Werner Färber wurde 1957 in Wassertrüdigen geboren und lebt heute als freier Schriftsteller für alle Altersstufen in Hamburg.
Mit seinen beliebten Veranstaltungen für Kinder, Jugendliche & Erwachsene ist der Autor ein gern gesehener Gast in Bibliotheken, Buchhandlungen und Schulen.
Im Rundfunk gibt Werner Färber aktuell seine Spaßlyrik in einer täglichen einminütigen Sendung zum Besten. Ob er Prosa oder satirisch-kabarettistische Reime vorträgt, ob er junge oder erwachsene Menschen vor sich hat, er liebt die Vielfalt.
www.wernerfaerber.de
Roman
ISBN 978-3-03864-206-0
Alle Urheberrechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung,
Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe in jeder Form,
einschließlich einer Verwertung in elektronischen Medien,
der reprografischen Vervielfältigung, einer digitalen Verbreitung
und der Aufnahme in Datenbanken, ausdrücklich vorbehalten.
Ursprünglich in einer Kurzform bei Ravenburger-Buchverlag
in der Reihe „short & easy“ erschienen.
Lektorat: Horst u. Fritz Eibl (A)
Umschlaggestaltung: Agentur flin, unter Verwendung
einer Illustration von Bert Silberstein (A)
Copyright © 2016 by ARAVAIPA–Verlag,
Egg bei Zürich, Freudenstadt, Tucson
ARAVAIPA im Internet: www.aravaipa.ch
Willst du Stress
Lea wird durch das Klingeln an der Wohnungstür aus dem Schlaf gerissen. Eigentlich sollte sie in der Schule sein. Die Ferien sind vorüber. Bereits seit einer Woche. Sie hat sich jedoch noch keinen einzigen Tag aufraffen können hinzugehen. Um alle Geräusche auszublenden, vergräbt sie den Kopf unter dem Kissen. Es klingelt wieder. Weshalb macht ihre Mutter nicht auf?
Typisch. Wenn sie mal gebraucht wird, ist sie nicht da. Nur mit T-Shirt und Unterhose bekleidet, geht Lea zur Tür und blickt durch den Spion. Sie hat die Frau im Treppenhaus noch nie zuvor gesehen. Lea kehrt zurück in ihr Zimmer. Kaum hat sie sich wieder in ihre Bettdecke gekuschelt, hört sie, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wird. Kurz darauf klopft es an Leas Tür. Obwohl Lea nichts sagt, geht die Tür auf.
„Guten Morgen, Schatz“, flötet ihre Mutter. „Frau Neumeyer ist hier. Kommst du bitte mal?“
Schatz? Was ist denn nun kaputt? Lea kann sich nicht erinnern, wann sie von ihrer Mutter das letzte Mal geschatzt wurde.
„Was? Wer?“
„Frau Neumeyer. Die Frau vom Jugendamt. Ich hab dir davon erzählt.“
Hat sie nicht. Lea ist ganz sicher. Ihre Mutter und sie haben seit Tagen kaum ein Wort gewechselt. „Und was will die?“
„Mit dir reden.“
„Ich aber nicht mit ihr.“
„Lea, bitte. So kann es doch nicht weitergehen.“
„Lass mich in Frieden, ja!“
„Entschuldigung“, macht die Frau auf dem Flur auf sich aufmerksam, tritt näher. Einen Schritt. Bis an Leas Türschwelle. „Ich will und kann niemanden zwingen, mit mir zu reden, Lea. Aber vielleicht können wir es zwei, drei Minuten unter vier Augen versuchen?“
„Warum sollte ich?“
„Weil du ein intelligentes Mädchen bist?“ Freundlich lächelnd schiebt die Frau sich an ihrer Mutter vorbei ins Zimmer.
„Ich geh dann mal.“ Um kein störendes Geräusch zu machen, schließt Leas Mutter die Tür im Zeitlupentempo, benötigt wegen des schlecht einrastenden Schlosses mehrere Versuche, bis die Tür endlich schließt. Lea verdreht die Augen, hockt sich aufs Bett, lässt sich rückwärts fallen und starrt schweigend zur Decke.
Frau Neumeyer zieht einen Stuhl heran und setzt sich zu ihr. „Du musst nicht mit mir reden. Nur wenn du willst.“ Dann schweigt sie ebenfalls.
Irgendwann hält es Lea nicht mehr aus. Sie stützt sich auf die Ellbogen, mustert ausführlich die Fremde, die sich in ihrem neuen Zimmer umsieht. „Was soll das werden, wenn’s fertig ist?“
„Ich vermute, dir geht’s nicht gut.“
„Hat das meine Mutter gesagt?“
„Nein. Ich bin hier, um mit dir zu reden. Erzähl einfach, was los ist. Ich hör zu.“
Lea hat keinen Schimmer, was das soll. Sie zuckt mit den Schultern. Während die Frau weiterhin völlig entspannt ihre Sachen betrachtet, versucht Lea schlau aus dieser Fremden zu werden. Eigentlich scheint sie ganz locker drauf zu schein. Jung ist sie auch. Höchstens Mitte zwanzig. Aber das war die Polizistin, die sie nach der Anzeige wegen der gebrochenen Hand einer Mitschülerin befragt hat, auch. Am Ende drehte ihr diese uniformierte Kuh jedes Wort einzeln im Mund herum.
Die Wut, die Lea damals in sich spürte, wurde dadurch ganz bestimmt nicht kleiner. Sie richtet sich auf, schiebt sich ans Kopfende ihres Betts und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Wand. „Sind Sie wegen der Geschichte am Müllcontainer hier?“
Sie antwortet nicht sofort, schaut Lea ein paar Sekunden in die Augen, tippt sich dann spiegelbildlich an der Stelle an die Nase, an der Leas Piercing glitzert. „Gefällt mir.“ Ihr Blick wandert auf ihre Hände, die in kleiner Geste das von Lea angeschnittene Thema aufzugreifen scheinen. „Ich habe die betreffende Akte gelesen.“
„Na, super.“ Lea kann sich nicht vorstellen, dass da etwas drinsteht, was der Wirklichkeit nahekommt.
„Viel mehr würde mich allerdings deine Sichtweise interessieren.“
Nach kurzem Zögern fängt Lea tatsächlich an, von genau jener angeblich so verständnisvollen Polizistin zu erzählen. In einer wahren Schimpftirade lässt sie sich über die heuchlerische Beamtin aus und ist überrascht, dass diese Frau Dingensmeier ihr einfach nur zuhört. Aber die soll bloß nicht glauben, dass sie damit Leas Vertrauen gewinnen kann. Die ist bestimmt auch nur so eine verdammte Schnüfflerin. Soll sie sich doch um ihren eigenen Scheiß kümmern!
Frau Neumeyer hakt nicht nach und stellt Leas Version der ganzen Geschichte nicht ein einziges Mal infrage. Als Lea fertig ist, wirkt die Frau noch immer völlig entspannt. Sie hockt da und wartet, ob noch etwas kommt, lächelt. Nicht so verlogen freundlich, wie es Lea in jüngster Zeit viel zu häufig wahrgenommen hat. Dieses Lächeln wirkt tatsächlich mal echt.
Kurz bevor Lea das Schweigen nicht mehr aushält, fragt Frau Neumeyer leise: „Und kurz darauf seid ihr dann umgezogen?“
Wie schlau ist das denn? Als ob sie das nicht auch längst aus irgendwelchen Akten wüsste. Trotzdem antwortet Lea kaum hörbar „Ja.“ Sie senkt den Blick.
Nach weiteren endlos scheinenden Sekunden des Schweigens steht Frau Neumeyer überraschend auf. „Ich hoffe, das hat dir jetzt ein bisschen gut getan. Wenn du möchtest, können wir das gerne wiederholen.“ Sie bedankt sich für das Gespräch und geht zur Tür. „Tust du mir einen Gefallen?“
Lea schaut sie fragend an.
„Magst du es morgen mal mit Schule versuchen?“ Eine sofortige Zusage scheint sie nicht zu erwarten. Stattdessen hinterlässt sie eine Visitenkarte auf Leas Schreibtisch. „Und vielleicht möchtest du unser Gespräch fortsetzen. Ich würde mich freuen. Tschüss.“
Lea ist so geplättet, dass sie vergisst, Frau Neumeyers Abschiedsgruß zu erwidern. Sie lauscht nach draußen auf den Flur. Ihre Mutter, die garantiert versucht hat, durch die geschlossene Tür alles zu verfolgen, fängt die Frau vom Jugendamt sofort ab und möchte wissen, was sie mit Lea besprochen hat. Doch die Besucherin verabschiedet sich nur ebenso freundlich von ihr, wie sie sich einen Moment zuvor von Lea verabschiedet hat und verlässt die Wohnung. Ohne Auskunft gegeben zu haben.
Einen Moment später kommt Leas Mutter ins Zimmer. Ohne zu klopfen.
„Verschwinde!“ Lea wirft den nächstbesten Gegenstand Richtung Tür. Obwohl das Buch ihre Mutter meterweit verfehlt, hält diese eingeschüchtert die Hände vors Gesicht. „Was fällt dir ein, so eine Schnüfflerin auf mich anzusetzen?“
Ihre Mutter nimmt die Arme wieder herunter und verschränkt sie vor der Brust. „Schnüfflerin? Diese Frau kommt von der Jugendhilfe. Im Übrigen wurde sie mir von deiner alten Klassenlehrerin empfohlen.“
„Sag mal, spinnst du? Wegen der wurde ich an der Schule doch erst richtig gedisst!“
Ihre Mutter winkt ab. „Ach! Schuld sind immer die andern.“
„Das sagt genau die Richtige!“, stößt Lea mit vergiftetem Lachen hervor.
Ihre Mutter zieht sich lamentierend zurück. Kurz darauf hört Lea aus dem Schlafzimmer ihr jämmerliches Schluchzen. Ja, flennen, das beherrscht sie gut! Spielt das Opfer! Wie immer. Um dann hinter Leas Rücken Leute ins Haus zu bestellen und ihnen weiß der Teufel was zu erzählen. Dinge, die nur die Familie was angehen. Vor allem das macht Lea so fassungslos. Ständig beklagt sich ihre Mutter darüber, dass sich die Nachbarn das Maul über Leas Verhalten zerreißen könnten und dann quatscht sie ausgerechnet mit den Leuten, von denen Lea schon lange keine Unterstützung mehr zu erwarten braucht. Sie hat die Schnauze gestrichen voll.
Schon allein, um nicht mit ihrer Mutter zusammen zu sein, geht Lea am Folgetag tatsächlich zur Schule. Es muss ja nicht gleich zur ersten Stunde sein.
Als sie sich um Viertel nach zehn im Sekretariat nach ihrer Klasse erkundigt, reibt ihr die Frau hinter dem Tresen erst einmal unter die Nase, dass das neue Schuljahr bereits über eine Woche alt ist. „Dir ist klar, dass ich für die Fehltage eine Entschuldigung brauche?“
Lea zuckt gleichgültig mit den Schultern. „Kein Problem.“ So einen Wisch hat sie schnell geschrieben und den unleserlichen Kringel ihrer Mutter schmiert sie jederzeit mit links und verbundenen Augen aufs Papier.
Spätestens nach diesem Sekretariatsbesuch weiß Lea wieder, weshalb sie sich bisher nicht hat aufraffen können, am neuen Wohnort zur Schule zu gehen. Weil sich auch hier nichts ändern wird. Weil sie den Quark, den ihre Mutter ständig von sich gibt, schon so oft gehört hat, dass sie ihn auswendig mitsprechen kann. Immer dieselben Sprüche: „Muss es denn so weitergehen?“ Oder: „Du bist schulpflichtig! Die schicken uns die Polizei ins Haus.“ Oder: „Warum muss ich mich immer für dich schämen?“ Oder seit Neuestem: „Weshalb bin ich denn mit dir umgezogen?“ Alles Wiederholungsschleifen ihrer Mutter. Und dieser überstürzte Umzug hat sicher nicht stattgefunden, weil Lea ihn gewollt hätte! Nach der ganzen vorherigen Kacke auch noch umziehen? Schwachsinnsidee! Was soll dieses plötzliche Gerede von wegen Neuanfang? Von wegen letzte Chance, etwas zu ändern? Hirnriss. Hätte gestern Abend nicht zufällig auch noch ihr Vater angerufen, wäre Lea heute vermutlich wieder nicht zur Schule gegangen. Nach wochenlanger Funkstille hat er ihr endlich mitgeteilt, dass sie ihn demnächst mal besuchen könne. Ganz sicher. Allerdings nur, wenn sie ihm verspricht, zur Schule zu gehen. Ob er auch mit dieser Frau Neumeyer geredet hat? Hinter Leas Rücken? Ebenso wie ihre Mutter? Egal. Wo sie schon mal hier ist, kann sie auch in ihre Klasse gehen, um sich die Schwachmaten mal anzusehen.
Lea betritt das Klassenzimmer der 9a. Die dritte Stunde hat längst begonnen. Fast alle Schülerinnen und Schüler sehen zur Tür. Den meisten scheint die kleine Ablenkung willkommen zu sein. Nur der Lehrerin nicht. Die wirkt erst mal überrascht und verschränkt ablehnend die Arme vor der Brust. Die Empörung darüber, dass jemand in ihren Unterricht platzt, ohne zuvor angeklopft zu haben, ist ihr ins Gesicht geschrieben. Lea kennt solche Blicke. Sie hält sie aus. Selbst wenn wie in diesem Moment dreiundzwanzig Augenpaare gleichzeitig auf sie gerichtet sind. Sie schaut sich in aller Ruhe im Zimmer um.
Dass ihr Styling aus dem Rahmen fällt, ist ihr klar. Ihre Mutter hasst es, wenn sie so aus dem Haus geht. Ein Grund mehr, sich so und nicht anders anzuziehen.
„Merkst du denn nicht, dass sich die Leute dadurch provoziert fühlen? Jetzt stecken die Nachbarn auch hier schon wieder die Köpfe zusammen, um hinter dir her zu tuscheln“, hat ihre Mutter heute Morgen geklagt. „Warum muss du denn immer so aufreizend und provozierend herumlaufen?“
Lea hat sich in aller Ruhe ihre Lippen nachgezogen, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war, und gefragt: „Soll ich doch lieber zu Hause bleiben?“ Das wollte ihre Mutter erst recht nicht.
In der Klasse herrscht weiterhin erwartungsvolles Schweigen. Vor allem die Jungs wissen nicht, wo sie zuerst hinsehen sollen. Oder wo sie besser nicht hinsehen sollten, damit sie sich keinen Rüffel einfangen, weil sie so geglotzt haben. Um ihre langen Beine perfekt zur Geltung zu bringen, trägt Lea einen knappen Mini und Stiefel mit megahohen Absätzen. Dazu das hautenge schwarze T-Shirt mit dem silberfarbenen Schriftzug Bitch auf der Brust. Die Haare färbt sich Lea schon seit zwei Jahren schwarz. Die korallenroten Kreolen kommen darunter besonders gut zur Geltung. Leas neueste Errungenschaft ist der Stecker im linken Nasenflügel. Das Grün des Steins passt exakt zu ihren Augen. Das Geld und die Unterschrift fürs Stechen hat sie von ihrem Vater bekommen. Damit hatte er sich von der ersten wochenlangen Funkstille nach seinem Auszug freigekauft. Zum Ärger ihrer Mutter.
Auch in ihr Make-up hat Lea an diesem Tag etwas mehr Zeit investiert. Der Lippenstift passt zu den Ohrringen, ihr Lidschatten dagegen ist sehr dezent. Sie weiß, dass sie sich auf das Grün ihrer Augen verlassen kann.
Nachdem sie die Aufmerksamkeit etwas länger ausgekostet hat als nötig, kickt sie mit dem Absatz die Tür hinter sich ins Schloss und schreitet durch die Sitzreihen zum einzigen freien Platz. Dass dieser sich am Fenster befindet, betrachtet Lea als einen winzigen Hoffnungsschimmer am Horizont. In einer geschmeidigen Bewegung lässt sie ihre Umhängetasche aus schwarzem Leder von der Schulter auf den Tisch gleiten, um schließlich mit demonstrativer Gelassenheit auf den Stuhl zu sinken.
Die Lehrerin, die sich von Leas Inszenierung offenbar ganz bewusst nicht beeindrucken lassen möchte, hat sie während der ganzen Zeit beobachtet. „And who are you?“, spricht sie Lea nun auf Englisch an.
Lea zögert. „Sorry?“, erwidert sie, als ihr klar wird, dass sie in die Englischstunde geplatzt ist und die Lehrerin erwartet, dass sie sich auf Englisch vorstellt. Kann sie haben. Ein paar aus der Klasse können sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nur die Lehrerin scheint Leas Auftritt alles andere als amüsant zu finden.
„Würdest du uns freundlicherweise verraten, wer du bist und was dich zu uns führt?“, fragt sie nun doch auf Deutsch.
Lea tut überrascht. Sie sieht sich in ihrer vermeintlichen neuen Klasse um. „Das ist hier doch die 9a?“ Ein paar nicken. „Dann bin ich hier richtig.“
„Richtig wofür?“
Lea schaut die Lehrerin mit gespielter Verwunderung an. „Die Sekretärin hat mich in die 9a geschickt. Raum 117. Sie sind Frau Nowak?“
„Ja.“ Die Lehrerin scheint noch immer nicht zu wissen, wie sie mit der ungewöhnlichen Situation umgehen soll. „Da du offenbar über einen gewissen Informationsvorsprung verfügst“, versucht sie es nun ironisch, „hast du vielleicht auch die Güte uns zu verraten, weshalb dich Frau Struwe zu uns geschickt hat?“
Lea schüttelt den Kopf und hebt die Hände. Frau Nowak scheint eine besonders lange Leitung zu haben. „Weil dies hier ab sofort meine neue Klasse ist, vielleicht?“
Frau Nowak atmet tief durch. „Deinen Namen dürfen wir aber schon erfahren?“
„Klar.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Lea.“
„Lea. Möchtest du deiner neuen Klasse eventuell auch noch einen Nachnamen verraten?“
„Mertens? Oder wie wär’s mit Sander?“ Lea wendet sich an die Schülerinnen und Schüler, die ihr am nächsten sitzen. „Was gefällt euch besser?“ Ehe die Lehrerin nachfragen kann, was das bedeuten soll, liefert Lea die Erklärung: „Wissen Sie, so eine Trennung kommt in den allerbesten Familien vor. Die Anwälte meiner Eltern verdienen sich gerade dumm und dusselig, indem sie sich darüber streiten, ob ich zukünftig wie mein Vater oder wie meine Mutter heißen werde.“
„O, das tut mir leid“, antwortet Frau Nowak hilflos.
„Schon okay. Warum machen Sie nicht einfach da weiter, wo Sie aufgehört haben?“
Die Lehrerin ringt um Fassung. „Danke, sehr gnädig.“ Sie bekommt sich jedoch schnell wieder in den Griff. „Welcome to the 9a, Lea“, kehrt sie ins Englische zurück.
„If you say so“, grummelt Lea kaum hörbar.
Von den weiteren englischsprachigen Ausführungen gelangweilt, zieht sie ihren College-Block aus der Tasche, um den einen oder anderen Moment dieser ersten Stunde in der neuen Klasse in Form flüchtiger Skizzen festzuhalten. Irgendwann lässt sie auch das bleiben und starrt für den Rest der Zeit angeödet aus dem Fenster.
„Kommst du bitte kurz zu mir nach vorn, Lea?“, ruft Frau Nowak ihr nach dem Pausengong zu. „Ich würde gerne unter vier Augen mit dir reden.“
Lea tut einfach so, als hätte sie die Lehrerin nicht gehört, und schwimmt im Strom der anderen aus dem Klassenzimmer. Auf der Suche nach einer ruhigen Ecke entscheidet sie sich für den entlegensten Winkel des Schulhofs. Während sich von den Jungen nicht einer heranwagt, schlendern fünf Mädchen aus ihrer neuen Klasse wie zufällig in dieselbe Ecke.
„Hey, Bitch!“, ruft ihr die Vorderste auf den letzten Metern entgegen und löst bei ihrer Gefolgschaft albernes Gekicher aus.
Lea zeigt keine Reaktion, mustert nur wortlos das Grüppchen.
Während ihre vier Begleiterinnen Distanz halten, bleibt die Wortführerin erst einen Schritt vor Lea stehen. „Jemand gestorben, Bitch?“ Das soll offenbar eine lustige Anspielung auf Leas schwarzes Outfit an.
Obwohl ihr das fremde Mädchen bedrohlich nahe gekommen ist, weicht Lea keinen Zentimeter zurück. Stumm betrachtet sie zunächst das T-Shirt der aufdringlichen Mitschülerin, dann die Klamotten der anderen. Alle fünf tragen Oberteile im selben Farbton: Knallpink. „Niemand nennt mich Bitch.“
„Hab nur gelesen, was auf deinem T-Shirt.“
„Dann lies leise. Pinky.“
„Pinky?“ Mit gespielter Empörung dreht sie sich nach den anderen vier Mädchen um. „Habt ihr das gehört? Bitch gefällt unser Outfit nicht.“
„War wohl ’n Sonderangebot?“, kontert Lea. „Oder waren diese Putzlappen im Fünferpack billiger?“
Die Wortführerin bedrängt Lea noch weiter. Fast berühren sich ihre Nasenspitzen.
„Komm, Kyra. Lass gut sein“, sagt eins der anderen Mädchen unsicher.
„Spiel dich hier nicht so auf – Bitch“, sagt Kyra.
Unvermittelt packt Lea ihre Widersacherin an den Schultern, drückt ihren Oberkörper nach unten und rammt ihr gleichzeitig das Knie in die Magengrube. Der blitzschnelle Bewegungsablauf dauert nicht mal eine Sekunde. Ehe den übrigen Mädchen klar wird, was sich soeben abgespielt hat, krümmt sich Kyra auf dem Asphalt. Die anderen vier sind geschockt. Sie wissen nicht, ob sie sich um ihre Freundin kümmern oder den Sicherheitsabstand zu der Neuen doch besser aufrechterhalten sollen.
Lea geht in die Knie, beugt sich über Kyra, streicht ihr sanft und tröstend übers Haar. „Was ist mit dir? Tut dir was weh?“, wendet sie sich scheinheilig an die noch immer um Luft ringende Widersacherin. „Hast du Bauchkrämpfe, Pinky?“, haucht sie so leise, dass nicht einmal die vier Mädchen, die anscheinend zu rosafarbenen Salzsäulen erstarrt sind, ihre Worte verstehen können. „Niemand nennt mich Bitch“, zischt Lea, ehe sie sich betont langsam aufrichtet und an die anderen wendet: „Sagt mal, hat Pinky das öfter?“
Keine Antwort.
Nicht, dass Lea eine erwartet hätte. „Was steht ihr hier rum wie die Nutten an der Laterne? Bewegt eure Ärsche. Seht ihr nicht, dass es eurer Freundin nicht gut geht und sie vielleicht Hilfe braucht?“
Endlich erwachen sie wieder zum Leben. „Ja, sicher, doch, klar.“ Übereifrig helfen sie ihrer Anführerin auf die Beine. Von zwei Seiten gestützt, lässt sich Kyra in gekrümmter Haltung Richtung Schulgebäude schleppen.
Lea sieht sich prüfend um. Einige Leute haben mitbekommen, was sich am Rand des Schulhofs abgespielt hat. Nachdem sie jedoch weit und breit keine Lehrkraft entdecken kann, entspannen sich Leas Gesichtszüge. Sie schreitet über den Pausenhof, als ginge sie über einen Laufsteg. Den neugierigen, teils misstrauischen Blicken der anderen weicht sie nicht aus. Im Gegenteil. Fast alle, denen Lea begegnet, treten mindestens einen Schritt zur Seite und wenden sich ab, um nicht in ihr Visier zu geraten. Mit souveränem Lächeln hebt sie kurz vor dem Eingang die zur Faust geballte Rechte, als wollte sie drohen. Ehe sie im Schulgebäude verschwindet, wächst sich ihr Lächeln zu einem überlegenen Grinsen aus. Einen Meter vor der Tür lässt den Mittelfinger hervorschnellen. Diese erste Runde geht an sie.
Bereits in der folgenden Pause begegnet Lea einem der Mädchen, das zu Kyra gehört, allein. Lea nutzt die Gelegenheit, sich nach ein paar Namen zu erkundigen. „Wie heißt du eigentlich?“
„Celina.“
„Und deine rosa Freundinnen?“
Celina schluckt. „Wieso willst du das wissen?“
Lea lacht. „Hör mal, ich finde schon, dass ich die Namen meiner neuen Mitschülerinnen kennen sollte.“
Noch immer zögernd deutet Celina auf die anderen Mädchen, die in einiger Entfernung stehen und die Begegnung zwischen Lea und Celina genau beobachten. „Sema, Elena und Sabrina“, stellt sie ihre Freundinnen namentlich vor. „Und natürlich Kyra. Weiß nicht, wo die gerade ist.“
Lea nickt. „Geht’s Kyra inzwischen wieder besser?“, macht sie einen auf mitfühlend, um bei Celina Pluspunkte zu sammeln. Ganz ohne Verbündete wird sie auch an der neuen Schule nicht auskommen.
Schon nach wenigen Tagen geht Leas Strategie auf: Durch ein paar nette Gesten hier und ein freundliches Wort dort hat sie Celina bereits am Ende der ersten Woche so weit, dass sie Kyra, das Alphamädchen der 9a, meidet. Nun kommen nur noch vier Mädchen in rosafarbenen T-Shirts zur Schule. Celina hat sich für ein schwarzes Top mit silbernen Sternen entschieden.
Natürlich spricht Lea sie bei der ersten Gelegenheit darauf an. „Steht dir deutlich besser als Schweinchenrosa.“
Celina strahlt. Sie wirkt erleichtert, dass Lea auch an diesem Tag wieder ein schwarzes Outfit trägt. „Findest du echt?“
„Nun krieg nicht gleich einen Orgasmus, nur weil ich dir mal ein Kompliment gemacht habe“, sagt Lea. „Schleimer kann ich nicht ab.“
„Schleimer? Wieso?“
Lea verdreht die Augen. „Wo hast du das Teil überhaupt her?“, fragt sie und entdeckt im selben Moment das verräterische Label, das dezent, jedoch immer noch auffällig genug, über dem Saum des T-Shirts eingestickt ist. Angewidert weicht Lea einen Schritt zurück. „Du kaufst deine Klamotten tatsächlich in so einem abgefuckten Laden? Dir ist aber schon klar, dass die ihren Billigfummel mit Kinderarbeit in Asien oder Afrika produzieren?“
Zerknirscht blickt Celina auf Leas Outfit. „So was Teures, wie du an hast, kann ich mir nicht leisten.“ Sie verdreht die Augen und zieht die Mundwinkel breit. „War auch so meine letzte Kohle für diesen Monat.“
Sema, die sich inzwischen zu ihnen gesellt hat, glaubt auch einen Kommentar abgeben zu müssen: „Außerdem muss man ja nicht jeden Mist kaufen, nur weil er gerade angesagt ist.“
Für Lea ist Sema die Nächste, die sie Kyra ausspannen könnte. Gestern noch Freundinnen auf immer und ewig, und morgen – man wird sehen. Abfällig zupft sie an ihrem eigenen teuren Marken-T-Shirt. „Ihr glaubt doch nicht etwa, dass die Geld von mir kriegen? Die können froh sein, wenn ich für ihre Scheißmarke Reklame laufe.“
„Wie?“ Celina zeigt sich beeindruckt. „Du bekommst Geld dafür, wenn du die Marke trägst?“
Lea quittiert die Frage mit einem höhnischen Lachen.
„Hab ich was Falsches gesagt?“, wendet sich Celina an Sema.
„Du hast wieder mal null Peilung.“ Sema tippt ihr an die Stirn. „Jemand zu Hause? Kapierst du nicht? Sie hat das Zeug mitgehen lassen.“
Celina starrt Lea an, als bräche ihr Weltbild zusammen. „Du klaust die Sachen?“
Abgesehen davon, dass ihr dieser Schulwechsel aufgezwungen wurde, kann sie mit dem Verlauf der ersten Tage zufrieden sein. Die meisten dürften kapiert haben, dass bei ihr klare Kante angesagt ist. Nebenher hat sie sowohl die Lehrkräfte wie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler durch eine Reihe richtiger Antworten beeindrucken können. Auch wenn ihre Noten im letzten Jahr zu wünschen übrig ließen – zu den Doofen hat Lea noch nie gezählt. Bis zur sechsten Klasse, in manchen Fächern sogar bis zur siebten, waren ihre Leistungen gut bis sehr gut gewesen. Weshalb es danach immer weiter bergab ging, geht niemand etwas an. Und wenn die Gründe noch so klar sind, vor Fremden würde sich Lea gewiss nicht damit herausreden, dass es bei all den Konflikten zu Hause unmöglich ist, sich vernünftig auf die Schule zu konzentrieren.
Im Frühjahr schließlich das plötzliche Ende: Ihr Vater hatte von einem Tag auf den anderen seine Koffer gepackt. Zack, weg war er.
Im Grunde war die Abwesenheit des Vaters für Lea nichts Neues. Wegen der vielen Geschäftsreisen war er auch vorher kaum zu Hause gewesen. Wenn doch, lagen sich Leas Eltern in den Haaren und er zog sich die meiste Zeit in sein Büro zurück. Dass er gar nicht mehr zurückkam, entpuppte sich dann aber doch als eine deutlich andere Nummer. Zumal Leas Mutter seitdem über die Dynamik einer Schlaftablette verfügte und Lea nicht wirklich mit Nestwärme überhäufte. Die Medikamente, die ihre Mutter nahm, verstärkten diese Antriebslosigkeit nur noch. Seit dem Auszug des Vaters lag ihre Mutter fast nur noch im Bett, um sich vom vielen Stress zu erholen. Dazu fiel Lea, die gewiss nicht auf den Mund gefallen war, nicht einmal mehr ein giftiger Kommentar ein.
Leas Mutter hatte jede Mitschuld an der Familienkrise schon immer weit von sich gewiesen. Ohne ihre Tochter, hatte Lea sie vor einiger Zeit gegenüber einer Freundin sagen hören, wäre ihr Leben anders verlaufen und ihre Ehe gewiss nicht gescheitert. Damals spürte Lea nichts als Leere. Nur allzu gern hätte sie ihre Mutter mit dieser Aussage konfrontiert und sie gefragt, ob ihr klar wäre, was sie damit zum Ausdruck brachte. Aber Lea wusste genau, wie sinnlos das gewesen wäre. Ihre Mutter hätte nur wieder versucht, sich herauszureden und von irgendwelchen Missverständnissen gefaselt.
In solchen Momenten hätte Lea gerne Zuflucht bei ihrem Vater gesucht. Aber den hatte sie inzwischen schon seit mehr als drei Monaten nur noch am Telefon gesprochen.
Sogar als Lea wenige Wochen vor den Sommerferien von einer Mitschülerin zu Unrecht wegen Körperverletzung angezeigt worden war und daraufhin zu einem Beratungstermin beim Jugendamt verdonnert wurde, hatte es ihr Vater nicht für nötig gehalten, sich zu Hause blicken zu lassen. Stattdessen hatte er am Telefon nur abfällig gelästert, ob denn der größte Fehler seines Lebens, wie er ihre Mutter seit geraumer Zeit nannte, nun endgültig durchgeknallt wäre. „Jugendhilfe! So ein Blödsinn! Nur weil die Frau zu dämlich ist, dir einen vernünftigen Anwalt zu suchen!“
Dieses Ereignis war nicht das erste gewesen, in dessen Verlauf Lea Kontakt mit der Polizei gehabt hatte. Ungefähr zwei Jahre zuvor war sie auch schon mal beim Klauen erwischt worden. Nicht etwa, weil sie unbedingt etwas haben wollte, was sie sich nicht leisten konnte. Nein, sie hatte sich mit ein paar Freundinnen ihrer damaligen Clique auf eine blödsinnige Mutprobe eingelassen, die sie unmittelbar danach natürlich bereut hatte. Wenn sie sich damals in diesem Billigkaufhaus wenigstens für etwas entschieden hätte, wofür es sich gelohnt hätte. Aber der Stift, den sie, wie sie selbst glaubte, unauffällig hatte verschwinden lassen, hätte nicht mal 2 € gekostet. Wenige Meter vor dem Ausgang, sie war sich ihrer Sache längst absolut sicher gewesen, trat ihr plötzlich ein Kaufhausdetektiv in den Weg und forderte sie auf, ihm den Inhalt ihrer Taschen zu zeigen. Dieser Typ schien an diesem Tag offenbar nichts Besseres zu tun zu haben, als wegen dieser Bagatelle die Bullen zu rufen. Natürlich konnte man sie für diesen lächerlichen Stift nicht zu irgendeiner nennenswerten Strafe verdonnern. So beschränkten sich die Konsequenzen auf eine Ermahnung und den durchaus vorhersehbaren Ärger mit ihrer Mutter, die sich einmal mehr entsetzlich für sie schämen musste. Ihr Vater dagegen hatte nur knapp bemerkt, dass sie ja wohl selbst am besten wüsste, dass so was scheiße wäre, zumal ihr monatliches Taschengeld weit über dem Durchschnitt läge.
Ein knappes Jahr später bekam Lea ihre erste richtige Anzeige. Wegen Körperverletzung. Dass sie sich nur gewehrt hatte, weil der Typ ihr an den Busen gegrapscht hatte, wollte ihr niemand glauben und Lea konnte es nicht beweisen. Wenigstens hatte der Typ ordentlich zu spüren bekommen, dass mit ihr nicht zu spaßen war. Ein gebrochenes Nasenbein und ein Brillenhämatom, mit dem er drei Wochen lang durch die Gegend lief, sollten ihm eine Lehre sein. Aber auch Lea hatte aus diesem Vorfall eine wichtige Erfahrung gezogen: Dass man sich auf die Polizei nicht unbedingt verlassen konnte.
Nach einem Telefonat mit ihrem Vater, der auch zu diesem Zeitpunkt überall und nirgendwo, jedoch nicht zu Hause weilte, ließ Lea alle Termine mit einer Vertreterin des Jugendamts, die ihre Mutter für sie vereinbart hatte, platzen. Sie kam zu den verabredeten Zeiten einfach nicht nach Hause. Manchmal kehrte sie nicht einmal zum Schlafen heim, weil sie des Gejammers und Gezeters ihrer Mutter immer überdrüssiger wurde.
Nach der dritten oder vierten auswärts verbrachten Nacht hörte ihre Mutter tatsächlich auf zu fragen und ließ sie in Ruhe. Besser fühlte sich Lea mit der anschließenden Funkstille aber auch nicht. Früher hatte sich ihre Mutter wenigstens noch mit ihr gestritten. Jetzt schien sie Lea nicht einmal mehr wahrzunehmen. Wenn überhaupt, so kommunizierten sie nur noch über Zettel auf dem Küchentisch. Und dann der Hammer: Etwa eine Woche, nachdem Lea auch zum soundsovielten Termin beim Jugendamt nicht erschienen war, konfrontierte ihre Mutter sie mit den Umzugsplänen.
Sie könne die Schmach nicht mehr ertragen, dass alle Nachbarn hinter ihrem Rücken tuschelten. Die arme verlassene Ehefrau! Und dann auch noch eine prügelnde Tochter! Am liebsten wäre Lea zu ihrem Vater gezogen. Rein praktisch wäre es sicher möglich gewesen. Selbst wenn er aus beruflichen Gründen ständig unterwegs war. Er hatte auch nie gesagt, dass Lea nicht bei ihm wohnen könne. Andererseits konnte sie sich nicht daran erinnern, jemals von ihm gehört zu haben, dass er Lea gerne bei sich gehabt hätte. So war es einfach naheliegend, dass sie bei ihrer Mutter blieb.
Ganz großartig war für Lea dann schließlich der Abschied von ihrer letzten Klassenlehrerin gewesen. Die konnte es sich nicht verkneifen, mit giftigem Pfeil in Leas Umzugswunde zu bohren. „Schön, dass wir dich im nächsten Schuljahr nicht mehr bei uns haben müssen“, flüsterte sie Lea während der Zeugnisübergabe ins Ohr. Niemand außer Lea konnte das hören. Alle andern sahen nur das falsche süßliche Lächeln der Lehrerin. Lea hatte diese Frau einmal sehr gemocht.
Wäre ihr nicht doch noch im rechten Moment eingefallen, wo die Lehrerin für Gewöhnlich ihr geliebtes Kabrio parkte, hätte sie wahrscheinlich hemmungslos angefangen zu heulen. So war es für Lea eine bittere Genugtuung, dass die Lehrerin ihren fahrbaren Untersatz zwei Tage später kaum wieder erkannte. Das kürzlich erneuerte Faltdach zeigte einen hässlichen Riss. Und der nächtliche Gewitterregen hatte sowohl den Innenraum geflutet, als auch sämtliche elektronischen Bauteile zerstört. Und dieses Mal war Lea mit Bedacht vorgegangen und hatte sich im Schutz der Dunkelheit von niemandem erwischen lassen. Der ganze bedauerliche Vorgang endete als ungeklärter Fall zwischen den Deckeln einer Polizeiakte.
Zum Schulschluss am Freitag gelingt es Leas neuer Lehrerin Frau Nowak nach mehreren gescheiterten Anläufen doch noch, Lea unter vier Augen zu sprechen. Die anderen sind längst auf dem Flur oder haben bereits das Gebäude verlassen, als Lea von der Lehrerin noch einmal offiziell willkommen geheißen wird. „Ich bin sicher, dass du von allen herzlich aufgenommen worden bist. Die 9a ist ein prima Haufen.“
Dazu fällt Lea wirklich nichts ein. Nicht nur Kyra hat ihr von Beginn an klar zu verstehen gegeben, dass die Klasse aus festen Grüppchen und Cliquen besteht, die sich klar gegeneinander abschotten und bei denen man als Neue kaum eine Chance hat, in den Kreis aufgenommen zu werden. Celina und Sema mögen Ausnahmen sein, aber die beiden sind Mitläuferinnen und wechseln die Seiten schneller als ihre T-Shirts.