Vorwort
1 Der Lernbereich Sprachen
1.1 Die sprachlichen Lernfelder
1.2 Kompetenzbezug als didaktische Grundorientierung
1.3 Fünf Prinzipien des Sprachunterrichts
Prinzip Kompetenzentwicklung
Prinzip Situationsbezug
Prinzip Sozialbezug
Prinzip Bedeutsamkeit der Inhalte
Prinzip Sprachbewusstheit
1.4 Die Besonderheiten der Sprachfelder
Deutsch
Deutsch als Zweitsprache
Fremdsprache
Begegnungssprache
Herkunftssprache
2 Das Fach Deutsch: Entwicklungen zu einer Didaktik des sprachlichen Handelns
2.1 Die Situation ist widersprüchlich bis diffus
2.2 Muttersprachliche Bildung in den 50er und 60er Jahren
2.3 Der erste didaktische Umbruch: Die „kommunikative Wende“
„Fünf Finger sind eine Faust“ – kritische Didaktik
„Streit um das Fernsehprogramm“ – Didaktik der sprachlichen Kommunikation
„Der liebe Wolf und die bösen Geißlein“ – Kreativitätsförderung
2.4 Der zweite didaktische Umbruch:Subjektivismus und Konstruktivismus
Von „kindorientiert“ zu „kindgeleitet“ – Subjektivismus
„Von der Instruktion zur Konstruktion“ – Konstruktivismus
2.5 Heute: Didaktik des sprachlichen Handelns
Fünf Prinzipien
Vier Kompetenzbereiche
3 Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören
3.1 „Das Hauptgewicht sollte auf die gesprochene und gehörte Sprache gelegt werden.“
3.2 Alltagskommunikation – Metakommunikation – Projekte
Subjektivismus: Kindergespräche und demokratisches Sprechen
3.3 Aktuelle Akzente
Humane Gesprächskultur
Demokratisches Sprechen
Gesprächsregeln
Verstehend zuhören
Erzählen
Referieren/Präsentieren
Diskutieren
Szenisches Spielen
Sprechübung
3.4 Sprechen und Zuhören – heute
Leitidee
Lernumgebung
Kompetenzen
4 Kompetenzbereich Schreiben –mit Rechtschreiben und Handschrift
4.1 Was unterscheidet das Schreiben vom Sprechen?
4.2 Rückblick: Zweckgebundes Schreiben,sprachliche Intentionen, Schreibprozess
Subjektivismus: Gegen Formalismen und für freies Schreiben
Ergänzungen: Prozesse personalen und kreativen Schreibens
4.3 Aktuelle Akzente
Schreibentwicklung im Grundschulalter
Schreibbegründungen
Schreibsituationen
Schreibprozess
Prozessförderliche Institutionen in der Klasse
Kreatives Schreiben
4.4 Rechtschreiblernen
Rechtschreiben und das Schreiben eigener Texte
Kindgeleiteter Rechtschreibunterricht
Integrierter Rechtschreibunterricht
Tragfähige Grundlagen am Ende der Grundschulzeit
4.5 Handschrift: Schrift und Schreiben
Von normierten Ausgangsschriften zur handgeschriebenen Druckschrift
Grundschrift als Ausgangs- und Entwicklungsschrift
Phasen der Schriftentwicklung
4.6 Schreiben, Rechtschreiben und Handschrift – heute
Leitidee
Lernumgebung
Kompetenzen
5 Kompetenzbereich Lesen –mit Texten und Medien umgehen
5.1 Lesekompetenz hat eine Schlüsselfunktion
5.2 Rückblick: Erfahrungsbezug, weiter Literaturbegriff, kritisches Lesen
Subjektivismus: Gegen verordnetes Lesen und Interpretieren
Konstruktivismus: Leserorientierter Literaturunterricht
5.3 Aktuelle Akzente
Was ist Lesekompetenz?
Begründungen für das Lesen und den Umgang mit Medien
Lesekultur und Leseförderung
Leseerwartungen und Lesemodi
Handelnder Umgang mit Texten
Diskursive Methoden
Zur Textauswahl
Kinderliteratur
Ganzschriften/Langtexte
Sachtexte
Integrierte Medienerziehung
Präferenz von Schrift und Literatur
5.4 Lesen / mit Texten und Medien umgehen – heute
Leitidee
Lernumgebung
Kompetenzen
6 Kompetenzbereich Sprache und Sprachgebrauch untersuchen
6.1 „Fleißig ist ein Tuwort, denn da tut man ja was.“
6.2 Rückblick: Situationsorientierung, experimentelles Untersuchen, Integration und Kurs
6.3 Aktuelle Akzente
Metakommunikation und Metasprache
Andere Sprachen und Sprachvergleiche
Grammatik und operatives Untersuchen
Spielen mit Sprache
Enge und weite Wortfelder
Wortbildungen und Wortarten
Satzbildungen und Satzglieder
6.4 Sprache und Sprachgebrauch untersuchen – heute
Leitidee
Lernumgebung
Kompetenzen
7 Anfangsunterricht Deutsch
Zusammenspiel der Kompetenzbereiche von Anfang an
Lernfelder beim Weg in die Schrift
Schriftspracherwerb mit oder ohne Fibel
Ein möglicher Anfang
Das Werkzeug „Schreibtabelle“
Schreibbegründung und Schreibsituationen
Entwicklung des orthografischen Schreibens
Ausgangsschrift
8 Aktuelle Einzelfragen
8.1 Zur Inhaltlichkeit des Deutschunterrichts
Fachbezogene Inhalte
Überfachliche Inhalte: Lebensweltbezug
Planung mit dem Schlüsselwort „Lebenswelt“
Lebensweltbereich: kulturelle Tradition und Praxis – Thema der Unterrichtseinheit: Märchen
Unterrichtsreflexion
8.2 „Gute Aufgaben“
Kompetenzstufen und Anforderungsbereiche
Fünf Prinzipien des Deutschunterrichts und gute Aufgaben
8.3 Fördern
Kompetenzbezogener Förderunterricht
Kritische Stellen im Lernprozess
8.4 Leistungsbeurteilung
Die „Output-Steuerung“ des Bildungswesens
Klassenarbeiten
Pädagogische Leistungskultur
8.5 Inklusiver Deutschunterricht
Inklusive Didaktik – eine neue Aufgabe?
Die „Baustellen“ für die Realisierung inklusiver Deutschdidaktik
Literatur
Dieses Buch trägt den Titel „Sprachunterricht heute“. Das mag irritieren, geht es doch in der Hauptsache um den Deutschunterricht. Und doch stimmt der Titel, weil hier auch das Sprachprinzip in allen Fächern der Grundschule mit gemeint ist – in aktueller Terminologie: sprachsensibler Unterricht. Zudem verstehe ich den Deutschunterricht als ein Lernfeld im Lernbereich Sprachen, zu dem auch Fremd- und Herkunftssprachen gehören. Das soll zumindest am Anfang kurz geklärt werden.
Ansonsten ist der Schwerpunkt die Deutschdidaktik, und die hat es wahrlich in sich. In den letzten fünfzig Jahren hat sie sich mehrfach gewandelt – bisherige Konzepte wurden über den Haufen geworfen, neue Konzepte traten an die Stelle: Statt Dichterverehrung – kritisches Lesen, statt Aufsatzunterricht – freies Schreiben …
Auch gegenwärtig gibt es die Tendenz zu didaktischen Wenden, wie in den letzten Jahren mit der Output-Orientierung, der Verbreitung silbenbasierter Lese- und Rechtschreibkonzepte, der Debatte um den lautorientierten Einstieg in die Schriftsprache.
Ist alles Neue per se richtig und alles Bisherige per se falsch oder ist es andersherum? Nein, Einseitigkeiten und Verabsolutierung des einen wie des anderen sind nicht Kennzeichen professioneller Lehrerarbeit. Neue Ansätze und Konzepte müssen auf ihre Tauglichkeit für ein stimmiges Gesamtkonzept bedacht werden. Dabei ist das Bewusstsein für Zusammenhänge so wichtig wie der kritische Umgang mit der didaktischen Schatzkiste, die sich in der Sprachdidaktik in über hundert Jahren reichlich gefüllt hat.
Zu solchem professionellen Denken und Handeln soll dieses Buch beitragen. Es greift auf Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zurück und diskutiert sie zusammen mit aktuellen Ansätzen, schulpolitischen Vorgaben und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Dabei geht es um ein stimmiges Gesamtkonzept, bei dem Traditionelles wie Aktuelles gewichtet, übernommen, revidiert oder ausgeschieden wird.
„Sprachunterricht heute“ ist von der ersten Auflage 1987 an rasch ein Standardwerk im Lehramt Grundschule und Förderschule geworden. Ich hoffe, es kann auch in dieser wiederum aktualisierten Fassung zur didaktischen Orientierung und zur professionellen Arbeit beitragen.
Horst Bartnitzky
Sprachunterricht war früher identisch mit Deutschunterricht. Mit dem Begriff „Sprachunterricht“ wurde ein Bedeutungszusammenhang zum Begriff der „Sprachgemeinschaft“ geschaffen, die sich durch die eine gemeinsame Sprache definiert: die Muttersprache, hierzulande eben Deutsch als muttersprachlicher Unterricht. Sprachunterricht heute muss dagegen den Blick auf verschiedene Sprachen weiten, die in unserer Gesellschaft und im Leben der Schulkinder eine Rolle spielen.
Englisch ist als internationale Verständigungssprache in der globalisierten Welt eine Lingua franca. Hierzulande ist sie in den meisten Bundesländern bereits in der Grundschule die erste Fremdsprache, tendenziell schon ab Klasse 1. In einigen Bundesländern ist aus regionalen bzw. historischen Gründen eine andere Sprache die erste Fremdsprache, wie etwa im Saarland Französisch. Hinzu kommen Herkunftssprachen von Kindern, die selbst, ihre Eltern oder Großeltern aus nicht deutschsprachigen Ländern stammen. Die Fähigkeiten in diesen Sprachen zu fördern, kann für diese Kinder biografisch wichtig sein. Für die Gesellschaft ist es bedeutungsvoll, vermehren diese Sprachen doch die in der Gesellschaft vorhandenen sprachlichen Ressourcen.
Ein besonderes Arbeitsfeld ist Deutsch als Zweitsprache für Kinder, die nicht mit Deutsch als Familiensprache aufwachsen. Dabei wurde in den letzten Jahren deutlich, dass für Bildungserfolg nicht die Fähigkeit zu alltäglicher Kommunikation ausreicht. Vielmehr muss Deutsch auch auf der Ebene der Bildungssprache vermittelt werden, die erst das Verstehen fachlicher und literarischer Texte, den Umgang mit formaler und abstrahierender Sprache möglich macht. Auch wurde eine Einsicht der 60er Jahre wieder aktualisiert, dass viele Kinder aus bildungsferneren Milieus, eben auch Kinder aus Deutsch sprechenden Familien, über Bildungssprache (damals hieß das „elaborierter Sprachcode“) wenig oder gar nicht verfügen. Auch sie sind zur Wahrung ihrer Bildungschancen auf den Erwerb der Bildungssprache angewiesen.
Alle Kinder begegnen in ihrer Lebens- und Erfahrungswelt anderen Sprachen als der deutschen Standardsprache: durch Kinder mit anderen Herkunftssprachen in der Klasse, durch die Sprache der Nachbarn im grenznahen Raum, bei Sprachbegegnungen im Urlaub, durch Lieder und Schriftzüge im Ortsbild, durch Dialekte. Das sind Begegnungssprachen.
Lernbereich Sprache |
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Deutsch einschließlich Deutsch als Bildungssprache / Deutsch als Zweitsprache |
nichtdeutsche Herkunftssprachen |
internationale Verständigungssprache, z. B. Englisch als Weltsprache, die Sprache der Nachbarn im grenznahen Bereich |
Begegnung mit Sprachen als Fenster zwischen Sprachen, denen Kinder in der Lebenswelt begegnen |
Kurz: Sprachunterricht heute ist ein Lernbereich, der die verschiedenen, oben aufgezeigten Sprachfelder zusammenfasst. Sprachlicher Grundschulunterricht ist mithin mehrsprachiger Unterricht.
Allerdings liegt das Hauptgewicht auf dem Deutschunterricht und, damit verbunden, auf dem Aspekt der Bildungssprache, denn Deutsch als Landessprache ist die tragende Arbeits- und Gesellschaftssprache. Von ihren deutschsprachigen Kompetenzen hängt für alle Kinder erfolgreiches, weiterführendes Lernen ab; sie ermöglichen die Teilhabe am integrierten gesellschaftlichen und kulturellen Leben.
Jeder moderne Sprachunterricht ist kompetenzbezogener Unterricht. Seitdem die Kultusministerkonferenz bundesweite Bildungsstandards, z. B. im Fach Deutsch, für den Primarbereich verbindlich machte und dabei den Kompetenzbezug zugrunde legte, gilt dies auch amtlich (KMK 2005). Didaktisch ist der kompetenzbezogene Sprachunterricht längst verankert. Das drückt sich etwa im Begriff der „Didaktik des sprachlichen Handelns“ aus und wird für die Deutsch-Didaktik später noch zu belegen sein.
Der gegenwärtige Gebrauch des Kompetenzbegriffs ist durchaus schillernd. In der aktuellen Bildungsforschung, hier besonders deutlich in den didaktischen Festlegungen der internationalen und nationalen Leistungsuntersuchungen wie PISA, IGLU oder VERA, wird ein Kompetenzbegriff benutzt, der sich auf „Erträge des schulischen Unterrichts“ bezieht. Diese Formulierung stammt von Franz Weinert, dessen Definition häufig von Bildungsforschern bestätigend zitiert wird:
Dabei versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen [= gewollten] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. (Weinert 2001, 27 f.)
Grundschuldidaktischer Konsens ist heute, dass Kinder an erlebbar sinnvollen Aufgaben eigenaktiv arbeiten. Lerntheoretischer Hintergrund ist der gemäßigte Konstruktivismus: „Wir verstehen heute Lernen nicht mehr als passiven Prozess des Aufnehmens von Information, sondern als aktiven Prozess der Konstruktion von Erkenntnissen und Vorstellungen.“ (Speck-Hamdan in: Bartnitzky u. a. 2009, 175) Bildungstheoretischer Hintergrund ist die „Erziehung zur Selbstständigkeit“ und die damit verbundene „selbstmotivierende, konstruktive und tätige Rolle des Lernenden“ (Jürgens 2008, 69).
Bei einem solchen Unterrichtsverständnis kommen Kompetenzen aber nicht erst als „Erträge des Unterrichts“ zum Tragen. Sie sind nicht nur Unterrichtsergebnisse, sondern Ausgangspunkt von Unterricht und prozessbestimmendes Merkmal. Kinder besitzen zu jeder Schulzeit bereits Kompetenzen, die durch motivierende Lernarrangements, Lernumgebungen und Aufgaben aktiviert werden können. Während der Lernarbeit entwickeln die Kinder ihre Kompetenzen weiter: Sie werden bestätigt, erweitert, ergänzt, neu strukturiert. Dies zeigt sich in den Arbeitsprozessen der Kinder ebenso wie in ihren Ergebnissen. Als Beispiel möge ein schreibanregender Unterricht dienen, in dem die Kinder Texte planen, entwerfen, sich über ihre Texte miteinander beraten und sie für eine Veröffentlichung überarbeiten. Schreibkompetenzen zeigen und entwickeln die Kinder hier über alle Phasen des Unterrichts.
Legt man ein Verständnis von Kompetenz als Ergebnis des Lernens zugrunde, dann mag der Unterricht einzelne Lernziele verfolgen, die sich am Ende als „Ertrag“ zur Kompetenz fügen mögen. Entsprechend wurde bei der Kommentierung der PISA-Studie formuliert: In den ersten Schuljahren seien die Techniken des Lesens und des Schreibens zu vermitteln, in der Sekundarstufe entwickele sich daraus die Lese- und Schreibkompetenz (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, 76).
Geht man dagegen von einem Verständnis von Kompetenzen als durchgehende didaktische Orientierung aus, dann werden Kinder von Anfang an zu eigenaktiver Arbeit angestiftet. Entsprechend werden die Kinder beim Schriftspracherwerb von Beginn an zum eigenen Verschriften angeregt und damit in ihrer Schreibkompetenz gefördert.
Im fremdsprachlichen Unterricht würden im ersten Verständnis in den Anfangsjahren vor allem Vokabeln und Redestrukturen eingeübt, um sie später in lebensnahen Situationen zu verwenden. Im zweiten Verständnis dagegen werden von Anfang an auch, durch Bildimpulse gestützt, Geschichten erzählt, die Verstehensstrategien der Kinder herausfordern, auch wenn sie nicht jedes Wort und jede Wendung verstehen (Methode des Storytelling); und es werden handlungsorientierte Lernaufgaben gestellt, bei denen die Verständigung, nicht die Sprachrichtigkeit im Vordergrund steht (Task-based learning).
Das von Weinert in seiner Definition geforderte Zusammenspiel der Fähigkeiten, Fertigkeiten, Motivationen, sozialen Handlungsweisen und des verantwortlichen Handelns gilt dann nicht nur für das Ergebnis, die „Erträge“, sondern von Anfang an.
Kompetentes Handeln bedeutet also vom ersten Schultag an: Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kenntnisse und Strategien, Einstellungen und Verantwortlichkeiten aktivieren, die zur sachgerechten und verantwortlichen Lösung einer komplexen, lebenspraktischen Aufgabe nötig sind. Kompetenzen sind die Dispositionen, die solcherart kompetentes Handeln möglich machen machen. Kompetenzentwicklung heißt dann: Die vorhandenen Kompetenzen durch sinnstiftende Aufgaben aktivieren und erweitern. |
Noch einmal das Beispiel des Anfangsunterrichts in Deutsch: Das Schreibenwollen, das Durchlautieren der Wörter, die Segmentierung von Lauten, die Zuordnung zu Buchstaben, die Schreibmotorik, die Blattgestaltung für ein gemeinsames Buch, das Anschauen und Lesen der Arbeiten anderer Kinder – all dies zeichnet diese Arbeit für Schreibanfänger als hochkomplexe Anforderung aus, die als sinnhaft erfahren werden kann. Schreibkompetenz zeigt sich hier individuell bereits in der Nussschale.
Im Fremdsprachenunterricht wird diese Komplexität z. B. bei der Gestaltung eines eigenen Bilderbuchs, bei der Inszenierung eines Raps, bei einem Darstellungsprojekt, wie z. B. einer Modenschau, deutlich.
Legen wir den umfassenden Kompetenzbegriff für alle Sprachfelder des Lernbereichs Sprache zugrunde, dann vereinen ihn fünf gemeinsame Prinzipien:
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Alle Kinder besitzen bereits Sprachkompetenzen, also Fähigkeiten und Erfahrungen, wenn sie in die Schule kommen: in mündlicher Verständigung, in Bezug auf Sprachstrukturen und Sprechstrategien, in der Deutung nicht sprachlicher Verständigung, in der Mediennutzung, oft schon im Zugang zur Schriftsprache, immer in Bezug auf eine, bisweilen auch im Umgang mit mehreren Sprachen. Die individuell vorhandenen Kompetenzen müssen wahrgenommen und herausgefordert werden. Indem die Kinder auch in neuen Situationen Sprache verwenden, entwickeln sie ihre bisherigen Fähigkeiten weiter und bauen sie aus. Wenn Kinder dagegen zunächst als Tabula rasa betrachtet werden, dann verringert sich die Chance, dass sie ihre schon vorhandenen Kräfte aktivieren, anspannen und an eigenaktiver Arbeit wachsen können.
Sprachliches Handeln bedarf der herausfordernden Situationen. Sie müssen so gewählt sein, dass sie für die Kinder funktional sind, also den Sinn stiften, sprachlich authentisch zu agieren. Wenn Kinder in einem vorgeblich modernen Unterricht nur Arbeitshefte ausfüllen, Karteikarten abarbeiten, vom Buch ins Heft ohne Bezug zu herausfordernden Situationen arbeiten, dann ist dies ebenso hinderlich wie ein rein frontal geführter Abfrageunterricht alter Prägung fernab von lebensvollen Situationen.
Sozialbezüge stellen anregende und akzeptierende Geselligkeit her, bieten Vorbilder und Muster für elaboriertes Sprechen, für Lesen und Schreiben als lebenswichtige Tätigkeiten, für Wortschatz und Syntax. Ein kardinaler didaktischer „Kunstfehler“ dieser Jahre ist die Vereinzelung der Kinder, um vermeintlich dem Gebot der Individualisierung zu entsprechen. Kindern werden dadurch wichtige Lernchancen genommen.
Bedeutsam können Inhalte sein, die von den Kindern subjektiv als wichtig erfahren werden, aber auch Inhalte, die objektiv für Gegenwart und Zukunft bedeutsam sind, wie Schlüsselthemen und die Teilhabe an der kulturellen Welt. Hier besteht die didaktische Kunst gerade darin, sie auch für die Kinder subjektiv als wichtig erfahrbar zu machen.
Im Einzelnen sind dies:
Die gegenwärtige Bildungsforschung sowie die Bildungsstandards sind in ihrem Kompetenzverständnis weitgehend inhaltlich unbestimmt. Das kann zu dem Verständnis führen, dass Inhalte und Themen des Unterrichts beliebig seien. Damit würde die Schule wichtige anthropogene wie gesellschaftliche Aufträge aufgeben: neben der Arbeit an persönlichen Interessenschwerpunkten auch die Mitgestaltung und Mitverantwortung bei der eigenen Lebensführung sowie bei wichtigen Themen der Gegenwart, wie Streit und Regelung, selbstbestimmender Umgang mit Medien oder Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen. Ebenso würde der Auftrag aufgegeben, kulturelles Erbe an die nächste Generation zu vermitteln, also z. B. literarische Textsorten (etwa Gedichte, Schalkgeschichten, Märchen), Kinderbuchklassiker oder Beispieltexte kulturell bedeutender Autorinnen und Autoren.
Gemeinsame Verständigung über Sprachgebrauch und Sprache, Klärung sprachbezogener Probleme erfordern Nachdenken über Sprache und die Entwicklung eines fachsprachlichen Repertoires. Damit wird auch eine Voraussetzung für einen souveränen und eigenverantwortlichen Umgang mit Sprache geschaffen.
Neben den Gemeinsamkeiten haben die verschiedenen Sprachfelder auch ihre spezifischen Aufgaben und didaktischen Konzepte.
Die deutsche Sprache wird zumeist vor- und außerschulisch unangeleitet, also implizit erworben. Auch die Schule schafft Situationen für nicht angeleitetes Sprachlernen und Sprachverwenden, z. B. bei Gesprächen der Kinder untereinander, beim freien Lesen und Schreiben, durch eine lernwirksame Lernumgebung. Daneben arrangiert der Deutschunterricht angeleitete, explizite Lernprozesse durch Erarbeitungen und Aufgaben, durch Übungen und Lerngespräche.
Neben der Förderung alltagskommunikativer Kompetenzen beginnt in der Grundschule die Entwicklung bildungssprachlicher Fähigkeiten, die für den weiteren Bildungsgang unentbehrlich sind: Die Kinder werden befähigt, auch komplexere sprachliche Strukturen und Muster auf Wort-, Satz- und Textebene rezeptiv zu verstehen und aktiv zu verwenden; Sprache wird als Instrument des Denkens bewusst in Gebrauch genommen. Dies ist Aufgabe des Deutschunterrichts, aber auch Auftrag der anderen Lernbereiche.
Kinder, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, haben bereits eine sprachliche Entwicklung in ihrer jeweiligen Familiensprache als Muttersprache. Deutsch tritt als Arbeits- und Zielsprache hinzu. Auf der Basis der Alltagskommunikation müssen auch hier bildungssprachliche Fähigkeiten entwickelt werden.
Das implizite Sprachlernen in deutschsprachiger Lernumgebung wird ergänzt durch angeleitetes, also explizites Sprachlernen. Die Besonderheiten der deutschen Sprache müssen dabei vor allem in den Blick genommen werden. Auch hier gilt, dass dies ein Auftrag für alle Lernbereiche ist.
Rückgriffe auf die Familiensprache sind, soweit dies möglich ist, besonders hilfreich.
Guadatiello, Angela / Speck-Hamdan, Angelika (2013): Bildungssprache – Deutsch als Zweitsprache fördern. Heft 3 in: Bartnitzky, Horst u. a. 2013): Individuell fördern – Kompetenzen stärken ab Klasse 3. Grundschulverband: Frankfurt a. M.
Beide Veröffentlichungen orientieren über Besonderheiten und Schwierigkeiten der deutschen Sprache für Kinder nicht deutscher Herkunft. Mit unterrichtspraktischen Beispielen zeigen die Autorinnen Möglichkeiten auf, wie beim Sprachlernen und -verwenden diese Schwierigkeiten als „kritische Stellen“ im Lernprozess bewältigt werden können. Das Buch von Hoffmann/Weis legt dabei einen Schwerpunkt auf generatives Sprechen und Schreiben, das Heft von Guadatiello/Speck-Hamdan auf integrative Förderideen.
Hoffman, Reinhild / Weis, Ingrid (2015): Deutsch als Zweitsprache – alle Kinder lernen Deutsch. Cornelsen Scriptor: Berlin.
Rösch, Heidi (2009): Deutsch als Zweitsprache. In: Bartnitzky, Horst / Brügelmann, Hans u. a. (Hrsg.): Kursbuch Grundschule. Grundschulverband: Frankfurt am Main, S. 476–496.
In diesem Kompendium wird ein Überblick über Problemlage, didaktische Grundsätze und methodische Verfahren von Deutsch als Zweitsprache gegeben.
Viele Hinweise und Hilfen finden sich im Internet unter dem Suchbegriff: Deutsch als Zweitsprache Grundschule.
Einen Arbeitsschwerpunkt in Deutsch als Zweitsprache haben die RAAs, die Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern aus Zuwandererfamilien. Sie wurden z. T., so in Nordrhein-Westfalen, inzwischen umbenannt in Kommunale Integrationszentren. Diese Einrichtungen haben seit den 1980er Jahren vielfältiges Material erarbeitet, das bestellt werden kann oder im Internet zur Verfügung steht. Besteht eine solche Einrichtung am Ort, ist ein direkter Kontakt zweckmäßig.
Die erste Fremdsprache ist im Unterschied zur Mutter- bzw. Familiensprache in der Regel keine praktizierte Sprache in der Lebenswelt der Kinder. Unangeleitete Sprachlernsituationen entfallen zumeist. Die Fremdsprache wird vorwiegend angeleitet in der schulischen Situation verwendet. Der Fremdsprachenunterricht bietet dabei neue Lernchancen: Er ist Modell für bewusstes Sprachenlernen, für den Erwerb fachbezogener Lern- und Arbeitstechniken, die für den Fremdsprachenunterricht spezifisch sind, z. B. das Erlernen von Strategien zur Texterschließung, zur Verständigung, auch für den Fall, dass man nicht alle Wörter und Strukturen versteht, und für Lerntechniken zum Einprägen und Anwenden von Lexik und Strukturen.
Grau, Maike / Legutke, Michael K. (Hrsg.) (2008): Fremdsprachen in der Grundschule. Auf dem Weg zu einer neuen Lern- und Leistungskultur. Grundschulverband: Frankfurt a. M.
Grundschulgemäße Prinzipien des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen werden beschrieben und mit Praxisbeispielen, insbesondere zum Englischunterricht, konkretisiert. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Ermittlung von Lernentwicklungen und Lernständen der Kinder. Verschiedene Möglichkeiten werden dazu vorgestellt: gezielte Beobachtungen, Portfolios, Einschätzung durch die Kinder.
Legutke, Michael u. a. (2009): Fremdsprachenunterricht. In: Bartnitzky, Horst / Brügelmann, Hans u. a. (Hrsg.): Kursbuch Grundschule. Grundschulverband: Frankfurt am Main, 489–525.
In dem Kompendium wird mit dem Schwerpunkt Englischunterricht ein Überblick über Ziele, Konzepte, Inhalte und methodische Verfahren des „frühen Fremdsprachenunterrichts“ gegeben.
Mindt, Dieter / Schlüter, Norbert (2007): Ergebnisorientierter Englischunterricht. Cornelsen Scriptor: Berlin.
Der Band argumentiert von der Anschlussfähigkeit des Grundschul-Englisch für den nachfolgenden Unterricht her. Entsprechend werden Sprachlernziele formuliert und Themen vorgeschlagen, ein Mindestwortschatz, grundlegende grammatische Strukturen, Redemittel und Sprachstrukturen für die Klassen 3 und 4 aufgezeigt. Prinzipien eines grundschulgemäßen Englischunterrichts werden vorgestellt. Ausführlichere Praxisbeispiele findet man allerdings nicht.
Mit dem Suchbegriff: Englisch in der Grundschule lassen sich viele Hinweise und Anregungen von Verlagen und Kultusministerien finden.
Anders als in den bisherigen Sprachfeldern ist hier nicht die aufbauende Förderung spezifischer, kommunikativer Fähigkeiten in einer bestimmten Sprache das Ziel. Vielmehr werden Erfahrungen mit Sprachen, die Kindern in der Lebenswelt begegnen, einbezogen; die Lust der Kinder, mit Klängen, Wörtern und Strukturen verschiedener Sprachen umzugehen, wird gestärkt. Praxisbeispiele sind die Begrüßung in mehreren Sprachen, Lieder und Verse, Zahlen und Redensweisen, Dialoge und Geschichten, Drucksachen und Bilderbücher. Welche Sprache wann und wie einbezogen wird, ist situativ bedingt.
Wie beim Fach Deutsch werden unangeleiteter und angeleiteter Unterricht kombiniert. Alle didaktischen Konzepte und Methoden des Deutschunterrichts gelten auch hier. Anders ist, dass es sich bei den Herkunftssprachen um ein fakultatives Sprachfeld handelt. Beide Fächer – Deutsch und Herkunftssprache – gewinnen Lernchancen, wenn das Sprachlernen miteinander koordiniert werden kann.
Spezielle fachdidaktische Literatur ist außer in einzelnen Aufsätzen nicht zu finden. Es gibt unterrichtspraktisch anregende, aktuelle Lehrpläne, z. B. aus Hamburg. Es gibt aktuelle Lehrpläne, die eine Didaktik des herkunftsprachlichen Unterrichts formulieren, sowie unterrichtspraktische Anregungen geben, z. B. die Bildungspläne aus Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen. Suchbegriff ist: herkunftsprachlicher Unterricht + das jeweilige Land.