Burnout
verstehen
Hilfe für Angehörige
und Freunde
nymphenburger
Vorwort
KAPITEL 1
BURNOUT: EIN ÜBERBLICK
Was ist Burnout?
Das Diagnosesystem ICD
Ein komplexes Geschehen
Die typischen Merkmale
Die Entwicklungsphasen
Der Unterschied zur Depression
Sonderform Boreout
Wo die Ursachen liegen
Wen es trifft
Äußere und innere Faktoren
Was ist eigentlich Stress?
Resilienz und persönliche Ressourcen
Die Fünf inneren Antreiber
Sinn finden
Burnout – und dann?
Verschiedene Beratungs- und Therapiewege
Aufenthalt in einer Klinik
Die Rückkehr in den Beruf – schrittweise Wiedereingliederung
Burnout als Chance
KAPITEL 2
DIE PERSPEKTIVE ANGEHÖRIGER UND FREUNDE
Fürsorge braucht Selbstfürsorge
Ressourcen aktivieren
Beziehung in Gefahr
Kinder und Burnout
Berühren schafft Verbindung
So gelingt Begleitung
Stärken Sie die Therapiemotivation
Erkennen Sie Bedürfnisse
Selbstempathie ist ein Türöffner
Wege aus der Ja-aber-Spirale
So generieren Sie Leichtigkeit
Wie Sie mit Ärger und Wut umgehen können
Schlüssel für eine gelingende Kommunikation
KAPITEL 3
GANZHEITLICHE UNTERSTÜTZUNG FÜR ANGEHÖRIGE UND FREUNDE
Wie Sie sich im Alltag stärken können
Tagesstruktur aufbauen
Pausen machen
Digitales Detox
Holen Sie sich Energiekicks für zwischendurch
Atem-Espresso
Übungen aus der Kinesiologie
Wie Sie sich durch Bewegung und Entspannung stärken
Starke Körperspannung lösen
Entspannter Kiefer
Progressive Muskelentspannung
Emotionalen Stress lösen
Waldbaden
Hilfe durch gute Ernährung, Wasser und Heilpflanzen
Nahrung, Nahrungsergänzungsmittel, Magnesium-Öl
Warum Wasser trinken gut ist
Kräuterteerezepte
Nachwort
Zu guter Letzt
Hilfreiche Adressen
Weiterführende Telefonnummern
Zum Weiterlesen
Register
All denjenigen gewidmet, die sich aufmachen.
Die die Idee haben, es könnte auch leichter gehen.
Die den Mut verspüren, einen ersten Schritt zu tun
und sich und anderen zu helfen.
Ein Ratgeber oder Leitfaden kann Informationen liefern und Anregungen geben. Viel wichtiger aber ist dann die Umsetzung. Gelingt es, etwas vom Gelesenen in den Alltag zu transferieren und tatsächlich eine spürbare Erleichterung zu erfahren? Den ersten Schritt dazu haben Sie getan. Sie haben sich ein Buch besorgt, das Sie auf drei Ebenen unterstützt:
Abgerundet wird dieses Informationspaket durch einen Serviceteil, in dem Sie die Auflistung hilfreicher Adressen online und weiterführende Literatur finden. Beginnen Sie mit dem Buch an der Stelle, die Sie als Erstes anspricht, wo Sie der Schuh gerade am stärksten drückt. Sie werden Fall- und Umsetzungsbeispiele finden. Der besseren Lesbarkeit halber wird durchgängig vom Betroffenen, dem Therapeuten, vom Berater die Rede sein – hier ist generell die Betroffene, die Therapeutin, die Beraterin mit eingeschlossen und seitens der Autorin wertgeschätzt. Ich wünsche Ihnen Anregung, gute Unterstützung im Außen und vor allem erste Umsetzungsschritte. Bleiben Sie dran – für sich und für Ihren Angehörigen oder Freund.
Herzlich
Christina Pielken
Machen Sie sich Sorgen um einen Angehörigen oder einen Freund? Sie bemerken, wie der andere sich zurückzieht, seine Interessen vernachlässigt, schlecht schläft oder nur noch von der Arbeit redet? Vielleicht haben Sie auch einen Kollegen oder einen Mitarbeiter, der neuerdings reizbar geworden ist und sein Pensum nicht mehr so schafft, wie Sie es von ihm gewohnt sind. Der unkonzentriert wirkt oder sich in Ausflüchten verliert. Der häufig über diffuse Rückenschmerzen oder allgemeines Unwohlsein klagt. Eventuell sind es auch Sie selbst, der sich im Hamsterrad gefangen sieht und der bemerkt, dass die Kräfte zu schwinden beginnen und die Spannkraft nachlässt.
Im Folgenden finden Sie das Basismaterial, um besser zu verstehen, was Burnout ist. Hier können Sie sich einlesen und grundlegende Informationen sammeln rund um die Diskussion, ob Burnout nun eine Krankheit ist oder nicht, wie aussagekräftig derzeit statistische Erhebungen sind, welche Symptome und Entwicklungsphasen ein Burnout-Geschehen auszeichnen und was mögliche auslösende Faktoren für ein solches sein können. Sie erfahren etwas über Stress, Ressourcen und Resilienz und welche Umstände Ihnen (und den Betroffenen) helfen, Belastungen besser zu verkraften. Praktische Orientierungshilfen zu therapeutischen Möglichkeiten runden das Informationspaket ab. Und schließlich erhalten Sie Anregung rund um die Frage, ob und wie Burnout auch eine Chance für die Betroffenen sein kann.
Burnout ist mitten unter uns. Diese Erkrankung ist in der Gesellschaft angekommen. Es gibt kaum jemanden, der nicht einen betroffenen Angehörigen hat oder im Freundes- bzw. Kollegenkreis jemanden kennt, der darunter leidet. Um es gleich vorwegzunehmen: Im Katalog der international gültigen Krankheiten, auf dem auch das Abrechnungssystem unserer Krankenkassen basiert, kommt Burnout als Diagnose aktuell nicht vor. Einzig als Symptom des „Ausgebranntseins“ ist er zu finden. Ärzte und Therapeuten müssen ihn daher mit anderen Diagnosen kombinieren, um umfangreichere Maßnahmen zu rechtfertigen.
Jeder Arzt oder Therapeut ist zunächst darum bemüht, eine Diagnose zu erstellen. Als Grundlage hierfür und dann auch der Abrechnung wird die ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) verwendet, ein statistisches Klassifikationssystem der WHO (World Health Organisation – Weltgesundheitsorganisation). Im Lauf der Jahrzehnte gab es Aktualisierungen dieser Katalogisierung: Die weltweite Erhebung und Erforschung von Krankheiten unterliegt ständigen Veränderungen und Anpassungen.
Aktuell ist in Deutschland die ICD-10-GM verbindlich, in Österreich die ICD-10-BMG. Enthalten ist das Kapitel F, in dem die „Psychischen und Verhaltens-Störungen“ aufgelistet sind, die ein Arzt diagnostizieren und damit auch abrechnen kann. Burnout findet sich darin nicht – dafür müssen Therapeuten derzeit auf Kapitel Z zurückgreifen, in dem keine Krankheiten gelistet sind, sondern „Personen, die das Gesundheitswesen aus sonstigen Gründen in Anspruch nehmen“. Hier gibt es unter der Ziffer Z 73 (Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung) das Symptom, nicht die Krankheit: „Ausgebranntsein [Burn-out]“. Um Maßnahmen wie einen Klinikaufenthalt zu rechtfertigen und auch abzurechnen, bedarf es einer Zusatzdiagnose, z. B. der der Depression.
Bei statistischen Erhebungen zu Burnout als Krankheit ist also Vorsicht geboten, da vermutlich ein Gutteil der tatsächlich von Burnout Betroffenen gar nicht in dieser jeweiligen Erhebung erfasst ist. Das kann z. B. folgende Gründe haben:
Mit der aktuellen Version der ICD gibt es also auf medizinischer und psychotherapeutischer Seite keine eindeutige Lage. Durch die weltweite Zunahme des Erschöpfungssyndroms und der Erschöpfungsdepression wurde aber der Ruf nach einer neuen Einteilung in diesem Klassifikationssystem laut und die Weltgesundheitsbehörde (WHO) hat reagiert. Die kommende ICD-11 tritt am 1. Januar 2022 in Kraft – wann die deutsche und ab wann eine verbindliche Modifikation kommt, ist momentan nicht bekannt.
Auch künftig wird sich Burnout nur im Zusatzbereich finden. Neu wird sein, dass er nun als Syndrom beschrieben wird – also als Ansammlung von Symptomen mit Krankheitswert. Die englische Fassung lautet sinngemäß: „Burnout ist ein Syndrom, das aus nicht bewältigtem chronischem Stress am Arbeitsplatz hervorgeht. Es ist charakterisiert in drei Dimensionen:
Und als wichtiger Zusatz wird betont: „Burnout bezieht sich in spezifischer Weise auf den Kontext Beruf und sollte nicht als Diagnose verwendet werden, um Erfahrungen, die in anderen Lebenssituationen entstehen, zu beschreiben.“ Das widerspricht dem gelebten Alltag von Therapeuten, die mit Betroffenen zu tun haben, die die Erkrankung nicht ausschließlich aus dem beruflichen Umfeld heraus entwickeln. Auch Schüler, Mütter oder Menschen, die Angehörige pflegen, können einen Burnout entwickeln.
Im offiziellen Katalog der Krankheiten wird es Burnout als Krankheit bzw. als Syndrom frühestens ab 2022 geben – allerdings ist die dortige Definition eng an das Berufserleben gebunden und nicht in den Kanon psychischer Erkrankungen eingereiht. Durch die zahlreichen diagnostischen Einschränkungen wird es Therapeuten eher erschwert, Burnout als solchen zu diagnostizieren und abzurechnen.
Burnout ist nicht plötzlich da, sondern entwickelt sich häufig schleichend und zunächst unbemerkt. Zwischen den einzelnen Phasen können Monate und Jahre vergehen. Fachleute bringen bis zu 130 verschiedene Symptome mit Burnout in Verbindung. Er ist ein vielgestaltiger Prozess, der sich mit verschiedenen Gesichtern zeigen kann. Jeder Mensch wird ein individuelles Beschwerdebild entwickeln.
Sie kennen das aus Ihrem Alltag: Es gibt Menschen, die eher zu Atemwegsinfekten neigen, und andere haben es schnell an der Verdauung oder entwickeln Kopfschmerzen. Auch den Burnout begleiten verschiedene körperliche Symptome. Wichtig ist, ärztlich abklären zu lassen (!), ob nicht andere Ursachen hinter Symptomen wie Abgeschlagenheit, erhöhter Infektanfälligkeit und Konzentrationsschwierigkeiten stecken wie z. B. eine Schilddrüsenunterfunktion, Diabetes oder ein Vitaminmangel.
Generell lassen sich die Symptome auf vier Ebenen beschreiben: auf der der Emotion, des Denkens, des Soziallebens und auf der körperlichen Ebene. Folgende Beispiele verdeutlichen das:
Nicht selten versuchen Betroffene, die Symptome durch Alkohol und Drogen zu kompensieren. Je nach Entwicklungsstadium ist auch folgendes Bewältigungsmodell zu beobachten: Morgens und über den Tag verteilt wird Kaffee getrunken und/oder es werden Aufputschmittel eingenommen, um mehr Leistung erbringen zu können. Abends kommen Beruhigungsmittel zum Einsatz, um wieder herunterzukommen.
Ich stelle Ihnen die Entwicklung der Erkrankung in vier Phasen vor. Dies soll als Hilfestellung dienen, ungefähr einschätzen zu können, in welcher Lage Sie oder Ihre Angehörigen und Freunde sich befinden. Die Grenzen zwischen den einzelnen Phasen können dabei fließend sein.
Burnout wurde 1974 als Begriff von Herbert Freudenberger, einem New Yorker Psychoanalytiker, zum ersten Mal eingeführt, nachdem er körperliche und seelische Schwierigkeiten bei Mitarbeitern einer Hilfsorganisation, in der er tätig war, festgestellt und diese mit dem inneren Bild eines brennenden Hauses verglichen hatte. Seitdem wurde der Entwicklungsprozess der Erkrankung von nachfolgenden Untersuchern in verschiedene Phasen eingeteilt. Auch hier gibt es bis heute keine allgemeingültige Festlegung. Manche Autoren und Wissenschaftler sprechen von drei Phasen, andere von sieben und so weiter. Eines eint jedoch alle Ansätze: Ein Burnout tritt nicht unvermittelt auf, vielmehr handelt es sich um einen häufig langwierigen Prozess, der zudem individuell verschiedene Ausprägungen haben kann.
PHASE 1: SICH BEWEISEN UND VERSTÄRKTER EINSATZ