Jörg Osterloh
»Ausschaltung der Juden und des jüdischen Geistes«
Nationalsozialistische Kulturpolitik 1920 –1945
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Mit der Entlassung Albert Speers aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis am 1. Oktober 1966 beginnt eine der erstaunlichsten Geschichten der Nachkriegszeit: Bis zu seinem Tod am 1. September 1981 war der einstige Architekt und Rüstungsminister Hitlers ein Entlastungszeuge in der Bundesrepublik Deutschland und ein Zeitzeuge in der Welt. Seine »Erinnerungen« (1969) und seine »Spandauer Tagebücher « (1975) waren in den Medien und Buchhandlungen überragende Erfolge. In ihrer Studie untersucht Isabell Trommer die Wahrnehmung Speers in der deutschen Öffentlichkeit von den 1960er Jahren bis in die Gegenwart. Im Mittelpunkt stehen dabei Rechtfertigungsdiskurse, die nicht nur den Umgang mit Speer selbst geprägt haben, sondern auch viel über das Verhältnis der Bundesrepublik zum Nationalsozialismus und die Grundzüge ihrer politischen Kultur verraten.
Vita
Jörg Osterloh, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fritz Bauer Institut in Frankfurt am Main.
Einleitung
Eingrenzung des Themas
Leitfragen
Aufbau der Arbeit
Stand der Forschung
Quellen
I. Wurzeln: Der Kampf gegen die »Verjudung« der Kultur im Kaiserreich
Die rechtliche Gleichstellung der Juden und ihre Folgen
Antisemitische Angriffe auf erfolgreiche Künstler
Von der »Verjudung« zur »Entartung«
Organisierter Antisemitismus: Neue Parteien und Verbände
Der »deutsch-jüdische Parnaß«
Die Zeit des Ersten Weltkriegs
II. Revolution und Republikgründung: Der Hass auf die »Judenherrschaft«
Kulturpolitische Zäsuren
»Jüdische Literaten« und die Münchner Räterepublik
Grundmuster antisemitischer Agitation
Antisemitisch und republikfeindlich: Der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund
Die Thule-Gesellschaft und die Gründung der Deutschen Arbeiterpartei
Theaterbühnen als Schauplätze des kulturpolitischen Kampfes von rechts
III. Parteigründung: Die NSDAP und der Angriff auf die junge Republik der Moderne
Eine rechtsradikale Partei unter vielen
Die Theaterskandale um Ernst Tollers »Masse Mensch« und Arthur Schnitzlers »Reigen«
Standortbestimmung der NSDAP
Nationalsozialistische Angriffe auf Presse und Kulturleben
Der Dresdner »Hinkemann«-Skandal
Abwehrstrategien der Angegriffenen
IV. Kulturkämpfe: Von der Neugründung der NSDAP bis zur ersten nationalsozialistischen Stadtregierung in Coburg
Hitlers Mein Kampf
Der Kampf gegen »Schund und Schmutz« im Reichstag 1925/26
Schmähungen und Krawall: NS-Kulturpolitik in Kommunen und Ländern
»Sündenbabel« Berlin: Nationalsozialistischer Angriff auf die Reichshauptstadt und auf Preußen
Aus der Niederlage geboren: Der Kampfbund für deutsche Kultur
Die Agitation der NSDAP gegen ein Engagement Max Reinhardts in München
Sinnbilder der »verjudeten« Kultur im »roten Berlin«: Kroll-Oper und Piscator-Bühne
Wachsender Einfluss der NSDAP in der Provinz
V. Kampf um die Macht: NS-Kulturpolitik zwischen Straße und Parlament
Die Baum-Frick-Regierung in Thüringen 1930/31
»Heißer Herbst« 1930: Die Septemberwahlen zum Reichstag und ihre Folgen
Inszenierte Bühnenkrawalle
Eine »auf kulturell frisierte SA«: Die Tätigkeit des Kampfbundes für deutsche Kultur
Weiterer Vormarsch in der Provinz
Der Kampf um Preußen
VI. An der Macht: Terror und Neuordnung des Kulturlebens
Politische Weichenstellungen und erste »Säuberungen«
Die Märzwahlen und ihre Folgen
Das »Berufsbeamtengesetz« und die Entlassung jüdischer Künstlerinnen und Künstler
Erste »Säuberungen« der bildenden Kunst
Die Bücherverbrennungen im Mai 1933
Die »Entjudung« der Presse
Die Gründung der Reichskulturkammer
Der Jüdische Kulturbund in Berlin
VII.Unter Hinkels Kontrolle: Die »Entjudung« der Reichskulturkammer
Die ersten Schritte der Einzelkammern zur »Berufsbereinigung«
Neue Konflikte um eine nationalsozialistische Kulturpolitik
1936: »Trügerische Ruhe« in der staatlichen Judenpolitik
Der Weg zur Gründung des Reichsverbandes Jüdischer Kulturbünde
VIII.Radikalisierung: Die forcierte »Säuberung« der Reichskulturkammer und des Kulturlebens
Bestandsaufnahme in der Reichskulturkammer
Propaganda- und »Schandausstellungen«
Der SD und die Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben
1938: Vom »Anschluss« Österreichs zum Novemberpogrom
Neue »Richtlinien« für die »Entjudung« der Reichskulturkammer
Zunehmende Repressionen und Verbote: Die Arbeit der Jüdischen Kulturbünde
IX. Das Ende: Zweiter Weltkrieg und Holocaust
Kriegsbedingte Neuorganisation der kulturpolitischen Institutionen
Der Jüdische Kulturbund während des Krieges
Der Überfall auf die Sowjetunion und der Beginn der Deportationen aus dem Reich
Weiter wachsender »Säuberungsdruck«
Die Verfolgung von »Mischehen«
Im »totalen Krieg«
Das Ende des Jüdischen Kulturbundes und die Ermordung jüdischer Künstlerinnen und Künstler im Holocaust
Schlussbetrachtungen
Abkürzungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen
Gedruckte Quellen
Literatur
Literatur bis 1945
Periodika
Literatur nach 1945
Internetressourcen
Dank
Personenregister
Am 15. November 1935 erklärte Joseph Goebbels pathetisch, es sei »im Kulturleben unseres Volkes kein Jude mehr tätig«. Man habe aber, so fuhr der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und Präsident der Reichskulturkammer fort, »den aus dem Kulturleben ausgeschiedenen Juden in großzügigster Weise Möglichkeiten zur Pflege ihres kulturellen Eigenlebens gegeben«.1
Der Kampf gegen die angebliche »Verjudung« des deutschen Kulturlebens war seit der Gründung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Februar 1920 eines ihrer erklärten Ziele. Mit ihren Forderungen standen die Nationalsozialisten aber keineswegs allein, die »Entjudung« der Kultur war eine im deutschvölkischen Milieu gängige Forderung. Das Kulturleben war nach Einschätzung Saul Friedländers »möglicherweise der sensibelste Bereich« der 1871 mit der Gründung des Deutschen Kaiserreichs erlangten rechtlichen Gleichstellung der Juden:2 Denn die Kultur – vor allem die Musik, die Literatur, das Theater und die bildende Kunst – galt seit dem späten 18. Jahrhundert als das einigende Band der in Einzelstaaten zersplitterten deutschen Nation und als wichtiger Ausdruck von Deutschlands Größe.3 Den deutschen Juden wurde vorgehalten, dass sie nicht nur in Handel und Bankwesen, sondern auch in den Kulturberufen – etwa als Schriftsteller und Journalisten oder als Schauspieler und Musiker –, gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil, überproportional vertreten seien und verderblichen Einfluss ausübten. Als ein besonders gravierendes Problem machten Antisemiten die vermeintliche »Verjudung« der deutschen Presse aus, die aus ihrer Sicht die Grundlage für die vollständige »Verjudung« des politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens schuf. Die Forderung, endlich wieder »Herr im eigenen Haus« zu werden, war seit dem späten 19. Jahrhundert im Bürgertum weit verbreitet.4
Diese Situation wurde dadurch weiter verschärft, dass zur gleichen Zeit neue Ausdrucksformen in den Künsten an die Öffentlichkeit traten. Der Begriff der »Moderne« kam um die Jahrhundertwende auf. Er beschrieb nicht nur einen universalgeschichtlichen Epochenbegriff, sondern stand vor allem für »Aktualität, Beschleunigung und Wechsel« in Kunst und Literatur und ihre zunehmende Internationalisierung. Durch den sich daraus ergebenden »Stil- und Formenpluralismus« wurden die Künste unüberschaubar. Zugleich verschwammen die Grenzen zwischen der traditionellen Hochkultur (wie etwa dem Theater, der Oper und der Musik) und der Massenkultur (etwa durch das Kino, die Schallplatte und den Rundfunk), die mit der rasant voranschreitenden Technisierung des Alltags aufgekommen war. Immer größere Teile der Bevölkerung konnten am Kulturleben teilhaben,5 sodass viele Bildungsbürger sich um den Verlust ihrer »kulturellen Hegemonie« sorgten6 und Kulturpessimisten wie Paul de Lagarde oder Julius Langbehn Ende des 19. Jahrhunderts den Niedergang der deutschen Kultur beklagten.7 In den zunehmend erhitzten Debatten war von »deutscher Kunst«, »deutschen Werten«, »deutschem Geist« oder auch »deutscher Art« die Rede.8 Alles, was den damit verbundenen Ansprüchen nicht genügte, wurde als »undeutsch«, »artfremd« oder auch »entartet« abqualifiziert. Allerdings waren die Begriffe unscharf: Weder war exakt definiert, was etwa »deutsche Kunst« war, noch was der »(kulturellen) Moderne«, die es monolithisch aufgrund der Vielfalt ja auch nicht geben konnte, zuzuordnen war. Entsprechend fließend waren die Übergänge. Auch Werke der Moderne konnten als »deutsch« gelten.9 Die Ablehnung der Moderne war jedoch keineswegs eine deutsche Erscheinung; auch in Frankreich, England und anderswo kam es zu heftigen Auseinandersetzungen.10
In Deutschland aber setzten die Antisemiten die Moderne schlechthin, die vielfältigen kulturellen Entwicklungen, die sich von den Traditionen etwa in der bildenden Kunst oder in der Musik abgrenzten,11 in Beziehung zu »den Juden« und, nach dem Ende des Kaiserreichs, zur als »Judenrepublik« geschmähten Weimarer Demokratie.12 Tatsächlich, so Saul Friedländer, war »der ›verderbliche‹ Einfluß von Juden auf die deutsche Kultur […] das meistverbreitete Thema des Antisemitismus von Weimar«.13 Der noch lauter als zuvor erhobene Vorwurf beklagte eine Verschwörung »der Juden«, die die deutsche Kultur angeblich »zersetzen« wollten. Als geeignete Gegenmaßnahme sahen viele, nicht nur die Nationalsozialisten, die Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben.
Übergriffe auf missliebige Künstlerinnen und Künstler – vor allem Juden, aber auch politisch Verfemte – waren in der Weimarer Republik häufig und ihre Zahl nahm seit Ende der 1920er Jahre weiter zu. Eine führende Rolle bei der antijüdischen Hetze spielte der 1929 im Auftrag der NSDAP von Alfred Rosenberg, dem Chefideologen der Partei, gegründete Kampfbund für deutsche Kultur. Dass es sich bei den weitreichenden Forderungen zur »Entjudung« des Kulturlebens nicht um Lippenbekenntnisse handelte, machten die Nationalsozialisten zunächst in Thüringen deutlich, wo die NSDAP im Januar 1930 erstmals in eine Landesregierung eintrat. Der thüringische Nationalsozialist Hans Severus Ziegler schrieb in der Rückschau, man solle sich daran erinnern, wie »wir das Weimarer Schloßmuseum schon von den schlimmsten Auswüchsen der entarteten Kunst säuberten«.14
Angesichts dieser Entwicklung stellte der Schriftsteller Lion Feuchtwanger 1931 fest: »Was also die Intellektuellen und Künstler zu erwarten haben, wenn erst das Dritte Reich sichtbar errichtet wird, ist klar: Ausrottung.«15 Feuchtwanger hatte also ganz richtig erkannt, dass die Nationalsozialisten eine große Bedrohung für den freien, kritischen Geist in Deutschland waren – und für die deutschen Juden, wie er selbst seit Mitte der 1920er Jahre mehrfach hatte erleben müssen.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 rangen in der Kulturpolitik zunächst unterschiedliche ideologische Strömungen innerhalb der NSDAP und mehrere Parteigrößen miteinander um Einfluss. Neben Alfred Rosenberg waren dies vor allem der kommissarische Preußische Innenminister Hermann Göring, Reichsbildungsminister Bernhard Rust, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Robert Ley und Joseph Goebbels. Die kulturpolitisch Verantwortlichen hatten lediglich klare Vorstellungen davon, was und vor allem wen man nicht wollte;16 in einem Punkt herrschte aber Einigkeit: »Die Juden« sollten »ausgeschaltet« werden.17 In einem NS-Propagandafilm, der vermutlich im Mai 1933 in die Kinos kam, erklärte Göring: »Ich werde mit eisernem Besen auskehren […]. Ich werde den Kampf gegen Schmutz führen für die Sauberkeit und die gute deutsche Sitte. Die Städte müssen wieder gesäubert werden von ihren volks- und rassetrennenden Erscheinungen, die durch ihre zersetzende Tätigkeit deutsche Sitten untergraben und das Laster gepredigt« haben.18 Im selben Film kündigte Goebbels in staatsmännischer Pose an, dass jetzt »der legale Umformungsprozeß des deutschen Volkes in allen Gebieten und in allen Einzelteilen« beginne. »Das, was wir 14 Jahre in der Opposition forderten, das werden und müssen wir nun in der Regierung durchsetzen.«19
Mehrere Tausend im Kulturleben Tätige gerieten in das Visier der Nationalsozialisten, weil sie Juden oder jüdischer Herkunft waren: Schauspieler, Regisseure und Intendanten, Musiker, Sänger und Dirigenten, Schriftsteller und Journalisten. Zu ihnen zählten (teilweise welt-)berühmte Künstler wie der Tenor Richard Tauber, der Dirigent Bruno Walter, der Journalist Kurt Tucholsky, der bereits erwähnte Schriftsteller Lion Feuchtwanger, der Maler Max Liebermann oder der Theaterregisseur und -intendant Max Reinhardt. Neben diesen Prominenten gab es freilich die – erheblich größere – Gruppe der kaum oder gar nicht bekannten jüdischen Kulturschaffenden. Viele waren Angestellte von Theatern, Orchestern oder Verlagen, die meisten aber waren Freiberufler – und hatten daher bereits in der Weimarer Republik unter oftmals prekären Bedingungen gearbeitet.
Zahlreiche prominente und vor allem politisch verfemte jüdische Künstlerinnen und Künstler flohen bereits in den ersten Wochen der NS-Herrschaft oder wurden von den Nationalsozialisten brutal aus dem Reich vertrieben. Die Mehrzahl aber blieb zunächst in Deutschland.
Wie Goebbels erklärt hatte, verstanden die Nationalsozialisten die »Säuberung« der Kultur als Teil des nationalsozialistischen »Umformungsprozesses« in Deutschland. Die nationalsozialistische Kulturpolitik war damit aber auch Teil der antijüdischen Politik der Nationalsozialisten. Auch wenn es in den ersten Jahren der NS-Herrschaft retardierende Momente wie etwa Rücksichtnahmen auf das Ausland gab, radikalisierte diese sich stetig und durchdrang nach und nach alle Bereiche des öffentlichen Lebens: die Politik, die Wirtschaft, das Bildungswesen, den Sport, das Vereinswesen und auch das Kulturleben.20
Am 13. März 1933 wurde das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVuP) errichtet. Zum Minister ernannte Hitler Joseph Goebbels, der von Anfang an bestrebt war, »Parteiziele im Kulturbereich durch staatliche Institutionen realisieren zu lassen«.21 Das neue Ressort übernahm de facto auch die Funktion eines Reichskulturministeriums. Zu seinem wichtigsten institutionellen Unterbau wurde die im Herbst 1933 geschaffene Reichskulturkammer (RKK) mit ihren Einzelkammern. Sie hatte den Charakter einer berufsständischen Zwangsvereinigung. Nur Mitglieder der Reichskulturkammer durften im NS-Staat künstlerisch tätig sein – und Mitglied durfte nur werden, wem »Eignung« und »Zuverlässigkeit« attestiert wurden. Damit war sie das zentrale Instrument zur Ausschaltung politisch Missliebiger und vor allem aller Juden aus dem Kulturleben.22
Bereits im Juli 1933 hatten die NS-Behörden die Gründung des Kulturbunds Deutscher Juden in Berlin genehmigt.23 Er sollte zum einen den zahlreichen arbeitslos gewordenen jüdischen Künstlern ein Auskommen sichern. Er erleichterte zum anderen den NS-Behörden aber auch die Überwachung des jüdischen Kulturlebens. Mitglied des Kulturbunds konnte jede Person werden, die nach den nationalsozialistischen Bestimmungen als Jude galt. Für die Kontrolle des Kulturbunds war Hans Hinkel zuständig, der seit Ende März 1933 »Staatskommissar zur besonderen Verwendung« im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung war.24 1935 gab es schon mehr als 35 regionale oder lokale jüdische Kulturbünde mit etwa 70.000 Mitgliedern, die sich im August 1935 zu einem Reichsverband zusammenschließen mussten.25
Goebbels hatte in seiner eingangs zitierten Rede auf der zweiten Jahrestagung der Reichskulturkammer in der Berliner Philharmonie, wie so oft, gelogen: Weder waren zu diesem Zeitpunkt bereits alle Juden aus der Reichskulturkammer und damit aus dem Kulturleben in Deutschland ausgeschlossen, noch gestattete der NS-Staat den Juden tatsächlich die freie Gestaltung eines Kulturlebens. Vielmehr hatten die Einzelkammern noch sehr lange damit zu tun, ihre »nichtarischen« und »jüdisch versippten« Mitglieder zu erfassen, um die Voraussetzung für die systematische »Säuberung« zu schaffen. Zugleich erhielten zahlreiche »Nichtarier« und vor allem »jüdisch Versippte« aber sogenannte Sondergenehmigungen, die ihnen bis auf Widerruf eine künstlerische Betätigung ermöglichten.26 Alle mit Berufsverbot belegten »Nichtarier« mussten hingegen darauf hoffen, im Jüdischen Kulturbund ein Auskommen zu finden. Jene, die nicht rechtzeitig ihr Heil in der Emigration gesucht hatten, wurden wie alle anderen Juden in Deutschland nach dem Novemberpogrom entrechtet und die meisten von ihnen später deportiert und ermordet. Dazu zählten zahlreiche Schauspieler und Schriftsteller, die auf ihre Muttersprache angewiesen waren und denen ein beruflicher Neubeginn in einem fremdsprachigen Land schwergefallen oder unmöglich gewesen wäre, aber auch viele, denen es an den finanziellen Möglichkeiten oder einem geeigneten Zufluchtsort gemangelt hatte.
Die vorliegende Studie untersucht die Ausschaltung aller Juden aus dem Kulturleben in Deutschland durch die Nationalsozialisten. Der Bogen spannt sich zeitlich von der Gründung der NSDAP 1920 bis zum Ende des Dritten Reiches im Mai 1945 und räumlich über das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937.27 Aus der Entwicklung der NSDAP ergeben sich Schwerpunkte: Auf Ebene der Länder stehen außer Bayern, wo die Partei ihren Ursprung hatte, besonders Thüringen, Braunschweig und Oldenburg im Fokus – und damit die wichtigsten jener Staaten, in denen die Nationalsozialisten vor 1933 in die Regierungsverantwortung eintraten –,28 und Preußen, das mit Abstand größte und bevölkerungsreichste Land des Reiches; auf Ebene der Städte München, die »Hauptstadt der Bewegung«, und Berlin, die Hauptstadt und das kulturelle Zentrum des Reiches.
Ziel ist es, die grundlegenden Entwicklungslinien nachzuzeichnen. Deshalb werden in manchen Fällen gut bekannte Ereignisse wegen ihrer Bedeutung für die Zuspitzung der NS-Kultur- und Judenpolitik ausführlich diskutiert, in anderen Fällen aber nur kurz oder gar nicht erwähnt. Anders gesagt: Nicht jedes Ereignis, das an einem Ort große Aufmerksamkeit erfuhr, ist bei der Darstellung der reichsweiten Entwicklung notwendigerweise zu erwähnen.
Der Kreis der handelnden und der betroffenen Personen bei der NS-Judenverfolgung im Kulturleben war groß. In dieser Studie geht es vor allem um die Täter. Sie lotet aus, welche Institutionen und Personen an der Ausschaltung der Juden beteiligt waren, und beschreibt ihre jeweiligen Motive und Ziele (die sich im Lauf der Zeit durchaus wandeln konnten). Außer der NSDAP mit ihren Parteidienststellen und angeschlossenen Verbänden, allen voran dem Kampfbund für deutsche Kultur, staatlichen Einrichtungen wie dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, der Reichskulturkammer und den zuständigen Länderministerien gilt der Blick auch den Akteuren in den Kultureinrichtungen selbst, etwa in Theatern und Orchestern.
In dieser Studie geht es aber auch um eine Geschichte jener, die als »Nichtarier« von Ausgrenzung und Ausschaltung aus dem Kulturleben betroffen waren. Sie bildeten selbstverständlich keine homogene Gruppe; schon allein weil sie, zumindest in den ersten Jahren der NS-Herrschaft, unterschiedliche Handlungsoptionen hatten, je nach Beruf, Bekanntheitsgrad oder Funktion beispielsweise im Gefüge eines Ensembles. Diese Handlungsoptionen änderten sich aber im Laufe der Zeit und wurden schließlich immer geringer. Auch traten »die Juden« keineswegs geschlossen für »die Moderne« ein, wie die Antisemiten behaupteten; vielmehr dürfte ein Großteil der jüdischen Künstlerinnen und Künstler ebenso wie die jüdischen Kunstinteressierten »Traditionalisten« gewesen sein. Viele gingen – wie von Lion Feuchtwanger 1931 düster prophezeit – in die Emigration;29 wer aber während des Krieges in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten wieder unter die Herrschaft des NS-Regimes geraten bzw. wem die Flucht aus Deutschland nicht gelungen war, wurde schließlich deportiert und im Holocaust ermordet.
Zudem betrachtet diese Studie jene Dritten, die weder als Nationalsozialisten oder Angehörige der Verwaltung die Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben ins Werk gesetzt haben, noch Opfer der antijüdischen Kulturpolitik wurden: Zuschauer, Leser, Hörer und vor allem Kollegen. Ihr Verhalten war insbesondere in der Endphase der Weimarer Republik und in der Frühzeit des NS-Regimes sowohl für die Täter wie für die Opfer von großer Tragweite: Im Mikrokosmos einer Bühne beispielsweise, gleich ob ein bedeutendes Staatstheater oder ein kleines Stadttheater, konnte sich auf Dauer niemand dem Eindringen von Politik, Antisemitismus und Verfolgung entziehen.30 Kollegen mussten ebenso wie Zuschauer schon früh Stellung beziehen. Protestaktionen in Theatern etwa waren immer wieder ein Lackmustest, wie das Publikum reagieren würde, ob es sich gegen diese wenden, diese stillschweigend hinnehmen oder sich diesen sogar anschließen würde. Ihre Wirkung reichte freilich über die einzelne Veranstaltung hinaus, da die lokalen Zeitungen in aller Regel, die überregionalen Blätter zumindest in bemerkenswerten Fällen berichteten.
In der Weimarer Republik und in den ersten Monaten der NS-Herrschaft waren die Theater ein politisch und gesellschaftlich besonders umkämpftes Feld des Kulturlebens. Ihnen war nach der Revolution 1918/19 eine Bedeutung zugeschrieben worden, der sie angesichts der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dauerkrise der Republik kaum gerecht werden konnten. Sie standen – ebenso wie die Opernhäuser, Orchester und auch zahlreiche Museen – unter besonderer Beobachtung, weil es eine unmittelbare Folge der Revolution gewesen war, dass die Bühnen in staatliche oder kommunale Trägerschaft übernommen wurden. Viele Deutsche lehnten die Republik zwar ab, stellten jedoch zugleich weitreichende Ansprüche an den neuen Staat, die dieser weder politisch, wirtschaftlich noch kulturell erfüllen konnte.
Insbesondere das Theater, das die Studie immer wieder in den Blick nimmt, war in der Weimarer Republik mehr als Kunst. Es war »ein zentrales Element bildungsbürgerlicher Identität«. Daher rührte wohl auch die Ag gressivität, mit der große Teile des Publikums »bei einer vermeintlichen ›Entweihung‹ des Theaters« reagierten.31 Auch aus Sicht der Geldgeber – des Reiches, der Länder und der Kommunen – waren Staats-, Landes- und Stadttheater in der Weimarer Republik Institutionen mit einem Erziehungsauftrag. Sie hatten den Kunstgeschmack zu formen und der Festigung der Moral zu dienen. 1927 bezeichnete etwa der konservative Hannoveraner Oberbürgermeister Arthur Menge es als Aufgabe des städtischen Opernhauses, »die Gemeinschaft aller Volksgenossen als Grundlage unseres Kunst- und Geisteslebens« zu stärken: »Wenn man sich diese hohen Ziele vor Augen hält und bedenkt, daß von keiner anderen Kunststätte so große Breitenwirkung ausgeht wie vom Theater, dann ermißt man erst seine große Bedeutung für das Kultur- und Geistesleben […] und damit für den Wiederaufstieg unserer Nation«.32
Aber auch während der Weimarer Republik blieb das Bürgertum in den Staats- und Stadttheatern mehr oder weniger unter sich: In Essen etwa – geprägt von der Schwerindustrie und damit von der Arbeiterschaft – hatten nach der zeitgenössischen Einschätzung des Journalisten Erik Reger 1929 lediglich 15.000 der 650.000 Einwohner der Stadt das Theater besucht (etwa 2,5 Prozent). Auch in Köln sah es kaum anders aus: In der Spielzeit 1931/32 hielten die 730.000 Einwohner der Stadt 5.186 Abonnements (das entsprach 0,7 Prozent der Einwohner) für die Städtischen Bühnen, die in zwei Häusern Theater und Oper boten – in anderen Städten dürfte es kaum anders ausgesehen haben.33 Der Historiker Hannes Heer schätzt, dass die Besucher der staatlichen Theater – Unternehmer, hohe Beamte und Angehörige der freien Berufe – eine kleine, aber einflussreiche Minderheit der jeweiligen Stadtbevölkerung waren, die aber nie mehr als 0,5 Prozent der Einwohner umfasste. Dieses Stammpublikum vertrat Heer zufolge »einen aggressiven Nationalismus und verstand unter ›deutscher‹ Kunst einen Kanon überzeitlich gültiger ästhetisch-moralischer Normen, der von zerstörerischen Gegenwartsströmungen bedroht wurde«.34 Heers Analyse blendet allerdings aus, dass insbesondere in Großstädten wie etwa Berlin, München und Frankfurt am Main ein nennenswerter Teil des Bildungsbürgertums und damit auch der Theaterbesucher Juden waren. Auch die überwiegende Mehrheit der damaligen Besucher von Opern, philharmonischen Konzerten, Ballettvorführungen sowie der zahlreichen Kunstmuseen dürfte dem Bildungsbürgertum zuzurechnen sein; die Auseinandersetzungen um solche Aufführungen und um Ausstellungen jedenfalls verliefen ähnlich.35
Diese Studie konzentriert sich aber nicht nur auf die Ausschaltung der Juden aus der bürgerlichen Hochkultur: das Theater, die Opernhäuser, die Konzertsäle, die Literatur und schließlich auch die bildende Kunst (die in den Auseinandersetzungen zunächst eine untergeordnete Rolle spielte, da Juden hieran lange Zeit nur einen geringen Anteil hatten), sondern behandelt auch die in den 1920er Jahren verstärkt aufkommende und durch neue Medien geprägte Massenkultur wie den Rundfunk und den Film sowie, da die Nationalsozialisten ihr von Anfang an besondere Bedeutung beimaßen, die Presse.36 Auch wenn sie nicht im Mittelpunkt der Studie steht, bleibt daneben die Ausschaltung aller »jüdischen« Werke im Blick.
»Wie bürgerlich war der Nationalsozialismus?«, hat Norbert Frei gefragt – und betont, dass es mit der von Hitler und den Nationalsozialisten »in Szene gesetzten Antibürgerlichkeit« vorbei gewesen sei, als die NSDAP Ende Januar 1933 in Berlin an die Macht kam. Es hätten sich aber, so Frei weiter, nicht nur die Nationalsozialisten die Bürgerlichkeit angeeignet, sondern sich vice versa auch das Klein- und Großbürgertum ebenso wie das Wirtschafts- und Bildungsbürgertum dem NS-Regime angedient und das nationalsozialistische Weltbild in ihr eigenes integriert – um Besitzstände zu wahren oder Karriere zu machen.37
An diese Diskussion knüpft die vorliegende Studie an, die sich mit der Ausschaltung der Juden aus einer zutiefst bürgerlichen Sphäre befasst, den Blick aber weitet und postuliert, dass es vereinzelt ab Mitte der 1920er Jahre auf lokaler Ebene und spätestens ab 1930 in den Ländern mit NSDAP-Regierungsbeteiligung bereits zu einer feststellbaren Interessenkongruenz der Nationalsozialisten mit den nationalkonservativen Teilen des Bürgertums gekommen war. Die revolutionären Methoden, also die lautstarken und oft gewalttätigen Proteste, die die NSDAP vor allem in den »Kampfjahren« einsetzte, um die Deutungshoheit über das Kulturleben zu erlangen, verschreckten zumindest republikfeindlich und antisemitisch gesinnte Bildungsbürger nicht. Die jüngere Forschung, vor allem von Raphael Gross und Harald Welzer, hat zudem gezeigt, dass die vollständige moralische Diskreditierung der Linken und vor allem der Juden durch die Nationalsozialisten konstitutiv war bei der Imaginierung einer »Volksgemeinschaft«. Die Nationalsozialisten entwickelten »Kriterien von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit«;38 Juden gefährdeten angeblich das deutsche Volk, indem sie dessen völkische Identität zerstörten – vor allem durch »rassische Durchmischung« und kulturelle »Zersetzung«.39
Von diesen Feststellungen ausgehend, beleuchtet diese Studie die folgenden Aspekte: Zunächst gilt der Blick den Argumentationsmustern der Antisemiten, die die angebliche »Verjudung« des Kulturlebens anprangerten. Welche Diagnosen und Lösungen propagierten sie? Entwickelte die NSDAP, die Anfang der 1920er Jahre zunächst nur eine weitere rechtsextreme, judenfeindliche Partei unter vielen war, eine spezifisch nationalsozialistische Argumentation? In diesem Kontext ist zu klären, wie die NS-Propaganda aussah und wie die Einflussmöglichkeiten der Nationalsozialisten im Kulturleben der Weimarer Republik wahrgenommen wurden – einerseits von der Partei und ihren Anhängern selbst, andererseits von ihren politischen Gegnern. Lässt sich belegen, dass die Proteste auf der – bildlich gesprochen – »kleinen Bühne« eines Theaters eine darüber hinaus reichende Wirkung erzielten?
Die Nationalsozialisten gingen nicht nur rhetorisch aggressiv, sondern auch mit physischer Brutalität gegen unliebsame oder gar verhasste Künstler und Werke vor. Daher wird untersucht, welche Rolle Gewalt gegen Juden und andere von den Nationalsozialisten ausgemachte Feinde einer »nationalen« Kultur spielte und ob es sich hierbei um genuin nationalsozialistische Gewalttaten handelte. Offen ist auch, inwieweit physische Gewalt jenseits der nationalsozialistischen Kreise akzeptiert wurde. Es ist anzunehmen, dass, wie die Forschung gezeigt hat, die weitverbreitete Gewöhnung an Gewalt – vor allem durch die Fronterfahrungen im Ersten Weltkrieg, die Revolution, die Freikorpskämpfe und die Fememorde im rechtsradikalen Milieu, aber ebenso durch die verbreitete Züchtigung von Kindern und Jugendlichen sowie durch die lange Zeit gängigen Duelle zur Klärung von »Ehrenhändeln« in akademischen Kreisen – eine wichtige Rolle spielte.40 Hinzu kommt, dass die Judenfeindschaft sich schon in der Vergangenheit immer wieder in gewalttätigen Übergriffen und Pogromen Bahn gebrochen hatte und dass Teile der Bevölkerung sich zur Anwendung von Gewalt gegen Juden berechtigt fühlten.41
Hieran schließt sich unmittelbar die Frage an, ab wann es der NSDAP möglich war, nicht nur propagandistisch auf die »Entjudung« des Kulturlebens hinzuarbeiten, sondern sie auch ins Werk zu setzen. Insbesondere für die Zeit der Staatskrise der Weimarer Republik von 1930 bis 1933 ist ein zunehmend breiter Konsens der judenfeindlichen Kulturpolitik anzunehmen. Welche Allianzen konnte die NSDAP dafür schmieden? Wie wehrten sich die republikanischen Institutionen gegen den Einfluss der Nationalsozialisten? Wie reagierten die angegriffenen jüdischen Künstlerinnen und Künstler? In dieser Phase, als infolge zerrütteter Staatsfinanzen Theater und Museen geschlossen und zahlreiche Angestellte der staatlich alimentierten Kulturbetriebe entlassen wurden, wuchs auch die Konkurrenz um die immer knapper werdenden Gelder dramatisch an. Daher drängt sich schließlich auch die Frage auf, welche Rolle wirtschaftliche Aspekte bei der Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben spielten.42
Für die Zeit nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler gilt es, das Verhältnis von »revolutionären« und ersten gesetzlichen Maßnahmen zur Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben auszuloten. In diesem Zusammenhang ist zu klären, welche staatlichen Stellen und welche Parteibehörden beteiligt waren. Welche dynamisierenden und welche retardierenden Momente prägten den Prozess? Welche Rolle spielten interne Differenzen, ökonomische und außenpolitische Rücksichtnahmen? Mit Blick auf die »Dritten« ist zu untersuchen, wer die NS-Judenpolitik (stillschweigend) akzeptierte, wer von ihr profitierte, wer sich ihr möglicherweise auch widersetzte. Gerade die Untersuchung der Handlungsoptionen dieser Gruppe beleuchtet den sozialen Prozess, der die Judenverfolgung auch im Kulturbereich war. Ein Augenmerk soll aber auch der Organisation des jüdischen Kulturlebens in separaten Strukturen und dessen Überwachung durch den NS-Staat gelten. Hieran knüpft die Frage an nach den Auswirkungen der sich immer wieder ändernden politischen Rahmenbedingungen und schließlich des Zweiten Weltkrieges sowie des Holocaust auf die endgültige Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben im Dritten Reich.
Indem sie sich mit politik-, sozial-, kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Fragen befasst, beleuchtet die Studie den Prozess der Ausschaltung der Juden aus dem Kulturleben aus mehreren Perspektiven. Sie steht damit im Kontext jener Arbeiten, die die Rolle von Zustimmung und Zwang im Nationalsozialismus und die Mechanismen der Integration bzw. Ausgrenzung aus der NS-Volksgemeinschaft untersuchen.
Um Gleichzeitigkeiten, Wechselwirkungen und gegebenenfalls auch voneinander abweichende Entwicklungen nachzeichnen zu können, folgt die Darstellung grundsätzlich der Chronologie der Ereignisse. Kapitel I skizziert zunächst die Entwicklung und Verbreitung des »modernen« Antisemitismus und zeigt, wie weit zurück der Vorwurf einer angeblichen »Verjudung« des Kulturlebens in Deutschland reicht. Das folgende Kapitel thematisiert die Auswirkungen der Kriegsniederlage, der Revolution in Deutschland und der Errichtung der Weimarer Republik: Diese Ereignisse führten zu einer Zäsur in der Kulturpolitik – aber nicht zu einer Zäsur in der Kunst. Der Zusammenbruch des politischen Systems und der Umbruch des kulturellen Lebens polarisierten die Gesellschaft und radikalisierten die Antisemiten weiter. Das Kapitel beschreibt die Reaktionen deutschvölkischer Kreise und insbesondere der 1919 gegründeten rechtsextremen Deutschen Arbeiterpartei (DAP) auf diese Entwicklung.
Kapitel III skizziert die Gründung der aus der DAP hervorgegangenen NSDAP im Jahr 1920 sowie ihre kulturpolitischen Ziele und Aktivitäten im Vergleich zu anderen nationalistischen und antisemitischen Parteien und Organisationen – insbesondere dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund – bis zum Verbot der Partei nach dem gescheiterten Putschversuch im November 1923. Kapitel IV befasst sich zum einen mit den kulturpolitischen Forderungen der NSDAP von ihrer Neugründung 1925 bis 1929, die immer wieder mit Ausschreitungen einhergingen. Zum anderen umreißt es die Allianzen und Konfliktlinien in Stadträten, Landesparlamenten und im Reichstag, die sowohl die Verfechter als auch die Gegner einer »Entjudung« des Kulturlebens und ihre jeweiligen Argumentationsmuster in den vermeintlich »Goldenen Jahren« der Weimarer Republik deutlich werden lassen.
Kapitel V beschreibt die Phase der Staatskrise der Weimarer Republik 1930 bis 1933. Es stellt die Entwicklung einerseits in den Ländern mit NS-Regierungsbeteiligung (vor allem in Thüringen, Braunschweig, Oldenburg und Mecklenburg-Schwerin) dar und andererseits in den übrigen Ländern des Reiches (insbesondere in Preußen). Durch diese parallele Betrachtung werden die zahlreichen Verbindungen zwischen den NS-Akteuren in den einzelnen Ländern sowie die Interessenkongruenz der NSDAP mit anderen Parteien im Kampf gegen bestimmte Künstler oder Kunstwerke sichtbar. Das Kapitel macht das Wechselspiel zwischen oftmals gewalttätigen Protesten und parlamentarischen Vorstößen der NSDAP anschaulich. In diesem Kontext fragt es auch, wie die Mitglieder und Anhänger, aber auch die Gegner der NSDAP deren Einflussmöglichkeiten wahrgenommen haben – und nach den Reaktionen des Bildungsbürgertums.
Kapitel VI beschreibt sowohl die »revolutionären«, gewalttätigen Eingriffe in das Kulturleben nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten Ende Januar 1933, die Entlassungen und Vertreibungen von jüdischen Künstlerinnen und Künstlern und die flankierende Propaganda als auch die ersten gesetzgeberischen Maßnahmen gegen Juden sowie die Gründung der zentralen kulturpolitischen Institutionen des NS-Staates: des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda und der Reichskulturkammer. Zugleich stellt es die Gründung des Kulturbundes Deutscher Juden dar.
Das folgende Kapitel untersucht die systematische Ausschaltung der meisten »Nichtarier« und zahlreicher »jüdisch Versippter« aus der Reichskulturkammer in den Jahren 1934 bis 1936, wofür diese zunächst in den Einzelkammern aufwendig erfasst werden mussten. Zugleich zeigt das Kapitel den Aufbau eines separierten jüdischen Kulturlebens unter der Kontrolle Hans Hinkels. Die 1937 aufkeimenden Ambitionen des Sicherheitsdienstes (SD) der SS, die Judenpolitik des NS-Regimes zu bestimmen, und ihre Auswirkungen auf die entgegen Goebbels’ Beteuerungen noch immer nicht abgeschlossene Ausschaltung der Juden aus der Reichskulturkammer stehen im Mittelpunkt von Kapitel VIII. Dieses Kapitel behandelt außerdem die Bedeutung der Propagandaausstellungen »Entartete Kunst« und »Entartete Musik« und die Zerstörung der bürgerlichen Existenz der deutschen Juden in der Phase zwischen dem Novemberpogrom und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs. In diesem Kontext schildert das Kapitel zudem die Zusammenfassung aller jüdischen Kulturvereinigungen im Jüdischen Kulturbund in Deutschland e. V. Kapitel IX beschreibt die Entwicklung während des Zweiten Weltkriegs bis zum Ende des NS-Regimes. Außer den wenigen »Nichtariern« und »jüdisch Versippten«, die noch mit einer Sondergenehmigung tätig sein durften, gilt das Augenmerk dem Ende des Jüdischen Kulturbunds 1941 und jenen Künstlerinnen und Künstlern, die deportiert und im Holocaust ermordet wurden.