden … Oh, das grausame Schicksal, das mich leben und sehen ließ, wie du im Tode die Augen zugemacht und uns für immer verlassen hast!«

Conall Ferry verteilte reichlich Tabak an den beiden Abenden der Totenwache. Er kümmerte sich um die Kuh. Er brachte Torf ins Haus und hielt die Feuer am Brennen. Er tat alles, was ein Mann im Haus eben tun konnte.

»Conall Ferry ist wirklich eine gute Seele«, sagte mein Vater zu meiner Mutter. »Und er ist ein harmloses, bedauernswertes Wesen. Viele an seiner Stelle würden nicht in die Nähe des Hauses, neben das Haus oder gar in das Haus treten. Aber er hat das Richtige getan. Es ist wunderbar, solche christliche Nächstenliebe zu sehen.«

»Christliche Nächstenliebe, meine Güte«, sagte meine Mutter. »Conall Ferry ist noch immer in Sawa verschossen. Du wirst vielleicht erleben, dass sie innerhalb von zwei Jahren verheiratet sind.«

»Es ist nicht nett, so etwas zu sagen.«

»Es ist vielleicht nicht nett, aber es ist die Wahrheit. Am Tag ehe der arme Mickey gestorben ist, waren mehrere Leute hier, auch du. Sawa hat aber nur mit Conall gesprochen. Und ich hatte doch den Eindruck, dass in ihrer Stimme eine gewisse Freundlichkeit lag.«

»Was bist du boshaft, Frau«, sagte mein Vater.

»Wir werden ja sehen«, sagte meine Mutter.

Der Tag der Beerdigung kam. Der Leichnam wurde auf den Friedhof gebracht und beerdigt. Conall half, das Grab zuzuschütten. Er legte grüne Grassoden darüber und schlug sie mit der Rückseite der Schaufel glatt. Sawa klagte, bis sie müde war. Endlich konnten die Nachbarn sie überzeugen, nach Hause zu gehen.

Sawa redete fast ununterbrochen über ihren toten Mann. Sie erinnerte sich daran, wo sie überall zusammen gewesen waren. Ihr fielen hundert kleine Dinge ein, die er zu ihr gesagt hatte. Manchmal ging sie auf die Anhöhe hinter dem Haus und klagte, so laut sie nur konnte. Einige Nachbarn versuchten, ihr gut zuzureden. »Es ist nicht richtig, Sawa, dass du so schrecklich jammerst«, sagte Shoogey Brennan eines Tages zu ihr. »Du solltest versuchen, das Gute zu sehen, das dir bleibt, wie meine arme Mutter, Gott hab sie selig, zu meinem Vater gesagt hat, als der kleine Hughie gestorben war. Denk daran, dass es sehr viel schlechter um dich stehen könnte. Du bist jung und stark. Und du brauchst nur für einen kleinen Jungen zu sorgen, Gott segne ihn. So manche arme Witwe sitzt mit einem Haus voller kleiner Kinder da.«

»Aber es ist ein kleiner Trost für mich, nach Herzenslust zu weinen«, sagte Sawa. »Und mir ist es egal, was passiert. Es ist mir egal, ob ich lebe oder sterbe. Ich hatte den besten Mann, den jemals eine Frau gehabt hat, und der Tod hat ihn mir genommen.«

Shoogeys nächster Besuch galt Mickeys Eltern. Die armen alten Leute saßen vor einem fast erloschenen Feuer und sahen traurig und elend aus.

»Ich komme gerade von Sawa«, sagte Shoogey. »Das arme Wesen hat vor Trauer ein gebrochenes Herz.«

»Die Trauer hat nichts mit dem Herzen zu tun«, sagte die alte Frau. »Ach, mein armer Junge, der sich umgebracht hat, um ihr ein Leben im Müßiggang zu ermöglichen. Wenn er besser auf sich aufgepasst hätte, würde er jetzt nicht unter der Erde liegen. Doch das hat er nicht getan. Sie hätte es ihm nicht erlaubt. Jetzt klagt sie. Aber ihre Klagen sind viel zu poetisch. Ich kenne sie nur zu gut. Ich weiß, wes Geistes Kind sie ist. Sie ist vom Stamme der klangvollen Klagen und der trockenen Augen. Wer hier Grund zur Trauer hat, das sind wir. Unser geliebter Sohn ist uns voraus ins Grab gegangen.«

III

Ungefähr eine Woche nach der Beerdigung besuchte Conall Ferry die Witwe. »Ich dachte, du fühlst dich vielleicht einsam«, sagte er. »Deshalb bin ich gekommen.«

Sawa brach in Tränen aus. »Ach, Conall, Conall«, schluchzte sie. »Wenn Mickey am Leben wäre, würde er sich so freuen, dich zu sehen. Denn er hat oft über dich gesprochen.«

»Das weiß ich«, sagte Conall. »Er wird mir sehr fehlen. Aber in diesem Jammertal müssen wir die Dinge so nehmen, wie sie kommen.«

»Du hast gut reden, Conall«, sagte Sawa. »Aber wenn du nur die schmerzliche Trauer fühlen könntest, die mein Herz zerreißt.« Und sie sah aus wie das Inbild des Elends.

»Weißt du«, sagte Conall, »was Pfarrer O’Donnell nach dem Tod meines armen Vaters zu meiner Mutter gesagt hat – der Herr erbarme sich der Toten! Er sagte, sie sollte aufhören zu weinen. Er sagte, das sei eine Beleidigung des Himmels und könnte sogar die dahingegangene Seele länger ins Fegefeuer bannen.«

»Das wusste ich nicht«, sagte Sawa. »Um nichts in der Welt würde ich etwas tun, das meinen über alles Geliebten auch nur eine Minute von seiner ewigen Glückseligkeit zurückhalten kann«, sagte Sawa. Und sie hörte auf zu weinen.

»Bete für ihn«, sagte Conall. »Das ist das Beste, was du tun kannst. Das Beste für ihn und für dich.«

»Wenn ich Geld hätte, würde ich einen Stein auf sein Grab setzen«, sagte Sawa.

»Er ist an einer hübschen Stelle beerdigt«, sagte Conall.

»Wenn das Grab ein bisschen hergerichtet würde. Weißt du, was ich im Sommer gern tun würde, wo ich mir schon keinen Grabstein leisten kann? Muschelsand und Strandsteine aus Dunmore holen und sie auf dem Grab verteilen.«

»Das würde ich jederzeit für dich erledigen«, sagte Conall. »Das ist das Mindeste, was man für einen Freund tun kann. Wir werden den Sand aus Dunmore holen, aber für die Steine müssen wir nach Illanala.«

Es war ein schöner Sommermorgen. Die Boote aus Kindoorin fuhren zum Fischen aus. Eine feine Segelbrise wehte von Südost her, und gerade hatten die Gezeiten gewechselt. Ein Boot segelte aus der Flussmündung, und zwei Menschen saßen darin – Conall und Sawa, unterwegs zu den Inseln, um Schmuck für Mickeys Grab zu holen. Jimmy Wards Boot folgte ihnen. Jimmys Boot hatte zwei Segel und einen Klüver und würde Conalls bald überholen.

»Ich wüsste ja gern, welches Boot das da vor uns ist«, sagte der Lange Jimmy.

»Das sieht aus wie das von Conall Ferry«, sagte Frank Harley. »Ja, das ist es. Und da sitzt Conall am Ruder.«

»Aber wer ist die Frau?«

»Die Witwe Sawa.«

Als sie sich Conalls Boot näherten, hörten sie auf zu reden. Als sie gleichauf kamen, sagte Jimmy: »Schöner Tag heute.«

»Stimmt«, sagte Conall, ohne sich umzusehen.

»Ein wunderschöner Morgen«, sagte Sawa. »Dem Ewigen Vater sei Dank für Seine vielen Gaben und Seine Gnade.«

Jimmys Boot fegte vorüber. Die Männer fingen wieder an zu reden: »Sawa sieht ja nicht mehr so richtig aus wie eine trauernde Witwe«, sagte einer.

»Ja, bei Gott, das tut sie wirklich nicht«, sagte ein anderer.

»Jetzt fahren sie zu den Inseln«, sagte der Große Donagh McGrenna, »um Muschelsand und kleine runde Steine für Mickeys Grab zu holen.«

»Meiner Seel, vielleicht erlebt ihr noch ein witziges Ende für das Schmücken von Mickeys Grab«, sagte der Schwarze Hughdie O’Donnell. »Die Welt ist schon komisch. Da sollte niemand sterben, solange er am Leben bleiben kann.«

»Sei nicht so grausam, Hughdie«, sagte der Lange Jimmy Ward.

»Ist doch so«, beharrte Hughdie.

»Könnte das denn möglich sein, so endlos, wie sie Mickey betrauert hat?«

»Das kam nicht aus dem Herzen. Gott möge mir verzeihen.«

»Aber bei der Totenwache hat sie deinen Augen wahre Tränenströme entlockt. Ich habe gesehen, wie sie dir über die Wangen gelaufen sind. Wie war das möglich, wenn du ihre Trauer nicht für echt gehalten hast?«

»Das kann ich dir sagen«, erwiderte Hughdie. »Vielleicht bin ich nicht ganz normal. Das wird mir ja oft gesagt. Aber wer mich zu Tränen gerührt hat, das war die alte Mutter. Sie hat geschluchzt und ochón gejammert. Mehr konnte sie nicht. Aber als Sawa dann anfing, dachte ich, dass sie der Trauer, die das Herz der alten Frau zerriss, Worte und eine Melodie gab.«

Conall und Sawa fuhren zu den Inseln und holten eine Ladung Muschelsand und Kieselsteine. Als sie auf der Rückfahrt Illanbo erreichten, vertäute Conall das Boot, und die beiden gingen an Land. Sie hatten Hunger und wollten etwas essen. Außerdem mussten sie auf die Flut warten, um ihre Heimfahrt fortsetzen zu können.

Conall machte ein Feuer. Er holte einen Topf voll Wasser aus einem Bach. Sawa bereitete den Tee zu. Und sie setzten sich zum Essen hin. Es war ein wunderschöner Abend. Das Meer war eine Flut aus geschmolzenem Gold, vom Weißen Strand bis zu den drei Felsen von Rossowen. Die fernen Berge auf dem Festland leuchteten in allerlei Farben, immer abwechselnd blassblau, bernsteingelb, lila und rosa.

»Ist es nicht ein schöner Abend«, sagte Conall.

»Dem Allmächtigen Vater sei Dank«, sagte Sawa. »Weißt du, was ich gerade denken musste? – Dass es schön wäre, auf dieser kleinen Insel zu leben.«

»Das allerdings, wenn das ganze Jahr lang Sommer wäre«, sagte Conall.

Bei Sonnenuntergang erreichten sie mit der Flut Kindoorin. »Wir werden das Boot über Nacht hier im Bach vertäuen«, sagte Conall. »Und so Gott will, wird uns die Flut morgen früh nach Moorloch bringen.«

Am nächsten Tag suchten sie den Friedhof auf. Conall verteilte den Sand auf Mickeys Grab. Er legte die kleinen weißen Steine an den Rand. Und in der Mitte machte er ein Kreuz aus kleinen Muscheln.

»Möge Gott dich belohnen und dir Gesundheit und Kraft geben«, sagte Sawa. »Da hast du wirklich großartige Arbeit geleistet. Es gefällt mir so gut. Ich habe noch nie gern ein vernachlässigtes Grab gesehen. Das sieht aus wie vergessene Erinnerung. Und es wird lange dauern, bis ich den armen Mickey vergesse. Wie meine Großmutter im Lied immer gesagt hat, die Meereswellen werden rot werden, und die Berge werden sich im Wind wiegen, ehe ich vergessen kann.«

Conall schwieg. Er stand da wie ein Künstler, der sein Meisterwerk betrachtet.

»Du hast sehr geschickte Hände und einen klugen Kopf«, sagte Sawa. »Das hättest nur du tun können. Und das Kreuz in der Mitte ist das Tüpfelchen auf dem i.«

»Das ist das schönste Grab auf dem Friedhof«, sagte der Künstler mit einem gewissen Stolz. »Aber ich muss ab und zu danach sehen. Der Winterwind wird den Sand wegwehen, trotzdem werde ich die Sache im Auge behalten.«

»Komm rein, dann mach ich dir einen Tee«, sagte Sawa, als sie auf dem Rückweg ihr Haus erreichten.

»Das ist doch nicht nötig«, sagte Conall.

»Nun komm schon rein, Mann«, sagte Sawa. »Nach all der Arbeit musst du ja völlig erschöpft sein. Ein Schluck Tee wird dich wieder zu Kräften bringen.«

Sie gingen hinein. Als sie mit dem Tee fertig waren, schob Conall die Hand in die Hosentasche, um seine Pfeife herauszuholen. Die war in zwei Stücke gebrochen.

»Ich muss nach Hause«, sagte er.

»Wieso hast du es so eilig?«

»Ich muss rauchen«, sagte er. »Das ist eine schlechte Gewohnheit, ich weiß. Aber so ist es eben. Wenn ich gegessen habe, muss ich sofort rauchen. Aber meine Pfeife ist zerbrochen. Schau her! Abgebrochen, gleich hinter dem Kopf. Das muss passiert sein, als ich die Schulter gegen das Boot gestemmt habe, um es ins Wasser zu schieben.«

Sawa griff in ein kleines Loch in der Wand neben dem Kamin und zog eine Pfeife heraus. »Diese Pfeife hat dem armen Mickey gehört, Gott hab ihn selig«, sagte sie. »Er würde sich darüber freuen, dass du sie rauchst … Ist doch nur eine Tonpfeife. Das alte Sprichwort hat ja so recht, der kleinste Gegenstand, der uns gehört, wird uns oft überleben.«

Der Winter kam, und mit dem Winter kam die Heringsfischerei. »Wenn ich ein Netz hätte, würde ich fischen gehen«, sagte Conall eines Abends zu der Witwe. »Mir ist ein Platz im Boot von Jimmy Ward zugesagt worden. Aber mein Netz taugt nichts mehr. Ich hatte es im vergangenen Winter in der Scheune zusammengelegt. Das Dach war undicht, und es ist vom Regen nass geworden und verfault.«

»Du könntest Mickeys Netz nehmen, Gott hab ihn selig«, sagte Sawa. »Wirklich, einmal habe ich gedacht, dass ich es niemals erlauben würde, dass ein anderer dieses Netz ins Wasser lässt. Aber die Zeiten werden härter. Und was soll eine arme Witwe machen? Ach, der grausame Tod!«

»Es hätte keinen Sinn, ein gutes Netz verkommen zu lassen«, sagte Conall. »Ich werde es morgen ausbreiten, und wenn irgendwelche Maschen gerissen sind, werde ich sie flicken.«

Am nächsten Tag breitete Conall das Netz aus. Er flickte die gerissenen Maschen und nähte es mit einigen Stichen am Zugseil fest, wo es sich gelockert hatte. Später fuhr er als einer von Jimmy Wards Mannschaft zum Heringsfang nach Inishfree.

Nach einer Woche Heringsfischerei hatte er zwei Pfund verdient. Ein Pfund stand Sawa zu – für das Netz. Am Samstagabend ging Conall zu ihr. Er setzte sich in die Ecke neben dem Kamin.

»Du hast bestimmt Hunger«, sagte Sawa und hängte den Kessel über das Feuer.

Nach dem Tee zog Conall die Tonpfeife aus der Tasche und zündete sie an. Er rauchte eine Weile schweigend. Dann zog er seinen Geldbeutel aus der Tasche und öffnete ihn. »Das ist dein Anteil«, sagte er und reichte Sawa eine Pfundnote.

»Möge dich der Allmächtige Vater vor allen Gefahren des Meeres beschützen«, sagte Sawa. »Das ist ein schöner Wochenlohn.«

»Nein, das ist es nicht«, sagte Conall. »Sie sind diesmal nicht in Küstennähe gekommen. Die Hauptschwärme blieben zu weit draußen. Die großen Boote von den Inseln haben den eigentlichen Fang gelandet. Kleine Boote wie unsere müssen in Ufernähe bleiben.«

»Vielleicht kommen sie nächste Woche dichter an die Küste heran«, sagte Sawa.

»Ich fürchte, nicht«, sagte Conall. »Bob Delap hat mir gesagt – und Bob kennt sich da schließlich aus –, er hat mir gesagt, wenn der erste Schwarm auf dem offenen Meer vorüberzieht, werden die anderen denselben Kurs einschlagen.«

»Gottes Wille geschehe«, sagte Sawa. »Jedenfalls ist es gut, immerhin so viel zu haben.«

Conall schaute in den geöffneten Geldbeutel, den er in der Hand hielt. »Armselig genug für eine ganze Woche Arbeit«, sagte er. »Nur zwei Pfund. Es lohnt sich kaum, das zu teilen. Vielleicht sollte ich dir diese Woche alles geben. Ich kann warten.«

»Das wirst du nicht tun«, sagte Sawa. »Du musst deinen Anteil behalten, den hast du dir durch schwere Arbeit verdient. In dieser Woche habe ich viele Male an dich gedacht. Oft, nachts im Bett, wenn ich vor dem Fenster den Wind heulen hörte, habe ich an dich gedacht. Ich habe mir dann vorgestellt, wie du auf den Wellen hin und her geworfen wirst, von der Nadel an der Landzunge bis zu den Felsen von Aran. Und ich habe oft für dich gebetet … Behalte dein Geld. Wenn ich in Schwierigkeiten gerate, kann ich dich immer noch bitten, mir einen Shilling oder zwei zu leihen. Und verlier nicht den Mut. Die dunkelste Stunde ist die gleich vor der Morgendämmerung. Vielleicht drängen sich die Heringe nächste Woche in den Bachmündungen – egal, was Bob Delap dir erzählt.«

IV

Wieder kam die Heiratszeit. Eines Abends saß Conall im Haus der Witwe neben dem Kamin. Niemand war dort, außer den beiden und Sawas kleinem Sohn.

»Conall, gib mir ’nen Penny«, sagte der Junge. »Ich will mir Bonbons kaufen.«

»Setz dich und benimm dich, Seánin«, sagte seine Mutter. »Setz dich, hab ich gesagt. Wo hab ich noch die Rute hingelegt? … Conall, gib ihm ja kein Geld für Bonbons. Mit Bonbons hat er sich schon die Zähne ruiniert. Erst neulich hat er mich stundenlang wach gehalten, weil er vor Zahnschmerzen geweint hat.«

»Conall, gib mir ’n Streichholz. Ich will im Dunkeln hinter der Kommode ein blaues Licht machen.«

»Seánin, was hab ich eben gesagt? Wenn du so weitermachst, hau ich dir den Hintern voll, das kannst du mir glauben. Und dann steck ich dich ins Bett. Du musst lernen, dich zu benehmen.«

»Conall, bist du mit Mama verwandt?«

»Seánin, komm her zu mir. Zieh dich aus und dann ins Bett mit dir. Ich werd’ dir schon Manieren beibringen. Zieh dich sofort aus.«

Bald schlief der Junge tief und fest. »Der Arme ist so müde wie ein Mann, der den ganzen Tag im Torfstich war«, sagte Sawa und schaute zum Bett hinüber. »Ist ja auch kein Wunder. Der ist den ganzen Tag auf den Beinen.«

»Er ist ein netter kleiner Bursche, Gott segne ihn«, sagte Conall.

»Aber er hat nur Unsinn im Sinn«, sagte die Mutter.

»Na, wenn er keinen Unsinn im Sinn hätte, wäre er ja gar kein richtiger Junge«, sagte Conall. »Er ist wirklich ein großartiger kleiner Bursche. Ich hab ihn sehr gern.«

»Und er hat dich sehr gern«, sagte Sawa. »Du solltest mal sein glückliches Gesicht sehen, wenn er deine Schritte vor der Tür hört. Und wenn du manchmal einen Abend nicht kommst, fragt er immer wieder: ›Mama, was ist denn heute mit Conall los?‹«

»Wird es hier dieses Jahr wohl überhaupt eine Hochzeit geben?«, fragte Sawa. »Nirgendwo auch nur ein Anzeichen zu sehen.«

»Sie haben Zeit genug«, sagte Conall und meinte damit, die Heiratssaison habe ja gerade erst begonnen.

»Das stimmt allerdings«, sagte Sawa. »Zeit genug in jeder Hinsicht. Die Ehe bringt ihren Kummer und ihre Sorgen – manchen Menschen wenigstens.«

»Trotzdem«, sagte Conall, »muss man sich wohl früher oder später ein Herz fassen. Es ist doch armselig, ganz allein zu sein, wenn das Alter kommt.«

»In diesem Winter müssten doch eine Menge Leute bereit sein, diesen Weg zu gehen«, sagte Sawa und nannte die Namen von fünf oder sechs jungen Männern.

»Sawa«, sagte Conall, »ich habe selbst auch schon daran gedacht, in diesem Winter zu heiraten.«

»Was du nicht sagst«, sagte Sawa. »Viele hier haben geglaubt, dass du niemals heiraten würdest. Ich selbst habe das auch gedacht. Ich weiß gar nicht, warum. So eine blöde Idee, die mir da in den Kopf gekommen ist. Eine blöde Idee, mehr nicht. Warum solltest du nicht heiraten, wenn du möchtest? Darf ich denn fragen, wer die Glückliche ist?«

»Ich finde es schwer, mich zu entscheiden«, sagte Conall. »Es ist so: Die Frau, die mich heiraten wollte, würde ich vielleicht nicht mögen. Und die Frau, die ich heiraten möchte, würde mich vielleicht nicht wollen.«

»Du musst es darauf ankommen lassen«, sagte Sawa. »So einfach ist das.«

»Du würdest nicht …«, sagte Conall, und dann unterbrach er sich. »Ach, nein, es wäre nicht fair, dich zu fragen.«

»Was wäre nicht fair?«, rief Sawa. »Jetzt mach schon. Raus damit. Was wolltest du sagen?«

»Ich weiß, es ist nicht fair, dich zu fragen, bei allem Kummer und allen Sorgen, die du hattest«, sagte Conall. »Aber ich habe überlegt, ob du mir einen guten Rat geben könntest. Ob du vielleicht ein Mädchen kennst, das mich nehmen würde.«

Sawa brauchte nicht lange zu überlegen. Ihre Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Wie wäre es mit Hannah Mc-Gee?«, fragte sie. »Die ist nicht mehr die Jüngste, das weiß ich – zwei Jahre älter als ich. Aber du bist schließlich auch kein junger Spund mehr. Sie ist ein braves, sparsames Mädchen, und sie hat ein bisschen Geld. Da bin ich mir sicher. Wenn du willst, frage ich sie für dich, wann immer du möchtest.«

Conall lief rot an. Sein Mund war plötzlich wie ausgedörrt. Hannah McGee! Gerade die hatte er vor zwei Jahren schon gefragt, und sie hatte abgelehnt. »Nein«, sagte er mit zitternder Stimme. »Die mag ich nicht.«

»Na, dann eben eine andere«, sagte Sawa. »Davon gibt’s ja jede Menge auf der Welt, Gott sei Dank für Seine Großzügigkeit. Aber du darfst den Mut nicht verlieren. Und ich gebe dir einen guten Rat: Egal, welche Frau du fragst, lass sie ja nicht spüren, dass du dich vor einem Korb fürchtest. Tu so, als wärst du deiner Sache sicher. Die meisten Frauen schreiben dem Mann den Wert zu, den er sich selbst gibt … Aber vielleicht möchtest du den Antrag ja nicht selbst machen. In dem Fall würde ich deine Freiwerberin sein, wenn du willst. Und ich kann den Mund halten, vorher und nachher.«

»Das ist sehr lieb von dir«, sagte Conall, aber in seiner Stimme schwang eine gewisse Traurigkeit mit.

Sawa sah ihn an. »Conall«, sagte sie, »ich finde, es ist einfach meine Pflicht und Schuldigkeit, dir zu helfen, so gut ich kann.«

»Sawa«, sagte Conall, »erinnerst du dich an die alten Zeiten?«

»Das allerdings, Conall. Die guten alten Zeiten. Aber die sind für immer vorbei.«

»Sawa, ich habe dich einmal gebeten, mich zu heiraten.«

»Das ist lange her und vorbei, Conall.«

»Es ist noch nicht zu spät«, stammelte Conall. »Wenn du mich jetzt heiraten wolltest, Sawa. Du weißt doch, dass ich dich noch immer gernhabe.«

»Hat irgendwer gehört, was er da sagt?«, fragte Sawa, als ob sie mit einem Dritten spräche. Sie griff zur Zange und fing an, das Feuer aufzuschichten. »Geh mir aus dem Weg«, sagte sie zum Hund. »In meinem ganzen Leben hab ich noch nicht so einen Hund gesehen. Liegst hier nachts, mittags und morgens mit den Pfoten in der Asche. Aufstehen, du Faulpelz!«

Sie trat vor den Kamin und ließ sich auf ein Knie sinken, um Torf auf das Feuer zu legen. Conall berührte ihre Schulter mit einer Hand … Er zog ihren Kopf dichter an sich heran. »Sawa«, fragte er, »willst du mich jetzt heiraten?«

»Ach, großer Gott, lieber Conall, es wäre zu früh«, sagte Sawa. »Die Leute würden über mich reden. Ich würde lieber noch ein Jahr warten.«

Conall wusste, dass er gewonnen hatte. Die wichtige Angelegenheit war entschieden. Natürlich würde es kleinere Probleme geben (denn Manus Roe O’Donnell war inzwischen gestorben), aber mit denen würde er auch irgendwie fertigwerden.

»Niemand wird über dich reden«, sagte Conall. »Das könnten sie nicht, selbst wenn sie wollten. Du bist jetzt seit mehr als anderthalb Jahren Witwe. Ich hätte dich schon längst gebeten, mich zu heiraten – denn du hast mir so schrecklich leidgetan, so, wie du dich abrackern musst, um Männerarbeit zu tun und um Frauenarbeit zu tun. Ich hätte dich schon früher gefragt, aber ich wusste doch, dass du den armen Verstorbenen betrauertest. Denn er war wirklich ein wunderbarer Mann.«

»Ein wunderbarer Mann«, sagte Sawa. »Der wunderbarste Mann überhaupt in den Rosses, vom Ford of Gweedore bis zum Ford of Gweebarra.«

»Das war er«, sagte Conall. »Aber jetzt musst du dein eigenes Leben leben.«

»Ich muss mein eigenes Leben leben, bis ich in die Ewigkeit gerufen werde«, sagte Sawa. »Und ich muss mich Gottes heiligem Willen ergeben. Das müssen wir alle.«

»Welchen Tag sollen wir nehmen?«, fragte Conall.

»Ich weiß nicht«, sagte Sawa.

»Dann sagen wir doch, den nächsten Samstag«, sagte Conall. »Früher wäre es kaum möglich. Ich muss mir eine Hose besorgen, woher auch immer. Wenn ich sie jetzt schon hätte, würde ich morgen früh als Erstes zum Pfarrer gehen.«

»Ich frage mich«, sagte Sawa, »ob dir wohl Mickeys Hose passen würde – Gott hab ihn selig.«

Denis der Träumer

I

Es war nur ein Spitzname. Sein eigentlicher Name war Denis Doherty, aber ein boshafter Nachbar hatte ihn Denis den Träumer genannt. Und diesen Namen wurde er nicht wieder los.

In seiner Kindheit hatte es in seinem Geburtsort Rinamona keine Schule gegeben. Aber seine ehrgeizige Mutter hatte eine Möglichkeit gefunden, ihrem Sohn Bildung zu ermöglichen. Sie schickte ihn zur Schule von Pulcanny, obwohl das einen Fußweg von drei Meilen hin und drei Meilen zurück bedeutete. Er besuchte die Schule regelmäßig, bis er vierzehn war. Und am Ende dieser Zeit konnte er nicht nur lesen und schreiben, sondern begann auch, ein klares Interesse an Literatur zu zeigen.

»Ich bin Ihnen sehr dankbar, Meister«, sagte seine Mutter eines Tages zum Lehrer. »Sie haben gute Arbeit bei Denis geleistet. Was wird das für ein Vorteil für ihn sein, wenn er älter wird und auswandern muss, im Gegensatz zu den armen Jungen, die kein Wort Englisch sprechen und nicht einmal ihren Namen schreiben können.«

»Er ist ein aufgeweckter Junge, Mrs Doherty«, sagte der Lehrer. »Es war ein Vergnügen, ihn zu unterrichten. Und er lernt wirklich gern. Sie werden noch froh darüber sein, dass Sie ihn in die Schule geschickt haben. Die Schule hat ihm seinen Weg vorgezeichnet, wenn ich mich nicht irre.«

Mit achtzehn ging Denis nach Schottland. Er fand Arbeit in Glasgow. Er wollte lieber in der Stadt arbeiten, um in die Bücherei gehen zu können. Es kam auch vor, dass er sich ein Buch kaufte. Nach vier Jahren kehrte er mit einer stattlichen Literatursammlung nach Hause zurück, inklusive der Gedichte von Robert Burns. Er fing an, zu Hause zu lesen. Die Nachbarn sagten, die Bücher würden ihm noch den Kopf verdrehen. Denis achtete nicht auf diese Unkenrufe. Er las weiter. Und je mehr er las, umso weiter entfernte sich seine Weltsicht von den Traditionen und Überzeugungen seiner heimatlichen Rosses. Die Menschen hier hatten keine Ahnung von Liebe. Bei ihnen beruhte die Ehe auf finanziellen Erwägungen anstatt – wie es sein sollte – auf Liebe und nur auf Liebe.

Denis unternahm mehrere Versuche, die jungen Männer von Rinamona zu seinem Glauben zu bekehren. »Das ist einfach nicht richtig«, sagte er dann, »so, wie die Leute in den Rosses das Leben sehen. Sie haben keine Ahnung von Liebe. Ein Mann kommt ins heiratsfähige Alter. Er hat ein Stück Land. Er hält Ausschau nach einer passenden Frau. Er bezieht allerlei Dinge in seine Überlegungen ein. Kann das Mädchen stricken und Wolle kratzen und spinnen? Wird aus ihr eine sparsame Hausfrau? Welche Mitgift hat sie wohl zu erwarten? … Aber so kann man doch nicht heiraten!«

»Es scheint aber gut genug zu funktionieren«, sagte dann irgendjemand.

»Es ist wider die Natur«, entgegnete Denis. »Zwei Menschen sollten ineinander verliebt sein, ehe sie heiraten. Alles andere spielt keine Rolle.«

»Aber vielleicht haben die meisten ja doch ein paar kleine Gefühle füreinander.«

»Wie um Himmels willen sollte das möglich sein? Es kommt schließlich oft genug vor, dass sich ein Mann bei dem ersten Mädchen, das er fragt, einen Korb holt. Was macht er dann? Er geht sofort zur Nächsten und macht auch ihr einen Antrag. Ja, und dann einer Dritten und einer Vierten. Denkt doch mal an Condy Nanny von drüben. Er hat sechs Mädchen gefragt, und alle sechs haben abgelehnt. Erst beim siebten Versuch hat eine angebissen. Eine ganze lange Winternacht hat er mit diesem Versuch zugebracht. Im Morgengrauen hat er die gefragt, mit der er jetzt verheiratet ist, und sie hat ihn genommen. Wo waren da wohl die kleinen Gefühle? Kann einer von euch mir das sagen?«

Aber Denis konnte niemanden bekehren. Tradition stirbt in den Rosses nur langsam. Die jungen Leute hatten kein Zutrauen zu Denis’ Philosophie über Liebe und Ehe. Wenn Denis glaubte, was er da sagte, warum ging er nicht mit gutem Beispiel voran? Warum verliebte er sich nicht in ein Mädchen und heiratete sie, ohne zu fragen, ob sie einen Schuh am Fuß und ein Hemd am Leib hatte?

Sie schienen nicht zu begreifen, dass das hier etwas war, das ein Mann nicht vorher planen konnte. Es müsste durch einen Zufall geschehen oder durch das Schicksal oder wie immer man das nennen wollte. Denis war bereit, sich zu verlieben. Sein Herz glich einem Pulverfass. Es fehlte nur noch die weiße Hand einer holden Maid, um es zu entzünden.

II

Und endlich war es so weit. Die weiße Hand hielt ein Streichholz an das Pulver, und das Herz eines jungen Mannes brannte lichterloh.

Auf einer Hochzeit in Bunnamann begegnete Denis Rosie McCann aus Drumnacarta zum ersten Mal. Es war ein Fall von Liebe auf den ersten Blick. Sie tanzten mehrmals miteinander. Zwischen den Tänzen saßen sie nebeneinander und plauderten. Schließlich gingen sie frische Luft schnappen und spazierten zum See hinunter. Und was war das für eine Nacht! Der Mond in seiner ganzen Pracht und Majestät zog über einen wolkenlosen Himmel. Die Luft schien von Musik erfüllt zu sein. Die Feen waren offenbar aus den dunklen Schatten der Felsen hervorgekommen, um auf den Wiesen am Ufer des Loch Awillin zu tanzen … Denis schaute zu dem zaubrischen Mond empor. Er lauschte der Feenmusik. Er befand sich in einer verzauberten Welt. Das Drama, das er sich so oft vorgestellt hatte, wurde vor seinen Augen Wirklichkeit. Er fühlte sich versetzt ans Ufer des Sweet Afton oder auf die Braes of Ballochmile. Mit anderen Worten, er war vollkommen verschossen in Rosie McCann.

Nach diesem Abend trafen sie sich oft. Der Winter ging dahin und nach ihm der Frühling. An einem Sonntagabend im Frühsommer hielt Denis die Zeit für gekommen, um sich zu erklären … Rosie sagte, sie könne ihre Mutter in den nächsten beiden Jahren nicht verlassen. Aber sie deutete an, dass sie nach dieser Zeit durchaus bereit sein würde, ihn zu heiraten.

Zwei Jahre waren eine lange Zeit. Aber sie waren beide jung. Und Denis hatte das, was er für eine verbindliche Zusage hielt. Er konnte warten.

»Ich wünschte, es wäre morgen«, sagte er. »Aber ich werde diese beiden Jahre durchhalten. Ich würde zwanzig Jahre lang warten. Ich würde den Rest meines Lebens allein verbringen, wenn du nicht bereit wärst, mich zu heiraten.«

»Das wäre töricht.«

»Ach, Rosie! Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich dich liebe, sonst würdest du nicht so reden. Du glaubst doch wohl nicht, ich würde es so machen wie Condy Nanny.«

»Wer ist Condy Nanny? Und was hat er gemacht?«

»Ein Mann aus unserer Gegend. Er hat einem Mädchen einen Antrag gemacht. Sie lehnte ab. Da fragte er eine andere. Sie lehnte ebenfalls ab. Er hat sich sechs Körbe geholt, alle in der einen Nacht. Die Siebte hat Ja gesagt, und die hat er geheiratet.«

»Sechs Körbe«, sagte Rosie. »Das ist wirklich ein Rekord.«

»Ich glaube nicht, dass es vorher schon mal passiert ist«, sagte Denis, »oder dass es jemals wieder passieren wird. Den jungen Leuten von heute geht langsam ein Licht auf. Langsam, aber sicher.«