Copyright © 2021 Patrick Lohmeier (Bahnhofskino)
Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN 978-3-752-62076-4(Taschenbuch)
ISBN 978-3-753-48413-6 (e-Book)
Umschlagmotiv & -gestaltung: Kolja Senteur (www.koljasenteur.com)
Satz & Layout: Patrick Lohmeier
Lektorat: Udo Fischer (https://nunsichtbar.de)
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Bildnachweis Umschlag: Kolja Senteur, Pond5
Bildnachweis Innenteil: Screenshots des Autors
Für meine Familie
Es war einmal in den späten 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Die unschuldigen Reize von Spaß am Dienstag, Paulchen Panther und diversen tschechischen Kinderserien hatten mich durch die Grundschulzeit begleitet. Und sie waren gut zu mir gewesen. Doch nun blickte mein zehnjähriges Ich sehnsuchtsvoll Richtung Hollywoodkino. Die Ansprüche meiner Eltern an filmische Unterhaltung, die ihrem Sprössling zumutbar sei, waren jedoch unerreichbar hoch und der Zugang zu selbiger daher gering bis nicht vorhanden. Stets war mein Freundeskreis kenntnisreicher, wenn es um die jüngste Spielfilmentdeckung im abendlichen TV-Programm ging. Ob Goonies oder Gremlins, Die Klapperschlange oder Karate Kid, Beverly Hills Cop oder Bond - Schulhofgespräche über das neueste in der Glotze zu begutachtende Filmspektakel fanden meist ohne mich statt. Der Zugang zu Videotheken, Jahre vor ihrer Mutation zu familienfreundlichen Entertainment-Tempeln, war mir altersbedingt ohnehin verwehrt. Und vom nächstgelegenen Kino trennte mich eine 40-minütige Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Oder, mit anderen Worten: Es war so gut wie unerreichbar.
Doch so strikt der Blick meiner Erzeuger auf den heimischen Filmkonsum war, so wenig interessierten sie sich für die von mir bevorzugte Serienkost. Selbige speiste sich vor allem aus abenteuerlichen und actionreichen Vorabendreihen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen: Für Trio mit vier Fäusten, Ein Colt für alle Fälle oder Magnum wurde das Wohnzimmer so gut abgedunkelt wie nur möglich und jede neue Folge im Beisein einer Schale Erdnussflips zelebriert. Wiederholungen von Hart aber herzlich fanden gar in der Gesellschaft weiterer Familienmitglieder statt. Unter den spannungsgeladenen Serien aus deutscher Produktion konnten mich lediglich die Verbrecherjagd der SOKO 5113 in der Werner Kreindl-Ära und die Fälle des einzig wahren Fahnders Klaus Wennemann begeistern. Seichtere Stoffe wie Ein Heim für Tiere wurden aus Sympathie für die putzigen Vierbeiner toleriert und sollten meine Eltern und meine über uns wohnende Großmutter dahingehend beruhigen, dass sich der Junge im Fernsehen mitnichten nur für Schießereien und Explosionen interessiere.
Mit dem Einzug besserer Rundfunk-Empfangstechnik in die heimischen vier Wände wich 1989 das weiße Rauschen der hinteren Programmplätze den verführerischen, immer noch stark körnigen Bildern des Privatfernsehens. Und die Welt schien ein wenig aufregender in dieser schönen neuen TV-Landschaft, in der ich Haudegen wie Mike Hammer und dem Unglaublichen Hulk begegnete. Insbesondere RTL plus entwickelte sich in damals schnell zum unverzichtbaren Hinguckerprogramm für Serienfans wie mich. In der Nachtschicht tummelte sich eine angesagte US-Sitcom neben der anderen. Und zur abendlichen Primetime stieß man schon bald auf hochklassige Produktionen wie Das Model und der Schnüffler und Zurück in die Vergangenheit. Smarte, actionreiche Produktionen, an denen der Zahn der Zeit weniger deutlich genagt hat als an den eher kruden Qualitäten eines Knight Riders, der mich mit seinem Lockenkopf rund ein Jahr zuvor erstmals für das Seriensortiment des Kölner Senders begeistert hatte. Das gute, alte ZDF versorgte mich wöchentlich mit neuen Abenteuern der Next Generation-Crew des neuen Raumschiffs Enterprise. Den Rest der Zeit aber guckten die coolen(?) Kids bevorzugt bonbonbuntes Privatfernsehen. So zumindest in meiner Welt zwischen einem Acker zur Linken, einem Friedhof zur Rechten, und der nächsten größeren Stadt (Würzburg) außer Reichweite. Und der Verlust des ›plus‹ hinter RTL Ende 1992, der mit einem stärkeren Fokus auf trashige Talkformate und Endemol-Eventshows einherging, lag noch in der - nach meinen jugendlichen Maßstäben - weit entfernten Zukunft.
Es war der durch Highlights wie 21 Jump Street erkaufte Vertrauensvorschuss, der mich am 2. April 1991 zur Fernbedienung greifen ließ, um dem damals bereits ergrauten Peter Falk in Tödliche Kriegsspiele (1989) eine Chance zu geben. Dem Fernsehfilm, mit dem sich RTL plus als neuer Columbo-Sender vorstellte, sollten weitere aktuelle Fälle sowie die Wiederholung der bis 1984 im Ersten Programm debütierten Episodenklassiker folgen, oftmals ungekürzt und ergänzt durch verspätete Premieren von Highlights wie Meine Tote - Deine Tote (1974), Des Teufels Corporal (1974) oder Todessymphonie (1977). Wäre ich meinem damaligen Lieblingssender nicht bereits vor dem TV-Debüt des Columbo-Comebacks verfallen gewesen, ich hätte mich vielleicht von anderen Reizen verführen lassen. Immerhin waren Dienstage zu dieser Zeit immer MacGyver-Tage und somit mein Abend eigentlich bereits mit einem Date bei Sat.1 verplant. Doch ich schaltete Columbo an und habe, wenn man so will, bis zum heutigen Tag nie wirklich abgeschaltet.
Unter den unzähligen prägenden Serien meiner frühen Jugend ist Columbo bis zum heutigen Tag die einzige, zu der ich regelmäßig zurückkehre. Eine Reihe, die mich immer wieder mit offenen Armen empfängt. Eine Reihe, die dank ihrer unerschütterlichen Formelhaftigkeit und der niemals schwindenden Spielfreude ihres Hauptdarsteller stets so fest im Sattel saß, dass selbst manch uninspirierte Storys und uncharismatische Mörder ihrem Ansehen niemals schaden konnten. Eine Reihe, die ich viele Jahre nach ihrem qualitativen Zenit Mitte der 70er Jahre kennenlernte und die mich dennoch für sich einnahm. Vielleicht auch deswegen, weil sie Geschichten erzählt, denen mein mittlerweile zwölfjähriges Ich folgen konnte und selbiges dennoch niemals für dumm verkaufte. Oder dies zumindest so selten tat, dass ich es ihr nicht nachtrug.
Klar, auch ich verlor den - im besten Sinne - altmodischen Lieutenant im Laufe der 90er Jahre zwischenzeitlich aus den Augen. Nicht zuletzt, weil er immer seltener mit neuen Fällen in der Flimmerkiste aufschlug. Aber auch, weil sprichwörtlich heißer Scheiß wie Akte X, NYPD Blue und Emergency Room mit teils bahnbrechender Ästhetik, kantigen Helden und episodenübergreifenden Erzählsträngen um meine Liebe buhlten. Als Columbo mit Die letzte Party (2003) seinen Hut nahm, interessierte mich dessen Ermittlung in der Clubszene deutlich weniger als Antworten auf die Fragen, wem Jack Bauer wohl gerade die Daumenschrauben anlegt und welchen Mafioso Tony Soprano als nächstes zu den Fischen schickt.
Trotz aller Wertschätzung für das ›Golden Age of Television‹ der Jahrtausendwende, das mittlerweile vom ›Age of Too Much Television‹ abgelöst wurde, bleibt Columbo mein liebster televisionärer Rückzugsort, dessen Titelheld einen Platz in meinem Herzen beansprucht, den kein zum Drogenkoch avancierter Highschool-Lehrer oder feuerspeiender Drache in Westeros je einnehmen wird.
So entwickelten sich Columbo-Abende zum wöchentlichen Fernsehhöhepunkt während des von Monotonie und Passivität gefärbten Jahres 1992, das ich aufgrund einer chronischen Krankheit im Bett verbringen musste. Die auf VHS-Kassetten gebannten Folgen mit illustren Mördern wie Jack Cassidy, Donald Pleasence und Oskar Werner trockneten meine Tränen während des ersten großen Liebeskummers rund um meinen 18. Geburtstag. Mein Frust über die aufgrund einer mentalen Krise in den Wind geschlagene Universitätskarriere wog nur noch halb so schwer, nachdem ich mich einige Tage mit einem Stapel Columbo-DVDs in meinem Zimmer eingeschlossen hatte. Und als ich vor einigen Jahren nach einem unerwarteten Jobverlust beruflich zeitweilig im Rheinland strandete, hunderte Kilometer entfernt von meiner Familie, war das Boxset mit allen Einsätzen des Lieutenants das Erste, was neben Hemd, Hose und Socken im Reisekoffer landete.
Columbo macht glücklich. Natürlich auch dann, wenn es einmal keine persönlichen Tiefpunkte zu überwinden gilt. Die wahre Magie des Fernsehklassikers offenbart sich aber in Zeiten, in denen man vom Leben gerade so richtig gesackbeutelt wird. So auch nach dem 13. November 2019. Dem Tag des Anrufs, mit dem mir meine Frau Jennifer mitteilte, dass unser damals siebenjähriger Sohn gerade einen schweren Unfall erlitten hatte, der zu einem Schädelbruch mit Hirnblutung führte. Wochen der Sorge um die Gesundheit des Kleinen folgten. Und würde er nach seiner Genesung in einen kindgerechten Alltag zurückfinden oder ihn dieses körperliche wie seelische Trauma noch lange verfolgen? In dieser Zeit waren das gemeinsame Lesen und Musikhören die wirkungsvollsten Trostspender. Sohnemann ertrug die oft öde aber heilsame Beschaulichkeit dieser spätherbstlichen Wochen dabei noch besser als Jennifer und ich. Meine Bewunderung dafür, wie sein junger Verstand ein schreckliches Erlebnis wie dieses verknusperte, ringt mir auch ein Jahr später den größten Respekt ab.
Irgendwo in diese familiäre Versuchsanordnung zwischen Couch, Küche, einem auf wackligen Füßen stehenden Berufsleben und ärztlichen Nachsorgeterminen grätschte Columbo herein. Wieder einmal dienten mir die Fälle des eigenwilligen Detectives als die Sorgen zerstreuender Zufluchtsort innerhalb eines schwierigen Lebensabschnitts. Und wieder konnte ich Jennifer nicht von der heilsamen Wirkung meines liebsten seriellen Antidepressivums überzeugen. Unser Sohn war zwar interessiert daran, worum es in »Papas Fernsehprogramm« ginge, zeigte aber reichlich wenig Ehrgeiz, selbst einmal in eine Episode hineinzugucken. Zumindest, nachdem ich ihm offenbart hatte, dass der Robert Culp-Klassiker Wenn der Eismann kommt (1972) nicht von einem netten Herren handelt, der aus einer motorisierten Eisdiele Süßigkeiten an Kinder verteilt. Nein, einmal mehr schob ich meine Columbo-DVDs des Nächtens alleine in den Player, um Kopf und Seele durchpusten zu lassen. Und ich dachte bei jedem »Peter Falk as« daran, dass es wirklich an der Zeit wäre, meine Erinnerungen und Gefühle rund um Columbo in geschriebener Form zu verewigen. Ein Gedanke, der mich bereits in früheren Jahren ereilt hatte und letztendlich immer wieder inmitten des Alltagstrotts hinfort prokrastiniert wurde.
»Mach lauter!« rief mein Sohn, als wir rund um dem letzten Jahreswechsel gemeinsam auf dem Sofa saßen und die Karten des Autoquartetts mischten. Auf radio1 spielten sie wieder einmal einen Song der österreichischen Kombo Wanda, die mein Junior und ich als gemeinsame Lieblingsband auserkoren hatten. Zumindest solange, bis er seine frühkindliche Leidenschaft einer anderen Stimme schenken würde, die ihm aus dem heimischen Rundfunkgerät entgegen schallt. Aber in diesem Moment zählte nur dieses eine Lied. Und als Sänger Michael Fitzthum mit »Am Ende fällt Columbo etwas ein, lass es unsere Rettung sein« in den Refrain einsteigt und der Chorus den Namen meines liebsten TV-Ermittlers scheinbar endlos oft wiederholt, schossen mir Tränen in die Augen. Tränen ob all des Kummers, den meine Familie und ich in den vergangenen Wochen hatten schultern müssen. Aber, viel wichtiger und befreiender: Freudentränen aufgrund der Erkenntnis, dass ich dieses Buch, das Sie und ich nun in den Händen halten, schreiben musste. Und konnte.
»Columbo, Columbo…« erklang der Chor aus der Ferne. Immer wieder und wieder. Vielleicht ist der Weg, auf dem die nun folgende Retrospektive und ihr Titel zustande kamen, genauso beliebig wie viele der vermeintlich unbedarften Fragen des Lieutenants. Vielleicht war es mein Schicksal, ihn zu beschreiten. Aber spielt es eine Rolle? Ich kann mit dem Fehlen einer Antwort auf diese allzu esoterisch angehauchte Frage leben und bin einfach glücklich darüber, Ihnen nun viel Spaß mit diesem Buch und dem Wiedersehen mit Columbo wünschen zu können. Letzteres lohnt sich in wirklich jeder Lebenslage.
Patrick Lohmeier im November 2020
Anliegen und Ziel dieses Buchs ist ein gleichermaßen analytischer wie persönlicher Blick auf alle zwischen 1968 und 2003 produzierten Columbo-Episoden und -Fernsehfilme. Columbo, Columbo erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit bei der Diskussion von Drehbuch, Inszenierung und Besetzung. Statt einem standardisierten Schema zu folgen konzentriere ich mich in meinen Rezensionen auf ausgewählte, herausragende Aspekte jedes Falls. Ich möchte Lust auf das Entdecken und Wiederentdecken der Serie machen. Das systematische Abklopfen der immer gleichen Bausteine - Motiv, Mordplan, Beweise, ›Gotcha!‹, und so weiter - würde jede Chance, sich selbst beim ersten Kontakt oder einem Wiedersehen mit Columbo überraschen zu lassen, sabotieren. Eintönig und somit rasch langweilig wäre es obendrein. Zudem ist es mein ausdrücklicher Wunsch, das Wiederkäuen von Inhalten bereits veröffentlichter Literatur, Blogs, Podcasts und sonstiger Beiträge zur Serie zu vermeiden. Dazu zähle ich insbesondere die bereits umfassend dokumentierte Produktionsgeschichte der Serie, Biographisches über Peter Falk, detaillierte Angaben zu Stab und Besetzung sowie ausführliche Inhaltszusammenfassungen.
Die sporadische Erwähnung produktionstechnischer Details stützt sich überwiegend auf Mark Dawidziaks Standardwerk The Columbo Phile, das die Entstehung und Entwicklung Columbos bis 1978 basierend auf Interviews mit Falk, den Autoren, Regisseuren und Schauspieler*innen schildert. Darüber hinausgehende Informationen zu den Karrieren der Gaststars und kreativ Mitwirkenden, den Drehorten und deutschsprachigen Bearbeitung habe ich unabhängig von bereits existenter Literatur zur Serie recherchiert, sofern belastbare Quellen in Form von Datenbanken und Verzeichnissen zur Verfügung standen. In seltenen Fällen, in denen dies nicht der Fall war, weise ich darauf hin.
In Ergänzung zu den nun folgenden 69 Kritiken gibt es eine Handvoll fester Rubriken mit Anekdotischem und Wissenswertem zur Serie.
Oh, Sie erfahren es als Erster…
Zu Beginn jeder Staffel oder Produktionsphase blicke ich auf ausgewählte Höhe-und Tiefpunkte, Kuriositäten und Leitmotive der Serie zurück, die im Rahmen meiner Rezensionen zu kurz kamen. Sozusagen Bestenlisten in einem Buch, dessen Autor keine Bestenlisten mag.
Berufskriminelle
Ein kompakter Blick auf die Film- und Fernsehkarrieren der Gastmörderinnen und Gastmörder, verbunden mit der Frage, ob sie sich auch in anderen Rollen als überzeugende Bösewichte beweisen konnten. Die Anzahl der hier vergebenen ein bis fünf Messer für die kriminelle Raffinesse ist nicht gleichbedeutend mit einem Urteil über die Qualität der jeweiligen Episode. Auch dumme Verbrecher sorgen zuweilen für unterhaltsame Morde.
Das erste Mal
Wer an Columbo denkt, denkt an Peter Falk. Aber die Serie lebt ebenso von wiederkehrenden Nebenrollen und ihren Darstellern, Autoren, Musikern und anderen Kreativen. Und wer könnte essentielle Gimmicks wie beispielsweise das hartgekochte Ei vergessen? Menschen, Tiere und Sensationen, denen wir im Laufe von Columbos Geschichte mehr oder weniger regelmäßig begegnen, erfahren hier eine kleine Würdigung. Zu mindestens drei Gastauftritten sollte es aber schon gekommen sein.
Dem Inspektör ist nichts zu schwör
Nicht nur wurde aus dem Lieutenant hierzulande ein Inspektor, auch die zuständigen Synchronstudios und Sendeanstalten hatten oftmals ihre ganz eigene Vorstellung davon, was Columbo sagen dürfe und wie er dabei zu klingen hat. Dies ist die Rubrik für grobe Schnitzer, kleine Patzer und gelungene Eigenheiten der deutschen Bearbeitung für ARD und RTL.
Just one more thing—
Alles, was weder in der Episodenkritik noch anderswo Platz hat, findet sich hier wieder. Sozusagen die Columbo-Resterampe mit augenzwinkernden Beobachtungen und harten Fakten in möglichst harmonischer Ausgewogenheit.
Oh, Sie erfahren es als Erster…
Der von Johnny Cash dargebotene Hank Williams-Evergreen »I Saw the Light« (→Schwanengesang, 1974) sägt am Thron, muss sich aber »Nel blu dipinto di blu« (→Traumschiff des Todes, 1975), gesungen von der hinreißenden Poupée Bocar, geschlagen geben. Von Dean Martin über Caterina Valente bis zu den Gipsy Kings versuchten sich unzählige Stars an dem als »Volare« besser bekannten Klassiker aus der Feder von Domenico Modugno und Franco Migliacci. 1959 wurde dem Song gar als Musicarello mit Sänger Modugno in der Hauptrolle ein filmisches Denkmal gesetzt. Bocar tourt bis heute mit diesem und anderen Hits über kleine Bühnen, flüsterte mir einmal ein selbsternannter Columbo-Kenner zu. Verifizieren konnte ich diese Behauptung nicht. Es wäre der Dame allerdings zu wünschen.
Ebenfalls hörenswert: Fine Young Cannibals: »She Drives Me Crazy« (→Wer zuletzt lacht, 1990) und Ambrosia: »Poor Rich Boy« (→Luzifers Schüler, 1990).
»Der bringt es fertig und sucht im Alten Testament nach Fehlern.«
(Dr. Flemming)
Darsteller*innen: Gene Barry (Dr. Ray Flemming), Katherine Justice (Joan Hudson), Nina Foch (Carol Flemming), William Windom (Burt Gordon), Virginia Gregg (Miss Petrie), Andrea King (Cynthia Gordon), u.v.a. Story & Drehbuch: Richard Levinson & William Link. Regie: Richard Irving. US-Erstausstrahlung: 20. Februar 1968 (NBC). Deutsche Erstausstrahlung: 11. Oktober 1969 (Erstes Deutsches Fernsehen). Laufzeit: ca. 95 Minuten.
Der Fall in einem Satz: Ein Psychiater entledigt sich seiner Ehefrau und verhilft einem unkonventionellen Ermittler zum TV-Debüt.
Zumindest in einer Hinsicht profitiert Mord nach Rezept von seiner knapp zehnjährigen Genese nach Umwegen über die Theaterbühne. Selbstsicher und souverän tritt Peter Falk in die anno 1968 gar nicht so großen Fußstapfen des von den Schulfreunden Levinson und Link erschaffenen Lieutenants Columbo. So unerschütterlich und geradezu brüsk in seinem Umgang mit den Tatverdächtigen, dass selbst die Stirn des hartgesottensten Columbo-Liebhabers Falten wirft. Und rückblickend ist das große Ego des Ermittlers nur einer von vielen problematischen Aspekten in diesem hervorragenden Fernsehspiel, das zugleich eine bestenfalls durchschnittliche Columbo-Episode ist. Dieser Vorwurf klingt harscher als er gemeint ist. Immerhin entstand Mord nach Rezept nicht mit der Absicht, das in Stein gemeißelte Regelwerk für eine neue Krimireihe zu erschaffen. Dabei gehorcht die den kunterbunten Rorschachtests im Vorspann folgende Story weitgehend dem Format, das gut drei Jahre später mit →Tödliche Trennung (1971) in Serie ging: Ein mehr oder weniger ehrenwertes Mitglied der High Society begeht das scheinbar perfekte Verbrechen, um anschließend von einem schnoddrigen LAPD-Lieutenant nach allen Regeln der Kunst überführt zu werden. Doch der Ton macht die Musik. Und die Autoren wie auch Peter Falk wissen zwar, wie man sauber vom Blatt spielt, lassen aber kunstvolle Idiosynkrasien vermissen.
Insbesondere Columbos Auftreten und Methodik wirken im Wissen um spätere Episoden befremdlich. Falks vergleichsweise jugendliche Erscheinung ist dabei noch der kleinste Stein des Anstoßes. Schwerer wiegen die wiederholten Verweise auf Mrs. Columbo, ohne diesen eine erinnerungswürdige Anekdote folgen zu lassen. Regenmantel und Zigarre geben dem Hauptdarsteller wortwörtlich etwas an die Hand, um ihn gleichermaßen beschäftigt wie deplatziert wirken zu lassen, insbesondere in den frühen Szenen im Krankenhaus. Ihre mögliche Wirkung als charakterbeschreibende Requisiten wird dabei von allen Beteiligten unterschätzt oder gar nicht erst wahrgenommen. Zum Mangel an äußerlichen Exzentritäten gesellt sich Columbos fehlendes Interesse für den Täter, dessen wenig glamouröses Berufsfeld dem Lieutenant kaum Gelegenheit bietet, seinem Gegenspieler mit gespielter Ehrfurcht zu begegnen. Verantwortlich für das uncharismatische Auftreten von Dr. Ray Flemming (Gene Barry) im Beisein Columbos mag zumindest teilweise die Tatsache sein, dass der Seelenklempner bereits all sein Pulver verschießt, bevor Columbo auf dem Bildschirm erscheint. Und das dauert eine Weile.
So tragen sich die für uns erfreulichsten Merkwürdigkeiten zu, bevor Blut fließt, beziehungsweise Hälse gewürgt werden. Bei einer Feier zum Hochzeitstag des mörderischen Psychiaters und seiner Frau Carol (Nina Foch) gilt es, bei einer Partyvariante von »Wer bin ich?« die von Dr. Flemming selbst gewählte Identität zu erraten. Sein fiktives Alter Ego Josef Breuer, seines Zeichens Assistent von Sigmund Freud, offenbart seinen Berufsstand und zugleich die maßlose Arroganz des Psychiaters. Dass zwei Meter weiter eine mit allerlei Feuerwerk bestückte Torte das luxuriöse Appartment in Rauch und Funken taucht, erweist sich als kongenial chaotisches Kontrastprogramm zur bornierten Humorlosigkeit unseres Mörders.
Von Ehefrau Carol sehen und hören wir hauptsächlich Zähneknirschen. Kein Wunder also, dass wir kurz darauf Flemmings Geliebte kennen lernen. Joan Hudson (Katherine Justice) ist dem guten Doktor mit Haut und Haaren verfallen und die Größe ihres Pools legt nahe, dass sich Flemming die Affäre einiges kosten lässt. Nachdem er von seinem als medizinischem Notfall ausgegebenen Schäferstündchen zurückkehrt, liest Carol ihm die Leviten und verhilft uns zum obligatorischen Verständnis des Mordmotivs: Sie wisse um seine Affäre und werde ihn bei der unvermeidbaren Scheidung finanziell bluten lassen, bis er seine Praxis und dazugehörige Reputation an den Nagel werde hängen können. Dass sie Rays mörderische Ambitionen damit geradezu befeuert, ahnt sie nicht. Nach einem Gespräch mit Joan steht der Plan für die mörderische Unternehmung und die nichts ahnende Ehefrau haucht ihrem Gatten im Angesicht eines bevorstehenden Trips nach Acapulco noch laszives »Ray--« hinterher, als dieser den Raum verlässt. Ein eindeutigerer Hinweis für unmittelbar bevorstehenden Beischlaf war zur besten Sendezeit im US-Fernsehen des Jahres '68 nicht möglich.
Columbos baldigen Triumphzug als Aushängeschild der NBC Mystery Movie-Reihe konnte damals zwar niemand vorausahnen, der Ablauf des Mordes ähnelt aber stark dem Erzählmuster künftiger Episoden. Der Anruf des gemeinsamen Freundes Burt kurz nach Carols Strangulierung wirft ein paar Schrauben ins Getriebe des perfekten Mordes (sic!). Der Hinweis auf das übergewichtige Gepäck am Flughafen etabliert ein erkennbares, aber nicht zu plakativ in Szene gesetztes Indiz, in welches sich Columbo später verbeißen kann. Joans Nervosität offenbart die menschliche Schwachstelle des Plans. Und uns durch das Zögern Flemmings kurz vor dem mörderischen Akt die Gewissheit darüber zu nehmen, dass er seinen Plan in die Tat umsetzt, ist ein willkommener schelmischer Kniff, den sich die Reihe in späteren Jahren nie mehr erlauben sollte.
Nicht ohne Grund schenke ich dem ersten Akt von Mord nach Rezept so viel Aufmerksamkeit, bietet er doch technisch wie erzählerisch Unterhaltung auf hohem Niveau. Die Ernüchterung setzt erst mit Peter Falks erstem Auftritt nach geschlagenen 30 Minuten ein. Als ich den Fernsehfilm einige Jahre nach meinem Erstkontakt mit Columbo sah, war ich geradezu gekränkt vom Auftreten Columbos. Im gutgläubigen Wissen um die (bis heute) oft zitierte Unwahrheit, dass es sich bei Mord nach Rezept um einen Pilotfilm zur Serie handle, war ich enttäuscht angesichts des Mangels an Schrulligkeiten und reizvollen Ambivalenzen, die den Ermittler zur Ikone werden ließen. Lautstark wundert sich Columbo im Beisein von Flemmings Freund, dass der Psychiater nach der Rückkehr aus seinem unfreiwilligen Single-Urlaub nicht nach seiner Frau gerufen habe. Ein hieb- und stichfester Hinweis auf dessen Schuld? So zumindest wollen Levinson und Link es uns glauben machen. Nach dem konsequenzlosen Rätselraten darüber, ob Carol tatsächlich kurz vor ihrem endgültigen Ableben noch den Namen ihres Mannes ruft, scheint der Fall in den Augen des Inspektors bereits gelöst. Ob er denn auch ein bisschen Luft schnappe, fragt ihn der cool und distanziert wirkende Ermittler Minuten nach dem Tod seiner Ehefrau.
Nun ist der spielerische Umgang mit dem Wissen über die Identität des Täters zwischen Columbo und dem quasi-entlarvten Mörder ein regelmäßig wiederkehrender Kunstgriff der Reihe und sogar in ewigen Höhepunkten wie →Ein gründlich motivierter Tod (1973) zu finden. Selten jedoch wirkt er so forciert wie hier. Positiv anzumerken ist, dass der Beruf des Mörders durch diesen unglaubwürdigen erzählerischen Kniff zumindest zum Unterhaltungswert beiträgt. Das psychologische Scharmützel mit Columbo innerhalb einer kostenlosen ›Therapiestunde‹ mit zahlreichen messerscharfen Rhetorikspitzen ist die vermutlich intensivste Szene des Fernsehfilms.
Und wer möchte angesichts der ungelenken Babyschritte, die Peter Falk mit der Rolle, die den Rest seiner Karriere definieren sollte, schon allzu streng sein? Mit Ausnahme eines späten Moments, in dem unser Inspektor die als Schauspielerin mäßig erfolgreiche Joan in die tränenreiche Hysterie treibt, um sie zum Geständnis und der Kooperation zur Überführung Flemmings zu bewegen, gibt es wenig geradezu Verdammenswertes in Mord nach Rezept. Die teils opulenten Drehorte – inklusive Joans sündhaft teurer Unterkunft und Szenen in der Kulissenstadt der Universal Studios – sind beeindruckend. Grundsätzlich ist die Ausstattung ein Augenschmaus, im Speziellen die grenzwertig geschmacklosen Napoleon-Statuetten in Flemmings Büro (die auch darüber hinwegtrösten, dass in den ›Establishing Shots‹ die Kulisse sehr deutlich als solche an der fransigen Auslegeware am unteren Bildrand erkennbar ist). Columbos Versuch, Flemming mit dem angeblich geständigen Mörder Tommy in die Falle zu locken, endet in einem wunderbar pointierten Austausch zwischen Falk und Gene Barry. Und bei aller möglichen und berechtigten Kritik, dass der von Columbo und dem LAPD inszenierte Selbstmord Joans eine eher riskante Methode darstellt, um einen Mörder zu überführen, so ist der ›Gotcha!‹-Moment selbst doch emotional befriedigend genug, um über die löchrige Logik des Szenarios hinwegzusehen.
Mord nach Rezept ist ein gelungener Einstand für den guten Lieutenant und eine hervorragende Blaupause für das drei Jahre später zur Perfektion gebrachte Konzept des invertierten Krimis. Und ohne das Wissen um die noch folgenden 68 Einsätze Columbos wäre an diesem Fall ohnehin nichts zu beanstanden. Als jahrzehntelanger Fan verbleibt freilich das Gefühl, eine Art Beta-Version des liebsten Ermittlers als Gaststar im eigenen Film erleben zu müssen. Denn Flemming ist es, mit dem wir über lange Zeit mitfiebern, ähnlich wie wir uns einige Jahre zuvor in Psycho (1960) wider alle Vernunft auf die Seite Norman Bates’ schlugen. Denn jetzt mal ehrlich: Sind wir nicht erleichtert, als es dem durchtriebenen Psychiater in letzter Sekunde gelingt, das zweite Whiskeyglas vor Columbo zu verstecken, welches Joans Anwesenheit in seinem Apartment preisgegeben hätte? Na also! Doch heute ist nicht alle Tage. Columbo kommt wieder und hat da noch so eine Frage…
Berufskriminelle
Gene Barrys (1919-2009) TV-Durchbruch war die Titelrolle in der erfolgreichen Westernserie Bat Masterson (1958-1961), nachdem die angestrebte Karriere als Leading Man in großen Hollywoodfilmen nicht so recht abheben wollte. Vermutlich auch, weil sein tapferer Atomwissenschaftler in Kampf der Welten (The War of the Worlds, 1953) inmitten all des außerirdischen Feuerwerks kaum in Erinnerung bleibt. Barry suchte sein Heil und Einkommen in einer lukrativen TV-Karriere. Schurkische Rollen mied er dabei wie der Teufel das Weihwasser. Immerhin landete er einmal als Mordverdächtiger auf der Anklagebank. Raymond Burr alias Perry Mason im Fernsehfilm Die verlorene Liebe (The Case of the Lost Love, 1987) boxte ihn da jedoch ganz zügig heraus.
Qualität als Columbo-Gegenspieler:
Berufskriminelles Potential:
Das erste Mal
Peter Falks Debüt als Columbo ist mitnichten der erste Auftritt des guten Inspektors. Bert Freed spielte Columbo in »Enough Rope« (1960), einer Episode der The Chevy Mystery Show. Ein Jahr später zog Thomas Mitchell sich den sprichwörtlichen Mantel an, als Prescription: Murder seine Theaterpremiere in San Francisco feierte. Die Kritiken waren nicht bemerkenswert, die Besetzung schon. Neben Mitchell in seiner letzten Rolle (er starb 1962 im Alter von 70 Jahren) speiste sich auch der Rest des Ensembles aus großen Namen vergangener Tage. Agnes (Citizen Kane, 1941) Moorehead als Mordopfer und Joseph (Im Schatten des Zweifels, 1943) Cotten als Täter komplettierten den illustren und etwas in die Jahre gekommenen Cast.
Columbo behauptet im Gespräch mit dem Mörder, man habe ihm den Fall entzogen… und wird dies in den folgenden Jahrzehnten immer wieder tun. Das nächste Mal im Pilotfilm →Lösegeld für einen Toten (1971).
Dem Inspektör ist nichts zu schwör
Uwe Friedrichsen (1934-2016) debütiert als Columbos Synchronsprecher, dessen erste gesprochene Dialogzeile dann doch mehr nach Hamburg als L.A. klingt. Willkommen, Lieutenant Colooombo! Friedrichsens Einsatz sollte nur von kurzer Dauer sein.
Die Anrede Columbos mit »Lieutenant« war für viele Jahre dem zwei Mal von Friedrichsen synchronisierten Ermittler vorbehalten. Beginnend mit →Tödliche Trennung (1971) und der Schwarzkopf-Ära wurde er in der deutschsprachigen Bearbeitung für knapp drei Jahrzehnte zu Inspektor Columbo, bevor er in seinem drittletzten Einsatz →Das Aschenpuzzle (1998) auch in der RTL-Ausstrahlung unter Nennung seines korrekten Dienstrangs auftrat.
Die Ehefrau des Detectives findet gleich mehrfach Erwähnung. In der deutschsprachigen Fassung sogar einmal mehr, als Flemming Columbo komplimentiert, er sei gar nicht so vergesslich wie es Mrs. Columbo behaupte. Woher er das weiß? Das bleibt Flemmings Geheimnis. Im Originalton schreibt sich der gute Lieutenant die eigene Vergesslichkeit selbst zu.
Im Original nennt Flemming seine Frau Joan konsequent und mit bleierner Stimme »Darling«. Ein für die unterkühlte Beziehung der beiden so passender wie beliebiger Kosename. In der deutschen Synchronisation durch Studio Hamburg wurde daraus »Kind«, was der Dynamik zwischen den Eheleuten eine noch ungesündere Note verleiht. Dass Flemming nach dem Mord an Joan damit beginnt, seine junge Geliebte Carol ebenfalls »Darling« zu nennen, geht in der deutschsprachigen Fassung leider verloren.
Just one more thing—
Dave Grusins Score gehört zu den musikalischen Highlights der Columbo-Geschichte. Sein treibendes Theme über dem Rorschachtest-inspirierten Vorspann erinnert an die temporeichen Filmmusiken von Lalo Schifrin (Bullitt, 1968; Mission: Impossible, 1966-1973).
So attraktiv das von Joan bewohnte Stahl House in den Hollywood Hills ist, so unwahrscheinlich mutet es als Behausung für eine mäßig erfolgreiche Schauspielerin an - und das selbst unter Berücksichtigung eines finanziellen Zuschusses vom Sugardaddy-Doc. Das in den 50er Jahren von Pierre Koenig aus Glas, Beton und Poolwasser gestaltete Wohnhaus dient regelmäßig als Drehort für Anwesen der oberen Zehntausend, beispielsweise als Wohnsitz eines von Tim Allen gespielten TV-Stars in Galaxy Quest (1999).
»Wissen Sie, dass ich Sie fast gern habe mit Ihrer schäbigen Art und Weise.«
(Leslie Williams)
Darsteller*innen: Lee Grant (Leslie Williams), Harold Gould (Agent Carlson), Patricia Mattick (Margaret Williams), John Fink (Michael Clark), Paul Carr (Hammond), u.v.a. Story: Richard Levinson & William Link, Drehbuch: Dean Hargrove, Regie: Richard Irving. US-Erstausstrahlung: 1. März 1971 (NBC). Deutsche Erstausstrahlung: 17. Mai 1973 (Erstes Deutsches Fernsehen). Laufzeit: ca. 91 Minuten.
Der Fall in einem Satz: Eine Staranwältin inszeniert die Entführung ihres bereits toten Gatten, vergisst dabei aber ein misstrauisches Familienmitglied.
Effizienz lautet das Gebot der Stunde. Bereits nach fünf Minuten ist der Mord an Paul Williams (B-Movie Ikone Harlan Warde) und dessen vorgetäuschte Entführung Geschichte. Nun ja, fast. Denn im Grunde wissen wir nichts über die Umstände, die zu seinem Ableben unter der Hand seiner mörderischen Ehefrau führten. Dafür erfahren wir viel über sie. Leslie Williams (die Emmy-nominierte Lee Grant) ist die Antithese zu beliebten TV-Anwälten à la Perry Mason und Ben Matlock. In der gerichtlichen Verhandlung über Schadensersatzzahlungen an einen offenkundig mittellosen Mann steht sie auf der Seite des zahlungsunwilligen Versicherungsunternehmens. Die Jury habe sie längst für sich gewonnen, raunt sie ihrem Kollegen zu. Keiner der Geschworenen habe etwas übrig für den Kläger, diesen Opfertyp aus der Arbeiterklasse. Wham! Das hat gesessen.
Angesichts der alles andere als schmeichelhaften Einführung unserer Protagonistin als eiskalte Mörderin und gewissenlose Karrieristin verwundert es gar, dass sie Columbo bei seinem Auftauchen in ihrem luxuriösen Anwesen mit großer Höflichkeit und Geduld begegnet. Bedrohlich wirkt der stetig Zigarren rauchende Ermittler der Mordkommission nun wirklich nicht und bisher gibt es mutmaßlich keinen Mord. Vielleicht ist Mrs. Williams aber auch nur genervt von der Anwesenheit zahlreicher FBI-Agenten, die ihre Teppiche ruinieren und kostbare Lebenszeit klauen, in der sie viel lieber das Vermögen ihres Mannes auf den Kopf hauen würde. Zum Gelingen ihres Planes aber benötigt sie die pflichtbewussten Staatsbeamten als Zeugen und lässt sich gar dazu herab, ihnen Snacks zuzubereiten. Columbos Angebot, ihr beim Schälen der Kartoffeln zu helfen, lehnt sie dennoch dankend ab.
So austauschbar Mordmotiv und Beruf unserer Killerin sind, so essentiell sind zahlreiche Details in diesen ersten 15 Minuten für das dramaturgische Gelingen der Episode: die unreflektierte Gewissenlosigkeit Leslies, die ihr letztendlich zum Verhängnis wird, wenn sie sich von der Bedrohung durch ihre Stieftochter (Patricia Mattick) freikaufen will; die Verweise Columbos auf das nicht anwesende Küchenpersonal, das gleichermaßen die Beseitigung möglicher Zeugen für ein Verbrechen als auch finanzielle Schwierigkeiten als mögliches Mordmotiv suggeriert; Columbos betont fahriges Gehabe inmitten der konzentriert arbeitenden FBI-Agenten, das Leslie dazu veranlasst, freiwillig den ersten Schritt auf den Mann zuzugehen, der sie schlussendlich zu Fall bringen wird.
Lösegeld für einen Toten mag nur ein Pilotfilm und damit eine Art konzeptionelle Spielwiese für den invertierten Krimiplot sein, an dessen Ende nicht die Entlarvung der Mörderin steht, sondern die Suche nach einer Möglichkeit, sie zu überführen. Auf Columbos Peugeot werden wir noch zwei Episoden lang warten müssen, auf ›Hund‹ noch viel länger - aber die neben Hauptdarsteller Peter Falk wichtigste Ingredienz für den Erfolg Columbos ist bereits hier im Überfluss vorhanden: Psychologie. So geschmackvoll und unterhaltsam uns →Mord nach Rezept (1968) an eine neue Art des TV-Ermittlers heran führte, so erschreckend wenig raffiniert war er bei seiner Figurenzeichnung. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein im Umfeld der Psychiatrie angesiedelter Fall wie Columbos Debüt drei Jahre zuvor so wenig Interesse hat, seinem Mörder etwaige emotionale Tiefe zuzugestehen. Dr. Flemming ist ein Lump. Und selbiges gilt für Leslie Williams. Doch sind die Makel der mörderischen Witwe solche, die Columbo herausfordern und zu einem intellektuellen Schlagabtausch führen. Unser guter Doktor hingegen ist nur ein Schulhofrüpel, der seinen sozialen Status wie ein schützendes Schild vor sich trägt. Mentale Kriegsführung, auf die Spitze getrieben in Leslies halsbrecherischem Rundflug mit dem guten Lieutenant, käme einem wohlfeilen Patriarchen wie Flemming nie in den Sinn. Leslies doppeldeutig-wollüstiges »Ein Flugzeug behandelt man wie eine Frau… ganz zärtlich« besitzt eine provokante Qualität, an die kein Moment in →Mord nach Rezept (1968) heranreicht. Half bei der unwahrscheinlichen Überführung des Mörders im ersten TV-Film noch Kommissar Zufall, scheint Columbos Fall hier vergleichsweise wasserdicht. Leslie wird von Beginn als durch und durch eitle Karrieristin porträtiert, unfähig zu Einsicht oder Mitgefühl, wenn es um das Erreichen persönlicher Vorteile geht. Nicht die Mechanik ihres Mordplans bringt sie zu Fall sondern ihr Ego, wodurch sich Lösegeld für einen Mörder in eine Reihe zu den besten psychologisch basierten ›Gotcha!‹-Momenten der Serie wie →Des Teufels Corporal (1974) und →Momentaufnahme für die Ewigkeit (1974) gesellt.
Mehr als nur eine beiläufige Erwähnung ist auch der inszenatorische Mut des Pilotfilms unter der Regie von Richard Irving wert. Bildüberlagerungen während des nächtlichen Lösegeldabwurfs verkürzen die komplexe Aktion auf wenige Augenblicke und täuschen geschickt darüber hinweg, dass weder Lee Grant noch Peter Falk während der Dreharbeiten je den Boden verließen. Und der von Stieftochter Margaret inszenierte Appell an das nur in homöopathischen Spuren existente schlechte Gewissen der Mörderin stünde jedem europäischen Thriller à la Mario Bava oder Sergio Martino dieser Ära gut zu Gesicht. Signallichter und Mündungsfeuer werden zu in Blutrot getauchten Illustrationen der mörderischen Persönlichkeit Leslies. Untermalt von Billy Goldenbergs kreischendem Score trifft jeder optische Trick wie ein Messerstich und macht die Episode zu einem der gelungensten Beispiele für die ästhetischen Wagnisse Columbos früher Jahre.
Viele weitere dramaturgische Kniffe und Figuren werden wir in späteren Fällen in ausgefeilteren Varianten wiedersehen. Margaret als halbherzige Variante der beliebten US-Jugendbuchheldin Nancy Drew zeigt zwar großen Ehrgeiz dabei, ihre Stiefmutter des Mordes zu überführen, wird aber auf den letzten Metern von Columbo als Mensch gewordenes Requisit zur Überführung ihrer Tante instrumentalisiert und verschwindet in den endlosen Gängen eines Flughafengebäudes. Der Archetyp der jugendlichen Detektivin sollte im späteren Verlauf der Serie in →Todessymphonie (1977) in einer deutlich weniger emanzipierteren Variante erneut zum Einsatz kommen. Und ein mittels Lochkarten programmierbares Telefon, das Leslie zum Abspielen der fingierten Audionachricht seitens der Entführer dient, findet im späteren Verlauf lediglich als mögliches Indiz für Leslies Schuld Erwähnung. Auch dies ist bestenfalls als Appetitmacher für ausgefeilte technische Gadgets zu verstehen, derer sich zahlreiche Mörder Columbo im Laufe der Jahre bedienen sollten. Bemerkenswert und in dieser Form einmalig in der Geschichte der Serie ist der Rückgriff auf das Stereotyp des antagonistischen Bundesbeamten, der sich wiederholt despektierlich gegenüber dem örtlichen Ermittler Columbo äußert oder sogar korrigierend in dessen Arbeit eingreifen will. Agent Carlson (Harold Gould) wirkt dabei zu Beginn noch empfänglich für den unkonventionellen Stil seines LAPD-Kollegen, reagiert aber zunehmend brüsk auf dessen Annahmen, die arme Mrs. Williams könne etwas mit dem Verschwinden ihres Mannes zu tun haben. Dabei erreicht der kollegiale Zwist nie den Bevormundungs-Goldstandard der Agenten Johnson und Johnson bei der Reviermarkierung in Stirb langsam (Die Hard, 1988). Dennoch ist die Szene, in dem aus der angenommenen Entführung und Erpressung ein Mordfall wird und Columbo sich gegenüber Carlson ganz offiziell zum ermittelnden Platzhirsch erklären darf, ein willkommener Moment der Katharsis für den Lieutenant.
Berufskriminelle
Im Zuge ihrer schwindenden Prominenz seit den 1980er Jahren ist leicht zu übersehen, dass Lee Grant (*1925) bis in die 70er Jahre zu den erfolgreichsten Schauspielerinnen ihrer Generation gehörte und ihre Besetzung als Mörderin für den Pilotfilm durchaus als Coup der Produzenten bewertet werden kann. Nachdem Grant ihre Filmkarriere während der Kommunistenverfolgung unter Joseph McCarthy für einige Jahre aufgeben musste, gelang ihr in den 60er Jahren ein erstaunliches Comeback mit Hauptrollen in In der Hitze der Nacht (In the Heat of the Night, 1967) und Im Tal der Puppen (Valley of the Dolls, 1967). Angesichts einer mit zwei Oscars gekrönten Schauspiel- (Shampoo, 1975) und Regiekarriere (Down and Out in America, 1986) über sechs Jahrzehnte ist es verzeihlich, dass die Ausbeute an schurkischen Rollen in ihrem Lebenslauf sehr klein ist. Immerhin: Als geistig verwirrte, diffuse Prophezeiungen ausstoßende Nachbarin von Naomi Watts in Mulholland Drive (2001) adelt sie David Lynchs abgründiges Meisterwerk mit einem denkwürdigen, phantasmagorischen Kurzauftritt.
Qualität als Columbo-Gegenspielerin:
Berufskriminelles Potential:
Das erste Mal
Zum ersten aber nicht zum letzten Mal genießt Columbo ein Chili in Barney’s Beanery in West Hollywood, nahe dem legendären Sunset Strip, serviert vom groß gewachsenen Timothy Carey (Die Rechnung ging nicht auf, 1954). Die Fassade blieb gleich, gefilmt wurde das Interieur des bekannten Chili-Hotspot hier und in späteren Episoden aber in mutmaßlich von weniger Prominenz besuchten Restaurants.
Billy Goldenbergs Orchestrierung von Lösegeld für einen Toten ist der erste von insgesamt sieben Scores, die er im Laufe seiner Karriere für Columbo schrieb, darunter auch derjenige für →Tödliche Trennung (1971) von Regie-Wunderkind Steven Spielberg, dessen Duell (Duel, 1971) er im selben Jahr ebenfalls musikalisch veredelte. Alle von ihm zwischen 1971 und 1974 vertonten Fälle gehören zu den besten der Serie. Für →Schritte aus dem Schatten (1971) erhielt er die zweite von insgesamt 24 Emmy-Nominierungen seiner Karriere. Zwei Mal gewann er den Fernsehpreis. Im August 2020 verstarb er im Alter von 84 Jahren.
Just one more thing—
Ein wenig Toleranz für antiquierte Verhaltensweisen empfiehlt sich bei Betrachtung von Lösegeld für einen Toten. Columbos körperliche Annäherung an Margaret, um ihr zu versichern, dass er ihr während der Ermittlungen stets beistehe, dürfte fünfzig Jahre später kaum für ein großes Vertrauensgefühl sorgen. Und die Frage des guten Lieutenants an den Mitarbeiter in Leslies Kanzlei, wie er es denn ertrage, für eine Frau zu arbeiten, ist alles andere als aufgeklärt. Die deutsche Synchronisation entschärft den potentiell peinlichen Moment, indem er aus »for a woman« das marginal weniger herablassende »für eine Chefin« macht.
»Mein Name ist Columbo. Ich bin ein Inspektor.«
(Columbo)
Darsteller*innen: Jack Cassidy (Ken Franklin), Rosemary Forsyth (Joanna Ferris), Martin Millner (Jim Ferris), Barbara Colby (Lilly La Sanka), Bernie Cuby (Mike Tucker), u.v.a. Story & Drehbuch: Steven Bochco. Regie: Steven Spielberg. US-Erstausstrahlung: 15. September 1971 (NBC). Deutsche Erstausstrahlung: 13. Januar 1974 (Bayerisches Fernsehen). Laufzeit: ca. 76 Minuten.
Der Fall in einem Satz: Die weniger talentierte Hälfte eines erfolgreichen Autorenduos tötet seinen Schreibpartner, nachdem dieser die langjährige Zusammenarbeit beenden will.
Zwei Mal musste Columbo in Spielfilmlänge ermitteln, um in Deutschland endlich zum Inspektor zu werden. Dabei war die (zu Recht) heiß geliebte Episode erst die dritte, die das Bayerische Fernsehen im Winter 1973/1974 am Sonntagabend zur besten Sendezeit zeigte. Um die Verwirrung hinsichtlich der vertrackten Synchron- und Ausstrahlungsgeschichte Columbos aber auf ein verständliches Maß zu reduzieren, halten wir einfach fest, dass unser guter Lieutenant innerhalb der offiziellen Chronologie der Serie hier erstmals den Dienstgrad erhielt, mit dem er im deutschsprachigen Raum bis an sein Karriereende assoziiert werden sollte.
Meine erste Wahrnehmung der Episode begann mit dem Namen Steven Spielberg. Und so dürfte es vielen gehen, die Tödliche Trennung Jahre nach dessen Durchbruch als Regisseur von Straßenfegern wie Der weiße Hai (Jaws, 1975), Unheimliche Begegnung der dritten Art (Close Encounters of the Third Kind, 1977) und Jäger des verlorenen Schatzes (Raiders of the Lost Ark, 1981) begegnen. Maßgeblich für meine Wertschätzung Spielbergs war seit jeher der fantastische Fernsehfilm Duell (Duel, 1971), der in seiner amerikanischen Heimat zwei Monate nach Tödliche Trennung erschien und zu einem der größten Quotenhits des Jahres für den Sender ABC wurde. Das spannungsgeladene Katz- und Maus-Spiel zwischen Dennis Weaver und einem mysteriösen Truckfahrer mit mörderischen Absichten fand sich immer ganz oben auf meinem Stapel von VHS-Bändern mit Fernsehaufzeichnungen wieder. Es sollDuellColumbosTödliche TrennungDuellUnheimliche Begegnung