Über dieses Buch:

Im Wald liegt eine Leiche. Nackt, weiblich und bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Schädel ist zertrümmert, Teile des Kiefers fehlen und Tiere haben bereits begonnen, sich über den Körper herzumachen. Es gibt keine Möglichkeit, die Identität des Opfers festzustellen. Oder etwa doch?

Um herauszufinden, was hinter so einem grausamen Verbrechen steckt, verwandeln sich in den Laboren der Gerichtsmedizin selbst die kleinsten Hinweise in entscheidende Spuren. Begeben Sie sich mit den Pathologen auf die Suche und ergründen Sie die Geheimnisse der forensischen Arbeit!

Lassen Sie sich überraschen: Die Realität ist faszinierender als jeder Krimi – und härter als jeder Thriller!

Über den Autor:

Dr. Dr. Herbert W. Rhein, geboren 1938 in Wedel, trat nach einer Ausbildung zum Feinmechaniker in die Bundeswehr ein. Dort diente er 30 Jahre als Luftwaffenoffizier und arbeitete unter anderem als Lehrer und Vertreter des Verteidigungsministers in den USA. Neben seiner Tätigkeit als Soldat studierte er Chinesisch, Arabisch und das Schreiben. Nachdem er aus dem aktiven Dienst als Oberstleutnant ausschied, widmete er sich ganz seiner Tätigkeit als Autor. Dabei faszinierte ihn vor allem die Forensik – ein Themengebiet, in dem er durch intensive Studien zum ausgewiesenen Experten wurde.

Heute wohnt der Autor in Oldenburg an der Ostsee.

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Neuausgabe Mai 2015

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de

Titelbildabbildung: © Thinkstockphoto/Hemera

ISBN 978-3-95824-228-9

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Herbert Rhein

Todesart: Nicht natürlich.
Mit Mikroskop und Skalpell auf Verbrecherjagd


dotbooks.

Einführung
Sherlock Holmes’ Erben

Es ist erst hundert Jahre her, dass Sir Arthur Conan Doyles’ Romanheld Sherlock Holmes zur Kultfigur der technischen und wissenschaftlichen Aufklärung von Verbrechen wurde. Sein Markenzeichen – das Vergrößerungsglas – hat mittlerweile ausgedient, aber die ihm zugrunde liegende Methode ist geblieben. Heute werden die Verbrecher mit den modernsten technischen Hilfsmitteln gejagt und durch wissenschaftliche Erkenntnisse überführt. Die Lupen der Neuzeit sind hochmoderne elektronische Raster-, Interferenz- und Laserscan-Mikroskope. Mit millionenfachen Vergrößerungen und präzisen Abbildungsverfahren können sie selbst die winzigsten Spuren eines Verbrechens sichtbar machen.

Die Holmes von heute sind Wissenschaftler, genauer gesagt, forensische Wissenschaftler, die diese sichtbar gemachten Spuren interpretieren und zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen. Ihr Arbeitsbereich ist der Tatort, an dem sie die Spuren sammeln, ebenso wie das Labor, in dem sie ihre Funde auswerten.

Dank der neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Medizin, insbesondere der Genforschung, aber auch in den Bereichen der Mikrobiologie, Toxikologie, Anthropologie, Ethnologie, Psychologie, Graphologie, Entomologie sowie in vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen, können heute Verbrechen aufgeklärt werden, die noch vor wenigen Jahren als unlösbar galten. Fliegen, Ameisen, Maden und Wespen können Täter seitdem genauso überführen, wie der Nachweis von Drogen im Haar oder die DNA eines Lippenabdruckes auf einem Zahnputzglas.

Mit den modernsten Methoden und Geräten finden Wissenschaftler heute selbst bei lange zurückliegenden Fällen noch beweisfähige Spuren. Manch ein Verbrecher landete daraufhin für eine Tat, die er längst verdrängt hatte, unvermutet auf der Anklagebank.

Mit ihrer Arbeit leisten die forensischen Wissenschaftler auch entscheidende Beiträge für die Aufdeckung von Justizirrtümern. Unschuldige werden dadurch rehabilitiert und erlangen ihre Freiheit wieder.

Dieses Buch berichtet von der Arbeit und dem Können eben dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, aber auch von all jenen Beamtinnen und Beamten, die Verbrecher mit den Methoden der klassischen Kriminalistik aufspüren. Anhand von besonders interessanten Fällen wird gezeigt, mit welchen spektakulären Vorgehensweisen einige Verbrecher in den letzten Jahren überführt werden konnten.

Um die Opfer sowie ihre Angehörigen zu schützen und um zu verhindern, dass sie das vergangene Schicksal noch einmal durchleben müssen, wurden die Namen der handelnden Personen und der jeweiligen Handlungsorte geändert. Die Leistungen der forensischen Wissenschaftler bleiben davon jedoch unberührt.

Kapitel 1
Mit Ameisen, Maden und Fliegen dem Verbrechen auf der Spur

Die kopflose Ameise – Ein Entomologe interpretiert

Am Samstag, den 10. Juli, fuhr Hannelore Schlüter um 7 Uhr von ihrem Haus in Buchholz zu einem nahe gelegenen Forst in der Lüneburger Heide. In Sprötze, einem kleinen Ort, etwa sieben Kilometer von Buchholz entfernt, bog sie von der Bundesstraße 3 auf einen Wirtschaftsweg ab. Seitdem die Blaubeeren reif waren, nutzte sie jeden freien Samstagmorgen zum Pflücken. Anschließend verarbeitete sie die Beeren zu Marmelade und Fruchtwein. Wie so oft, hatte sie auch an diesem Tag Moritz, ihren verspielten dreijährigern Foxterrier, dabei. Frau Schlüter parkte ihren Golf wie immer an einer Einbiegung zu einem Forstweg, der in einen lichten Kiefernwald führte und sich dort nach einigen hundert Metern verlor. Der Waldboden war mit kniehohen Blaubeerbüschen bedeckt.

Ausgerüstet mit einem Eimer und Gummihandschuhen, mit denen sie ihre Hände vor dem stark färbenden Saft der Blaubeeren schützen wollte, stieg sie langsam von Busch zu Busch den Hang hinauf.

Moritz raste, aus der Enge des Wagens befreit, sofort davon. Frau Schlüter hatte, obwohl es verboten war, keine Sorge ihn frei im Wald laufen zu lassen, denn um diese Stunde hatte sie noch nie jemanden in diesem Teil des Waldes angetroffen. Angst, Moritz könne davonlaufen, hatte sie auch nicht. Ihr Hund hielt es nie lange ohne sie aus. Heute jedoch war es anders. Moritz ließ sich eine ganze Weile nicht blicken. Irgendwann hörte Frau Schlüter dann ein zorniges Knurren und Bellen aus der Kiefernschonung, die sich neben dem Wirtschaftsweg am Hang hochzog.

Frau Schlüter rief nach ihrem Hund, doch Moritz ließ sich nicht blicken, was überhaupt nicht seiner Gewohnheit entsprach. Das Gebell aus der Kiefernschonung wurde lediglich lauter und fordernder. Frau Schlüter rief ein zweites und dann sogar noch ein drittes Mal sehr bestimmt nach ihrem Hund. Erst da erschien er am Rand der Schonung. Laut kläffend blieb er stehen, lief ein paar Schritte in die Schonung hinein und kam dann bellend wieder zurück. Nachdem er auf diese Weise dreimal hin- und hergelaufen war, wusste Frau Schlüter, dass er ihr etwas zeigen wollte. Verärgert über dieses ungezogene und untypische Verhalten ihres Hundes, stellte sie ihren Blaubeereimer ab und folgte Moritz in die Schonung. Sie dachte dabei an nichts Schlimmes. Wahrscheinlich hatte Moritz lediglich einen Tierkadaver oder irgendwelchen Unrat entdeckt, auf den er sie nun aufmerksam machen wollte. Umso entsetzter war sie, als sie nach etwa 15 Metern den Körper einer nackten Frau im Unterholz entdeckte. Er war fürchterlich zugerichtet. Bei seinem Anblick musste Frau Schlüter sich sofort übergeben. Ohne zu überlegen, griff sie nach dem Halsband ihres Hundes und zerrte ihn aus der Schonung. Dass sie dabei Gras und Sträucher niedertrampelte und zahlreiche Kiefernzweige abbrach, beachtete sie nicht. Sie hatte nur den Wunsch, diesen Waldbereich so schnell wie möglich zu verlassen.

Welchen Weg sie dabei genommen hatte, konnte sie später nicht mehr mit Sicherheit sagen. Sie erinnerte sich nur daran, dass sie von ihrem Handy aus die Polizei angerufen hatte.

Als nach etwa 15 Minuten zwei Polizisten in einem Streifenwagen neben ihr hielten, stand sie noch immer unter Schock. Ohne sich von dem Stein, auf dem sie saß, zu erheben, wies sie den Beamten den Weg zum Fundort. Sprechen konnte sie dabei kaum.

Eineinhalb Stunden später wimmelte es im Wald nur so von Beamten. Der Fundort war weiträumig abgesperrt worden, und die Staatsanwaltschaft, die Kriminalpolizei und die Rechtsmedizinerin hatten mit ihren Untersuchungen begonnen.

Aus kriminaltechnischer Sicht war der Fundort eine reine Katastrophe. Was immer es an Spuren gegeben haben mochte, war durch das Herumspringen des Hundes und der panischen Flucht seines Frauchens zerstört worden. Trotzdem wurde das Gelände um die Leiche herum Zentimeter für Zentimeter abgesucht. Das Ergebnis war gleich Null. Weder am Boden noch an den Zweigen der jungen Kiefern waren verwertbare Spuren zu entdecken. Zwar stießen die Beamten auf zahlreiche abgerissene Nadeln oder geknickte Zweige, doch diese konnten auch verschiedene Waldtiere oder die in Panik geratene Zeugin hinterlassen haben.

Die Leiche befand sich in einem entsetzlichen Zustand. Der Körper wies zahlreiche Wunden auf. Sie deuteten auf Bissspuren hin, die wahrscheinlich durch Füchse, Ratten oder andere Nagetiere verursacht worden waren. Kopf und Gesicht waren bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Die Schädeldecke war an zwei Stellen zertrümmert. Gehirnmasse war aus dem Kopf gequollen und teilweise von Tieren, Insekten und Maden aufgefressen worden. Das Gesicht war durch mehrere Schläge mit einem harten Gegenstand unkenntlich gemacht worden. Teile des Ober- und Unterkiefers fehlten.

Den ermittelnden Ersten Kriminalhauptkommissar Peter Hähnlein stellte dieser Fall vor zahlreiche Fragen, die ihm die Rechtsmedizinerin Dr. Ursula Rathjens zunächst nur teilweise beantworten konnte.

Genaue Angaben zum Zeitpunkt und zur Ursache des Todes, das wusste Hähnlein, konnten erst nach der Obduktion gemacht werden. Vorerst interessierten ihn daher Dr. Rathjens erste Eindrücke.

Diese fasste ihre Ergebnisse nach der vorläufigen Untersuchung der Leiche am Fundort folgendermaßen zusammen: Mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit war die Tote ermordet worden. Kein Sturz und kein in diesem Waldbereich lebendes Tier hätte ihren Schädel so zurichten können. Der Fundort der Leiche war zudem nicht der Tatort. Die Ermordete hatte nach ihrem Tod zunächst auf der Seite und nicht wie hier auf dem Rücken gelegen. Das Blut hatte sich in der linken Körperseite gesammelt. Da das Herz bei Eintritt des Todes aufhört, Blut durch den Körper zu pumpen, folgt das Blut dem Gesetz der Schwerkraft und sinkt auf die tiefste Stelle des Körpers hinab. Im Falle der Toten war es die linke Seite gewesen.

Dass der Fundort nicht der Tatort sein konnte, war auch Hähnlein schnell klar gewesen. So wie das Gesicht der Toten zugerichtet worden war, hätte die Spurensicherung unzählige Blutspuren finden müssen. Gefunden hatte sie jedoch nichts. Außerdem sprach das dichte Gestrüpp ringsum generell dagegen, dass die Schonung der Tatort sein konnte. Wäre die Frau hier getötet worden, hätte der Täter sie nur mit Gewalt in das feuchte Dickicht schleppen können. Dabei wäre er wohl auf erhebliche Gegenwehr gestoßen, was wiederum deutliche Spuren hinterlassen hätte.

Dr. Rathjens vorläufigen Untersuchungen zufolge waren der Leiche die Wunden erst nach dem Tod beigebracht worden, worauf die geringen Blutspuren an den Wundrändern hinwiesen. Die Verletzungen an der Schädeldecke und im Gesicht waren wahrscheinlich durch Schläge mit einem stumpfen, harten Gegenstand verursacht worden. Auch die Schläge, durch die das Gesicht unkenntlich gemacht worden war, waren erst einige Zeit nach dem Tod des Opfers erfolgt. Als Todesursache würden sich mit neunzigprozentiger Sicherheit ein oder mehrere Schläge auf den Schädel erweisen, bei dem dieser zertrümmert worden war.

Hinsichtlich des Todeszeitpunkts konnte Dr. Rathjens vorerst nur eine vage Vermutung anstellen. Bei der Bestimmung mussten Faktoren wie die Temperatur am Boden der Schonung, die Luftfeuchtigkeit der Umgebung, die allgemeine Wetterlage, die Verwesungsmerkmale und die Insektenpopulation an den Wunden berücksichtigt werden. Grob geschätzt musste die Tote jedoch etwa seit vierzehn Tagen am Fundort gelegen haben.

Ungewöhnlich war, dass der Täter der Toten Teile des Ober- und Unterkiefers entfernt hatte. Wie es aussah, waren sie herausgeschlagen worden. Die Polizei konnte die Leiche somit nicht anhand individueller Gebissmerkmale identifizieren. Aus dem gleichen Grund war Dr. Rathjens Ansicht nach auch das Gesicht zertrümmert worden.

Für Hähnlein waren diese Erkenntnisse insofern interessant, als sie einen Einblick in die Psyche des Täters erlaubten. Hähnlein konnte nun davon ausgehen, dass er nach einem Täter fahnden musste, der intelligent genug war, bei seinem Handeln polizeiliche Identifizierungsmethoden zu berücksichtigten, und zugleich so brutal und skrupellos, dass er sein wahrscheinlich gerade erst getötetes Opfer mühelos verstümmeln konnte.

Während Hähnlein die in einem Mordfall üblichen Ermittlungsschritte einleitete, führte Dr. Rathjens in der Rechtsmedizin die Obduktion der Leiche durch.

Dr. Rathjens war eine erfahrene Pathologin, und obwohl sie ausreichend Routine hatte, ging sie bei all ihren Untersuchungen mit der gleichen akribischen Genauigkeit vor, als bearbeite sie ihren ersten Fall. In ihrem pedantischen Bemühen, auch nicht die geringste Kleinigkeit zu übersehen, brachte sie ihre Assistenten so manches Mal zur Verzweiflung.

Bevor sie mit der eigentlichen Obduktion begann, entfernte Dr. Rathjens alle Fremdkörper von der Leiche. Im Wesentlichen handelte es sich dabei um Kiefernnadeln, Moos, Blattwerk von Blaubeeren und Ameisen. Die Funde wurden gesammelt und von einem Assistenten zur späteren Archivierung nach Art und Fundort eingeteilt und auf einem Diktiergerät festgehalten.

Die Untersuchung der Toten bestätigte, was Dr. Rathjens bei der ersten Begutachtung am Fundort bereits festgestellt hatte. Danach handelte es sich bei der Toten um eine 25- bis 30-jährige Frau, die durch einen Schlag auf die rechte Schädelseite ums Leben gekommen war. Alle anderen Verletzungen im Gesicht und am Kopf waren ihr nach dem Tod zugefügt worden. Sah man einmal von den vielen Bisswunden ab, so waren an dem Leichnam keine weiteren Verletzungen festzustellen. Spuren, die auf einen Kampf hingedeutet hätten, gab es nicht. Die Tote musste entweder von ihrem Mörder überrascht worden sein, oder sie hatte ihn gekannt. Für Letzteres sprach die Tatsache, dass Dr. Rathjens trotz der Verwesungen in der Vagina noch Spuren von Sperma entdeckt hatte. Da am und im Geschlechtsbereich keine Verletzungen zu finden waren, wie sie bei Abwehrreaktionen bei einer Vergewaltigung aufzutreten pflegen, durfte angenommen werden, dass die Tote zu ihrem letzten Geschlechtsverkehr freiwillig bereit gewesen war.

Die weiteren Untersuchungen ergaben, dass die Tatzeit 20 bis 23 Tage zurücklag. Außerdem war die Tote sportlich durchtrainiert und zum Zeitpunkt ihres Todes in einer guten körperlichen Verfassung.

Trotz ihrer langjährigen Berufserfahrung empfand es Dr. Rathjens als besonders tragisch, dass die Tote zudem im dritten Monat schwanger gewesen war.

Auch wenn die brutalen Verletzungen im Gesicht, am Gebiss und am Kopf etwas Anderes vermuten ließen, hatte die Frau nicht unter ihnen gelitten. Der Tod war durch einen kräftigen Schlag auf die rechte Schädelseite eingetreten, bevor ihr diese Verletzungen zugefügt worden waren.

Die Ermittlungsgruppe unter der Leitung von Kriminalhauptkommissar Hähnlein war mit den Nachforschungen inzwischen keinen Schritt weitergekommen. Die Befragungen in Sprötze und Umgebung hatten zu keinen Ergebnissen geführt. Niemand hatte etwas Ungewöhnliches oder Verdächtiges bemerkt. Und auch die Überprüfung der als vermisst gemeldeten Personen brachte die Beamten nicht weiter. Unter ihnen gab es keine Frau, deren Beschreibung auf die Tote gepasst hätte. Die Bevölkerung bei den Ermittlungen einzubeziehen – eine Methode, die schon häufig bei Identifizierungen von Spuren, Opfern oder Tätern zu einem Durchbruch geführt hatte – wurde aufgrund der vorhandenen Faktenlage als wenig hilfreich angesehen und deshalb unterlassen.

Einige Tage nach der Obduktion nahm sich Dr. Rathjens ihren für die Staatsanwaltschaft und die ermittelnden Beamten verfassten Bericht zu Hause noch einmal vor. Sie hatte sich angewöhnt, schwierige Fälle eine Zeit lang ruhen zu lassen, um Abstand zu gewinnen. Zu leicht konnte es auch einer erfahrenen Pathologin passieren, im Eifer und unter dem Stress der Arbeit etwas Entscheidendes zu übersehen oder wichtige Funde nicht richtig zu interpretieren.

Schon bei den ersten Worten erschien vor ihrem geistigen Auge der Seziertisch mit der Frauenleiche. Schritt für Schritt führte Dr. Rathjens die Obduktion noch einmal aus. Als sie fertig war, hatte sie das unbestimmte Gefühl, etwas übersehen zu haben. Erneut ging sie all ihre Untersuchungsschritte durch, ohne jedoch auf Ungereimtheiten zu stoßen. Erst als sie den Bericht zum dritten Mal gelesen hatte, wusste sie, was sie übersehen oder, besser gesagt, welchen Fund sie nicht hinreichend gewürdigt hatte. Es handelte sich um die kleine, kopflose Ameise, die sie im Schamhaar der Toten entdeckt hatte. Alle anderen Ameisen, die sie gefunden hatte, waren größer und rot gewesen. Obwohl sie keine Ameisenexpertin war, glaubte sie, dass es sich um rote Waldameisen handelte. Die kopflose Ameise gehörte mit Sicherheit nicht zu dieser Spezies. Dafür sprach auch der fehlende Kopf. Wahrscheinlich hatten die roten Waldameisen den Fremdling als Eindringling in ihr Revier betrachtet und getötet.

Woher aber stammte die Ameise und wie war sie in die Schamhaare der Toten gelangt?

Für Dr. Rathjens gab es nur eine schlüssige Antwort. Sollte es keine kleinen, braunen Ameisen am Fundort geben, dann musste sie vom Tatort stammen. Zwar gab es noch die Möglichkeit, dass der Täter die Leiche irgendwo zwischengelagert hatte. Doch warum hätte er dieses zusätzliche Risiko eingehen sollen? Es war zwar eine Möglichkeit, aber eine recht unwahrscheinliche.

Gleich am nächsten Morgen bat Dr. Rathjens Kriminalhauptkommissar Hähnlein, den Fundort nach Ameisen absuchen zu lassen. Das Ergebnis war eindeutig: Hähnlein, der selbst zum Fundort hinausgefahren war, hatte nur rote Waldameisen entdeckt.

Um Klarheit über den Lebensraum der Ameise zu erhalten, die sie im Schamhaar der Toten gefunden hatte, rief Dr. Rathjens einen Biologen an der Universität Hannover an. Ihn hatte sie schon oft um Rat gefragt, wenn sie biologische Probleme beschäftigten. Der Biologe verwies sie an Dr. Reimer, einen Spezialisten auf dem Gebiet der Ameisenforschung. Dr. Reimer war sofort bereit, sich am nächsten Morgen um 10 Uhr mit ihr in der Gerichtsmedizin zu treffen.

Als Dr. Rathjens ihm das Reagenzglas mit der kopflosen Ameise zeigte und er diese unter dem Mikroskop betrachtete, erkannte er sofort, dass es sich um eine Ameisenart handelte, die in der Bundesrepublik nur an wenigen Orten vorkommt. Das einzige Siedlungsgebiet nördlich von Kassel lag in der Lüneburger Heide, östlich von Altensalzkoth, einem kleinen Ort auf halber Strecke zwischen Celle und Hermannsburg.

Da sich Dr. Reimer seiner Sache sicher war, informierte Dr. Rathjens Kriminalhauptkommissar Hähnlein ebenso wie den verantwortlichen Staatsanwalt. Hähnlein forderte noch am gleichen Tag Unterstützung durch einen ortskundigen Beamten für die am nächsten Tag geplante Untersuchung an.

Obwohl Dr. Reimer die Lage des Ameisengebiets genau beschrieben und in einer Karte markiert hatte, bat Dr. Rathjens ihn, das Ermittlerteam zu begleiten.

Am nächsten Morgen um 8 Uhr brach die Gruppe auf. Es regnete und die dunklen Wolken am Himmel versprachen keine Wetterbesserung. Das war keine gute Voraussetzung, das Ziel, das sich die Gruppe gesetzt hatte, zu erreichen.

Am Ortseingang von Altensalzkoth wurden sie von einem zur Unterstützung bereitgestellten Beamten empfangen. Der Staatsanwalt instruierte ihn anhand der von Dr. Reimer markierten Karte.

Der Beamte kannte die Gegend. Sie bestand, wie auch der angrenzende Bereich, aus einem hohen Kiefernwald mit wenig Unterholz. Am südlichen Ende des von Dr. Reimer markierten Bereichs gab es eine kleine Lichtung. An ihrem Rand stand eine Holzhütte, die hin und wieder als Wochenendhaus genutzt wurde. Sie gehörte einem Hamburger Kaufmann.

Das in Frage kommende Gebiet lag nur einen knappen Kilometer von ihrem Standort entfernt und war über eine Forststraße gut zu erreichen. Sowie die Gruppe dort angekommen war, übernahm der Staatsanwalt die Leitung der Untersuchung. Er bat Dr. Reimer, die Führung zu übernehmen. Die Ermittler durchstöberten etwa eine halbe Stunde lang das Gelände, bevor sie das erste Ameisennest gefunden hatten.

Dr. Rathjens nahm das Röhrchen mit der kopflosen Ameise aus ihrer Bereitschaftstasche und gab es dem Ameisenexperten. Dieser hatte keine Mühe festzustellen, dass die hier lebenden Ameisen und die tote zur gleichen Spezies gehörten. Langatmig erläuterte er die Übereinstimmungen.

Der Staatsanwalt sprach aus, was alle Anwesenden dachten. Das Verbrechen war mit großer Wahrscheinlichkeit in dieser Gegend begangen worden.

Der Vollblutpraktiker Hähnlein unterbrach daraufhin die weitschweifigen Ausführungen Dr. Reimers und schlug vor, das Gelände, vor allem aber die Holzhütte, nach Spuren zu durchsuchen.

Da die Tote vor dem Mord Geschlechtsverkehr gehabt hatte und dieser, wie es aus Dr. Rathjens Bericht hervorging, mit ihrem Einverständnis erfolgt sein dürfte, schien es ihm am wahrscheinlichsten, dass das Paar hierzu die nahe gelegene Hütte benutzt hatte.

Die restlichen Beamten pflichteten ihm bei und die Gruppe begab sich unter Führung des Ortspolizisten zu der besagten Hütte. Um bereits auf dem Weg dorthin nach Spuren zu suchen, stellten sie sich nebeneinander auf und marschierten in einem Abstand von etwa fünf Metern los. Als sie an der Hütte ankamen, wies Dr. Reimer die anderen auf ein weiteres Ameisennest hin. Es befand sich etwa einen Meter rechts neben dem Eingang am Fundament der Hütte.

Hähnlein versuchte unterdessen, die Eingangstür zu öffnen, ohne dabei eventuell vorhandene Fingerabdrücke zu verwischen. Zu diesem Zweck hatte er sich bereits auf dem Weg zur Hütte Latexhandschuhe übergestreift. Die Tür war nicht verschlossen, so dass sich hier möglicherweise jemand mit Gewalt Zugang verschafft haben könnte. Das antike Kastenschloss, mit dem die Tür abgesperrt wurde, wies jedoch keine neueren Kratzer oder sonstige Spuren von Gewaltanwendung auf. Zudem hätte es ohnehin selbst von einem Laien mühelos mit einem umgebogenen Draht geöffnet werden können, so dass man durch einen Einbruch allein nicht auf eine besondere Zielgruppe hätte schließen können, in der der Täter zu suchen gewesen wäre.

Hähnlein stieß die Tür auf und betrat die Hütte. Dr. Rathjens folgte ihm. Auch sie hatte mittlerweile Latexhandschuhe angezogen.

Das Innere der Hütte bestand aus einem einzigen Raum. Eine Hälfte diente als Wohnküche, die andere als Schlafstätte. In einem Anbau war eine Nasszelle eingerichtet. Die Schlafstätte konnte durch einen Vorhang, die Nasszelle durch eine Schiebetür vom Wohnbereich abgetrennt werden. Der Schlafbereich war mit einem etwa 1,60 Meter breiten Holzbett, einem Nachttisch und einem Kleiderschrank möbliert, die ihrem Design nach zu urteilen aus den frühen 70er-Jahren zu stammen schienen. Auf den Schränken und Ablagen hatte sich eine dicke Staubschicht gebildet. Hier hatte schon lange niemand mehr sauber gemacht. Im Gegensatz dazu waren der Tisch, die Stühle sowie das Bettgestell und der Nachttisch nur mit einem dünnen Staubfilm überzogen. Es war offensichtlich, dass jemand die Möbelstücke erst vor kurzem abgewischt hatte. Der Holzboden war gefegt und im Schlafbereich scheinbar auch nass gewischt worden. Trotzdem gab es an mehreren Stellen dunkle Flecke. Schwache, rechtwinklige Konturen und eine hellere Färbung der Dielen vor dem Bett ließen darauf schließen, dass hier ein Bettvorleger oder Läufer gelegen haben musste.

Dr. Rathjens begann, die auffälligen Flecke auf dem Boden zu inspizieren und Proben davon zu nehmen. Mit einem Skalpell kratzte sie zwischen den einzelnen Dielenbrettern den Schmutz heraus. Neben gewöhnlichem Hausstaub förderte sie dabei auch Spuren einer bräunlichen Substanz zu Tage.

Eine kurze Untersuchung bestätigte Dr. Rathjens Verdacht: Bei der Substanz handelte es sich um getrocknetes Blut.

Allen Beteiligten war die Freude über diesen Fahndungserfolg an den Gesichtern abzulesen. Natürlich mussten labortechnische Analysen erst noch bestätigen, dass die entdeckten Blutspuren von der Toten stammten. Doch niemand zweifelte daran, dass die Ergebnisse das Aufspüren des Tatorts belegen würden.

Diese Überzeugung wurde wenig später von Dr. Reimer untermauert. Er hatte auf dem Fußboden kleine braune Ameisen entdeckt, die der Spezies jenes Exemplars entsprachen, das Dr. Rathjens im Schamhaar der Toten gefunden hatte.

Während Dr. Rathjens ins Freie trat, um keine Spuren in der Hütte zu verwischen, alarmierte Kriminalhauptkommissar Hähnlein die Beamten von der Spurensicherung.

Nachdem endlich ein konkreter Ansatzpunkt gefunden worden war, liefen die Ermittlungen auf Hochtouren. Sie konzentrierten sich zunächst auf das Umfeld der Hütte und auf deren Besitzer.

Die Laboruntersuchungen der Funde aus der Waldhütte bestätigten Dr. Rathjens Vermutungen. Die zwischen den Dielenböden entdeckten Blutreste wiesen dieselbe Blutgruppe wie das Blut der Toten auf. Ebenso stimmte die DNA der sichergestellten Gewebeteile und der Gehirnzellen mit jener der Toten überein. Nun bestand für die Ermittler kein Zweifel mehr, dass die Tote in der Hütte umgebracht worden war.

Die Adresse des Hüttenbesitzers war schnell ausfindig gemacht. Es handelte sich, wie der Beamte vor Ort den Ermittlern bereits erklärt hatte, um den Hamburger Kaufmann Walter Hermann. Weitere Nachforschungen ergaben, dass dieser als Täter jedoch nicht in Frage kam, da er sich den Aussagen seiner Gattin zufolge bereits seit vier Monaten in Odessa aufhielt, um dort im Auftrag seiner Firma eine Zweigstelle aufzubauen. Während dieser Zeit sei er nicht nach Hamburg zurückgekehrt, so die Ehefrau. Diese Aussage wurde sowohl von den Nachbarn der Hermanns als auch von Hermanns Arbeitgeber bestätigt.

Die Herrmanns hatten auch einen Sohn, Hendrik Hermann. Er war 26 Jahre alt, studierte in Hamburg Betriebswirtschaft und lebte mit seiner Freundin in einer Wohngemeinschaft in der Nähe der Universität. Bei einer Befragung gab er an, dass er schon seit langem nicht mehr im Ferienhaus seiner Eltern gewesen sei. Seine Aussage wurde durch die Fingerabdrücke bestätigt, die in der Hütte sichergestellt worden waren. Von Hendrik Hermann waren nur alte, kaum noch identifizierbare Abdrücke gefunden worden.

Die Ermittler waren sich jedoch einig, dass diese Feststellung wenig Aussagekraft besaß, denn ein Teil der Möbel – die Nasszelle sowie der Klinken- und Schlossbereich der Eingangstür – waren erst kürzlich abgewischt worden. Deshalb waren auch keine Fingerabdrücke der Ermordeten gefunden worden.

Auf die Anfrage der Ermittlungsbeamten hin erklärte sich Hendrik Hermann sofort bereit, Speichel für eine Genanalyse zur Verfügung zu stellen. Es stellte sich heraus, dass seine DNA nicht mit den gefundenen Spermaproben übereinstimmte. Diese Tatsache entlastete ihn jedoch nicht völlig, da der Täter nicht notwendigerweise auch der Geschlechtspartner der Toten gewesen sein muss.

Nichtsdestotrotz wurden die Untersuchungen nun auch auf den Freundes- und Bekanntenkreis von Hendrik Hermann ausgedehnt. In der Annahme, dass die Tote aus diesem Umfeld stammen könnte, wurde dabei auch nach einer vermissten Frau gefahndet.

Die Nachforschungen blieben so lange erfolglos, bis die Beamten auch Studentinnen, die in Urlaub oder wegen Krankheit abwesend waren, in ihre Ermittlungen einbezogen. Hierbei stießen sie auf eine Studentin, die etwa drei Wochen zuvor ihre Eltern in Nürnberg hatte besuchen wollen. Nachdem sie abgereist war, hatte niemand mehr von ihr gehört. Was die ermittelnden Beamten besonders aufhorchen ließ, war die Tatsache, dass der Freund der Studentin ein guter Bekannter Hendrik Herrmanns war.

Bei einer daraufhin erfolgenden Hausdurchsuchung im Zimmer der Studentin wurden Haare aus einer Bürste und von einem Tuch sichergestellt. Die anschließende DNA-Analyse bestätigte den Verdacht: Bei der Toten handelte es sich um die Studentin Stefanie Brinkmann.

Nun konzentrierten sich die Nachforschungen der Beamten auf Sven Fischer, den Freund der Toten. Auch von ihm erhielten die Beamten anstandslos eine Speichelprobe. Diesmal stimmte sie mit der DNA der Spermaspuren überein.

Die Ermittler bestellten Sven Fischer daraufhin zu einer Vernehmung ins Polizeipräsidium. Erst im Vernehmungsraum bekam Fischer mit, dass seine Freundin ermordet worden war. Fischer reagierte darauf schockiert und bestürzt. Er war unfähig etwas zu sagen, begann zu weinen und am ganzen Körper zu zittern. Für die Vernehmungsbeamten waren dies verständliche Reaktionen. Sie hatten sie schon oft in solchen Situationen erlebt, obschon sie in dieser Heftigkeit eher bei Frauen als bei Männern auftraten.

Die Selbstsicherheit, mit der Fischer während der Vernehmung die Fragen der Beamten beantwortete, stand jedoch in auffälligem Gegensatz zu den von ihm gezeigten Gefühlen, die unglaubwürdig erschienen.

Kriminalhauptkommissar Hähnlein, der mit den Jahren beim Vernehmen Verdächtiger ein feines Gespür für echte und vorgetäuschte Gefühle entwickelt hatte, spürte diese Diskrepanz sogar beim Lesen des Vernehmungsprotokolls. Hier ein Auszug:

Beamter: Fühlen Sie sich in der Lage, mit der Vernehmung fortzufahren?

Fischer: Ja.

Beamter: Wann haben Sie Stefanie Brinkmann zum letzten Mal gesehen?

Fischer: Am Tag, als sie zu ihren Eltern fahren wollte.

Beamter: Wo waren Sie an diesem Tag?

Fischer: In der Uni.

Beamter: Bei einer Analyse hat sich herausgestellt, dass die DNA ihres Speichels mit jener der Spermaspuren übereinstimmt, die wir in der Leiche gefunden haben. Wie erklären Sie sich das?

Fischer: Wir haben an dem Morgen, bevor Stefanie zu ihren Eltern fuhr, miteinander geschlafen.

Beamter: Wann war das?

Fischer: Am 26. Juni.

Beamter: Wussten Sie, dass Frau Brinkmann schwanger war?

Fischer: Ja, deshalb wollte sie ja zu ihren Eltern fahren, um es ihnen zu sagen.

Beamter: Wissen Sie, wer der Vater war?

Fischer: Ja, ich.

Beamter: Kennen Sie die Ferienhütte der Familie Hermann bei Altensalzkoth?

Fischer: Nein.

In diesem Stil wurde die Vernehmung weitergeführt. Fischer zögerte bei keiner Frage mit der Antwort. Hähnlein schien es, als habe sich Fischer alle Antworten vorher überlegt. Das hätte er aber nur tun können, wenn er die Fragen geahnt hätte, und das wiederum wäre nur möglich gewesen, wenn er der Täter war. Wie jedoch konnte man ihn überführen? Bei der Überprüfung seiner Aussagen entdeckte man keinerlei Widersprüche. Hendrik Hermann bestätigte Fischers Aussage insofern, als er sich nicht daran erinnern konnte, Fischer jemals die Hütte seiner Eltern gezeigt zu haben. Und auch Fischers Alibi war nicht zu widerlegen. Niemand wollte behaupten, ihn am besagten Tag nicht in der Universität gesehen zu haben. Alle Befragten hielten es für möglich.

Die Ermittler durchsuchten daraufhin Fischers Wohnung. Sie hofften vor allem, Blutspuren zu finden, doch die Suche verlief ergebnislos. Der einzige, einigermaßen brauchbare Fund der Beamten war ein Paar Joggingschuhe, zwischen deren Profilen sich Reste von Kiefernnadeln und Waldboden festgesetzt hatten.

Fischer erklärte dies damit, dass er täglich im Stadtpark jogge und dabei oft über waldigen Boden laufe.

Um sicherzugehen wurden die Joggingschuhe beschlagnahmt, ins Polizeilabor gebracht und die in den Profilen vorgefundenen Rückstände untersucht. Das Ergebnis war überraschend. Die Kiefernnadeln und der Waldboden konnten aus dem Gebiet um die Hermannsche Waldhütte oder aus anderen Kiefernwäldern der Lüneburger Heide stammen. Mit Sicherheit stammten sie nicht aus dem Hamburger Stadtpark. Entscheidend aber war schließlich die Tatsache, dass zwischen den Waldbodenpartikeln eine Ameise gefunden wurde, die zu der gleichen Spezies gehörte wie die Ameise, die Dr. Rathjens in den Schamhaaren der Toten gefunden hatte.

Für die Ermittler stand damit fest, dass Fischer gelogen hatte. Entgegen seiner Aussage hatte er sich vor nicht allzu langer Zeit am Tatort aufgehalten.

Fischer wurde daraufhin unter dem Verdacht festgenommen, die Studentin Stefanie Brinkmann ermordet zu haben.

Der Beschuldigte wies jedoch alle Anschuldigungen von sich. Mit den Fakten konfrontiert, gab er zwar zu, schon einmal am Tatort gewesen zu sein, mit dem Tod seiner Freundin wollte er jedoch nichts zu tun haben.

In den folgenden Tagen wurde Fischer dreimal vernommen. Und jedes Mal verstrickte er sich in tiefere Widersprüche, als er zu erklären versuchte, was er bei der Hermannschen Hütte gewollt hatte. Als er schließlich keinen Ausweg mehr wusste, brach er zusammen und gestand die Tat.

Er habe seine Freundin nicht töten wollen, erklärte Fischer. Es sei ein Unfall gewesen. Er sei bereits am Nachmittag vor ihrer geplanten Reise mit Stefanie in die Hütte gefahren. Sie hätte ihn am nächsten Morgen in Celle absetzen und mit ihrem Wagen weiter nach Nürnberg fahren wollen. Er selbst habe dann von Celle aus mit dem Zug nach Hamburg zurückfahren wollen. In der Hütte habe Fischer mit seiner Freundin geschlafen. Im Verlauf des Abends war es dann zu einem Streit gekommen. Streitpunkt war das ungeborene Kind gewesen. Stefanie hatte es unbedingt behalten und Fischer heiraten wollen. Dieser versuchte jedoch, sie zu einer Abtreibung zu überreden. Durch das Kind habe er seine ganze Zukunft gefährdet gesehen. Ein Wort hätte das andere gegeben, bis der Streit schließlich eskaliert sei. In seiner Wut habe Fischer die Nachttischlampe genommen und damit auf Stefanie eingeschlagen. Sie sei daraufhin gestürzt und auf den Bettvorleger gefallen. Der schwere Lampenfuß hatte ihr den Schädel eingedrückt. Nachdem Fischer bewusst geworden war, dass er seine Freundin erschlagen hatte, sei er in Panik in den Wald gerannt. Als er wieder klarer denken konnte, sei er zurückgegangen, um die Leiche seiner Freundin so weit unkenntlich zu machen, dass man sie, falls jemand sie fände, nicht mehr würde identifizieren können. Anschließend habe er die Tote in den blutverschmierten Bettvorleger gerollt und zusammen mit dem Tatwerkzeug im Kofferraum ihres Wagens verstaut. Danach habe er in der Hütte alle Spuren beseitigt und sei nach Hamburg zurückgefahren. Auf dem Weg dorthin habe er die Leiche in der Kiefernschonung abgelegt, in der sie später gefunden wurde. Die herausgeschlagenen Gebissteile habe er mit nach Hamburg genommen und im Hausmüll entsorgt. Ein paar Tage später habe er sich den Kraftfahrzeugbrief aus Stefanies Wohnung geholt. Anschließend sei er mit dem Wagen seiner Freundin nach Polen gefahren, wo er ihn verkauft habe. Die Kleidung, die er am Tattag getragen hatte, sowie den Bettvorleger und das Tatwerkzeug habe er irgendwo in Polen weggeworfen.