Dietrich Biewald
Episoden aus dem Leben der Pioniere
ISBN 978-3-95655-603-6
Titelbild: Ernst Franta
Grafiken und Fotos: Dietrich Biewald
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Dienst bei den Pionieren bedeutete schon immer in erster Linie viel, oft genug auch schwer zu arbeiten.
Deshalb wiegt auch der Stolz auf erreichte Leistungen so schwer.
Natürlich war bei weitem nicht alles eitel Sonnenschein, jedoch zum Lachen gab es immer mal etwas und selbst Dinge, die damals nicht dazu gehörten, können uns heute in der fernen Erinnerung an das einstige Geschehen doch noch zum Schmunzeln verleiten.
Die nachfolgenden Episoden, erst lange Zeit nach ihrem Auftreten aus der Erinnerung ausgegraben und darum nicht als umfassende Tatsachenberichte zu verstehen, sollen daran erinnern.
Sie sind insbesondere denen gewidmet, die darin angesprochen wurden.
Es ist meinerseits ein erster Versuch, der sich mit der Hoffnung verbindet, dass weitere „ältere und jüngere“ Pioniere sich mit ihren Erinnerungen zu Wort melden.
Ponton kant – um!
Dietrich Biewald
Norden
Der Pionier wohlan,
geht stets voran,
weiß wo er steht,
und wo ’s hingeht.
In der Natur hilft ihm dabei die topografische Orientierung, nach Himmelsrichtung, eigenem Standpunkt und Rundumorientierung.
Für die Haupthimmelsrichtung möchte ich nachfolgend eine kleine Hilfestellung geben.
Als Bewohner der nördlichen Halbkugel dieser Erde ist das für uns der NORDEN!
Denn stimmt die Richtung,
erreichst du dein Ziel!
Pioniere - hört mal her,
sprach vor der Front der Kommandeur.
Wisst ihr denn wo Norden ist?
Wenn’s nicht so ist, ist’s großer Mist!
Wie wollt ihr denn die Brücken schlagen?
Wie soll man wohl den Feind verjagen,
baut ihr vielleicht das Brückenband,
den Fluss entlang, im Ufersand,
sprengt dann womöglich eig’ne Brücken,
kein Stellungsbau wird nun mehr glücken,
legt Sperren euch selbst unbekannt,
in’s Nirgendwo vom Hinterland.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Wenn mal der Spieß, vorn seine Truppe,
versorgen soll mit Brot und Suppe,
und kennt die Richtung Norden nicht,
erfüllt er wahrlich keine Pflicht.
Kommt da kein Nachschub, wird es schließlich,
für die es trifft, gar sehr verdrießlich!
Der Pionier, ohne Verpflegung,
kommt nie und nimmer in Bewegung,
denn ohne Mampf,
fehlt ihm der Dampf.
So sieht man also ganz schnell ein,
mit Norden kommt Bewegung rein,
in Spieß, in Brot und in die Suppe,
beim Pionier und seiner Truppe.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Also, sprach der Kommandeur:
schaut nun gefälligst zu mir her,
ich will euch jetzt zur Richtung raten,
für alle eure großen Taten,
denn wer nicht kennt die Richtung Norden,
bewegt sich nur wie wilde Horden,
kann nie den richt’gen Kurs erkennen
und wird sich j. w. d. verrennen.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
So wies er nun die Richtung an,
die man auf Karten finden kann.
Er sprach, den Finger hoch erhoben:
der Norden, der - ist immer oben,
wenn einer auf die Karte blickt,
es sei, die Karte ist geknickt
und Nord kein Pionier versteht,
hat man die Karte umgedreht,
erringt kein Sieg, erreicht kein Ziel,
was keiner von uns haben will.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Beim Kompass kannst du Norden seh’n,
willst du in diese Richtung geh’n,
Der Kompass hilft dir ohnegleichen,
des Nordens Richtung zu erreichen.
Du kannst die Richtung sehr gut messen,
nur manchmal kannst du sie vergessen,
hältst du ihn denn an Stahl und Eisen,
wird er Dir nicht den Norden weisen.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
D’rum standen sie an einer Lichtung,
um zu erfahr’n des Nordens Richtung.
Der Chef sprach langsam: nun habt acht,
den Norden gibt’s auch in der Nacht,
denn nächtens wird am Himmel fern,
Nord angezeigt, vom Po-lar-stern.
Jedoch es war kein Stern zu seh’n,
um dann danach, nach Nord zu geh’n.
denn nur der Sonne heller Schein,
vom Himmel strahlte, ganz allein.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
So sprach er nun die Sonne an,
wo man auch Norden sehen kann,
hat man ’ne Uhr, die richtig geht,
bald Norden bei den Zeigern steht.
Gerade wollt’ er’s demonstrieren,
da tat sich nun die Sonne zieren,
verkroch sich in der Wolkenwand,
wo sie dann bald auch ganz verschwand.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Nun ließ der Petrus Donner grollen,
das Land mit Wasser überrollen,
ließ Blitze zucken, Wolken jagen,
nur einer schien nicht zu verzagen:
Der Chef sprach ohne Unterlass,
im Regen stehend, pudelnass.
Spät sein Entschluss, sich auszuruh’n,
das Weit’re sollt’ sein „Adju“ tun.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Nun forderte der Adjutant:
wer hat ’ne Karte bei der Hand
und wessen Kompass zeigt die Richtung?
Der melde sich, tret’ auf die Lichtung!
Nicht einer rührt sich, der das will.
Die Ruhe wirkt verdächtig still.
Ganz plötzlich konnte man entdecken,
dass alle wollten sich verstecken.
Schweigend stand die ganze Wand,
kein Kompass, Karte, nichts zur Hand.
Die hatten sie, wohl nach dem Essen,
als unbedeutend ganz vergessen.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Das Wetter dreht, der Regen geht
und Wolken hat der Wind verweht.
Die Pioniere klamm, drum ohne Wonne,
erwarten erst die Kraft der Sonne.
Noch rinnt aus ihrer Kluft das Nass,
nach Nord zu seh’n bringt wenig Spaß.
Erst wenn sie wieder warm und trocken,
kann sie auch diese Richtung locken.
Ich sagte schon, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Der Chef erscheint nun ausgeruht,
und macht, was er sonst immer tut,
ergreift das Wort und schwingt ’s gewichtig,
denn was er sagt ist schließlich richtig.
Er meint, dass allen klar geworden,
wo nun befindet sich der Norden.
Und darum spricht der Kommandeur:
hört Pioniere nochmals her.
Ich denk’, ihr habt herausgefunden,
wir sind dem Norden sehr verbunden
und haltet ihr ihn auch in Ehren,
wird er euch Richtung nicht verwehren.
Und denkt daran, ’s ist großer Mist,
wenn keiner weiß, wo Norden ist!
Die Richtung habt ihr nun vernommen.
Dann kann auch der Blick auf die folgenden Seiten gerichtet werden, um einiges aus dem Leben der Pioniere wieder zu finden aus der Zeit, in der sich die Pioniertruppen der NVA entwickelten, bis sie mit der DDR ihre Existenz beendeten.
Sicherlich haben nur noch wenige eine Erinnerung an die Zeit, als die Pioniere der Hauptverwaltung Ausbildung der Deutschen Volkspolizei (HVA), die eigentlich noch nicht aus richtigen Pionieren, sondern wie zu Vor-Mudra-Zeiten in der Mehrzahl eher aus einem bunt zusammengestellten Handwerkerhaufen bestanden. An reguläre Ausbildung erinnere ich mich nicht.
Es war Mitte 1952. Die Pionierdienststelle Küchensee bei Storkow in der Mark splitterte man gerade auf, u. a. um neue Einheiten an anderen Standorten zu bilden, wovon sich später auch einige zu Pionierbataillonen entwickeln sollten. Das verbleibende Stammkommando verlegte für ca. ein halbes Jahr in den Eggesiner Raum. Im Wald zwischen Eggesin und Spechtsberg an der Randow gelegen und Neumühle genannt, errichtete man zunächst ein Zeltlager, um in der Folgezeit einen Teil der Vorbereitungsarbeiten für den Aufbau der neuen Garnison zu übernehmen.
Eine der ersten Maßnahmen beinhaltete das Roden von Waldflächen für künftige Kasernenbaustellen sowie für die neu zu errichtenden Feldlager, welche die aus dem Süden kommenden Truppen bereits im Herbst beziehen sollten, also wesentlich vor dem Fertigstellen von festen Kasernenbauten. Danach ging es an den Bau der Zelte und ihrer Ausstattungen, der Waschanlagen, Latrinen, Schleppdächer für Feldküchen usw.
Technik bildete absolute Mangelware. Soweit erinnerlich, besaß das Kommando zwar ein „Goldstück“: ein mobiles Sägegatter und ein Elektroaggregat LAS-15. Sonst aber gab es lediglich nur eine ausgeleierte DOLMAR-Zweimannkettensäge, wohl noch aus Wehrmachtszeiten.
Das LAS-15, ein Vorläufer vom späteren GAD-16, welches einen elektrischen Anlasser besaß, war ein nur per Muskelkraft und mit Hilfe von Luntenpapier zu startendes Diesel-Elektroaggregat auf Einachsfahrgestell.
Die erforderlichen Bizepse zum Starten des Vierzylinder-Dieselmotors, was mittels einer Kurbel zu geschehen hatte, besaßen im ganzen Kommando nur zwei Mann.
Damit beleuchtete man bei Dunkelheit auch das Zeltlager. Oft gab es Freilichtfilmvorführungen und natürlich die Beschallung mit Musik.
Für die tägliche Arbeit der Pioniere Arbeit bestand alles andere aus gewöhnlichem Handwerkszeug, vom Bäumefällen bis hin zu den „Feinarbeiten“.
Baufreiheit schuf man auch auf ungewöhnliche Weise. Bei den großen alten Kiefern rodete man erst und „fällte“ danach, d. h. man grub zunächst die Wurzeln frei bis der Baum fiel und samt ausgehebeltem Stubben lang lag. Unter Einsatz 1,20 Meter und 1,80 Meter langer Schrotsägen sowie von Äxten und Beilen erfolgte dann die weitere Zerlegung. Den Abtransport per Muskelkraft hatten die geplagten Schultern zu ertragen.
Einfacher ging es bei den Durchmessern so um die 10 bis maximal 15 Zentimeter zu: Ein Ankertau wurde um den Stamm geschlungen und 40 Mann kamen zum Tauziehen, bis ihr Sieg fest stand!!!
Wache zu schieben war bestimmt nicht der innigste Wunsch der meisten Mannschaften, besonders wenn der Wachbereich an sich schon öd und einsam lag und es sich um einen Standposten handelte. Da gab es vor allem ermüdende Langeweile. Es passierte wenig, von „Wachvergehen“ abgesehen. Mehr Abwechslung bot sich hingegen für Streifenposten und noch besser, dieser bestand aus einer Doppelstreife.
Ob ihrer besonderen Anforderungen stellte man seit jeher die Wache durch die „Vergatterung“ in ein besonderes Rechtsverhältnis. Bestimmte Ausbildungsanforderungen mussten erfüllt sein, bevor es auf Wache ging. Selbstverständlich zählte dazu, mit der Waffe scharf geschossen zu haben.
Vor jeder Wache gab es die Wachbelehrung und eine praktische Wachvorbereitung. Jedenfalls entwickelte sich das so über Jahre, nicht aber in den Anfangsjahren. Da bekam der Posten einfach eine Waffe in die Hand gedrückt, die er manchmal zum ersten Mal sah und ab ging es auf Posten oder Streife.
Gleich zwei Ereignisse erinnern mich an meine erste Wache 1952. Das Zentrale Pionierlager (ZPL, später Zentrale Pionierwerkstatt und –lager ZPiWL) bei Storkow befand sich noch im Ausbau, eingezäunt durch einen Doppelzaun, in dem die Doppelstreife lief. Eigentlich ganz schön zu zweit zwei Runden zu drehen und schon kommt die Ablösung. Sich zu unterhalten, bietet weitere Abwechslung, was natürlich genutzt wurde.
Die erste Wache des dritten Aufzuges begann. Es ist inzwischen stockdunkel. Man marschierte los, die Einzäunung im Blick und unterhielt sich ab und an.
Mitten im Satz hörte plötzlich der eine Posten vom anderen nichts mehr. Auf Fragen folgte zunächst keine Antwort. Nach einer Weile kam ein jammervolles Fluchen scheinbar aus der Erde.
Der andere Posten war in eine ungesicherte Baugrube mitten auf dem Streifenweg gefallen. Erfreulicherweise bestand diese aus einem Produkt der märkischen Streusandbüchse, aus weichem Sandboden.
Nach 24 Stunden nahte endlich die Ablösung.
Die Waffen reinigte man unter Anleitung, denn das alte deutsche Sturmgewehr 44 sah man bekanntlich erst am Vortag.
Dann erschreckt die Meldung über das Fehlen einer Patrone. Schließlich stellte sich heraus, dass der Posten den Verschluss der Waffe durchgezogen hatte und damit eine Patrone im Patronenlager der zum Reinigen demontierten Waffe verblieb, schussbereit!
Ähnlich Gefährliches erlebte man später auch an der Pistole 08.
Küchensee im Sommer 1952.
Alte Wehrmachtsbaracken bildeten die Unterkunft. Neben Wacheschieben war auch das Kartoffelschälkommando nicht gerade beliebt: die ganze Nacht hindurch die Knollen unterm Messer drehen.
Die Verpflegung erwies sich in dieser Zeit zwar nur als mäßig, doch als regelmäßig. Es war die Zeit, wo der Koch öfter mal nach dem Spruch verfahren musste: „Noch einen Eimer Wasser, die Männer müssen satt werden!“
Vieles war spartanisch und provisorisch, Kühltechnik nicht vorhanden aber Vorratshaltung notwendig. Erdunterstände bildeten damals die Kühlkammern für die verderblichen Lebensmittel.
Die Kompanie erhielt den Auftrag, eine dieser Erdhöhlen leer zu räumen. Im Unterstand befanden sich große Wagenräder aus Käse und die sollten heraus. Eine Chance, etwas Zusätzliches zwischen die Zähne zu bekommen. Der Sommer war heiß und beim Öffnen des Einganges kam etwas schon von ganz allein entgegen: fürchterlicher Gestank. Der Käse, bereits „Selbstläufer“ und nur noch halb Käse, halb Maden, dieser wollte nicht von allein heraus. Das blieb eine Aufgabe für einige Auserwählte. Die Anderen hatten bereits tiefe Löcher schaufeln müssen, als Massengrab für die Maden und ihre Henkersmahlzeit.
Die Pionieroffiziersschule der Hauptverwaltung Ausbildung der Deutschen Volkspolizei (HVA) befand sich bis Anfang 1953 in Klietz.
Ein Offizier in der Schulleitung hieß Hoffmann, doch kaum einer kannte ihn unter dieser Bezeichnung. Bei allen war er nur unter dem Namen „Pfeffer“ bekannt. Es hing wohl damit zusammen, dass er seinen Lieblingsspruch: „Ich werde euch Pfeffer unter den Hintern machen!“ nicht nur oft genug auf den Lippen trug, sondern ihn auch wahrhaftig mit allerlei Methoden sinngemäß umsetzte. Jedenfalls gab es kaum einen in der Dienststelle, der sich nicht vor „Pfeffer“ in Acht nahm.
Eine seiner Vorlieben galt dem Sport, wobei es eine strenge Werteordnung gab. An erster Stelle stand Feldhandball, gefolgt von Fußball und Geräteturnen.
Viele berichteten, dass er an der Wache die Urlauber mit dem langen Pferd in Empfang nahm und sich dahinter postierte. Nur wer den Sprung darüber schaffte, erhielt seinen Urlaubschein.
Persönlich erlebte ich, dass wir als Urlauber erst ein Handballspiel ansehen mussten, bevor wir den „Schein der Scheine“ erhielten. Es verblieb gerade soviel Zeit, um am Bahnhof Klietz den „Wüstenexpress“ vor der Abfahrt nur auf sportliche Art, im Laufschritt zu erreichen.
Lehrer sind schließlich auch nur, wenn auch oft seltsame Menschen. Jeder lernte sie irgendwann kennen. Manche bewunderte man, andere sah man gern. Na ja, einige gerieten auch in Vergessenheit.
Die Lehrer an der Pionieroffiziersschule Klietz, später nach ihrer Verlegung in Weißenfels bzw. danach in Dessau, besaßen fast alle etwas von Originalität.
In Klietz beispielsweise vermittelte im Fach Statik ein Offizier Namens Gorny die Lehre vom Gleichgewicht der Kräfte, mit Beispielen am Körperbau einer Frau. Das tat er leider bei eingeschaltetem Mikrofon der Lautsprecheranlage der Dienststelle, wie sie sonst nur für Durchsagen, für die Musikübertragung etc. genutzt wurde.
Auf dem Marschweg zur Geländeausbildung gab es nicht nur Musik durch Marschgesang. Der Lehrer für das Übersetzen über Wasserhindernisse, Harder, hatte ständig „Panzer von rechts“, „Tiefflieger von vorn“ usw. vorrätig und ließ die Offiziersschüler nach dieser Melodie tanzen. Taktiklehrer Bernhard Napp u. a. bläuten nicht nur allen theoretisch und praktisch das Grundwissen ein, so beispielsweise wie man das Gewehrschloss vom deutschen Wehrmachts-Karabiner K-98 auseinanderzunehmen und wieder zusammenzusetzen hatte. Wehe, dem dazugehörigen Sprüchlein fehlte etwas.
Ein anderer, er hieß wohl Grube, ein Magdeburger, brauchte nur gefragt werden: „Sie haben doch einmal etwas von dem und dem Ereignis während des Krieges berichtet. Könnten sie nicht noch einmal etwas näher darauf eingehen?“
Der Unterricht war gelaufen, denn dieses Rezept wirkte bei ihm wie eine Hypnoseformel.
Ein weiterer Lehrer aus dem technischen Bereich organisierte die „Talkshow“ gleich selber. Vor Überraschungen gegenüber einer plötzlichen Kontrolle, mit der man stets zu rechnen hatte, sicherte er sich mit Hilfe der Offiziersschüler ab.
Er bestimmte einen Schüler, der in diesem Fall - er selbst kommandierte ja erst: „Achtung“ und meldete daraufhin dem Vorgesetzten - nach dem Befehl zum Hinsetzen, stehen zu bleiben und auf Hinweis des Lehrers „mitten im Beantworten einer Kontrollfrage“!!! ... fortzufahren hatte.
Die zu verschiedenen Anlässen zu tragenden Uniformen in der NVA bestimmte die eigens dafür erlassene Dienstvorschrift DV 010/0/005 - Bekleidung und Ausrüstung -.
Um zu verdeutlichen, wie man ihren Inhalt erfasste, erzählte man sich folgendes: Der Gegner sandte seine Agenten in die Nationale Volksarmee, um deren Geheimnisse zu erfahren. Sie bekamen alles heraus, außer den Bestimmungen für die Anzugsordnung: welche für wen, wie, wann, wo und zu welcher Zeit bestimmt war.
Das blieb ein undurchdringliches Geheimnis!
Als Zugführer in den Offiziersschülerkompanien gab es eine Reihe verwegener Männer, die auch nicht abgeneigt waren, sich an Streichen allerlei Art zu beteiligen oder sie gar selber auszuhecken.
Zu ihnen gehörte ohne allen Zweifel auch Ernst Matern. Es fiel ihm leicht, alle zu begeistern und selbst die schwierigsten Typen zu bändigen. Er war Sportler durch und durch und so ergab es sich fast von selbst, dass er schnell einen größeren Kreis u. a. für das Turnen um sich scharte. Ihm machte es auch nichts aus, mal eine Riesenfelge am Reck mit Stiefeln und in voller Uniform zu drehen.
1953, als sich die Pionieroffiziersschule kurzzeitig in Weißenfels befand, marschierte seine Truppe hinter ihm auch nach Dienst gerne durch das Kasernentor, um in einer Turnhalle in der Stadt in Schweiß zu geraten.
Die Turnerriege beim Marsch in die Stadt
In der Gaststätte „Feldschlösschen“ und anderswo glich man anschließend den Flüssigkeitsverlust nachhaltig wieder aus.
Zur Sommerzeit ging es bei günstiger Witterung statt in die Turnhalle in das Weißenfelser Saale-Strandbad. Im Bad betätigten sich die Offiziersschüler ebenfalls sportlich.
Trotz der äußeren Abkühlung im Bad bekamen alle Offiziersschüler bei sommerlicher Hitze schnell einmal trockene Kehlen und folglich den Drang nach innerer Abkühlung, was die gewitzten unter den Schülern veranlasste, nach Wegen zu suchen, ihren Durst möglichst gratis löschen zu können. Einer versuchte darum, jemanden mit noch etwas Geld in der Tasche zu überreden, eine Wette einzugehen, dass sich keiner finden würde mit voller Bekleidung, d. h. im Trainingsanzug, vom 3-m-Brett in die Saale zu springen. Der Wettgewinn sollte ein Kasten Bier sein.
Tatsächlich fand sich in der Runde der Offiziersschüler niemand, der später mit nassen Klamotten den Weg in die Kaserne antreten wollte.
Ernst Matern hörte die Gespräche. Er sagte nur kurz: „Haltet mal meine Papiere trocken“, legte sie hin, stieg in voller Uniform auf den Sprungturm und hechtete vollendet in den Fluss.
Die „Pyramide“ im Bau. Es ging auch noch höher hinaus. Rechter Untermann ist Ernst Matern.
Die Getränkerunde für alle war gerettet!
Junge Männer schlagen schon gern einmal über die Stränge, erst recht in einer Gemeinschaft. Die Offiziersschüler bildeten da keine Ausnahme. Ihre Eskapaden lagen jedoch meistens im humoristischen Bereich und blieben gewöhnlich auch harmlos. Trotz Toleranz, einige Vorgesetzte sahen sich als ernsthafte Erzieher von Schülern. Etwas Strenge und ein bestimmtes Maß an Disziplin setzte man voraus. Für die Schüler blieb da der Rahmen eng. Die wenigen Ausgangsstunden einmal in der Woche mochte man auch nicht auf’s Spiel setzen.
Für die Berufssoldaten gab es da entschieden mehr Spielraum, den sie selbstverständlich nutzten und das manches Mal nicht zur Freude ihrer Vorgesetzten.
Wenn man Ernst Matern oder einen der anderen alten Haudegen irgendwann einige Tage ohne Schulterriemen in der Schule sah, dann wusste jeder, dass wieder etwas von ihren Streichen ans Licht gekommen war und die Beteiligten eine Disziplinarstrafe mit Kasernenarrest erhalten hatten. Während der Zeit in der Kasernierten Volkspolizei hatte der mit Kasernenarrest bestrafte Offizier den damals üblichen Schulterriemen abzulegen.
Die Einführung und Weiterentwicklung der Disziplinarvorschriften wies oftmals kuriose Züge auf. Eine Disziplinarstrafe durfte nur in der entsprechenden Dienstgradgruppe und darüber hinaus bekannt gegeben werden. Untergebene sollten keine Kenntnis davon erhalten. Die Ausführung hingegen (siehe oben) bezog man jedoch nicht immer gleichermaßen in dieses strenge Schema ein.
Der Name ist oft schon Programm. Schüler sind Menschen, die gerne auch einmal aus dem Programm der Schule ausscheren möchten.
Bei den Offiziersschülern der Pionierschule der Kasernierten Volkspolizei zeigte sich diese „Gesetzmäßigkeit“ gleichermaßen. Noch gab es zwar nicht die späteren, engen Standortgrenzen für den Ausgang, jedoch erhielt man diesen gewöhnlich nur einmal pro Woche. Also suchten die Offiziersschüler alle Möglichkeiten auszuloten, für mehr an diesbezüglichem Bewegungsspielraum. Die fanden sich bei so vielen findigen Burschen sehr schnell.
In der Pionieroffiziersschule Dessau boten sich dafür überdies recht günstige Bedingungen an. Die Schule bestand aus zwei Teilobjekten beiderseits der öffentlichen Straße nach Köthen. Auf der einen Seite lagen unter anderem der Versorgungstrakt und das Lehrgebäude, auf der anderen die Unterkünfte und der Stabsbereich. Von diesem Teil führte auch ein Ausgang auf den brach liegenden Flugplatz. Dieses weiträumige Gebiet konnte man jederzeit betreten, zum Beispiel um Sport zu treiben. Der Posten an diesem Tor ließ bei Angabe solch einer Begründung jeden passieren.
Als sich die ersten Schüler ein Motorrad zulegten, fanden sie selbstverständlich sofort die Lücken im Zaun des Flugplatzgeländes auf der gegenüberliegenden, der Kühnauer Seite. Sogar am Ausgang zur öffentlichen Straße kam man ggf. fast problemlos weg. Die Motorräder standen auf dem Parkplatz im unmittelbaren Torbereich der Wache, nach innen hin durch einen Zaun abgetrennt. Jedermann durfte dahin, beispielsweise wenn er an seinem Krad herumwerkeln wollte.
Wechselte der Eingangsposten im Rahmen der Wachablösung, wusste der neue nicht, ob man sich dort mit oder ohne Ausgangskarte aufhielt. So gab es fix mal einen Abstecher in die Stadt und die Rückkehr erfolgte in umgekehrter Art und Weise.
Das Motorrad bedeutete damals mehr als heutzutage ein Auto, denn nur wenige besaßen die RT 125 oder 150, die AWO mit 250 ccm oder gar die 350-er BK. Von rund 120 Mann waren es 1955 nur neun, die sich eine Maschine, meist auf Kredit, genannt Sparvertrag, zulegten.
Ein Minensuchhund wird von einem Straßenköter angekläfft.
Dieser aber bellt nicht, sondern er kräht zurück.
Verwundert richtet sich daher die Frage an den Minensuchhund, was das denn nun bedeuten soll?
Der hebt stolz die Nase und blafft: „In meinem Metier kommt man viel herum. Das erfordert schließlich Fremdsprachenkenntnisse“!
1954/55 kamen an der Pionierschule der KVP in Dessau erstmals Motorräder in den Handel. In der Verkaufsstelle stand die erste AWO: Viertaktmotor, 250 ccm Hubraum, 12 PS, damals ein Traum, sie zu besitzen. Für einen finanziell gering ausgestatteten Offiziersschüler blieben sie aber ganz schön teuer. Mit dem Sparvertrag, also monatlichem Abzahlen wurde der Erwerb möglich.
Da stand sie nun in ihrem Glanz. Eine Fahrerlaubnis (so hieß damals der Führerschein) stand noch aus, doch keiner verbot das Fahren innerhalb der Schule. Auch hinaus auf das leere Flugplatzgelände konnte man damit. So begann die Fahrausbildung in Eigenregie. Theoretische und Technikausbildung gehörte ja zum Lehrprogramm für die technischen Poniere. Also waren wir diesbezüglich nicht ganz unbeleckt! Man konnte daher mit Herzenslust das praktische Fahren üben, allerdings noch ohne den Anforderungen des Straßenverkehrs ausgesetzt zu sein. Der aber bestand damals noch aus wenigen und langsamen Fahrzeugen auf den Straßen. Er erforderte wesentlich weniger Aufmerksamkeit als heute.
Irgendwann meldeten wir uns zu zweit, Horst Bax und ich, in der Fahrschule an. Eindringlich warnten uns kundige Leute: Die Dessauer Polizei und ihre Prüfer sind scharf und man kann schnell durch die Prüfung rasseln. Wir sollten lieber nach Roßlau fahren. Dort wäre es wesentlich einfacher, die Fahrerlaubnisprüfung zu bestehen. Wir blieben in Dessau.
Der theoretische Unterricht erwies sich für uns eigentlich nur als Wiederholung dessen, was wir schon kannten, war also eine leichte Übung. Danach sollte das praktische Fahren beginnen. Wir fuhren zur Fahrschule mit dem Motorrad. Die letzten 100 Meter schoben wir das Krad bis zum Fahrschulgelände, damit uns keiner ohne Erlaubnis fahren sehen konnte.
Mit den anderen Fahrschülern, ein Pkw vorn an der Spitze, ging es an den Stadtrand in ein Waldstück mit festen Straßen. Für die Fahrschüler der Klasse I (Motorrad) legte man Steine auf die Straße. Jeder sollte das Fahren von „Achten“ üben. Bei uns beiden klappte das auf Anhieb. Ab sofort gehörte uns der Platz am Ende der Fahrzeugschlange, mehr zur Sicherung der anderen als zur weiteren Fahrausbildung.
Auch die Fahrerlaubnisprüfung erwies sich für uns beide auf die gleiche Weise nur noch als Formsache und bald darauf hatten wir glücklich den grauen Schein in der Tasche.
Ausgang gab es bekanntlich wenig. Wir nutzten daher weiterhin ausgiebig das Flugplatzgelände, um darauf herumzufahren. Irgendwann schien es uns etwas eintönig, immer nur die Runden auf der Piste zu drehen. Der Adrenalinspiegel wollte eine Steigerung. Wir vergrößerten die Fahranforderungen für uns selbst. So begannen wir beispielsweise ohne Auspuff auf der Rollbahn zu fahren. Angeblich ergab das mehr Leistung, sagte man. Schön laut hörte es sich auf alle Fälle an, besonders bei Vollgas. Immerhin kam man damit auf der langen Startbahn statt der angegebenen 100, nun flach auf dem Krad liegend, bis auf 115-120 Stundenkilometer. Für uns damals ein berauschendes Tempo.
Auf dem Sattel fast rückwärts sitzend, übten wir uns auch im Fahren auf diese Weise. Mit 60 km/h rollte man die lange Piste entlang. Sie war ja leer.
Irgendwann reichte auch das nicht mehr als Herausforderung. Wir probierten Neues. Am Handgasdrehgriff zog man die Klemmschraube fester (sozusagen als Vorläufer eines Tempomat), um bei genau 30 km/h fahrend auf den Sattel zu steigen. Zunächst angehockt, dann freihändig darauf kauernd, zog die AWO voran. Bald schon ging es daran, darauf senkrecht mit ausgestreckten Armen zu stehen. Es dauerte nicht all zu lange und es gelang bald perfekt.
Eines Abends nach Dienst wollte ich es auch im Objekt probieren. Allerdings gab es nur kurze Strecken, so wie die ca. 100 Meter in Richtung Ausfahrtstor zum Flugplatzgelände. Ich stellte daher nur 25 km/h ein. Das erwies sich jedoch dafür als eine etwas zu geringe Geschwindigkeit. Die AWO lief nicht stabil und fing an zu zuckeln. Um nicht mit samt dem Krad umzukippen, erfolgte elegant der Absprung nach hinten, mit einem sofortigen Sprint dem Motorrad hinterher.
Die Maschine, immer noch gut ausbalanciert, fuhr nun allein weiter in gerader Richtung, direkt auf den Torposten zu. Dieser verließ fluchtartig seinen Wachbereich und lief nach rechts davon. Die Maschine legte sich aber noch kurz davor ganz brav auf die Seite und blieb liegen. Sogar der Motor lief weiter. So konnte das Feld schnell geräumt werden, bevor noch andere Augen von der Blamage Wind bekamen. Schäden und Verletzungen gab es keine, jedoch eine Lehre für den Fahrer.
Die Offiziersschülerkompanie des dritten Lehrjahres der Pionieroffiziersschule Dessau hatte 1955 das Sommerfeldlager am Elbufer bezogen. Auch da fanden die privaten Motorräder ihren Platz, Vor allem kamen ihre Besitzer wesentlich bequemer als die anderen, fahrzeuglosen Schüler in die Stadt, nicht nur bei dem wenigen Ausgang, den es gab. Sie dienten dann und wann auch als Verbindungsfahrzeug zum Objekt der Schule oder für andere Besorgungsfahrten. Nicht immer ging das gut.
Die Zufahrt zum Feldlager erfolgte über den Stadtteil Dessau-Waldersee. Sie schlängelte sich weit durch das Vorland der Elbe mit seinem Auenwald. Ein Sommerhochwasser hatte das Vorland zu diesem Zeitpunkt mit bis zu einem Meter Tiefe auf annähernd 200 Meter überschwemmt. Zwei Offiziersschüler fungierten nun in diesem Bereich mit einem kleinen Schlauchboot 0,5 (0,5t Tragfähigkeit) als Übersetzkommando, indem sie das Boot bei Bedarf mit ihrer Last durch den Überschwemmungsabschnitt vor sich her schoben.
Es war Sonnabend. Einige der Offiziersschüler, einschließlich der Motorradbesitzer, hatten Ausgang erhalten. Erste „Fußgänger“ hatten schon mit Hilfe der „Fährleute“ das Feldlager verlassen. Ein Kradfahrer, er kam gerade aus der anderen Richtung in das Feldlager, hatte den Überschwemmungsbereich ebenfalls auf diese Weise passiert. Die Maschine hievte man vorher an Bord des Bootes. Das schafften Pioniere locker. Eine AWO wog 120 kg, die RT wesentlich weniger. Dass der Fahrer den Überschwemmungsbereich passiert hatte, sprach sich schnell herum, nur nicht auf welche Weise er mit dem Krad über das Hindernis kam.
Jene, die nun mit ihren Maschinen zur Stadt wollten, nahmen es mit Freude zur Kenntnis, fragten aber nicht näher nach und starteten. Mit den Füßen auf dem Tank wollte man den Abschnitt zügig durchfahren. Der Untergrund bestand ja aus einer Betonstraße mit klarer seitlicher Abgrenzung. Ja, hinein kam man recht flott. Das Weitere erwies sich dann sehr sprichwörtlich als ein Schlag ins Wasser. Ihr Ausgang hatte somit gleich zu Beginn sein Ende gefunden. Bei einigen der „Fußausgänger“ kam Schadenfreude auf. Die Motorradfahrer hingegen hatten nun den Schaden, statt der Freude auf den erhofften Ausgang in die Stadt. Der missmutige Rückzug in das Lager mit ausgefallenem Motorrad erfolgte schiebend. Noch bestand etwas Hoffnung bald wieder losfahren zu können. Man ging ans Werk. Den Vergaser konnte man schnell ausblasen und trocknen. Das Wasser im Zylinder des Motors blies man per Kickstarter zum Zündkerzenloch hinaus. Der Ölwannenverschluss wurde etwas geöffnet. Wasser floss ab, bis das Öl kam. Rechtzeitig wurde der Stopfen schnell wieder angezogen.
Nun glaubte man bald erneut in Richtung Ausgang starten zu können. Offiziersschüler D. B. trat hoffnungsvoll mehrere Male den Kickstarter herunter. Nichts passierte! Auch das Anschieben mit vereinten Kräften half nicht. Der Motor sagte keinen Mucks. Die Kontrolle zeigte keinen Zündfunken an der Zündkerze. Letztlich konnte ermittelt werden, dass der Zündmagnet hinüber war. Ein neuer ließ sich längere Zeit nicht beschaffen. Der Ausweg: Die AWO bekam für einige Zeit einen Umbau auf Batteriezündung, bis Wochen später in Köthen ein neuer Zündmagnet erworben werden konnte!
Nach so langer Zeit, immerhin vergingen über 50 Jahre, erinnert man sich nur noch an Weniges, was aus heutiger Sicht der Erinnerung wert wäre. Damit muss man leben. Immerhin verblieb so im Gedächtnis, dass an der Pionieroffiziersschule Dessau die Offiziersschüler in der Kompanie von Hermann Streichert sich dann und wann etwas rebellisch zeigten. So beispielsweise bei den Morgenappellen der Kompanie. Bei der Begrüßung durch den Kompaniechef hatte die Antwort zu lauten: „Guten Morgen, Genosse Oberleutnant“.
Der Kompaniechef erscheint erstmalig zum Appell und begrüßt die Angetretenen mit: „Guten Morgen, Offiziersschüler“! Recht überrascht antworteten ihm so gut wie alle: „Guten Morgen, Oberleutnant“. Spätestens beim zweiten oder dritten Morgenappell hatte er begriffen, dass es nicht Zufall sondern Absicht war. Er erweiterte seine Begrüßungsformel.