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Die Hexe von Coserow

WILHELM MEINHOLD

Die Hexe
von Coserow

Mit einem Nachwort von
Winfried Freund

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Der Abdruck der Novelle folgt – auch in Hinblick auf Orthographie und Interpunktion – dem in der „Novellen-Zeitung“ vom 3. Juli 1844 (Verlag von J. J. Weber; Leipzig).

»Die Hexe von Coserow« ist auch unter dem Titel »Die Pfarrerstochter von Coserow« bekannt. Beide Versionen finden sich bei Wilhelm Meinhold.

Die alte Schreibweise des Ortsnamens »Coserow« (heute: Koserow) wurde nicht nur in der Novelle beibehalten, sondern auch im Nachwort übernommen.

 

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© Hinstorff Verlag GmbH, Rostock 2000

Inhalt

Der Autor

Die Hexe von Coserow

Nachwort

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Wilhelm Meinhold (1797–1851)

 

 

 

In der kleinen Pfarre des Verfassers, auf einer der abgeschiedensten und einsamsten Inseln Deutschlands, der Insel Usedom, überall von Wasser oder unermeßlichen Urwäldern eingeschlossen, lebte vor 200 Jahren unter einem Haufen von armen Fischern und Bauern der Pfarrer Abraham Schweidler, ein Mann, dessen unglückliches Schicksal die traurige Wahrheit erhärtet: daß ein Verstoß gegen herkömmliche Gebräuche und Sitten, und ein rücksichtsloses Rügen des Falschen und Schlechten dem Menschen von jeher weit mehr Schlingen bereitet haben, als Bosheit und niederträchtige Gesinnung hinter der Maske der Heuchelei.

Zwar war das Unglück, welches die Zeit über ihn herbeiführte, schon ohnedies hart genug. Von den schrecklichen Verheerungen des dreißigjährigen Krieges war auch sein einsames Dörfchen nicht unverschont geblieben. Siebenmal von kaiserlichen Streiftruppen heimgesucht, hatte er noch von Glück zu sagen, daß er nicht, wie Hunderte seiner Gemeindeglieder, ein Opfer ihrer Schwerter, oder des gräßlichen Hungertodes wurde, welcher um jene Zeit so namenlos-entsetzlich in dieser Gegend wüthete, daß, dem pommerschen Geschichtschreiber Mieraelius zufolge, in dem, nur 1½ Meile von hier entlegenen Dorfe Bandemin eine Mutter ihr eigenes Kind vor Hunger schlachtete, und man überall Menschen traf, welche mit Gras im Munde hinter den Zäunen und auf den Wiesen lagen, und entweder ihren Geist schon aufgegeben hatten, oder es unter den schauderhaftesten Zuckungen noch fortfuhren zu thun.

So hoch war das Elend seines Dörfchens zwar noch nicht gestiegen. Denn war auch an keine Ackerbestellung zu gedenken (da ohnedies der Boden aus purem Flugsande besteht, und bis auf die heutige Stunde kaum das dritte Korn zu tragen pflegt) und ebensowenig auf den Ertrag der Heerden zu rechnen, welche die Gemeinde seit mehreren Jahren schon in die Wälder getrieben hatte, und die hier theils verwildert, theils von hungrigen Menschen, oder wilden Thieren zerrissen waren; so bot doch die gütige und unbesiegbare Woge den Unglücklichen ein zwar kärgliches, aber doch immer noch hochwillkommenes Mittel vor dem Hungertode dar. Zu dem Ende baute man sich in schlichten, aus wenigen Baumstämmen zusammengefügten, und mit Torf gedeckten Hütten einstweilen auf den alten Brandstätten wieder an (denn außer der Kirche, dem Pfarrhause, und einigen andern Gebäuden lag das ganze Dorf in Asche). Ein Wächter benachrichtigte von der Spitze des weitragenden Streckelberges das Dorf von feindlichen Ueberfällen, wo Alles dann entweder in die Kähne, oder in die nahen Wälder flüchtete. –

So groß war das Elend der Zeit, in welcher Ehrn Abraham Schweidler Pfarrer und Seelsorger der Gemeinde zu Coserow war. Allein weit entfernt dadurch in seinem Gottvertrauen erschüttert zu werden, ertrug er vielmehr alle Mühseligkeiten und Schrecknisse des Krieges mit einem unbeschreiblichen Heldenmuthe; suchte, und dies oft mit Gefahr des eigenen Lebens, in den Wäldern, Brüchen und Bergschluchten seine geflüchteten Pfarrkinder zusammen, hielt täglich Betstunde in der hiesigen Kirche; kurz, zeigte sich überall als einen wahren Seelsorger in dieser trostlosen und schreckenvollen Zeit. Denn wie tiefe Wunden ihm das Schicksal geschlagen hatte: die höchste Freude seines heranrückenden Alters, und der freundliche Schimmer seiner Hoffnung, die holde Maria war ihm übrig geblieben; ein Mädchen, das mit Recht die Blume der Schönheit genannt wurde, und durch seine liebreizende Anmuth und sein edles, unverdorbenes Herz ihm nicht blos den frühen Verlust einer langbeklagten Gattin, sondern auch die härtesten Schläge des erzürnten Geschickes, wenn nicht ganz verschmerzen, doch mit Geduld ertragen ließ.

Seltsam war die Erziehung, welche er diesem seinem Liebling gegeben hatte. Pedant, wie alle Gelehrten seiner Zeit, hatte er bis zum Ausbruch des dreißigjährigen Krieges in dieser Gegend, ums Jahr 1627, bis wie lange er in einer erträglichen äußerlichen Lage lebte, keine Mühe gespart, dem Gedächtniß der holden Kleinen den ganzen Regelkram des Donatus einzuprägen, und war endlich auch wirklich dahin gediehen, daß er in den langen und einsamen Winterabenden den Horaz und Virgil zu seinem unbeschreiblichen Ergötzen mit ihr exponiren konnte. Bisweilen diente auch Hans Sachs, oder auch ein anderer Meistersänger als Herzenstärkung und launiger Zeitvertreib, und unverkennbar war es, daß die äußere Anmuth und Schönheit des holden Geschöpfes durch diese Bildung seines Geistes ausnehmend erhoben und verherrlicht wurde. Denn Maria blieb nicht, wie gewöhnlich ihr Vater, bei Vokabeln und zierlichen Redensarten stehen, sondern suchte, so viel es ihr möglich war, in den Geist des Schriftstellers einzudringen, wobei ihr ein durchdringender Verstand und viel natürliches Schönheitsgefühl sehr zu Hülfe kamen. Hierdurch hatte sie ein etwas schwärmerisches Wesen angenommen, das ihrer Schönheit nur zum neuen Hebel diente, und oft pflegte sie am Meeresstrande oder in den reizenden Bergwäldern der Gegend einen bezüglichen, am liebsten römischen Liedervers mit Emphase und Begeisterung herzusagen, selbst wenn sie Niemand hörte.

Nach dem Ausbruch der kriegerischen Unruhen war es nun freilich um dies poetische Stillleben geschehen. Vater und Tochter flohen in den nahegelegenen Streckelberg, wo eine mit Ginster, Brombeerstauden und Epheu dicht umrankte und rings von himmelhohen Tannen eingeschlossene Höhle ihr jedesmaliger sicherer Zufluchtsort war. Einige gutmüthige Gemeindemitglieder halfen ihnen den innern Raum derselben noch vergrößern, und die lockere nur aus hartem Thon bestehende Decke vor jedem Einsturz mit Baumpfählen und Latten unterstützen. Hierher zog auch Maria die einzige Kuh, welche ihnen noch übrig geblieben war, raufte ihr selbst mit den zarten Fingerchen das Futter auf der Kuppe des Berges, und lebte gewöhnlich mit dem alten Vater von dem Ertrage ihrer Milch und einigen Fischen, welche gutmüthige Seelen ihnen mittheilten, bis die Gefahr vorüber.

Als nun endlich das Gerücht erscholl, daß der tapfere und großmüthige Schwedenkönig, Gustav Adolph, den bedrängten Evangelischen zu Hülfe kommen werde, auch Wallenstein 1628 die Belagerung Stralsunds aufgehoben hatte, und das Land hin und wieder unter der unerträglichen Last freier aufzuathmen anfing; einten sich auch Schweidlers zerstreute Pfarrkinder wieder zum neuen Aufbau ihrer eingeäscherten Hütten, und wenn auch die seinige, wie durch ein Wunder, noch bis jetzt den Flammen entgangen war, so bedurfte sie doch in jedem Theile einer gänzlichen Ausbesserung, um nur einigermaßen Schutz gegen Wetter und Wind zu gewähren. Er schrieb daher an den damaligen Hauptmann des säcularisirten Klosters zu Pudagla, Wittich von Appelmann, welchem gleichzeitig die Inspection sämmtlicher Kirchen auf der Insel Usedom in ökonomischer Hinsicht zustand, und bat ihn dringend, nicht blos sein Pfarrhaus ausbessern zu lassen, und ihm seine seit mehreren Jahren beim Kloster rückständigen Hebungen auszuzahlen, sondern auch dafür Sorge zu tragen, daß aus dem herzoglichen Aerario ein neuer Abendmahlskelch angeschafft würde, da der vorhandene von kaiserlichen Streiftruppen geraubt worden sei.

Aber Wittich war ein unversöhnlicher Priesterfeind, und überall dem armen Lande in dieser schweren Zeit fast eine größere Geißel, als das Elend des Krieges selbst. Besonders war ihm unser Schweidler verhaßt, weil er ihn einmal in einem früheren Schreiben in seiner schlichten Einfalt blos Herr Appelmann genannt hatte, worüber der ehrgeizige Thor so erzürnt wurde, daß er den Pfarrer dieserhalb bei dem Herzog Bogislav schriftlich verklagte. Daher würdigte er unsern Pfarrer nicht einmal eines Gegenschreibens, sondern ließ ihm durch den Kirchenvorsteher Claus Jwing, seinen ehemaligen Reitknecht, und einen heimtückischen Bösewicht, die empörende Antwort sagen: was die beiden ersten Punkte seines Anschreibens beträfe, so wäre dazu durchaus kein Geld vorhanden, und den Kelch anlangend, so möge er seine Heerde nur aus einem Wassereimer tränken, wie er es mache, und manchen Tag gemacht habe.

Hierüber wurde, wie leicht zu glauben steht, unser Pfarrer auf das Aeußerste erbittert, und nicht zufrieden seinem Zorn gegen einzelne Gemeindeglieder unter den härtesten Ausdrücken Raum gelassen zu haben, bestieg er am nächsten Sonntage die Kanzel, und da der Geist der damaligen Predigtweise schon ohnedies polemisch war, so legte er sich weder Maß noch Zügel an, sondern kanzelte den Herrn Hauptmann als einen gottvergessenen Buben auf das Unbarmherzigste vor der ganzen Versammlung ab. Freilich befleißigte er sich so viel als möglich der verblümten Rede; allein seine Absicht wurde auch dem Einfältigsten klar. Das Evangelium am dritten Sonntage nach den heiligen drei Königen, vom Hauptmann von Capernaum, gab ihm hierbei die erwünschteste Gelegenheit an die Hand. Vor allen aber war es folgende Stelle, welche Wittich Appelmann am meisten verdroß; denn der Kirchenvorsteher Claus Jwing versäumte nicht, schon an demselben Nachmittage nach dem, nur 1½ Meile entfernten Pudagla zu wandern, und ihm mit boshaftem Lächeln die ganze Predigt zu recitiren:

»Es seind, lieben Freund’, itzunder viel Männer, die wir mit einander betrachten wöllen; als da seyn Amtmänner und Bauermänner, Drathmänner und Ehemänner, Fuhrmänner und Gewerksmänner, Hampelmänner und Kriegsmänner; (seind oft nur einerlei) Jamänner und Neinmänner; Petermänner* (das seind gar rare Männer), Rauf-Männer und Saufmänner (leider Gottes giebt’s die Hüll und die Füll!), aber die allernichtsnutzigsten in unserer Zeit, das seind die Wassermänner* und die Appelmänner, d.i. solche Männer, welche die geplagte arme Christenheit auf ihrem eignen Fell zum Appel rufen. Wöllen auch Hauptmänner sein, wie der Hauptmann zu Capernaum, aber pfui dich Hauptmann an! ein Saufmann bist du, ein heilloser Lotterbub, und möge dich der Teufel mit dem Wassereimer tränken, womit du deine Ochsen tränkst, wenn er dir auf dein dickes Leder den Appel zur Hölle schlägt!« u.s.w.

Wittich stampfte mit den Beinen vor Wuth, als er diesen Panegyrikus gehört hatte, und befahl dem Claus Jwing die ganze Gemeinde zu Coserow und den eingepfarrten Ortschaften am nächsten Tage, Morgens um 10 Uhr aufs Kloster zu Pudagla zu bescheiden, mit der Verwarnung, daß der Ausbleibende von Henkers Hand solle ausgepeitscht werden. Als Gratification für seine Mühwaltung ließ er ihm einen Scheffel Erbsen reichen, und versprach, es hierbei nicht bewenden zu lassen, falls auch er, so viel an ihm wäre, auf den Ruin und gänzlichen Sturz des armen Pfarrers hinarbeiten würde.