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Hans Dominik

Die Macht der Drei

Kommentierte Originalfassung

Hans Dominik

Die Macht der Drei

Kommentierte Originalfassung

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-954187-04-1

null-papier.de/346

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Der Au­tor

Zum Buch

Vor­wort zum 96. bis 100. Tau­send

Buch I

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Buch II

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Buch III

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Der Autor

Hans Do­mi­nik war der Pio­ni­er des uto­pi­schen Ro­mans in Deutsch­land und ei­ner der er­folg­reichs­ten deut­schen Po­pu­lär­schrift­stel­ler des 20. Jahr­hun­derts. Er wur­de 1872 in Zwickau ge­bo­ren und starb 1945 wäh­rend des Kriegs­en­des in Ber­lin. Ne­ben Science-Fic­ti­on hat Do­mi­nik auch Sach­bü­cher und Ar­ti­kel mit tech­nisch-wis­sen­schaft­li­chen In­hal­ten ver­fasst.

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Sei­ne Ju­gend­jah­re wie auch den größ­ten Teil sei­nes Le­bens ver­brach­te er in Ber­lin. Am Gym­na­si­um in Go­tha be­geg­ne­te er dem Leh­rer Kurd Laß­witz (http://null-pa­pier.de/au­t­hor/kurd-lass­witz/), selbst ein frü­her Ver­fas­ser uto­pi­scher Ro­ma­ne. Man kann da­von aus­ge­hen, dass die­se Be­geg­nung nicht ohne Ein­fluss auf Do­mi­nik und sein spä­te­res Werk blieb.

Ab 1893 stu­dier­te Hans Do­mi­nik an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Ber­lin Ma­schi­nen­bau und Ei­sen­bahn­tech­nik. Spä­ter war er für meh­re­re Un­ter­neh­men im Be­reich der Gro­ß­in­dus­trie und des Berg­baus tä­tig, u.a. auch für Sie­mens.

Nach 1901 mach­te er sich als Fach­au­tor selb­stän­dig. Für Auf­trag­ge­ber aus der In­dus­trie ver­fass­te er Wer­be­bro­schü­ren und Pro­spek­te. Sei­ne Lei­den­schaft galt aber der auf­kom­men­den Science-Fic­ti­on Li­te­ra­tur oder bes­ser den „tech­ni­schen Aben­teu­er­ro­ma­nen“, wie die­se in Deutsch­land noch ge­nannt wur­den. Do­mi­nik war auch ab­seits der Li­te­ra­tur sehr um­trie­big, er grün­de­te ein Un­ter­neh­men und er­hielt meh­re­re Pa­ten­te auf dem Ge­biet der Au­to­mo­bil­tech­no­lo­gie.

Sein ers­ter uto­pi­scher Ro­man „Die Macht der Drei“ er­schi­en 1922 als Fort­set­zungs­ge­schich­te und wur­de kurz dar­auf als Buch ver­öf­fent­licht. Ab 1924 wid­me­te sich Do­mi­nik ganz der Schrift­stel­le­rei, in Jah­res­ab­stän­den er­schie­nen wei­te­re Ro­ma­ne.

Ne­ben den rei­nen Aben­teu­er­ge­schich­ten für eine er­wach­se­ne Le­ser­schaft ver­öf­fent­lich­te er auch die (im­mer noch sehr stark vom tech­ni­schen Fort­schritt ein­ge­färb­ten) Ju­gend­ge­schich­ten um den Auf­stieg des John Work­man vom Zei­tungs­jun­gen zum Mil­lio­när: „John Work­mann, der Zei­tungs­boy“ (1925).

Die wich­tigs­ten Wer­ke:

Zum Buch

„Die Macht der Drei“ ist ein tech­nisch-wis­sen­schaft­li­cher Zu­kunfts­ro­man.

Die nahe Zu­kunft: Das Bri­ti­sche Wel­treich droht zu zer­fal­len, der Kon­flikt mit den USA spitzt sich zu. Schließ­lich er­klä­ren die Bri­ten den USA den Krieg. In die­sem Mo­ment greift die „Macht der Drei ein“: Drei Män­ner mit ei­ner neu­ar­ti­gen, ge­fähr­li­chen Waf­fe, dem te­lener­ge­ti­schen Strah­ler. Die­ser ver­leiht ih­nen un­ge­heu­re Macht. Die Zu­kunft der Mensch­heit hängt von die­sen drei Män­nern ab.

Nach ei­nem Vor­ab­druck in der Zeit­schrift „Die Wo­che“ er­schi­en der Ro­man 1922 beim Ber­li­ner Scherl-Ver­lag erst­mals in Buch­form. Wie auch die an­de­ren Ro­ma­ne und Ge­schich­ten Do­mi­niks wur­de „Die Macht der Drei“ bei Ver­öf­fent­li­chun­gen nach 1945 teil­wei­se er­heb­lich ge­kürzt bzw. zen­siert.

Le­sen Sie hier erst­ma­lig die voll­stän­di­ge und kom­men­tier­te Ori­gi­nal­fas­sung von 1922.

Mit ei­nem il­lus­trier­ten Vor­wort des Ver­fas­sers.

Vorwort zum 96. bis 100. Tausend

Er­füll­te Pro­phe­zei­un­gen

Wer es un­ter­nimmt, die tech­ni­sche Ent­wick­lung auf Jahr­zehn­te vor­aus­zu­sa­gen, muß die Zei­chen sei­ner ei­ge­nen Zeit zu deu­ten wis­sen. Mit hell­se­he­ri­scher Be­ga­bung muß er die großen prak­ti­schen Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten vor­aus­se­hen, wel­che die fort­schrei­ten­de Ver­tie­fung der Na­tur­er­kennt­nis in sich birgt. Den zar­ten Kei­men, die un­ter pfleg­li­cher For­schung in un­sern phy­si­ka­li­schen und che­mi­schen La­bo­ra­to­ri­en sprie­ßen, muß er es frü­her als alle an­de­ren an­se­hen, ob sie nur be­schei­de­ne Blu­men für den Gar­ten der Wis­sen­schaft lie­fern oder ob über kurz oder lang welt­be­schat­ten­de Bäu­me aus ih­nen er­wach­sen wer­den.

Mehr als jede vor­her­ge­hen­de Epo­che ist un­se­re Zeit für sol­che Voraus­sa­gen ge­eig­net. Ha­ben uns doch die letz­ten zwei Jahr­zehn­te neue na­tur­wis­sen­schaft­li­che Er­kennt­nis­se ge­bracht, die Aus­bli­cke von über­wäl­ti­gen­der Schön­heit und Grö­ße in die Zu­kunft ge­wäh­ren.

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Das Bild der Welt­schöp­fung, noch un­heim­lich und ver­wor­ren im neun­zehn­ten Jahr­hun­dert, hat sich in un­se­ren Ta­gen zur har­mo­ni­schen Ein­heit ent­wi­ckelt. Kraft und Stoff, die bei­den Ge­gen­po­le ei­ner frü­he­ren dua­lis­ti­schen Na­tur­an­schau­ung, sind in un­se­rer fort­ge­schrit­te­nen Er­kennt­nis we­sen­seins ge­wor­den, und die­se Er­kennt­nis be­deu­tet die Mor­gen­rö­te ei­nes neu­en ener­ge­ti­schen Zeit­al­ters. Ei­nes Zeit­al­ters, das sich zu un­se­rer Stein­koh­len- und Dampf­ma­schi­nen­zeit etwa ver­hal­ten dürf­te wie die­se zu der Epo­che der Stein­zeit und Höh­len­menschen.

Aber wer in der großen Men­ge de­rer, wel­che die Na­tur­wis­sen­schaf­ten nicht von Be­rufs we­gen trei­ben, weiß Ge­nau­e­res um die­ses neue Wis­sen und um die rie­sen­haf­ten Mög­lich­kei­ten, die in ihm ver­schlos­sen lie­gen? Wer von ih­nen ahnt et­was da­von, daß die tech­ni­sche Phy­sik un­se­rer Tage schon mit star­ker Hand an den Fel­sen klopft, aus dem kom­men­den Ge­schlech­tern die mäch­ti­ge Quel­le der Atom­ener­gie zu­flie­ßen soll und bald viel­leicht auch flie­ßen wird? Ein Kraft­born, der mil­lio­nen­fach mäch­ti­ger ist als die Ener­gie­quel­le der Stein­koh­len­wär­me, auf der un­se­re gan­ze heu­ti­ge Zi­vi­li­sa­ti­on be­ruht.

Der­je­ni­ge aber, der dar­um weiß und da­von schreibt, be­fin­det sich heu­te etwa in der Lage ei­nes Man­nes, der zur Zeit des Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ges ein kom­men­des Jahr­hun­dert der Dampf­ma­schi­nen und der Stark­strom­tech­nik vor­aus­ge­sagt hät­te und am Ende sei­nes Jahr­hun­derts ge­fragt wor­den wäre, wie es denn nun ei­gent­lich um die Er­fül­lung sei­ner Pro­phe­zei­ung stün­de. Der so Ge­frag­te hät­te da­mals wohl ant­wor­ten kön­nen, daß Mis­ter Watt in Eng­land recht schö­ne Fort­schrit­te im Bau der Feu­er­ma­schi­ne ge­macht und ein wich­ti­ges Pa­tent auf die Aus­nut­zung der Damp­f­ex­pan­si­on ge­nom­men habe und daß ei­nem ge­wis­sen Pro­fes­sor Gal­va­ni in Bo­lo­gna die Ent­de­ckung ganz merk­wür­di­ger elek­tri­scher Er­schei­nun­gen ge­glückt sei. Aber ob der Mann mit sol­cher Ant­wort viel Glück ge­habt hät­te, ob ihm sei­ne Zeit­ge­nos­sen von 1791 bei­spiels­wei­se ge­glaubt hät­ten, daß von den zu­cken­den Frosch­schen­keln Gal­va­nis ein di­rek­ter Weg zu den Rie­sen­kraft­wer­ken des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts führt, ist zu­min­dest zwei­fel­haft.

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Doch viel­leicht schenkt man nach die­sen Er­fah­run­gen ver­gan­ge­ner Ge­ne­ra­tio­nen dem Au­tor heu­te ein we­nig leich­ter Glau­ben, wenn er es un­ter­nimmt, in ro­man­haf­ter Form jene großen Mög­lich­kei­ten zu schil­dern, die nach sei­ner Über­zeu­gung das Ant­litz der Erde und die Le­bens­for­men der Mensch­heit in den kom­men­den Jahr­zehn­ten von Grund auf um­ge­stal­ten wer­den. Frei­lich voll­zie­hen sich sol­che ein­schnei­den­den Wand­lun­gen nicht von heu­te auf mor­gen. Dau­er­te es doch auch noch zwei Men­schen­al­ter nach der grund­le­gen­den Er­fin­dung von Ja­mes Watt, bis die Dampf­kraft in Eu­ro­pa All­ge­mein­gut der Wirt­schaft wur­de. Währ­te es doch noch ein hal­b­es Jahr­hun­dert, nach­dem Wer­ner Sie­mens die Dy­na­mo­ma­schi­ne er­fun­den hat­te, bis die elek­tri­sche Ener­gie sich wirk­lich in je­den Haus­halt er­goß.

Mit ähn­li­chen Zeiträu­men wer­den wir da­her rech­nen müs­sen, be­vor al­les das, was der Wis­sen­de heu­te be­reits si­cher kom­men sieht, rest­los ver­wirk­licht wird. Wer es trotz­dem un­ter­nimmt, von kom­men­den tech­ni­schen Din­gen zu schrei­ben, muß es sich ge­fal­len las­sen, daß sei­ne Pro­phe­zei­un­gen zu­nächst be­zwei­felt oder in das Ge­biet der Uto­pie ver­wie­sen wer­den.

Das ist auch dem Ver­fas­ser die­ser Zei­len mit sei­nen tech­ni­schen Zu­kunfts­ro­ma­nen bis­wei­len so ge­gan­gen, und er muß es den da­hin­rau­schen­den Jahr­zehn­ten über­las­sen, die Wahr­heit sei­ner Pro­phe­zei­un­gen zu er­wei­sen. Doch ne­ben je­nen ganz großen Wand­lun­gen, de­ren Ablauf Men­schen­al­ter be­an­sprucht, voll­zieht sich schnel­ler ein tech­ni­scher Fort­schritt im klei­nen, des­sen Er­schei­nun­gen ge­wis­ser­ma­ßen die Staf­fa­ge zu der Haupt­hand­lung bil­den. Da­von aber ist in den drei­zehn Jah­ren, die ver­gin­gen, seit­dem der ers­te Ro­man die­ser Rei­he, »Die Macht der Drei«, ge­schrie­ben wur­de, nun doch schon vie­les in Er­fül­lung ge­gan­gen, und es lohnt sich wohl, im ein­zel­nen ein­mal zu prü­fen, was da­von be­reits Wahr­heit wur­de.

In dem ge­nann­ten Ro­man wird un­ter an­de­rem ein Sport­fest des eng­li­schen Aero-Klubs am So­lent be­schrie­ben. Es heißt dort:

»Man schob in das Pro­gramm ein Wett­flie­gen mit mo­tor­lo­sen Flug­zeu­gen ein. Nach dem pomp­haf­ten Schau­spiel der Luft­flot­te und dem dä­mo­ni­schen der Tauch­flie­ger kam die Idyl­le. Von der höchs­ten Spit­ze der Ufer­klip­pen se­gel­ten die ein­zel­nen Flie­ger ab. Wie die Schmet­ter­lin­ge gau­kel­ten sie mit ge­bläh­ten Trag­flä­chen in der Luft. Hin­gen oft ganz be­we­gungs­los an der­sel­ben Stel­le, um dann plötz­lich die Flü­gel zu re­cken und sich wie Al­ba­tros­se in wei­ten Krei­sen in die Höhe zu schrau­ben.«

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Die­se Zei­len wur­den im Früh­jahr 1921 ge­schrie­ben, als sich die Ver­su­che mit mo­tor­lo­sen Flug­zeu­gen noch im al­ler­ers­ten An­fangs­sta­di­um be­fan­den und die längs­te Flug­dau­er für ein mo­tor­lo­sen Flug­zeug nur we­ni­ge Mi­nu­ten be­trug. Daß man nicht nur in den star­ken Auf­win­den an der Was­ser­kup­pe im Rhön­ge­bir­ge, son­dern fast über­all und vie­le Stun­den hin­durch mit Se­gel­flug­zeu­gen in der Luft blei­ben kön­ne, lag da­mals noch au­ßer­halb je­der Wahr­schein­lich­keit und Er­kennt­nis. Wie sich die Se­gel­flie­ge­rei aber in­zwi­schen ent­wi­ckelt hat, ist all­ge­mein be­kannt, und der Au­tor darf sich, da der Re­kord des Se­gel­flu­ges heu­te bei achtund­vier­zig Stun­den liegt, eine er­füll­te Pro­phe­zei­ung gut­schrei­ben.

1000 Ki­lo­me­ter Stun­den­ge­schwin­dig­keit

In dem glei­chen Ro­man be­sitzt die ame­ri­ka­ni­sche Ar­mee Hö­hen­flug­zeu­ge (Ra­pid Flyers), die in der dün­nen Stra­to­sphä­re mit 1000 Ki­lo­me­ter Stun­den­ge­schwin­dig­keit ver­keh­ren. Der Schnel­lig­keits­re­kord der üb­li­chen Flug­zeu­ge stand, als das Buch ge­schrie­ben wur­de, bei 300 Stun­den­ki­lo­me­ter. Heu­te, zwan­zig Jah­re spä­ter, hat er die 700 Ki­lo­me­ter be­reits über­schrit­ten. Au­ßer­dem aber sind in Deutsch­land (Jun­kers) und Frank­reich Hö­hen­flug­zeu­ge fer­tig­ge­stellt, die alle we­sent­li­chen Merk­ma­le der im Ro­man ge­schil­der­ten ha­ben. In der Tat ist die Ent­wick­lung der Stra­to­sphä­ren-Flug­zeu­ge schon sehr weit vor­ge­schrit­ten, und sie wer­den bald ihre 1000 Stun­den­ki­lo­me­ter er­rei­chen. Auch die­se zwei­te Pro­phe­zei­ung dürf­te also un­mit­tel­bar vor der Er­fül­lung ste­hen.

Die un­ver­stan­de­ne Wel­len­län­ge

In dem­sel­ben Ro­man sagt ei­ner der Hel­den: »Ich muß lei­der wei­ter. Ge­ben Sie te­le­pho­ni­schen Be­richt! Wel­len­län­ge der Re­gie­rungs­flug­zeu­ge! Ich gehe nach Wa­shing­ton.«

Die­se Stel­le wur­de 1921 von vie­len Le­sern über­haupt nicht ver­stan­den, und es wur­de dem Ver­fas­ser so­gar na­he­ge­legt, sie in der Buch­aus­ga­be fort­zu­las­sen. Aber da­mals gab es ja auch noch kei­nen Rund­funk und nicht acht Mil­lio­nen Hö­rer in Deutsch­land, die ihre Empfangs­ap­pa­ra­te täg­lich auf die Wel­len­län­gen der ver­schie­de­nen Sen­der ein­stel­len. Heu­te weiß na­tür­lich je­der, daß die Re­gie­rungs­flug­zeu­ge Emp­fän­ger an Bord füh­ren, die auf eine be­stimm­te Wel­len­län­ge ein­ge­stellt sind, um je­der­zeit Nach­rich­ten auf­neh­men zu kön­nen. Also auch die drit­te Pro­phe­zei­ung ist im Lau­fe zwei­er Jahr­zehn­te Wirk­lich­keit ge­wor­den.

Schließ­lich wä­ren aus je­nem Ro­man noch die »Trans­at­lan­tiks« zu er­wäh­nen, große Über­see­flug­zeu­ge, die einen fahr­plan­mä­ßi­gen Ver­kehr zwi­schen den Ve­rei­nig­ten Staa­ten und Eng­land un­ter­hal­ten. Da­mals muß­te et­was Der­ar­ti­ges reich­lich uto­pisch er­schei­nen. Heu­te ha­ben wir einen re­gel­mä­ßi­gen Flug­dienst nach Süd­ame­ri­ka, und Do X, der be­kann­te Dor­nier-Rie­sen­wal, darf als Vor­läu­fer der »Trans­at­lan­tiks« gel­ten, wo­mit Pro­phe­zei­ung Vier als er­füllt an­zu­se­hen ist. Schließ­lich wäh­len die Flug­schif­fe des Ro­mans für den Ver­kehr zwi­schen Ame­ri­ka und Eu­ro­pa den kür­zes­ten Weg über Grön­land. In­zwi­schen hat v. Gro­nau prak­tisch be­wie­sen, daß die­ser Weg in der Tat der bes­te und be­quems­te ist; also auch hier eine er­füll­te Voraus­sa­ge.

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Po­li­ti­sche Pro­phe­zei­un­gen

In dem Ro­man »Die Macht der Drei« wird ein Prä­si­dent-Dik­ta­tor der Ve­rei­nig­ten Staa­ten ge­schil­dert, der einen bol­sche­wis­ti­schen Auf­stand des ame­ri­ka­ni­schen Os­tens mit ei­ser­ner Hand nie­der­ge­wor­fen hat und eine fast un­um­schränk­te Ge­walt be­sitzt. Als die­ser Ro­man ge­schrie­ben wur­de, stan­den die Ve­rei­nig­ten Staa­ten im Zei­chen der Pro­spe­ri­ty und wuß­ten nichts von Kom­mu­nis­mus. Wer es da­mals ge­wagt hät­te, kom­mu­nis­ti­sche Leh­ren in der Uni­on zu pre­di­gen, hät­te die bes­ten Aus­sich­ten ge­habt, sei­ne Tage als Greis in ei­nem Zucht­haus zu be­schlie­ßen. Mehr als kühn war es da­mals, von ei­nem sol­chen Auf­stand zu spre­chen, und wie sehr ist doch das Un­wahr­schein­li­che in­zwi­schen in den Be­reich der Mög­lich­keit ge­rückt.

Von ei­ner Welt­kri­se son­der­glei­chen wur­de die ame­ri­ka­ni­sche Pro­spe­ri­ty ver­schlun­gen. Zu Zehn­tau­sen­den un­ter­nah­men Verzwei­fel­te Hun­ger­mär­sche nach der Bun­des­haupt­stadt. Nur mit Waf­fen­ge­walt, mit Trä­nen­gas und Ma­schi­nen­ge­weh­ren konn­te ein of­fe­ner Auf­stand un­ter­drückt wer­den, und auf der an­dern Sei­te zwang die au­ßer­ge­wöhn­li­che Zeit dazu, dem ame­ri­ka­ni­schen Prä­si­den­ten heu­te be­reits Voll­mach­ten zu ge­ben, die kaum noch hin­ter den­je­ni­gen des Prä­si­dent-Dik­ta­tors in der »Macht der Drei« zu­rück­ste­hen.

Die vier­te Tei­lung Po­lens wur­de schließ­lich in der »Macht der Drei« vor­aus­ge­sagt. Auch sie wur­de in­zwi­schen Tat­sa­che.

Ei­nen ja­pa­ni­schen und chi­ne­si­schen Block bil­den in dem Ro­man »Die Spur des Dschin­gis-Khan« die bei­den gel­ben Rei­che des Fer­nen Os­tens. Ganz un­mög­lich, völ­lig un­wahr­schein­lich muß­te eine sol­che Ent­wick­lung vor zehn Jah­ren er­schei­nen, als die­ser Ro­man ent­stand. Heu­te se­hen wir das über­völ­ker­te ja­pa­ni­sche Reich eine chi­ne­si­sche Pro­vinz nach der an­dern er­obern und sei­nem Macht­be­reich an­glie­dern. Se­hen gleich­zei­tig, wie es in dem Ro­man vor­aus­ge­sagt wur­de, Ruß­land und die üb­ri­gen wei­ßen Mäch­te un­fä­hig, die­se Ent­wick­lung mit Waf­fen­ge­walt auf­zu­hal­ten. Wie lan­ge noch, und der große gel­be Block wird Wirk­lich­keit sein, von dem aus ein neu­er Dschin­gis-Khan viel­leicht den Vor­marsch nach Wes­ten an­tre­ten könn­te. Hier wie in der Uni­on hat eine knap­pe Zeit­span­ne ge­nügt, um das da­mals so Un­wahr­schein­li­che wirk­lich­keits­nah wer­den zu las­sen.

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An den Gran Cha­co mag noch er­in­nert sein, in dem sich ein Teil der Er­eig­nis­se des Ro­mans »Das Erbe der Ura­ni­den« ab­spielt. Vor zwölf Jah­ren, als »Das Erbe der Ura­ni­den« ge­schrie­ben wur­de, war der Gran Cha­co, je­nes wei­te frucht­ba­re Prä­ri­en­ge­biet, ein geo­gra­phi­scher Be­griff und ei­gent­lich nur den Fach­ge­lehr­ten nä­her be­kannt. In­zwi­schen trat es in den Brenn­punkt macht­po­li­ti­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen zwi­schen den süd­ame­ri­ka­ni­schen Re­pu­bli­ken, und ein lan­ger mör­de­ri­scher Krieg wur­de um dies Ge­biet ge­führt. Die­se Bei­spie­le mö­gen zei­gen, daß auch die po­li­ti­sche Zu­kunft­s­ent­wick­lung in vie­len Ein­zel­hei­ten rich­tig vor­aus­ge­se­hen wur­de.

Wann wird die Mensch­heit die Atom­ener­gie be­herr­schen?

Es bleibt die letz­te, größ­te Fra­ge zu be­ant­wor­ten: Wird es der Tech­nik ge­lin­gen, jene Ener­gie­quel­le zum Flie­ßen zu brin­gen, die ihr die Phy­sik in den Ato­men nach­ge­wie­sen hat? Eine wun­der­sa­me Wand­lung hat ja un­ser Wis­sen um die Ato­me wäh­rend der letz­ten bei­den Jahr­zehn­te, be­son­ders un­ter dem Ein­fluß der Ra­di­um­for­schung durch­ge­macht. Zu voll­kom­me­nen Son­nen­sys­te­men wur­den jene kleins­ten und letz­ten Bau­stei­ne der Schöp­fung, in de­nen die Ato­me der ne­ga­ti­ven Elek­tri­zi­tät, die Elek­tro­nen, um den aus po­si­ti­ven Elek­tri­zi­täts­teil­chen auf­ge­bau­ten Atom­kern wie um eine Son­ne krei­sen. Und man lern­te wei­ter, daß es mög­lich ist, die Ker­ne der Ato­me un­ter Ener­gie­ge­win­nung zu zer­trüm­mern, ähn­lich etwa wie auch Schieß­pul­ver Ener­gie ab­gibt, wenn man es ver­puf­fen läßt.

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Vor ei­nem Men­schen­al­ter be­gan­nen die ers­ten tas­ten­den Ver­su­che auf die­sem Ge­biet. Die mit großer Ge­schwin­dig­keit aus dem Ra­di­um her­aus­ge­schleu­der­ten He­li­um­ker­ne, die so­ge­nann­ten Al­pha-Strah­len, lie­ßen Ramsay und an­de­re auf stark ver­dünn­te Gase in ei­ner Röh­re wir­ken, und nach län­ge­rer Ein­wir­kung ge­lang ih­nen durch die Spek­tral­ana­ly­se der Nach­weis, daß die Ato­me schwe­rer Gase wirk­lich von den He­li­um­ge­schos­sen zer­schla­gen wur­den. Für die phy­si­ka­li­sche Theo­rie war es ein un­er­hör­ter Tri­umph, für die Pra­xis nur ein be­schei­de­ner An­fang.

Deut­sche wa­ren es, die Phy­si­ker Brasch und Lan­ge, wel­che die­se Ver­su­che auf ei­ner an­de­ren, aus­sichts­rei­che­ren Ba­sis wei­ter­führ­ten. Nicht mehr mit den ver­hält­nis­mä­ßig lang­sam flie­gen­den Al­pha-Strah­len, son­dern mit frei flie­gen­den Elek­tro­nen, die bis zu drei­vier­tel Licht­ge­schwin­dig­keit be­schleu­nigt wer­den, such­ten sie die Atom­ker­ne der schwe­re­ren Ele­men­te zu tref­fen und zu zer­trüm­mern. Das Ra­di­um sen­det in sei­ner Beta-Strah­lung auch sol­che Elek­tro­nen aus, aber sie schu­fen sich die­se Strah­lung un­ab­hän­gig von den na­tür­li­chen ra­dio­ak­ti­ven Sub­stan­zen in ih­ren Blitz­röh­ren sel­ber.

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Rie­sen­haf­te Span­nun­gen von Mil­lio­nen von Volt wa­ren nö­tig, um den Elek­tro­nen in der Röh­re die­se Ge­schwin­dig­keit zu ver­lei­hen. Span­nun­gen, wel­che die Elek­tro­tech­nik vor­erst noch nicht lie­fern und bän­di­gen konn­te. Da zo­gen sie in die ge­wit­ter­rei­che Ge­gend am Mon­te Ge­ne­ro­so in der Schweiz, fin­gen dort die Blit­ze in Luft­dräh­ten und lei­te­ten die ein­ge­fan­ge­nen Span­nun­gen von meh­re­ren Mil­lio­nen Volt in ihre Röh­re. Sie er­hiel­ten da­bei Atom­zer­trüm­me­run­gen, die be­wie­sen, daß sie sich auf dem rich­ti­gen Wege be­fan­den. Das war vor zwölf Jah­ren.

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Gro­ße Fort­schrit­te

Eine Zeit­lang sah sich die Tech­nik dies Ex­pe­ri­ment mit Blit­zen mit an, aber nicht sehr lan­ge. Dann trat sie mit ei­ge­nen neu­en Hoch­span­nungs­quel­len und dazu pas­sen­den Blitz­röh­ren auf den Plan. Wäh­rend die­se Zei­len ge­schrie­ben wer­den, ge­hen sol­che Ap­pa­ra­te, die Span­nun­gen von sie­ben Mil­lio­nen Volt si­cher er­zeu­gen und be­herr­schen, ih­rer Vollen­dung ent­ge­gen, und je­der kom­men­de Mo­nat dürf­te uns neue Fort­schrit­te die­ser Zer­trüm­me­rungs­tech­nik brin­gen. Ein­wand­frei wur­de bei den bis­he­ri­gen Ver­su­chen be­reits ein Ener­gie­ge­winn fest­ge­stellt in dem Sinn, daß die Trüm­mer­stücke ei­nes ge­trof­fe­nen Atoms mit grö­ße­rer le­ben­di­ger Kraft wei­ter­flo­gen, als sie die tref­fen­de Ku­gel be­saß.

Für die Leis­tungs­fä­hig­keit der neu­en Blitz­röh­ren spricht bes­ser als al­les an­de­re eine ein­fa­che Zahl: Die Beta-Strah­lung, das heißt die Ener­gie der in ei­ner sol­chen Röh­re frei flie­gen­den Elek­tro­nen, ist gleich­wer­tig der­je­ni­gen, die eine Ra­di­um­men­ge von 50 Ton­nen lie­fern wür­de. Erin­nert man sich da­bei, daß die ge­sam­te heu­te in mensch­li­chem Be­sitz be­find­li­che, über zahl­lo­se La­bo­ra­to­ri­en und Kran­ken­häu­ser der gan­zen Welt ver­teil­te Ra­di­um­men­ge we­nig mehr als zwei Ki­lo­gramm be­trägt, so wird die Grö­ße des Er­reich­ten klar.

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Trotz­dem han­delt es sich auch bei den neues­ten Ar­bei­ten mit die­sen Blitz­röh­ren vor­läu­fig im­mer noch um recht sub­ti­le La­bo­ra­to­ri­ums­ver­su­che, bei de­nen die Er­geb­nis­se oft nur mit Hil­fe der feins­ten Meß­me­tho­den fest­ge­stellt wer­den kön­nen. Von dem idea­len Zu­stand, daß man ir­gend­wo einen Schal­ter knipst und da­nach die Atom­ener­gie eben­so zu flie­ßen be­ginnt wie heu­te der elek­tri­sche Strom und eben­so wie die­ser un­se­re Öfen heizt und un­se­re Lam­pen zum Leuch­ten bringt, sind wir na­tür­lich noch sehr weit ent­fernt. Aber es war ja auch ein lan­ger und oft recht dor­nen­vol­ler Weg von den zu­cken­den Frosch­schen­keln Gal­va­nis und den pri­mi­ti­ven Zink-Kup­fer-Ele­men­ten Vol­tas bis zu den Tur­bo-Dy­na­mos un­se­rer Tage. Das We­sent­li­che bleibt, daß die Ent­wick­lung in der vor­aus­ge­sag­ten Rich­tung wei­ter­geht und der Beo­b­ach­ter den Fort­schritt fest­zu­hal­ten ver­mag. Und die­ser Fort­schritt war wäh­rend der letz­ten fünf­zehn Jah­re so groß, daß noch ein­mal fünf­zehn Jah­re uns viel­leicht schon bis dicht an das Ziel brin­gen kön­nen.

Wo liegt das Ziel?

Eine un­schein­ba­re For­mel der mo­der­nen Phy­sik zeigt uns das letz­te Ziel. Wenn es ge­lingt, Ma­te­rie im Ge­wicht von ei­nem Ki­lo­gramm auf dem Wege der Atom­zer­trüm­me­rung rest­los zu ver­nich­ten, so daß sie aus der Schöp­fung ver­schwin­det, so muß da­für nach dem ener­ge­ti­schen Äqui­va­lent eine Ener­gie­men­ge von neun­tau­send Bil­lio­nen Me­ter­ki­lo­gramm aus­tre­ten, eine Ener­gie­men­ge, die ei­ner Wär­me­men­ge von 21 Bil­lio­nen Ka­lo­ri­en ent­spricht. Woll­te man die­se Wär­me­men­ge durch einen Ver­bren­nungs­vor­gang ge­win­nen, so müß­te man drei Mil­lio­nen Ton­nen Stein­koh­le ver­bren­nen. Das wäre die La­dung von 150.000 Groß­gü­ter­wa­gen oder von 1500 lan­gen Koh­len­zü­gen zu je 800 Ach­sen.

Die glei­che Ener­gie­men­ge liegt aber nach un­se­rer neu­en Er­kennt­nis in ei­nem Stück­chen Ma­te­rie ver­schlos­sen, das man be­quem in der Hand hal­ten kann. Wie nach der mor­gen­län­di­schen Sage der Kö­nig Sa­lo­mo ge­fähr­li­che Geis­ter in kup­fer­ne Fla­schen bann­te, so wur­den bei ir­gend­ei­nem Schöp­fungs­akt ein­mal un­vor­stell­bar große Ener­gie­men­gen in Form von Ma­te­rie fest­ge­legt. Hier die Sie­gel zu lö­sen und die ge­bann­te Ener­gie wie­der frei flie­ßen zu las­sen, wird das Ziel ei­ner kom­men­den Tech­nik sein. Ein nicht leich­tes, viel­leicht so­gar ein ge­fähr­li­ches Ziel, denn nicht in ver­nich­ten­dem Aus­bruch darf die be­frei­te Ener­gie da­hin­ra­sen. Nütz­lich und dem Men­schen dienst­bar wird sie flie­ßen müs­sen. Dann aber wird ihr rei­cher Strom ein neu­es Zeit­al­ter be­fruch­ten. Ein Zeit­al­ter, in dem der alte Erd­ball der Mensch­heit zu klein wird und sie ih­ren Pfad zu an­de­ren Gestir­nen lenkt.

Und die Wel­traum­ra­ke­te?

In ei­nem, höchs­tens zwei Men­schen­al­tern wird die neue ge­wal­ti­ge Quel­le der Atom­ener­gie uns wil­lig flie­ßen. Vie­le Jahr­hun­der­te frü­her je­den­falls, als un­se­re Koh­len­vor­rä­te ein­mal er­schöpft sind.

Und auch die Ra­ke­te, je­nes Mit­tel ei­nes künf­ti­gen Wel­traum­ver­kehrs, wird ste­tig wei­ter­ent­wi­ckelt. Man be­gann mit py­ro­tech­ni­schen Treib­sät­zen und ar­bei­tet heu­te be­reits mit wirk­sa­me­ren flüs­si­gen Brenn­stof­fen und wird die Wel­traum­schif­fe ei­nes kom­men­den Zeit­al­ters mit der Atom­ener­gie trei­ben, so­bald ein­mal de­ren Be­herr­schung der Mensch­heit ge­lun­gen ist. Die Ent­wick­lung wird und muß die­sen Weg ge­hen, denn all die man­nig­fa­chen ver­blüf­fen­den und so oft be­zwei­fel­ten phy­si­ka­lisch-tech­ni­schen Voraus­sa­gen, wel­che in Zu­kunfts­ro­ma­nen des Au­tors die tra­gen­de Un­ter­la­ge bil­den, wur­den ja nicht auf blau­en Dunst hin ge­macht, son­dern un­ter ge­nau­er Berück­sich­ti­gung des bis­her von der Wis­sen­schaft Er­forsch­ten und Er­kann­ten. Daß sie ei­nes Ta­ges eben­so vol­le Wirk­lich­keit wer­den, wie es so man­ches an­de­re in die­sen Ro­ma­nen Vor­aus­ge­sag­te be­reits ge­wor­den ist, das ist die fes­te Über­zeu­gung des Ver­fas­sers.

Hans Do­mi­nik

Buch I

1

Das Mys­te­ri­um von Sing-Sing! Spe­zi­al­te­le­gramm: »Sing-Sing, 16. Juni, 6 Uhr mor­gens. Drei­mal auf dem elek­tri­schen Stuhl! Drei­mal ver­sag­te der Strom! Beim drit­ten Mal zer­brach die Ma­schi­ne. Der De­lin­quent un­ver­sehrt.«

Gel­lend schri­en die New Yor­ker Zei­tungs­boys die ein­zel­nen Stich­wor­te der Sen­sa­ti­ons­nach­richt den Tau­sen­den und aber Tau­sen­den von Men­schen in die Ohren, die in der ach­ten Mor­gen­stun­de des Ju­ni­ta­ges von den über­füll­ten Fähr­boo­ten ans Land ge­wor­fen wur­den und den Schäch­ten der Un­ter­grund­bah­nen ent­quol­len, um an ihre Ar­beits­stät­ten zu ei­len. Fast je­der aus der tau­send­köp­fi­gen Men­ge griff in die Ta­sche, um für ein Fünf­cent­stück ei­nes der druck­feuch­ten Blät­ter zu er­ste­hen und auf der Stra­ße oder im Lift die au­ßer­ge­wöhn­li­che Nach­richt zu über­flie­gen.

Nur die we­nigs­ten in der groß­städ­ti­schen Men­ge hat­ten eine Ah­nung da­von, daß an die­sem Tage weit drau­ßen im Zucht­haus des Staa­tes New York eine Elek­tro­ku­ti­on auf die sechs­te Mor­gen­stun­de an­ge­setzt war. Sol­che Hin­rich­tun­gen in­ter­es­sier­ten das New Yor­ker Pub­li­kum nur, wenn be­rühm­te An­wäl­te mo­na­te­lang um das Le­ben des Ver­ur­teil­ten ge­kämpft hat­ten oder wenn bei der Hin­rich­tung et­was schief ging. Es ge­sch­ah wohl ge­le­gent­lich, daß ein De­lin­quent lan­ge Vier­tel­stun­den hin­durch mit dem Strom be­ar­bei­tet wer­den muß­te, bis er end­lich für das Se­zier­mes­ser der Ärz­te reif war. Und auch un­ter dem Mes­ser war dann noch bis­wei­len der eine oder der an­de­re wie­der schwer rö­chelnd er­wacht.

Aber die Yan­kees hat­ten nie­mals all­zu­viel Auf­he­bens von sol­chen Vor­komm­nis­sen ge­macht. Schon da­mals nicht, als das Land noch von Prä­si­den­ten ge­lei­tet wur­de, die man alle vier Jah­re neu wähl­te. Viel we­ni­ger jetzt, wo es un­ter der ei­ser­nen Faust des Prä­si­dent-Dik­ta­tors Cy­rus Sto­nard stand.

Un­ter der Faust je­nes Cy­rus Sto­nard, der nach dem ers­ten ver­lo­re­nen Krie­ge ge­gen Ja­pan den Auf­stand des bol­sche­wis­tisch ge­sinn­ten Os­tens ge­gen den Bür­ger­li­chen Wes­ten mit ei­ser­ner Stren­ge nie­der­ge­schla­gen und dann den zwei­ten Krieg ge­gen Ja­pan sieg­reich durch­ge­führt hat­te. Die un­be­schränk­ten Voll­mach­ten des Prä­si­dent-Dik­ta­tors nö­tig­ten auch die ame­ri­ka­ni­schen Zei­tun­gen zu ei­ni­ger Zu­rück­hal­tung in al­len die Re­gie­rung und Re­gie­rungs­maß­nah­men be­tref­fen­den No­ti­zen.

Et­was Be­son­de­res muß­te pas­siert sein, wenn die sämt­li­chen New Yor­ker Zei­tun­gen die­sem Er­geb­nis über­ein­stim­mend ihre ers­te Sei­te wid­me­ten und mit der Aus­ga­be von Ex­trablät­tern fort­fuh­ren. Noch ehe die letz­ten Exem­pla­re der eben er­schie­ne­nen Aus­ga­be ihre Käu­fer ge­fun­den hat­ten, stürm­te eine neue Schar von Zei­tungs­boys mit der nächs­ten Aus­ga­be der Mor­gen­blät­ter den Broad­way ent­lang.

»Das Rät­sel von Sing-Sing! Sing-Sing, 6 Uhr 25 Mi­nu­ten. Elek­tri­sche Sta­ti­on von Sing-Sing zer­stört. Der Ver­ur­teil­te heißt Logg Sar. Her­kunft un­be­kannt. Kein ame­ri­ka­ni­scher Bür­ger! Zum Tode ver­ur­teilt we­gen ver­such­ter Spren­gung ei­ner Schleu­se am Pa­na­ma­ka­nal!«

»Sing-Sing, 6 Uhr 42 Mi­nu­ten. Der Ver­ur­teil­te ent­flo­hen! Die Rie­men, mit de­nen er an den Stuhl ge­fes­selt war, zer­schnit­ten!«

»Sing-Sing, 6 Uhr 50 Mi­nu­ten. Ein Zeu­ge als Kom­pli­ce! Al­lem An­schein nach ist der De­lin­quent mit Hil­fe ei­nes der zwölf Zeu­gen der Elek­tro­ku­ti­on ent­flo­hen.«

»Sing-Sing, 7 Uhr. Letz­te Nach­rich­ten aus Sing-Sing. Im Auto ent­flo­hen! Ein un­glaub­li­ches Stück! Durch Au­gen­zeu­gen fest­ge­stellt, daß der De­lin­quent, kennt­lich durch sei­nen Hin­rich­tungs­an­zug, in Beglei­tung des Zeu­gen Wil­liams in ein vor dem Tor ste­hen­des Auto ge­stie­gen. Fuh­ren in ra­sen­der Fahrt da­von. Jede Spur fehlt. Ge­fäng­nis­ver­wal­tung und Po­li­zei rat­los.«

Mit kur­z­em schar­fem Ruck blieb ein Auto ste­hen, das in den Broad­way an der Stra­ßen­e­cke ein­bog, wo das Flat Iron Buil­ding sei­nen gro­tes­ken Bau in den Äther reckt.

Der In­sas­se des Wa­gens riß ei­nem der Boys das zwei­te Ex­trablatt aus der Hand und durch­flog es, wäh­rend das Auto in der Rich­tung nach der Po­li­zei­zen­tra­le wei­ter­roll­te. Ein ner­vö­ses Zu­cken lief über die Züge des Le­sen­den. Es war ein Mann von un­be­stimm­tem Al­ter. Ei­ner je­ner mensch­li­chen Zeit­lo­sen, bei de­nen man nicht sa­gen kann, ob sie vier­zig oder sech­zig Jah­re alt sind.

Vor dem Ge­bäu­de der Po­li­zei­zen­tra­le hielt der Wa­gen. Noch ehe er völ­lig stand, sprang der In­sas­se hin­aus und eil­te über den Bür­ger­steig der Ein­gangs­pfor­te zu. Sei­ne Klei­dung war of­fen­sicht­lich in ei­nem erst­klas­si­gen Ate­lier ge­fer­tigt. Doch hat­ten alle Küns­te des Schnei­ders nicht ver­mocht, Un­zu­läng­lich­kei­ten der Na­tur voll­stän­dig zu mil­dern. Ein schar­fer Beo­b­ach­ter muß­te be­mer­ken, daß die rech­te Schul­ter ein we­nig zu hoch, die lin­ke Hüf­te et­was nach in­nen ge­drückt war, daß das lin­ke Bein beim Ge­hen leicht schleif­te.

Er trat durch die Pfor­te. Has­tig kreuz­te er die ver­zweig­ten Kor­ri­do­re, bis ihm an ei­ner dop­pel­ten Tür ein Po­li­ce­man in den Weg trat. Der ty­pi­sche sechs­fü­ßi­ge Ir­län­der mit Gum­mi­knüp­pel und Filz­helm.

»Hal­lo, Sir! Wo­hin?«

Ein un­wil­li­ges Mur­ren war die Ant­wort des ei­lig Weiter­schrei­ten­den.

»Stop, Sir!«

Breit und mas­sig schob der iri­sche Rie­se sich ihm in den Weg und hob den Gum­mi­knüp­pel in nicht miß­zu­ver­ste­hen­der Wei­se.

Hef­tig riß der Be­su­cher eine Kar­te aus sei­ner Ta­sche und übergab sie dem Be­am­ten.

»Zum Chef, so­fort!«

Mehr noch als das her­risch ge­spro­che­ne Wort ver­an­laß­te der fun­keln­de Blick den Po­li­ce­man, mit großer Höf­lich­keit die Tür zu öff­nen und den Frem­den in ein saalar­ti­ges An­mel­de­zim­mer zu ge­lei­ten.

»Ed­ward F. Glos­sin, me­di­ci­nae doc­tor« stand auf dem Kärt­chen, das der Die­ner dem Po­li­zei­prä­si­den­ten MacMor­land auf den Schreib­tisch leg­te.

Der Trä­ger des Na­mens muß­te ein Mann von Be­deu­tung sein. Kaum hat­te der Prä­si­dent einen Blick auf die Kar­te ge­wor­fen, als er sich er­hob, aus der Tür eil­te und den An­ge­mel­de­ten in sein Pri­vat­ka­bi­nett ge­lei­te­te.

»Wo­mit kann ich Ih­nen die­nen, Herr Dok­tor?«

»Ha­ben Sie Be­richt aus Sing-Sing?«

»Nur, was die Zei­tun­gen mel­den.«

»Bie­ten Sie al­les auf, um der Ent­flo­he­nen hab­haft zu wer­den. Wenn die Po­li­zei­flie­ger nicht aus­rei­chen, for­dern Sie Ar­mee­f­lie­ger an! Ihre Voll­macht langt doch für die An­for­de­rung?«

»Ja­wohl, Herr Dok­tor!«

»Die Flüch­ti­gen müs­sen vor Ein­bruch der Dun­kel­heit ge­faßt sein. Das Staats­in­ter­es­se er­for­dert es. Sie haf­ten da­für.«

»Ich tue, was ich kann.« Der Po­li­zei­chef war durch den un­ge­wöhn­lich bar­schen Ton des Be­su­chers ver­letzt, und dies Ge­fühl klang aus sei­ner Ant­wort her­aus.

Dr. Glos­sin run­zel­te die Stirn. Ant­wor­ten, die nach Wi­der­spruch und Ver­klau­su­lie­run­gen klan­gen, wa­ren nicht nach sei­nem Ge­schmack.

»Hof­fent­lich ent­spricht Ihr Kön­nen un­se­ren Er­war­tun­gen. Sonst … müß­te man sich nach ei­nem Mann um­se­hen, der noch mehr kann. Las­sen Sie nach Sing-Sing te­le­pho­nie­ren! Pro­fes­sor Cur­tis soll hier­her­kom­men. Ih­nen in mei­ner Ge­gen­wart Be­richt über die Vor­gän­ge er­stat­ten.«

Der Prä­si­dent er­griff den Ap­pa­rat und ließ die Ver­bin­dung her­stel­len.

»Wann kann Cur­tis hier sein?«

»In fünf­zehn Mi­nu­ten.«

Dr. Glos­sin strich sich über die hohe Stirn und durch das vol­le, kaum von ei­nem grau­en Fa­den durch­zo­ge­ne dunkle Haupt­haar, das glatt nach hin­ten ge­stri­chen war.

»Ich möch­te bis da­hin al­lein blei­ben. Könn­te ich…«

»Sehr wohl, Herr Dok­tor. Wenn ich bit­ten dar­f…« Der Prä­si­dent öff­ne­te die Tür zu ei­nem klei­nen Ka­bi­nett und ließ Dr. Glos­sin ein­tre­ten.

»Dan­ke, Herr Prä­si­dent… Daß ich es nicht ver­ges­se! 200.000 Dol­lar Be­loh­nung dem, der die Flücht­lin­ge zu­rück­bringt. Le­ben­dig oder tot!«

»200.000…?« MacMor­land trat er­staunt einen Schritt zu­rück.

»200.000, Herr Prä­si­dent! Genau, wie ich sag­te. An­schlä­ge mit der Be­loh­nung in al­len Städ­ten!«

Der Prä­si­dent zog sich zu­rück. Kaum hat­te sich die Tür ge­schlos­sen, als plötz­lich alle Straff­heit aus den Zü­gen Dr. Gloss­ins wich und ei­nem er­reg­ten, sor­gen­den Aus­druck Platz mach­te. Mit ei­nem leich­ten Stöh­nen ließ er sich in einen Ses­sel fal­len und be­deck­te mit der Rech­ten die Au­gen, wäh­rend die Lin­ke ner­vös über das nar­bi­ge Le­der der Leh­ne glitt. Wie un­ter ei­nem in­ne­ren Zwan­ge ka­men ab­ge­ris­se­ne Wor­te halb ge­flüs­tert und stoß­wei­se von sei­nen Lip­pen.

»Ste­hen die To­ten wie­der auf?… Burs­felds Sohn! Kein Zwei­fel dar­an… Wer ret­te­te ihn…? Wer war die­ser Wil­liams? Der Va­ter selbst…? Nur der be­sä­ße die Macht, ihn zu ret­ten… Er war es si­cher nicht … Die Rie­gel des To­wers sind fes­ter als die von Sing-Sing… Wer wüß­te noch um die ge­heim­nis­vol­le Macht …? Ah, Ja­ne…! Sie könn­te es of­fen­ba­ren. Der Ver­such muß ge­macht wer­den… Un­mög­lich, jetzt noch nach Tren­ton zu fah­ren … Ich muß bis zum Abend war­ten … Ein un­er­träg­li­cher Ge­dan­ke. Acht Stun­den in Un­ge­wiß­heit …«

Der Spre­cher fuhr em­por und warf einen Blick auf sein Chro­no­me­ter.

»Ruhe, Ruhe! Noch zehn Mi­nu­ten für mich.«

Ei­nem klei­nen Glas­röhr­chen ent­nahm er sorg­fäl­tig ab­ge­zählt zwei win­zi­ge wei­ße Pil­len und ver­schluck­te sie. Bei­na­he mo­men­tan wich die ner­vö­se Span­nung aus sei­nen ge­quäl­ten Zü­gen und mach­te ei­ner fried­li­chen Ruhe Platz. Sei­ne Ge­dan­ken wan­der­ten rück­wärts. Bil­der aus ei­ner ein Men­schen­al­ter zu­rück­lie­gen­den Ver­gan­gen­heit zo­gen plas­tisch an sei­nem Geis­te vor­über … Die großen Bahn­bau­ten da­mals in Me­so­po­ta­mi­en im ers­ten Jahr­zehnt nach dem Welt­krie­ge. Ein klei­nes Land­haus am Aus­läu­fer der Ber­ge …

Eine blon­de Frau in weißem Klei­de mit ei­nem spie­len­den Kna­ben im Arm … Wie lan­ge, wie un­end­lich lan­ge war das her, daß er Ger­hard Burs­feld, den ehe­ma­li­gen deut­schen In­ge­nieu­r­of­fi­zier, aus sei­nem kur­di­schen Zuf­luchts­ort her­vor­ge­lockt und für die me­so­po­ta­mi­schen Bahn- und Be­wäs­se­rungs­bau­ten ge­won­nen hat­te. Da­mals, als Hän­de und Köp­fe im Zweistrom­lan­de knapp wa­ren.

Ger­hard Burs­feld war dem Rufe zu sol­cher Ar­beit gern ge­folgt. Mit ihm ka­men sein jun­ger Kna­be und sein blon­des Weib Ro­ka­ja Burs­feld, die schö­ne Toch­ter ei­nes kur­di­schen Häupt­lings und ei­ner zir­kas­si­schen Mut­ter.

Ein glück­li­ches Le­ben be­gann. Bis Ger­hard Burs­feld die große ge­fähr­li­che Er­fin­dung mach­te. Bis Ed­ward Glos­sin, in Lie­be zu der blon­den Frau ent­brannt, den Freund und sei­ne Er­fin­dung an die eng­li­sche Re­gie­rung ver­riet … Ger­hard Burs­feld ver­schwand hin­ter den Mau­ern des To­wers. Sein Weib ent­floh mit dem dre­jäh­ri­gen Kna­ben. In die Ber­ge nach Nord­os­ten. Ihre Spur war ver­lo­ren. Und Ed­ward Glos­sin war der be­tro­ge­ne Be­trü­ger. Mit ein paar tau­send Pfund speis­te ihn die eng­li­sche Re­gie­rung für ein Ge­heim­nis ab, des­sen Wert ihm un­er­meß­lich schi­en …

Die Züge des Träu­mers nah­men wie­der die frü­he­re Span­nung an. Der Klang ei­ner elek­tri­schen Glo­cke er­tön­te. Der Dok­tor er­hob sich und ging straff auf­ge­rich­tet in das Ka­bi­nett des Po­li­zei­chefs.

Kurz be­grüß­te er den An­kömm­ling Pro­fes­sor Cur­tis aus Sing-Sing und frag­te: »Wie ist es mög­lich ge­we­sen, daß die Ap­pa­ra­tur ver­sag­te?«

Sto­ckend und ner­vös gab der Pro­fes­sor sei­nen Be­richt.

»Uns al­len ganz un­be­greif­lich! Auf 5 Uhr 30 Mi­nu­ten war die Elek­tro­ku­ti­on des Raub­mör­ders Wood­bur­ne an­ge­setzt. Sie ging glatt von­stat­ten. Um 5 Uhr 40 Mi­nu­ten lag der De­lin­quent be­reits auf dem Se­zier­tisch. Die Ma­schi­ne wur­de still­ge­setzt und um 5 Uhr 55 Mi­nu­ten wie­der an­ge­las­sen. Punkt 6 Uhr brach­te man den zwei­ten De­lin­quen­ten und schnall­te ihn auf den Stuhl. Er trug den vor­schrifts­mä­ßi­gen Hin­rich­tungs­an­zug mit dem Schlitz im rech­ten Bein­kleid.

Die Elek­tro­de wur­de ihm um den Ober­schen­kel ge­legt. Zwei Mi­nu­ten nach sechs senk­te sich die Kup­fer­hau­be auf sei­nen Kopf. Im Hin­rich­tungs­raum stand der Ge­fäng­nis­in­spek­tor mit den zwölf vom Ge­setz vor­ge­schrie­be­nen Zeu­gen. Der Elek­tri­ker des Ge­fäng­nis­ses hat­te sei­nen Platz an der Schalt­ta­fel, den Au­gen des De­lin­quen­ten ver­bor­gen. 6 Uhr 3 Mi­nu­ten schlug er auf einen Wink des She­riffs den Schalt­he­bel ein … Ich will gleich be­mer­ken, daß dies die letz­te au­then­ti­sche Zei­t­an­ga­be aus Sing-Sing ist. Um 6 Uhr 3 Mi­nu­ten sind alle Uhren in der An­stalt mit ma­gne­ti­sier­ten Ei­sen­tei­len ste­hen­ge­blie­ben. Die wei­te­ren Zei­t­an­ga­ben in den Zei­tun­gen stam­men vom New Yor­ker Te­le­gra­phen­amt …«

Dr. Glos­sin wipp­te ner­vös mit ei­nem Fuß. Der Pro­fes­sor fuhr fort.

»In dem Au­gen­blick, in dem der Elek­tri­ker den Strom auf den De­lin­quen­ten schal­te­te, blieb die Dy­na­mo­ma­schi­ne, wie von ei­ner Rie­sen­faust ge­packt, plötz­lich ste­hen. Sie stand und hielt eben­so mo­men­tan auch die mit ihr ge­kup­pel­te Dampf­tur­bi­ne fest. Mit un­ge­heu­rer Ge­walt ström­te der Frisch­dampf aus dem Kes­sel ge­gen die still­ste­hen­den Tur­bi­nen­schau­feln. Es war höchs­te Zeit, daß der Ma­schi­nen­wär­ter zu­sprang und den Dampf ab­stell­te.

Wäh­rend al­le­dem saß der De­lin­quent ru­hig auf dem Stuhl und zeig­te kei­ne Spur ei­ner Strom­wir­kung. Erst spä­ter ist mir das ei­gen­ar­ti­ge Ver­hal­ten des Ver­ur­teil­ten wie­der in die Erin­ne­rung ge­kom­men. Er schi­en mit dem Le­ben ab­ge­schlos­sen zu ha­ben. Aber so­bald er in den Hin­rich­tungs­raum ge­führt wur­de, kehr­te eine lei­se Röte in sei­ne bis da­hin tod­blas­sen Züge zu­rück. Als die Ma­schi­ne das ers­te­mal ver­sag­te, glaub­te ich die Spur ei­nes be­frie­dig­ten Lä­chelns auf sei­nen Zü­gen zu be­mer­ken. Gera­de so als ob er die­sen für uns alle so über­ra­schen­den Zwi­schen­fall er­war­tet habe.

Als die Ma­schi­ne zum zwei­ten­mal an­ge­las­sen wur­de, ver­stärk­te sich die­se rät­sel­haf­te Hei­ter­keit. Er ver­folg­te un­se­re Ar­bei­ten, als ob es sich für ihn nur um ein wis­sen­schaft­li­ches Ex­pe­ri­ment hand­le.

Beim drit­ten­mal kam das Un­glück. Die Ma­schi­nis­ten hat­ten die Tur­bi­ne auf höchs­te Tou­ren­zahl ge­bracht. Sie lief mit drei­tau­send Um­dre­hun­gen, und die elek­tri­sche Span­nung stand fünf­zig Pro­zent über der vor­ge­schrie­be­nen Höhe. Es gab einen Ruck. Die Ach­se zwi­schen Dy­na­mo und Tur­bi­ne zer­brach. Die Tur­bi­ne, plötz­lich ohne Last, ging durch. Ihre Schau­fel­rä­der zer­ris­sen un­ter der ins Un­ge­heue­re ge­stei­ger­ten Zen­tri­fu­gal­kraft. Der Kes­sel­frisch­dampf quirl­te und jag­te die Trüm­mer un­ter greu­li­chem Schlei­fen und Krei­schen durch die Ab­dampf­lei­tung in den Kon­den­sa­tor. Als der Dampf ab­ge­stellt war, fühl­ten wir alle, daß wir haar­scharf am Tode vor­bei­ge­gan­gen wa­ren …«

Der Po­li­zei­chef flüs­ter­te ein paar Wor­te mit dem Dok­tor. Dann frag­te er den Pro­fes­sor: »Ha­ben Sie eine wis­sen­schaft­li­che Er­klä­rung für die Vor­gän­ge?«

»Nein, Herr! Jede Er­klä­rung, die sich be­wei­sen lie­ße, fehlt. Höchs­tens eine Ver­mu­tung. Die Ma­gne­ti­sie­rung sämt­li­cher Uhren deu­tet dar­auf hin, daß in den kri­ti­schen Mi­nu­ten ein elek­tro­ma­gne­ti­scher Wir­bel­sturm von un­er­hör­ter Hef­tig­keit durch die Räu­me von Sing-Sing ge­gan­gen ist. Es müs­sen ex­trem star­ke elek­tro­ma­gne­ti­sche Fel­der im frei­en Raum auf­ge­tre­ten sein. Sonst wäre es nicht zu er­klä­ren, daß so­gar die ein­zel­nen Win­dun­gen der großen Stahl­fel­der in der Zen­tral­uhr voll­stän­dig ma­gne­tisch zu­sam­men­ge­ba­cken sind. Ein fürch­ter­li­ches elek­tro­ma­gne­ti­sches Ge­wit­ter muß wohl statt­ge­fun­den ha­ben. Aber da­mit wis­sen wir we­nig mehr.«

Eine Hand­be­we­gung des Dok­tors un­ter­brach die wis­sen­schaft­li­chen Er­ör­te­run­gen des Pro­fes­sors.

»Wie war die Flucht mög­lich?«

Der Be­richt dar­über war lücken­haft. »Als die Tur­bi­ne im Ne­ben­raum ex­plo­dier­te, such­ten alle An­we­sen­den in­stink­tiv De­ckung. Ein Teil warf sich zu Bo­den. Ein Teil flüch­te­te hin­ter die Schalt­ta­fel. Etwa zwei Mi­nu­ten dau­er­te das ner­ven­zer­rei­ßen­de Heu­len und Quir­len der Trüm­mer­stücke in der Dampf­lei­tung.

Als end­lich der Dampf ab­ge­stellt und Ruhe ein­ge­tre­ten war, merk­te man, daß der De­lin­quent ver­schwun­den war. Die star­ken Och­sen­le­der­rie­men, die ihn hiel­ten, wa­ren nicht auf­ge­schnallt, son­dern mit ei­nem schar­fen Mes­ser durch­schnit­ten. Die Flucht muß­te in höchs­ter Eile in we­ni­gen Se­kun­den aus­ge­führt wor­den sein. Erst zehn Mi­nu­ten spä­ter wur­de es be­merkt, daß auch ei­ner der Zeu­gen fehl­te.«

Das war al­les, was Pro­fes­sor Cur­tis be­rich­ten konn­te.

Dr. Glos­sin zog die Uhr.

»Ich muß lei­der wei­ter! Le­ben Sie wohl, Herr Pro­fes­sor.« Er trat, von dem Po­li­zei­chef be­glei­tet, auf den Gang.

»Wen­den Sie alle Maß­nah­men an, die Ih­nen zweck­mä­ßig er­schei­nen. In spä­tes­tens drei Stun­den er­war­te ich Mel­dung, wie es mög­lich war, daß ein falscher Zeu­ge der Elek­tro­ku­ti­on bei­wohn­te. Ge­ben Sie te­le­pho­ni­schen Be­richt! Wel­len­län­ge der Re­gie­rungs­flug­zeu­ge! Ich gehe nach Wa­shing­ton.«

Ein Läu­ten des Te­le­phons im Zim­mer des Prä­si­den­ten rief die­sen hin­weg. Un­will­kür­lich trat Dr. Glos­sin mit ihm in den Raum zu­rück.

»Vi­el­leicht eine gute Nach­richt?«

Der Prä­si­dent er­griff den Hö­rer. Er­stau­nen und Span­nung mal­ten sich auf sei­nem Ge­sicht. Auch Dr. Glos­sin trat nä­her.

»Was ist?«

»Ein Ar­mee­flug­zeug ver­schwun­den. R.F.c.1 vom An­ker­platz ent­führt.«

»Wei­ter, wei­ter!«

Der Dok­tor stampf­te auf den Bo­den.

»Wer war es?«

Er drang auf den Prä­si­den­ten ein, als woll­te er ihm den Hö­rer aus der Hand rei­ßen. MacMor­land hat­te sei­ne Ruhe wie­der­ge­fun­den. Kurz und knapp klan­gen sei­ne Be­feh­le in den Trich­ter.

»Der Staats­se­kre­tär des Krie­ges ist be­nach­rich­tigt?… Gut! So wird von dort aus die Ver­fol­gung ge­lei­tet wer­den. Wie se­hen die Tä­ter aus?… Hat man ir­gend­wel­che Ver­mu­tun­gen?… Wie? Was?… Eng­li­sche Agen­ten? Sind das lee­re Re­dens­ar­ten oder hat man An­halts­punk­te?… Was sa­gen Sie? All­ge­mei­ne Mei­nung?… Re­dens­ar­ten! Die Her­ren Chop­per und Wat­kins wer­den gleich her­aus­kom­men und die Nach­for­schun­gen lei­ten. Ihren An­ord­nun­gen ist Fol­ge zu leis­ten!«

Der Prä­si­dent eil­te zum Schreib­tisch, warf ein paar Zei­len aufs Pa­pier und übergab sie sei­nem Se­kre­tär. Dann wand­te er sich sei­nen Be­su­chern zu.

»Ein er­eig­nis­rei­cher Mor­gen! In­ner­halb we­ni­ger Stun­den zwei Vor­fäl­le, wie sie mir in mei­ner lan­gen Dienst­zeit noch nicht vor­ge­kom­men sind … Die Mei­nung, daß die Eng­län­der da­hin­ter­ste­cken, scheint mir nicht ganz un­be­grün­det zu sein. R.F.c.1 ist der neues­te Typ der Ra­pid Flyers. Erst vor we­ni­gen Wo­chen ist es ge­glückt, durch eine be­son­de­re Ver­bes­se­rung die Ge­schwin­dig­keit auf tau­send Ki­lo­me­ter in der Stun­de zu brin­gen. R.F.c. heißt die ver­bes­ser­te Type. c.1 ist das ers­te Exem­plar der Type. Ich hör­te, daß es erst vor drei Ta­gen in Dienst ge­stellt wur­de. Die nächs­ten Exem­pla­re brau­chen noch Tage, um für die Pro­be­fahrt fer­tig zu wer­den. Der Ge­dan­ke, daß die eng­li­sche Re­gie­rung sich das ers­te Exem­plar an­ge­eig­net hat, liegt na­tür­lich sehr nahe … Es sei denn …«

»Was mei­nen Sie, Herr Prä­si­dent?«

Die Stim­me Gloss­ins ver­riet sei­ne Er­re­gung.

»Es sei denn, daß …« MacMor­land sprach lang­sam wie tas­tend »… daß ein Zu­sam­men­hang zwi­schen der Ent­füh­rung des Kreu­zers und der Flucht je­nes Logg Sar be­stän­de. Was mei­nen Sie, Herr Pro­fes­sor?«

»Ich bin ver­sucht, das letz­te­re für das rich­ti­ge zu hal­ten. Es ist aus­ge­schlos­sen, mit ge­wöhn­li­chen Mit­teln ein Luft­schiff wie R.F.c.1 von dem streng be­wach­ten Flug­platz am hel­lich­ten Tage zu ent­füh­ren.«

»Was ist Ihre Mei­nung, Herr Dok­tor?«

»Ich … ich über­se­he die gan­ze Sach­la­ge zu we­nig. Trotz­dem, Herr Prä­si­dent, wer­den Sie gut­tun, sich um­ge­hend mit dem Kriegs­amt in Ver­bin­dung zu set­zen und Ihre Maß­nah­men für bei­de Fäl­le im Ein­ver­neh­men und engs­ten Zu­sam­men­wir­ken mit die­sem zu tref­fen. Gu­ten Mor­gen, mei­ne Her­ren.«

2


MacMor­land und Pro­fes­sor Cur­tis wa­ren al­lein im Saa­le des Po­li­zei­prä­si­di­ums zu­rück­ge­blie­ben.

»Ein leb­haf­ter Tag heu­te!«

MacMor­land sprach die Wor­te mit ei­ner ge­wis­sen Er­leich­te­rung. Der Vor­fall mit dem Flug­zeug muß­te die Sor­ge der Re­gie­rung auf einen an­de­ren Punkt len­ken.

Pro­fes­sor Cur­tis griff sich mit bei­den Hän­den an den Kopf.

»Der zwei­te Vor­fall ist bei­na­he noch mys­te­ri­öser als der ers­te. Be­den­ken Sie!… Der neues­te schnells­te Kreu­zer der Ar­mee. Auf ei­nem Flug­platz hin­ter drei­fa­chen mit Hoch­span­nung ge­la­de­nen Draht­git­tern. Schärfs­te Paß­kon­trol­le. Fünf­hun­dert Mann un­se­rer Gar­de als Platz­be­wa­chung. Es geht mir über je­des Ver­ste­hen, wie das ge­sche­hen konn­te.«

Der Po­li­zei­chef war mit sei­nen Ge­dan­ken schon wie­der bei dem Fal­le, der sein Res­sort an­ging.

»Wa­rum war die­ser Logg Sar zum Tode ver­ur­teilt? Wir von der Po­li­zei wis­sen wie­der ein­mal nichts. Si­cher­lich ein Ur­teil des Ge­hei­men Rats.«

Der Pro­fes­sor nick­te.

»In dem Ein­lie­fe­rungs­schein für Sing-Sing stand: ›Zum Tode ver­ur­teilt we­gen Hoch­ver­rats, be­gan­gen durch einen ver­bre­che­ri­schen An­schlag auf Schleu­sen am Pa­na­ma­ka­nal.‹ Die Un­ter­schrift war, wie Sie rich­tig ver­mu­te­ten, die des Ge­hei­men Rats.«

»Ich will ge­gen die­se In­sti­tu­ti­on nichts sa­gen. Sie hat sich in kri­ti­schen Zei­ten be­währt, in de­nen das Staats­schiff zu schei­tern droh­te. Aber … Men­schen blei­ben Men­schen, und bis­wei­len scheint es mir … ich möch­te sa­gen … das heißt, ich wer­de lie­ber nicht …«

Pro­fes­sor Cur­tis lach­te.

»Wir Leu­te von der Wis­sen­schaft sind im­mun. Sa­gen Sie ru­hig, daß die­ser Logg Sar die Pa­na­ma­sch­leu­sen wahr­schein­lich nie­mals in sei­nem Le­ben ge­se­hen hat und daß der ge­hei­me Rat ihn aus ganz an­de­ren Grün­den zum Teu­fel schickt.«

MacMor­land fuhr zu­sam­men. Die Wor­te des Pro­fes­sors wa­ren schon bei­na­he Hoch­ver­rat. Aber Cur­tis ließ sich nicht aus der Ruhe brin­gen.

»Las­sen wir den De­lin­quen­ten. Er ist doch längst über alle Ber­ge. Aber bren­nend gern möch­te ich et­was Ge­nau­e­res über Dok­tor Glos­sin er­fah­ren. Sie wis­sen, man mun­kelt al­ler­lei …«

MacMor­land über­leg­te einen Au­gen­blick.

»Wenn ich nicht über­zeugt wäre, daß ich auf Ihre un­be­ding­te Ver­schwie­gen­heit rech­nen könn­te, wür­de ich selbst das we­ni­ge, das ich weiß, für mich be­hal­ten. Um mit dem Na­men an­zu­fan­gen, so habe ich be­grün­de­te Zwei­fel, ob es der sei­ner El­tern war. Sei­nen wah­ren Na­men kennt au­ßer ihm selbst viel­leicht nur der Prä­si­dent-Dik­ta­tor. Sei­nen Pa­pie­ren nach ist er Ame­ri­ka­ner. Aber als ich zum ers­ten­mal sei­ne Be­kannt­schaft mach­te, glaub­te ich be­stimmt, star­ke An­klän­ge schot­ti­schen Ak­zents in sei­ner Spra­che zu be­mer­ken.«

»Wann und wo war das?« frag­te Cur­tis ge­spannt.

»Die Ge­le­gen­heit war für Dok­tor Glos­sin nicht ge­ra­de eh­ren­voll. Vor zwan­zig Jah­ren. Wäh­rend des ers­ten ja­pa­ni­schen Krie­ges. Ich hat­te einen Pos­ten bei der po­li­ti­schen Po­li­zei in San Fran­zis­ko. Ka­li­for­ni­en war von ja­pa­ni­schen Spio­nen über­schwemmt. Die Bur­schen mach­ten uns Tag und Nacht zu schaf­fen. Es war auch klar, daß ihre Un­ter­neh­mun­gen von ei­ner Stel­le aus ge­lei­tet wur­den. Ei­ner mei­ner Be­am­ten brach­te mir den Dok­tor, den er un­ter höchst gra­vie­ren­den Um­stän­den ver­haf­tet hat­te. Aber es war ihm schlech­ter­dings nichts zu be­wei­sen. Hät­ten wir da­mals schon den Ge­hei­men Rat ge­habt, wäre die Sa­che wahr­schein­lich an­ders ver­lau­fen. So blieb nichts wei­ter üb­rig, als ihn lau­fen zu las­sen.

In der nach un­se­rer Nie­der­la­ge aus­bre­chen­den Re­vo­lu­ti­on soll er … ich be­mer­ke ›soll‹ … ein Füh­rer der Ro­ten ge­we­sen sein. Zu be­wei­sen war auch hier nichts. Je­den­falls war er ei­ner der ers­ten, die ihre Fah­nen wech­sel­ten. Als Cy­rus Sto­nard an der Spit­ze des in den West­staa­ten ge­sam­mel­ten wei­ßen Hee­res die Re­vo­lu­ti­on mit blu­ti­ger Hand nie­der­schlug, war Dok­tor Glos­sin be­reits in sei­ner Um­ge­bung. Er muß dem Dik­ta­tor da­mals wert­vol­le Diens­te ge­leis­tet ha­ben, denn sein Ein­fluß ist seit­dem fast un­be­grenzt.«

MacMor­land un­ter­brach sei­nen Be­richt, um sich dem Fern­dru­cker zu­zu­wen­den.

»Hal­lo, da ha­ben wir wei­te­re Mel­dun­gen über R.F.c.1. Ver­su­chen Sie Ihren Scharf­sinn, Herr Pro­fes­sor. Vi­el­leicht kön­nen Sie das Rät­sel lö­sen. Der Be­richt lau­tet: R.F.c.1 stand um sie­ben Uhr mor­gens zur Ab­fahrt be­reit. Drei Mon­teu­re und ein Un­ter­of­fi­zier wa­ren an Bord. Der Kom­man­dant stand mit den In­ge­nieu­ren, die an der Fahrt teil­neh­men soll­ten, dicht da­bei. Zwei Mi­nu­ten nach sie­ben er­hob sich das Flug­schiff ganz plötz­lich. Sei­ne Ma­schi­nen spran­gen an. Es flog in ge­rin­ger Höhe über einen ne­ben dem Flug­platz lie­gen­den Wald. Etwa fünf Ki­lo­me­ter weit. Man nahm auf dem Platz an, daß die Ma­schi­nen ver­se­hent­lich an­ge­sprun­gen sei­en und die Mon­teu­re das Flug­zeug hin­ter dem Wald wie­der ge­lan­det hät­ten. Ein Auto brach­te den Kom­man­dan­ten und die In­ge­nieu­re dort­hin. Vom Flug­zeug kei­ne Spur. Die Mon­teu­re in schwe­rer Hyp­no­se be­haup­ten, es habe nie ein Flug­zeug R.F.c.1 ge­ge­ben. Sie sind zur Zeit in ärzt­li­cher Be­hand­lung«

MacMor­land riß den Pa­pier­strei­fen ab und leg­te ihn vor dem Pro­fes­sor auf den Tisch.

»Das ist das Tolls­te vom Tol­len. Was sa­gen Sie dazu?«

Der Po­li­zei­chef lief auf­ge­regt hin und her. Auch Pro­fes­sor Cur­tis konn­te sich der Wir­kung der neu­en Nach­richt nicht ent­zie­hen.

»Sie ha­ben recht, Herr Prä­si­dent. Es ist ein tol­les Stück. Aber Gott sei Dank fällt es nicht in das Res­sort von Sing-Sing und geht mich da­her we­nigs­tens be­ruf­lich nichts an.

Es wird Sa­che der Ar­mee sein, wie sie ih­ren Kreu­zer wie­der­be­kommt. Lie­ber noch ein paar Wor­te über Dok­tor Glos­sin. Ich hat­te schon viel von ihm ge­hört. Heu­te habe ich ihn das ers­te­mal ge­se­hen. Wo wohnt er? Wie lebt er? Was treibt er?«

»Sie fra­gen viel mehr, als ich be­ant­wor­ten kann. Hier in New York be­sitzt er ein ein­fach ein­ge­rich­te­tes Haus in der drei­hun­dert­sech­zehn­ten Stra­ße. Da­ne­ben hat er si­cher noch an vie­len an­de­ren Or­ten sei­ne Schlupf­win­kel …«

»Ist er ver­hei­ra­tet?«

»Nein. Ob­gleich er kei­nes­wegs ein Veräch­ter des weib­li­chen Ge­schlechts ist. Mir ist man­ches dar­über zu Ohren ge­kom­men … Na, gön­nen wir ihm sei­ne Ver­gnü­gun­gen, wenn sie auch man­chem recht son­der­lich vor­kom­men mö­gen.«

»Hat er sonst gar kei­ne Lei­den­schaf­ten?«

»Ich weiß, daß er Dia­man­ten sam­melt. Au­ser­le­se­ne schö­ne und große Stei­ne.«

»Nicht übel! Aber ein biß­chen kost­spie­lig das Ver­gnü­gen. Ver­fügt er über so große Mit­tel?«

MacMor­land zuck­te mit den Ach­seln.

»Es ent­zieht sich mei­ner Be­ur­tei­lung. Ein Mann in sei­ner Stel­lung, mit sei­nem Ein­fluß kann wohl … lie­ber Pro­fes­sor, ich habe schon viel mehr ge­sagt, als ich sa­gen durf­te und woll­te. Las­sen wir den Dok­tor sein Le­ben füh­ren, wie es ihm be­liebt. Es ist am bes­ten, so­we­nig wie mög­lich mit ihm zu tun zu ha­ben. Da Sie ge­ra­de hier sind, ge­ben Sie mir, bit­te, über die Vor­gän­ge in Sing-Sing einen kur­z­en Be­richt für mei­ne Ak­ten. Wir kön­nen nach­her zu­sam­men früh­stücken.«

3

Wie grie­chi­scher Mar­mor glänz­ten die Mau­ern des Wei­ßen Hau­ses zu Wa­shing­ton in der grel­len Mit­tagson­ne. Aber ein dunkles Ge­heim­nis barg sich hin­ter den schim­mern­den Mau­ern. Lan­ge und nach­denk­lich haf­te­ten die Bli­cke der Vor­über­ge­hen­den auf den glat­ten, ge­ra­den Flä­chen des Ge­bäu­des.

Die po­li­ti­sche Span­nung war bis zur Uner­träg­lich­keit ge­stie­gen. Jede Stun­de konn­te den Aus­bruch des schon lan­ge ge­fürch­te­ten Krie­ges mit dem eng­li­schen Wel­treich brin­gen. Die Ent­schei­dung lag dort hin­ter den brei­ten Säu­len und ho­hen Fens­tern des Wei­ßen Hau­ses.

In dem Vor­zim­mer des Prä­si­dent-Dik­ta­tors saß ein Ad­ju­tant und blick­te auf­merk­sam auf den Zei­ger der Wand­uhr. Als die­se mit lei­sem Schlag zur elf­ten Stun­de aus­hol­te, er­hob er sich und trat in das Zim­mer des Prä­si­den­ten.

»Die Her­ren sind ver­sam­melt, Herr Prä­si­dent.«

Der An­ge­re­de­te nick­te kurz und beug­te sich wie­der zum Schreib­tisch, wo er mit dem Ord­nen ver­schie­de­ner Pa­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­