Diese Geschichten, ob in den Bergen, im

Urwald, in der Wüste oder am Wasser

angesiedelt, handeln von ungewöhnlichen

Begegnungen und Freundschaften.

Inhaltsverzeichnis

Nichts läßt die Erde so geräumig erscheinen, als wenn man Freunde in der Ferne hat.

(Henry David Thoreau)

Wir unterstützen die

Kinderhospiz-Arbeit in

Deutschland, Österreich und der

Schweiz

In großer Schrift

BOD, Books on Demand GmbH, Norderstedt

© Claudia J. Schulze, Bilder von Anke Hartmann,

und Bertram, Leipzig, (u.a. Schamane)

Titelbild künstlerisch verfremdet (Variation)

Original von Anke Hartmann

Unterstützt durch die Bärbel Schulze Stiftung

Klára, Prag; Lektorat: Phillo, Leipzig

ISBN: 9783749401499

Vorwort

In dieser Sammlung werden Geschichten aus „Brunos Reise“, zum Teil ganz leicht verändert erzählt, zum Teil lediglich fortgeführt und zum Teil mit Impulsen versehen, welche im Ergebnis dazu führen sollen all diese Geschichten gern auch selbst fortzuführen. Dies stellt hierbei eine Unterform der Bibliotherapie dar und dient u.a. der Konzentrationssteigerung und der Achtsamkeitsübung. Es werden zudem aber auch medienübergreifende Ansätze angeboten, so das Malen bestimmter abstrakter Begriffe wie: „Angst“, „Enge“, „Weite“ „Luft“, „Freude“ „Licht“ „Freiheit“, „Mut“. Diese, und viele andere Themen mehr sind hier in diesem Buch versammelt, die sich, in ihrer Form auf bibliotherapeutische Grundsätze stützen.

Die Kuh auf dem Kilimandscharo

Warum Tom sich ausgerechnet für diese Reise entschieden hatte, hing, das sagte er zumindest, als man ihn danach befragte, mit einem Kinderbuch zusammen, aus dem man ihm als Kind vorgelesen hatte. Eine dieser Geschichten handelte von einem enorm tapferen Bergsteiger, der den Kilimandscharo allein bezwang und später als ganz großer Held gefeiert wurde. Das war allerdings nur eine Geschichte in einem ganzen, dicken Buch voller wundersamer und spannender Geschichten aus aller Welt. Daher ist die eine Frage, warum Tom sich ausgerechnet diese ausgewählt hatte, um in seinen Ferien eben diese Wanderung nachzuempfinden, immer noch nicht ausreichend beantwortet. Immerhin wäre es auch durchaus möglich gewesen Ferien auf einer perfekt gelegenen Alm am Königssee zu machen, vielleicht den Almabtrieb mit so wunderbar bunt geschmückten Kühen zu sehen. In dem Buch gab es genauso eine Geschichte mit Lisa, einer wunderbar geschmückten Kuh. Mit Sicherheit wäre das ein weitaus weniger riskantes Unterfangen gewesen.

Doch neigen wir Menschen offenbar dazu uns - zumindest ab und zu - gerade die wirklich allerschwersten Geschichten im Leben auszusuchen, manchmal jedenfalls. Und so saß er nun im Flieger nach Afrika, nach Tansania, um genau zu sein. Nairobi, von dort aus ging es mit dem Jeep zum gebuchten Treffpunkt. Die bunte Gruppe der Hobby-Bergsteiger traf zum ersten Mal einen Tag vor dem Aufstieg zusammen.

Man begrüßte sich ein wenig reserviert. Es war eine zusammengewürfelte Gruppe aus zwei sportlichen, jungen Amerikanerinnen, Studentinnen, wie sie sagten, mehreren Japanern, einem alten Südtiroler Bauern samt Sohn und eben Tom. Auf jeden der Bergsteiger kamen drei Einheimische, die mühsam das schwere Gepäck der Bergsteiger trugen. Auch eine Frau war unter ihnen. Sie mochte um die 25 Jahre alt sein. Einige der Lasten trug sie auf ihrem Kopf. Zudem verfügte jeder der Bergsteiger über einen eigenen Koch.

Alle waren sehr freundlich, doch sah man den Einheimischen, die diese Tour bereits sehr oft hinter sich gebracht hatten, eine Erschöpfung an, die so tiefgreifend war, dass sie nicht einfach mit ein paar Tagen Erholung und Pause wieder aus den Gesichtern hätte entweichen können. Zu tief hatte der Berg die Kerben in sie gegraben, sie zerfurcht und zerklüftet, als wären sie durch ihre ständige Anwesenheit in der Nähe des Kilimandscharo eine Symbiose mit ihm eingegangen, welche sie nun dazu verurteilte eine Entsprechung der kargen, so brüchigen Landschaft in ihren eigenen, müden, alten Gesichtern wiederzufinden. Allerdings konnte man sich auf Anhieb nicht vorstellen, dass es ihnen etwas ausmachte.

Schwerwiegendere Umstände hatten sie zu dieser überaus harten Arbeit gezwungenweitaus schwerwiegender als die Gefahr einer jugendlichen Schönheit vor der Zeit beraubt zu sein. Schiere Not, Hunger und Krankheiten zwangen sie dazu. Das Gebiet der reinen Eitelkeiten war den Touristen überlassen, welche mit ihren mobilen Telefonen Aufnahmen von sich machten- noch in gelöster Stimmung, frisch, und noch ganz weit davon entfernt von Schwäche, Höhenkrankheit, Selbstzweifeln und von Durchfällen gebeutelt zu werden, weit entfernt - doch möglicherweise doch viel weniger weit als erst vermutet. Mit jedem weiteren Höhenmeter, den sie erklommen, näherten sie sich diesem Zustand, verabschiedeten sich zugleich unweigerlich von ihrem alten, sonstigen Selbst.

Auf den Kilimandscharo zu steigen! Wie groß war einem dieses Abenteuer zu Beginn erschienen- und wie unvermittelt zerbröckelte diese Größe bei jedem der so schrecklich knirschenden Schritte, die sie ihre immer müder werdenden Körper den Berg hinauftrugen, schleppten, quälten, wobei auch die Knie und Füße so langsam zu zerbröseln drohten. Die gesamte Gruppe begann, nebenbei bemerkt, ebenso zu zerbröseln- wenn man das so sagen darf.

Waren die einzelnen Gruppenmitglieder ganz zu Beginn des Abenteuers, zu Fuße des so beeindruckend hohen Berges, noch von einer gleichsam indifferenten wie recht höflichen, eher unterkühlten Freundlichkeit, so waren sehr bald gewisse Feindseligkeiten und Hinterlisten kaum noch zu übersehen. Die Gesundheit hatte bereits schon am zweiten Tag enorm gelitten. Obgleich sich alle Träger größte Mühe gaben, und die Köche alles dafür taten, um all ihren Schützlingen ein gutes Essen zu offerieren, wurden die Gäste allesamt bald von Durchfällen, bald von Schwindel, dann wieder von Atemlosigkeit und Schüttelfrost gebeutelt.

Der ferne Berg, zuerst noch bewundert, dann als große, durchaus jedoch bezwingbare Herausforderung, doch schließlich, ganz schleichend, geradezu als böser Feind gesehen, schien sich ihnen, je weiter sie sich ihm endlich zu nähern glaubten, immer weiter von ihnen zu entfernen, sich fast bewusst zurückzuziehen. Er verzog sich schließlich hochmütig in die Wolken, um arrogant auf sie herabzuschauen und um ihre ganze, große Mühsal zu verhöhnen. Besonders Tom litt. Er hatte sich seit Jahren auf diese Tour gefreut, im Grunde bereits als kleiner Junge, nachdem er abends eine Weile lang regelmäßig in einem Afrika-Buch gelesen hatte. Da er als sportlich galt, und er auch sonst ein zupackender Typ war, war es ihm deshalb nicht einen einzigen Augenblick lang ernsthaft in den Sinn gekommen, dass es ihm möglicherweise nicht gelingt würde diesen riesigen Berg zu bezwingen. Auf die Hinweise der Träger, langsamer zu gehen hörte er ebenso wenig wie die anderen aus der Gruppe. Dies hatte einen praktischen Grund: Während die Trägers darauf drängten die gesamte Tour sehr viel gemächlicher und vernünftiger anzugehen, wussten sie alle, dass die gebuchten Flugzeuge viel eher auf sie warteten als ihnen lieb sein konnte, um sie wieder zurück in ihr gewohntes Leben zu trans-portieren. Doch gab es noch einen anderen Grund, der auf einer gewissen Überheblichkeit fußte- doch diese stolze Haltung war nun eindeutig auf den Berg übergegangen. Auf dem Weg erinnerte Vieles an die Wanderer vor ihnen. An jene, die es nicht geschafft hatten, die der Berg behalten hatte, nachdem sie an simpler Erschöpfung dort gestorben waren. Die Natur ist, das hatten sie gelernt, immer die Stärkere. Jetzt blieb nichts mehr als gegen sich selbst und gegen diesen Berg zu kämpfen. Tom dachte an die Almen, die er als kleiner Junge mit seiner Familie besucht hatte. Diese saftigen, grünen Wiesen, die Kühe, manchmal, zu speziellen Anlässen, mit vielen Blumen geschmückt, die kühle, weiße, frische Milch… Wehmut breitete sich in ihm aus. Wehmut und zudem ein dringendes Rühren im Unterleib, welches ihn dazu zwang sich ein wenig von der Gruppe abzusetzen, um sich schnell etwas Erleichterung zu verschaffen. Möglicherweise lag das alles an den fehlenden Wirkstoffen in seinem Körper, die er durch die Durchfälle verlor. Vielleicht erklärbar durch den fehlenden Sauerstoff in Lunge und Hirn, wahrscheinlich lag es aber auch an der stetig zunehmenden Erschöpfung, mit der er sich, so wie die anderen auch, automatisch wie beschädigte Roboter die gnadenlosen Hänge hinaufquälte – Den genauen Grund kann man mit Sicherheit nicht auf einen einzigen reduzieren. In jedem Fall hatte es in irgendeiner Form zur Konsequenz, dass Tom diese Bilder von der Alm häufiger erschienen als sonst – und vor allem eine ganz bestimmte, eine mit Blumen geschmückte Kuh erschien vor seinem geistigen Auge. Er nannte sie Lisa. Sie sah aus wie eine Lisa. Wahrscheinlich hatte er nun also diese Höhenkrankheit. Ein Schamane erschien ihm auch, doch dieser blieb, im Gegensatz zu Lisa, nur kurz. Das Höhenfieber, welches sich in Vielem äußerte, und auch dafür bekannt war zu Halluzinationen zu führen. „Hör mal zu, Tom“, begann Lisa freundlich. „Du musst einfach viel langsamer gehen. Viel, langsamer, Tom!“