BEGRABEN
(EIN RILEY PAIGE KRIMI – BAND #11)
B L A K E P I E R C E
Blake Pierce
Blake Pierce ist die Autorin der Bestseller RILEY PAIGE Krimi Serie, die bisher acht Bücher umfasst. Blake Pierce ist außerdem die Autorin der MACKENZIE WHITE Krimi Serie, bestehend aus bisher fünf Büchern; von der AVERY BLACK Krimi Serie, bestehend aus bisher vier Büchern; und der neuen KERI LOCKE Krimi Serie.
Blake Pierce ist eine begeisterte Leserin und schon ihr ganzes Leben lang ein Fan des Krimi und Thriller Genres. Blake liebt es von Ihnen zu hören, also besuchen Sie www.blakepierceauthor.com und bleiben Sie in Kontakt!
Copyright © 2018 Blake Pierce Alle Rechte vorbehalten. Außer durch eine Genehmigung nach dem U.S. Copyright Act von 1976, darf kein Teil dieses Buches ohne ausdrückliche Genehmigung der Autorin vervielfältigt, vertrieben oder in irgendeiner Form übermittelt, in Datenbanken oder Abfragesystemen gespeichert werden. Dieses E-Book ist nur für ihren persönlichen Gebrauch lizenziert. Es darf nicht weiterverkauft oder an Dritte weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch mit anderen teilen möchten, erwerben Sie bitte für jeden Empfänger eine zusätzliche Kopie. Wenn Sie dieses Buch lesen, aber nicht gekauft haben, oder es nicht für Sie gekauft wurde, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit der Autorin respektieren. Dieses Buch ist eine fiktive Geschichte. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Vorfälle sind von der Autorin frei erfunden oder werden fiktiv verwendet. Ähnlichkeiten mit echten Personen, lebendig oder verstorben, sind zufällig. Copyright Umschlagsbild GongTo, genutzt unter der Lizenz von Shutterstock.com
BÜCHER VON BLAKE PIERCE
RILEY PAIGE KRIMI SERIE
VERSCHWUNDEN (Band #1)
GEFESSELT (Band #2)
ERSEHNT (Band #3)
GEKÖDERT (Band #4)
GEJAGT (Band #5)
VERZEHRT (Band #6)
VERLASSEN (Band #7)
ERKALTET (Band #8)
VERFOLGT (Band #9)
VERLOREN (Band #10)
BEGRABEN (Book #11)
GEBUNDEN (Book #12)
MACKENZIE WHITE KRIMI SERIE
BEVOR ER TÖTET (Band #1)
BEVOR ER SIEHT (Band #2)
BEVOR ER BEGEHRT (Band #3)
BEVOR ER NIMMT (Band #4)
BEVOR ER BRAUCHT (Band #5)
BEVOR ER FÜHLT (Band #6)
AVERY BLACK KRIMI SERIE
GRUND ZU TÖTEN (Band #1)
GRUND ZU FLÜCHTEN (Band #2)
GRUND ZU VERSTECKEN (Band #3)
GRUND ZU FÜRCHTEN (Band #4)
GRUND ZU RETTEN (Band #5)
KERI LOCKE KRIMI SERIE
EINE SPUR VON TOD (Buch #1)
EINE SPUR VON MORD (Buch #2)
EINE SPUR VON SCHWÄCHE (Buch #3)
EINE SPUR VON VERBRECHEN (Buch #4)
EINE SPUR VON HOFFNUNG (Buch #5)
Inhalt
PROLOG
KAPITEL EINS
KAPITEL ZWEI
KAPITEL DREI
KAPITEL VIER
KAPITEL FÜNF
KAPITEL SECHS
KAPITEL SIEBEN
KAPITEL ACHT
KAPITEL NEUN
KAPITEL ZEHN
KAPITEL ELF
KAPITEL ZWÖLF
KAPITEL DREIZEHN
KAPITEL VIERZEHN
KAPITEL FÜNFZEHN
KAPITEL SECHZEHN
KAPITEL SIEBZEHN
KAPITEL ACHTZEHN
KAPITEL NEUNZEHN
KAPITEL ZWANZIG
KAPITEL EINUNDZWANZIG
KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG
KAPITEL DREIUNDZWANZIG
KAPITEL VIERUNDZWANZIG
KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG
KAPITEL SECHSUNDZWANZIG
KAPITEL ACHTUNDZWANZIG
KAPITEL NEUNUNDZWANZIG
KAPITEL DREISSIG
KAPITEL EINUNDREISSIG
KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
KAPITEL DREIUNDDREISSIG
KAPITEL VIERUNDDREISSIG
KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG
KAPITEL SECHSUNDDREISSIG
KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG
KAPITEL ACHTUNDDREISSIG
KAPITEL NEUNUNDDREISSIG
Courtney Wallace fühlte ein vertrautes Brennen in ihrer Lungen und in ihren Oberschenkeln. Sie verfiel vom Joggen in den Laufschritt, blieb dann stehen, beugte sich mit den Händen auf den Knien nach vorn und kam keuchend wieder zu Atem.
Es war ein gutes, erfrischendes Gefühl––eine viel bessere Art und Weise morgens wach zu werden als eine Tasse heißen Kaffees, obwohl sie auch die schon bald zum Frühstück trinken würde. Sie hatte noch reichlich Zeit zum Duschen und Essen, bevor sie zur Arbeit gehen musste.
Courtney liebte das Leuchten der frühen Morgensonne unter den Bäumen, und dass die anhaltende Feuchtigkeit des Morgentaus noch in der Luft lag. Bald würde es ein heißer Maitag sein, aber jetzt gerade war die Temperatur perfekt, besonders hier im wunderschönen Naturschutzgebiet Belle Terre.
Auch mochte sie die Einsamkeit. Sie hatte selten einen anderen Jogger auf diesem Weg getroffen––und niemals so früh am Morgen.
Trotz der Zufriedenheit mit ihrer Umgebung überkam sie, während sie ihre Atmung wieder unter Kontrolle bekam, ein Gefühl der Enttäuschung,.
Ihr Lebensgefährte Duncan hatte wieder einmal versprochen, mit ihr joggen zu gehen––und wieder einmal hatte er sich dann geweigert, aufzuwachen. Wahrscheinlich würde er erst lange nachdem sie zur Arbeit gegangen war aufstehen, vielleicht erst am Nachmittag.
Wird er diese Geschichte jemals hinter sich lassen?, fragte sie sich.
Und wann gedachte er sich überhaupt einen neuen Job zu suchen?
Sie fiel in einen sanften Trab, in der Hoffnung, ihre negativen Gedanken abzuschütteln. Bald lief sie wieder, und das belebende Brennen in ihren Lungen und Beinen schien ihre Sorgen und Enttäuschungen wegzuwischen.
Dann gab der Boden unter ihr nach.
Sie fiel––einen seltsamen, schwebenden Moment lang, der ihr quälend langsam erschien.
Sie stürzte und schlug heftig auf dem Boden auf.
Hier unten gab es kein Sonnenlicht, und ihre Augen mussten sich erst noch an die Dunkelheit gewöhnen.
Wo bin ich?, fragte sie sich.
Sie sah jetzt, dass sie sich am Grund einer engen Grube befand.
Aber wie war sie hierher gekommen?
Sie fühlte wie ein schrecklicher Schmerz ihr rechtes Bein durchfuhr.
Sie blickte nach unten und sah, dass ihr Knöchel in einem unnatürlichen Winkel abstand.
Sie versuchte, ihr Bein zu bewegen. Der Schmerz wurde stärker und sie schrie. Sie versuchte aufzustehen, aber ihr Bein brach unter ihr zusammen. Sie konnte jetzt tatsächlich spüren, wie die gebrochenen Knochen gegeneinander raspelten. Ihr wurde übel und beinahe wäre sie ummächtig geworden.
Sie wusste jetzt, dass sie Hilfe brauchte und griff nach dem Handy in ihrer Tasche.
Es war nicht da!
Es musste herausgefallen sein.
Irgendwo hier musste es sein. Mit ihren Händen suchte sie den Boden danach ab.
Doch sie hatte sich zum Teil in eine Art raue, schwere und lose gewebte Decke verstrickt, die mit Erde und Blättern bedeckt schien. Sie konnte das Telefon nicht finden.
Es begann ihr zu dämmern, dass sie in eine Falle gefallen war––ein Loch, das jemand mit einem Tuch und Blättern bedeckt hatte, um es zu verstecken.
Dachte jemand, dass sei ein guter Scherz?
Wenn ja, dann war es nicht im Geringsten lustig.
Und wie sollte sie hier wieder herauskommen?
Die Wände des Lochs waren steil, ohne jegliche Löcher für Füße und Hände. Da sie nicht einmal aufstehen konnte, würde sie nie in der Lage sein, es alleine hier rauszuschaffen.
Und wahrscheinlich würde in absehbarer Zeit niemand sonst hier vorbeikommen, vielleicht würde sie stundenlang warten müssen.
Dann hörte sie direkt über sich eine Stimme.
„Hey! Hatten Sie einen kleinen Unfall?"
Beim Geräusch der Stimme fiel ihr das Atmen etwas leichter.
Sie sah auf und sah, dass ein Mann über ihr stand. Gegen das gleißende Licht waren nur seine Umrisse erkennbar, so dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte.
Dennoch konnte sie ihr Glück kaum fassen. Nach so vielen Vormittagen, an denen sie niemandem auf diesem Weg begegnet war, kam gerade heute Morgen, da sie dringend Hilfe brauchte, jemand vorbei.
„Ich glaube, mein Knöchel ist gebrochen", rief sie dem Mann zu. „Und ich habe mein Handy verloren."
„Das klingt übel", sagte der Mann. „Wie ist es passiert?"
Was ist das denn für eine Frage?, dachte sie.
Obwohl in seiner Stimme ein Lächeln zu liegen schien, wünschte sich Courtney, dass sie endlich sein Gesicht sehen könnte.
Sie sagte: „Ich joggte, und plötzlich war da dieses Loch, und...."
„Und was?"
Courtney war jetzt ziemlich gereizt.
Sie sagte: „Nun, offensichtlich bin ich reingefallen."
Der Mann wurde für einen Moment still. Dann sagte er: „Es ist ein großes Loch. Haben Sie es denn nicht gesehen?"
Courtney stöhnte vor Verzweiflung.
„Ich brauche einfach nur Ihre Hilfe, um hier rauszukommen, okay?"
Der Mann schüttelte den Kopf.
„Sie sollten nicht an einem unbekannten Ort joggen gehen, wenn Sie den Weg nicht kennen."
„Ich kenne diesen Weg gut!“, rief Courtney.
„Wie sind Sie dann bitte in dieses Loch gefallen?"
Courtney war sprachlos. Entweder war der Mann ein Idiot, oder aber er spielte mit ihr.
„Sind Sie der Arsch, der dieses Loch gegraben hat?“, rastete sie jetzt aus. „Wenn ja, dann ist das überhaupt nicht lustig, verdammt nochmal. Holen Sie mich hier raus!"
Sie war schockiert, als sie erkannte, dass sie weinte.
„Wie das?“, fragte der Mann.
Courtney griff nach oben und streckte ihren Arm so weit wie möglich aus.
„Hier", sagte sie. „Greifen Sie nach unten, nehmen Sie meine Hand und ziehen Sie mich hoch."
„Ich bin nicht sicher, ob ich mich so weit strecken kann."
"Sicher können Sie das."
Der Mann lachte. Es war ein angenehmes, freundliches Lachen. Trotzdem wünschte sich Courtney immer noch, sie könnte sein Gesicht sehen.
„Ich werde mich um alles kümmern", sagte er.
Er trat zurück und außer Sichtweite.
Dann hörte sie das Rasseln von Metall und von weiter Hinten ein quietschendes, mahlendes Geräusch.
Das nächste, was sie wusste, war, dass ein riesiges Gewicht auf sie niederprasselte.
Sie keuchte und spuckte, bis sie begriff, dass der Mann gerade eine Ladung Dreck auf sie geworfen hatte.
Sie fühlte, wie ihre Hände und Füße ganz kalt wurden––Zeichen der Panik, so wurde es ihr bewusst.
Nur die Ruhe, sagte sie zu sich.
Was auch immer da gerade passierte, sie musste ruhig bleiben.
Sie sah, dass der Mann mit einer Schubkarre über ihr stand. Ein paar verbliebene Schmutzklumpen fielen aus der Schubkarre auf ihren Kopf.
„Was machen Sie da?", schrie sie.
„Entspannen Sie sich", sagte der Mann. „Wie gesagt, ich kümmere mich um alles."
Er rollte die Schubkarre weg. Dann hörte sie immer wieder ein dumpfes, trommelartiges Schlagen gegen Metall.
Es war das Geräusch des Mannes, der jetzt noch mehr Dreck in die Schubkarre schaufelte.
Sie schloss die Augen, atmete tief ein, öffnete den Mund und ließ einen langen, durchdringenden Schrei ertönen.
„Hilfe!"
Dann spürte sie einen schweren Dreckklumpen, der sie direkt ins Gesicht traf. Sie verschluckte etwas Erde, musste würgen und spuckte sie wieder aus.
Seine Stimme klang immer noch freundlich, als der Mann sagte....
„Ich fürchte, Sie werden viel lauter schreien müssen."
Dann fügte er mit einem Glucksen hinzu....
„Selbst ich kann Sie ja kaum hören."
Sie ließ erneut einen Schrei erklingen und war schockiert über die Lautstärke ihrer eigenen Stimme.
Dann lud der Mann die neue Schubkarre voller Dreck auf ihr ab.
Sie konnte jetzt nicht mehr schreien. Ihre Kehle war vor lauter Dreck verstopft.
Sie wurde von einem unheimlichen Gefühl überwältigt, als ob sie ein Déjà-vu hätte. Das hier hatte sie schon vorher erlebt––diese Unfähigkeit vor Gefahr zu fliehen oder gar zu schreien.
Aber diese Erfahrungen waren nur Alpträume gewesen. Und stets war sie aus ihnen erwacht.
Sicherlich war das hier nur ein weiterer Albtraum.
Wach auf, sagte sie immer wieder zu sich. Wach auf, wach auf, wach auf!
Aber sie konnte nicht aufwachen.
Das hier war kein Traum.
Das hier war echt.
Spezialagentin Riley Paige arbeitete gerade an ihrem Schreibtisch im Gebäude der Behavioral Analysis Unit (BAU) des FBI in Quantico, als sie von einer unwillkommene Erinnerung heimgesucht wurde …
Ein Mann mit dunkler Haut starrte sie mit seinen glasigen Augen an.
Er hatte eine Schusswunde an der Schulter und eine viel gefährlichere Wunde am Bauch.
Mit schwacher, bitterer Stimme sagte er zu Riley …
„Ich befehle dir, mich zu töten."
Rileys Hand lag auf ihrer Waffe.
Sie sollte ihn töten.
Sie hatte allen Grund, ihn zu töten.
Trotzdem wusste sie nicht, was sie tun sollte....
Eine Frauenstimme riss Riley aus ihrer Träumerei.
„Du siehst aus, als hättest du etwas auf dem Herzen."
Riley blickte von ihrem Schreibtisch auf und sah eine junge afroamerikanische Frau mit kurzen glatten Haaren in ihrer Bürotür stehen.
Es war Jenn Roston, die bei Rileys letztem Fall ihre neue Partnerin gewesen war.
Riley schüttelte sich ein wenig.
„Es ist nichts", sagte sie.
Jenns dunkelbraune Augen waren voller Sorge.
Sie sagte: „Oh, ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nichts ist."
Als Riley nicht antwortete, sagte Jenn: „Du denkst an Shane Hatcher, nicht wahr?"
Riley nickte leise. Die Erinnerungen suchten sie dieser Tage ziemlich häufig heim––all diese Erinnerungen an die grauenhafte Konfrontation mit dem verwundeten Mann in der Hütte ihres verstorbenen Vaters.
Zwischen Riley und dem entflohenen Sträfling hatte ein seltsames, verdrehten Band der Loyalität bestanden. Er war fünf Monate lang auf freiem Fuß gewesen, und sie hatte nicht einmal versucht, seine Freiheit einzuschränken––nicht bevor er begonnen hatte, unschuldige Menschen zu ermorden.
Nun war es für Riley schwer nachzuvollziehen, dass sie ihn so lange hatte frei sein lassen.
Sie hatten eine beunruhigende, illegale und sehr, sehr dunkle Beziehung geführt.
Von allen Leuten, die Riley kannte, wusste Jenn am besten, wie dunkel sie wirklich gewesen war.
Schließlich sagte Riley: „Ich denke immer noch, dass ich ihn sofort hätte töten sollen."
Jenn sagte: „Er war verwundet, Riley. Er stellte keine Bedrohung für dich dar."
„Ich weiß", sagte Riley. „Aber ich denke dennoch, dass ich vielleicht zugelassen habe, dass meine Loyalität mein Urteilsvermögen schwächt."
Jenn schüttelte den Kopf.
„Riley, wir hatten doch darüber gesprochen. Du weißt bereits, wie ich darüber denke. Du hast das Richtige getan. Und falls du mir allein nicht glauben möchtest, alle anderen hier sind ganz meiner Meinung."
Riley wusste, dass es stimmte. Ihre Kollegen und Vorgesetzten hatten ihr herzlich dazu gratuliert, dass sie Hatcher lebend gefasst hatte. Ihr Zuspruch war eine willkommene Abwechslung. Solange Riley unter Hatchers Bann gestanden hatte, war ihr gegenüber jeder hier zu Recht misstrauisch gewesen. Nun, da sich die Wolke des Misstrauens aufgelöst hatte, waren die Gesichter ihrer Kollegen wieder freundlich, und sie wurde mit neuem Respekt begrüßt.
Riley fühlte sich hier jetzt wirklich wieder zu Hause.
Dann grinste Jenn und fügte hinzu: „Verdammt nochmal, dieses eine Mal in deinem Leben hast du die Sache sogar nach Vorschrift erledigt."
Riley kicherte. Mit Sicherheit hatte sie die korrekte Vorgehensweise befolgt, als sie Hatcher festgenommen hatte––was mehr war, als sie über den Großteil ihrer Handlungen während des Falls, den sie und Jenn gerade gemeinsam gelöst hatten, sagen konnte.
Riley sagte: „Ja, ich schätze, du hast einen richtigen Crashkurs in meinen… unkonventionellen Methoden genossen."
„Das habe ich wirklich."
Riley kicherte unbehaglich. Sie hatte sogar noch mehr Regeln als sonst ignoriert. Jenn hatte Loyalität bewiesen und sie gedeckt––auch als sie ohne Haftbefehl in das Haus eines Verdächtigen eingebrochen war. Wenn sie dazu entschlossen gewesen wäre, hätte Jenn ihr Vorgehen durchaus melden können. Sie hätte bewirken können, dass Riley gefeuert wurde.
„Jenn, ich weiß das wirklich zu schätzen...."
„Nicht der Rede wert.“, sagte Jenn. „Es liegt alles in der Vergangenheit. Was als nächstes kommt, ist alles, was zählt."
Jenns Lächeln wurde breiter, als sie hinzufügte: „Und ich erwarte nicht, dass du dich wie eine Pfadfinderin verhältst. Das solltest du von mir auch nicht erwarten."
Riley lachte erneut und diesmal befreiter.
Sie fand es schwer zu glauben, dass sie Jenn kürzlich noch misstraut hatte, sie sogar als Gegenspielerin betrachtet hatte.
Schließlich hatte Jenn viel, viel mehr für Riley getan, als nur die Diskretion zu wahren.
„Habe ich dir eigentlich schon dafür gedankt, dass du mir das Leben gerettet hast?“, fragte Riley.
Jenn lächelte.
„Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft", sagte sie.
„Nochmals vielen Dank.“
Jenn sagte nichts. Ihr Lächeln verblasste. Ihr Blick wirkte jetzt abwesend.
„Wolltest du etwas Bestimmtes, Jenn?“, fragte Riley. "Ich meine, warum bist du vorbeigekommen?"
Jenn starrte für einen Moment den Flur hinunter.
Schließlich sagte sie: „Riley, ich weiß nicht, ob ich es dir sagen soll...." Ihre Stimme wurde immer leiser.
Es war für Riley leicht zu erkennen, dass sie etwas beunruhigte. Sie wollte sie beruhigen, etwas sagen wie …
„Du kannst mir alles sagen."
Aber das erschien ihr doch recht anmaßend.
Schließlich schien Jenn zu erschaudern.
„Egal", sagte sie. „Es ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest."
„Bist du dir sicher?"
„Ganz sicher."
Ohne ein weiteres Wort verschwand Jenn im Flur und ließ Riley mit einem ausgesprochen unbehaglichen Gefühl zurück. Sie spürte schon seit längerem, dass Jenn ihre eigenen Geheimnisse wahrte––vielleicht darunter einige sehr dunkle.
Warum will sie sich mir nicht anvertrauen?, fragte sich Riley.
Es schien, also ob einer von ihnen beiden immer ein wenig misstrauisch wäre. Das war kein gutes Zeichen für ihre Zusammenarbeit als Partnerinnen.
Aber es gab nichts, was Riley dagegen tun konnte––zumindest noch nicht.
Sie blickte auf ihre Uhr. Sie käme bald zu spät zu einem Termin mit ihrem langjährigen Partner Bill Jeffreys.
Der arme Bill war momentan beurlaubt und litt nach einem schrecklichen Zwischenfall, der sich während ihres letzten gemeinsamen Falles ereignet hatte, an einer Posttraumatischer Belastungsstörung. Riley fühlte eine schmerzhafte Traurigkeit in sich aufsteigen, als sie sich an den Vorfall zurückerinnerte.
Sie und Bill hatten mit einer vielversprechenden jungen Agentin namens Lucy Vargas zusammengearbeitet.
Doch Lucy war im Dienst getötet worden.
Riley vermisste Lucy jeden Tag.
Aber wenigstens fühlte sie sich wegen ihres Todes nicht schuldig.
Bei Bill war das anders.
Heute Morgen hatte Bill Riley angerufen und sie gebeten, ihn auf dem Marinestützpunkt zu treffen, der den größten Teil der Anlage in Quantico ausmachte.
Er hatte ihr nicht gesagt, warum, und das beunruhigte sie. Sie hoffte, dass es nichts Ernstes sei.
Ängstlich stand Riley von ihrem Schreibtisch auf und verließ das BAU-Gebäude.
Bill fühlte wie Sorge kribbelnd in ihm aufstieg, als er Riley auf den Schießplatz der Marine führte.
Bin ich für das hier überhaupt bereit?, fragte er sich.
Die Frage erschien ihm beinahe albern. Schließlich handelte es sich nur um eine Schießübung.
Und doch war es keine gewöhnliche Schießübung.
Genau wie er trug Riley Tarnkleidung und eine geladene M16-A4.
Aber im Gegensatz zu Bill hatte Riley keine blasse Ahnung, warum sie hier waren.
„Ich wünschte, du würdest mir sagen, worum es geht", sagte Riley.
„Es wird für uns beide eine völlig neue Erfahrung sein", sagte er.
Er hatte diese neue Art des Schießens noch nie ausprobiert, aber Mike Nevins, der Psychiater, der ihm mit seiner Posttraumatischen Belastungsstörung geholfen hatte, hatte es ihm empfohlen.
„Das wird eine gute Therapie für Sie sein", hatte Mike gesagt.
Bill hoffte, dass Mike Recht behalten sollte. Er hoffte auch, dass er die Nerven behielt, wenn Riley bei ihm war.
Bill und Riley nahmen nebeneinander ihre Positionen zwischen den vier mal vier aufrechten Holzpfosten ein, die auf eine gepflasterten Fläche hinter einer breiten Wiese zeigten. Auf dem gepflasterten Gebiet befanden sich vertikale Barrieren, auf denen Einschusslöcher markiert waren. Bill hatte schon einige Minuten zuvor mit dem Mann in der Kontrollkabine gesprochen, so dass jetzt alles für sie vorbereitet sein sollte.
Jetzt sprach er mit dem selben Typen durch ein kleines Mikrofon vor seinem Mund.
„Zufällige Zielauswahl. Und Los!“
Plötzlich tauchten menschengroße Figuren hinter den Absperrungen auf, die sich alle im gepflasterten Bereich bewegen. Sie trugen die Uniformen von ISIS-Kämpfern und schienen bewaffnet zu sein.
„Feindliche Subjekte!“, rief Bill Riley zu. „Schieß!"
Riley war zu erschrocken, um zu schießen, aber Bill hatte einen Schuss abgegeben und das Ziel verfehlt. Dann feuerte er einen weiteren Schuss ab, der eine der Figuren traf. Die Figur fiel zur einen Seite um und bewegte sich nicht mehr. Die anderen Figuren drehten sich weg, um den Schüssen zu entgehen, wobei einige von ihnen sich schneller bewegten, während andere hinter den Schranken verschwanden.
Riley sagte: „Was zum Teufel!"
Sie hatte immer noch keinen Schuss abgegeben.
Bill lachte.
„Stopp", sagte er ins Mikrofon.
Plötzlich verblieben alle Figuren dort, wo sie sich befanden, bewegungslos stehen.
„Wir schießen heute also auf Fake-Bösewichte auf Rädern?“, fragte Riley lachend.
Bill erklärte: „Es handelt sich um Roboter, die auf Segway-Roller montiert sind. Der Typ, mit dem ich vor einer Minute in der Kabine gesprochen habe, startet das Programm, dem sie folgen sollen. Aber er kontrolliert nicht jede ihrer Bewegungen. Eigentlich kontrolliert er sie gar nicht. Sie „wissen", was zu tun ist. Sie haben Laserscanner und Navigationsalgorithmen, damit sie den Barrieren und sich gegenseitig ausweichen können."
Rileys Augen waren vor Staunen ganz groß geworden.
„Ja“, sagte sie. „Und sie wissen genau, was zu tun ist. Wenn die Schießerei losgeht, rennen sie weg oder verstecken sich, oder auch beides."
„Willst du es noch mal versuchen?“, fragte Bill.
Riley nickte und sah begeistert aus.
Erneut sprach Bill ins Mikrofon: „Zufällige Zielauswahl. Und Los!“
Wie zuvor begannen die Figuren sich zu bewegen, und Riley und Bill feuerten einzelne Schüsse auf sie ab. Bill traf einen der Roboter, und Riley tat es ihm gleich. Beide Roboter blieben stehen und neigten sich nach vorne. Die anderen Roboter stoben auseinander, einige eilten willkürlich durch die Gegend, andere verstecken sich hinter den Barrieren.
Riley und Bill schossen weiter, aber das Schießen war jetzt schwieriger geworden. Die Roboter, die sich noch bewegten, schossen in unvorhersehbaren Bahnen und in unterschiedlicher Geschwindigkeit hin- und her. Diejenigen, die sich hinter den Schranken versteckten, tauchten immer wieder auf, als wollten sie Riley und Bill dazu bringen, auf sie zu schießen. Es war unmöglich zu sagen, von welcher Seite der Barriere aus sie als nächstes auftauchen würden. Dann huschten sie entweder in der Schusslinie herum oder suchten erneut Zuflucht.
Trotz des scheinbaren Chaos dauerte es nur etwa eine halbe Minute, bis Riley und Bill alle acht Roboter ausgeschaltet hatten. Nun lagen sie alle gebeugt und regungslos zwischen den Barrieren.
Riley und Bill senkten ihre Waffen.
„Das war seltsam", sagte Riley.
„Willst du lieber aufhören?“, fragte Bill.
Riley kicherte.
„Machst du Witze? Auf keinen Fall. Was kommt als nächstes?"
Bill schluckte, und wurde plötzlich nervös.
„Wir sollen Feinde ausschalten, ohne dabei Zivilisten zu töten", sagte er.
Riley sah ihn mitfühlend an. Er verstand ihre Sorge. Sie wusste genau, warum er sich bei dieser neuen Übung unwohl fühlte. Es erinnerte ihn an den unschuldigen jungen Mann, den er letzten Monat versehentlich angeschossen hatte. Der Junge hatte sich von seiner Wunde zwar erholen können, aber Bill ließen die Schuldgefühle dennoch nicht los.
Außerdem verfolgte dieser Vorfall Bill, weil die brillante junge Agentin namens Lucy Vargas dabei getötet worden war.
Hätte ich sie doch nur retten können, dachte er bei sich.
Bill war seit jenem Vorfall offiziell beurlaubt und fragte sich, ob er jemals wieder würde arbeiten können. Er war völlig zusammengebrochen, dem Alkohol verfallen und hatte sogar über Selbstmord nachgedacht.
Riley hatte ihm dabei geholfen—wahrscheinlich hatte sie ihm sogar das Leben gerettet.
Bill fühlte sich, als würde es ihm schon viel besser gehen.
Aber war er für das hier bereit?
Riley beobachtete ihn immer noch sorgenvoll.
„Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“, fragte sie.
Wieder erinnerte sich Bill daran, was Mike Nevins gesagt hatte.
„Das wird eine gute Therapie für Sie sein."
Bill nickte Riley zu.
„Ich denke schon", sagte er.
Sie nahmen ihre Positionen wieder ein und hoben die Waffen. Bill sprach erneut ins Mikrofon: „Feindliche Subjekte und Zivilisten."
Die gleiche Situation wie zuvor entfalten sich vor ihnen—nur diesmal war eine der Figuren eine Frau, die in einen blauen Hijab gehüllt war. Es war sicherlich nicht schwer, sie von den Feinden in ihren tristen, braunen Outfits zu unterscheiden. Aber sie bewegte sich unter den anderen in ebenso scheinbar zufälligen Bewegungsmustern.
Riley und Bill fingen an, die Feinde genauso abzuknallen wie zuvor, und einige der männlichen Figuren wichen den Kugeln erneut aus, während andere sich hinter den Schranken versteckten, nur um in unvorhersehbaren Momenten wieder hervorzuschießen.
Auch die weibliche Figur bewegte sich jetzt, als sei sie vom Feuer der Gewehre erschrocken und eilte hektisch hin und her, versteckte sich aber dennoch nie hinter einer der Schranken. Ihre simulierte Panik machte es nur noch schwerer, sie nicht aus Versehen zu treffen.
Bill fühlte, wie sich kalter Schweiß auf seiner Stirn bildete, als er wieder und wieder feuerte.
Bald hatten er und Riley alle Feinde erschossen, und die Frau im Hijab stand immer noch unversehrt da.
Bill stieß einen langgezogenen Seufzer der Erleichterung aus und senkte seine Waffe.
„Wie geht es dir?“, fragte Riley, und Sorge schwang dabei in ihrer Stimme mit.
„Ziemlich gut, schätze ich," sagte Bill.
Doch seine Handflächen an der Waffe fühlten sich feucht an, und er zitterte ein wenig.
„Vielleicht reicht das fürs Erste", sagte Riley.
Bill schüttelte den Kopf.
„Nein", sagte er. „Das nächste Programm müssen wir auch noch ausprobieren."
„Worum wird es dabei gehen?"
Bill schluckte hart.
„Es ist eine Geiselnahme. Der Zivilist wird getötet werden, sollten wir es nicht schaffen, gleichzeitig zwei Feinde ausschalten."
Riley blinzelte ihn zweifelnd an.
„Bill, ich weiß nicht...."
„Komm schon", sagte Bill. „Es ist nur ein Spiel. Lass es uns versuchen."
Riley zuckte mit den Achseln und hob ihre Waffe.
Bill sprach ins Mikrofon: „Geiselsituation. Los geht’s."
Die Roboter wurden wieder lebendig. Die weibliche Figur blieb im offenen Feld, während die Feinde hinter den Schranken verschwanden.
Dann tauchten zwei der Feinde hinter den Schranken auf, und schwebten bedrohlich um die weibliche Figur herum, die in scheinbarer Angst hin und her wackelte.
Bill wusste, dass die Kunst für ihn und Riley darin lag, auf beide Feinde sofort und gleichzeitig zu schießen, sobald sie freien Schuss hatten.
Es war seine Aufgabe, diesen Moment zu benennen.
Als er und Riley ihre Waffen sorgfältig zum Schuss ansetzten, sagte Bill....
„Ich nehme den Linken, du den Rechten. Feuer frei, sobald ich ‚Los‘ sage.“
„Geht klar", sagte Riley leise.
Bill überwachte sorgfältig die Bewegungen und Positionen der beiden feindlichen Subjekte. Er erkannte, dass es schwerer werden würde, als er erwartet hatte.
Der zweite der Feinde trieb davon, während der andere Feind sich gefährlich nahe an die Geisel stellte.
Ob wir wohl jemals eine freie Schussbahn bekommen?, fragte er sich.
Dann, für einen flüchtigen Moment bloß, trieben beiden Feinde in entgegengesetzte Richtungen ca. einen Meter von der Geisel weg.
„Los!“, bellte Bill.
Doch bevor er den Abzug betätigen konnte, wurde er von einer Flut von Bildern überrollt …
Er raste gerade auf ein verlassenes Gebäude zu, als er einen Schuss hörte.
Er zog seine Waffe und rannte hinein, wo er Lucy am Boden liegen sah.
Dann sah er einen jungen Mann, der auf sie zuging.
Instinktiv schoss Bill auf den Mann und traf ihn.
Der Mann drehte sich vor dem Fall––und erst dann sah Bill, dass seine Hände leer waren.
Er war unbewaffnet.
Der Mann hatte nur versucht, Lucy zu helfen.
Tödlich verwundet, stützte sich Lucy auf die Ellenbogen und feuerte sechs Schuss auf ihren echten Angreifer ab ...
...der Mann, auf den Bill hätte schießen sollen.
Ein Schuss fiel aus Rileys Gewehr und riss Bill aus seinem Tagtraum.
Die Bilder waren in Sekundenbruchteilen gekommen und wieder verschwunden.
Einer der Feinde kippte um, getötet von Rileys Schuss.
Aber Bill selbst stand wie angefroren da. Er konnte einfach nicht abdrücken.
Der Feind, der überlebt hatte, wandte sich bedrohlich der Frau zu, und über einen Lautsprecher ertönte vom Band ein Schuss.
Die Frau krümmte sich und hielt inne.
Schließlich feuerte Bill seine Waffe ab und traf den überlebenden Feind—aber für die Geisel kam alles zu spät, da sie bereits tot war.
Für einen Moment schien die Situation schrecklich real.
„Jesus", sagte er. „Oh, Jesus, wie konnte ich das zulassen?"
Bill trat vor, fast so, als wolle er der Frau zu Hilfe eilen.
Riley trat jetzt ebenfalls vor, um ihn aufzuhalten.
„Es ist okay, Bill! Es ist doch nur ein Spiel! Das hier ist nicht echt!"
Bill blieb zitternd stehen, und versuchte sich zu beruhigen.
„Riley, es tut mir leid, es ist nur so.... für eine Sekunde war alles wieder da und...."
„Ich weiß", sagte Riley tröstend. „Ich verstehe."
Bill brach in sich zusammen und schüttelte den Kopf.
„Vielleicht bin ich noch nicht bereit dafür", sagte er. „Vielleicht sollten wir für heute aufhören.“
Riley klopfte ihm auf die Schulter.
„Nein", sagte sie. „Ich denke, es ist besser, wenn du es jetzt durchziehst."
Bill nahm ein paar lange, langsame Atemzüge. Er wusste, dass Riley Recht hatte.
Also nahmen Riley und er ihre Positionen wieder auf, und Bill sprach erneut ins Mikrofon ...
„Geiselnahme. Los geht’s.“
Die Ausgangssituation war wieder die Gleiche, mit zwei Feinden, die gefährlich nahe bei der Geisel lauerten.
Während Bill durch seine Visier blickte, atmete er langsam ein und aus.
Es ist nur ein Spiel, sagte er zu sich. Es ist nur ein Spiel.
Endlich kam der Moment, auf den er wartete. Die beiden Feinde hatten sich kaum merklich von der Geisel entfernt. Es war immer noch ein gefährlicher Schuss, aber Bill und Riley mussten es wagen.
„Feuer frei!“, sagte er.
Diesmal schoss er sofort, und den Bruchteil einer Sekunde später hörte er das Geräusch von Rileys Schuss.
Beiden feindlichen Subjekte fielen nach vorne und hörten auf, sich zu bewegen.
Bill senkte seine Waffe.
Riley klopfte ihm auf die Schulter.
„Du hast es geschafft, Bill", sagte sie lächelnd. „Das macht mir Spaß. Was sonst können wir mit diesen Bots noch anfangen?"
Bill sagte: „Es gibt ein Programm, bei dem wir auf sie zugehen können, während wir schießen."
„Lass es uns ausprobieren."
Bill sprach wieder in sein Mikrofon.
"Nahkampf."
Alle acht Feinde begannen sich zu bewegen, und Bill und Riley rückten Schritt für Schritt auf sie zu und feuerten Schuss um Schuss. Ein paar Roboter fielen, und die anderen huschten herum und wurden immer schwerer zu treffen.
Als Bill weiter schoss, wurde ihm klar, dass in dieser Simulation etwas Entscheidendes fehlte.
Sie schießen nicht zurück, dachte er.
Seine Erleichterung über die Rettung der Geisel fühlte sich seltsam hohl an. Schließlich hatten Riley und er nur das Leben eines Roboters gerettet.
Es änderte nichts an der Realität dessen, was letzten Monat passiert war.
Lucy hatte es sicher nicht wieder zum Leben erweckt.
Seine Schuld verfolgte ihn immer noch. Ob er jemals in der Lage wäre, sie abzuschütteln?
Und ob er wohl jemals wieder seine Arbeit würde ausüben können?
Im Anschluss an ihre Schießübung machte sich Riley immer noch Sorgen um Bill. Es stimmte, nach seinem Zusammenbruch hatte er sich schnell erholt. Und, als sie aus nächster Nähe zu schießen begonnen hatten, schien er sich richtig zu amüsieren
Als er Quantico verließ, um in seine Wohnung zurückzukehren, erschien er ihr sogar fröhlich. Dennoch war er nicht mehr der alte Bill, der so viele Jahre lang ihr Partner gewesen, und dabei längst ihr bester Freund geworden war.
Sie wusste, worüber er sich am meisten Sorgen machte.
Bill hatte Angst, dass er nie wieder zur Arbeit kommen könnte.
Sie wünschte, sie könnte ihn mit freundlichen, einfachen Worten beruhigen—etwas wie....
„Du machst einfach eine schwere Zeit durch. Das passiert uns allen. Du wirst früher drüber hinweg sein, als du denkst."
Aber dahingesagte Zusicherungen waren nicht das, was Bill jetzt brauchte. Und in Wahrheit wusste Riley auch nicht, ob es stimmte.
Sie hatte selbst eine Phase erlebt, in der sie unter PTBS litt und wusste, wie schwer der Weg zur Genesung sein konnte.
Sie würde Bill einfach helfen müssen, diesen schrecklichen Prozess durchzustehen.
Obwohl Riley zurück in ihr Büro ging, gab es für sie bei der BAU heute eigentlich wenig zu tun. Sie hatte derzeit keinen Auftrag, und diese geruhsamen Tage kamen ihr nach der Intensität des letzten Falles in Iowa sehr gelegen. Sie erledigte die Kleinigkeiten, die ihre Aufmerksamkeit erforderten, und ging.
Als Riley nach Hause fuhr, fühlte sie sich bei dem Gedanken an ein Abendessen im Kreise ihrer Familie regelrecht beschwingt. Besonders zufrieden war sie darüber, dass sie Blaine Hildreth und seine Tochter für heute Abend eingeladen hatte.
Riley war erfreut, dass Blaine Teil ihres Lebens war. Er war ein hübscher, charmanter Mann. Und wie sie war er erst seit kurzem geschieden.
Wie sich herausgestellt hatte, war er auch bemerkenswert mutig.
Es war Blaine, der auf Shane Hatcher geschossen und ihn schwer verletzt hatte, als Hatcher Rileys Familie bedroht hatte.
Riley würde ihm dafür auf ewig dankbar sein.
Bislang hatte sie bloß eine Nacht mit Blaine verbracht, da waren sie bei ihm zu Hause gewesen. Sie achteten sehr auf Diskretion, und seine Tochter Crystal hatte die Frühlingsferien bei ihren Cousins verbracht. Riley lächelte über die Erinnerung an ihr leidenschaftliches Liebesspiel.
Ob der heutige Abend genauso enden würde?
*
Rileys Haushälterin Gabriela hatte eine köstliche Mahlzeit aus Chiles Rellenos nach einem Familienrezept, das sie aus Guatemala mitgebracht hatte, zubereitet. Alle genossen die dampfenden, üppig gefüllten Paprikaschoten.
Riley war sehr zufrieden mit dem so guten Essen und der wunderbaren Gesellschaft, die sie genoß.
„Nicht zu picante?“, fragte Gabriela.
Natürlich war das Essen auch für US-amerikanische Geschmacksnerven nicht zu scharf und würzig, und Riley war sicher, dass Gabriela das wusste. Gabriela hielt sich, was ihre original mittelamerikanischen Rezepte betraf, stets zurück. Ganz offensichtlich bevorzugte sie den ,leichten Weg, Komplimente zu bekommen.
„Nein, es ist perfekt", sagte Rileys fünfzehnjährige Tochter April.
„Das beste Essen aller Zeiten", sagte Jilly, das dreizehnjährige Mädchen, das Riley gerade adoptierte.
„Einfach unglaublich", sagte Aprils beste Freundin Crystal.
Crystals Vater, Blaine Hildreth, sprach nicht sofort. Aber Riley konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, dass auch er von dem Gericht hingerissen war. Sie wusste auch, dass Blaines Wertschätzung professioneller Natur war. Blaine besaß hier in Fredericksburg ein gehobenes Restaurant, dass sich dabei jedoch einer lässigen Atmosphere erfreute.
„Wie machen Sie das nur, Gabriela?“, fragte er nach ein paar Bissen.
„Es un secreto", sagte Gabriela mit einem schelmischen Grinsen.
„Ein Geheimnis, ja?“, fragte Blaine. „Welche Sorte Käse haben Sie denn benutzt? Ich kann es nicht einordnen. Es ist weder Monterey Jack noch Chihuahua. Manchego vielleicht?"
Gabriela schüttelte den Kopf.
„Ich werde es Ihnen nie verraten", sagte sie lächelnd.
Während Blaine und Gabriela weiter über das Rezept scherzten, teils auf Englisch, teils auf Spanisch, fragte sich Riley, ob sie und Blaine vielleicht....
Sie errötete ein wenig bei der Idee.
Nein, heute Abend wird bestimmt nichts passieren.
Da die ganze Familie anwesend war, würde es kaum eine Möglichkeit für ein diskretes Miteinander geben.
Nicht, dass sie mit den Dingen, wie sie waren, nicht einverstanden gewesen wäre.
Von Menschen umgeben zu sein, die ihr so viel bedeuteten, war ihr an diesem besonderen Abend Freude genug. Aber als sie zusah, wie sich ihre Familie und Freunde amüsierten, wurden Rileys Gedanken von eine neuen Anliegen heimgesucht.
Eine Person am Tisch hatte bisher kaum ein Wort gesagt, und das war Liam, der Neuzugang in Rileys Haushalt. Liam war in Aprils Alter, und die beiden Teenager waren schon einmal miteinander ausgegangen. Riley hatte den großen, schlaksigen Jungen vor seinem übergriffigen, betrunkenen Vater gerettet. Er brauchte einen Platz zum Leben, und dieser Ort war jetzt eben das Sofa in Rileys Familienzimmer, auf dem er schlief.
Liam war normalerweise gesprächig und kontaktfreudig. Aber etwas schien ihn heute Abend zu beunruhigen.
Riley fragte: „Stimmt etwas nicht, Liam?"
Der Junge schien sie nicht einmal zu hören.
Riley sprach etwas lauter.
„Liam."
Liam blickte von seinem Essen auf, das er bisher kaum angerührt hatte.
„Was?“, fragte er.
„Stimmt etwas nicht?"
„Nein. Warum?"
Riley kniff unruhig die Augen zusammen. Etwas war nicht in Ordnung. Liam war selten so einsilbig.
„Ich habe mich nur gewundert", sagte sie.
Sie nahm sich vor, später mit Liam allein zu sprechen.
*
Beim Nachtisch übertraf sich Gabriela mit einer köstlichen Obstorte. Anschließend genossen Riley und Blaine einen Drink, während die vier Kinder sich im Familienzimmer unterhielten, und dann gingen Blaine und seine Tochter nach Hause.
Riley wartete bis April und Jilly auf ihre Zimmer gingen. Dann ging sie allein ins Familienzimmer. Liam saß ruhig auf dem noch zugeklappten Schlafsofa und starrte ins Leere.
„Liam, ich merke doch, dass etwas nicht stimmt. Ich wünschte, du würdest mir davon erzählen."
„Da ist nichts", sagte Liam.
Riley verschränkte ihre Arme und sagte nichts. Sie wusste vom Umgang mit den Mädchen, dass ihm Umgang mit jungen Menschen, abwarten manchmal die beste Strategie war.
Dann sagte Liam: „Ich will nicht darüber reden."
Riley war erschrocken. An die jugendliche Launen von April und Jilly war sie gewöhnt, zumindest von Zeit zu Zeit. Doch für Liam war so ein Verhalten völlig untypisch. Er war stets angenehm und zuvorkommend. Auch war er ein engagierter Schüler, und Riley schätzte seinen guten Einfluss auf April.
Schweigend wartete Riley weiter.
Schließlich sagte Liam: „Ich bekam heute einen Anruf von Dad."
Riley spürte ein Ziehen in der Magengrube.
Sie kam nicht umhin, sich an diesen schrecklichen Tag zu erinnern, als sie zu Liams Haus geeilt war, um ihn davor zu bewahren, von seinem Vater übel verprügelt zu werden.
Sie wusste, dass sie nicht überrascht sein sollte. Dennoch wusste sie nicht, was sie darauf sagen sollte.
Liam sagte: „Er sagt, dass ihm all das leid tue. Er sagt, dass er mich vermisst."
Rileys Sorge wurde größer. Sie besaß für Liam nicht das Sorgerecht. Im Moment fungierte sie als eine Art spontane Pflegemutter, und sie hatte keine Ahnung, was ihre zukünftige Rolle in seinem Leben sein würde.
„Möchte er, dass du nach Hause kommst?“, fragte Riley.
Liam nickte.
Riley konnte sich nicht dazu durchringen, die offensichtliche Frage zu stellen....
„Was möchtest du?"
Was würde sie tun ––was könnte sie tun––wenn Liam sagte, dass er zurück wolle?
Riley wusste, dass Liam ein sanftmütiger Junge war, der schnell verzieh. Wie viele Opfer von Missbrauch war auch er anfällig für konsequente Verleugnung.
Riley setzte sich neben ihn.
Sie fragte: „Warst du hier glücklich?"
Aus Liams Kehle drang ein kleines Würgegeräusch. Zum ersten Mal erkannte Riley, dass er den Tränen nahe war.
„Oh, ja", sagte er. „ Das war.... Ich war sehr glücklich."
Riley fühlte, wie ihre eigene Kehle ihr eng wurde. Sie wollte ihm sagen, dass er so lange hier bleiben konnte, wie er nur wollte. Aber was könnte sie tun, wenn sein Vater von ihm verlangte, dass er zurückkehrte? Es läge nicht in ihrer Macht, das zu verhindern.
Eine Träne lief jetzt Liams Wange hinunter.
„Es ist nur, dass.... seit Mom weg ist.... Ich bin alles, was Dad noch hat. Oder zumindest war ich das, bis ich ging. Jetzt ist er ganz allein. Er sagt, er trinkt nicht mehr. Er sagt, er würde mir nichts mehr antun."
Riley platzte beinahe hervor....
„Glaub ihm nicht. Glaube ihm nie, wenn er so etwas sagt."
Stattdessen sagte sie: „Liam, du musst wissen, dass dein Vater sehr krank ist."
„Ich weiß", sagte Liam.
„Es liegt an ihm, sich die Hilfe zu holen, die er braucht. Aber bis er das tut, wird es sehr schwer für ihn sein, sich zu ändern."
Riley schwieg für einen Moment.
Dann fügte sie hinzu: „Denk immer daran, dass es nicht deine Schuld ist. Das weißt du doch, oder?"
Liam unterdrückte ein Schluchzen und nickte.
„Bist du jemals dorthin zurückgegangen, um ihn zu sehen?“, fragte Riley.
Liam schüttelte lautlos den Kopf.
Riley streichelte seine Hand.
„Ich möchte nur, dass du mir eins versprichst. Wenn du zu ihm gehst, geh nicht allein. Ich will bei dir sein. Versprichst du mir das?"
„Ich verspreche es", sagte Liam.
Riley griff nach einer Box mit Taschentüchern und bot sie Liam an, der sich die Augen abwischte und die Nase putzte. Dann saßen beide für ein paar lange Momente der Stille beieinander.
Schließlich sagte Riley: „Brauchst du mich noch bei etwas anderem?"
„Nein. Jetzt geht es mir gut. Danke für.... naja, du weißt schon."
Er lächelte sie schwach an.
„So ziemlich alles", fügte er hinzu.
„Gern geschehen", sagte Riley und erwiderte sein Lächeln.
Sie verließ das Familienzimmer, ging ins Wohnzimmer und setzte sich allein auf die Couch.
Plötzlich entfuhr ihrem Hals ein Schluchzen, und sie fing an zu weinen. Sie war erstaunt, wie sehr sie das Gespräch mit Liam erschüttert hatte.
Doch als sie darüber nachdachte, lag der Grund auf der Hand.
Ich bin einfach überfordert, dachte sie.
Immerhin versuchte sie immer noch, Jillys Adoption zu regeln. Sie hatte das arme Mädchen aus ihrem eigenen Elend gerettet. Als Riley sie gefunden hatte, hatte Jilly versucht, aus reiner Verzweiflung ihren Körper zu verkaufen.
Was hatte sich Riley also bloß dabei gedacht, sich noch einen Teenager ins Haus zu holen?
Sie wünschte sich plötzlich, Blaine wäre noch hier, und sie könne mit ihm reden.
Blaine schien immer zu wissen, was er sagen sollte.
Sie hatte die Ruhe zwischen den Fällen für eine Weile genossen, aber nach und nach hatten sich die Sorgen eingeschlichen, vor allem um ihre Familie und heute auch um Bill.
Es fühlte sich kaum nach Urlaub an.
Riley kam nicht umhin, sich zu fragen....
Stimmt etwas nicht mit mir?
War sie irgendwie unfähig, ein ruhiges Leben zu genießen?
Jedenfalls wusste sie, dass sie sich einer Sache sicher sein konnte.
Diese Flaute würde nicht lange anhalten. Irgendwo beging gerade irgendein Monster eine abscheuliche Tat—und es lag an ihr, es aufzuhalten.
Am nächsten Morgen wurde Riley durch das Vibrieren ihres Telefons geweckt.
Sie stöhnte laut, als sie sich schüttelte, um wach zu werden.
Die Flaute ist wohl vorbei, dachte sie bei sich.