Zum Buch:

Stefan Heym hat neben seinen Romanen, Erzählungen und essayistischen Arbeiten auch Märchen geschrieben. Entstanden sind sie immer in schwierigen Zeiten – es scheint, als habe sich der Autor immer dann seiner Märchenwelt zugewendet, wenn es Krisen in seinem Leben zu überwinden galt. Er selbst sagte, daß er die Märchen zu seinem Trost brauchte und um über den Umweg des Märchens von der Wirklichkeit zu sprechen, die auf andere Art längst nicht so elegant zu beschreiben gewesen wäre. Es sind Märchen voller Weisheit und Wahrheit entstanden, voller Liebe und liebenswerter Bosheit.


Alle Märchen von Stefan Heym in einem Band, erstmals erschienen zwischen 1965 und 1989, nun in der digitalen Werkausgabe.


»Literarische Meisterstücke, die an die besten Satiren Jonathan Swifts erinnern.«
Bayerischer Rundfunk

Zum Autor:

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In der McCarthy-Ära kehrte er nach Europa zurück und fand 1952 Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er vielfach ausgezeichnet und international bekannt. Er gilt als Symbolfigur des aufrechten Gangs und ist einer der maßgeblichen Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001 in Israel.

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Stefan Heym

Märchen für kluge Kinder

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E-Book-Ausgabe 2021

Copyright © 1976, 1979, 1984, 1989 by Inge Heym

Copyright © 1976 by C. Bertelsmann Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, München für „Das Cymbelinchen,“, „Korax, Korax“, Der alte Pelzmantel“, „Die Geschichte vom Zwerg Kasimir und der Prinzessin Sismonda“

Copyright © 1979 by Inge Heym für „Der kleine König, der ein Kind kriegen mußte“, „Wie es mit Rotkäppchen weiterging“, „Clown Theobald“, Erich Hücksniesel und die Fußballfee“, „Der zerstreute Kuckuck“

Copyright © 1984 by Inge Heym für “Wie es mit dem kleinen Jungen, der die Wahrheit sagte, weiterging”, MAX und DAISY”, Das Glück in der Liebe”

Copyright © 1989 by Inge Heym für “Die Geschichte von dem Livchen und der Puppe Tina”, Ernie und Susie. Ein Satelliten-Märchen“, „Meine Cousine die Hexe“

Copyright © dieser Ausgabe 2021 by C. Bertelsmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Sabine Kwauka, München nach einem Entwurf von Hafen Werbeagentur, Hamburg

Umschlagmotiv: © Shutterstock 127207556

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-27839-7
V001

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Das Cymbelinchen

Das Cymbelinchen saß im Garten und spielte. Es spielte Hochzeit: Ein großer langer Tannenzapfen war der Bräutigam, ein kleiner dicker war die Braut, und die gelben Löwenzähne waren die Brautjungfern. Ein brauner Käfer kam und blieb vor den beiden Tannenzapfen stehen; das war der Pastor, und er sagte: »Wollt ihr?« Und der große lange Tannenzapfen sagte ja, und der kleine dicke Tannenzapfen sagte ja. Dann waren sie Mann und Frau, und die Hochzeit war zu Ende.

Was nach der Hochzeit kam, wußte das Cymbelinchen nicht. Als seine Schwester, das Irmchen, geheiratet hatte und in einer grünen Kutsche abfuhr, hatte die Großmutter gesagt: »Nun fängt der Ernst des Lebens an.« Aber was war der Ernst des Lebens?

Auf einem Ast saß ein Vogel, der hatte einen roten Schwanz und wippte damit. »Was ist der Ernst des Lebens?« fragte ihn das Cymbelinchen. Der Vogel sang:

»Auf dem Baume

hängt ’ne Pflaume,

gleich wird se munter,

gleich fällt se runter –«,

was der reine Unsinn war, denn es war gar kein Pflaumenbaum, und so konnte auch keine Pflaume herunterfallen.

Da kam das Pudelfräulein Lulu, schüttelte sich ausführlich und legte sich vor Cymbelinchen auf den Bauch. »Was ist der Ernst des Lebens?« fragte das Cymbelinchen die Lulu. Das Pudelfräulein sagte:

»Auf der Decke

sitzt ’ne Schnecke,

gleich wird se munter,

gleich kriecht se runter –«,

was ebenfalls der reine Unsinn war, denn so weit das Cymbelinchen blickte, es saß gar keine Schnecke auf der Decke, und so konnte auch keine herunterkriechen.

Schließlich ritt der Prinz herbei auf seinem Rappen, der eine goldene Decke unter dem Sattel trug. Das Pudelfräulein Lulu bellte, und der Prinz hielt den Rappen an und lächelte dem Cymbelinchen zu. Das Cymbelinchen fragte ihn: »Was ist der Ernst des Lebens?«

Der Prinz dachte nach, aber es wollte ihm kein passendes Gedicht einfallen. So sagte er: »Komm mit, Cymbelinchen. Wir werden es schon herausfinden.«

Dem Cymbelinchen war es recht. Zu Mittag sollte es zwar grüne Klöße geben, aber zu Mittag würden sie alle schon zurück sein – der Prinz und das Cymbelinchen hinter ihm und das Pudelfräulein Lulu und der rotgeschwänzte Vogel, der übrigens Heinrich hieß.


Der Rappe trabte klippetiklapp, das Pudelfräulein Lulu rannte, was das Zeug hielt, die Bäume an der Straße glitten nur so vorbei, und der Vogel Heinrich flog voran und war ganz aufgeregt, denn es kommt nicht jeden Tag vor, daß so ein hoher Herr wie der Prinz sich persönlich um etwas bemüht. Das Cymbelinchen aber hielt sich am Prinzen fest und dachte: So schnell bin ich noch nie vorwärts gekommen. Ob das schon zum Ernst des Lebens gehört?

Nach einer Weile drehte sich der Prinz zu Cymbelinchen um und sagte, vielleicht solle man eine Rast einlegen. Sie wären schon sieben Wochen geritten und hätten sieben mal sieben mal sieben Meilen hinter sich gebracht, und auch das Pudelfräulein Lulu wäre bestimmt hungrig.

Das Cymbelinchen sagte erschrocken: »Was ist mit den grünen Klößen zu Mittag?« Zu Mittag hätten sie doch zurück sein wollen? Und nun wären es schon sieben Wochen!

»Tja«, sagte der Prinz, »da ist guter Rat nun teuer«, und er war ganz traurig, so daß am Ende das Cymbelinchen ihn trösten mußte und sagte, vielleicht würden sich die grünen Klöße doch so lange halten. Inzwischen packte der Prinz aus, was er mitgebracht hatte – ein Schinkenbrot und ein Stück Käsetorte mit Rosinen, weil das Cymbelinchen diese so gern aß, und für das Pudelfräulein Lulu ein Zipfelchen Wurst, und der Vogel Heinrich fraß mit dem Rappen aus demselben Sack.

Nach dem Essen wurde dem Cymbelinchen ganz schläfrig.

»Müde?« sagte der Prinz. »Du kannst dich hier hinlegen, und deinen Kopf lehnst du an meine Schulter, da ist es warm und bequem.«

»Ist das dann der Ernst des Lebens?« fragte das Cymbelinchen.

»Nein, noch nicht«, meinte der Prinz und begann ihr von seinem Schloß zu erzählen, das größer war als eine ganze Stadt und tausend Säle hatte, einen prächtiger als den anderen, und der prächtigste, ganz in Gold und Silber und mit der schönsten Aussicht, war reserviert für das Cymbelinchen. Das Cymbelinchen aber bekam es mit der Angst zu tun, denn statt des wunderbaren Schlosses waren nur hohe dunkle Bäume ringsum, und hinter den Bäumen lagen große weiße Berge. Die Sache mit dem Schloß hörte sich wohl recht gut an, aber die Großmutter hatte mehr als einmal vor Leuten gewarnt, die kleinen Mädchen große Versprechungen machten, und hatte gesagt: »Cymbelinchen! Erst wäge, dann wage! Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach.«

Gott sei Dank, daß das Pudelfräulein Lulu mit von der Partie war. Das war wenigstens jemand von zu Hause, und auch der Vogel Heinrich kannte sich aus.

Der Vogel Heinrich hatte von den Körnern des Rappen gefrühstückt und wippte nun mit dem roten Schwanz und sagte:

»Hoch hinaus

geht selten gut aus –«,

was nicht gerade beruhigend klang.

Das Pudelfräulein Lulu hatte den Wurstzipfel verspeist und leckte sich die Lippen.

»Willst du mir nichts sagen, was mich beruhigen könnte?« fragte das Cymbelinchen.

Lulu blickte das Cymbelinchen aus blanken schwarzen Augen an und sagte:

Ȇber Stock,

über Stein

reißt der Rock,

bricht das Bein –«,

und das machte dem Cymbelinchen das Herz noch schwerer. Schließlich schlief es aber doch ein und träumte.


In Cymbelinchens Traum war der Prinz gar nicht der Prinz, sondern der Peter, der es immer an den Zöpfen zog, wenn es nicht schnell genug davonlief, und der dazu rief:

»Linchen, Linchen,

kesses Bienchen –«,

weshalb es den Peter auch nicht leiden mochte und oftmals wünschte, er möge hinfallen und sich ein Loch in den Kopf stoßen, aber kein zu großes, nur richtig weh sollte es tun.

Dann war aber der Traum-Peter doch nicht der Prinz, sondern sie waren zwei verschiedene Personen, die sich heftig stritten, und zwar wegen des Cymbelinchens. Der Prinz wurde ganz rot im Gesicht und der Peter auch; ihre Augen blitzten, und sie gingen aufeinander los wie Kampfhähne. Der Prinz zog seinen Degen, und der Peter lud seine Schleuder, und bestimmt hätte es Mord und Totschlag gegeben, wenn das Cymbelinchen sich nicht zwischen sie geworfen und »Halt! Halt!« gerufen hätte.

Da gingen der Prinz und der Peter auseinander und immer weiter fort von Cymbelinchen, bis am Ende keiner mehr zu sehen war, nur noch der große lange Tannenzapfen und der kleine dicke, die plötzlich vor ihr standen und sagten: »Das ist der Ernst des Lebens. Die Klöße sind angebrannt.«


Wie nun das Cymbelinchen aufwachte, hatte der Prinz schon alles eingepackt, der Rappe stand gesattelt da und stampfte mit den Füßen. Der Vogel Heinrich zwitscherte:

»Auf dem Rasen

sitzen zwei Hasen,

gleich werden se munter,

gleich hüpfen se runter –«,

aber das hatte gar nichts mit der Geschichte zu tun, denn weit und breit konnte das Cymbelinchen gar keinen Hasen sehen. Und das Pudelfräulein Lulu schwänzelte um das Cymbelinchen herum und bellte:

»Auf der Säule

hockt ’ne Eule,

gleich wird se munter,

gleich fliegt se runter –«,

und das war erst recht Unsinn, wo doch nur Bäume dastanden und gar keine Säule. Der Prinz aber sagte: »Du hast ja ganz schrecklich geträumt, Cymbelinchen. Träumst du immer so heftig?«

»Immer wenn ich Schinkenbrot gegessen habe«, sagte das Cymbelinchen. »Das liegt in meiner Natur.«

»Ach so«, sagte der Prinz. »Dann wollen wir lieber weiterreisen. Halte dich nur gut fest an mir, denn jetzt geht es bergauf.«

Die Bäume wurden immer kleiner und die Steine immer größer, und der Rappe trabte klippetiklapp, das Pudelfräulein Lulu rannte, was das Zeug hielt, und der Vogel Heinrich flog voran, denn er war es gewohnt, hoch oben zu sein. Schließlich kamen sie dorthin, wo der ewige Schnee und das ewige Eis waren, und die Sonne schien so lustig auf die weiße Pracht, daß es aussah, als hätte ein Märchenriese lauter Perlen und Diamanten ausgestreut. Und dann waren sie auf dem Gipfel und blickten ins Land.

»Da ist mein Schloß«, sagte der Prinz.

Da lag es auch, unten im Tal auf der andern Seite der Berge, direkt an einem blauen, blauen See, und es sah ganz klitzeklein aus wie ein Spielzeugschloß, aber das kam daher, daß von hoch oben alles ganz anders aussieht, wie jeder weiß, der die Welt einmal von einem Kirchturm betrachtet hat.


Nein, der Prinz hatte nicht geflunkert, nicht das kleinste bißchen, und das Cymbelinchen erhielt den prächtigsten Saal im Schloß, ganz in Gold und Silber, mit der prächtigsten Aussicht auf den blauen, blauen See, und es aß seinen Grießbrei mit einem goldenen Löffel von einem silbernen Teller, und auch das Pudelfräulein Lulu bekam sein Fressen in einem silbernen Napf, und der Vogel Heinrich sollte in einen goldenen Käfig, aber er sagte: »Danke schön« und blieb draußen vor dem Fenster auf einem grünen Zweig.

Außerdem erschien eine Hofdame, die dem Cymbelinchen beibrachte, wie man einen artigen Knicks macht und wie man »Jawohl, Euer Majestät« und »Danke schön, Euer Majestät« sagt, und eine Kammerzofe, die dem Cymbelinchen das Kleid auf- und zuknöpfte, und dann war da die Stallmagd Wittewitt, die jeden Morgen und Abend die warme Milch brachte von der Kuh Dora.

Am dritten Tag kam die Königinmutter. Sie trug ein schwarzes Kleid mit funkelnden Steinen und auf der Frisur eine Krone. »Du willst also den Prinzen haben?« sagte die Königinmutter und musterte das Cymbelinchen von oben nach unten und rundherum. »Daraus wird nichts, laß dir das gesagt sein, junges Fräulein.«

Das Cymbelinchen machte einen artigen Knicks und sagte: »Jawohl, Euer Majestät« und: »Danke schön, Euer Majestät«, denn das hatte die Hofdame es gelehrt. Der Vogel Heinrich aber rief vom Fenster:

»Hochmut

tut nicht gut –«,

und das Pudelfräulein Lulu fing an zu knurren:

»Wille walle,

Mausefalle,

Alter Schuh,

Klappe zu.«

Da wurde die Königinmutter ganz böse und sagte zu Cymbelinchen: »Dann schicke ich dir eben den Hoffloh! Da wirst du schon sehen.«

Das Cymbelinchen aber sagte: »Jawohl, Euer Majestät« und: »Danke schön, Euer Majestät« und machte einen artigen Knicks, denn das war das Beste im Umgang mit Amtspersonen.

Am Abend, nachdem die Stallmagd Wittewitt die Milch gebracht hatte, kam auch der Hoffloh. Er sprang von der Türschwelle bis an die Decke, schlug einen Purzelbaum in der Luft und landete direkt vor dem Cymbelinchen. »Ich bin der Hoffloh«, sagte er und nahm den Hut ab. »Ich soll dich zwacken.«

»Ich will aber den Prinzen gar nicht«, sagte das Cymbelinchen. »Ich will nur, daß der Peter sich ein Loch in den Kopf schlägt, aber es soll ihm nicht zu sehr weh tun, nur etwas, als Strafe.«

»Das ist egal«, sagte der Hoffloh. »Auftrag ist Auftrag.« Der Hoffloh trug einen Orden im Knopfloch und eine Schärpe über der Brust; das bedeutete, daß er von hohem Range war und den Titel »Verdienter Floh des Hofes« trug.

»Ist das dann der Ernst des Lebens?« fragte das Cymbelinchen.

»Das kann ich nicht sagen«, antwortete der Hoffloh und zuckte ganz fürchterlich mit den Hinterbeinen, denn er wollte immerzu springen. »Ich weiß nur, daß ich schon alle gezwackt habe, die Königinmutter und die Hofdame und die Kammerzofe und die Stallmagd Wittewitt und die Kuh Dora, und jetzt bist du an der Reihe.«

Dann hielt er es nicht mehr aus und sprang hoch, ganz hoch, bis an die goldene Decke des Saales, und schlug nicht nur einen Purzelbaum in der Luft, sondern zweie, so daß das Cymbelinchen lachen mußte, und dann landete er, aber schief, und es gab einen Knacks.

»Das war mein Bein«, sagte der Hoffloh. »Nummer drei hinten rechts. Das Gelenk ist ausgekugelt.«

»Da müssen wir den Vogel Heinrich rufen«, sagte das Cymbelinchen. »Er ist schon fast überall gewesen, und er ist der klügste von uns.«

»Ich habe Angst vor Vögeln«, sagte der Hoffloh. »Sie fressen bekanntlich Insekten.«

»Du bist ein Hoffloh«, sagte die Hofdame. »Wie kannst du da gefressen werden? Das wäre ja Demokratie.«

»Demokratie hin, Demokratie her«, antwortete der Hoffloh. »Wir wollen es lieber nicht riskieren. Aber wenn das Cymbelinchen oben anpackte und die Hofdame unten, könnte man das Bein einrenken.«

»Und dann wirst du mich zwacken?« fragte das Cymbelinchen.

»Nein, das werde ich nicht. Eine Hand wäscht die andere.«

»Gut«, sagte das Cymbelinchen, »dann versuchen wir es also.« Und es packte das Bein Nummer drei hinten rechts am oberen Ende und sagte: »Hoh-ruck!« Und die Hofdame packte das Bein Nummer drei hinten rechts am unteren Ende und sagte: »Hoh-ruck!« Und dann gab es wieder einen Knacks, und der Hoffloh sagte: »Danke schön!« und sprang bis zur Decke, aber diesmal landete er vorsichtiger.


Das Cymbelinchen dachte schon, der Prinz hätte es vergessen. Aber da war er wieder da und sah sehr dünn und abgearbeitet aus und entschuldigte sich wegen dringlicher Geschäfte.

Der Vogel Heinrich sah von seinem grünen Zweig hinein in den goldenen und silbernen Saal und wippte mit dem Schwanz und tschilpte:

»Den Drusch auf die Tenne,

Das Netz in den Kahn,

Das Ei legt die Henne,

Den Mist legt der Hahn –«,

was dem Cymbelinchen irgendwie unhöflich erschien. Und das Pudelfräulein Lulu legte dem Prinzen die Pfoten aufs Knie und sah ihn von unten schief an und blaffte:

»Hirschgeweih,

Nudelrolle,

Viel Geschrei,

Wenig Wolle –«,

so daß das Cymbelinchen sich richtig ärgerte, denn so kann man mit einem Prinzen nun doch nicht reden. Lieber machte es einen artigen Knicks und sagte: »Jawohl, Euer Majestät« und: »Danke schön, Euer Majestät« und fragte, was denn das für dringliche Geschäfte gewesen wären, daß er so erschöpft aussah.

»Ach«, seufzte der Prinz, »um alles muß man sich kümmern. Daß die Maulwürfe ihre Maulwurfshügel bauen und die Laubfrösche auf der Laubfroschleiter sitzen, daß die Eisbären auf dem Eis bleiben und die Waschbären sich waschen, daß die Mäuse an den Käse gehen und die Katzen nach den Mäusen – lauter Kleinigkeiten, denkst du, aber wenn man nicht alles regelt und dann dafür sorgt, daß es nach den Regeln geht, was, meinst du, würde passieren?«

Das Cymbelinchen versuchte sich vorzustellen, was dann passieren würde, und wurde ganz müde bei dem Gedanken, und es verstand jetzt, warum der Prinz so abgerackert aussah, und fragte ihn: »Ist das nun der Ernst des Lebens?«

Da nickte der Prinz langsam mit dem Kopf und seufzte wieder und sagte: »Ich glaube, ja.«

Das Cymbelinchen sagte: »Möchtest du da nicht lieber der Peter sein?«

»Wer ist der Peter?« fragte der Prinz. »Und was macht er?«

Das Cymbelinchen antwortete: »Der Peter ist der, der mich am Zopf zieht und mir nachruft:

›Linchen, Linchen,

Kesses Bienchen –‹,

und deshalb mag ich ihn auch nicht.«

»Und hat er ein Schloß?« fragte der Prinz.

»Er wohnt bei seiner Großmutter«, sagte das Cymbelinchen, »in der König-Friedrich-August-Straße Nummer drei um die Ecke im Hinterhaus.«

»Das ist komisch«, sagte der Prinz. »Der König Friedrich August ist mein Großvater. Meinst du, sie werden auch eine Straße nach mir benennen?«

Da hüpfte der Vogel Heinrich auf seinem grünen Zweig hin und her und wippte mit dem Schwanz und fing an zu lachen, und das Pudelfräulein Lulu legte sich auf den Rücken und streckte alle vier Pfoten in die Luft und fing gleichfalls an zu lachen, und das Cymbelinchen prustete auch los. Der Prinz aber wurde bleich im Gesicht und rief: »Was gibt es da zu lachen! Wenn ich will, lasse ich in all meinen Städten eine Straße nach mir benennen oder alle Straßen in allen Städten, und dann findet sich überhaupt keiner mehr zurecht!«

Das Cymbelinchen aber sah den Vogel Heinrich an, der noch immer mit dem Schwanz wippte, und das Pudelfräulein Lulu, das noch immer alle vier Pfoten in die Luft streckte, und es konnte nicht aufhören zu lachen. Da rief der Prinz nach der Königinmutter und der Hofdame und der Kammerzofe und dem Hoffloh, ganz laut rief er:

»Himmel Schock,

Potz und Blitz,

Prügelstock,

Hosensitz –«,

nur nach der Stallmagd Wittewitt und der Kuh Dora rief er nicht, denn die waren keine Personen von Rang und Bedeutung, und er regte sich so auf, daß man das Schlimmste befürchten mußte. Darauf kamen die Königinmutter und die Hofdame und die Kammerzofe herbeigelaufen, und der Hoffloh kam herbeigesprungen, und sie waren ganz atemlos, aber es war zu spät. Vor Cymbelinchens Augen wurde der Prinz immer blasser und dünner, und dann war er ganz weg.


»Cymbelinchen!« rief die Großmutter. »Cymbelinchen, hörst du denn nicht! Was hast du wieder gespielt?«

Das Cymbelinchen rieb sich die Nase und runzelte die Stirn. Ja, wie war dies alles gewesen! Dann sah es den großen langen Tannenzapfen und den kleinen dicken Tannenzapfen, und es dachte an das Irmchen, seine Schwester, das geheiratet hatte und in einer grünen Kutsche davongefahren war.

»Hochzeit habe ich gespielt«, sagte das Cymbelinchen. »Aber was kommt nach der Hochzeit? Was ist der Ernst des Lebens?«

»Grüne Klöße«, sagte die Großmutter. »Mit Meerrettichtunke.«