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© 2017 Helmut Borth

(www.meckpress.de)

Titelgestaltung, Satz und Layout:

Felizita Bologna (www.bologna-artwork.de)

Herstellung und Verlag:

BoD Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7448-4528-1

Inhalt

Gekaufter Adel

D ie „Geburtsurkunde“ der Adelsfamilie von Michael wurde am 8. März 1844 in Wien ausgestellt.1 Sie war in Fraktur auf Pergament geschrieben und trug die Unterschrift des österreichischen Kaisers Ferdinand I. sowie sein in einer angehängten Metallkapsel verwahrtes Siegel. Etwas mehr als acht Wochen hatten die Brüder Friedrich, Heinrich, Ferdinand und August Michael nach ihrer Aufnahme in den österreichischen Adel warten müssen, ehe sie ihre Adelsdiplome erhielten. Der Kaiser hatte sie bereits am Dreikönigstag, dem 6. Januar2, geadelt.

Ihr Wappen zeigte auf einem grünen Rasen einen weißgeflügelten braungelockten Engel. Es war ihr Namenspatron, der Erzengel Michael, dessen Name ins Deutsche übersetzt bedeutet: Wer ist wie Gott? Auf dem Schild trägt Michael einen roten Waffenrock mit einem rückwärts von den Schultern herabwallenden roten Mantel. Seine Beine sind bis auf Beinschienen nackt. Die Sandalen an den Füßen hat er mit Bändern befestigt. Mit der linken Hand hält er einen nach links blickenden geflügelten Drachen mit menschlichem Gesicht und braunen Händen an einer Kette. Er drückt das Fabelwesen mit dem linken Fuß zu Boden. Mit der rechten Hand richtet er sein gezogenes Schwert zum Stoß gegen das Ungeheuer. Hinter der von rot-silbernen Helmdecken flankierten Helmzier über der mit Blättern und Perlen verzierten Adelskrone, die auf den Briefadel der Familie verweist, steigt ein silbernes Pferd empor.

Das Wappen der Familie von Michael im Patronatsgestühl der Kirche von Ihlenfeld. Die Schnitzarbeit entstand 1910 im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Innenraums nach einem Brand des Gotteshauses.

Die Familie von Michael ist durch Pferde reich geworden.

Innerhalb eines Jahres hatte jeder der vier Brüder eine Gebühr von 1000 Gulden an die kaiserliche Hofkammer in Wien zu zahlen. Das sah der Paragraph 137 des vier Jahre zuvor erlassenen Stempel- und Taxgesetzes des Kaisers vor. Der Ritterstand hätte die Brüder 1500 Gulden gekostet, der Titel eines Freiherrn sogar 3000. Um einen solchen hätte der Mecklenburg-Strelitzer Großherzog Georg sicher nicht nachgesucht. Um einen einfachen Adel konnte er den österreichischen Monarchen aber bitten.

Tausend Gulden waren Mitte des 19. Jahrhunderts verdammt viel Geld. Das Jahreseinkommen lag Mitte des 19. Jahrhunderts im Königreich Bayern bei mehr als der Hälfte der Volksschullehrer kaum über 200 Gulden. Ein Richter oder ein Pfarrer verdiente im Jahr um die 600 Gulden. Und selbst ein Arzt oder Advokat musste für das Geld ein Vierteljahr arbeiten. In Mecklenburg dürfte es kaum mehr gewesen sein, selbst wenn hierzulande nicht mit Gulden bezahlt wurde, sondern mit den härteren Talern.3 Ein Gulden hatte in etwa den Wert von zwei Dritteln eines Talers.

Mit einer Veröffentlichung im „Offiziellen Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung in Mecklenburg-Strelitz“ am 12. Mai 1844 erkannte der Onkel des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. die österreichische Nobilitierung der Michael-Brüder an.

„Se. Königliche Hoheit der Großherzog haben Sich auf den Antrag vieler Mitglieder des in Mecklenburg angesessenen Adels bewogen gefunden, Se. Majestät den Kaiser von Österreich um die Verleihung des Adels an die vier Gebrüder Amtshauptmann August Hans Friedrich Alexander Michael auf Ihlenfeld, Johann Heinrich Ludwig Erdmann Michael auf Schönhausern, Otto Leopold Theodor Ferdinand Michael auf Bassow und Voigtsdorf und August Georg Carl Michael auf Ganzkow zu ersuchen, in Folge dessen Se. Kaiserliche Majestät in Mitberücksichtigung des Umstandes, dass die genannten Gebrüder Michael bereits die bestimmte Absicht zu erkennen gegeben haben, über ihre Güter dauernde Familien-Fideikommisse zu errichten, geruhet haben, die vier Gebrüder Michael mittelst eines untern, 8. März d. I. ausgefertigten Diploms resp. unter den Namen

für sich und ihre Decendenz4 in den Kaiserlich Österreichischen Adelstand zu erheben.

Nachdem Se. Königliche Hoheit der Großherzog diese Adelsverleihung mit allen daraus folgenden Rechten und Vorzügen anerkannt und genehmiget haben, wird solches hierdurch zur öffentlichen Kenntnis gebracht.

Neustrelitz den 6. Mai 1844.

Aus Großherzoglicher Landes-Regierung.

v. Dewitz.“5

Obwohl dem [Neu-]Strelitzer Großherzog Georg, wie auch seinem Schweriner Vetter Friedrich Franz I., ab 1815 als deutschem Bundesfürsten das Recht zustand, Bürgerliche in den Adelsstand zu erheben, machten die Mecklenburger Landesherren wenig bis gar keinen Gebrauch von diesem Privileg. Der Nobilitierungsakt für die Michaels entsprach daher der in beiden Ländern gepflegten Rechtspraxis. Die Brüder baten beim Großherzog in Neustrelitz um eine Standeserhöhung. Der wandte sich unter namentlicher Angabe von befürwortenden Mitgliedern der Ritterschaft an den Kaiser und ersuchte diesen um die Nobilitierung. Nach der Standeserhöhung erkannte der dann die auf seine Bitte erfolgte Adelung an. Das Verfahren blieb übrigens bis 1845, bis zu einem Zeitpunkt, wo sich die Beziehungen zur Donaumonarchie allmählich verschlechterten, weitgehend an Österreich gekoppelt. Dabei ist anzumerken, dass die Verleihung von Adelstiteln in beiden Mecklenburgs im Allgemeinen sehr restriktiv gehandhabt wurde. Zwischen 1867 und 1918 sollen die Schweriner Großherzöge nur acht Bürgerliche geadelt haben.6 Für das kleinere der beiden Mecklenburger Großherzogtümer dürfen ähnliche Verhältnisse angenommen werden.

1842 baten die Brüder Michael den Mecklenburg-Strelitzer Großherzog um dessen Unterstützung bei der Realisierung ihres Wunsches nach einem Adelstitel. Dafür sprachen sich auch mehr als 40 adelige Gutsbesitzer in Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin aus.

Der Pferdeflüsterer

Den Grundstein für den Reichtum der Familie legte der Vater der vier Brüder, der spätere Amtmann Heinrich Friedrich Christian Michael.7 Einer 1978 von Alfred Hinz handgeschriebenen 57 Seiten umfassenden Chronik von Schönhausen folgend soll er ein Reitknecht der Eigentümerfamilie von Rieben gewesen sein, dann deren Statthalter und späterer Inspektor, „der es offenbar aufs Geld abgesehen hatte“. Der ehrgeizige Aufsteiger soll deshalb die Tochter eines Viehhändlers aus [Alt-]Strelitz geheiratet haben, der vor allem mit Pferden handelte, „die er sogar aus England holte“.8 Was allerdings vor der von Napoleon im November 1806 verordneten Kontinentalsperre geschehen sein muss, die bis zu ihrer Aufhebung 1811 den Handel mit den britischen Inseln zum Erliegen brachte. Die Geschichte mit dem Reitknecht dürfte aus dem Phantasiereich sozialistischer Geschichtsschreibung stammen, die sich wie Astrid Lindgrens Pippi Langstrumpf die Welt so machte, wie sie ihr gefiel.

Sicher ist, Heinrich Friedrich Christian Michael, der am 28. Mai 1751 in Brohm getauft wurde9 und 1782 Schreiber beim Gutsverwalter Schultze war10, pachtete 1786 das Gut seines Heimatdorfes Brohm11 von dessen damaligem Besitzer Carl Wedig Christian von Rieben.12 Verheiratet mit der am 29. August 1765 in [Alt-]Strelitz geborenen Regina Sophia Charlotta Maas, Tochter des Handelsmannes Carl Friederich Maas13, behielt er die Pacht von Brohm auch unter dem folgenden Besitzer, dem Kammerherrn Otto Heinrich Christian Friedrich von Rieben14, der zuerst in Friedrichshof lebte, wo er sich um 1800 ein neues Gutshaus bauen ließ.15 Pächter Heinrich Friedrich Christian Michael galt als „der tüchtigste und angesehenste praktische Landmann im Amt Stargard.“16 Nachdem er 1810 Ihlenfeld erworben hatte, wo er ab 1811 auch wohnte17, kaufte er 1816 Bassow und 1820 Schönhausen.18 Einen Großteil seines Vermögens erwarb er, durch das vom Großherzog genehmigte Bauernlegen in Bassow19, das er zu einer Meierei ausbaute, sowie durch die Zucht von deutschen Warmblutpferden. Bereits in Brohm hatte Heinrich Friedrich Christian, dessen 1707 geborener Vater Jochen Jürgen aus Neetzka stammte20, ein Gestüt gegründet, dessen erster arabischer Vollbluthengst „Grosvenor“, ein 1799 geborener Import aus England, über mehrere Generationen viele Nachkommen hatte und als legendär galt.21 Er soll seinerzeit noch ungeboren im Mutterleib nach Mecklenburg gekommen sein.22

Zwischen 180823 und 1811 wurde das Gestüt nach Ihlenfeld verlegt, wo 1821 der Urahn der [von] Michaelschen Zucht, Grosvenor, starb.24 Das Gestüt in Ihlenfeld wurde 1820 als „vortreffliche Stuterei“25 eingeschätzt, das in Bassow als eine „beträchtliche Stuterei“. 26

Am 26. Februar 1828 starb Amtmann Heinrich Friedrich Christian Michael, Herr auf Ihlenfeld, Schönhausen und Bassow und Vater von vier Söhnen aus ähnlichem Schrot und Korn wie er selbst, an einem Entzündungsfieber. Zwei Tage später wurde er beerdigt.27 Seine Frau überlebte ihn ein Jahrzehnt. Sie schloss am 3. Februar 1838 im Alter von 73 Jahren in Neubrandenburg für immer ihre Augen. Als Todesursache wird ein Nervenleiden angegeben.28

In Brohm legte Heinrich Friedrich Christian Michael den Grundstein für den Wohlstand der Familie. 1782 fing er auf dem Gut als Schreiber an. Zwischen 1786 und 1811 lebte er hier als Pächter. Das Bild zeigt das Gutshaus 1859.

Was du ererbt von deinen Vätern hast,

Erwirb es, um es zu besitzen.

Was man nicht nützt, ist eine schwere Last,

Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.29

Spätestens im Zuge der Erbauseinandersetzung teilten die Brüder den väterlichen Besitz, für den sie teilweise bereits zu dessen Lebzeiten als seine Verwalter bzw. Statthalter die Verantwortung trugen.

August Hans Friedrich Alexander, geboren am 11. Oktober 1794 in Brohm, der nach seiner Heirat mit der 19-jährigen Neubrandenburgerin Johanna Charlotte Oesten 1824 auf dem 1820 vom Vater erworbenen Gut Schönhausen lebte, wo am 8. Dezember 1825 auch Tochter Emma (Emmy) Dorothea Johanna Friederike zu Welt kam30, erhielt als Ältester das Stammgut Ihlenfeld, wo er mit seiner Familie spätestens ab 1827 auch wieder wohnte, kam doch dort am 6. April 1827 mit Heinrich Friedrich Christian Michael sein Stammhalter zur Welt.31 Drei Jahre später folgte am 2. Dezember 1830 Anna Luise Johanna Henriette, die als Oberhofmeisterin der Schweriner Großherzogin Marie 1873 in zweiter Ehe in Berlin den Kammerherrn Carl von Gamm heiratete. Der Geheime Legationsrat, Kammerherr und großherzogliche Major war der letzte Gesandte und bevollmächtigte Minister beider Mecklenburgs in Wien. Er hatte den Posten ab 1858 bekleidet. Im Jahr seiner Eheschließung wurde die Gesandtschaft in der Walfischgasse 4 für immer geschlossen.32 Die Walfischgasse 4 war 1862 auf der Gründung der 1857 abgerissenen Wiener Stadtbefestigung gebaut worden. Sie gehörte wie das Nachbargebäude den Bankiers Eduard und Moritz von Todesco.

Vier Jahre nach Schließung der Gesandtschaft starb der ehemalige Berufsdiplomat mit 55 Jahren, „angeblich an einem Herzleiden“, wie es in Akten des Landeshauptarchivs in Schwerin heißt.33 Anna überlebte ihn 17 Jahre. Sie starb am 30. September 1894 in Schwerin.34

Johann Heinrich Ludwig Erdmann, der am 19. Juni 1796 Zweitgeborene, erhielt Schönhausen, wo er als Junggeselle am 12. Januar 1878 auch starb.35 Heinrich Michael ließ das Gut, das, wie Ihlenfeld, einmal der Familie von Rieben gehörte, bevor es der Vater kaufte, neu anlegen. Nicht nur das 1841/42 erbaute Herrenhaus36 und das 1857 fertig gestellte Verwalterhaus37, sondern auch zwei alte Stallungen sprechen für die Handschrift des Schinkelschülers und Großherzoglichen Hofbaumeisters Friedrich Wilhelm Buttel.

Otto Leopold Theodor Ferdinand, geboren am 17. Mai 1799, erhielt als Zweitjüngster das dritte durch den Vater erworbene Gut Bassow. Es stammte aus der Konkursmasse des als Theatergrafen in die Geschichte eingegangenen Karl von Hahn auf Remplin, dessen Pächter mit Carl Runge übrigens ein Bruder des berühmten Landschaftsmalers der Romantik, Philipp Otto Runge, aus Wolgast war.38 Mit seiner jungen Frau, der 1808 geborenen Georgine Friederike Sophie Wilhelmine Kölling, der jüngsten Tochter des verstorbenen Wolgaster Kaufmans Carl Gottlieb Kölling39, bezog der neue Herr auf Bassow ein gemachtes Nest. Der Vater hatte das Gut „fast ganz neu“ aufgebaut.40 Professorin Sabine Bock geht sogar davon aus, dass das in dem Zusammenhang erbaute und zum Kriegsende 1945 zerstörte Gutshaus auf einen Entwurf von Friedrich Wilhelm Buttel zurückgeht.41 Drei Kinder wurden dem Paar aus Bassow geboren. Am 11. Mai 1831 kam mit Carl Otto Ferdinand gleich der erwünschte Erbe auf die Welt. Am 12. Dezember 1832 wurde Tochter Friederike Julie Auguste Marie geboren, die, noch nicht einmal ein Jahr alt, bereits am 22. Oktober 1833 starb. Nur zwei Monate später gab es im Hause Michael wieder Freude, als am 23. Dezember mit Heinrich Friedrich Christian Sylvester der zweite Sohn das Licht der Welt erblickte.

Gut Bassow stammte aus der Konkursmasse des Grafen Karl von Hahn auf Remplin. Dessen Pächter war Karl Runge, ein Bruder des Landschaftsmalers Philipp Runge.

1839 erwarb Otto Leopold Theodor Ferdinand, der seine Kinder übrigens daheim durch Privatlehrer unterrichten ließ, von 1838 bis 1844 durch Johann Wilhelm Ludwig Friedrich Pfitzner42, der mit der Familie an der Ostsee Urlaub machte43, noch das Gut Voigtsdorf.44 Hier ließ er nach einem Entwurf von Friedrich Wilhelm Buttel die 1855 fertigstellte neugotische Kirche errichten. Fünf Jahre später machte er seinen Ältesten zum Mitbesitzer von Voigtsdorf.4546474849505152