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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
© 2019 Holger Meyer
„Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt“.
ISBN 9783749423804
An dieser Stelle sei den vielen Menschen gedankt, die bei der Entstehung dieses
Ratgebers geholfen haben. Einerseits durch Lob, Ermunterung und Ergänzungen,
andererseits durch wertvolle, konstruktive Kritik. Besonderer Dank gilt:
Benjamin, Hannah, Hendrik und Nicola
Dieser Erziehungsratgeber ist ein aus der Praxis heraus entstandenes Werk, das den Anspruch hat, einfach nachvollziehbare und anwendbare Erziehungsmethoden für den Alltag im Umgang mit Kindern zu liefern. Geeignet ist er für Kinder ab dem mittleren Krippenalter bis ins Grundschulalter hinein; grob gesagt für Kinder ab ca. zwei bis sieben Jahren.
Gedacht ist der Ratgeber für alle Personen, die regelmäßig mit Kindern zu tun haben: Eltern, Großeltern, Erzieher, Pädagogen, Lehrer etc. Innerhalb des Ratgebers werden alle diese Personen als „Bezugspersonen“ bezeichnet. Bitte beachten Sie bei diesem Werk, dass der inhaltliche Schwerpunkt hauptsächlich bei der Interaktion zwischen der Bezugsperson und ein bis zwei Kindern gleichzeitig liegt! Nur am Rande wird erwähnt, wie Sie sich als Bezugsperson verhalten könnten, wenn es in einer Gruppe von Kindern zu Konflikten sowohl untereinander, als auch mit Ihnen als Leiter / Leiterin kommt.
Wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien finden ihre Berücksichtigung, jedoch versteht sich dieser Ratgeber nicht als wissenschaftliche Lektüre. Kurz, kompakt und leicht verständlich soll theoretisches, psychologisch-pädagogisches Hintergrundwissen vermittelt werden, aus den praktischen Methoden hervorgehen.
Der Ratgeber ist an die Ideologie des Hessischen Bildungs- und Erziehungsplanes angelehnt. Ausgehend davon, dass es nicht die eine richtige Pädagogik gibt, stimmen einige Inhalte mit den Ansätzen diverser pädagogischer Konzepte wie beispielsweise Waldorf – Pädagogik, Montessori oder freier Konzepte überein. Die Aspekte, die in der praktischen Arbeit – also in der alltäglichen Erziehung – erfolgreich angewendet wurden, sind hier verwendet worden; unabhängig von welchem Konzept sie stammen!
Sie werden in diesem Ratgeber einige Ratschläge und Tipps vorgestellt bekommen, die bei anderen Fachbüchern zum Thema Erziehung nicht aufgenommen sind bzw. dort sogar als veraltet dargestellt werden. Vielleicht werden Sie in anderer, auch wissenschaftlich begründeter Literatur Vorschläge finden, die genau das Gegenteil von dem hier beschriebenen darlegen.
Alle hier aufgeführten Methoden haben aber sehr gute Erfolge erzielt und sich in der Praxis bewährt!
Der Ratgeber ist jedoch nicht dazu gedacht ihn auswendig zu lernen und ihn „haargenau“ anzuwenden. Sehen Sie ihn nicht als Ersatz, sondern als Zusatz oder Alternative für andere Werke bzw. für Ihr pädagogisches Handeln. Er soll dazu dienen, Ihnen Erfolge in der Erziehung Ihrer Kinder zu bescheren! Wenden Sie bitte nur die Inhalte und Ratschläge an, mit denen Sie sich auch identifizieren können. Sie werden für sich erkennen, welche Ratschläge bei Ihnen funktionieren und welche nicht. Daher probieren Sie aus und wenden Sie diese an, die Sie persönlich weiterbringen.
Leider und zum Glück muss vorweg schon gesagt werden, dass es für Erziehung kein Patentrezept nach „Schema F“ gibt. Jedes Kind ist einzigartig und individuell. Bereits im frühen Alter hat es seine eigenen Vorlieben, Bedürfnisse und Abneigungen, die es zu berücksichtigen gilt und mit denen umgegangen werden muss. Dies macht die ganze Sache aber auch so spannend und vielfältig.
Allerdings gibt es viele allgemeine Ratschläge, die beinahe dann doch generell bei allen Kindern zu funktionieren scheinen. Diese Tipps werden im weiteren Verlauf vorgestellt und anhand einzelner Beispiele verdeutlicht. Es wird gezeigt, wie diese Ratschläge anzuwenden sind und so gewünschtes Verhalten erlernt und ungewünschtes Verhalten deutlich reduziert werden oder sogar ganz verschwinden kann. Sie sollten sich jedoch bewusst werden, dass Erziehung immer wieder Phasen hat, in denen es manchmal sehr mühsam sein kann, bis Erfolge zu erkennen sind. Auch kann es gelegentlich geschehen, dass manche gewünschte Veränderungen dann wieder
ins Ungewünschte umkehren, und man wieder von vorne anfangen muss. Seien Sie sich bewusst, dass solche „Rückfälle“ stattfinden können und lassen Sie sich dadurch nicht entmutigen. Die
Erfolge, die Sie bei einer gelungenen Erziehung erzielen können, sind ein unbeschreibbarer Lohn. Dementsprechend haben Sie viel Spaß und Erfolg mit diesem Ratgeber.
Anmerkung 1:
Dieser Ratgeber ist nur begrenzt bei traumatisierten bzw. psychisch kranken Kindern anzuwenden. Kinder, die bereits extrem schreckliche Erfahrungen in ihrem jungen Leben durchleben mussten, sind sehr besonders zu behandeln. Hierbei ist unbedingt Fachpersonal, beispielsweise Ärzte und Psychologen, zu Hilfe zu holen!
Anmerkung 2:
In diesem Ratgeber wird hauptsächlich auf die Interaktion zwischen Ihnen und dem Kind eingegangen. Dennoch beachten Sie unbedingt, dass auch Sie sich Zeit für sich und Ihre/n Partner/in nehmen. Auch wenn ein kleines Kind sehr viel Aufmerksamkeit benötigt, sollten Sie sich nicht vernachlässigen und gelegentlich Aktivitäten mit Freunden oder dem Partner machen, um wieder Kraft zu tanken.
Anmerkung 3:
Aus rechtlichen Gründen muss erwähnt werden, dass alle Ratschläge dieses Ratgebers keine Erfolgsgarantie darstellen und das gesamte Werk keine Gewähr bzw. Haftung leisten bzw. übernehmen kann. Ähnlichkeiten mit realen Personen (Namen) und Handlungen sind rein zufällig.
Anmerkung: 4
Beispiele werden in diesem Ratgeber kursiv und besonders wichtige Inhalte fett geschrieben.
Anmerkung: 5
Bei der Entstehung dieses Ratgebers wurde oft die beschriebene Altersklasse (zwei bis sieben Jahre) hinterfragt.
Zum einen haben viele Beobachtungen gezeigt, dass Kinder erst ab einem Alter von ungefähr eineinhalb bis zwei Jahren für die Botschaften eines Erziehenden aufnahmefähig sind. Ab dieser Zeit verstehen Sie Bedeutungen und Auswirkungen ihres Handelns und die Reaktionen darauf.
Zum anderen beschreiben diverse pädagogische Ansätze, dass Kinder ab ca. sieben Jahren eine Neuorganisation ihres Gehirns durchleben. Bis zu diesem Alter sind sie besonders empfänglich für die erzieherischen Maßnahmen dieses Ratgebers.
Beispiel 1:
Gerade vorhin war ich mit meinem Sohn Joshua (4) und Simon (1) einkaufen. Ich hatte die Einkaufstüten in der einen Hand, mit der anderen schob ich den Kinderwagen, in dem Simon lag. Joshua rannte den Hügel hinab, auf die befahrene Straße zu. Zuerst rief ich ihm zu, er solle auf uns warten. Er grinste mich an, drehte sich um und rannte weiter. Dann schrie ich. Ich versuchte ihm nachzurennen, doch mit dem Kinderwagen und den Tüten gelang es mir nicht, meinen Jungen einzuholen. Ununterbrochen rannte er auf die Straße zu. Ich war kurz davor in Panik zu geraten. Zum Glück war ein Mann in der Nähe der Straße, der die ganze Szene beobachtete. Er griff sich Joshua und hielt ihn fest. Die Gefahr war dank dieses Mannes gebannt. Ich verstehe nicht, warum Joshua weiter gerannt ist, obwohl ich ihn so laut gerufen habe und er sich in Gefahr gebracht hat. Was kann ich nur tun, damit so was nicht mehr passiert?
Beispiel 2:
Angelina ist nun schon vier Jahre alt. Wir versuchen es schon lange ohne Windeln, jedoch nur mit mäßigem Erfolg. Immer wieder macht sie sich in die Hose. Schon zig Mal haben wir ihr gesagt, sie soll sagen, wenn sie muss. Und jedes Mal, wenn es klappt, bekommt sie danach ein Stück Schokolade als Belohnung. Wir waren deswegen sogar schon beim Kinderarzt. Dieser meinte aber, es wäre organisch alles in Ordnung. Oft kommt sie zu uns und sagt entweder freudig strahlend oder mit trauriger Mine „Pipi“, wobei es dann in beiden Fällen meistens schon zu spät und die Hose eingenässt ist. Meine Frau und ich sind beide völlig ratlos.
Beispiel 3:
Peters Leseleistung ist katastrophal. Er ist bereits in der zweiten Klasse und erkennt immer noch nicht die Buchstaben, obwohl er das schon in der ersten Klasse hätte lernen sollen. Er bekommt schon Nachhilfe, wir kaufen ihm Erstlesebücher oder laden ihm Geschichten herunter. Dabei achten wir extra darauf, dass wir nur Bücher auswählen, die in seinem Alter sinnvoll sind und empfohlen werden. Er kann sich einfach nicht aufs Lesen einlassen.
Diese drei Beispiele haben eines gemeinsam: Die Kinder handeln bzw. verhalten sich anders, als von der jeweiligen Bezugsperson gewünscht.
Dabei sind die Wünsche der Bezugsperson rein objektiv, aus neutraler Sichtweise, sehr nachvollziehbar:
Im ersten Beispiel geht es um die Sicherheit des Kindes. Es könnte sogar lebensbedrohlich werden, wenn das Kind auf eine befahrene Straße rennt.
Beim zweiten Beispiel handelt es sich zum einen um gesundheitliche und hygienische Gründe. Durch Fäkalien können an Haut und Genitalien Krankheiten und Entzündungen entstehen. Zum anderen geht es aber auch um den sozialen Aspekt. Die anderen Kinder werden merken, dass dieses Kind noch in die Hose macht und könnten es dafür ausgrenzen. Aber auch die Eltern des Kindes könnten sich für ihr Kind und sich selbst schämen, da es ihnen und ihrem Kind noch nicht gelungen ist, diesen Schritt, der im Altersdurchschnitt schon längst überfällig zu sein scheint, zu vollziehen.
Im dritten Beispiel sorgt sich das Elternteil darum, dass das Kind in der Schule nicht mitkommt. Einerseits entsteht die Angst, dass das Kind auf eine „niedrigere“ Schulform kommt und so eventuellen Chancen beraubt wird. Andererseits geraten die Eltern in eine soziale Sonderrolle, da es auch ihnen nicht gelungen ist, ihrem Kind Lesen beizubringen und es im Vergleich zu anderen Kindern zu „versagen“ droht.
Sie selbst werden sicher weitere Beispiele von sich oder aus Ihrem Bekanntenkreis kennen, in denen ähnliche Situationen vorgekommen sind. Obwohl die Eltern nur das Beste für ihr Kind wollen, handelt das Kind entweder nur unzureichend, gar nicht, oder macht genau das Gegenteil. Die Frage die hier gestellt werden muss ist, warum handelt mein Kind so?
Hierbei ist es notwendig, sich in das Kind hinein zu versetzen. Nach dem Psychologen Piaget besitzen kleine Kinder einen „Egozentrismus“. Dies beschreibt eine Sichtweise auf die Welt, aus der eigenen Perspektive. Vereinfacht gesagt, erkennen Kinder nur ihren Standpunkt und können sich nur sehr wenig in die Situation um sich herum oder in die Emotion anderer hineinversetzen.
Das Kind im ersten Beispiel, Joshua, fand es vielleicht ganz toll, schnell einen Hügel hinunter zu rennen und sich mal von der Mutter zu entfernen. Die Gefahr der Straße, die die Mutter versucht hat ihm durch ihr Schreien mitzuteilen, bemerkte er wahrscheinlich gar nicht. Dieser Egozentrismus endet bzw. das Gespür dafür, sich in die Lage eines anderen Menschen hineinzuversetzen beginnt im Allgemeinen ab ca. sechs Jahren, also zum Eintritt in die Grundschule. Bei manchen Menschen geschieht dies früher, bei anderen kann es bis ins Jugendalter – oder noch länger – andauern.
Uns Erwachsenen muss bewusst werden, dass die Kinder – vor allem Kinder im Kindergartenalter – ihr Verhalten, besonders für uns negatives Verhalten, nicht aus Boshaftigkeit heraus machen, sondern weil es für das Kind zu diesem Zeitpunkt das logischste und einzig Richtige ist!
Zunächst wird verdeutlicht, was unter dem Begriff „Reife“ zu verstehen ist. Dabei gilt es sich die beiden folgenden Fragen bewusst zu machen:
Hierzu ein absurdes, sehr abstraktes, aber verdeutlichendes Beispiel:
Herr Müller ist ein sehr fleißiger und ambitionierter Mathematiklehrer in einem Gymnasium. Er möchte nun zeigen, dass man auch schwierige mathematische Themen bereits Kindergartenkindern beibringen kann. Ob ihm dieser Versuch wohl gelingen mag?
Selbst wenn Herr Müller ganz von Anfang an erklärt, was es mit den jeweiligen Zeichen und mathematischen Begriffen auf sich hat, wird der gewünschte Lernerfolg sehr wahrscheinlich bei den meisten Kindern ausbleiben. Die Kinder haben weder die Geduld, noch die geistigen Fähigkeiten für solche Aufgaben. Man kann von einem Kleinkind nicht erwarten, dass es mathematische Gleichungen nach „x“ auflösen kann – hierfür fehlt eine Reife, die das Kind erst in den nächsten Jahren erreichen wird.
Kniffliger wird es bei der Frage, mit welchem Alter einem Kind beispielsweise zuzutrauen ist, dass es nicht mehr aus einem Fläschchen, sondern aus einem Becher trinken kann. Machen Sie sich zunächst Bewusst, welchen Leistungen hierfür vollbracht werden müssen: Das Kind muss in der Lage sein, den Becher als Objekt zu erkennen, ihn zu greifen, ihn zum Mund zu führen, daraus zu trinken und ihn wieder abzustellen ohne zu verschütten! Um diese Aktion „Trinken aus dem Becher“ durchzuführen, muss sie zuerst vom Kind im Gehirn erdacht und konstruiert werden. Anschließend gilt es die Gedanken in die Tat umzusetzen. Zielgenau müssen die Muskeln im Arm, der Hand und den Fingern gesteuert werden. Dies sind motorische Höchstleistungen, die erst einmal zu erlernen sind. Sie werden darüber einstimmen, dass dies für Neugeborene eine unmögliche Aufgabe darstellt, während es schon mehr als ungewöhnlich und fragwürdig wäre, wenn ein Grundschüler diese Fähigkeit noch nicht beherrscht.
Reife beschreibt also sowohl die Fähigkeit immer schwierigere, zusammenhängende Denkvorgänge und Hirnleistung zu vollbringen, als auch die Verbindung gedankliche, mentale Vorgänge durch Bewegung und Aktivität darzustellen.
Die Frage, die hier aufkommen muss ist, ab welchem Alter kann ich einem Kind was zutrauen? Leider und zum Glück kann dies nicht exakt beantwortet werden, da jedes Kind einzigartig und individuell ist. Einigen Kindern können verschiedene Aufgaben früher und anderen später zugetraut werden.
Manche Kinder verstehen auch schneller, was von ihnen gefordert wird, während andere exaktere Erklärungen benötigen.