»Mit mir geht es zu Ende, ich kann nicht mehr lieben«, soll eine der letzten Äußerungen Else Lasker-Schülers vor ihrem Tod gewesen sein. Gerade ihre Liebesgedichte zeigen, wie mutig, wie rücksichtslos die Liebe sein kann. Für die Zeit der Liebe ist es aus mit dem Mittelmaß. Kein Alltag, nirgends. Liebe ist der einzige Beweis für die Einzigartigkeit des einzelnen. Liebe ist für Else Lasker-Schüler das Recht und der Wunsch, jemanden so sehr zu fordern, bis er den Ansprüchen des anderen zu gleichen beginnt. Die Liebende erschafft sich den Geliebten – und keine hat das so großartig gekonnt wie Else Lasker-Schüler. Ihre Gedichte zeigen uns, wie die Liebe sein kann: von der Einsamkeit des unerwiderten Begehrens bis zu ihrem verschwenderischen Überschwang.
Eva Demski hat für diese Ausgabe 100 Liebesgedichte der »größten Lyrikerin, die Deutschland je hatte« (Gottfried Benn), ausgewählt.
Else Lasker-Schüler, geboren 1869, veröffentlichte ihren ersten Gedichtband 1902; 1943 erschien als letzte zu ihren Lebzeiten publizierte Sammlung Mein blaues Klavier. 1932 erhielt sie für ihr Gesamtwerk den Kleist-Preis. 1933 flüchtete sie aus Deutschland ins Schweizer Exil; sie starb 1945 in Jerusalem.
Eva Demski, geboren 1944 in Regensburg, lebt in Frankfurt am Main. Ihr literarisches Werk wurde vielfach ausgezeichnet, 2008 erhielt Eva Demski den Preis der Frankfurter Anthologie. Im Insel Verlag erschien zuletzt: Den Koffer trag ich selber. Erinnerungen.
Else Lasker-Schüler
Wir Beide
Die schönsten Liebesgedichte
Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Eva Demski
Insel Verlag
Die vorliegende Gedichtauswahl erschien unter dem Titel Dein Herz ist wie die Nacht so hell 2002 im Jüdischen Verlag und 2003 unter dem Titel Liebesgedichte als insel taschenbuch.
eBook Insel Verlag Berlin 2018
Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des insel taschenbuchs 4684.
Erste Auflage 2018
insel taschenbuch 4684
Insel Verlag Berlin 2018
© für die Gedichte: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1996
© für diese Zusammenstellung und das Nachwort: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2002
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlaggestaltung: hißmann, heilmann, hamburg
Umschlagabbildung: Félix Vallotton, Le mensonge (Die Lüge), 1898. Foto: akg-images, Berlin
eISBN 978-3-458-73259-4
www.insel-verlag.de
Für E.
Dein sünd'ger Mund ist meine Totengruft,
Betäubend ist sein süßer Atemduft,
Denn meine Tugenden entschliefen.
Ich trinke sinnberauscht aus seiner Quelle
Und sinke willenlos in ihre Tiefen,
Verklärten Blickes in die Hölle.
Mein weißer Leib erglüht in seinem Hauch,
Er zittert, wie ein junger Rosenstrauch,
Geküßt vom warmen Maienregen.
– Ich folge Dir ins wilde Land der Sünde
Und pflücke Feuerlilien auf den Wegen.
– Wenn ich die Heimat auch nicht wiederfinde. –
Weißt du, daß du gefesselt liegst
In meiner wilden Phantasie …
Damit du mich mit Küssen besiegst
In den schwarzen Nächten, in der Dämm'rung früh.
Weißt du, wo die Anemonen stehn
Rotfunkelnd, wie ein Feuermeer …
Ich hab' zu tief in die Kelche gesehn
Und lasse die Sünde nimmermehr.
Und wäre sie noch so thränenreich –
Und stürbst du in meiner sengenden Glut …
Meine Hölle verbirgt dein Himmelreich,
Und zerschmelzen sollst du in meinem Blut.
Es treiben mich brennende Lebensgewalten,
Gefühle, die ich nicht zügeln kann.
Und Gedanken, die sich zur Form gestalten,
Sie greifen mich wie Wölfe an.
Ich irre durch duftende Sonnentage …
Und die Nacht erschüttert von meinem Schrei.
Meine Lust stöhnt wie eine Marterklage
Und reißt sich von ihrer Fessel frei.
Und schwebt auf zitternden, schimmernden Schwingen
Dem sonn'gen Thal in den jungen Schoß.
Und läßt sich von jedem Mai'nhauch bezwingen
Und giebt der Natur sich willenlos.
Ihr kennt ja All' die Liebe nicht
Die in mir glüht, die in mir stürmt
Wie unerfüllte Weltenpflicht.
Das Feuer hat sich aufgetürmt
In meiner Seele Einsamkeit
Und brennt wie Steppenbrand.
Du! mit dem roten jungen Mund … .
Du weichst zurück in banger Scheu?
Und nennst mein Fühlen ungesund.
Es blieb dem tiefen Drang getreu
Dem Mittage der Frühlingszeit
Im Sonnenland.
Du! mit den Augen jugendcharme … .
Du schlägst sie nieder angsterfüllt?
Und fürchtest, daß mein Flammenarm
Dich an sich reißt in Nächten wild.
Nimm dir zum Schatz den Erdenmann
Ihm friert selbst in der Sonne Glut.
Du! mit den Wangen südenbraun … .
Du zitterst wie die Frühlingsflur,
Auf deinem Leibe will ich bau'n
Den roten Garten der Natur
Und pflanzen all die Sehnsucht an
Aus meinem ungestümen Blut.
Du hast ein dunk'les Lied mit meinem Blut geschrieben –
Seitdem sind meine Lippen kalt und blaß.
Du hast mich aus dem Rosenparadies vertrieben!
Ich mußt' sie lassen, alle die mich lieben.
Gleich einem Vagabund zieh' ich fürbaß.
Und in den Nächten wenn die Rosen singen –
Dann brütet still der Tod – ich weiß nicht was … .
Ich möchte dir mein krankes Herze bringen
Den gift'gen Odem und mein mühsam Ringen,
Mein Weh und alles Kranke und den Haß.
Mein Liebster, bleibe bei mir die Nacht
Ich fürchte mich vor den dunklen Lüften.
Ich hab' so viel Schmerzliches durchgemacht
Und Erinnerung steigt aus den Totengrüften.
Ich fürchte mich vor dem Heulen der Stürme
Und dem Glockengeläute der Kirchentürme
Vor all' den Thränen, die heimlich fließen
Und sich über meine Sehnsucht ergießen.
Leg' deinen Arm um meinen Leib,
Du mußt ihn wie dein Kind umfassen. –
Ich seh' im Geiste ein junges Weib –
Das Weib bin ich – von Gott verlassen –
Mein Liebster, erzähle von heiteren Dingen!
Und ein Lied von Maienlust mußt du singen!
Und herzige Worte und schmeichelnde sagen … . .
Damit sie die Raben des Schicksals verjagen.
Mein Liebster, siehst du die bleichen Gespenster?
Von mitternächtlichen Wolken getragen … . .
Sie klopfen deutlich ans Erkerfenster.
Ein Sterbender will »Lebewol« mir sagen.
Ich möchte ihm Blüten vom Lebensbaum pflücken …
Und die Schlingen zerreißen, die mich erdrücken!
Mein Liebster, küsse, – küß' mich in Gluten
Und laß deinen Jubelquell über mich fluten!
Meine Lippen glühn
Und meine Arme breiten sich aus wie Flammen!
Du mußt mit mir nach Granada ziehn
In die Sonne, aus der meine Gluten stammen … .
Meine Ader schmerzt
Von der Wildheit meiner Säfte,
Von dem Toben meiner Kräfte.
Granatäpfel prangen
Wie die heißen Lippen der Nacht.
Rot, wie die Liebe der Nacht!
Wie der Brand meiner Wangen.
Auf dem dunklen Schein
Meiner Haut schillern Muscheln auf Schnüre gezogen.
Und Perlen, von sonnenfarb'gem Bernstein
Durchglühn meine Zöpfe wie Feuerwogen.
Meine Seele bebt,
Wie eine Erde bebt und sich aufthut
Dürstend nach Luft! nach säuselnder Flut … .
Heiße Winde stöhnen
Wie der Odem der Sehnsucht … .
Verheerend, wie die Qual der Sehnsucht … .
Und über die Felsen Granadas dröhnen
Die Lockrufe der schwarzen Bhowanéh!
Du! sende mir nicht länger den Duft,
Den brennenden Balsam
Deiner süßen Gärten zur Nacht.
Auf meinen Wangen blutet die Scham
Und um mich zittert die Sommerluft.
Du … . wehe Kühle auf meine Wangen
Aus duftlosen, wunschlosen
Gräsern zur Nacht.
Nur nicht länger den Hauch deiner sehnenden Rosen,
Er quält meine Scham.
Die Palmenblätter schnellen wie Viperzungen
In die Kelche der roten Gladiolen
Und die Mondsichel lacht
Wie ein Faunsaug' verstohlen.
Die Welt hält das Leben umschlungen