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Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann

SCHLANK

MIT DARM

MIT DER RICHTIGEN
DARMFLORA ZUM
WUNSCHGEWICHT

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1. WAS DARMBAKTERIEN MIT IHREM GEWICHT ZU TUN HABEN

Darmbakterien machen schlank

Schöner Wohnen – der Lebensraum der Darmbakterien

Dicke Mäuse, dicke Menschen

Liliput in Ihrem Darm

Der Darm – so unerforscht wie der Mars?

Ein ausbalanciertes Ökosystem

Mehr Bakterien im Darm als Sterne am Himmel

Tonnenschwere Verdauungsarbeit

Multikulti

Die Verwandtschaft der Darmbakterien – wer gehört zu wem?

Wie Bakterien Ihren Blick auf Kalorien verändern können

Die Gruppe der Rank-und-schlank-Bakterien

Bacteroides – lassen gerne mal was durchgehen

Akkermansia – hat Angst vor Fett

Bifidobakterien – freundliche Gesellen

Die Gruppe der Hüftgoldbakterien

Firmicutes machen dick, brachten unseren Vorfahren aber Vorteile

Manche Ballaststoffe werden zu Kalorienbomben

Wir füttern sie, sie füttern uns

Milchsäurebakterien mästen Vieh und Kinder

Ein Stuhltest bringt Gewissheit

2. KÖNNEN DARMBAKTERIEN UNSERE GEWICHTSZUKUNFT VORAUSSAGEN?

Blick in die Glaskugel?

Sag mir, wie du geboren wurdest, und ich sage dir, wie sich dein Gewicht entwickelt

Bakterien machen Exraucher dick

Antibiotika stören das Gleichgewicht im Darm

Gewichtsprobleme nach Antibiotikatherapie

Dürfen die das?

3. WARUM EIN LÖCHRIGER DARM DICK MACHEN KANN

Der „löchrige“ Darm

Entzündungen machen die Hüften rund

Das stört den Darmfrieden

Bakterienfutter – ein Pflaster für den löchrigen Darm

4. DAS HIRN IM BAUCH

Der Darm – unser zweites Gehirn

Denken mit dem Darm?

Der Papst des Rumpfes

Die Sprache von Kopf und Darm

Sitzt das Unterbewusstsein im Darm?

Achtung, Zucker im Anmarsch!

Darm-Emotionen

Mutmacherkeime

Commander Gondii, übernehmen Sie!

Reizdarmsyndrom – wenn der Darm hysterisch wird

Soziales Mikroben-Netzwerk

5. WAS SAGEN DIE BAKTERIEN ZU SPORT UND STRESS?

Stresshormone sorgen für „Rettungsringe“

Stress lässt Darmbakterien alt aussehen

Schlafmangel macht hungrig

Und was ist mit Sport?

Laufen Sie den Speckröllchen davon

6. STRATEGIEN FÜR EINEN GESUNDEN, „SCHLANKEN“ DARM

Vier wirkungsvolle Strategien

Strategie 1: So greifen Sie der Darmflora unter die Arme

Die Darmflora lenken

Ernährungsumstellung – schaffen Sie ein Wohlfühlklima im Darm

Die Darmflora ändert sich in wenigen Tagen

Präbiotika – ein Festmahl für unsere Mitbewohner

Bei Präbiotikamangel hungern die „guten“ Darmbakterien

Kalte Kartoffeln – ein Genuss für die Rank-und-schlank-Bakterien

Inulin und Oligofruktose – hören sich kompliziert an, tun aber gut

Darf’s noch ein Tässchen Kaffee sein?

Probiotika – vergrößern die Mannschaft der Schlankmacher

Strategie 2: Ballaststoffe – kein unnötiger Ballast

Zu wenig Ballast macht das Leben schwer

Strategie 3: Die Darmbarriere stärken

Bakterien – die Hausmeister im Darm

(Un)gesunder Fruchtzucker?

Entzündungen drehen an der Gewichtsschraube

Fett kann schlank machen

Das japanische 2:1-Ideal

Entzündungsfette sind überall

Kurkuma und Ingwer – ein starkes Duo für Darm und Figur

Strategie 4: Sättigungshormone anregen, Moppelhormone bremsen

Peptid YY und seine Freunde

Eiweiß lockt Peptid YY

Das Hunger- und das Satt-Hormon

Insulin – ein Moppelhormon

Der Fettwächter

Bakterienfutter und Darmflora senken das Moppelhormon

So beherrschen Sie Ihr Heißhungerhormon

7. DIE DARM-DIÄT IM ÜBERBLICK

So profitieren Sie von der Darmdiät

Diese Tipps sollten Sie beachten, wenn Sie abnehmen wollen

Diese Tipps sollten Sie beachten, wenn Sie Ihr Gewicht halten oder einfach nur Ihre Darmflora stärken möchten

KÖSTLICHE REZEPTE FÜR IHRE DARM-DIÄT

Frühstück

Obstsalat mit Cornflakes

Bananen-Erdbeer-Shake

Müsli mit getrockneten Sauerkirschen

Quarkspeise mit Banane und Nüssen

Special: Brot und Brötchen backen

Käsebrot mit Tomate

Schinkenbrötchen

Knäckebrot mit Tomatenquark

Mittagessen

Zanderfilet mit Spargel

Gemüseeintopf mit Pesto

Vollkorn-Penne mit Artischocken und Oliven

Schweinefilet mit roten Linsen und Paprika

Hüftsteak mit gebratenen Pilzen und Topinambur-Püree

Asiatisches Wok-Gemüse mit Tofu

Schwarzwurzelcremesuppe mit Lachs

Abendessen

Schweinerückensteak mit Chicorée-Radieschen-Salat

Artischocken-Tomaten-Salat mit Lachs

Endiviensalat mit Knoblauch-Garnelen

Gebackener Feta aus dem Ofen

Hähnchen mit Zweierlei-Bohnen-Salat

Rucola-Rührei mit geräucherter Forelle

Paprika-Fenchel-Salat und Putenbrust

ANHANG WAS MAN SONST NOCH WISSEN MUSS

Laboradressen

Diese Stuhluntersuchungen können im Einzelfall sinnvoll sein

Weitere Produkte, die Ihrer Darmflora guttun

Nahrungsergänzungsmittel gegen Entzündungen und zur Stabilisierung der Darmbarriere

Literatur

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DARMBAKTERIEN MACHEN SCHLANK

Wissen Sie, dass Darmbakterien Ihre engsten Verbündeten sind, wenn es darum geht abzunehmen und das Gewicht langfristig zu halten? Wenn Sie davon noch nichts gehört haben, ist das nicht weiter verwunderlich, denn erst seit ein paar Jahren forschen Wissenschaftler an diesem Thema und entdecken allmählich, welche Macht diese kleinen Keime haben. Selbst Experten staunen, wie effektiv die Mikroben Fettpölsterchen zum Schmelzen bringen, Appetit zügeln und unsere Stimmung verbessern können. Sie sind sich einig, dass nur der dauerhaft schlank bleiben kann, dessen Darmflora optimal funktioniert. Diese Erkenntnis hat man bisher bei Diäten völlig außer Acht gelassen. Wer aber mithilfe der Ernährung nicht nur Pölsterchen zum Verschwinden bringt, sondern sich gleichzeitig auch um seine Darmbakterien kümmert, hat gute Chancen, langfristig schlank zu bleiben. Deshalb erfahren Sie auf den nächsten Seiten, wie Sie Ihre Darmbakterien auf Trab bringen und das Verdauungssystem auf „Abnehmen“ programmieren.

„Igitt, Darmbakterien“, ist jetzt möglicherweise Ihr erster Gedanke, denn über das, was in unserem Darm vor sich geht, sprechen wir nicht gerne. Der Darm ist eine Tabuzone, über dessen Arbeit wir uns nur ungern austauschen, selbst nicht mit der Familie oder dem besten Freund. Nicht nur aufgrund seines „Endproduktes“ hat unser Verdauungstrakt ein schlechtes Image. Doch ein bisschen mehr Interesse ist durchaus angebracht, denn der Darm hat viele faszinierende Eigenschaften. Wenn es in der Vergangenheit um Gewichtsreduktion ging, hat man die Möglichkeiten, die im wahrsten Sinne des Wortes in uns schlummern, ignoriert. Doch mit der Darmbakterien-Diät können Sie sich die interessanten Eigenschaften der Darmkeime zunutze machen. Wenn Sie nett zu Ihrer Darmflora sind, bringt Ihnen das nämlich zahlreiche Vorteile:

IHRE VORTEILE MIT DER DARMBAKTERIEN-DIÄT

* Sie verbrauchen bis zu 10 Prozent mehr Kalorien pro Tag.

* Sie bauen Fettzellen schneller ab und die Bildung neuer Pölsterchen wird blockiert.

* Ihr Blutzuckerspiegel kann sich stabilisieren.

* Außerdem sind Sie nach dem Essen länger satt, was das Durchhalten dieser Diät enorm erleichtert.

SCHÖNER WOHNEN – DER LEBENSRAUM DER DARMBAKTERIEN

Die Darmkeime bewohnen ein großzügiges Reich, das sich vom Mund bis zum After erstreckt und ihnen ausreichend Platz und Schutz bietet. Viele glauben, dass unsere Haut die größte Kontaktfläche zur Außenwelt ist. Doch da haben sie ihre Berechnung ohne den Darm gemacht. Unsere Haut ist mit ihren zwei Quadratmetern etwa so groß wie ein Tischtuch. Doch darüber kann der Darm nur lachen. Unser Verdauungsorgan bringt es auf eine Oberfläche von stolzen 500 Quadratmetern und umfasst somit die Fläche von zwei Tennisplätzen. Der Darm ist somit das größte Einfallstor unseres Körpers für Krankheitskeime. Er ist ebenfalls eine Kontaktfläche zur Außenwelt. Der Darm verläuft durch unseren Körper, ohne eine direkte Verbindung ins Körperinnere zu haben. Nahrung und Flüssigkeit kommen zuerst mit der Darmoberfläche in Berührung und alles, was der Darm nicht aufnehmen möchte, wird unverdaut ausgeschieden.

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Unsere Verdauungsorgane – eine Übersicht

Natürlich könnte man sich jetzt fragen, wie zwei Tennisplätze in den Körper einer 1,60 Meter großen Frau passen sollen. Wäre unser Verdauungssystem nur ein glattes Rohr, würde es tatsächlich mit ein bis zwei Quadratmetern schon eng im Bauchraum werden. Um den zahlreichen Helfern Ausbreitungsmöglichkeiten zu verschaffen, greift unser Körper aber zu einem Trick: Der Darm ist in zahlreiche Falten gelegt. Das ist das gleiche Prinzip wie beim Faltenrock. Hier lassen sich auch mehrere Meter Stoff auf 70 Zentimeter Taillenumfang bündeln. Außerdem sitzen auf den Darmfalten noch Millionen Zotten. Das sind winzige Ausstülpungen der Darmwand. Auf einen Quadratzentimeter können bis zu 4000 davon sitzen – und dadurch wird aus dem kleinen Darm eine riesige Fläche, die allen ihren Bewohnern Schutz und Unterkunft bietet.

Wie in einem richtigen Haus halten sich auch in den einzelnen „Zimmern“ des Darms unterschiedlich viele Gäste oder Bewohner auf. Manche Räume sind so richtig gemütlich, andere „Kammern“ laden die Darmflora eher weniger zum Verweilen ein. Die Besiedelung dieser Behausung nimmt vom Eingangsbereich, dem Mund, bis zum Ausgang, dem After, deutlich zu. Im Mund sorgen „gute“ Bakterien dafür, dass unerwünschte Keime bereits hier am Eingang abgewehrt werden. Sie schützen uns, wenn wir ihnen die Chance dazu geben, vor Karies und Zahnfleischentzündung. Durch den „Hausflur“ Speiseröhre geht es dann in den Magen. Dieser ist für die meisten Darmkeime so ungemütlich wie ein zugiger Dachboden oder ein feuchter Keller. Der Magensaft sorgt dort für ein extrem saures und somit bakterienfeindliches Milieu. Vor allem die Salzsäure, die von den Magenschleimhautzellen produziert wird, ist aggressiv. Das wissen alle, die im Chemieunterricht schon mal mit dieser Substanz hantiert und verschiedene Experimente gemacht haben. Jeder von uns produziert täglich etwa zwei Liter salzsäurehaltigen Magensaft. Wollte man eine solche Menge Salzsäure abfüllen, wäre es ratsam, Schutzbrille, Gummihandschuhe und eventuell noch einen Laboranzug zu tragen. Würden wir das, was wir in unserem Magen haben, in einer Flasche durch die Stadt transportieren, fiele dieser Transport nach den gesetzlichen Bestimmungen unter die Kategorie „Gefahrgut“ und müsste entsprechend gekennzeichnet werden. Der Magen ist also wahrlich kein Ort, an dem man als Bakterie leben möchte. Aber ein paar Gattungen, wie der Magenkeim Helicobacter pylori, fühlen sich hier trotzdem pudelwohl – zum Leidwesen aller, denen er Bauchschmerzen und Magengeschwüre verursacht. Die meisten Winzlinge halten sich jedoch im Darm auf. Vom Magenausgang bis zum Po stehen den Darmbakterien jetzt noch rund sechs Meter kuschelige und wahrhaftig gemütliche Wohlfühloasen zur Verfügung. Der größte Anteil dieser wohnlichen Regionen entfällt mit vier bis fünf Metern auf den Dünndarm. In der etwa 3 Zentimeter schmalen Röhre unterstützen zahlreiche Darmkeime die Verdauungsarbeit des Körpers. Hier wird der größte Teil der Nährstoffe und der Flüssigkeit schon in den Körper aufgenommen.

Richtig eng und gemütlich wird es für die Darmbewohner aber erst im etwa 1,5 Meter langen Dickdarm. Das ist der letzte Darmabschnitt, bevor das, was von unserem Essen übrig bleibt, über den After den Körper verlässt. Hier herrscht für Bakterienverhältnisse ein unvorstellbar tolles Gedränge. Sage und schreibe fast 99 Prozent aller Darmbakterien halten sich hier auf. Wahrscheinlich ist der Dickdarm für die Keime das, was für uns Menschen auf einer Party die Küche ist: Hier gibt es interessante Kontakte, die besten und besonders anregende Gespräche und ausreichend zu essen und zu trinken. Und hier spielt sich ganz viel ab, wenn es um Fettpölsterchen und hartnäckige Kilos geht.

DICKE MÄUSE, DICKE MENSCHEN

Derzeit arbeiten weltweit zahlreiche Experten daran, die sogenannte Darmflora, also die unzähligen Kleinstlebewesen in unserem Darm, zu analysieren und deren Wirkung auf unsere Gesundheit und vor allem auf unser Gewicht zu untersuchen. Einer davon ist Jeffrey Gordon. Er leitet ein Labor an der Washington-Universität in St. Louis. Mit großer Leidenschaft beschäftigt sich der Wissenschaftler mit diesem Thema, vor dem sich die meisten von uns wohl ekeln würden: Er untersucht täglich Hunderte von Stuhlproben. Dabei geht er auch der Frage nach, warum manche Menschen essen können, so viel sie wollen, und trotzdem nicht zunehmen, andere aber ein Stück Schokolade nur ansehen müssen, und schon landet es auf deren Hüfte. Dabei machten Gordon und sein Team eine spannende Entdeckung: Die Bakteriengemeinschaft in unserem Körper spielt eine enorme Rolle, wenn ein Mensch übergewichtig wird oder Stoffwechselstörungen wie Diabetes entwickelt.

Die Forscher verglichen das Mikrobiom – das ist eine andere Bezeichnung für die Gesamtheit der Darmbakterien – in den Därmen übergewichtiger und schlanker Menschen und fanden tatsächlich deutliche Unterschiede in der Zusammensetzung. Dass die Erbanlagen hier nicht die entscheidende Rolle spielen, legen Untersuchungen an eineiigen Zwillingspaaren nahe, von denen der eine Gewichtsprobleme hatte, der andere aber normalgewichtig war. Nun griffen die Wissenschaftler zu einer ungewöhnlichen Methode: Sie übertrugen keimfreien Mäusen, also Tieren, bei denen sich durch eine Aufzucht in sterilen Käfigen keine Bakterien im Darm befanden, den Kot des menschlichen Zwillings. Ein Teil der Mäuse bekam Stuhlproben der schlanken eingeflößt, dem anderen Teil wurden die Darmbakterien der übergewichtigen Zwillingsgeschwister verpasst. Beide Mäusegruppen wurden mit dem gleichen Futter versorgt und in keimfreien Käfigen gehalten. Die Mäuse mit den Bakterien der Schlanken hielten ihr Körpergewicht. Bekamen die Nager hingegen die Darmbakterien eines übergewichtigen Menschen, wurden sie innerhalb kürzester Zeit moppelig wie ein Hamster und bauten rund 20 Prozent mehr Körperfett auf.

Wie sich das Schicksal der Mäuse dann weiterentwickelte, hing davon ab, welche Gesellschaft sie hatten. Hielt man die dicken und die schlanken Mäuse gemeinsam in einem Käfig, fraßen die moppeligen Tiere den Kot der schlanken Artgenossen und damit auch deren schlank machende Bakterien. Ihr Gewicht sank. Umgekehrt stellte sich der Effekt aber nicht ein: Die schlanken Mäuse blieben schlank, auch wenn sie mit den dickeren Artgenossen im Käfig lebten.

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Auch bei Mäusen entscheiden die richtigen Bakterien, ob sie schlank bleiben oder zu Pummelnagern werden.

Die Wissenschaftler machten aber noch eine Beobachtung, die uns aufhorchen lassen sollte: Beide Mäusegruppen erhielten mit dem Futter die gleichen Kalorien, nur die Zusammensetzung der Nahrung war anders: Das eine Futter enthielt reichlich Ballaststoffe und war fettarm, das andere war hingegen eine sogenannte Western Diet, also eine Art Fast-Food-Ernährung, die fetthaltig war und nur wenige Faserstoffe lieferte. Bei den übergewichtigen Mäusen siedelten sich die Darmbakterien der schlanken Artgenossen nur dann dauerhaft an, wenn sie die ausgewogene und gesunde Ernährung erhielten. Bekamen die Tiere jedoch das „Mäuse-Fast-Food“, konnten die übergewichtigen Nager so viele „schlank machende“ Bakterien aufnehmen, wie sie wollten – dennoch wurden die „guten“ Bakterien im Darm der Tiere nicht heimisch und die Mäuse blieben dick. Auch wir Menschen scheinen schlanker, gesünder und zufriedener zu werden, wenn wir in unseren Därmen die „richtigen“ Bakterien beherbergen und diese mit einem speziellen „Bakterienfutter“ verwöhnen.

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LILIPUT IN IHREM DARM

Doch wieso können so kleine Bakterien so viel Macht über unser Gewicht und auch über unser Wohlbefinden haben? Jeder, der sich schon mal eine schwere bakterielle Infektion zugezogen hat, weiß, dass Mikroorganismen nicht schwach und wehrlos sind, sondern kraftvoll und mächtig sein können. Diese Winzlinge können ohne Weiteres einen ausgewachsenen Mann in die Knie zwingen. Sie sind in der Lage Fieber, Abszesse, Lungen- oder Hirnhautentzündungen zu verursachen. Das zeigt, dass manche Bakterien im Körper einiges in Gang setzen können. Aber trifft das auch auf die Darmbakterien zu? Haben auch sie so viel Macht über uns? „Was die da unten produzieren, ist doch sowieso nur Abfall“, könnte man jetzt denken. Ein bisschen Abfall fällt bei der Arbeit der Darmbakterien tatsächlich an, aber wie wichtig diese Abfallentsorgung ist, kann jeder nachempfinden, der schon mal einen Streik der Müllabfuhr in der größten Sommerhitze Italiens miterleben musste. Doch unsere Darmflora kann viel mehr als nur Müllabfuhr spielen. Lassen Sie sich überraschen und begeben Sie sich auf eine Reise nach Darm-Liliput, in eine Welt in uns, in der man nicht in Metern oder Kilometern denkt, sondern in Mikrometern und Mikrogramm – eine Welt, die aber trotzdem unvorstellbar wichtig für uns Menschen ist.

DER DARM – SO UNERFORSCHT WIE DER MARS?

Wie vielfältig die Aufgaben der Darmbakterien sind, weiß man noch gar nicht so lange, denn selbst die Wissenschaftler haben die Winzlinge im Darm viele Jahre links liegen gelassen. Sie beginnen gerade erst, die Bedeutung des Lebensraums Darm und seiner Bewohner zu erforschen. Das liegt auch daran, dass sich in der Vergangenheit viele Bakterien im Labor nur schwer anzüchten und nachweisen ließen, weshalb das Leben im Darm lange Zeit so unerforscht war wie das Leben auf dem Mars. Viele der exotischen Lebewesen, die dieses fast unbekannte Universum des Darms besiedeln, haben noch nicht einmal einen Namen. Als sich der US-amerikanische Mikrobiologe David Relman 2005 einen Überblick über die Untermieter in unserem Darm verschaffen wollte, stellte er erstaunt fest: Vier von fünf Mikroben waren Unbekannte. Erst vor Kurzem hat der Wissentschaftler Henrik Bjørn Nielsen von Dänemarks Technischer Universität in Lyngby bei Kopenhagen 500 neue Mikroorganismen im menschlichen Darm nachgewiesen.

Dass man bisher so wenig über diesen Mikrokosmos wusste, ist erstaunlich, denn die Darmbakterien sind in vieler Hinsicht ein Schlüsselfaktor für unsere Gesundheit. Und sie erklären möglicherweise, warum in den Industrienationen Übergewicht zu einem immer größeren Problem wird. Das Wissen über den Mikrokosmos der Darmbakterien kann aber in Zukunft dazu beitragen, Gewichtsprobleme leichter in den Griff zu bekommen.

EIN AUSBALANCIERTES ÖKOSYSTEM

Neue Methoden ermöglichen inzwischen einen intensiveren Blick auf die Behausung der Darmbewohner und man stellt fest: Die Darmbakterien sind kein unnötiger Ballast. Der Darmbesitzer und seine Darmbewohner stellen eine Lebensgemeinschaft mit großem gegenseitigen Nutzen dar. Die Mikroorganismen erbringen eine enorme Stoffwechselleistung und sind ein wertvolles Ökosystem, das – wenn es intakt ist – große Bedeutung für Gesundheit und Wohlbefinden hat. Bakterien haben einen maßgeblichen Einfluss auf bestimmte Prozesse in unserem Körper, denn diese winzigen Kerle können viel mehr als nur verdauen. Sie kümmern sich darum, dass der Darm intakt ist, die Schleimhaut ihre Aufgaben erfüllen kann und die Zellen gesund bleiben. Krank machende Keime haben kaum eine Chance, sich im Darm breitzumachen, wenn es unseren schützenden Bakterien gut geht. Drei Viertel der Abwehrkräfte sitzen an dem Ort, über den wir so ungern sprechen. Die Immunzellen werden quasi von den Darmbakterien ausgebildet. Ist die Darmflora angeschlagen, schwächt das auch die Abwehrkräfte.

Gesund oder krank? Auch da redet der Darm ein Wörtchen mit. Inzwischen konnte man fast 30 Krankheiten mit der Darmflora in Verbindung bringen – von Zuckerkrankheit über Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Allergien bis hin zu Nervenkrankheiten. Je nach Komposition der Darmbewohner steigt oder sinkt das Risiko für diese Leiden.

Die Darmbewohner betreiben eine große Mikronährstofffabrik, in der sie Vitamine und andere Substanzen extrahieren oder produzieren. Vitamine wie Vitamin K, Folsäure, Biotin und andere B-Vitamine sowie Milchsäure und hormonähnliche Botenstoffe werden von der Darmflora gebildet. Bei einer Störung kann es deshalb – sogar dann, wenn wir abwechslungsreich und gesund essen – zu einem Vitaminmangel kommen.

Und die Darmkeime machen auch Stimmung – im positiven wie im negativen Sinne. Ist der Darm in Unordnung, kann das zu Ängsten und Depressionen führen. Auch auf das Gefühl, satt oder hungrig zu sein, nehmen die kleinen Kerle Einfluss. Selbst für Übergewicht und einen erhöhten Cholesterinspiegel werden sie verantwortlich gemacht.

Da dem Verdauungsapparat eine so zentrale Bedeutung für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden zukommt, forschen weltweit zahlreiche Wissenschaftler, um besser zu verstehen, was in dieser „terra incognita“, diesem weitgehend unbekannten Gebiet, so alles passiert und wie man die Vorgänge günstig beeinflussen kann.

Zukünftig wird eine einfache Stuhluntersuchung ausreichen, um unser Risiko für Krankheiten und Beschwerden einzuschätzen. Vielleicht macht sogar der Psychologe zuerst mal eine Stuhluntersuchung und stellt fest, dass der Patient anders essen muss, um die Depression zu besiegen. Und möglicherweise gibt es in einigen Jahren auch eine Pille, mit der wir uns bei Bedarf die richtigen Darmkeime verabreichen können: Blutfettwerte erhört? Da gibt es doch die Milchsäurebakterien. Unzufrieden und gestresst? Ein Drink mit den richtigen Keimen lässt uns wieder optimistisch in die Zukunft schauen. Weihnachten zu viel geschlemmt? Kein Problem, ein paar Millionen Kolonien der Rank-und-schlank-Bakterien bringen die Figur bis Silvester wieder in Form. In einigen Jahren ist es vielleicht sogar möglich, gezielt einzelne Bakterienstämme im Darm anzusiedeln oder zu eliminieren. Möglicherweise könnte man dann Mikroorganismen ähnlich wie Antibiotika einsetzen, um Krankheitserreger zu bekämpfen.

Wir müssen aber gar nicht so lange warten, bis diese Zukunftsvision Wahrheit wird. Schon heute ist es möglich, die Darmflora so gezielt zu steuern, dass wir Einfluss auf unser Gewicht, unsere Gesundheit und unsere Stimmung nehmen können.

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DARMBAKTERIEN

* sind wichtig für die Energiegewinnung aus der Nahrung und entscheiden deshalb über dick oder dünn.

* füttern mit ihren Stoffwechselprodukten die Darmzellen, die sonst verkümmern würden,

* stimulieren das Immunsystem,

* beeinflussen die Hirnfunktion und unsere Stimmungslage,

* können den Blutzuckerspiegel und den Cholesterinspiegel beeinflussen,

* produzieren wichtige Vitamine, zum Beispiel Vitamin K und B-Vitamine,

* sorgen dafür, dass aufgenommene Umweltstoffe weniger schädlich sind (Entgiftung),

* und sie beeinflussen mit ihren Enzymen den Medikamentenstoffwechsel und ermöglichen dadurch erst die Wirksamkeit mancher Arzneistoffe.

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In unserem Darm befinden sich mehr Bakterien, als die Milchstraße Sterne hat!

MEHR BAKTERIEN IM DARM ALS STERNE AM HIMMEL

Der Verdauungstrakt eines Menschen ist das am dichtesten besiedelte Ökosystem der Erde. Auf der Darmoberfläche tummeln sich etwa 1014 Bakterien. In Worten: hundert Billionen! Diese Zahl ist unvorstellbar groß, ausgeschrieben lautet sie 100.000.000.000.000. Das sind tausendmal mehr Bakterien, als unsere Galaxie Sterne hat! Wir sind also nie alleine. Und wir sind in unserem eigenen Körper in der Unterzahl. Immerhin leben in unserem Verdauungstrakt zehnmal mehr Mikroorganismen, als der menschliche Körper Zellen besitzt. Daraus könnte man schließen, dass wir mehr bakteriell als menschlich sind. Würden Aliens aus dem Weltall auf die Erde fliegen und einen Menschen sezieren, um festzustellen, woraus denn dieses Wesen ohne Antennen auf dem Kopf besteht, wäre die Antwort recht schnell klar: Vor allem aus sehr vielen Bakterien! Und sie hätten recht. Die Außerirdischen könnten den Menschen deshalb leicht für einen großen Bakterientransporter halten.

Man muss sich vor Augen führen, dass die Hälfte unseres Darminhaltes aus diesen freundlichen Untermietern besteht, die – obwohl sie so winzig klein sind – in ihrer Gesamtheit immerhin fast zwei Kilo auf die Waage bringen und damit deutlich schwerer sind als die meisten Organe. Häufig werden die Darmbakterien in ihrer Gesamtheit sogar als ein eigenes Organ betrachtet, dessen Stoffwechselleistung größer ist als die der Leber.

Während der gesamten Menschheitsgeschichte standen Menschen und Darmbakterien miteinander in engem Kontakt, haben sich zusammen weiterentwickelt und festgestellt, dass ein Zusammenleben für beide Seiten von Vorteil sein kann. Hier gilt: Eine Hand wäscht die andere. Die Mikroben übernehmen Aufgaben, die der Körper selber nicht leisten kann. Dafür bietet der Mensch ihnen ein Zuhause, in dem es Nahrung im Überfluss gibt.

TONNENSCHWERE VERDAUUNGSARBEIT

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Ob wir schlank oder
übergewichtig bleiben
hängt von vielen
Faktoren ab.

Der Abschied von den Pfunden ist nicht für jeden Menschen gleichermaßen leicht, denn viele Faktoren spielen bei der Gewichtskontrolle eine Rolle. Etwa ein Drittel der Veranlagung zu Übergewicht ist genetisch bestimmt. Neigen die Eltern zu Übergewicht, haben auch die Kinder oft mit „anhänglichen“ Pfunden zu kämpfen. Für ein weiteres Drittel ist alleine unser Lebensstil verantwortlich. Das sind bekannte Tatsachen. Neu jedoch ist – Sie haben es schon gehört –, dass auch die Darmbakterien ein Wörtchen mitsprechen, wenn es um die Figur geht. Denn zu einem weiteren Drittel fällt die Entscheidung darüber, ob wir mühelos schlank bleiben oder andauernd mit den Pfunden kämpfen, im Darm.

Hier werden mindestens vier Weichen für unsere Figur gestellt:

* Zum einen können Darmzellen mithilfe der Darmflora unseren Appetit über mehrere Botenstoffe beeinflussen. Sie entscheiden darüber, ob wir uns satt oder hungrig fühlen.

* Zum anderen können Probleme der Darmschleimhaut und chronische Entzündungen dem Körper signalisieren, mehr Fett – vor allem am Bauch – abzulagern.

* Haben Sie die „falschen“ Bakterien im Darm, dann machen diese sich sofort an die Arbeit, ein Enzym, das sich Lipoproteinlipase nennt, zu aktivieren. Der Job dieser Lipase ist es, Fettpolster anzulegen.

* Und zu guter Letzt ist der Mikrobenmix auch noch dafür verantwortlich, wie gut oder schlecht wir unser Essen ausnutzen und wie viele Kalorien aus der Nahrung gezogen werden.

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Unser Darm leistet im Laufe
unseres Lebens wahre
Herkulesaufgaben.

Immerhin verdauen wir im Laufe des Lebens rund 30 Tonnen Nahrung und etwa 50.000 Liter Flüssigkeit. Um diese Herkulesaufgabe zu bewältigen, holt sich der Darm Hilfe. Die effektivsten Helfer scheinen ebendiese Darmbakterien zu sein. Einer ihrer wichtigsten Jobs ist es, uns mit Energie zu versorgen. Bakterien erzeugen durch ihre Arbeit rund 30 Prozent der Kalorien (je nach Zusammensetzung der Darmkeime auch etwas mehr oder weniger), die in den Körper gelangen. Als „Vorverdauer“ knacken sie selbst harte Pflanzenbestandteile auf, die für uns sonst völlig unverdaulich wären.

Wie wichtig die Keime für die Energiegewinnung aus der Nahrung sind, zeigt ein Experiment. Mäuse, die in sterilen Käfigen leben und keinerlei Darmflora besitzen, werden nicht dick. Sie müssten mindestens ein Drittel mehr Kalorien futtern, um genauso schwer zu werden wie ihre „besiedelten“ Artgenossen und haben dennoch deutlich weniger Fettgewebe.

Für uns Menschen ist ein solches keimfreies Leben natürlich keine Option. Aber auch unser Darm kann einen großen Teil der Nahrung alleine gar nicht verdauen. Ihm fehlen schlicht und einfach die „Geräte“, die im Körper Enzyme genannt werden, um schwer verdauliche Nahrungsanteile zu zerkleinern. Diese Werkzeuge bringen die Darmbakterien mit und ersparen dadurch dem Organismus, noch weitere Verdauungssäfte zu produzieren. Das spart gleichzeitig eine Menge Energie.

Doch die Keime betreiben ihre Aufgabe mit unterschiedlicher Zielstrebigkeit. Die einen arbeiten akribisch und holen aus jedem Salatblatt noch die letzten Kalorien heraus. Andere Kollegen lassen gerne mal was „durchrutschen“ und nehmen ihre Aufgabe nicht ganz so ernst.

Die schlechte Nachricht: Wer die falschen Bakterien im Darm hat, wird schneller dick. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Welche Bakterien im Darm das Sagen haben, kann man beeinflussen. Wird eine ungesunde Ernährung umgestellt, kommt öfter „Bakterienfutter“ auf den Tisch, und werden gleichzeitig noch ein paar einfache Regeln beachtet, breiten sich die Keime im Darm aus, die uns gesünder und schlanker machen und unser Wohlbefinden verbessern. Sie helfen der Darmschleimhaut, gesund zu bleiben, und können sogar bei Entzündungen positiv eingreifen.

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NICHT ALLE SIND SCHLECHT

Bakterien haben einen schlechten Ruf, denn wir hören meistens von Keimen, die krank machen. In der Vergangenheit hat man sich deshalb vor allem um die Bekämpfung schädlicher, nicht aber um die Förderung nützlicher Mikroorganismen bemüht.

Doch Bakterien verursachen nicht nur Pest, Cholera und Halsschmerzen. Sie bauen auch den Säureschutzmantel der Haut auf, der vor gefährlichen Keimen schützt, sie sind die besten Sparringspartner unseres Immunsystems und sie sorgen für Wohlbefinden und gute Verdauung. Bakterien, die Gutes tun, wurden in der Vergangenheit viel seltener erforscht und sind deshalb noch weitgehend unbekannt.

MULTIKULTI

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IMMUNERZIEHUNG DURCH DARMBAKTERIEN

In den ersten Lebensmonaten lernen die Abwehrkräfte, zwischen gefährlichen und ungefährlichen Keimen zu unterscheiden. Wichtigster Trainingspartner des Immunsystems ist in dieser Zeit vor allem die Darmflora. Eine intakte Darmflora und ein intaktes Immunsystem gehen Hand in Hand. Ist die Bakterienlandschaft aber wenig abwechslungsreich, werden die Abwehrkräfte weder ausreichend Schlagkraft gegenüber gefährlichen Keimen entwickeln noch lernen sie, ungefährliche Bakterien und Umweltstoffe zu tolerieren. Ein insgesamt zu schwaches Abwehrsystem, Autoimmunerkrankungen, Allergien und Asthma können entstehen.