Alexander Wendt brachte die Interviews
aus dem Arbeitszimmer in eine einheitliche Form.
Gideon Böss transkribierte die Gespräche,
die in der Gartenlaube entstanden.
Silvia Meixner schrieb für Arrabiata alles mit,
was im Hobbykeller gesagt wurde.
1. Auflage
Copyright © 2013 beim Albrecht Knaus Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-11964-5
www.knaus-verlag.de
Auf dem Weg zum Mann des Jahrtausends
Eine biografische Notiz zur Einführung
Wer ist und zu welchem Ende studieren wir Helmut Schmidt? Den meisten Kennern des Altkanzlers dürfte allein diese Frage seltsam vorkommen. Wir glauben, schon alles zu wissen über den Politiker, der unser Land ununterbrochen seit 1974 führt, zunächst direkt als Kanzler und dann, mit gesteigerter Bedeutung, als Praeceptor Germaniae. Er ist der Mann, der Helmut Kohl durch schlichtes Aussitzen besiegte, der sämtliche US-Präsidenten seit Gerald Ford im Schachspiel schlug und der als bislang einziger Deutscher eine völlig neue Blumensorte züchtete: die schlohweiße Helmut-Schmidt-Lilie.
Und doch liegt noch viel im Halbdunkel, wenn es um den größten Deutschen seit Karl dem Großen geht; noch kaum jemand leuchtete Kindheit und Jugend des großen Steuermanns angemessen aus, niemand durfte sich bislang im Schmidt’schen Privatarchiv frei bewegen – und fand anschließend auch wieder den Weg nach draußen. Wer hätte geglaubt, dass diese Katakomben nicht nur unverzollte Container mit Menthol-Zigaretten und nie veröffentlichte Liebesgedichte von Luise Rinser bergen, sondern auch sämtliche Schmidt-Gespräche der nächsten zehn Jahre? Außerdem ein komplettes Modell der Welt unter besonderer Berücksichtigung Europas, Amerikas und Chinas aus nikotinvergilbten Legosteinen.
Andächtig vermerkte der »Wandsbeker Bote« am 23. Dezember 1918, dass in der Nacht ein Komet über den Hamburger Landungsbrücken erschien, der die ungewöhnliche Nacht beleuchtete: »Das taghelle Licht verwirrte jedermann auf der Reeperbahn; für einen Moment erschien die Außenalster wie vergoldet.« Bei Ovelgönne floss die Elbe minutenweise rückwärts, über dem Berg Paektu im Norden Koreas leuchtete ein gigantischer Rauchkringel, und in Peking stolperte ein berühmter Mandarin über einen Reissack. »Auch der nüchternste Zeitgenosse«, schrieb das »Hamburger Fremdenblatt«, »lebte im Eindruck dieser großen Zeichen.« In dieser Nacht wurde Helmut Heinrich Waldemar Maria Theodor Schmidt geboren.
Mit vier Monaten konnte Helmut krabbeln und brabbeln, nach acht Monden laufen, nach einem Jahr verlangte er erstmals nach Schokoladenzigaretten. Solcher Luxus war freilich selten im Haushalt der Schmidts. Seine Mutter fragte ihn damals scherzhaft, ob er sich lieber seine Rassel oder seinen Ball zum Spielen wünsche, und bekam die Antwort: »Darüber müsste ich länger nachdenken.« Alle, die Hansens von nebenan, der Pfarrer, der Milchmann und natürlich die Schmidts selbst, fragten sich, was aus diesem seltsamen Jungen einmal werden sollte. Ein wunderbarer Fingerzeig sollte das Jahr 1925 prägen: Helmut schrieb sich auf der Volksschule in der Wallstraße ein, und die Deutschen wählten Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten. Der weißhaarige, von allen verehrte Ersatzkaiser gefiel Helmut ganz außerordentlich, also richtete er ein zehnseitiges Schreiben mit dem Titel »Vertiefungen – Beiträge zum Verständnis unserer Welt« an ihn und bat herzlich darum, das Gespräch vis-à-vis fortsetzen zu dürfen.
Nahezu postwendend traf die Antwort des Präsidenten und Generalfeldmarschalls ein, worauf der junge Schmidt ihm wiederum umgehend mit artigem Matrosenkragen, Lotsenmütze und Schnürstiefeln auf Gut Neudeck seine Aufwartung machte. Bei der Gelegenheit unterbreitete er zum ersten Mal auch seine Gedanken zu China beziehungsweise »Kina« (Jacob Burckhardt).
Die Pubertät begann, Helmut verwandte morgens viel Zeit auf seinen Seitenscheitel. Und es ergab sich die immer drängendere Frage, was aus dem schmucken Hochbegabten einmal werden sollte. Aufgrund seiner Neigungen zu Spezereien und zum fernen Osten dachten seine Eltern an eine solide Laufbahn als Chinawarenhändler oder Oberlehrer. Der Frühreife – mittlerweile Besucher der Hamburger Lichtwarkschule – spannte allerdings seine Gedanken weiter. Wie konnte er mit seiner Berufswahl einer möglichst großen Zahl von Menschen zum Glück verhelfen? Vieles erwog und verwarf er. Die Raumfahrt steckte, wie er in der »Großen Lage« wiederholt kritisch anmerkte, noch nicht mal in den Kinderschuhen. China bot keine greifbare Perspektive, an das Bücherschreiben dachte er damals noch nicht. Zeitungsberichte über den Pontifex las er gerne, auch übte er vor dem heimischen Spiegel mit einem Kaffeewärmer auf dem Haupt die eine oder andere Geste, erwog sogar eine Zeit lang zum Katholizismus zu konvertieren und in ewiger Keuschheit zu leben. Immerhin, so sagte er sich, war sein Geburtsdatum ein Zeichen. Dass sich selbst Kardinäle vor dem Papst auf die Knie warfen, gefiel ihm ausgesprochen gut. Wenn es da bloß nicht Loki gegeben hätte. Und die dicke Lillie. Und Elfriede, Luise, Annegret … Und dieses nächtliche Kribbeln, wenn er an die eine oder die andere dachte. War es da nicht besser, vielleicht eine eigene Religion zu begründen?
Grübelnd flanierte der junge Schmidt dieser Jahre über den Jungfernstieg, kaufte sein erstes Päckchen Zigaretten und steckte sich eine an; der Kopf wurde ihm leicht, die Dinge klärten sich auf erfreulichste Weise. Nicht Religionsstifter würde er werden – denn diese Früchte ernteten doch eher erst Spätere –, sondern sich ganz dem Hier und Jetzt respektive der Politik verschreiben wie sein Freund Paul von Hindenburg. Leider hatte einige Jahre zuvor ein Wiener Aquarellmaler ebenfalls beschlossen, Politiker zu werden, und so verdunkelte sich im Jahr 1933 der Horizont des fünfzehnjährigen Helmut ganz beträchtlich.
Also ging es für den jungen Mann zur Hitlerjugend und dann ab zur Flak nach Vegesack. Kurz darauf durfte der frischgebackene Leutnant beim Russlandfeldzug aushelfen. Es ging zwar nach Osten, aber China war noch nicht in Reichweite. Allerdings erkannte der schneidige Leutnant schnell, dass im Krieg viel schiefging. Schließlich nannte er Goebbels ein Humpelstilzchen und pfiff, als der Führer einmal zum Frontbesuch kam: »Gehn Sie weiter, gehn Sie weiter, Sie sind ja nur Gefreiter./Das müssen Sie doch wissen/dass die Deern nur Leutnants küssen.« Letzteres wusste er wiederum aus erster Hand, denn er hatte zwischendurch seine Loki geehelicht. So etwas hörte der Führer nicht gern, und er setzte durch, dass Schmidt nur das EK II. Klasse bekam und ins Reichsluftfahrtministerium nach Berlin abgeschoben wurde, eine Behörde, die im Kriegsverlauf immer mehr an Bedeutung verlor.
Schließlich beendete der Hanseat den Zweiten Weltkrieg. Es kam zu einer schicksalhaften Begegnung zwischen dem deutschen Oberleutnant Schmidt und dem britischen Feldmarschall Bernard Montgomery, anders gesagt mit ein paar Tommys, die den Deutschen im Auftrag des alten Haudegens Montgomery ins Kriegsgefangenenlager eskortierten.
Dort legte er sich eine Art Lebensplan zurecht; als er entlassen wurde, stand ihm klar vor Augen, welchen Weg er einschlagen würde. Der nunmehr nicht ganz so junge, sondern vielmehr frühgereifte Schmidt trat der SPD bei und studierte in Hamburg Weltweisenlehre. Vorerst erprobte er seine Fähigkeiten nahezu klandestin: nämlich in der Hamburger Verkehrsbehörde. Dann ging es allerdings Schlag auf Schlag, Schmidt wurde Hamburger Polizeisenator, stauchte 1962 die Sturmflut zusammen, ging in den Bundestag, ließ sich den Vorsitz der SPD-Fraktion antragen und übernahm das Verteidigungs-, dann das Finanz- und schließlich, 1982, nach dem Rauswurf des ebenso intriganten wie inferioren Genscher, noch das Außenministerium. Helmut Schmidts Kanzlerschaft sollte eigentlich planmäßig erst ein paar Jahre später beginnen, allerdings beschleunigte der Zufall die Entwicklung: Unter dem Einfluss einiger Schoppen Wein meinte der damalige Bundeskanzler Willy Brandt zu Journalistinnen, die ihn im Wahlkampf 1972 begleiteten: »Sie könnten eigentlich ganz gut das Schlafabteil in meinem Wahlkampfsonderzug ausfüllen, meine Damen.« Frauenbeauftragte bekamen davon Wind, Brandt demissionierte. Das SPD-Establishment schaffte es mit Ach und Krach, die Schuld für die ganze Affäre der Stasi in die Plasteschuhe zu schieben.
Der beste Mann der Partei musste die Lage retten. Schwierig waren die Zeitläufte: Gewerkschaften zickten, die Saudis schlugen den Ölpreis auf, Männer trugen schnitzelgroße Kotletten. Der neue Kanzler verbot einfach das Autofahren wie das Rasenmähen an Wochenenden zwischen 5 und 23 Uhr; die Ölpreise fielen in den Keller, Schmidt drehte der OPEC ganz gehörig eine Nase. In Mao traf er 1975 endlich einen adäquaten Zuhörer für die Darlegung seiner Gedanken über China. Sein historisches Gespräch begann er mit der Frage: »Wussten Sie eigentlich, dass die Wörter ›Krise‹ und ›Chance‹ im Chinesischen durch das gleiche Schriftzeichen dargestellt werden?«
Mao lächelte den Staatsgast an und machte ihm ein nachhaltiges und wirkungsmächtiges Kompliment: Seine Sensibilität für die chinesische Kultur weise ihn, Schmidt, den man in seiner Heimat völlig zu Unrecht »Schmidt-Schnauze« nenne, zugleich als großen Chinakenner, aber auch als grandiosen Wirtschaftsexperten aus. Insgeheim wusste Schmidt nicht, ob der »große Steuermann« eventuell zur Ironie fähig war, aber er beschloss, diese Frage zu ignorieren.
Die Bewunderung für ihn kannte praktisch keine Grenzen, wie ein fragmentarisches Liebesgedicht Luise Rinsers beweist, das bisher im besagten Privatarchiv des Altkanzlers lagerte und hier seine Weltpremiere erfahren soll:
Dort wird er sein, wo sich vor ihm die Fluten
Des Rheines teiln. Und in den Kölner Dom
Wird er sich eilig trocknen Fußes sputen.
Schon tags darauf sitzt er im Tempodrom.
Er spendet in Berlin freigebig Freuden
Im Grunewald steht stolz sein Monument
In Hamburg trinkt er mit den Schauerleuten
Und da in Kiel zitiert ihn ein Student.
Man nennt sich weh erbebend seinen Namen
Von Englschalking bis nach Martinsried
In München tritt er vor die Handballdamen
Und präsentiert sein respektables –
An dieser Stelle reißt das Schmierblatt und damit die Überlieferung ab, der Sinn der dritten Strophe bleibt damit im historisch-philologischen Dunkel.
Nach acht Jahren an der Kabinettsspitze kam er zu dem Schluss, dass es Zeit war, gewissermaßen in den Aufsichtsrat Deutschlands zu wechseln und dem Abgeordneten Helmut Kohl die Gelegenheit zu geben, sich und die CDU gründlich abzuwirtschaften. Und so geschah es auch. Der tumbe Pfälzer verzettelte sich in Bonn, Paris, Moskau und Washington und rieb sich an den Mühen der Ebene waidwund. Schmidt indessen konnte sich endlich ganz den großen Linien widmen. Unter Anwesenheit sämtlicher EKD-Bischöfe, ARD-Sendeanstaltsleiter und Leitartikler trug Theo Sommer ihm zu Beginn des annus mirabilis 1983 im Frankfurter Kaiserdom die Titel Lieber Ratgeber, Großmogel, Jabba the Hutt und Hüter der Kristallsphären an. Und nach kurzem Schweigen, das seine Distanz zu allem weltlichen Krimskrams demonstrierte, akzeptierte Schmidt sämtliche Ehrungen und Salbungen und legte auch gleich eine neue offizielle Titulatur für sich fest, die vor Bescheidenheit nachgerade fluoreszierte: »Bleibense mal bei Schmidt, das klingt ganz gut.«
Sein Freund Deng Xiaoping hatte ihn bei einer guten Stange Zigaretten auf die Idee gebracht, dass man zur Ausübung von Macht nicht zwangsläufig auch ein Amt benötigt. Im Gegenteil, ohne Amt fällt es gleich noch mal so leicht, Kanzler, Präsidenten, Amerikaner, Menschenrechtler, Banker und die Deutschen überhaupt gründlich zusammenzuscheißen.
So geht Schmidts Herrschaft nun ins dritte Dezennium; durch Herzschrittmacher, elektronische Ohren und implantierte Chips gilt der Langenhorner schon heute als Pionier des posthumanen Zeitalters mit faktisch grenzenloser Lebensdauer, Strom-, Nikotin- und Cola-Zufuhr vorausgesetzt. Natürlich erhielt und erhält der passionierte Erklärer, China-Versteher und Raubtierkapitalismuskritiker Preise satt; schon vor Jahren wies er in einem Vortrag auf die besorgniserregende Abhängigkeit der preisverleihenden Industrie von ihm und Günter Grass hin. In den Gewölben von Langenhorn stapeln sich der Carlo-Schmid-Preis, der Dolf-Sternberger-Preis, der Prix des Générations, der Adenauer-de-Gaulle-Preis, der Henry-Kissinger-Preis, der Point-Alpha-Preis, tausend Millennium-Bambis, der Saupreiß, der Abholpreis und nicht zuletzt der unverlangt eingesandte Ehrenpokal der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands.
Letzterer eignet sich ausgezeichnet zum Abaschen.
Lorenzo di Arrabiata, im Sommer 2013 (95 n. HS)
Wie halten Sie es mit der Religion, Herr Schmidt?
Wie man mithilfe von Ameisen die Existenz Gottes beweist, was die Türken vor Wien und die Deutschen auf Mallorca verbindet, wer alles zu Deutschland gehört und wie die Lena vom Kinderkanal zur Stichwortgeberin wurde.
Viele Menschen fragen sich, wie hält es der Helmut Schmidt mit der Religion?
Ob es Gott gibt oder nicht, ist für mich nicht relevant. Sollte es ihn geben, würde ich gerne von ihm wissen, was er sich mit diesem Sintflut-Versuch in Hamburg damals gedacht hat. Und jetzt mit diesen ganzen Naturkatastrophen. Da geben wir immer so viel Geld im Kampf gegen den Klimawandel und gegen rechts aus, und am Ende ist es dann dieser Gott, der uns die Innenstädte zerstört. Das ist Ironie.
Könnten das nicht Prüfungen sein?
Wie meinen Sie das?
Entstehen nicht durch solche Katastrophen Prüfungen, an denen sich herausragende Persönlichkeiten herausschälen? Anders gesagt: Gäbe es diesen Helmut Schmidt ohne die Hamburger Sturmflut von 1962?
Da müssen Sie den fragen, der für diese Katastrophen verantwortlich ist. Ich löse Probleme, ich verursache sie nicht.
Was würden Sie Gott fragen?
Ich glaube nicht an Autoritäten, ich denke selber nach. Was also sollte ich ihn fragen?
Und was, glauben Sie, würde Gott Sie fragen?
Rauchen Sie trotz Verbots weiter in öffentlichen Räumen? Das fragen sie alle. Egal wem ich begegne, es ist immer die erste Frage. Was soll ich darauf antworten? Natürlich rauche ich weiter. Gott könnte sich die Frage ja überhaupt sparen, er weiß ja angeblich auch alles.
Schmidt also als Gotteskritiker oder als Kirchenkritiker.
Das hat mit der Kirche erst einmal nichts zu tun. Ich bezweifle auch, dass Gott einer Kirche angehört. Warum sollte er? Er ragt doch über alle anderen hinaus, eine Vereinsmitgliedschaft wäre doch eine Selbstverzwergung. Das macht keiner, der Format hat.
Einen kenne ich, der trotz dieser Ausgangslage der SPD beigetreten ist und ihr immer noch die Treue hält.
Das ist doch gar nicht vergleichbar. Ich komme ja, wenn Sie so wollen, von unten. Ich bin da ja erst hineingewachsen in diese Rolle, Format hin, Format her. Außerdem ging es in meinem Fall um Verantwortung gegenüber den Mitmenschen, das ist etwas völlig anderes. So, und nun zum Islam.
Waren Sie schon einmal in einem islamischen Land?
Hören Sie, ich mache diese Interviews mit Ihnen nur, wenn Sie sich gründlich vorbereiten. Diese Frage stand auf dem Zettel von dieser Lena vom Kinderkanal, die eben ein Interview mit mir zum gleichen Thema führte. Legen Sie den zur Seite, Lena muss ihn hier vergessen haben.
Was bedeutet Ihnen eine Moschee?
Es zählen auch keine Fragen, die Sie sich vom Zettel gemerkt haben. Lena ist acht Jahre alt, Sie müssten auch ohne ihre Hilfe auskommen können.
Der Islam gehört zu Deutschland! Christian Wulff hat diesen Satz geprägt, der vielleicht das Einzige ist, was von seiner Präsidentschaft bleibt.
Ich habe ihn schon längst vergessen, was Ihre These ad absurdum führt!
Wissen Sie wirklich nicht mehr, wer Wulff war?
Ihnen scheint nicht jedes rhetorische Stilmittel geläufig zu sein. Durchaus ist mir der Name Wulff ein Begriff, jedoch bin ich kein Verehrer seiner Politik gewesen.
Worauf ich hinaus will: Stimmt denn dieser Satz: Der Islam gehört zu Deutschland?
Warum nicht, wenn sogar Helmut Kohl dazugehören darf!
Ein interessanter Vergleich. Immerhin ist Kohl »Kanzler der Einheit«.
Kohl ist zwar dicker als der Islam, aber ihm wurde weniger oft das Vertrauen ausgesprochen als Mohammed. Seit fast 1500 Jahren stehen die Leute zu ihm, dagegen sind die 16 Jahre Kohl doch ein Witz. Und so einer wollte mich stürzen, das hätte ihm jeder sagen können, dass er damit scheitert. Aber er wollte ja nicht hören.
Aber Kohl hat Sie doch tatsächlich gestürzt.
Vieles in der Politik scheint auf den ersten Blick anders, als es tatsächlich war. Mehr will ich dazu nicht verraten, wichtig ist nur, dass Mohammed immer wieder das Vertrauen ausgesprochen bekommt. Im Gegensatz zu Kohl.
Begrüßen Sie denn den Islam in Deutschland?
Der soll mich grüßen! Ich bin der Ältere.
Wenn Sie Imam wären, was würden Sie dann tun?
Mich für eine Reform einsetzen, dass das Morgengebet auf den Mittag verschoben wird.
Es gibt Vorbehalte gegenüber dem Islam, Europa hat eine besondere Geschichte mit dieser Religion, alle kennen die Parole: »Die Türken vor Wien«.
Na und? Sollen Sie doch nach Wien kommen, eine schöne Stadt. Heute heißt es abwertend »die Deutschen auf Mallorca«, früher eben »die Türken vor Wien«. Die Menschen brauchen Feindbilder.
Wobei es sich bei den Türken um eine Invasionsarmee handelte.
Das trifft auch auf die Deutschen auf Mallorca zu, nur dass sie mit ihren Handtüchern besser vorbereitet sind.
Aber Salman Rushdie musste Jahre in Verstecken verbringen, weil fanatische Moslems ihn verfolgten.
Die Springer-Presse war zu mir auch nicht immer nett. Aber das werfe ich doch nicht dem einzelnen WELT-Leser vor. Darum geht es doch, dass man den Einzelnen noch wahrnimmt und nicht nur als Teil eines Kollektivs. Wir sind keine Ameisen, und das hat vermutlich seine Gründe, pflegte mein Religionslehrer immer zu sagen, der damit die Existenz Gottes bewies.
Verstehe ich nicht!
Wären wir Ameisen, wären wir keine Menschen und würden keine Kirchen bauen. Wir können aber Kirchen bauen, und das bedeutet, dass es Gott gibt, weil wir sonst Ameisen wären. Kurz gesagt: Ameisen, die Kirchen bauen, sind Menschen!
Nun begreife ich langsam. Sehr faszinierend, auch wenn ich darüber noch ein wenig nachdenken muss.
Müssen fast alle, ehe sie es wirklich begreifen. Ich musste es nicht.
Das Gespräch wurde in der Gartenlaube geführt.