„Mut, Opferbereitschaft und ein freundliches Herz sind ein Zeichen von Stärke und sollen niemals verachtet werden.“
Als Nandas beobachtet, wie ein Mann von Kriegern gehetzt und niedergeschossen wird, ahnt er noch nicht, dass damit sein eigenes Schicksal besiegelt ist. Aus Schuld und Mitleid leistet er einen heiligen Eid, der ihn an den Fremden fesselt. Einen Menschen, Erzfeind der Elfen. Wenig Gutes kann daraus entstehen!
Arkyn glaubte, tot zu sein. Stattdessen findet er sich in einer anderen Welt wieder. Eine Welt, die von Elfen bevölkert wird. Elfen, vor denen er sich fürchtet. Elfen, die ihn hassen. Nur einer ist bereit, ihn verstehen zu wollen: Nandas. Schnell zeigt sich, dass die Unterschiede zwischen ihren Völkern viel geringer als gedacht sind … Und dass auch in dieser Welt Gefahren und Schrecken lauern.
Ca. 52.000 Wörter
Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte ungefähr 258 Seiten.
von
Emily Vanja
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Epilog
andas schlich vorsichtig durch das dichte Unterholz.
Er wollte auf gar keinen Fall Aufmerksamkeit riskieren. Es lebten Menschen in der Nähe. Die durften ihn nicht sehen. Menschen sollten nicht wissen, dass es Elfen gab. Es würde Ängste wecken. Brutale Angriffe provozieren. Alles das, vor dem sein Volk bereits vor langer Zeit geflohen war.
Zum Glück waren die Wetterbedingungen auf seiner Seite. Es regnete leicht, der Schnee hatte zu schmelzen begonnen. Es sollten weder Jäger noch Holzsammler oder Köhler im Wald sein.
Nandas bewegte sich sehr langsam. Unter keinen Umständen wollte er Spuren hinterlassen, die eindeutig auf ein menschenähnliches Wesen hindeuteten. Das würde auffallen, wenn man wusste, dass keiner der Dörfler im Wald gewesen war und schlimmstenfalls suchte man nach dem Eindringling. Das wäre ärgerlich für ihn, sollte er dann noch in der Nähe sein und würde seine Suche gefährden. Darum zerwühlte er nach jedem Schritt den Boden, damit es aussah, als wären Wildschweine unterwegs gewesen. Das war anstrengend, denn die Erde war hart gefroren und er musste sich gebückt durch dichtes Unterholz kämpfen. Würde er aufrecht laufen, könnte man an den Bruchspuren der Zweige vermuten, dass es ein Mensch gewesen sein musste, der vorbeigekommen war.
Seit Stunden suchte er nach der Pflanze, für die er all diese Mühen auf sich nahm. Caraja-Jasmin. Er blühte nur im Winter, je strenger der Frost, umso reicher die Blüte. Für die Menschen war diese Blume mehr oder weniger Unkraut, wenn auch schön anzusehen. Sie schmückten damit gerne ihre Häuser, da Caraja-Jasmin angenehm duftete. Er war jedoch giftig für kleine Kinder und Haustiere, darum war Vorsicht geboten.
Für Elfen hingegen war es ein unverzichtbares Heilmittel, das ihre Magie verstärkte. Insbesondere die Magie der Elfenkönigin, von deren Lebenskraft das Wohl aller abhing. In Aoryla, der Zufluchtswelt, gab es keinen Winter und darum auch kein Caraja-Jasmin. Deshalb schlich Nandas durch den Wald und suchte geduldig, was sein Volk so dringend benötigte. Er kannte mehrere gute Sammelgebiete, die er in den letzte beiden Tagen aufgesucht hatte. Dort waren ihm jedes Mal Menschen in die Quere gekommen, was ihn zur Flucht gezwungen hatte, noch bevor er die Pflanzen erreichen konnte. In diesem Gebiet war er noch nie gewesen und er hatte bislang nichts finden können. Wenn die Nacht hereinbrach, müsste er erfolglos abbrechen. Das Mondlicht würde ihn vernichten.
Selbstverständlich konnte er morgen zurückkehren, doch die Zeit drängte. Sie brauchten diese Pflanzen. Ein Jahr und einen Tag würden sie im Palast der Königin weiterblühen, bevor sie verwelkten und ersetzt werden musste. Die Jasminpflanzen des Vorjahres würden morgen sterben. Lediglich für drei Tage war der Übergang zwischen Aoryla und der Menschenwelt offen. Zwei Tage hatte Nandas bereits erfolglos vergeudet. Sollte er keinen Caraja-Jasmin finden und auch morgen versagen, würde ein ganzes Jahr verstreichen, bevor ein neuer Versuch gewagt werden konnte. In dieser Zeit musste sein Volk leiden, Hunderte würden sterben.
Früher waren sie mit mehreren Kleingruppen losgezogen, um den Jasmin in Windeseile zu finden. Früher, bevor die Menschen begonnen hatten, sich überall auszubreiten.
Eine weitere Stunde verstrich.
Nandas war vollkommen durchnässt. Tauwasser tropfte ihm beharrlich in den Nacken, darum war sein wasserdichter Umhang keine große Hilfe. Es war kalt und sehr windig. Kahle Zweige kratzten über seinen Körper, verfingen sich in der Kleidung und seinen Haaren. Er mochte die klare, kalte Luft, die nach nasser Erde, vermodernden Blättern, Moos und Rinde roch. Die Stille und die Abwesenheit von Leben hingegen erschütterten ihn jedes Jahr aufs Neue. Die Winterwelt, in der nahezu alle Pflanzen, die Bäume und ein Großteil der Tiere in den Schlaf übergingen, wo keine Vögel sangen, keine Insekten schwirrten, die Flüsse erstarrten, ein weißes Tuch über die Lande gebreitet wurde … Es war beängstigend und fremdartig, und gleichgültig, wie oft er solche Dinge in den fünfzig Jahren seines bisherigen Lebens schon gesehen hatte, Nandas würde sich wohl nie daran gewöhnen.
Mit einem Mal streifte ihn ein leicht süßlicher Geruch. Caraja-Jasmin! Endlich! Er kämpfte sich durch elendes Dornengestrüpp und erreichte nach einer kleinen Weile eine Senke im Waldboden. Hier hatten sich tiefe Schneewehen gesammelt und inmitten von ihnen blühte der kostbare Jasmin.
Nandas watete durch hüfthohe weiße Massen und begann zu graben. Die kostbaren Pflanzen durften keineswegs beschnitten werden! Er hob die Blumenzwiebeln mitsamt Wurzeln aus der nassen Erde und legte sie vorsichtig in seinem Korb ab, den er auf dem Rücken trug. Ein magischer Korb, der die großen Blumen schrumpfen ließ, sodass sie ihn nicht beim Laufen behinderten. Sobald man sie herausnahm, hatten sie sofort wieder ihre gewohnte Höhe. Zudem besaß der Korb schwache Abwehrmagie und schützte seinen Inhalt vor Schlägen und Druck und Wetterbedingungen.
Acht Jasminpflanzen, so viel wagte er mitzunehmen. Vier blieben zurück und würden hoffentlich im nächsten Jahr wieder erblühen. Dieses Stück Wald bot zu wenig fruchtbare Erde. Es stand zu hoffen, dass es für die menschlichen Siedler uninteressant bleiben und nicht gerodet werden würde. Zudem hatte er von seinen Beobachtungen her den Eindruck, dass die Menschen sich eher Richtung Süden ausbreiteten, wo reichere Böden und Flusstäler zu finden waren. Dieser Wald lag hoffentlich zu weit nördlich. Weit genug, um Caraja-Jasmin erblühen zu lassen.
Nandas verteilte Schnee um die verbliebenen Blumen und zerwühlte die halbe Senke, um seine Spuren zu verwischen. Mehr aus Gewohnheit als echter Notwendigkeit, denn in wenigen Minuten würde er verschwinden. Trotzdem fühlte es sich besser an. Es galt zu vermeiden, dass Menschen sich Sorgen wegen der Anwesenheit von Fremden machten. Er würde gleich nach Aoryla überwechseln und dann …
Rufe. Der Wind trug menschliche Stimmen und Hufgetrappel von Pferden heran. Mojandos’ Gnade! Sie kamen auf ihn zu! Ihr Götter! Ihm blieb keine Zeit für die Flucht, wenn er gesehen werden wollte. Das würde Gerüchte über Elfen schüren. Ihn vielleicht gefährden, wenn er nächstes Jahr hierher zurückkehren wollte. Also musste er sich verstecken.
Nandas blickte sich rasch um. Eine alte Kiefer befand sich in der Nähe. Die dürren Zweige mit ihren dunkelgrünen Nadeln würden ihn nicht vollständig verbergen, doch es musste genügen. Das Dornengestrüpp war nicht dicht genug und falls er dort entdeckt würde, könnte er kaum noch fliehen, ohne sich hoffnungslos zu verheddern. Außerdem war es grundsätzlich eine gute Idee, sich in der Höhe zu verbergen, wenn man Menschen entkommen wollte. Die neigten dazu, sich auf den Erdboden zu konzentrieren.
Nandas kletterte in Windeseile an dem borkigen Stamm hoch, fand in Wipfelnähe einen Ast, auf dem er sitzen konnte und halbwegs von Nadeln verdeckt wurde. Er zog sich den Umhang über den Kopf, um sein weißblondes Haar zu verbergen. Das Dunkelgrün des Stoffes war dem der Kiefernadeln ähnlich, es erhöhte seine Tarnung. Nun musste er vollkommen still sein und hoffen, dass ihn niemand entdeckte.
Der Korb!
Den hatte er fast vergessen. Das helle Weidengeflecht würde auffallen. Rasch zog er sich den Korb vom Rücken und nahm ihn vor den Bauch, um ihn abzuschirmen. Den kostbaren Jasminpflanzen durfte nichts geschehen.
Derweil kamen die Menschen näher. Nandas sah eine Gruppe von fünf berittenen Männern. Sie trugen wärmende Fellumhänge über Lederrüstungen, waren mit Pfeil und Bogen sowie Kurzschwertern bewaffnet. Die übelste Sorte Mensch also, zumindest aus Elfensicht: Krieger.
Die fünf Männer jagten einen sechsten, der zu Fuß unterwegs und für die Witterung viel zu leicht bekleidet war. Immer wieder gelang es ihm, in dem schwierigen Gelände einen Vorsprung herauszuarbeiten und sogar für einige Minuten aus ihrem Blickfeld zu verschwinden. Auf Dauer hatte er keine echten Chancen. Selbst wenn er ihnen entkommen sollte, spätestens nach Einbruch der Dunkelheit war er dem Tode geweiht. Ohne Ausrüstung, ohne warme Kleidung würde er die Nacht nicht überstehen. Das wussten auch die Krieger, die sich darum sehr gelassen verhielten, als sie ihre Beute ein weiteres Mal aus den Augen verloren, dort, wo das Gelände felsig war und keine Fußspuren verrieten, wohin er sich gewandt hatte. Mit jedem Schritt, den der Mann lief, erschöpfte er sich mehr und verringerte seine Überlebenschancen. Warum sie ihn wohl jagten? Er wirkte nicht, als wäre er ein gefährlicher Verbrecher.
Das konnte allerdings täuschen. Was wusste Nandas schon von menschlichen Verbrechern?
Der junge Mann kam ihm stetig näher. Nandas hörte, wie er keuchte, er sah ihn vor Erschöpfung taumeln. Trotz der Kälte dampfte der Mann vor Überhitzung. Sein langes, rabenschwarzes Haar, das zu einem unordentlichen Zopf gebunden war, klebte ihm im Gesicht. Ein struppiger kurzer Bart bedeckte die Wangen. Jung schien er noch zu sein, sogar für menschliche Maßstäbe. Vielleicht Anfang oder Mitte zwanzig? Nandas kannte sich nicht gut aus. Jedenfalls sah der Mann in etwa genauso alt aus wie er selbst. Wahrscheinlich war die Jugend alles, was ihn bislang am Leben gehalten und das bisherige Entkommen ermöglicht hatte. Aus der Nähe wurde deutlich, wie abgerissen und kaputt die Kleidung war, und wie sich der Mann mit solchen dünnen Schuhen im Schnee bewegen konnte … Vermutlich hatte er einen riesigen Vorsprung vor den Kriegern gehabt, sonst wäre er lange vorher von ihnen überwältigt oder getötet worden, je nachdem, was der Plan war.
Der Mann erreichte den Rand der Senke und machte sich an den Abstieg. Dort unten wuchsen die verbliebenen Caraja-Jasmin. Würde er dort hindurchwalzen, waren die kostbaren Pflanzen in Gefahr!
Ohne nachzudenken riss Nandas einen Ast von der Kiefer ab und warf ihn nach dem Flüchtling. Wie geplant traf er ihn am Oberschenkel. Der junge Mann schrie unterdrückt vor Schmerz und Überraschung und ging in die Knie.
„IUWERJÖFHDF!“ Einer der Krieger brüllte etwas Unverständliches. Hastig wandte Nandas sich ab, um sein Gesicht verborgen zu halten. Wenige Augenblicke später kamen drei der Krieger in Sichtweite, sie waren von ihren Pferden abgestiegen. Ihre anvisierte Beute hatte sich längst wieder hochgerafft. Humpelnd versuchte er, die Flucht wieder aufzunehmen, am Rand der Senke entlang – er würde zu viel Zeit verlieren, wenn er sich in den tiefen Schneehaufen fallen ließ. Doch er hatte verloren. Die Krieger griffen ohne jede Hast nach ihren Bögen. Drei Sehnen surrten. Drei Pfeile pfiffen durch die Luft. Alle drei fanden ihr Ziel. Schreiend stürzte der Mann in die Senke hinab. Der Jasmin blieb unberührt. Blut sickerte langsam durch sein dünnes, schmutziges Leinenhemd und färbte den einst weißen Stoff dunkel.
„Öjherwerwjföa“, knurrte einer der Krieger und spuckte auf den Mann herab. Ihre beiden Gefährten gesellten sich zu ihnen und blickten mit ihnen auf den Mann mit den Rabenhaaren hinab. Auch sie zischten mit zorniger Verachtung Worte, die Nandas nicht verstand.
Dann wandten sich die fünf ab. Ihr Opfer blieb zurück, obwohl deutlich zu sehen war, dass es noch atmete. Gewiss. Lange würde das nicht mehr vorhalten.
Nandas beobachtete, wie die Krieger auf ihre Pferde stiegen, die Tiere wendeten und zurück in Richtung Süden ritten, wo sie hergekommen waren. Erst als er nichts mehr von ihnen sehen oder hören konnte, schnallte er sich den Korb zurück auf den Rücken und kletterte den Baum hinab.
Langsam näherte er sich dem Mann. Noch immer kämpfte dieser um jeden Atemzug. Nandas ging neben ihm auf die Knie. Schmerz wallte in seinem Inneren. Schuld. Es war letztendlich seine Schuld. Egal wie genau er wusste, dass der Mann mit dem Rabenhaar niemals hätte entkommen können, dass sein Schicksal besiegelt und der Tod absolut sicher gewesen war – das hier war seine Schuld. Er hatte ihn mit Absicht verletzt. Ihn aufgehalten, um Blumen zu retten, die für sein Volk wichtig, aber nicht wertvoller als ein Leben waren. Es gab noch an anderen Orten Caraja-Jasmin. Genug davon. Zu viel, um ein Leben zu opfern, um vier Pflanzen zu beschützen.
Nandas’ Hand bebte leicht, als er sie behutsam auf die Schulter des Sterbenden legte. Er spürte Bewegung unter seinen Fingern. Der Mann spannte sich an, sei es vor Angst, sei es aus Schmerz. Er war bei Bewusstsein!
Ohne zu zögern brach Nandas die Pfeilschäfte ab. Die Spitzen, die sich in den Körper des Mannes gebohrt hatten, beließ er, wo sie waren, damit er nicht schlagartig verblutete. Sicherlich wäre das gnädiger, doch Nandas wollte … Er wusste nicht genau, was er eigentlich wollte. Statt darüber nachzudenken, drehte er den Mann vorsichtig und stützte ihn dabei ab, dergestalt, dass kein Druck auf die Pfeilspitzen ausgeübt wurde.
Dunkle Augen in einem bleichen Gesicht blickten zu ihm auf. Dunkel wie der Nachthimmel. Von Schmerz und nahendem Tod umschattet.
„Du wirst nicht allein sterben“, flüsterte Nandas und strich dem Mann über die Stirn. Das war alles, was er für ihn tun konnte. Eine Gnade, die er ihm gewähren musste, als Ausgleich für die Schuld.
„Mojandos weiß, ich habe mich an dir schuldig gemacht. Ich werde an deiner Seite ausharren, bis du es durch den großen Schleier geschafft hast.“ Er presste die freie Hand auf seine Brust, direkt über dem Herzen, legte sie dann auf der Brust des Fremden ab, der kein einziges Wort von dem verstehen konnte, was Nandas ihm gerade geschworen hatte. Etwas in den faszinierenden schwarzen Tiefen seiner Augen sagte Nandas jedoch, dass der Mann ihm dennoch dankte. Weder Menschen noch Elfen wollten allein sein, wenn ihre letzte Stunde gekommen war. Bei allen Unterschieden, die es zwischen ihren Völkern gab, in dieser Hinsicht waren sie sich gleich.
„Ich kann leider wenig tun, um dir die Schmerzen zu nehmen“, murmelte Nandas. In der Welt der Menschen war er beinahe vollständig von seiner Magie abgeschnitten, seit er in Aoryla lebte. Ein Jammer. Er versuchte es trotzdem, aber die Kraft wollte nicht recht fließen. Es würde Zeit kosten. Zeit, die der Mann nicht mehr hatte. Es wäre also Verschwendung seiner Kraft.
Etwas ließ ihn zusammenfahren. Ein weit entferntes Geräusch. Eine Warnung seiner Sinne. Es war Pferdewiehern. Die Krieger! Sie kehrten zurück. Vielleicht hatten sie beschlossen, dass sie die Leiche ihres Opfers heimbringen wollten, als Beweis, dass es tatsächlich tot war?
Zutiefst beunruhigt blickte Nandas sich um. Es gab kein geeignetes Versteck. Egal wohin er gehen würde, die Spuren würden ihn verraten. Fliehen war die einzige Möglichkeit, selbst wenn er zu langsam sein sollte. Selbst wenn die Menschen den Nebel erblicken sollten. Doch er hatte ein Versprechen gegeben. Einen heiligen Eid. Er konnte und durfte ihn nicht brechen!
Es gäbe eine Lösung. Sie war verboten. Er würde sich verantworten müssen. Was sollte er tun? Gegen das heilige Gebot verstoßen und einen Menschen nach Aoryla bringen? Oder seinen heiligen Eid brechen, solange bei ihm zu bleiben, bis der Fremde gestorben war?
Nein. Das konnte er nicht. Er hatte seinen Schwur in Mojandos’ Namen abgelegt. Der Gott der Seelen würde ihn für dieses Vergehen richten, sobald Nandas eines Tages durch den großen Schleier ging. Lieber unterwarf er sich dem Gericht der Königin für sein Vergehen, als vor den Göttern eidbrüchig zu werden.
Er ergriff die Hände des Sterbenden. Sein Eid hinderte ihn auch daran, ihm den Übergang zu beschleunigen. Es gab keinen leichten Weg für ihn. Jetzt nicht mehr. Dafür war Eile geboten, denn mittlerweile hörte er das Schnauben und Hufklappern der fünf Pferde. Hätten sie ihr Opfer direkt mitgenommen, dann wäre das hier nicht geschehen!
Ächzend hob er sich den Mann auf die Schultern, der vor Schmerz zu wimmern begann.
„Nur einige wenige Schritte“, murmelte Nandas, der sich anstrengen musste, damit ihm die Last nicht mit seinem Korb in die Quere kam. „Aus der Senke hinaus, fort vom kostbaren Jasmin.“
Er trug seine Last den Abhang hinauf, hinterließ diesmal in voller Absicht deutlich erkennbare Spuren. Sollten die Krieger ruhig sehen, dass jemand dort gewesen war und ihr Opfer mitgenommen hatte.
Als er eine gute Stelle erreicht hatte, kniete er sich nieder. Seine Hand schloss sich um den Anhänger, den Königin Yasiri ihm mitgegeben hatte, damit er jederzeit den Übergang zurück in die Fluchtwelt der Elfen schaffen konnte. Damit konnte er seine Magie fokussieren und verstärken. Er konzentrierte sich auf die magischen Strömungen, die tief, tief unter seinen Füßen durch die Erde flossen. Normalerweise hätte er einen besseren Ort dafür gesucht, um vor Pfeilen geschützt zu sein, sollte der Übergang zu lange dauern. Keine Zeit. Ihm blieb keine Zeit mehr.
Der vertraute Nebel wallte auf. Keine Moment zu spät, denn er hörte, wie die Krieger heranstampften. Waffen und Rüstungen klirrten mit jedem ihrer Schritte. Sie würden ihr Opfer nicht mehr finden. Schon spürte Nandas die Wärme von Aorylas Sonne durch den dichten Nebel hindurch. Er roch den vertrauten lieblichen Duft seiner Welt. Dann war der Übergang geschafft. Er war zu Hause … Und er hatte einen Menschen mitgenommen.
Arkyn blickte hoch in den Himmel. Wohin waren die Bäume verschwunden? Warum lag er in sattgrünem Gras, das sich weich gegen seine Arme schmiegte? Warum duftete es nach Frühsommer und salziger Meeresluft? Was waren das für Vögel dort oben? Alles schien ihm fremd und vertraut zugleich.
Wären da nicht die entsetzlichen Schmerzen, die nach wie vor in seinem Rücken wüteten, das Blut, das ihm den Mund füllte und nicht aufhören wollte zu strömen, dann würde er glauben, er hätte es bereits durch die Jenseitstore geschafft. Es war also wohl ein Traum. Ein sanfter, schöner Traum, in dem ihm ein Elf mit spitzen Ohren und weißblondem Haar und bernsteinbraunen Augen zur Seite stand. Ihn im Arm hielt und mit wohlklingender, tiefer Stimme Worte sprach, die keinerlei Sinn ergaben. Nun, das mussten sie nicht, die Absicht war deutlich. Der Elf wollte ihm helfen.
In sämtlichen Legenden waren Spitzohren Feinde der Menschheit. Brutale Mörder, die ganze Dörfer bis zum jüngsten Säugling niedergemacht hatten. An diesem Mann hingegen war nichts feindselig, da war sich Arkyn sicher. Er wirkte besorgt und mitfühlend.
Ein Traum also. Nicht der schlechteste Weg, um das Leben zurückzulassen. Wenn jetzt nur noch die Schmerzen aufhören würden …
„Oi’an’ taye“, sagte der Elf, bevor er Arkyn seitlich drehte, mit dem Rücken zu sich.
Der Schmerz explodierte und riss Arkyn mit sich in schlagartige Finsternis.
Stille.
Nandas atmete erleichtert auf. Die Magie hatte gewirkt, der Mann war geheilt. Drei blutige Pfeilspitzen lagen am Boden, die zugehörigen Wunden waren verschlossen. Dennoch befand sich der Fremde in tiefer Bewusstlosigkeit, und das würde wohl auch noch für einige Tage so bleiben.
Magie war kein göttliches Wunder, das aus dem Nichts wirkte. Wurde sie genutzt, um eine tödliche Verletzung zu heilen, so nährte sie sich von der Lebenskraft des Sterbenden. Genügte das nicht mehr, griff sie die Lebenskraft des Magiewirkenden an. Nandas war müde, was bedeutete, dass auch er von seiner eigenen Kraft geben musste, um den Mann zu retten. Menschen hatten so viel weniger zur Verfügung als Elfen. Ein zu Tode verwundeter Elf würde nach drei, vier Tagen erwachen und sich danach rasch innerhalb einiger Wochen erholen. Ein ähnlich schwer verwundeter Mensch hingegen … Möglicherweise erwachte der Mann niemals mehr und ging noch heute Nacht durch den großen Schleier.
Nun – zumindest musste er nicht mehr leiden. Und er würde atmen und sein Herz schlagen, wenn Nandas ihn der Königin präsentierte. Das war der einzige Grund, warum er sich für diesen Schritt mit der Heilung entschieden hatte. Verantworten musste er sich für seine Tat, das Verbrechen war geschehen, sobald er den Menschen nach Aoryla gebracht hatte. Alles in ihm hatte sich dagegen gewehrt, eine Leiche zu präsentierten.
Was geschehen war, war geschehen.
Er schob die blutigen Pfeilspitzen als Beweis in die Hosentasche des Mannes. Rasch überzeugte er sich, dass die Pflanzen in seinem Korb ungeschädigt waren. Sie mussten schnellstmöglich zur Königin! Andernfalls wäre vergebens gewesen, was er getan hatte. Dann hob er den Bewusstlosen auf und trug ihn über den Schultern zu seinem kleinen Ruderboot, das am Ufer des Sees lag, wo er es zurückgelassen hatte. Keine Fußspuren, außer seinen eigenen.
Gut. Das bedeutete, dass die Grenzen hielten und die Feinde in den vergangenen zwei Tagen keine Fortschritte erzielt hatten.
Er legte ab, ruderte mit ruhigen, routinierten Zügen, steuerte sein schmales Boot auf sein Ziel zu: Die Camye’illa, das größte Segelschiff der Königin. Es würde ihn nach Laurn bringen, der Hauptstadt der Elfen, die größte Insel von Aoryla.
Nandas horchte in sich hinein.
Er fürchtete sich vor den Anfeindungen, die ihn dort erwarten würden. Vor der Enttäuschung in den Gesichtern seiner Familie und der Königin. Vor dem, was den Mann erwarten würde, sollte er erwachen und genesen.
Doch er würde sich jederzeit aufs Neue genau auf dieselbe Weise entscheiden. Darum war er mit sich im Reinen.
Es hatte keinen anderen Weg gegeben.
arys, die Kapitänin der Camye’illa, musterte Nandas intensiv. Sie war eine sehr erfahrene Frau, schon über sechshundert Jahre alt. Von einem Jungelfen wie ihm ließ sie sich nichts vormachen, in keinem Bereich. Hinzu kam, dass sie in endlosen Kämpfen gefochten hatte. Gegen Menschen genauso wie gegen die Breduín, die Erzfeinde der Elfen von Aoryla.
„Was glaubst du, was du da tust, Junge?“, fragte sie ihn und wies mit dem Kinn auf das schmale Boot, in dem der Mensch unter Nandas’ wärmenden Umhang lag.
„Es involviert einen heiligen Eid, Carys“, erwiderte er demütig. „Ich muss ihn zur Königin bringen und mich für eine Entscheidung verantworten, die sich nicht rückgängig machen lässt.“
„Ich könnte ihn für dich töten. Dann wäre das Problem erledigt.“ Sie lehnte an der Reling und traf keinerlei Anstalten, ihm ein Tau zuzuwerfen, damit er das Boot an der Camye’illa verschnüren konnte; geschweige denn, dass die Strickleiter herabgelassen wurde, um ihn an Bord zu lassen.
„Er ist bewusst- und wehrlos. Ihn zu töten wäre Mord, für den du schlimmstenfalls mit Verbannung belegt werden würdest. Jedes weitere Urteil über ihn obliegt allein der Königin. Bring mich nach Laurn, Carys. Ich habe den Jasmin. Jegliche Verzögerung gefährdet die Pflanzen.“
Sie schnaubte und wandte sich an die Seeleute, die hinter ihr standen und der Auseinandersetzung gebannt folgten.
„Gebt ihm ein Tau!“, lautete ihr Befehl. „Wir schleppen sein Boot ab. Keiner der beiden wird die Camye’illa betreten. Dass wir ihn überhaupt mitnehmen, ist einzig und allein der Sorge um die magischen Blumen geschuldet. Ein Elf, der einen Menschen beschützt, hat auf meinem Schiff nichts verloren!“
Es war Morlu, der ihm das Tau zuwarf. Sein Vetter mütterlicherseits, mit dem Nandas eine langjährige Freundschaft pflegte. Morlu blickte ihn an. Sein Ausdruck war traurig, nicht vorwurfsvoll, befremdet oder sogar feindselig, wie die anderen Seeleute, Carys eingeschlossen. Morlus Traurigkeit traf Nandas härter als Carys’ offene Ablehnung.
Er verschnürte das Tau mit gesenktem Kopf und atmete zittrig durch. Ihm blieben noch etwa zwei Stunden, wenn die Winde günstig sein sollten, bis er sich seinem Schicksal stellen musste. Obwohl er Schlimmes befürchtet hatte, war ihm nicht klar gewesen, wie bitter und schmerzhaft es tatsächlich für ihn sein würde, einen Menschen nach Aoryla zu bringen. Er hatte Undenkbares getan. Er beschützte ihn sogar.
Aus einem Impuls der Schuld heraus hatte er sein eigenes Leben zerstört. Es würde nach dieser Tat niemals wieder so sein wie zuvor.
Und das alles für einen Fremden, von dem er nichts wusste. Nicht seinen Namen. Nicht seinen Beruf. Nicht einmal, warum fünf bewaffnete Krieger ihn erbarmungslos gejagt und beinahe getötet hatten.
Doch es war kein Fehler gewesen. Noch immer würde Nandas dieselben Entscheidungen wieder treffen.
Fassungslose Blicke begleiteten ihn, als er mit dem Korb voller Caraja-Jasmin auf dem Rücken und dem besinnungslosen Menschen in den Armen aus dem Boot stieg und langsam durch die mit bunten Kieseln ausgelegten Straßen von Laurn schritt. Vorbei an den bauchigen Häusern, an hunderte Elfen, die er seit seiner Geburt kannte. Die ihn seit seiner Geburt kannten und dennoch nicht in der Lage zu sein schienen, ihm zu vertrauen. Es verletzte ihn, wie viele sich von ihm abwandten. Das Getuschel. Die Feindseligkeit, vor allem bei den Älteren, die noch gegen Menschen kämpfen mussten. Die Jüngeren, die genau wie Nandas selbst lediglich mit erschütternden Geschichten von der Grausamkeit dieses Volkes aufgewachsen waren, zeigten zumindest ein wenig Neugier. Seit Nandas der Einzige war, der einmal pro Jahr Aoryla verließ, verschwammen die Erinnerungen daran, wie genau Menschen überhaupt aussahen.
„Wenn man sich die seltsamen Ohren und das dunkle Haar wegdenkt, sieht er fast aus wie wir“, hörte er ein kleines Mädchen flüstern.
„Das liegt an seiner Jugend“, zischte die Mutter und zog die Kleine beschützend näher zu sich heran. „In der Jugend sind viele Menschen halbwegs ansehnlich. Danach verfallen und verfaulen sie, wie sterbende Blumen.“
Nandas rümpfte innerlich die Nase über diesen albernen Spruch. Elfen alterten und verfielen genauso wie Menschen und jedes andere Lebewesen. Sie ließen sich dabei nur sehr viel mehr Zeit. So viel, dass es heutzutage lediglich Geschichten über Ihresgleichen gab, die deutlich älter als etwa sechshundert Jahre geworden waren. Es schien, als wäre das die Höchstspanne dessen, was eine Seele als Last im irdischen Sein ertragen konnte. Die meisten Alten, die das sechste Lebensjahrhundert erreichten, waren dann meistens schon sehr still und müde geworden. Man sah sie kaum noch außerhalb ihrer Häuser. Während ihre Körper weiterhin stark und schön schienen, waren ihre Augen erschöpft und uralt. Im Verlauf weniger Jahre schwanden sie dahin, bis sie irgendwann tot in ihren Betten oder ihrem Lieblingsort aufgefunden wurden. Kapitänin Carys war die älteste Bewohnerin von Laurn und insofern eine Ausnahme, weil sie noch recht laut und lebhaft war. Ein Blick in ihre Augen genügten allerdings, um zu erkennen, dass dies nicht mehr lange anhalten würde.
In den Legenden waren diejenigen, die sich aus irgendeinem Grund ans Leben klammerten, bis sie über tausend Jahre alt geworden waren, tatsächlich genauso gebeugt, faltendurchzogen und eisgrau, wie es bei alten Menschen der Fall war. Und daran war nichts hässlich zu nennen. Nandas zumindest fand diesen natürlichen Lauf der Dinge faszinierend und alles andere als hässlich. Da er keineswegs in der Position war, um so etwas zu diskutieren, schwieg er und setzte beharrlich seinen Weg fort bis zum Königspalast.
Königin Yasiri wohnte auf dem einzigen Hügel der großen Insel. Vor dem Palast gab es eine breite, offene Lichtung, wo sich das Volk versammeln konnte. Schützende Bäume ragten gen Himmel und rahmten das aus weißem Gestein erbaute Gebäude ein wie uralte, riesige Wächter. Treu versahen sie ihren ewigen Dienst, keineswegs schweigend, sondern im Wind flüsternd.
Die wahren Wächter stellten sich Nandas in den Weg.
„Das da“, sagte der Hauptmann verächtlich, der auf den Namen Kamuz hörte, „kannst du nicht mitnehmen.“ Er wies mit gezogenem Schwert auf den Menschen in Nandas’ Armen.
„Dann muss Königin Yasiri sich zu mir hinausbemühen“, entgegnete Nandas. „Eine Gefahr stellt er zudem nicht dar. Er war zu Tode verwundet und ich habe ihn magisch geheilt. Aufwachen wird er möglicherweise niemals mehr. Heute auf jeden Fall nicht. Ich will ihn der Königin zu Füßen legen und ihr Urteil erwarten.“
Die Wächter wisperten miteinander. Kamuz nickte ihm schließlich zu.
„Ich rede mit der Königin. Du wartest solange.“
Nandas stand still. Der bewusstlose Körper wurde mit jedem Moment schwerer. Seine Arme brannten, die Hände waren längst taub. Eisern blieb er, wo er war. Er würde den Mann nicht einfach am Boden ablegen, er würde nicht um Hilfe bitten und auch sonst nichts tun, um sich selbst zu beschämen. Ihm lief bereits der Schweiß den Rücken hinab, als Kamuz endlich zurückkehrte. Eine Ewigkeit schien vergangen zu sein, auch wenn es wahrscheinlich bloß wenige Minuten gewesen waren.
„Königin Yasiri ist bereit, dich zu empfangen. Deinen … Gast … mit eingeschlossen.“
„Vielen Dank“, grollte Nandas und schritt durch das Blumentor. So wurde es genannt, weil es sich bei Gefahr dank Magie wie eine Blüte verschließen konnte. Es bot keinen absoluten Schutz vor den Breduín, doch es könnte eines Tages den entscheidenden Unterschied ausmachen. Bislang war es ihren Feinden noch nie gelungen, bis zum Palast vorzudringen und jeder Elf von Laurn war fest entschlossen, dass es dabei blieb.
Wie üblich war die Königin umgeben von Frauen, die ihr Gesellschaft leisteten, für sie musizierten und tanzten, wenn Yasiri Ablenkung wünschte, in erster Linie aber als Kriegerinnen, Ratgeberinnen und Botschafterinnen fungierten und somit alle Belange des Elfenreiches mit ihrer Herrscherin diskutierten. Kein Mann durfte im Palast leben, darum waren die Wächter im Inneren durchweg weiblich. Königin Yasiri war mit ihrem Königreich verheiratet. Das Land war ihr Gefährte, alle Elfen ihre Kinder. Sie durfte ausschließlich Frauen lieben und weibliche Gefährten wählen, um die Einsamkeit zu bekämpfen. Kein Mann durfte die Königin berühren, nicht einmal, wenn sie zu Tode verwundet vor ihm niedersinken würde. Wenn sie eines Tages starb oder den Thron aufgeben sollte, würde aus sämtlichen königlichen Kriegerinnen, die jünger als fünfundsiebig waren, die neue Königin gewählt werden. Da Yasiri gerade erst ihren zweiundneunzigsten Geburtstag gefeiert hatte, stand zu hoffen, dass sie noch lange herrschen würde.
Sie saß auf ihrem Thron und blickte ihm entspannt entgegen. Nandas passierte dutzende Kriegerinnen, die ihn neugierig musterten, und kniete nieder, sobald er dem Thron nah genug gekommen war. Endlich konnte er seine Last ablegen! Behutsam bettete er den Fremden auf dem schwarz-grau-weiß marmorierten Gesteinsboden nieder. Nandas hielt den Kopf gesenkt, während er nun seinen Korb vom Rücken nahm, ihn öffnete, um die Caraja-Jasmin zu präsentieren, und zu Füßen seiner Königin darzubieten.
„Nandas“, sagte Yasiri nach einem Moment des Schweigens. „Wie ich sehe, hast du die Aufgabe, für die du erwählt wurdest, weil niemand dein Gespür besitzt, wenn es um Finden diese Pflanzen geht, auch dieses Jahr erfüllen können. Die Pflanzen sind gesund und blühen ebenso kraftvoll wie wunderschön. Sie werden für ein weiteres Jahr meine Macht garantieren, zum Wohl aller Bewohner von Laurn.“
Nandas erhaschte aus den Augenwinkeln, wie Yasiri einer ihrer Kriegerinnen einen Wink gab. Diese trat vor und nahm den Korb an sich. Die Blumen mussten schnellstmöglich an ihren angestammten Platz in einem Heiligtum im Herzen des Palastes eingepflanzt werden. Ein permanenter Kältezauber würde dafür sorgen, dass sie gesund und stark blieben und die Magie der Königin verstärkten.
„Was hat es nun mit diesem Menschen auf sich? Du hast Kapitänin Carys etwas von einem heiligen Eid erzählt. Ich möchte alles darüber erfahren.“
Was ausschließlich deshalb notwendig war, weil Yasiris magische Sinne nicht auf die andere Seite in die Welt der Menschen reichten. Es gab sonst wenig, was man vor ihr geheimhalten konnte. Das war die Natur ihrer Magie: wissen, beschützen, bewahren.
Mit leiser Stimme berichtete Nandas, wie er die Flucht des Mannes beobachtete, Schuld auf sich lud und darum gezwungen gewesen war, den heiligen Eid zu schwören. Die Kriegerinnen um sie herum begannen untereinander zu flüstern. Es klang schockiert.
„Ich verstehe, warum du es getan hast, Nandas“, sagte Yasiri am Ende. Auch sie klang erschüttert. „Mit diesem Eid hast du dich selbst verflucht, was du, wie ich glaube, mittlerweile auch erkannt hast. Durch die magische Heilung hast du vorerst verhindert, dass er stirbt. Sag mir bitte noch einmal Wort für Wort, was du diesem Menschen geschworen hast.“
„Mojandos weiß, ich habe mich an dir schuldig gemacht. Ich werde an deiner Seite ausharren, bis du es durch den großen Schleier geschafft hast.“