Die Illustrationen stammen von Andreas Beck und sind seinen Büchern »Spanische Wege« und »Regentage« entnommen.

Alle Rechte vorbehalten © 2014

Die Buchreihe Collection Montagnola

wird herausgegeben von Klaus Isele

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7412-1871-2

Das Spanien-Buch und das Portugal-Buch

(»Spanische Wege«, 2005 / »Portugal . Über wundersame Wege«, 2005)

Andreas Beck ist der Welt und Wirklichkeit immer zweifach zugetan oder ausgeliefert, als Schreibender und als Malender. Den Arzt und den Autor medizinischer Fachbücher lasse ich, weil das zwar offenbar nicht seine Kraft, aber meine Vorstellungskraft überfordert, jetzt einfach mal weg. Also der Erzähler und der Maler. Die Aquarelle und Zeichnungen in seinen Büchern sind keine Illustrationen des Geschriebenen, sondern selbständige Werke, Zeugnisse seiner Erlebnisweise und Ausdruckskraft. Ganz selten übernimmt er ein Bild, das er nicht selber geschaffen hat. Eine solche Ausnahme begegnet im Spanienbuch. Da steht dann unter einem Bild: »Die spanische Muttergottes mit ihrem Kind in der Deutschen Kirche von Madrid. Sie stammt wohl aus dem Frühmittelalter und war das Bijou der Gemeinde. Sie gefiel mir außerordentlich gut. Photographie von Prof. Deuringer.«

Als ich las »Sie gefiel mir außerordentlich gut«, begann ich diesen Autor zu begreifen. Ich konnte mir im ganzen Kulturbetrieb keinen Menschen denken, der sein Gefallen so hätte ausdrücken können. Und ich zähle mich zu denen, die sich durch die Art, wie sie ihr Gefallen ausgedrückt hätten, selber so wichtig gemacht hätten wie das Bild, das ihnen gefällt. Andreas Beck kann es einfach sagen. Ihm kommt es mehr auf die »spanische Muttergottes« an als auf sich.

Andreas Beck verbringt nach vier Freiburger Semestern Theologie (und nebenher auch noch Medizin) seine »Externitas« in Spanien und Portugal. Während dieser »Außerhäusigkeit« sollen die Priesterseminaristen sich ein, zwei Jahre draußen in der Welt weiterbilden. Die meisten tun das in München, Münster oder Tübingen. Andreas Beck hat ohne die Einwilligung des Seminardirektors, der Adlernase genannt wird, Madrid gewählt. Er ist schon einmal unliebsam aufgefallen, als er offenbar zu früh einen Sprung ans Germanicum, die päpstliche Universität in Rom, versuchte. Da wurde er wegen »unbotmäßiger Insubordination« zurückgepfiffen. Jetzt hat er sein Philosophicum hinter sich, man läßt ihn ziehen, nicht ohne ihm zu sagen, daß das wohl ein Abschied auf Nimmerwiedersehen sei.

Wir haben es nicht nur mit einem aufmüpfigen zweiundzwanzigjährigen Theologie- plus Medizinstudenten zu tun, der sich selber als »halb zerbrochenen Theologen auf der Flucht vor seiner Administration ins Ausland« sieht. Die Landung auf dem Flugplatz Barajas erlebt er so: »Gummi schrie auf Zement.« Wem das Heftige so ins Sprachliche gerät, der ist ein Schriftsteller. Er erfährt auch gleich, daß Barajas Spielkarten heißt. Ich habe das bei keiner Landung erfahren. Und kaum ist er in der Stadt, fragt er sich: »Gibt es überhaupt spanische Polizisten ohne schwarze Schnurrbärte?« Er findet seine Adresse. Ein Hausmeister öffnet die Tür, ein Gang »auf schwarz-weißen Steinfliesen führte geradewegs in ein Atrium hinein. (…) In der Mitte des Atriums, wie in einer Vierung, stand ein Aufzug aus schwarzem Stahlgeflecht, ein vorsintflutlich anmutendes Objekt der allerersten Industrialisierung. Über allerlei metallenem Zierrat fand sich in der Mitte eine niedrige Eisentür mit einem silbernen Knopf, in dessen Mitte ein weiterer Knopf eingelassen war. Den gedrückt, öffnete sich das Ziergitter wie ein antiker Vogelbauer, und zwei lächerlich schmale, nach innen sich öffnende Schwenktüren gaben den Weg zu einer unglaublich kleinen Aufzugskabine frei, die wegen ihrer Winzigkeit an der Stirnseite mit einem mannshohen Spiegel versehen war. Der war allerdings blind. Der Hausmeister, besser gesagt der, den ich dafür hielt, schloß hinter sich die Tür, und damit war der Platz des ganzen Aufzuges ausgefüllt, der Koffer mußte sowieso schon hochkant an die Wand gestellt werden.«

Jetzt weiß jeder, daß wir es mit einem Schriftsteller zu tun haben. Allerdings mit einem, der das noch nicht weiß. Er hält sich noch für einen Exul filii hevae. Der hört in Madrid pflichtgemäß Vorlesungen. In seiner Erzählung sind die Vorlesungen oft ein Hindernis für das, was er wirklich will: Spanien. Und das, wie es dann in seiner Widmung heißen wird: … con todo el corazón. Außer Spanien widmet er das Buch ebenso von ganzem Herzen drei buenos amigos: Victoriano Minguez, Lobito Klock und Karl Deuringer.

Jeder von diesen dreien hat ihn zwischen Santander und Malaga zu den feinsten Zielen geführt, die es für ihn geben kann in Spanien, la Tierra de Santos y de Cantos. Das Land der Heiligen und der Steine. Heilige wie die mystische Teresa von Avila und ihren Juan de la Cruz, und Steine wie den Turm der Kathedrale von Toledo, den Aquädukt von Segovia, den Pórtico de la Gloria in Santiago de Compostela (»für mich die schönste und ausdrucksvollste Pforte, die das Christentum bis jetzt geschaffen hat«), die Plaza Mayor in Salamanca (»der schönste Platz in Spanien«), den Escorial (»das mächtigste Kloster der Welt«), die große Bethalle der Moschee von Córdoba (»der schönste Säulenwald der Kunstgeschichte«), die Kathedrale von Sevilla (»das großartigste Bauwerk«), die Madonna von Guadalupe (»das wohl bekannteste Marienbild der Christenheit«). Und in Madrid immer wieder in den Prado: »Das wohl schönste Museum der Welt.« Im Prado zog es ihn immer wieder vor ein Bild, das die Kreuzabnahme zeigt. Nicht Dürer, Cranach, Bosch, sondern Rogier van der Weyden wird sein Maler: »Der umgebrachte Menschensohn … wird von seinem Marterholz abgenommen.« Dargestellt »mit einer Innigkeit, die mir alles Gelesene ersetzt«. Ihn erinnert das Bild an eins im Alten Hospital in Beaune, darstellend das Weltgericht. Vater und Mutter hatten ihn wegziehen müssen, weil er sich nicht sattsehen konnte an diesen »großartigen Gestalten«, die »nach dem Tod aus den Gräbern herausstiegen«. Da sah er zum ersten Mal, »was Auferstehung in der Malerei bedeutete«. Und hatte damals wahrscheinlich noch nicht gewußt, daß dieses Weltgericht gemalt worden ist von Rogier van der Weyden. In Lissabon wird er drei Jahre später im Gulbenkian-Museum die Heilige Katharina, gemalt von Rogier van der Weyden, sehen. Die »religiöse Tiefe«, die er nur bei diesem Maler findet. Er ernennt ihn da zu seinem »absoluten Liebling«. Eine ähnliche Wirkung auf ihn hat nur noch der Isenheimer Altar in Colmar, der seine »Auffassung von der Resurrectio bis heute beeinflußt hatte«. Jetzt, vor der Kreuzabnahme im Prado, orgelt ein Text in ihm, der das innerste, das lebendigste, das unruhigste, das unstillbarste Motiv aller seiner Bücher ist, wenn sie mit Religion zu tun haben. Und auch da, wo er nicht direkt von seinem Glauben schreibt, ist sein Glaube immer der Grundton in allen ihm möglichen Tonarten. Die »Wucht des Rogier van der Weyden« läßt ihn erleben, wie arm dagegen »die Äußerungen unserer kraftlosen und saftlosen Theologen aus der Freiburger Exegetenschule« sind, wenn sie uns, »sich durch die moderne Theologie würmelnd, den geistigen Hintergrund der nicht vorhandenen Auferstehung weismachen wollten«. Er wird sie jetzt immer, wenn dieser Konflikt in ihm hochlodert, beim Namen nennen. Hier Anton Vögtle. Mit einem Pinselstrich hätte Rogier van der Weyden »diesen billigen Denker hinweggewischt …« Dieses Bild macht ihm Mut, »den Exegeten jeder Couleur zu widerstehen«. Der Maler bietet eine »bessere Theologie als die ganzen Vorlesungen der letzten zwei Semester«.

Die Zelle der Teresa von Avila im Kloster San José in Avila
Aquarell, 1971

Warum er wahrhaft unermüdlich so viele Kathedralen und Klöster innen und außen und Heilige mit einer so genauen Leidenschaft malt, begreift man, wenn man liest, wie er die Wirkung beschreibt, die die richtigen Bilder auf ihn haben. In Lissabon im Museu Nacional eine Madonna von Piero della Francesca, »dessen Figuren von einer derartigen Lieblichkeit und Würde waren, daß sie mir tausend Vorlesungen über Ethik und Menschenwürde ersetzten«.