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DETLEV F. NEUFERT

JESUS

DAS INTERVIEW

NEUES VOM AUFERSTANDENEN

GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS

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Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln

Umschlagmotiv: © Onionastudio – Fotolia.com

ISBN 978-3-641-10528-0

www.gtvh.de

Für alle.

»Die Wahrheit richtet sich nicht danach,

ob wir sie aushalten können.«

Flannery O’Connor

INHALT

Über unser Treffen

Das war’s, oder?

Engel: Kleine Anti-Teufel?

Macht Gott Fehler?

Das Gute: Eine Maske des Bösen?

Woran erkenne ich Gott, wenn ich mir kein Bild von ihm machen darf?

Darf man der Bibel glauben?

Israel. Auserwählt für immer?

Zeit für einen Moses?

Kann die Welt schlecht sein, wenn das meist gesuchte Wort Liebe ist?

Der Tod als Kollateralschaden?

Und nach dem Tod?

Liebe, Tod und Teufel: Drei Dinge, um die unser Leben kreist.

Warum keiner wie Jesus werden will.

Was ist der wahre Glaube und was die beste Religion?

Einmal am Kreuz reicht.

Der Wut-Jesus

Bist du Kommunist?

Sex und Drogen. Born to be wild?

Jesus als Papst?

Wohngemeinschaft mit Gott. Und wer räumt den Dreck weg?

Satans nächstes Opfer. Die Medien?

Das Paradies. Traum, Vision, Meditation. Oder ein Segelboot im Gehirn von Kolumbus? Eine Parabel über Umwege, die doch ans Ziel führen.

Apokalypse war gestern?

Darf Gott sterben?

Brauchen wir einen anderen Jesus?

Danksagung

Literaturliste

ÜBER UNSER TREFFEN

Sie mögen es glauben oder nicht. Aber ein Interview mit dem Papst ist schwerer zu bekommen als eines mit Jesus. Ich weiß nicht, woran das liegt. Wahrscheinlich, weil der Papst an einen irdischen Terminkalender gebunden ist. Also, warum nicht gleich zum Boss?

Ich habe Jesus im Lauf meines Lebens an den verschiedensten Flecken der Erde getroffen – und in den verschiedensten Lebenssituationen – bevor ich auf die Idee kam, ihn um ein Interview zu bitten. Zu meiner Überraschung sagte er sofort zu. Ich muss sagen, ich habe selten ein so langes und so offenes Gespräch mit jemandem geführt.

Eine Erfahrung, die so ganz anders ist als das, was einem bei den Gesprächen über Gott sonst widerfährt. In der Regel passiert dabei immer das Gleiche: Ohne lange nachzudenken, werfen die Gefragten Religion, Papst, Sartre, Kindesmissbrauch, Esoterik, Frauenpriestertum und noch vieles mehr in einen Topf. Der brodelt dann über und aus Freunden werden Feinde. Mit diesem kindischen Gehabe muss endlich Schluss sein. Ich hoffe, dass dieses Interview einen Anstoß gibt zu einer vorurteilsfreien Diskussion über die Möglichkeiten des Glaubens in einer an Wundern oft so armen Zeit.

ÜBER JESUS

Obwohl er zu Tode gequält wurde, soll man sich Jesus als einen fröhlichen Menschen vorstellen.

Die Christen des 1. Jahrhunderts sahen ihn als einen klugen, mutigen und schönen Jüngling. Die Bilder in den Katakomben in Rom zeigen ihn ohne Bart und nie am Kreuz.

Jesus hat sein Wiederkommen auch nach seiner Lebenszeit immer wieder angekündigt.

Er hat sein Versprechen gehalten. Wir haben nur verlernt, ihn zu sehen.

DAS WAR’S, ODER?

Jesus, Sie sind weltbekannt. Über zwei Milliarden Anhänger. Das schafft kein Politiker, kein Papst und kein Popstar. In Ihrem Namen werden Kriege geführt, fallen Menschen in Ekstase und manche tragen ihn auf ihrem T-Shirt. Ihre Biografie ist – sagen wir es mal vorsichtig – außergewöhnlich. Als Sohn Gottes wissen Sie alles. Jesus, wann geht die Welt unter?

Bitte?

Der Kalender der Majas endete am 21.12.2012 mit einer leeren Seite. Eine andere Quelle – die Bibel – bietet in der »Offenbarung« undatierte Schreckensszenarios an. Erdbeben. Tsunami. Killerviren. Krebs. Aids. In Anbetracht der rapide steigenden Katastrophen: Ist es Zeit für eine neue Arche?

Nun, ja ... Die Erde nimmt Abschied von euch.

Also ... ganz ehrlich gesagt ... ich hatte eigentlich auf ein Dementi gehofft.

Wozu? Die Menschheit steht vor einer notwendigen Wandlung. Und wenn Sie mich fragen, höchste Zeit.

Gott gibt die Welt auf?

Die leere Seite des Maya-Kalenders sollten Sie als Metapher lesen. Nur weil dort nichts geschrieben steht, bedeutet das nicht gleich, dass alles vorbei ist. Betrachten Sie’s mal so. Die Seite könnte ja auch »weiß« sein. Und eine weiße Seite steht dafür, dass alles neu entstehen kann.

Zum Beispiel?

Ihr begreift die Wahrheit.

Hoppla. Sollte einem da nicht eher Angst und Bange werden? Ich meine bei allem, was man so in den Medien hört und sieht.

Ich bin auch noch da.

Wer’s glaubt ...

Menschen glauben doch auch, dass die Welt aus Atomen besteht.

Verzeihung. Aber dafür gibt’s einen wissenschaftlichen Beweis.

Tatsächlich? Forschungsergebnisse akzeptiert ihr als Wahrheit, obwohl niemand sagen kann, ob in zehn Jahren deren Hypothesen noch haltbar sind. Mal abgesehen davon, dass wahrscheinlich 99 % der Menschen gar nicht verstehen, worum es dabei überhaupt geht. Und trotzdem seid ihr bereit, sie zu glauben. Ich denke, die Bibliothek der wissenschaftlichen Irrtümer dürfte mittlerweile ebenso groß sein wie die Bibliothek von Alexandria.

Schön. Aber dafür dass die Wissenschaft auch »nur« eine Glaubenssache ist, hat sie doch eine ganze Reihe von Fortschritten gemacht.

Zweifellos. Nur, Sie müssen doch zugeben, dass der Mensch, wenn es um den Glauben an Gott geht, diese bedingungslose Bereitschaft nicht mitbringt. Seltsames Defizit, oder? Der Mensch ist nur bereit, eine vermeintliche Wahrheit bedingungslos zu glauben, solange sie mit dem Etikett der Wissenschaft versehen ist.

Sorry, aber das stimmt nicht.

Wollen wir wetten?

Um was?

Wie wär’s mit Ihrer Seele?

Bin ich Faust und Sie Mephisto?

JESUS SIEHT MICH INTERESSIERT AN.

Jetzt wird mir aber etwas mulmig ... Sie sind ja nicht irgendwer.

Nur Mut. Das Leben ist riskant. Fürchten Sie sich nicht.

Ich habe zwar schon viele Interviews geführt, aber das hier ist wie die Formel Eins für Theologen. Kaum gestartet schon auf Volltempo im kosmischen Geheul.

JESUS LÄCHELT. UND SCHWEIGT.

Logisch, verstehe. Wer falsche Fragen stellt, riskiert sein Leben. Sag mal, sollen wir uns duzen?

Gerne.

Irgendwelche Tabus für dieses Gespräch?

Alle Fragen sind erlaubt. Falls mir was nicht gefällt ... kann ich immer noch petzen gehen (LACHT) ... also ... Sie wissen ... ähm ... du weißt ja, was mit Ketzern passiert.

Danke für den Hinweis. Fangen wir von vorne an. Die Geburt von Gottes Sohn hat so gut wie kaum einer mitbekommen, außer drei Astrologen. Bei Prominenten wie Michelangelo oder Steve Jobs war das zwar nicht anders, aber in deinem Fall ist das heute kaum vorstellbar, wo jeder Thronfolger in der Klatschpresse hochgehalten wird. Merkwürdig, oder?

So merkwürdig ist das nicht. Eine reine Schutzmaßnahme. Ich kann nicht für Einstein sprechen oder den Erfinder von Coca Cola. Aber als Auserwählter schwebt man ständig in Lebensgefahr. Seit meiner Geburt bestand die Gefahr, dass ich umgebracht werde. Aber ich bin da nicht der einzige. Denk dran, was dem Dalai Lama passiert, wenn die Chinesen seinen Auftrag verhindern könnten. »Kill Jesus« war auf den Lippen meiner Gegner kein kesser Spruch, sondern die Beschreibung für einen politischen Job. Ich durfte aber erst einmal ganz normal aufwachsen und eine sinnvolle Arbeit – nämlich Schreiner – lernen. So wusste ich auch, wie es um die einfachen Leute bestellt ist und was deren Sorgen im Alltag sind. Das hat mir geholfen, sie zu verstehen und ihre einfache Lebensweise zu bevorzugen.

Wie war deine Kindheit?

So wie es sich für jedes Kind gehört. Beschützt von meinen Eltern und Brüdern. Meine Mutter war da, wenn ich sie brauchte. Wir hatten nicht viel Geld, aber sie musste deswegen nicht arbeiten gehen. Heute wachsen Kinder in den ersten Lebensjahren ja oft ohne Mutter auf. Mir tun die Kleinen leid. Die Stunden, die sie ihre Mutter nicht sehen, fehlen ihnen später im Leben.

Beruf: Mutter?

Eher Berufung. Dabei spielt es keine Rolle, ob Mutter oder Vater die leiblichen Eltern sind.

Das musst du jetzt sagen. Wegen deines Ziehvaters.

Nein. Erziehung basiert auf Hingabe und Zeit. Babies und Kindern ist das egal, von wem sie beides bekommen. Hauptsache, sie fühlen, dass sie geschützt und geliebt werden. Familie kann ein ganzes Dorf sein. Hauptsache, sie ist dein Anker im Leben.

Warst du schon als Kind der Boss im Sandkasten? Hast du schon damals deine Spielkameraden angeführt?

Ich war genauso ein Bengel wie jeder andere. Steve Jobs hat sein Apple-Imperium übrigens auch nicht im Alter von acht Jahren geschaffen. Also, ich habe mich da schon an die altersbedingten Fähigkeiten gehalten. Ich habe mich manchmal wunderbar gelangweilt, meine Zeit im Spiel vergeudet und am Morgen meist nicht gewusst, was der Tag bringt. Also, die beste Art, als Kind aufzuwachsen.

Heute würde man dich bei deinen Fähigkeiten sofort auf eine Sonderschule für besonders begabte Kinder schicken.

Wer sagt denn, dass ich als Kind besonders begabt war? Erst mit Beginn der Pubertät wurde ich mir dessen bewusst. Das war so etwa mit 12 Jahren.

So ganz ist das Versteckspiel aber doch nicht geglückt. Spätestens als du dich in diesem Alter mit den Schriftgelehrten gestritten und mit einem Wissen geglänzt hast, das man eigentlich nicht haben konnte in diesem Alter, dürfte dem einen oder anderen Zweifel gekommen sein.1

Da begannen sich zum ersten Mal himmlische Kräfte in mir zu regen. Die Schriftgelehrten haben in der Tat doof geguckt. Das wiederholte sich dann, als ich meine ersten Wunder bewirkte. Am Anfang wurde das alles noch als Zauberei betrachtet, bis dann mehr und mehr Leute verstanden, dass da etwas völlig anderes in Gang kam.

Auf der anderen Seite ist es ja auch ganz angenehm, privilegiert zu sein. Oder?

Keine Frage. Ich konnte dem Leben mit einem Selbstvertrauen begegnen, das sich nicht erst beweisen musste. Aber es bestand immer die Gefahr, dass meine Freunde oder Verwandten mich enttarnen könnten. Ein dummer Zufall damals und wir würden uns heute nicht unterhalten. Nimm das Beispiel von Anne Frank oder das von Erich Salomon, dessen Kellerversteck zufällig der Gasmann entdeckte. Er wurde dann im KZ ermordet.

Du hast das Schwein gehabt, dass deine Eltern gewarnt wurden und ihr rechtzeitig fliehen konntet.2

Eigentlich schäme ich mich dafür, dass das Privileg so einer Rettung nicht allen zukommt. Das wird dir in solchem Zusammenhang schmerzhaft klar. Der Erfolg wird da zur Bürde.

JESUS SCHWEIGT.

Gottes Sohn zu sein: Wie schafft man es eigentlich, dieses Privileg den anderen nicht auf die Nase zu binden? Noch nicht mal im Zorn.

Ich könnte jetzt sagen: Charakter. Aber das wäre Blödsinn. Weil es so aussieht, als wäre das alles ganz allein mein Verdienst gewesen. Erziehung spielte dabei eine wesentliche Rolle. Und Glück, keine Frage, dass weder ich noch jemand aus meinem Umfeld in die Versuchung geriet, eine Riesendummheit zu begehen. Wahrscheinlich kamen alle drei Dinge zusammen. Eine Sache, die ich in dem Zusammenhang jedoch wesentlich bemerkenswerter finde, ist, wie meine Eltern es geschafft haben, damit klarzukommen. Ein Kind groß zu ziehen, ist eine Sache. Dafür zu sorgen, dass die Mission des Gottessohnes nicht gefährdet wird, eine ganz andere. Damals habe ich begriffen, dass Menschen, wenn es sein muss, in der Lage sind, Außerordentliches zu leisten. Vielleicht war es auch nur das, was auf mich abgefärbt hat.

Außerordentlich waren auch die Umstände deiner Geburt. So eine unbefleckte Empfängnis ist schwer vorstellbar für einen Normal­sterblichen. Wie funktioniert so was? Wie Leda mit dem Schwan?3  

LACHT

Vielleicht bei den Griechen ... Quatsch!

Wieso?

Gott braucht keinen Phallus. Komisch. Gerade ihr solltet das heute doch verstehen. In einer Zeit, in der Frauen Kinder gebären können, ohne den dazugehörigen Mann jemals berührt oder gar gesehen zu haben, dürfte das doch nicht so ungewöhnlich sein. Oder?

Ganz schön progressiv, dein himmlischer Vater. Er benutzte damals schon eine Leihmutter.

Der Heilige Geist ist keine Samenspritze. Den kleinen Unterschied müsst ihr mir schon lassen.

Schon gut. Ich stell die Frage anders: Wozu eine unbefleckte Empfängnis?

Mit dieser Geburt hatte Gott etwas völlig Neues im Sinn. Statt einer Religion, die auf Unterwerfung beruht, schwebte ihm eine Religion der Gleichberechtigung vor. Die Menschen sollten sich Gott nicht unterwerfen müssen. Als Zeichen dessen wurde zum ersten Mal Gottessohn und ein Menschenkind aus dem gleichen Fleisch und Blut geschaffen. Ohne die unbefleckte Empfängnis wäre ich also nur ein weiterer Rabbi oder Prophet mehr gewesen. Das wäre sicherlich ausreichend, um die Botschaft Gottes zu verkünden. Nicht aber, um seine Existenz zu beweisen.

Ganz so einzigartig war die Idee aber nicht. Jungfrauengeburten gab es auch schon vor dir. In den mythischen Geschichten über Helden wie Herakles oder Alexander den Großen wird auch davon erzählt. Zudem verfälschten Astrologen gerne die Geburtszeiten von Königen, damit in einer Zeit, die an die Macht der Sterne glaubte, gute Schicksalvorhersagen möglich wurden.

Meine Geburt ist die Chance für einen Neuanfang in der Geschichte der Menschheit. Und zwar für jeden Neugeborenen. Sozusagen der Reset-Button. So wie wenn Menschen nach einem Krieg wieder zueinander finden.

Ausbaden mussten das aber Josef und Maria. Eine Mutter, zwei Väter. War das nie Thema zwischen deinen Eltern?

Bestimmt. Aber wenn, dann war ich nicht dabei.

War dein Vater nicht irgendwie sauer oder eifersüchtig?

Josef verstand nicht, was da vor sich ging. Beweise, dass Maria  mit einem anderen Mann geschlafen hatte, gab es keine. Doch seine Zweifel wuchsen. Er wollte sie verlassen. Um kein Aufsehen zu erregen und ihre Zukunft nicht zu gefährden, sollte das ganz heimlich abgewickelt werden. Er war ein einfacher und wunderbarer und anständiger Mann. Natürlich ist er dann informiert worden. Ohne sein Einverständnis wäre da nichts gelaufen.

Wer hat ihn informiert?

Gott. 

Ach so? Und er hat ihn persönlich besucht, um ihm zu erklären, dass er mal eben seine Frau geschwängert hat?

Er hat dafür sein Personal.

Gott hat Personal?

Engel ... warum schaust du so ungläubig?4

1 Lukas 2,41-52

2 Matthäus 2,13-15

3 Matthäus 1,18; Lukas 1,34-37

4 Matthäus 1,19-21; Lukas 1,26-38

ENGEL: KLEINE ANTI-TEUFEL?

Engel?

Natürlich, was ist denn daran so besonders? Sie sind Gottes Boten und überbringen seine Worte.

Wie das?

Durch Träume, sogar durch aktiven Einfluss. Engel sind reine Geister, die es lieben, für andere da zu sein.

Ist das nicht ein bisschen schwammig?

Das wird das Problem unseres Interviews sein. Wir reden über Dinge, die den Geist betreffen, über Zwischenräume, die nicht leicht analysierbar sind. Wissenschaftliche und historische Beweise sehen da sicher anders aus. Es geht auch nicht um Nachrichten aus der Zeitung oder um philosophische Abhandlungen. Mein Job ist Aufklärung über Gott.

O.k. Akzeptieren wir mal, dass es Engel gibt. Engel sind üblicherweise klein, pausbäckig und haben Flügel. Wie passt dann der grausliche Luzifer, der gefallene Engel, dazu?5

Luzifer gilt ursprünglich als das schönste Wesen im Reich Gottes. Oder »galt«, sollte ich lieber sagen.Er brachte das Licht, in dem Gott sich zum ersten Mal selbst erkennen konnte.

Der Fürst der Finsternis als Herr über die Erleuchtung. Das ist ein Witz, oder?

Ganz und gar nicht. Dinge sind nie nur gut oder nur schlecht, schon gar nicht, wenn sie einen eigenen Willen haben. Luzifers Leistung bestand in der Abschaffung der Finsternis. Eine Finsternis, die wie ein schwarzer Monolith vorher alles umgeben hatte. In ihr fehlte Gott die Erkenntnis seiner Vollkommenheit. Das schafft er durch den Lichtbringer Luzifer. Er schuf damit die Grundlage für alles, was wir heute mit Zuversicht, Mut, Aufklärung und Schönheit verbinden. Sogar Erleuchtung. Luzifer war also eine positive Gestalt, wenn du so willst.

Und dennoch wurde ihm der eigene Wille zum Verhängnis.

Ich weiß nicht, ob Luzifer nicht nur von seiner eigenen Schönheit geblendet war. Er fühlte sich als Auserwählter. Ein Narziss. Er glaubte, dass Gott ihm keinen Wunsch abschlagen könne, denn er hatte ihn als Dank und Beweis seines Vertrauens sogar mit der Macht versehen, eigene Wesen zu schaffen. Das war ihm nicht genug.

Was sollen das für Wesen sein? Bitte nicht die Engel des Bösen!

Die Geschöpfe Luzifers haben schon zu Zeiten der Propheten die Erde besucht. Sie leben in den Tiefen der Galaxien.

Ach, wirklich? Und warum reichen Luzifer diese Eigengewächse nicht?

Was Luzifer zusätzlich verlangte, war Gott nicht bereit zu geben. Nämlich den Schlüssel zum Leben. Den vermutet er beim Menschen. Und er versucht alles, um ihn euch abzunehmen. 

Der Mensch ist somit Gottes größtes Geheimnis? So eine miserable Konkurrenz würde ich mir als Lieblingsengel auch nicht gefallen lassen. War das der Grund, warum er von der Licht- auf die Schattenseite wechselte?

Zunächst einmal beschloss er die Grenzen, die Gott ihm gesetzt hatte, nicht zu akzeptieren.

Grenzen?

»Gut« und »Böse«. Diese Orientierungsmarken hatte Gott zum ersten Mal bei der Trennung von Licht und Finsternis benutzt. Er sah, dass das Licht »gut« war, nicht schön, hell oder lustig, sondern »gut«!6

Als Engel verfügt Luzifer über einen eigenen Willen. Warum sollte er sich da an irgendeine Vorgabe halten?

»Gut« und »Böse« sind doch keine beliebigen Begriffe. Sie sind mit energetischen Konsequenzen verknüpft. Wenn du sie dir als Bild vorstellst: »Gut« führt spiralförmig sich immer weiter öffnend aufwärts, ins Licht und ins ewige Leben. »Böse« verengt sich nach unten zu einem finalen Punkt der Finsternis und Auslöschung. Luzifer hat sich für letzteres entschieden.

Warum? Alles, was das Leben ausmacht, ist da vorbei. Was hat Luzifer davon?

Das gibt ihm die Möglichkeit, sich an der ihm überlassenen Macht zu berauschen und sich vor Gott zu verbergen. Wie ein schwarzes Loch im Universum saugt er das Licht auf. Je mehr Licht Luzifer wieder in Finsternis verwandeln kann, desto furchteinflößender seine Macht.

Verstehe. Aber, nichtsdestotrotz: Warum hat Gott Luzifer auf die Menschen losgelassen. Und nicht von Anfang an gestoppt. Ich meine, auch dir wäre damit eine Menge Ärger erspart geblieben. Oder?!

Hätte Gott den Teufel aufgehalten, gäbe es keine Schönheit. Hätte er deswegen auf einen wesentlichen Teil des Garten Edens verzichten sollen? Ich meine, wer reißt schon alle Rosen aus dem Garten, bloß weil man sich an den Dornen verletzen kann.

Warum nicht? Es bleibt immerhin noch Gottes Garten.

Eine schöne Frau, die du liebst, hat dich verlassen. Zürnst du jetzt der Schönheit oder der Frau?

Andere Frage. Wenn Luzifer so schön war, wie du sagst, wie konnte er es selbst ertragen, sich in etwas Abstoßendes zu verwandeln? Ich meine, kein Supermodel würde freiwillig rumlaufen wie Frankensteins Tochter oder wie ein Zombie.

Lodernde Wut. Brennender Hass. Maßlose Enttäuschung. Nenn es, wie du willst. Das Schlimme ist, dass der einstige Lichtbringer trotz seiner Wut Rationalist geblieben ist. Man könnte fast sagen, dass er das alte Sprichwort »Seid klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben« für seine Zwecke umgemünzt hat in »Seid klug wie die Tauben und arglos wie die Schlangen«. Also haltet Schwachsinn für Weisheit und akzeptiert Lügen als Wahrheit.

Ich komm’ nicht ganz mit.

Je abgefeimter eine List, desto besser. Er schlüpft in das Gewand der Taube und bleibt eine Schlange. Er sagt, er will Frieden, dabei plant er den nächsten Krieg. Der Teufel kleidet sich zum Beispiel auch gerne in den Rock eines Priesters. Aber ganz egal, in welchem Kostüm, er tut das immer nur aus einem einzigen Grund.

Menschen zu verführen?

Nein. Um die Schönheit zu vergiften. Das ist seine Rache an Gott.

Luzifer benimmt sich wie ein eifersüchtiger Liebhaber.

Luzifer ist Gottes erster Liebesakt. Er schuf den schönsten Engel, um sich an seiner Schöpfung zu erfreuen.

Klar ... und Gott fiel auf ihn herein wie der deutsche Bauer auf die Thaifrau. Also schon hier macht Liebe blind?

Es war wohl eher Sinneslust. Aber Lust, die man empfindet, wird schal, wenn nicht Liebe daraus wird.

Mir tut Luz leid. Auch er ist also einsam.

Luzifer hat die Liebe, die Gott ihm entgegenbrachte, nicht erwidert. Später, als er die Menschen erschuf, war Gott klüger.

Die anderen Engel sind zum Glück weniger selbstverliebt.

Stimmt. Sie sorgen in schwierigen Situationen für ungewöhnliche Lösungen. Sie haben sogar die Fähigkeit, Menschen ganz besondere Erkenntnisse zukommen zu lassen. Sehr oft von Angesicht zu Angesicht. Sie begleiten Ereignisse der Geschichte und individuelle Biografien. Manchmal haben sie auch die Pflicht einzugreifen. Darf ich dich daran erinnern, wie sie dich einmal vor einem tödlichem Zusammenstoß gerettet haben?

Du meinst die Geschichte in Italien? Naja, ob das Engel waren ... Ich war mit meiner BMW R90/6, die es immerhin auf 210 km/h brachte, auf dem Weg nach Griechenland, um Ferien zu machen. Ich wollte unbedingt noch die letzte Abendfähre vom süditalienischen Lecce nach Igoumenitsa auf der griechischen Seite erreichen. Also gab ich Gas. Auf einer gut ausgebauten Landstrasse setzte ich zum Überholen eines kleinen Fiat 600 an. Im selben Augenblick scherte er auf meine Spur aus. Ich fuhr Tempo 170. Es war mir unmöglich, ihm auszuweichen. Ich raste in ihn hinein. Im Bruchteil dieser Sekunde sah ich den Unfallhergang ... beobachtete den Abtransport meiner Leiche ... die Polizisten, die an unserer Haustür in Deutschland klingelten ... wie meine Mutter öffnete ... ihr Schock, als sie verstand ... Dann meine Beerdigung an einem sonnigen Tag ... die fassungslosen Gesichter meiner Freunde ... die entsetzte Trauer meiner Eltern ... das alles in voller Klarheit, dreidimensional und in Realzeit ... und dann riss eine übermenschliche Kraft mein Motorrad aus der Gefahr ... physikalisch völlig unmöglich ... und dann war ich wieder in der Jetztzeit. Mein Tod war irgendwie verschoben worden.

Bei meiner Geburt haben Engel die Organisation übernommen.

Na, ganz so erfolgreich war das später aber nicht immer. Trotz himmlischen Eventmanagements verlief deine Taufe nicht ganz so reibungslos. Gott musste dich am Jordan auch noch einmal durchsagen und klar machen, dass du sein geliebter Sohn bist. Sind die Leute nicht vor Schreck weggelaufen, als plötzlich der Schöpfer der Welt zu ihnen sprach?7

Im ersten Moment schon. Aber sie hatten sich ja eingefunden, um sich durch die Taufe mit Gott zu vereinigen. Und zwar freiwillig. Ein Wunder wie dieses unterstrich die Bedeutung doch nur. Die Taufe sollte deswegen auch immer eine mystische Inszenierung sein und so gestaltet werden, dass religiöse Erfahrungen möglich werden.

Du warst knapp 30 Jahr alt, als Johannes der Täufer dich im Jordan taufte. Und du wusstest, warum. Heute werden Babys getauft. Was hat das mit freiem Willen zu tun?

Die Babytaufe ist eines der vernünftigen Dinge der Religionen, da sie den neugeborenen Menschen mit einem spirituellen Schutzmantel umgibt. Allerdings auch nur dann, wenn die Eltern daran glauben.

Und wenn nicht?

Wir passen trotzdem auf. Aber sag’s nicht weiter.

Das passt aber nicht ganz zusammen mit der grausamen Feststellung in der Bibel: »Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden«.8

Das hat mir irgendjemand später untergeschoben. In dem Punkt bin ich mit der Kirche absolut nicht einer Meinung. Keiner wird verdammt. Ebenso wenig wie es das Schreckgespenst der Erbsünde noch gibt. Diesen Bann über Adam und Eva und deren Nachkommen habe ich durch meinen Tod aufgehoben. Was sich aber nicht ganz so leicht rückgängig machen lässt, ist die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies. Das müssen wir jetzt ändern.

Schön. Und wie?

Kapiert endlich, wer Gott ist. Das haben euch die Engel voraus.

Vielleicht ist es ja dann besser, bei den vielen Katastrophen, die so ein Leben mit sich bringt, erst mal die Engel zu nerven. Und nicht Gott.

Kein Problem. Nerve Gott.

Und wenn er es mir übel nimmt?

JESUS STRAHLT MICH AN.

Sehe ich so aus, als ob ich etwas übelnehmen könnte?

5 Jesaja 14,12-15

6 Genesis 1,4

7 Matthäus 3,13-17

8 Markus 16,16