Über dieses Buch

Cover

Auf der Blackberry Hill Farm gleitet eine Schlange unter eine alte Betonplatte. Der alarmierte Schlangenfänger findet jedoch etwas ganz anderes: ein Skelett. Ein Fall für Sergeant Alan Auhl, der verstaubte Cold Cases bearbeitet. Warum haben die Erinnerungen der mürrischen Anwohner so viele Lücken?

Garry Disher

Garry Disher (*1949) wuchs im ländlichen Südaustralien auf. Seine Bücher wurden mit mehreren Preisen ausgezeichnet, darunter der wichtigste australische Krimipreis, der Ned Kelly Award, dreimal der Deutsche Krimipreis sowie eine Nominierung für den Booker Prize.

Peter Torberg

Peter Torberg (*1958) studierte in Münster und in Milwaukee. Seit 1990 arbeitet er hauptberuflich als freier Übersetzer, u. a. der Werke von Paul Auster, Michael Ondaatje, Ishmael Reed, Mark Twain, Irvine Welsh und Oscar Wilde.

Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Hardcover, Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

Mehr Informationen, Pressestimmen und Dokumente finden Sie auch im Anhang.

Garry Disher

Kaltes Licht

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Peter Torberg

E-Book-Ausgabe

Mit einem Bonus-Dokument im Anhang

Unionsverlag

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Impressum

Dieses E-Book enthält als Bonusmaterial im Anhang 3 Dokumente

Die Originalausgabe erschien 2017 bei The Text Publishing Company, Melbourne.

Deutsche Erstausgabe

Lektorat: Anne-Catherine Eigner

Originaltitel: Under the Cold Bright Lights

© by Garry Disher 2017

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Peter Löffelholz

ISBN 978-3-293-31040-7

Diese E-Book-Ausgabe ist optimiert für EPUB-Lesegeräte

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Version vom 05.01.2021, 12:29h

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1

An einem milden Oktobermorgen glitt in der Nähe von Pearcedale, südöstlich von Melbourne, eine Schlange auf dem Weg von hier nach da über die Ecke einer Veranda. Nathan Wright, der nach dem Frühstück in der Haustür stand und aus müden Augen seinen verdorrten Rasen betrachtete, bemerkte die Bewegung aus dem Augenwinkel: Ein verfluchter großer Kupferkopf schlängelte sich über seine Veranda. Wohin wollte er? Etwa zu seiner Frau und seiner Tochter? Jaime klammerte auf dem Rasen neben dem Haus Babyoveralls an die Wäscheleine, Serena Rae lag zu ihren Füßen auf einer pinkfarbenen Decke.

Als Nathan nach ein paar Sekunden – Wochen – seine Stimme wiederfand, zeigte er hin und quäkte: »Schlange!«

Jaime richtete sich vom Waschkorb auf und schaute in die Richtung, in die er zeigte. Sie ließ ein pinkfarbenes Unterhemdchen fallen, spuckte eine Wäscheklammer aus, schnappte sich Serena Rae von der Decke und stolperte mit leisem Entsetzensschrei rückwärts davon. Die Schlange glitt weiter über fleckiges Gras und Erde auf eine verwitterte, mehrere Tischplatten große Betonfläche zu. Niemand wusste, wozu diese alte Platte mal gedient haben mochte. Als Fundament eines abgerissenen Gartenschuppens? Oder eines Hühnerstalls? Sie war geborsten und an einigen Stellen löchrig, wirkte aber massiv, und Jaime hatte schräg in einer Ecke einen Gartenstuhl hingestellt, wo sie gern in der Sonne las, Erbsen pulte oder Serena Rae stillte.

Die nichts ahnende Schlange steckte die Schnauze in ein Loch, das Nathan viel zu klein vorkam, und schob sich vermittels einer Reihe langsamer, kräftiger Muskelkontraktionen unter den Beton. Schon bald war ein Viertel des langen Leibes verschwunden. Jaime und Nathan schauten entsetzt zu. Serena Rae nahm den feuchten Daumen aus dem Mund und zeigte hin. »Ja, Schätzchen, Schlange«, sagte Jaime zittrig.

Nathan riss sich mit Gewalt aus der Lähmung. Eine Schlange direkt bei seinem Haus? Niemals, verflucht. Er rannte zum Anbau hinter der Garage, wo er Brennholz und Gartengeräte lagerte.

»Nathan!« Jaime drückte sich Serena Rae an die Brust. »Wo willst du …«

»Axt!«

Sie riss den Mund auf, dann begriff sie: Er wollte die Schlange zerteilen. Sie schaute, wie er verschwand, dann mit der Axt wieder auftauchte und leicht tollpatschig die noch sichtbare Hälfte der Schlange ins Visier nahm.

»Nicht!« Panik lag in ihrer Stimme.

Nathan blieb verwirrt stehen. »Was?«

»Sie könnte schwanger sein.«

Irgendwo hatte sie gelesen, dass dann Dutzende von Babyschlangen aus dem geteilten Leib kriechen und in alle möglichen Richtungen verschwinden, um zu wachsen und zu gedeihen und kleine Kinder zu beißen.

»Und außerdem«, fuhr sie fort und versuchte, sich zu beruhigen – Nathan wirkte noch viel stärker außer Fassung, als sie sich fühlte –, »Schlangen stehen unter Schutz.«

»Was? Scheiß drauf.«

»Und was, wenn das vordere Ende zurückkommt und dich beißt?«

Das hielt Nathan für unwahrscheinlich, aber er hatte sowieso nicht vorgehabt, der Schlange allzu nahe zu kommen, und nun war es zu spät. Die Schlange war in ihrem Loch verschwunden.

Trotzdem änderte das nichts an der Tatsache: Sie hatten eine Schlange.

Nathan ging zum Anbau zurück und nahm ein paar alte rote Ziegelsteine. Er näherte sich der Betonplatte, als würde es sich um ein Nest glühender Kohlen handeln, hastete über die Oberfläche, knallte die Ziegel auf das Schlupfloch und machte, dass er wegkam. Er wischte sich den Ziegelstaub von den Händen und ging zu seiner Frau, die sich auf die Veranda zurückgezogen hatte.

Jaime schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein, wie er die Situation meisterte. »Was, wenn es noch ein Loch gibt, das wir nicht sehen? Was, wenn sie die Ziegelsteine beiseiteschiebt? Was, wenn sie sich einen anderen Ausgang buddelt?«

»Himmel, Jaime.«

Nathan ähnelte all den jungen Ehemännern in der Gegend: ein wenig bullig, Stoppelhaare, ausgebeulte Shorts und T-Shirt einer Surfermarke, ein paar zaghafte Tattoos, Sonnenbrille auf der Baseballkappe; dazu streitlustig, wenn er etwas nicht verstand. Das kam so häufig vor, dass Jaime mittlerweile schnell ungeduldig wurde.

»Wir müssen den Schlangenfänger anrufen«, sagte sie kurz angebunden und versuchte, die Angst zu unterdrücken, die sie immer noch spürte.

»Ach, zum …« Nathan fiel noch rechtzeitig Serena Rae ein, und er unterbrach sich; sie schaute ihn an, als wäre sie derselben Meinung wie ihre Mutter.

»Die Nummer hängt neben dem Küchentelefon«, ergänzte Jaime.

Das wusste Nathan. Er hatte den Namen und die Telefonnummer des Schlangenfängers selbst dort hingehängt, nachdem er in der Zeitung eine Geschichte gelesen hatte. Baz, der Schlangenfänger, ermahnte die Anwohner, dass es eine »gute« Saison für Schlangen sei, vor allem für Kupferköpfe, Tigerottern und rotbäuchige Schwarzottern.

»Nathan …«, sagte Jaime und legte den Rest des Satzes in ihren Ton.

»Okay, okay.« Nathan stapfte über die Veranda zur Haustür. Himmel, er hatte sie offen gelassen. Wer wusste, wie viele Schlangen ins Haus geglitten waren? Ein schneller Blick über die Schulter: Jaime beäugte noch immer die Betonplatte und wippte Serena Rae auf ihrer Hüfte. Und Serena Rae beäugte ihn. Er winkte ihr schwach, ging in die Küche und wählte die Nummer. Er wartete und schaute über den Hof hinaus zum Seitenzaun, den Kasuarinen des Nachbarn und die Hektar welligen Graslands rings um ihn herum. Überall wimmelte es vor Schlangen.

Schließlich traf Baz ein; in einem blauen Snake-Catcher-Victoria-Poloshirt, Jeans und schweren Arbeitsstiefeln. Ein Käppi beschattete sein Gesicht; in den großen Handschuhen hielt er eine lange Stange. Er schaute von Nathan zu Jaime und sagte: »Gehen Sie voran«, so als sei Zeit kostbar.

Nathan deutete auf die Betonplatte, und Baz schüttelte den Kopf. »Himmel, Sie machen es mir aber auch nicht einfach, oder?«

»Da ist sie hinein.«

Hinter ihnen fragte Jaime: »Können Sie sie fangen?«

»Mit einem Presslufthammer und einem Radlader vielleicht«, antwortete Baz. Nathan stand neben ihm, betrachtete die Platte und wünschte sich insgeheim, er hätte seine dumme Frau einfach ignoriert und die verfluchte Schlange entzweigehackt. »Hätte das verdammte Mistvieh töten sollen.«

Baz drehte sich langsam und ruhig zu ihm um und sagte: »Kumpel, das habe ich nicht gehört. Und ganz sicher möchte ich das auch nicht wieder hören. Schlangen zu töten, ist verboten. Darauf stehen sechstausend Dollar Bußgeld.«

»Ich sag doch nur …«

»Na, tun Sies lieber nicht.« Baz zeigte auf die beiseitegelegte Axt. »Und selbst wenn Sie sie durchhacken, kann das Kopfende noch ziemlich lange Zeit danach zubeißen.«

»Das hab ich ihm auch gesagt«, meinte Jaime.

Nathan ballte die fleischigen Hände und öffnete sie wieder. »Und was jetzt, lassen wir sie einfach dort, wo sie ist?«

»Mann, wenn sie nicht mehr rauskommt, stirbt sie«, antwortete Baz. »Indem Sie das Loch versperrt haben, haben Sie sie faktisch umgebracht. Sechstausend Mücken.«

»Wollen Sie mich anzeigen? Verdammt und zugenäht, was zum Henker sollen wir denn machen? Wir haben ein kleines Kind. Meinen Sie, wir sollen die Ziegel wegnehmen, damit eine giftige Schlange frei herumkriechen kann, und meine Frau und ich und das Kind verbarrikadieren uns für den Rest unseres Lebens?«

Baz war von Nathan nicht sonderlich beeindruckt, aber durchaus ein fairer Typ. Er hatte selbst Kinder. Vor zehn Jahren war er sogar mal von einer Schlange gebissen worden und hatte seine ganze Familie in Panik versetzt. Er kaute auf der Unterlippe. »Also gut, Folgendes. Brauchen Sie die Betonplatte für irgendwas? Wollen Sie einen Schuppen darauf bauen oder so?«

»Meinetwegen können Sie die abtransportieren, ist mir egal.«

»Ich transportiere sie nicht ab, sondern Sie. Oder Sie beseitigen die einzelnen Brocken, wenn wir sie aufgebrochen haben. Ich hab da einen Kumpel, einen Betonbauer, der ist spezialisiert auf Betonplatten, Veranden, Fundamente. Der wird sie Ihnen schon ausbuddeln, keine Bange. Wir fangen bei dem Loch an, machen es nach und nach weiter, bis ich eine Vorstellung davon habe, was sich unter Ihrer Platte befindet, eine große Höhlung oder ein Netz von Bauen. Sobald ich eine oder mehrere Schlangen sehe, mache ich mich mit meiner Stange ans Werk.«

Schlangen, Plural. Na toll. »Und was machen Sie dann mit ihr? Mit ihnen?«

»Ich setze sie in der Wildnis aus.«

»Aha«, sagte Nathan. »Und was, wenn der Kupferkopf, ach, ich weiß nicht, so was wie Heimweh kriegt?«

»Kumpel, den ganzen Sommer über gibt es ringsum Schlangen. Meistens kommt man nicht mit ihnen in Kontakt. Wenn ich diese Schlange wegschaffe, kann keiner sagen, dass Sie nicht morgen in Ihrem Garten die nächste sehen.«

Nathan sah Jaime an und seufzte. »Also gut, machen wirs.«

»Vielleicht nicht heute«, sagte Baz mit besorgter Miene, die andeutete, dass ihm der Gedanke an eine Schlange in der Bredouille missfiel.

Allerdings willigte Baz’ Betonbauerkumpel ein, noch im Laufe des Vormittags vorbeizuschauen, also machte Baz es sich gemütlich – Kaffee, Hafer-Kokos-Kekse und ein Schwätzchen auf Nathans Veranda – und wartete. Brachte Jaime dazu, über seine Schlangengeschichten bewundernd zu lachen, das Arschloch.

Schließlich kam ein kleiner, zementgrauer Laster angezockelt, und Mick, der Betonbauer, entpuppte sich als graues, staubiges Wrack von Mann in Shorts, blauem Trikothemd und schweren Arbeitsschuhen, dem die Jahre harter Arbeit am krummen Rücken und an den O-Beinen abzulesen waren. Er schüttelte Nathan die Hand und grinste schief und schlaff, so als wisse er etwas. Nathan wurde rot und war sich ziemlich sicher, dass irgendeine Bemerkung von Baz dem Betonbauer zu verstehen gegeben hatte, er sei ein Strohkopf.

»Hab gehört, Sie haben ein Problem«, sagte Mick und ließ Nathans Hand los.

»Das könnte man sagen.«

»Hab ich ja gerade.« Mick besah sich die Betonplatte und rieb sich die Hände. »Hab mein ganzes Leben Beton gegossen. Kommt nicht allzu oft vor, dass ich ihn wieder aufreiße.«

»Sei aber auf der Hut, wenn ein Schlangenkopf auftaucht«, mahnte Baz.

»Ja, klar, und du halte deine Stange bereit«, erwiderte der Betonbauer.

»Seien Sie vorsichtig«, rief Jaime hinter der Fliegentür hervor.

Mick schaute die anderen Männer schläfrig an und ging zu seinem Laster zurück, um einen Presslufthammer zu holen. »Ich fang nicht in der Mitte an«, sagte er und näherte sich der Platte, »für den Fall, dass da ein Riesenloch drunter ist und ich in ein Schlangennest falle. Ich fang an einer Ecke an, grab immer ungefähr einen halben Quadratmeter aus, schau drunter nach und mach dann mit dem nächsten Abschnitt weiter. Was denkst du?« 

»Gib alles«, antwortete Baz.

Nathan fragte sich insgeheim: »Jeden Abschnitt mit bloßen Händen ausbuddeln? Na, Hauptsache, ich muss das nicht machen.«

Nicht mit bloßen Händen: Mick benutzte ein Brecheisen. Nachdem vier Abschnitte von je einem halben Quadratmeter entfernt worden waren, war klar, dass ein Großteil des Betons einfach in den Boden gekippt worden war. Erst als die frischen Kanten dem Schlupfloch langsam näher kamen, tauchte unter der Mitte der Platte eine Versenkung im Boden auf.

»Da ist sie!«, sagte Nathan.

Baz nickte. »Sie versucht, sich noch tiefer zu vergraben.«

»Ich schneide noch ein Stück ab«, sagte Mick.

»Ja, okay. Aber mach dich bereit für einen Rückzieher«, sagte Baz. »Unser Bursche wird nicht sonderlich glücklich sein.«

Mick schnitt diesmal einen kleinen Abschnitt aus dem Beton rings um das ursprüngliche Loch. Der Beton zerbröselte, als er versuchte, das Loch mit dem Brecheisen zu erweitern. »Wer immer diesen Mist gegossen hat, hatte nicht die leiseste Ahnung von Beton, verflucht«, sagte er entrüstet. »Zu viel Sand, und außerdem noch schlecht gemischt.« Er sprang zurück. »Verfluchte Scheiße!«

Der bröcklige Beton war auf die Schlange gefallen, die anzugreifen versuchte, aber durch die Steine behindert wurde. Baz stürzte vor und klemmte den Kopf mit der Stange ein. Dann kauerte er sich hin und räumte mit der anderen Hand die Brocken weg, bis die Schlange freikam. Er hob sie hoch, hielt mit der Stange den peitschenden Kopf von sich fern und stopfte sie in einen Kartoffelsack.

»Kinderspiel«, sagte er und grinste die anderen an.

Doch die schienen eher an der Vertiefung in der Mitte der Betonplatte interessiert.

»Was gibts denn, gleich eine ganze Sippschaft von den Viechern?«

Er schaute hinein. Was es dort gab, war ein verrottetes Baumwollhemd über einem Brustkorb, und ein Handgelenksknochen, der von einer gefälschten Rolex Oyster umschlungen wurde.

2

Sergeant Alan Auhl würde zu spät zur Arbeit kommen, denn erst musste er sich noch von seiner Frau verabschieden. Er hatte sie nur selten für sich allein. Und es war ja nicht so, als würden die Klienten in der Abteilung für ungelöste Fälle lautstark seine Aufmerksamkeit einfordern.

»Wenn ich gewusst hätte, dass es zum Cunnilingus kommt«, sagte er, »dann hätte ich mich besser rasiert.«

Liz prustete, gab ihm ein paar Klapse und packte ihn an seinen grau werdenden roten Haaren. »Konzentrier dich gefälligst.«

Das tat er; später lagen sie in Löffelstellung da und dösten, bis Liz meinte: »Ich muss fertig packen.«

Erst zu küssen, um dann ins Bett zu fallen, schien ein, zwei Mal im Jahr über sie zu kommen. Dann schauten sie sich an, und irgendwie – Gewohnheit, gegenseitige Achtung, Chemie, die Erinnerung an die Liebe – tat die Anziehungskraft ihre Wirkung. Diesmal war Auhl nur ins Zimmer seiner Frau geschlendert, um zu sehen, ob sie Hilfe mit ihrem Gepäck brauchte. Und nach dem Sex dann kuscheln, reden und der unausweichliche Schlaf.

Als er später aus ihrem Badezimmer kam, das sich an dem Flur entlang von ihrem Schlafzimmer und ihrem Arbeitszimmer befand, lag sie auf den Laken und starrte die Decke an. Wieder mal hatte er sie verloren.

»Ich habe mich nicht entliebt«, hatte sie damals gesagt, als klar wurde, dass sich an seiner allgemeinen Art der Zerstreutheit und Distanziertheit nichts ändern würde, »es ist nur eine andere Art von Liebe daraus geworden.«

Daran dachte er gerade, beugte sich vor, gab ihr einen Kuss und scherzte, was denn da für eine schöne Frau in seinem Bett liegen würde.

Liz blinzelte, und eine distanzierte Intelligenz blitzte wieder in ihren Augen auf. »Als ich das letzte Mal nachgeschaut habe, war es noch mein Bett. Und übertreib es nicht.«

Nein. Niemals. Auf keinen Fall.

Auhl überließ seiner Frau das Packen und ging nach unten. Im Chateau Auhl – drei höhlenhaft verwinkelte Stockwerke an einer ruhigen Straße in Carlton – hallten seine Schritte auf der Treppe und in den Fluren. Typisch für einen späten Donnerstagvormittag; niemand sonst war daheim. Auhls Tochter, seine Mieter, die Obdachlosen und Streuner, waren bis zum späten Nachmittag unterwegs.

Sein Schlafzimmer lag neben der Haustür; das Badezimmer im Erdgeschoss teilte er sich mit ein paar anderen. Er duschte, zog sich an, machte zwei Sandwiches und packte eins davon für Liz ein.

Schon bald kam sie die Treppe hinuntergepoltert. Als sie am Fuß der Treppe ankam, trat er in den Flur, bot ihr in der einen Hand das Sandwich an und griff mit der anderen nach ihrem schwersten Koffer. Sie, eine schlanke, geschmeidige, ungeheuer attraktive Frau in Rock, T-Shirt, Jeansjacke und Laufschuhen, nickte, als würde ihr beides zustehen. Doch sie war bereits wieder weit weg. Distanziert, unberührbar, konzentriert: In Gedanken schon wieder in ihrem anderen Leben. Trotzdem blieb sie freundlich, fast warmherzig, während er das Gepäck zu ihrem Wagen trug.

Nein, sie wusste nicht, wann sie mal wieder vorbeischauen würde.

Fahr vorsichtig.

Auhl aß sein Sandwich am verschrammten, zerfurchten hölzernen Küchentisch und bekam kaum etwas von der Nachrichtensendung auf Radio National mit.

Ihr Wagen fährt in Richtung Stadt über die Westgate Bridge und dann hinunter nach Geelong.

Auhl hatte die ganze Route vor Augen.

Gegen Mittag spülte er seine Teller ab und ging zur Straßenbahnhaltestelle Swanston Street. Eine allgemeine innere Unruhe begleitete ihn durch die Stadtmitte über den Fluss bis zum Polizeipräsidium. Liz. Der Job. Die Schwestern Elphick, die ihn heute Morgen angerufen hatten, wie an jedem 14. Oktober, dem Todestag ihres Vaters; noch immer warteten sie auf Antworten, die er ihnen nicht geben konnte.

John Elphick, geboren 1942, wurde 2011 auf seiner Farm in den Hügeln nördlich von Trafalgar, in Gippsland, östlich von Melbourne aufgefunden. Tod durch Schädelfrakturen. Verwitwet, allein lebend. Seine Tochter Erica lebte in Coldstream – Krankenschwester, mit einem Arzt verheiratet, drei Kinder –, Rosie war Grundschullehrerin und lebte mit ihrem langjährigen Freund und ehemaligen Highschoollehrer in Bendigo zusammen. Alle hatten Alibis. Niemand hatte finanzielle Sorgen. Keine Spielschulden, keine teure Drogensucht, keine zweifelhaften Freunde; die Ermittler stießen auch auf keinerlei Geheimnisse. Zudem hatte Elphick die Farm mit Einwilligung der Töchter ans Rote Kreuz vermacht.

Auch seine Freunde und Nachbarn hatten Alibis. Niemand hatte irgendeinen Grund, ihm den Tod zu wünschen. Zwar war John Elphick nicht gerade die Seele der Gegend gewesen, aber er war recht beliebt und relativ aktiv gewesen: Rasenbowling, Kirche, ab und an mal ein Bier im örtlichen Pub, gelegentlicher Besuch eines Treffens im Probus Club. Keine Lebensgefährtin. Keine jungen Farmhelfer, die sich auf der Farm herumtrieben oder lebten. »Liebenswürdiger alter Kauz«, so die allgemeine Ansicht.

Das war alles, woran Auhl sich noch erinnerte. Ursprünglich war das gar nicht sein Fall gewesen; er war erst spät in den Ermittlungen zu dem Team gestoßen, in den letzten Tagen seiner Ehe und seiner Zeit bei der Mordkommission. Er war damals ziemlich abgelenkt gewesen, könnte man sagen. Kurz darauf war er in Pension gegangen. Fünfzig, ausgebrannt und traurig.

Doch irgendetwas an ihm musste wohl Erica und Rosie angesprochen haben, denn an jedem 14. Oktober trafen sie sich und riefen ihn an. Gibt es etwas Neues? Und an jedem 14. Oktober, bis heute, hatte er ihnen nur sagen können, dass er nicht mehr bei der Polizei sei. Das hatte die Schwestern nicht abgeschreckt. Ja, aber Sie haben doch Freunde bei der Polizei, sagten sie, Sie sind doch in Kontakt. Eigentlich nicht, antwortete er stets.

An diesem Vormittag konnte er ihnen etwas anderes berichten. Er war wieder zur Polizei gegangen – tatsächlich war er sogar darum gebeten worden. Damit gingen fünf Jahre zu Ende, in denen er nur die Zeit totgeschlagen hatte. Urlaubsfahrten ab und an, Lesen, Erwachsenenfortbildung, hoffnungslose und/oder katastrophale romantische Verwicklungen, gelegentliche freiwillige Mitarbeit bei verschiedenen Wohltätigkeitsorganisationen.

Irgendwie hatten die Schwestern mitbekommen, dass er wieder bei der Truppe war. »Wie ich gerade zu Erica sagte«, meinte Rosie, während Auhl an seinem Müsli kaute, »jetzt sitzen Sie ja an der richtigen Stelle.«

»An der absolut richtigen Stelle«, fügte Erica hinzu.

In der Abteilung für ungelöste Fälle und vermisste Personen, um genau zu sein: Man hatte ihn hauptsächlich deswegen geholt, um jüngere Detectives für andere Aufgeben freisetzen zu können. Außerdem schätzte man ihn wegen seiner zehn Jahre in Uniform, zehn in verschiedenen Sondereinheiten, zehn bei der Mordkommission.

Der runderneuerte Auhl, von dem erwartet wurde, dass er einen erfahrenen Blick auf ungeklärte Morde, Unfalltode und Fälle von vermissten Personen warf, die man für auffällig hielt. Er sollte jene Fälle identifizieren, die mithilfe von neuen Techniken geklärt werden konnten; jene bestimmen, die falsch behandelt oder in denen nicht tief genug ermittelt worden war; jene, in denen neue Informationen vorlagen; sich im Ernstfall mit anderen Abteilungen in Verbindung setzen, darunter auch mit der Mordkommission und der Abteilung für Kapitalverbrechen. Er sollte darauf drängen, dass alte DNA-Proben neu untersucht wurden; es noch einmal bei Augenzeugen versuchen, die sich in der Zwischenzeit mit den Verdächtigen überworfen hatten; Veränderungen festhalten, die sich im Laufe der Zeit ergeben hatten – ein Tatort, der jetzt ein Parkplatz war, zum Beispiel. Eine Schlüsselfigur, die verstorben oder ins Ausland verschwunden war, an Demenz litt oder mit der hauptverdächtigen Person verheiratet war.

Ein Kinderspiel.

Liz hatte ihn gedrängt, den Job anzunehmen. »Du bist wie geschaffen dafür, Liebling.« Ab und zu nannte sie ihn immer noch so. Aus Gewohnheit vermutlich. Sie erinnerte ihn daran, wie er damals bei der Mordkommission gewesen war, wenn sich ein Fall hinschleppte. »Besessen – auf eine gute Art.« Sollte heißen, dass er sich mit der Frage herumquälte, ob er nicht etwas übersehen hatte. Dass ein Lügner ihn hereingelegt hatte. Dass sich unter den Dutzenden von Namen, die er im Laufe der Ermittlungen notiert hatte, der des Mörders befand.

»Wir haben größtes Vertrauen«, hatte Rosie Elphick an jenem Morgen gesagt, als Auhl gerade seinen Frühstückskaffee austrank.

»Ich kann nichts versprechen.«

»Das wissen wir.«

»Der Gerichtsmediziner hat entschieden, dass es sich um einen Unfall gehandelt hat, wenn ich mich recht erinnere.«

Nun, das hatte er nicht. Auhl erinnerte sich, dass der Richter im Fall Elphick, J. nicht auf Mord entschieden hatte.

Schweigen in der Leitung, eine subtile Andeutung von Enttäuschung. »Falsch«, schalt ihn Erica sanft. »Der Richter hat sich recht doppeldeutig ausgedrückt.«

Und Rosie fügte heftig hinzu: »Lesen Sie seine Befunde noch einmal, bitte, Alan.«

Als Auhl im Polizeipräsidium eintraf, ging er auf direktem Weg ins Aktenarchiv.

Er hasste den Raum. Eines Tages würde man seine Leiche irgendwo im riesigen Rollregal eingeklemmt finden. Oder auf den Bodenfliesen liegend, nachdem er verzweifelt mit den Fingernägeln an der Tür gekratzt hatte. Bei der Mordkommission hatte er nur selten Akten von kalten Fällen gebraucht. Seine Fälle waren heiß oder zumindest lauwarm gewesen. Man löste sie mit vielen abgelatschten Schuhsohlen, Telefonarbeit, Computerrecherchen und Befragungen. Jetzt schien er die Hälfte der Zeit damit zu verbringen, Akten hervorzukramen – uralte Papierakten noch dazu. Seit den Fünfzigern gab es zweihundertachtzig ungelöste Fälle in den Büchern der Victoria Police. Dazu noch tausend Fälle von vermissten Personen – von denen ein Drittel womöglich Morde waren.

Auf der Suche nach Elphick, J., 2011, rollte er an diesem Morgen vier trostlos beigefarbene Regalwände nach links und öffnete so einen schmalen Gang. Er trat hinein, schnappte sich den Aktenkarton, und da er schon halb befürchtete, die Regalwände könnten das Vakuum verabscheuen, trat er schnell wieder heraus. Würden sie wenigstens warnend rumpeln?

Auhl trug Elphick, J. in den kleinen Raum im zehnten Stock, der die Abteilung für ungelöste Fälle und vermisste Personen beherbergte. Die Chefin saß in ihrer Glaskabine am anderen Ende des Großraumbüros und telefonierte bei geschlossener Tür. Einer der Detective Constables war an einem Gerichtstermin. Die andere, Claire Pascal, hockte mit dem Rücken zu ihm vor ihrem Monitor. Auhl beließ es dabei. Als er das erste Mal mit Claire zusammengearbeitet hatte – eine erneute Zeugenbefragung –, war sie in den Wagen gestiegen und hatte gedroht, ihn mit Pfefferspray zu malträtieren, falls er es wagen sollte, sie anzurühren.

Auhl ließ den Aktenkarton Elphick auf den Tisch plumpsen, nahm den Inhalt Stück für Stück heraus und erfüllte die Luft mit muffigem Geruch von Moder. Eine dicke Akte, von einem morschen Gummiband festgehalten, ein Umschlag mit Fotos vom Fundort, ein Video. Auhl versuchte, das Gummiband abzuziehen. Es riss.

Auf den Übersichtsfotos vom Tatort lag John Elphick auf dem Rücken im dichten Frühlingsgras hinter seinem Holden Pick-up, der neben einem Drahtzaun abgestellt war. Aus der Nähe betrachtet, erwies sich der Tote als untersetzt, dichtes weißes Haar, ausgewaschene Jeans, Flanellhemd und Stiefel mit seitlichem Gummizug. Es waren Wunden am Kopf zu erkennen, Blut war ihm über Stirn, Wangen, Hals und Kragen bis ins Hemd geflossen. Auhl dachte nach: Hatte Elphick Verletzungen im Stehen erlitten?

Auhl las jeden Bericht und jede Aussage, dann wendete er sich den Autopsiebefunden zu. Elphick war an massiven Schädeltraumen verstorben. Man hatte Blut und Hautspuren am Frontschutzbügel des Pick-ups gefunden, was gegen einen Mord sprach. Aber der Gerichtsmediziner hatte auch konstatiert, wie das Blut vom Kopf auf den Oberkörper geflossen war, dazu die Blutspur in der Fahrerkabine: Ein tätlicher Angriff ließ sich nicht ausschließen.

Und seit Jahren hatten nun schon die Töchter des Opfers höflich und vorsichtig versucht, Auhl davon zu überzeugen, dass er damals einen Fehler gemacht hatte. »Das glaube ich auch langsam«, murmelte Auhl vor sich hin.

»Jetzt redet er auch noch mit sich selbst«, bemerkte Claire Pascal, noch immer mit dem Rücken zu ihm. »Traurig, dieser alte Sack.«

Auhl kümmerte sich nicht um sie. Beschimpfungen von Jüngeren trafen ihn nicht. Er würde das tun, wofür er angeheuert worden war.

Als Nächstes schob er die DVD mit den Videoaufnahmen in seinen Laptop. Für Einzelheiten waren Fotos sehr nützlich, aber ein Video brachte einem alles richtig nah. Man durchschritt den Tatort gemeinsam mit dem Kameramann. Wenn man an einem ungelösten Fall arbeitete, war ein Video die beste Alternative zur tatsächlichen Tatortbegehung.

Auhl sah eine Hügelflanke, durch üppigen Frühlingsgrasbewuchs weich gezeichnet, ein halb volles Rückhaltebecken an ihrem Fuß und vier in der Nähe stehende Eukalyptusbäume. In der Entfernung reichten die Hügel bis zu einem Gebirgszug im Norden und zu einem breiten Tal im Süden – Vierecke, Streifen, Punkte und Striche, die Straßen, Felder, Hecken und Dächer darstellten. Dann kamen der Drahtzaun, der Pick-up und die Leiche. An einer Stelle war der Kameramann auf die Ladefläche des Pick-ups gestiegen, und die Höhe bot Auhl einen besseren Blick auf die Leiche im Vergleich zu dem Zaun und der Heckklappe. Hoffentlich hatte der Typ das vorher mit den Kriminaltechnikern abgeklärt, bevor er hinaufgeklettert war, dachte Auhl. Er drückte auf Pause.

Noch ein Vorteil der Kamerahöhe: Auhl konnte zwei Sätze Reifenspuren im Gras erkennen. Elphicks Holden hatte erst das Tor neben dem Rückhaltebecken am unteren Ende der Weide passiert und war dann zum Tatort gefahren. Der zweite Satz Reifenspuren verlief parallel zu dem von Elphick, aber auf der anderen Seite des Zauns. Der Verursacher hatte irgendwann kehrtgemacht und war den Hang wieder hinuntergefahren.

Auhl machte sich eine Notiz: Jetzigen oder früheren Besitzer des Nachbargrundstücks ermitteln.

Er drückte auf Wiedergabe. Die Aufnahmen zeigten nun die Leiche, Schuhsohlen, Hose, Hände, blutiger Kopf und Oberkörper. Dann führten sie Auhl in die Fahrerkabine des Holden. Vinyl, der Fahrersitz durchgesessen, schwarzes Isolierband über ein paar Rissen. Staubiges Armaturenbrett, ebenfalls an ein paar Stellen geborsten. Abgewetzte Fußmatten. Ausgefranste, speckige Sicherheitsgurte. Luftbläschen unter der Zulassungsplakette in der unteren linken Ecke der verkratzten Windschutzscheibe. Ein Dachnagel, eine Büroklammer und ein paar Münzen im offenen Aschenbecher. Im Handschuhfach eine Betriebsanleitung, eine Telefonrechnung aus dem Jahr 2010, Streichhölzer, ein blassblauer Sommerhut und eine Zange. In der Konsole zwischen den Sitzen: noch mehr Münzen, eine Sonnenbrille, ein kleiner Spiral-Notizblock, ein abgeknabberter Zimmermannsbleistift.

Auhl ging noch einmal die Berichte durch. Die Untersuchungsbeamten hatten nichts von einem Notizblock geschrieben. Der Beamte der KT am Ort schon. Elphick hatte ihn benutzt, um Niederschlagsmengen zu notieren, Einkaufslisten, To-do-Listen: Brennholz kaufen, Rasenmäher warten, das vordere Tor neu einhängen.

Auhl kehrte zum Video zurück: Der Block war zugeklappt, das Deckblatt dreckig und verblasst, es löste sich bereits von der Spiralbindung. Auhl drückte auf Pause und vergrößerte das Bild. Elphick hatte auf dem Deckblatt des Blocks etwas gekritzelt. Buchstaben durcheinander. Eine Nummer? Die Bleistiftstriche auf der glänzenden Oberfläche waren nur schwer zu erkennen.

Er bekam halb mit, dass Claire Pascals Telefon klingelte, Claire etwas murmelte und sich auf ihrem Stuhl umdrehte. »He, alter Mann.«

»Was denn?«

»Die Chefin will, dass wir einen kleinen Ausflug aufs Land machen.«

»In welcher Angelegenheit?«

»Na, kommen Sie schon«, sagte sie gereizt. »Das sag ich Ihnen im Auto.«

Auhl stand auf, zog die Jacke an, tastete nach Handy und Brieftasche.

Pascal war noch nicht fertig mit ihm. »Und vergessen Sie Ihren Rollator nicht.«