Bücher von Harry Eilenstein:

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Herstellung und Verlag: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783743125513

Die Themen der einzelnen Bände der Reihe „Die Götter der Germanen“

  1. Die Entwicklung der germanischen Religion
  2. Lexikon der germanischen Religion
  3. Der ursprüngliche Göttervater Tyr
  4. Tyr in der Unterwelt: der Schmied Wieland
  5. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 1
  6. Tyr in der Unterwelt: der Riesenkönig Teil 2
  7. Tyr in der Unterwelt: der Zwergenkönig
  8. Der Himmelswächter Heimdall
  9. Der Sommergott Baldur
  10. Der Meeresgott: Ägir, Hler und Njörd
  11. Der Eibengott Ullr
  12. Die Zwillingsgötter Alcis
  13. Der neue Göttervater Odin Teil 1
  14. Der neue Göttervater Odin Teil 2
  15. Der Fruchtbarkeitsgott Freyr
  16. Der Chaos-Gott Loki
  17. Der Donnergott Thor
  18. Der Priestergott Hönir
  19. Die Göttersöhne
  20. Die unbekannteren Götter
  21. Die Göttermutter Frigg
  22. Die Liebesgöttin: Freya und Menglöd
  23. Die Erdgöttinnen
  24. Die Korngöttin Sif
  25. Die Apfel-Göttin Idun
  26. Die Hügelgrab-Jenseitsgöttin Hel
  27. Die Meeres-Jenseitsgöttin Ran
  28. Die unbekannteren Jenseitsgöttinnen
  29. Die unbekannteren Göttinnen
  30. Die Nornen
  31. Die Walküren
  32. Die Zwerge
  33. Der Urriese Ymir
  34. Die Riesen
  35. Die Riesinnen
  36. Mythologische Wesen
  37. Mythologische Priester und Priesterinnen
  38. Sigurd/Siegfried
  39. Helden und Göttersöhne
  40. Die Symbolik der Vögel und Insekten
  41. Die Symbolik der Schlangen, Drachen und Ungeheuer
  42. Die Symbolik der Herdentiere
  43. Die Symbolik der Raubtiere
  44. Die Symbolik der Wassertiere und sonstigen Tiere
  45. Die Symbolik der Pflanzen
  46. Die Symbolik der Farben
  47. Die Symbolik der Zahlen
  48. Die Symbolik von Sonne, Mond und Sternen
  49. Das Jenseits
  50. Seelenvogel, Utiseta und Einweihung
  51. Wiederzeugung und Wiedergeburt
  52. Elemente der Kosmologie
  53. Der Weltenbaum
  54. Die Symbolik der Himmelsrichtungen und der Jahreszeiten
  55. Mythologische Motive
  56. Der Tempel
  57. Die Einrichtung des Tempels
  58. Priesterin – Seherin – Zauberin – Hexe
  59. Priester – Seher – Zauberer
  60. Rituelle Kleidung und Schmuck
  61. Skalden und Skaldinnen
  62. 62 Kriegerinnen und Ekstase-Krieger
  63. Die Symbolik der Körperteile
  64. Magie und Ritual
  65. Gestaltwandlungen
  66. Magische Waffen
  67. Magische Werkzeuge und Gegenstände
  68. Zaubersprüche
  69. Göttermet
  70. Zaubertränke
  71. Träume, Omen und Orakel
  72. Runen
  73. Sozial-religiöse Rituale
  74. Weisheiten und Sprichworte
  75. Kenningar
  76. Rätsel
  77. Die vollständige Edda des Snorri Sturluson
  78. Frühe Skaldenlieder
  79. Mythologische Sagas
  80. Hymnen an die germanischen Götter

Inhaltsverzeichnis

I Thor in der germanischen Überlieferung

I 1. Der Name „Thor“

Der altnordische Name „Thorr“, der heutzutage meistens „Thor“ geschrieben wird, bedeutet „Donnergott“.

Bei den Südgermanen hieß dieser Gott „Donar“, im Altsächsischen „Thunaer“, im Angelsächsischen „Thunor“, im Althochdeutschen „Thorr“, im Urnordischen „Thunrar“ und im Urgermanischen „Thunaraz“.

Da der Donnergott bei fast allen indogermanischen Völkern bekannt ist und seine Namen alle denselben Ursprung haben, muß Thor einer der Götter gewesen sein, der schon von den frühen Indogermanen um 2.800 v.Chr., als sie sich noch nicht in viele Einzelvölker aufgespalten hatten, verehrt worden ist. Die Indogermanen selber haben sich in der Zeit zwischen ca. 7000 v.Chr. und 2800 v.Chr. in der südrussischen Steppe nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaspischen Meeres entwickelt.

Das indogermanische Wort für „Donner“ lautete „tenh“. So wie sich im Altnordischen der Name für den Donnergott („Thorr“) geringfügig von dem Wort für „Donner („thrum, thrym“) unterschieden hat, so unterschied sich auch schon bei den Indogermanen der Name des Donnergottes („Tar“) von dem Wort für „Donner“ („tenh“).

Dieser Name des Donnergottes muß sich in den 4200 Jahren (7000-2800 v.Chr.) entwickelt haben, in denen die Indogermanen in der südrussischen Steppe gelebt haben, da er außerhalb der indogermanischen Völker nicht bekannt ist. „Thor“ ist also im Gegensatz zu einigen anderen germanischen Gottheiten ein rein indogermanischer Gott.

Bei den Südgermanen war die Bezeichnung des Donnergottes und des Donners fast gleich: „Donar“ bzw. „thonara“.

Der indogermanische Name „Tar“ des Donnergottes stammt wahrscheinlich von dem Wort „ter“ für „zittern, schütteln, Angst“ ab. „Tar“ wäre dann „der Schreckliche“, „der Angsteinflößende“ und „der, der den Himmel erzittern läßt“.

Die beiden indogermanischen Worte „tenh“ für „Donner“ und „ter“ für „zittern“ stammen wahrscheinlich von dem eurasiatischen Wort „tunu“ für „hacken, schneiden, Messer“ ab.

Die eurasiatische Sprache wurde in der späten Altsteinzeit (50.000-10.500 v.Chr.) in Asien, Europa und von den Bantus in Nordafrika gesprochen. Auch die Indianersprachen gehören zu dieser Gruppe, da die Indianer erst um ca. 14.000 v.Chr., also gegen Ende der letzten Eiszeit, von Nordostasien aus per Schiff die Küste entlang nach Amerika eingewandert sind.

Einige nicht-indogermanische Beispiele für weitere Ableitungen aus dem eurasiatischen Wort „tunu“ sind das chinesisch-kaukasisch „duru“, das uralische „taru“ und das japanische „dur“, die alle in etwa „zittern“ bedeuten.

Diese Herleitung des indogermanischen Wortes „tenh“ von dem eurasiatischen Wort „tunu“ läßt vermuten, daß der Donner ursprünglich wohl als etwas aufgefaßt worden ist, was zu dem Blitz dazugehört, der als „Hackender“, also als „Messer“ benannt worden ist.

Neben dem indogermanischen Donnergott gab es auch bei den Semiten, die wie die Indogermanen von den frühen Ackerbauern in Mesopotamien abstammen, einen Sturm-, Regen- und Donnergott, der sich von seinen Mythen her jedoch von dem indogermanischen „Tar“ unterscheidet. Er wurde Haddu, Hadadu, Adad oder Adados genannt, was alles „Donner“ bedeutet.

Es ist zwar denkbar, daß dieser Name auch mit dem indogermanischen „Tar“ verwandt ist, aber dies ist sehr unsicher.

Der semitische Donnergott trug auch den Beinamen „Ramman“, was ebenfalls „Donner“ bedeutet. Dieser Name ist möglicherweise mit einem anderen indogermanischen Wort für den Donner verwandt, das „ghromos“ lautet und von dem Verb „ghrem“ für „grollen, stöhnen“ abgeleitet ist.

Die eurasiatische Wurzel dieses Wortes ist „goru“ für „weinen“ oder „guiu“ für „Kälte“ und indirekt somit auch für „zittern“.

Somit läßt sich folgender Stammbaum der Herkunft der drei indogermanischen Worte „tenh“ für „Donner“, „Tar“ für „Donnergott“ und „ghromos“ für „Donnergrollen“ aufstellen:

Der Herkunfts-Stammbaum der indogermanische Worte für „Donner(gott)“
Eurasiatisch Indogermanisch und andere Sprachen
tumu (abschneiden, Messer) indogermanisch: tenh (Donner; vermutlich „der auf das 'Blitz-Messer' Folgende“)
turu (zittern) indogermanisch: Tar (Donnergott) evtl. auch semitisch: Hadad (Donnergott)
goru (weinen) oder guiu (Kälte) indogermanisch: ghromos (Donnergrollen) semitisch: Ramman (Donner, Donnergott)

Es gab noch einen zweiten Namen des Donnergottes, der sich bei einigen indogermanischen Völkern durchgesetzt hat. Er lautete „Perk“ („Eiche“).

Der „Namens-Stammbaum“ des Thor sieht wie folgt aus:

„Thor“ bedeutet „Donner“. Er ist der indogermanische Donnergott, der zwischen 7.000 v.Chr. und 2.800 v.Chr. in der südrussischen Steppe entstanden ist.

I 2. Thor der Ase

Der Donnergott Thor wird in sehr vielen und zudem recht unterschiedlichen Quellen genannt, sodaß er eine der am besten bekannten Gottheiten der Germanen ist.

I 2. a) Asen-Heitis

Von einem namentlich nicht bekannten Skalden ist eine Strophe mit den Namen („Heitis“) der Asen verfaßt worden, in der auch Thor aufgeführt wird. Er steht an zweiter Stelle hinter Odin („Yggr“) und ist daher sehr wahrscheinlich (aus der Sicht dieses Skalden) der zweitwichtigste der Götter.

Ich werde euch

die Asen-Heitis sagen:

Dies sind Yggr und Thor

und Yngvi-Freyr,

Vidar und Baldur,

Vali und Heimdall,

das sind Tyr und Njörd,

weiterhin Bragi,

Hödur, Forseti,

und schließlich ist da noch Loki.

I 2. b) Skaldskaparmal

In diesem Lehrbuch der Skaldenkunst wird Thors zentrale Qualität beschrieben:

„Von welchen Bildern soll man Gebrauch machen, um den Namen 'Thor' zu umschreiben?“

„Man sollte ihn wie folgt nennen: … … … Verteidiger von Asgard, … … …, Gegner und Töter der Riesen und der Troll-Frauen, … … … .“

Es ist fast immer Thor, der durch seine Kraft die Götter aus ihren Schwierigkeiten befreit, die in aller Regel durch die Riesen und die Riesen-Frauen verursacht werden.

I 2. c) Gesta danorum

Die Kraft als wichtigste Eigenschaft des Donnergottes wird auch von dem Mönch Saxo dem Schriftkundigen in seiner „Geschichte der Dänen“ hervorgehoben:

„Donner“ oder „Thor“ ist Wodens Sohn, der Stärkste unter den Göttern und den Menschen.

„Woden“, Wotan“ und „Odin“ sind Varianten desselben Namens: Aus „Uotan“ entstand zunächst über „Wotan“ die Namensform „Wodan“, aus dem dann über „Odan“ schließlich „Odin“ wurde.

I 2. d) Skaldskaparmal

Als Eltern des Thor werden in allen Quellen Odin und Jörd genannt:

„Von welchen Bildern soll man Gebrauch machen, um den Namen „Thor“ zu umschreiben?“

„Man sollte ihn wie folgt nennen: … … … Sohn des Odin und der Jörd, … … … .“

I 2. e) Skaldskaparmal

An einer anderen Stelle diesen Skalden-Lehrbuches, an der die wichtigsten Kenningar für die Erdgöttin Jörd aufgezählt werden, wird nebenbei auch Thors Verwandtschaftsverhältnis zu ihr beschrieben:

„Wie soll man die Erde umschreiben?“

„So: Indem man sie Fleisch des Ymir nennt und Mutter des Thor, … … … “

Ymir ist der Urriese, aus dessen Leib von den Asen die gesamte Welt erschaffen worden ist.

Thor ist nicht nur der Sohn der Erdgöttin, sondern auch der Stiefsohn einer Erdgöttin (Rindr) und zweier Unterweltsgöttinnen (Frigg, Gunnlöd), da Odin mit mehreren Göttinnen bzw. Riesinnen eine Verbindung eingegangen ist.

Die Erdgöttinnen sind auch Jenseitsgöttinnen, da die Gräber in der Erde liegen.

Thor ist somit sehr wahrscheinlich generell der Sohn der Erd- und Jenseitsgöttin.

I 2. f) Harbard-Lied

Thor ist nicht nur der Sohn der Erdgöttin und der Stiefsohn einer Erdgöttin (Rindr) und zweier Unterweltsgöttinnen (Frigg, Gunnlöd), sondern auch selber ein Totengott:

Das Knechtsvolk hat Thor

doch die Könige Odin,

die da fallen im Feld.

I 2. g) Gylfis Vision

In dieser Mythen-Sammlung wird Thor ebenfalls als der „starke Gott“ und als Sohn des Odin und der Jörd beschrieben:

Jörd war Odins Tochter und seine Frau und von ihr gewann er seinen erstgeborenen Sohn: das ist Asathor; ihm folgen Kraft und Stärke, daß er siegt über alles Lebendige.

„Asathor“ bedeuten „Asen-Thor“, also „Thor, der Ase“.

I 2. h) Gylfis Vision

Der zweitstärkste Gott ist Widar – und „Widar“ ist einer der vielen Namen des Odin. Ursprünglich ist „Widar“ vermutlich ein Beiname des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr gewesen. Da Widar nur der zweitstärkste Gott ist, muß Thor stärker als sein Vater Odin sein.

Diese „größte Stärke“ liegt vor allem in der Wiedergeburts-Symbolik begründet, aufgrund der der Sohn eines Gottes in vielen Fällen mit seinem Vater identisch und nicht ein anderer Gott ist. Da der alte Vater-Gott am Abend wie die Sonne stirbt und der junge Sohn-Gott am Morgen wie die Sonne wiedergeboren wird, muß der junge Sohn stärker als der alte Vater sein. Diese Logik findet sich mehrfach in den Mythen der Germanen.

Widar heißt einer, der auch der schweigende Ase genannt wird. Er hat einen dicken Schuh, und er ist der stärkste nach Thor. Auf ihn vertrauen die Götter in allen Gefahren.

Die Götter vertrauen in allen Gefahren auf Widar, weil Widar der Göttervater Odin ist.

I 2. j) Skaldskaparmal

Ein wichtiger Besitz des Donnergottes ist sein Wagen, der von Ziegenböcken gezogen wird.

So sang Kormakr:

„Weit mehr Ruhmeslieder

singe ich über Hakons großen Sohn:

Ich zahle ihm die Lieder-Schuld der Götter.

Thor sitzt in seinem Wagen.“

In den letzten Zeilen der Strophen des Liedes, aus dem diese Verse stammen, hat der Skalde Kormak hin und wieder Kommentare zu den Bildern in der Halle seines Fürsten, für den er dieses Lied singt, eingefügt.

I 2. k) Gesta danorum

Saxo grammaticus schildert Thor noch ein zweitesmal als den Stärksten:

Ragnar fürchtete sich vor keiner menschlichen oder übernatürlichen Macht außer vor dem Gott Thor, mit dessen gewaltiger Kraft nichts anderes Menschliches oder Göttliches verglichen werden kann.

I 2. l) Skaldskaparmal

In diesem Lehrbuch für angehende Skalden findet sich eine Strophe, die einige der Beinamen des Thor aufzählt:

Thor wird Atli

und Asabragr genannt,

er ist Ennilangr

und Eindridi,

Björn, Hlorridi

und Hardveorr,

Vingthorr, Sönnungr,

Veodr und Rymr.

Diese Namen haben folgende Bedeutungen:

Beinamen des Thor
Name Übersetzung die dem Namen zugrundeliegende Vorstellung
Björn Bär Stärke des Thor, Berserker
Hardveorr stärker Beschützer Stärke des Thor, Beschützer
Vingthorr Stier, Penis Stärke des Thor; Wiederzeugung (?)
Atli Großvater Beschützer
Veodr Tempel-Wächter Beschützer seiner Tempel
Eindridi allein Reitender Einzelkämpfer
Hlorridi lauter Reiter Thor verursacht mit seinem rumpelnden Ziegenwagen den Donner
Rymr Lärmer Verursacher des Donners, Kampflärm
Asabragr Asen-Fürst ehrerbietige Umschreibung
Sönnungr Wahrhaftiger Eid-Gott
Ennilangr Lang-Stirn möglicherweise ein Bezug zu dem Steinsplitter in seiner Stirn

Diese Namen zeigen, daß Thor

I 2. m) Skaldskaparmal

Die meisten der in den Thor-Kenningarn beschrieben Qualitäten des Donnergottes werden von einer weiteren Kenningar aus der Skaldskaparmal auf den Punkt gebracht:

„Von welchen Bildern soll man Gebrauch machen, um den Namen 'Thor' zu umschreiben?“

„Man sollte ihn wie folgt nennen: … … … Midgards Verteidiger, … … … .“

Midgard ist die Erde in der Mitte der Welt, auf die die Menschen leben – Thor ist der Beschützer der Menschen, d.h. der ihn verehrenden Germanen.

I 2. n) Egil-Saga

Manchmal hat man Thor auch Eigenschaften zugeschrieben, die eigentlich zu Odin gehörten wie z.B. das Bestimmen, wer in der Schlacht fällt und wer nicht:

Kvedulf sang eine Strophe:

Thorolf von den Nord-Insel

(Oh grausame Nornen!) ist tot:

Viel zu früh hat der Donnergott

mir meinen Krieger-Sohn genommen!

Thors schwerer Ringkampfgegner, das Alter,

hält meine schwachen Glieder dem Kampf fern –

ich kann ihn nicht schnell rächen …

Das Motiv des Alters als Ringkampfgegner des Thor wird in einem späteren Kapitel („Thor und Utgardloki“) besprochen.

I 2. o) Kenningar

In den Kenningarn zeigt sich, welche Eigenschaften des Thor insbesondere für die Skalden wichtig gewesen sind.

Ase Thor Snorri Sturluson Thulur
Thjodolfr Arnor- Sohn Lausavisur
Schmuck-Oddr Bruchstücke
Thor Donnergott Egil Egil-Saga
Thor Rymr der Laute (Donnergott) Snorri Sturluson Thulur
Thor Donner-Halter Kormak Kormak- Saga
Thor Asa-Thor Asen-Thor anonym Snorri Sturluson Harbad-Lied Gylfaginning
Thor Asabragr Asen-Fürst Snorri Sturluson Thulur
anonym Skirnir-Lied
Thor Odins Sohn anonym anonym Vision der Seherin Hymir-Lied
anonym Harbard-Lied
Thor der von Odin Erzeugte anonym Hymir-Lied
Thor Siegvaters erhabener Sohn Siegvater = Odin Snorri Sturluson Gylfis Vision
Thor Sohn des Vaters der Menschen Bragi der Alte Skaldskaparmal
Thor Sohn der Jörd Jörd = Erde anonym Thrym-Lied
anonym Lokasenna
Olvir der Dieb Fragment
Thor Hlodyns schöner Erbe Hlodyn = Jörd anonym Vision der Seherin
Snorri Sturluson Gylfis Vision
Thor Fiörgyns Sohn Fiörgyn = Jörd anonym Vision der Seherin
Thor tapfere Sohn der Land- enge Landenge = Erdgöttin Jörd, Thors Mutter Eilifir Godrunason Thorsdrapa
Thor Meilis Bruder anonym Harbard-Lied
Thor Sifs Gemahl anonym Hymir-Lied
Thor Sifs Herr Grettir Grettir-Saga
Thor Magnis Vater anonym Harbard-Lied
Thor Modis Vater anonym Hymir-Lied
Thor Ennilangr Lang-Stirn Snorri Sturluson Thulur
Thor Eindridi Allein-Reitender Snorri Sturluson Thulur
Thjodolfr von Hvini Haustlöng
Einarr Schreihals Helgason Vellekla
Thor Hlorridi Lauter Reiter (Donner) Snorri Sturluson Thulur
Einarr Schreihals Helgason Vellekla
anonym Hymir-Lied (5x)
anonym Lokasenna
anonym Thrym-Lied (4x)
Starkadr der Alte Störvirksson Vikarsbalkr
Einarr Klingel- waage Helgason Vellekla
Thor Rida Reiter Thjodolfr von Hvini Haustlöng
Thor Wagenlenker anonym Alwis-Lied
Thor Ziegenbock-Besitzer Ulfr Uggason Husdrapa
Thor Gebieter der Ziegenböcke anonym Hymir-Lied (2x)
Thor Bilskirnirs Herr Bilskirnir = Thors Halle Gamli der über- ragende Skalde Thor-Lied
Thor Vingthorr Stier, Penis Snorri Sturluson Thulur
anonym Thrym- Lied
anonym Alwis-Lied
Thor der die Götter stärkt anonym Harbard-Lied
Thor furchterregender Freund der Götter Ulfr Uggason Husdrapa
Thor Veodr, Veur der im Tempel ist Snorri Sturluson Thulur
anonym Völuspa
anonym Hymir-Lied
Thor Freund der Menschen anonym Hymir-Lied
Thor Midgards Segner Midgard = Erde anonym Vision der Seherin
Thor Sönnungr Wahrhaftiger Snorri Sturluson Thulur
Thor Hardveorr Stark-Schützender Snorri Sturluson Thulur
Thor Ungestümer „Choleriker“ anonym Hymir-Lied
Thor Atli Großvater Snorri Sturluson Thulur
Thor Schlangen-Angreifer Schlange = Jörmungandr Snorri Sturluson Hattatal
Thor Widersacher der Riesen anonym Hymir-Lied
Thor Zerschmetterer des Berg-Geschlechtes anonym Hymir-Lied
Thor Thursen-Töter anonym Hymir-Lied
Thor Herausforderer der Leute der Knochen des Landes Knochen des Landes = Felsen; Felsen-Leute = Riesen Ulfr Uggason Husdrapa
Thor der in voller Kraft stehende Fäller der Berg-Goten Berg-Gote = Riese Ulfr Uggason Husdrapa
Thor Feind der Troll-Frauen Snorri Sturluson Hattatal
Thor Feind der Troll-Frau Snorri Sturluson Hattatal
Alter Thors Ringkampf-Partnerin die Riesin Elli = das Alter anonym Egil-Saga
Thor Vid-Gymir Gymir = Meeresriese = Tyr; Thor ist der junge, wiedergeborene Sonnengott-Göttervater Tyr, der morgens aus dem Jenseitswasser (Vid = Bucht) auftaucht Ulfr Uggason Husdrapa
Thor berühmter Gott Ulfr Uggason Husdrapa
Thor Björn Bär (Berserker) Snorri Sturluson Thulur
tot Thors grimmige Maske tragen unklare Anspielung Gisli Gisli-Saga

Thor ist der Donnergott, der Sohn des Odin und der Jörd, der Mann der Sif und der Vater von Modi und Magni.

Er reitet alleine und er reitet laut – was den Donner erzeugt.

Er fährt in einem von Ziegen gezogenen Wagen.

Er ist der Beschützer der Götter und Menschen und wird in seinem Tempel verehrt.

Er tötet die Riesen und die Riesinnen.

Er ist der Nachfolger des Tyr als junger, am Morgen wiedergeborener Sonnengott-Göttervater.

I 2. p) Lachstal-Saga

Zumindestens in der Spätzeit der germanischen Religion kurz vor der Christianisierung glaubten nicht mehr alle Nordgermanen uneingeschränkt an ihre Götter:

Der König lächelte und sprach: „Man kann an der Miene des Kjartan erkennen, der er mehr auf seine Waffen und seine Stärke vertraut als auf Thor und Odin.“

I 2. o) Heimskringla

Entsprechend der um 1200 n.Chr. üblichen christlich-historischen Lehrmeinung sind die Götter der Germanen (und ebenso alle anderen nicht-christlichen Gottheiten) als Könige und Helden der Vorzeit angesehen worden.

Von Odinsey auf Fünen aus schickte Odin die Gefjun nach Schweden, welche nun von Gylfi für ihn Seeland bekam.

Da Odin hörte, dass hier die kürzlich verstorbene Jörd verehrt werde, gab er sie für seine erste Frau und den Thor für ihrer beider Sohn aus und sicherte dadurch auch sich selber größeres Ansehen.

I 2. p) Fortsetzung des Edda-Prologs

Dasselbe wie für den vorigen Text gilt auch für die folgenden Zeilen: Sie sind von einem christlichen Standpunkt aus umgedeutete Mythen.

Die Asen setzten sich jedoch zu einem Ratsgespräch zusammen und besprachen all die Dinge, die sie gerade dem Gylfi erzählt hatten, und gaben genau die (mythologischen) Namen, die eben genannt worden waren, den Menschen und den Orten dort (Schweden), damit dann, wenn lange Zeiten vergangen sein werden, die Menschen keinen Zweifel daran haben würden, daß sie alle dieselben gewesen sind – die Asen, über die in den Geschichten oben berichtet wurde, und die, denen nun dieselben Namen gegeben wurden.

So wurde nun einem von ihnen der Name Thor gegeben – und damit war der alte Thor der Asen, also Ökothor gemeint – und ihm schrieben sie die Taten zu, die Thor, also Hek-tor, in Troja vollbracht hat.

Und man glaubt, daß die Türken (Bewohner von Troja) Geschichten über Odysseus erzählten und daß sie ihm den Namen Loki gaben, weil die Türken ihm gegenüber besonders feindlich gesonnen waren.

Hektor: Hektor war der älteste Sohn des Königs Priamos von Troja. Er soll bei den Germanen zu dem Gott Thor, dem ältesten Sohn des Asen-Königs Odin, geworden sein.

Loki: Die Trojaner waren „Türken“ und Odysseus ein Grieche – beide Parteien führten den Trojanischen Krieg gegeneinander.

I 2. q) Gesta danorum

Der folgende Text ist eine Betrachtung des Odin aus der Sicht des christlichen Mönches Saxo der Schriftkundige, der die „Geschichte der Dänen“ verfaßt hat.

Denn in jener alten Zeit gab es gewisse Männer, die in der Zauberkunst bewandert gewesen sind – namentlich Thor und Odin, aber auch viele andere, die geschickt darin waren, erstaunliche Täuschungen zu vollbringen – und diese konnten dadurch, daß sie den Geist der einfachen Leute beeindruckten, allmählich in den Rang von Göttern aufsteigen.

Eine sehr christliche Deutung …

Sie fingen vor allem in Norwegen, Schweden und Dänemark die Leute durch deren arglose Gutgläubigkeit ein und drängten diese Länder dazu, sie zu verehren und betrogen sie durch ihre Anmaßung.

Die Wirkung ihres Betruges breitete sich so weit aus, daß alle Menschen eine Art von göttlicher Macht in ihnen verehrten und diese Erfinder von Zauberkunststücken mit feierlichen Gebeten verehrten, da sie glaubten, daß sie entweder Götter seien oder mit Göttern in Verbindung stehen würden, und ihnen daher in gotteslästerlichem Irrtum die Ehre gaben, die nur der Religion gebührt.

Daher ist es dazu gekommen, daß die 'Heiligen Tage' in ihrer festgelegten Reihenfolge unter uns nach den Namen dieser Männer benannt worden sind, denn von den alten Römer ist bekannt, daß sie diese Tage entweder nach ihren Göttern oder nach den Planeten benannt haben – sieben an der Zahl.

Doch man kann schon an den Namen dieser 'heiligen Tage' selber ganz deutlich sehen, daß jene Subjekte, die von unseren Landsleuten verehrt worden sind, nicht dieselben sein können, die von den Römern Jupiter und Merkur genannt worden sind, und auch nicht diejenigen, denen die Griechen und Römer ihre Götzenanbetung dargebracht haben – denn die Tage, die unter unseren Landsleuten Thors-Tag und Odins-Tag genannt werden, haben die Alten den 'Heiligen Tag des Jupiter' oder den 'Heiligen Tag des Merkur' genannt.

dänisch englisch deutsch
Thors-Tag tuesday Dienstag (Donars-Tag)
Odins-Tag wednesday (Wodans-Tag) Mittwoch (Vermeidung des Namens „Odin“)

Wenn wir daher gemäß der Unterscheidung, die sich aus der Deutung ergibt, die ich angeführt habe, annehme, daß Thor Jupiter und Odin Merkur ist, dann folgt daraus, daß Jupiter der Sohn des Merkur ist – wenn diese Annahme unserer Landsleute stimmen sollte, die nach weitverbreitetem Glaube Thor für den Sohn des Odin halten.

Da die Römer jedoch im Gegensatz dazu glaubten, daß Merkur von Jupiter abstammt, müssen wir, wenn wir deren Vorstellung ernst nehmen, schlußfolgern, daß Thor nicht derselbe wie Jupiter sein kann und daß sich ebenso Odin von Merkur unterscheidet.

Es gibt auch einige Genealogien, in denen Odin der Nachkomme des Thor ist – diese sind jedoch wahrscheinlich neueren Datums.

Doch davon einmal abgesehen, haben die Römer und Germanen das Wesen ihrer Götter miteinander verglichen und sie auf diese Weise gleichgesetzt – die Anordnung dieser Götter in Familien und Sippen ist im Vergleich zu ihrem Charakter sekundär.

Saxo dem Schriftkundigen, der die Gesta danorum verfaßt hat, ist zudem auch nicht bewußt, daß sich auch der Charakter von Gottheiten im Laufe der Zeit ändert – man vergleiche nur einmal die Beschreibungen von Gott Vater im Alten Testament und im Neuen Testament.

Einige sagen, daß die Götter, die unsere Landsleute verehrt haben, lediglich den Titel mit denen gemeinsam haben, die von den Griechen und Römern verehrt worden sind, und daß sie, die jenen an Ehrwürdigkeit fast gleichgekommen sind, von jenen lediglich sowohl die Verehrung als auch den Namen geborgt haben.

Dies muß eine ausreichende Ausführung über die Götter des dänischen Altertums sein. Ich habe dies kurz zum allgemeinen Nutzen ausgeführt, damit meine Leser klar erkennen, welcher Verehrung unser Land in seinem heidnischen Aberglauben sein Knie gebeugt hat.

Nun will ich zu dem Thema zurückkehren, das ich zuvor verlassen habe.

I 2. r) Chronicon Lethrense

Auch in der dänischen „Chronik der Könige von Lejre“ werden die Mythen von Baldur („Balder“), Hödur („Hother“), Odin („Othen“), Wali („Both“) und Thor als ein Teil der Königs-Annalen angesehen:

Danach war Hodbrods Sohn Hother, der Sohn von Haddings Tochter, König – denn er war der nächste Erbe.

Hothers Vater war Hodbrod und seine Mutter die Tochter des Hadding.

Er war der König des Sachsenlandes. Er tötete Othens Sohn Balder in einer Schlacht, und verfolgte Othen und Thor und seine Begleiter. Sie wurden als Götter angesehen, obwohl sie keine waren. Später wurde er in einer Schlacht von Othens Sohn Both getötet.

I 2. s) Über Fornjot und seine Verwandten

Thor erscheint auch in dieser Mythe in einer Genealogie der germanischen Götter und Könige:

… sein Sohn wurde Thror genannt, den wir Thor nennen;

dessen Sohn war Lorich (nach anderen Quellen Thors Ziehvater Loricus), den wir Hlorridi (ein Beiname des Thor) nennen,

… … … sein Sohn war Frjalaf, den wir Bors nennen,

dessen Sohn war Voden, den wir Odin nennen. Er war der König der Türken.

Sein Sohn war Skjold,

dessen Sohn Fridleif …

I 2. t) Nordische Redewendungen

- der bärtige Frühjahrs-Thor -

In Jütland wird der Monat März „Läkke“ oder „Thor“ genannt. Dazu gibt es folgenden Spruch:

„Der Läkke-Mann mit seinem langen Bart holt das Kind von der Wand fort.“ bzw.:

„Thor mit seinem langen Bart holt das Kind von der Wand fort.“

Dieser Spruch bedeutet, daß Thor den Frühling bringt und daß dann die Kinder wieder aus dem Haus („Wand“) herauskommen und draußen sein können.

Thor ist offenbar auch ein Gott, der mit den Jahreszeiten verbunden war und der anscheinend den Winter vertreibt.

- Feuer-Thor -

Im 19. Jahrhundert gab es Norwegen die Umschreibung „Thorsvarme“ für den Blitz. Wörtlich bedeutet dieser Begriff „Thors-Wärme“, aber es wird wohl „Thors-Feuer“ gemeint sein.

- Donner-Thor -

Zur gleichen Zeit sagte man in Schweden, wenn es donnerte: „godgubben afar“. Das bedeutet „Der gute Alte reitet aus.“ Dies ist offensichtlich eine Anspielung auf Thors Ziegenbock-Wagen.

- Thor Langbart -

In einem dänischen Lied findet sich der Vers „Thor mit seinem langen Bart“.

- Der rothaarige Donnergott -

In einer Redewendung aus Friesland wird auch die Farbe seines Haares (und Bartes?) genannt: „Soll sich doch der rothaarige Donnerer darum kümmern!“

I 2 u) Huldar-Saga

In dieser späten Saga ist das Wesen des Thor („Asathorr“) schon sehr undeutlich geworden: Er wird als ein Riese aufgefaßt.

Hleidr selbst aber war eine Tochter des Riesen Svadi (Tyr), welchen sein Verwandter Asathorr dahin gewiesen hatte, als er wegen Todschlagssachen aus den Byrgis-Tal landesflüchtig geworden war, und der von ihm geraubten Herborg Haddings-Tochter aus Telemark.

I 2. v) Die Saga über Halfdan Eysteinn-Sohn

Svadi war der Sohn des Gottes Thor. Val besaß ein Schwert, das Hornhjalti genannt wurde. Es war mit Gold eingelegt und die Schläge mit ihm verfehlten niemals ihr Ziel.

Thor erscheint hier als Sohn des Tyr-Svadi – Thor hat tatsächlich bei der Absetzung des ehemaligen Sonnengott-Göttervaters Tyr die Rolle des jungen, wiedergeborenen Tyr übernommen.

Das magische Schwert des Val wird einst das Schwert des Tyr gewesen sein.

I 2. w) Heimskringla

Als die Christianisierung in Skandinavien immer weiter voranschritt, wurden auch Geschichten erzählt, in denen die alten Götter nach und nach ihre frühere Bedeutung verloren und zunehmend als nicht real angesehen wurden. Vermutlich hat vor allem König Olaf, der Norwegen christianisiert hat, diese Geschichten in Umlauf gebracht.

Als König Olaf Tryggvason vor Sizilien lag, wo er Schutz vor einem Sturm gesucht hatte, der ihn von seinem beabsichtigten Kurs abgetrieben hatte, hörte er, daß auf der Insel Tresco ein Seher lebte, von dem gesagt wurde, daß er sehr begabt darin wäre, die Dinge zu erkennen, die noch nicht geschehen waren. Olaf spürte ein Verlangen, die Sehergabe dieses Mannes auf die Probe zu stellen.

Olaf verkleidete einen seiner Männer als König und schickte ihn zu dem Seher. Als dieser den Schwindel aber sofort erkannte und zudem noch einige Dinge sagte, die er nicht wissen konnte, war König Olaf überzeugt und begab sich selber zu dem Seher. Nach einem längeren Gespräch erklärte dieser christliche Seher dem König, was er von den alten Göttern hielt:

Es schien, daß Cerdic der Name dieses Einsiedler war. Er war einst ein Leibeigener von Nordmännern gewesen und hatte Olafs Vater, König Tryggvi gekannt, dem Olaf von seiner Erscheinung her ähnlich sah. Er konnte die nordische Sprache sehr gut sprechen und seine sanfte und freundliche Stimme beruhigte alle, die sie hörten.

Zunächst sprach er von den Einstellungen der heidnischen Männer, von ihrer von Rache geprägten Einstellung und von ihrer Grausamkeit in der Kriegsführung und er verurteilte die Blutopfer und die Verehrung der geschnitzten Götterbilder.

„Solche Götter wie Odin und Thor, Njörd und Freyr,“ sagte er, „sind nur die Schöpfungen der dichterischen Phantasie der Menschen und es gab sie nicht wirklich.

Odin ist einst ein irdischer Mann gewesen mit allen seinen Fehlern und Sünden.

Das Erdbeben und der Donner hat nichts mit dem Rollen von Thors Streitwagen oder dem Werfen von Thors Hammer zu tun.

Die Wogen des Meeres werden sich im Zorn erheben und auch wieder in den Frieden zurückkehren, auch wenn der Name Njörd nie ausgesprochen worden wird.

Und die Jahreszeiten werden aufeinander folgen, auf den Feldern und den Weiden wird auch ohne den Segen des Freyr alles wachsen.“

Thor ist der Freund und Beschützer der Menschen und auch ihrer Tempel. Bei seinem Namen legten die Germanen Eide ab. Der Donnergott vertrieb den Winter und brachte auch den Frühling. Er ist der stärkste aller Götter.

Der Donnergott tötet die Riesen und alle anderen Feinde der Menschen, d.h. der ihn verehrenden Wikinger.

Er ist auch der Totengott der Knechte. Sein Vater Odin ist der Totengott der Fürsten und der im Krieg gefallenen Krieger.

Thor ist der Sohn des Göttervaters Odin und der Erdgöttin Jörd. Seine Frau ist die Korngöttin Sif.

Die Blitze entstehen dadurch, daß Funken von den eisenbeschlagenen Rädern seines Wagens stieben. Der Donner ist das Rollen seines Wagens über den Himmel.

Thor hat eine hohe Stirn und einen roten Bart.

I 3. Thor und Hymir

Die Mythe, die über Thors „Angelpartie“ mit dem Riesen Hymir berichtet, ist in vier Liedern und einer auf ihnen beruhenden Erzählung überliefert worden und ist zudem in mindestens vier Bildern dargestellt worden. Da eine solche Fülle für die germanischen Mythen ungewöhnlich ist, muß diese Mythe recht wichtig gewesen sein.

I 3. a) Ragnarsdrapa

Dieses Lied wurde um ca. 850 n.Chr. von Bragi Boddason dem Alten verfaßt, der von den Germanen als der Begründer ihrer Dichtkunst angesehen worden ist. Dieses Lied ist die älteste Beschreibung des Kampfes des Thor mit der Midgardschlange.

Es wird mir gezeigt, daß in früher Zeit

der Sohn des Allvaters seine Kraft

mit der seegepeitschten Schlange

der Erde messen wollte.

„Es wird mir gezeigt“ bedeutet, daß Bragi die von ihm beschriebenen Bilder auf einem Prunk-Schild sieht.

Der „Allvater“ ist Odin. Der „Sohn des Allvaters“ ist Thor.

Die „Schlange der Erde“ ist die Midgardschlange „Jörmungandr“ („Erd-Stab“), die kreisförmig im Meer ganz Midgard (die Menschenwelt) umgibt.

Kenning-freie Übersetzung der Strophe: „Mir wird auf dem Schild gezeigt, daß in früher Zeit Thor seine Kraft mit Jörmungandr messen wollte.“

Starkbarts Ängstiger

ergriff den Hammer

mit seiner rechten Hand,

als er den Grenzfisch aller Länder erblickte.

„Starkbart“ ist ein Riese – vermutlich ein Tyr-Riese. „Starkbarts Ängstiger“ ist Thor.

Der „Grenzfisch aller Länder“ ist Jörmungandr, der die kreisförmige Grenze im Meer zwischen Midgard in der Mitte und dem äußeren Wall von Utgard bildet.

Kenning-freie Übersetzung der Strophe: „Thor ergriff den Hammer mit seiner rechten Hand, als er Jörmungandr erblickte.“

Die Angelschnur von Vidrirs Erbe

war alles andere als schlaff

auf Eynafirs Schneeschuh,

als Jörmungandr sich auf dem Meeresboden entrollte.

„Vidrir“ ist Odin. „Vidrirs Erbe“ ist Thor.

„Eynafir“ ist ein Seekönig (Wikinger-Anführer). „Eynafirs Schneeschuh“ oder „Eynafirs Ski“ ist daher ein Schiff.

Kenning-freie Übersetzung der Strophe: „Die Angelschnur des Thor war auf dem Boot straff gespannt, als sich Jörmungandr auf dem Meeresboden entrollte.“

Und von unten starrte

der abscheuliche Riemen des Pfades

des mit Seiten-Rudern bewegten Schiffes

auf Hrungnirs Kopf-Splitter, …

(Der in dieser Strophe begonnene Satz wird in der nächsten Strophe fortgesetzt.)

Der „abscheuliche Riemen“ ist Jörmungandr – sowohl ein Riemen als auch eine Schlange sind lang, dünn und biegsam.

Der „Pfad des Schiffes“ ist das Meer. Das „Schiff“ wird vermutlich ein Drachenboot gewesen sein. Diese Schiffe konnten sowohl gesegelt als auch gerudert werden.

Mit „Hrungnirs Kopf-Splitter“ ist Thor gemeint, in dessen Kopf ein Splitter von dem Schleifstein steckte, mit dem der Riese Hrungnir gegen Thor gekämpft hatte.

Kenning-freie Übersetzung der Strophe: „Und von unten starrte Jörmungandr auf Thor …“

… als der sich windende Aal

des Völsungen-Tranks sich ringelnd

an dem Haken des Ringkampf-Gegners

der Seeleute des alten Litr hing.

„Litr“ war ein Riese. Seine „Seeleute/Freunde“ sind die Riesen. Der „Ringkampf-Gegner der Riesen“ ist Thor.

Mit der Kenning „Völsungen-Trank“ ist Gift gemeint, da König Völsungs Enkel Sinfjötli, der Halbbruder von Sigurd Drachentöter, an einem Kelch voll Gift gestorben ist. „Der sich windende Aal des Völsungen-Trankes“ ist Jörmungandr, der hier als „giftspeiend“ wie eine Schlange dargestellt wird.

Kenning-freie Übersetzung der Strophe: „… als er sich windend an Thors Angelhaken hing.“

Der Wind-Sender, der, der Thors

dünne Schnur des Landes der Seemöwen durchschnitt,

wollte nicht, daß der gewundene

Aufwühler der Wellen gehoben wurde.

Der „Wind-Sender“ ist offensichtlich der Riese Hymir, der aus Angst vor der Midgardschlange die Angelschnur des Thor durchschneidet (siehe „Hymir-Lied“).

Der Wind wurde den germanischen Mythen zufolge von dem Riesen Hraesvelgr („Leichenfresser“) erzeugt, der die Gestalt eines Adlers hatte (daher sein Name „Aasfresser“). Dieser Riese in Adlergestalt wohnte am „Ende des Himmels“ (Wafthrudnir-Lied). Auch von Hymir wird berichtet, daß er am „Ende des Himmels“ lebt (Hymir-Lied).

Da der Riese Hymir der Vater des ehemaligen Göttervaters Tyr ist und der Seelenvogel des Göttervaters bei den Indogermanen der Adler ist, verwundert der Hymir-Adler-Tyr-Riese am Horizont nicht allzusehr – zumal der Göttervater auch der Sonnengott ist und daher des Morgens als wiedergeborene Sonne oder als Adler-Seelenvogel im Diesseits erscheint und bei seinem Tod am Abend wieder in das Jenseits eingeht.

Das „Land der Seemöwen“ ist das Meer; die „dünne Schnur des Meeres“ ist die Angelschnur.

Der „Aufwühler der Wellen“ ist Jörmungandr.

Kenning-freie Übersetzung der Strophe: „Hymir durchschnitt Thors dünne Angelschnur, weil er nicht wollte, daß Jörmungandr aus dem Meer gezogen wird.“

Der Geber der Wellen-Kohlen,

der Thors schlanke Schnur durchschnitt,

die Leine der See-Sturmmöwen,

liebte es nicht, gegen die wütende See anzukämpfen.

Der „Geber der Wellen-Kohlen“ ist offensichtlich der Riese Hymir. Die „Wellen-Kohlen“ sollten etwas sein, das von seiner Form oder seinem Material her Kohlen gleicht, aber mit den Wellen zu tun hat und zudem von Hymir „gegeben“ werden kann.

Dies Kenning erinnert daran, daß auch Jörmungandr „Kohlen-Fisch“ genannt wurde – vielleicht stellte man ihn sich schwarz vor.