Kann Lucas Abby vor ihrer Vergangenheit beschützen?
Abby weiß keinen Ausweg mehr. Aus Angst vor ihrem gewalttätigen Freund bricht sie ein Jahr vor ihrem Abschluss das College ab und flüchtet von Washington D.C. nach Los Angeles. Dort trifft sie bei einem illegalen Motorradrennen auf Lucas, Rennfahrer und Mechaniker. Von der ersten Sekunde an fühlt sich Abby zu ihm hingezogen, aber immer wieder hat sie die Wutausbrüche ihres Exfreunds vor Augen. Die illegalen Geschäfte von Lucas machen ihr Angst, sie weiß nicht, ob sie ihm trauen kann. Und dann steht ihr Ex plötzlich vor der Tür …
Von Sarah Glicker sind bei Forever by Ullstein erschienen:
Second Chance for Love (Las-Vegas-Reihe 1)
Love at Third Sight (Las-Vegas-Reihe 2)
Melody & Scott – L.A. Love Story (Pink Sisters Band 1)
Haley & Travis – L.A. Love Story (Pink Sisters Band 2)
Brooke & Luke – L.A. Love Story (Pink Sisters Band 3)
L.A. Love Storys Band 1-3: 3 Romane in einem Bundle
Craving You. Henry & Lauren (A Biker Romance 1)
Breaking You. Jenny & Dean (A Biker Romance 2)
Releasing You. Lucas & Abby (A Biker Romance 3)
Roman
Forever by Ullstein
forever.ullstein.de
Originalausgabe bei Forever
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der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
März 2019 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
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Autorenfoto: © privat
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ISBN 978-3-95818-266-0
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»Verdammte Scheiße, das kann doch nicht wahr sein«, entfährt es mir, als ich merke, dass ich mich verlaufen habe.
Langsam, fast schon in Zeitlupe, drehe ich mich im Kreis und versuche, wenigstens einen Anhaltspunkt zu finden, wo ich mich gerade aufhalte. Doch man erkennt nicht viel.
Es scheint so, als wäre ich in einem Gewerbegebiet gelandet. Am liebsten würde ich meinen Frust laut hinausschreien, doch das kann ich mir gerade noch verkneifen. Auch deshalb, weil ich mich nicht sehr wohl dabei fühle, hier alleine zu sein, und deswegen nicht unbedingt laut werden will. Schnell verdränge ich dieses Gefühl und bemühe mich, mich wieder auf meine Umgebung zu konzentrieren.
Seitdem ich aus Washington verschwunden bin, und damit mein Studium in Sozialwissenschaften abgebrochen habe, habe ich es noch nicht bereut. Doch das hier könnte das erste Mal werden.
Ich ziehe mein Handy aus der Hosentasche, um zu überprüfen, wo ich mich befinde. Doch noch bevor ich es entsperren kann, dringen leise Geräusche an mein Ohr. Auf der Suche nach der Quelle blicke ich mich um, doch ich kann sie nirgends entdecken.
Mit vorsichtigen Schritten gehe ich in die Richtung, aus der die Laute kommen, und biege um eine Ecke. Dabei mache ich mich auf alles gefasst, mit dem man in dieser Stadt um diese Uhrzeit rechnen muss. Auch wenn ich mir nicht sicher bin, was das sein könnte.
In der nächsten Sekunde bleibe ich jedoch ruckartig stehen und reiße schockiert meine Augen auf. Mit diesem Anblick hatte ich nicht gerechnet. Überall stehen kleine Grüppchen um Motorräder herum und Menschen in Motorradkluft unterhalten sich angeregt. Die Frauen tun alles, um die Aufmerksamkeit der Männer auf sich zu ziehen. Sie spielen an ihren Haaren oder zupfen ihre kaum vorhandenen Oberteile zurecht. Auch auf dem Gehweg stehen Menschen, die so aussehen, als würden sie auf irgendetwas warten.
Es dauert einen Moment, bis ich verstanden habe, dass ich in einem Straßenrennen gelandet bin. Ich war zwar noch nie bei so etwas dabei, doch ich habe genug Filme gesehen.
»Oh Mann«, murmle ich leise. Das ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, doch ändern kann ich es auch nicht. Schließlich habe ich keine Ahnung, wie ich wieder wegkomme. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich hier gelandet bin. Eigentlich habe ich mich genau an die Wegbeschreibung einer Frau gehalten, die ich zufällig getroffen habe.
Ein letztes Mal atme ich tief durch, bevor ich nach meiner Reisetasche greife und sie mir über die Schulter hänge. Dann nehme ich meine Handtasche und die Tasche meines Laptops in die andere Hand und setze mich in Bewegung.
Ich bin so in Gedanken vertieft, dass ich kaum merke, wie ich einen Mann anremple, als ich zwischen zwei Motorrädern hindurchgehe. »Entschuldigung«, sage ich nur und schaue dabei an ihm vorbei.
Ich will so schnell wie möglich von hier verschwinden. In den letzten Monaten habe ich gelernt, dass es in manchen Situationen besser ist, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Und das ist so eine Situation.
Doch da streift mein Blick den Mann, den ich angerempelt habe. Ich hebe meinen Kopf ein Stück.
Er ist groß und hat breite Schultern. Seine Arme sind muskulös und bedeckt mit Tattoos. Sein Auftreten wirkt aggressiv. Die etwas längeren Haare unterstreichen das noch.
Obwohl ich es nach den letzten Wochen und Monaten eigentlich besser wissen müsste, kann ich mich nicht von ihm abwenden. Dabei ist ein weiterer Mann in meinem Leben das Letzte, was ich will. Außerdem schreit alles an diesem Typen, dass er gefährlich ist.
Trotzdem öffnet sich mein Mund, damit ich besser atmen kann.
Als ich wie angewurzelt stehen bleibe, dreht er seinen Kopf in meine Richtung und sieht mich an. Der Lärm der Unterhaltungen, die um uns herum geführt werden, dringt an mein Ohr. Wir sind nicht allein und trotzdem kommt es mir gerade so vor.
Alles um mich herum verschwimmt, bis es beinahe nicht mehr da ist. Mehrmals rufe ich mir in Erinnerung, dass er gefährlich ist. Vielleicht so wie mein Ex-Freund. Und doch hat er etwas an sich, dem ich mich nicht entziehen kann.
Aber vielleicht liegt es auch daran, dass ich nach den letzten Tagen keine Kraft mehr habe, wegzulaufen. Es ist so viel geschehen. Es dauert lange, bis ich in der Lage bin, mich von ihm abzuwenden. Doch dann entferne ich mich.
»Könnt ihr mir sagen, wie ich zum Pier komme?«, frage ich eine Gruppe von Frauen, die im Gegensatz zu den anderen hier relativ normal aussehen. Doch sie beachten mich überhaupt nicht und unterhalten sich weiter.
Kurz bleibe ich stehen, in der Hoffnung, dass sie mir doch noch antworten oder einfach nur in eine Richtung deuten. Doch sie machen nichts davon.
»Danke auch«, murmle ich, bevor ich weitergehe.
Wahrscheinlich werde ich heute Nacht auf der Straße schlafen müssen. Ich kann nur hoffen, dass sie mein Zimmer nicht vergeben, denke ich.
Langsam gehe ich weiter, während das Dröhnen der Motoren um mich herum immer lauter wird.
Wie kann man sich in einer Gruppe von mindestens zweihundert Menschen so alleine fühlen, Abby?, schießt es mir durch den Kopf. Dabei greife ich nach den Henkeln meiner Reisetasche und hebe sie ein Stück an, um meine Schulter zu entlasten.
Als die Leute um mich herum anfangen, laut zu schreien, drehe ich mich um und sehe, wie fünf Maschinen um die Ecke biegen und mit einem waghalsigen Tempo über die Straße brettern. Sie fahren auf die Menge zu, wobei sie nicht langsamer werden. Mir kommt es eher so vor, als würden sie noch mehr aufs Gas drücken.
Neugierig stelle ich mich an eine freie Stelle und drehe meinen Kopf in die entsprechende Richtung. Bereits wenige Sekunden später kann ich sehen, wie der Mann, der die Gruppe anführt, die Arme schwungvoll hebt.
Er macht keine Anstalten, langsamer zu werden, während die anderen bremsen. Als er nur noch wenige Meter von mir entfernt ist, leuchtet das Bremslicht auf. Erst jetzt hält er mit beiden Händen wieder den Lenker fest. Ein paar Meter fährt er noch weiter. Auch wenn er einen Helm trägt, so sieht man doch an seiner Körperhaltung, dass er den Jubel genießt. Kaum hat er das Ende der Menschengasse erreicht, dreht er um und fährt zurück.
Ich bin so sehr auf den Anblick konzentriert, dass ich gar nicht merke, wie jemand zu mir tritt. »Ich habe dich noch nie hier gesehen. Daran würde ich mich mit Sicherheit erinnern.«
Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass ich gemeint bin. Mein Herz rast so schnell, als würde es sich gleich aus meiner Brust befreien wollen.
Ein Mann steht so dicht vor mir, dass wir uns fast berühren. Langsam hebe ich meinen Kopf und schaue ihn an. Doch dann merke ich, dass es der Typ ist, der mir vorhin schon aufgefallen ist.
Ein schelmisches Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus, als würde er genau wissen, dass er mich erschreckt hat. Dann hebt er seine Hand und nimmt einen Schluck aus seiner Bierflasche, ehe er mich wieder angrinst. »Bist du noch da?«, fragt er mich und reißt mich so aus meinen Gedanken.
Kurz schließe ich meine Augen und versuche mich zu fangen, ehe ich ihn ansehe. Der Typ lässt mich keine Sekunde aus den Augen. Sein Blick ist herausfordernd und gleichzeitig frech.
Doch die Nähe zu ihm hat etwas in mir heraufbeschworen, was ich einfach nicht loswerden kann, so sehr ich es auch versuche. Ein Bild von meinem Ex-Freund Jacob.
Er steht dicht neben mir und ist eindeutig nicht mehr nüchtern. Ich kenne den Blick, mit dem er mich ohne Unterbrechung ansieht. Und der bedeutet für gewöhnlich nichts Gutes. Mein Mund wird trocken, während ich nach einer Ausrede suche, um ihm aus dem Weg gehen zu können. Doch mein Gehirn gehorcht mir nicht. Und dann ist es auch schon zu spät. Jacob greift so hart nach meinem Handgelenk, dass sich mein Gesicht vor Schmerzen verzieht. Auf diese Weise schafft er es, dass ich mich in seine Richtung drehe.
»Ich rede mit dir«, fährt er mich energisch an. »Antworte mir.« Seine Stimme lässt keinen Widerspruch zu.
»Ich habe ihm nur in einem Kurs geholfen«, versuche ich ihm zu erklären, obwohl mir bereits bewusst ist, dass es nichts bringen wird.
»Beim letzten Mal habe ich dir ausdrücklich gesagt, dass du nicht mit ihm sprechen sollst.« Sein wütender Blick ist auf mich gerichtet.
Am liebsten würde ich ihm sagen, dass er sich nicht so anstellen soll. Doch als ich beim letzten Mal versucht habe, ihm zu erklären, was los ist, konnte ich zwei Wochen kaum noch meinen Arm bewegen.
»Ich werde mich von ihm fernhalten«, sage ich also. Das mache ich allerdings nur, um ihn etwas zu beruhigen. Um uns herum befinden sich überall Leute, die sich schon neugierig in unsere Richtung drehen.
»Das will ich dir auch raten. Sonst wirst du keinen Schritt mehr aus deinem Zimmer machen, ohne dass ich dabei bin. Und du weißt, was passiert, wenn du es trotzdem machst.« Der Zorn in seiner Stimme sorgt dafür, dass ich zusammenzucke.
Ängstlich schaue ich ihn an. Mehr als ein Nicken bekomme ich gerade nicht zustande. In meinem Hals hat sich ein Knoten gebildet, der mir das Atmen schwer macht.
»Sag es«, schreit er mich nun so laut an, dass ich anfange zu zittern. Dabei verstärkt er seinen Griff noch.
»Ja«, wimmere ich. Dabei gehe ich wie von alleine ein wenig in die Knie, da ich die Hoffnung habe, dass meine Schmerzen so nachlassen. Doch das tun sie nicht, im Gegenteil.
Einen Moment betrachtet er mich, so als würde er sichergehen wollen, dass ich es auch wirklich verstanden habe. Und das habe ich. Genauso wie schon beim letzten Mal, als er mich so heftig gegen den Schreibtisch gestoßen hat, dass ich ins Krankenhaus musste. Und da ging es nur darum, dass seine Mom mich wegen seines Geburtstags angerufen hatte.
Erst als ich schon die Befürchtung habe, dass er mich nicht mehr loslassen wird, nimmt er seine Hand weg. Doch er macht keine Anstalten, sich von mir abzuwenden. Vorsichtig lege ich meine Finger um mein Handgelenk, um den pulsierenden Schmerz etwas zu beruhigen. Doch es bringt nichts. Mir schießen die Tränen in die Augen, ohne dass ich es verhindern kann. Kurz werfe ich einen vorsichtigen Blick in sein Gesicht, doch er macht nicht den Eindruck auf mich, als würde er sich dafür entschuldigen. Allerdings habe ich das auch gar nicht erwartet.
Jacob hat sich noch nie bei mir entschuldigt, ganz egal, was er mir angetan hat.
Die Erinnerung schiebt sich immer wieder vor mein inneres Auge und sorgt dafür, dass ich am liebsten die Flucht ergreifen würde. Doch mir ist klar, dass es niemals besser werden wird, wenn ich meinem Instinkt nachgebe.
»Ich will ja nichts sagen, aber das hier ist nicht der richtige Ort, um zu träumen. Nicht, dass du noch vor eine Maschine läufst«, höre ich den Mann weiterreden.
So unauffällig wie möglich schüttle ich meinen Kopf und versuche, diese Erinnerung loszuwerden. Jacob ist nicht hier und er wird nie wieder in meine Nähe kommen.
Stattdessen betrachte ich den Mann, der mir gegenübersteht und mich ansieht, als wäre ich verrückt.
»Sorry«, gebe ich tonlos zurück. »Ich war in Gedanken.« Ich habe keine Ahnung, wieso ich ihm das erzähle, zumal ich nicht einmal seinen Namen weiß. Doch irgendwie habe ich das Bedürfnis, genau das zu tun.
Während ich spreche, versuche ich, meiner Stimme einen beiläufigen Tonfall zu verleihen. Jedoch bin ich mir nicht sicher, ob ich es schaffe. Sein Gesichtsausdruck verändert sich jedenfalls nicht.
»Das sehe ich«, entgegnet er und führt wieder die Flasche an seine Lippen. »Bist du alleine hier?« Suchend blickt er sich um.
Seine direkte Art lässt mich für einen Moment sprachlos zurück. Mir ist bewusst, dass Männer wie er über eine gewisse Selbstsicherheit verfügen. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass er mich schon nach wenigen Minuten unverblümt so etwas fragen würde.
»Ja, das bin ich. Und eigentlich wollte ich auch gar nicht hierher. Ich habe mich verlaufen«, gebe ich zurück. Ich warte nicht darauf, dass er noch etwas erwidert, sondern drehe mich um. Doch ich komme keine zwei Schritte weit. Bereits in der nächsten Sekunde spüre ich seine Finger auf meiner Haut. Aus einem Reflex heraus will ich ihm meinen Arm entziehen. Er ist allerdings schneller. Im gleichen Moment, in dem ich mich umdrehe, hat er mich bereits wieder losgelassen.
Er wirft mir einen entschuldigenden Blick zu und zeigt mir so, dass er genau merkt, dass etwas nicht stimmt. Für einen kurzen Moment habe ich die Befürchtung, dass er mich darauf anspricht. Doch er hält den Mund und sieht mich einfach nur an.
»Wo kommst du her?«
»Washington, D.C.«, flüstere ich, obwohl ich das eigentlich gar nicht will.
Auf der Busfahrt nach Los Angeles habe ich mir vorgenommen, dass ich Männern aus dem Weg gehen würde. Ich hatte auch gar keine Lust, mich mit ihnen zu unterhalten. Und das ist jetzt eigentlich immer noch so.
Aus diesem Grund kann ich mir nicht erklären, warum ich ausgerechnet einem Mann, der meinem Ex sehr ähnlich zu sein scheint, verrate, wo ich herkomme. Doch ich ziehe es vor, nicht zu sehr darüber nachzudenken. Wahrscheinlich würde mir die Antwort darauf eh nicht gefallen.
»Und was machst du dann hier? Vor allem alleine. Zwischen Washington und L.A. liegt ja doch eine gewisse Strecke.« Er hebt die Augenbrauen.
Ich bin hin- und hergerissen. Nach den letzten zwei Tagen, in denen ich mit niemandem gesprochen habe, ist die Aussicht, eine Unterhaltung zu führen, einfach zu schön. Ich war schon immer ein geselliger Mensch.
»Ich bin Lukas«, sagt er nun und reicht mir die Hand.
»Was?«, frage ich.
»Ich gehe mal davon aus, dein merkwürdiges Verhalten hat damit zu tun, dass du nicht gerne mit Fremden redest. Deswegen dachte ich mir, dass ich mich vorstelle. Dann bin ich kein Fremder mehr für dich.« Ein sanftes Lächeln erscheint auf seinen Lippen. »Und du bist?«
»Abby.«
Am liebsten würde ich mir in den Hintern beißen, weil ich mich wie eine Idiotin aufführe. Lukas muss denken, dass ich noch nie mit einem Mann gesprochen habe. Aber genauso fühle ich mich gerade auch.
Ich weiche seinem Blick aus und trete unruhig von einem Fuß auf den anderen. Dabei verschränke ich meine Hände, in denen ich noch immer die Taschen halte, vor mir. Stumm steht er vor mir und mustert mich. Doch bevor ich etwas sagen oder tun kann, greift er nach meiner Hand, sodass ich beide Taschen nur noch mit einer festhalte.
»Es freut mich, dich kennenzulernen.«
Ich zögere. Noch nie in meinem Leben war ich schüchtern. Nie! Bereits als Kind hatte ich eine große Klappe. Doch gerade bin ich es, und auch das habe ich nur Jacob zu verdanken. Ich verspüre den dringenden Wunsch, von hier zu verschwinden, mich unter eine heiße Dusche zu stellen und mich danach in ein gemütliches Bett zu legen.
»Okay, Abby. Ich mache dir einen Vorschlag. Gleich muss ich noch ein Rennen fahren, um das ich leider nicht herumkomme«, erklärt Lukas. Dabei zeigt er in die Richtung, in der sich alle um den letzten Sieger versammelt haben. »Du wartest genau hier und danach bringe ich dich da hin, wo auch immer du hinwillst. L.A. ist keine Stadt, in der man um diese Uhrzeit alleine unterwegs sein sollte. Schon gar nicht, wenn man sich nicht auskennt und sich verlaufen hat.«
Ich muss zugeben, dass sein Vorschlag verlockend klingt. Und deswegen nicke ich. Noch im gleichen Augenblick sieht er mich zufrieden an.
»Bleib hier. Es wird nicht lange dauern.« Lukas zwinkert mir zu, ehe er mir den Rücken zudreht und verschwindet.
Was war das?, frage ich mich mehrmals. Doch ich finde keine zufriedenstellende Antwort.
Eigentlich hatte ich einen wasserdichten Plan und mir selber das Versprechen abgenommen, dass ich nicht davon abweiche. Wie ich nun allerdings feststelle, war er nicht so gut durchdacht, wie ich es gehofft hatte. Sonst hätte ich mich nicht verlaufen und dementsprechend hätte Lukas es auch nicht so leicht gehabt.
Die nächsten Minuten denke ich darüber nach, ob ich wirklich warten oder doch einfach abhauen soll. Dabei schaue ich in die Richtung, in die Lukas verschwunden ist. Nur am Rande bekomme ich mit, dass die Straße wieder leerer wird und die nächsten Maschinen an den Start gehen. Ich betrachte eine nach der anderen. Obwohl ich nicht weiß, welche davon ihm gehört, bleibt mein Blick an der kleben, die sich in der Mitte befindet. Ich kann nicht genau sagen, warum es so ist, doch etwas sagt mir, dass es Lukas’ Motorrad ist. Wahrscheinlich liegt es daran, dass es die Maschine ist, die am ehesten zu ihm passt. Sie ist bunt und voller Aufkleber. Das kann ich sogar aus dieser Entfernung sehen.
Ich beobachte, wie sich die Fahrer in einer Reihe aufstellen. Mit hohen Absätzen stolziert eine Frau in einem knappen Kleid vor ihnen herum und bleibt zwischen zwei Maschinen stehen.
Ich habe das Gefühl, als würde sie gleich ihr Höschen ausziehen und es als Startzeichen zu Boden fallen lassen. Stattdessen hält sie ein Tuch in die Luft.
In dem Moment, in dem sie ihren Arm wieder sinken lässt, kommt Bewegung in die Maschinen. Mit einem lauten Brummen rauschen sie an den Zuschauern vorbei und verschwinden hinter der ersten Kurve. Von einer Sekunde auf die andere ist es ruhig. Wäre ich nicht von so vielen Menschen umringt, würde ich mir vorkommen, als wäre ich alleine.
Es dauert eine Ewigkeit, bis die Motoren wieder zu hören sind. Ich schaue in die Richtung, aus der das Geräusch dringt, und sehe, dass die ersten Fahrer bereits um die Ecke gebogen sind und schnell näherkommen.
Die Menge beginnt wieder zu kreischen, wobei die Frauen noch mehr ausflippen als die Männer. Sie scheinen nicht zu bändigen zu sein.
Ich beobachte den Fahrer mit der bunt beklebten Maschine dabei, wie er Gas gibt und den anderen plötzlich weit hinter sich lässt, bevor er über die Ziellinie fährt. Genauso wie vorhin macht auch er keine Anstalten, anzuhalten oder wenigstens langsamer zu werden. Doch als ich schon denke, dass er noch eine weitere Runde drehen will, bleibt er vor mir stehen und öffnet das Visier seines Helmes.
»Habe ich zu viel versprochen? Wenn ich mich nicht irre, habe ich sogar einen neuen Rekord aufgestellt«, überlegt Lukas laut und grinst mich dabei an. Ein schelmisches Funkeln erscheint in seinen Augen. »Na komm, bevor die Meute dafür sorgt, dass ich länger bleiben muss.«
In diesem Moment denke ich nicht mehr nach, sondern handle.
Ohne mir darüber Sorgen zu machen, was alles passieren kann, gehe ich auf ihn zu. Lukas nimmt mir die Reisetasche ab und legt sie vor sich auf das Motorrad, sodass ich nur noch meinen Laptop und meine Handtasche festhalten muss.
Mit der freien Hand greife ich nach seinen Schultern, während ich hinter ihm aufsteige. Kaum hat mein Hintern das Leder des Sitzes berührt, gibt Lukas schon wieder Gas und braust davon.
Lukas sagt kein Wort, während er seine Maschine durch die Straßen lenkt. Die ersten Minuten hat es sich merkwürdig angefühlt, doch nun könnte man sagen, dass ich es genieße, hinter ihm zu sitzen.
»Wo willst du hin?«, fragt er mich, als wir an einer Ampel stehen bleiben. Vermutlich, um mich besser betrachten zu können, zieht er sich den Helm vom Kopf und hängt ihn über den Lenker.
»Ich habe ein Zimmer in einem Motel, das sich direkt am Pier befindet«, erwidere ich. Allerdings weiche ich dabei seinem Blick aus.
Mein Selbstbewusstsein ist in den letzten Jahren in den Keller gerutscht. Und das habe ich nur Jacob zu verdanken. Denn vor der Beziehung mit ihm habe ich es mit allem und jedem aufgenommen.
»Ein Motel? Bist du dir sicher?« Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er sein Bein bewegt und den Fuß auf dem Boden abstellt. Dann wirft er mir einen nachdenklichen Blick zu. Er scheint nicht glücklich darüber zu sein, das erkenne ich an seinem verbissenen Gesichtsausdruck genau. Ich bin auch nicht sehr begeistert davon. Aber da ich nicht weiß, wann ich einen Job finden werde, ziehe ich es vor, ein wenig zu sparen. Außerdem befindet sich das Motel direkt am Meer, was mich ein wenig tröstet.
»Bis ich etwas anderes gefunden habe, wird es reichen«, erwidere ich. Dabei zucke ich mit den Schultern.
»Du könntest bei mir wohnen«, schlägt er in der nächsten Sekunde vor. Es dauert einen Moment, bis seine Worte bei mir angekommen sind, doch dann steigt Entsetzen in mir auf. Ich versuche etwas in seinem Blick zu finden, was mir zeigt, dass ich das Angebot geträumt habe oder er sich einen Scherz erlaubt. Aber der Ausdruck in seinen Augen ist ernst. Das erkenne ich sofort, obwohl nur die Straßenlaternen und die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos die Dunkelheit erhellen.
»Nein«, erwidere ich und schüttle energisch den Kopf. »Ich komme schon klar.« Mehr fällt mir leider nicht ein, um ihn von dieser Idee abzubringen. Deswegen hoffe ich, dass er nichts weiter dazu sagt.
»Hmmm«, macht er und wirft mir einen skeptischen Blick zu. Dann dreht er sich nach vorne und fährt weiter.
Um meinen Herzschlag zu beruhigen, atme ich mehrmals tief durch. Erst dann bin ich wieder in der Lage, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren.
»In dieser Stadt ist immer viel los«, ruft er mir zu, als wir am Strand entlangfahren. Alle Bars und Restaurants haben noch geöffnet und überall drängen sich mehr Leute, als eigentlich Platz finden. »Egal, um welche Uhrzeit. Du kannst dich also darauf einstellen, dass du nicht sehr viel Ruhe bekommen wirst.«
Ich kann mich täuschen, aber bei seinen letzten Worten hört es sich an, als wäre er verstimmt über meine Entscheidung. Dabei wüsste ich nicht einen einzigen Grund, wieso er das sein sollte. Schließlich sind wir nicht zusammen, wir sind nicht einmal Freunde, höchstens Bekannte. Falls man das nach den wenigen Minuten, in denen wir uns kennen, behaupten kann.
Ich sage aber nichts, auch wenn mir ein paar Worte dazu auf der Zunge liegen. Allerdings nur, weil ich mich nicht mit ihm streiten will.
Stattdessen lasse ich meinen Blick über die Menschen wandern, die überall verteilt stehen. Obwohl es mitten in der Nacht ist, sehen sie nicht müde aus. Sie unterhalten sich und albern herum, als wäre es mitten am Tag.
Ganz im Gegensatz zu mir. Ich bin mir sicher, sobald ich im Bett liege, werde ich sofort einschlafen.
Lukas fährt noch ein Stück, bevor er rechts in eine Einfahrt biegt. Pacific Motel steht auf einem riesigen Schild, das man nicht übersehen kann. Das Gebäude hat drei Etagen und sieht gar nicht so schlimm aus, wie ich erwartet habe. Hell und freundlich liegt es vor mir. Mir ist klar, dass der erste Eindruck täuschen kann, aber ich bin gewillt, es darauf ankommen zu lassen. Zur Not kann ich mir morgen etwas anderes suchen.
»Danke«, sage ich und steige vom Rücksitz, nachdem Lukas angehalten hat.
»Kein Problem. Das habe ich gerne gemacht.« Lukas zwinkert mir fröhlich zu. Doch bereits in der nächsten Sekunde ist diese Fröhlichkeit aus seinem Blick verschwunden.
»Ist etwas?«, frage ich ihn und ziehe meine Augenbraue ein Stück hoch.
»Hör zu«, beginnt er ausweichend. »Ich weiß, dass du mir vorhin deutlich gesagt hast, dass es für dich in Ordnung ist. Aber du brauchst wirklich nicht hier zu wohnen. Mein Angebot war ernst gemeint. Ich habe mehr als genug Platz in meiner Wohnung. Wir müssen uns nicht einmal unterhalten, wenn wir das nicht wollen«, erklärt er.
Sein Blick ist beinahe verzweifelt, als er mich ansieht.
»Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Außerdem soll das hier keine Lösung für immer sein.«
Skeptisch schaut er mich an. Es kommt mir vor, als würde er kein Wort von dem glauben, was ich sage.
»Ich glaube, ich weiß, worum es dir geht.«
»Ach ja?«, frage ich ihn. Dabei macht sich Panik in mir breit.
»Wir kennen uns nicht und deswegen willst du das nicht. Und soll ich dir mal etwas sagen?« Während er spricht, beugt er sich nach vorne. Auf seine Lippen hat sich ein süßes Grinsen gestohlen, was dafür sorgt, dass mein Herz schneller schlägt.
Aus einem Reflex heraus nicke ich. Er braucht nicht zu wissen, dass das nur die Hälfte der Wahrheit ist.
»Ich mache dir einen Vorschlag. Und er ist so gut, dass dir gar nichts anderes übrig bleibt, als ihn anzunehmen.«
Ich muss zugeben, dass er mich neugierig macht. »Und der wäre?«, frage ich ihn also, als er keine Anstalten macht, weiterzusprechen.
»Ich werde morgen früh wiederkommen und dann werden wir Zeit miteinander verbringen. Du wirst mich kennenlernen und ich dich. Und das werden wir ein paar Tage machen, damit du dir sicher sein kannst, dass ich kein Serienmörder bin.«
Für einen Moment weiß ich nicht, was ich erwidern soll.
Ich bin sprachlos.
»Ich sehe dein Schweigen mal als Einverständnis an«, erklärt Lukas und greift nach seinem Helm.
Mein Mund öffnet sich, doch ich schließe ihn direkt wieder. Wahrscheinlich würde nur Müll herauskommen, wenn ich jetzt versuche, etwas von mir zu geben. Ganz davon abgesehen habe ich die Vermutung, dass es nichts bringt. Lukas scheint mir nicht die Art Mann zu sein, die ein Nein gelten lässt. Auf jeden Fall nicht, ohne vorher ewig mit ihm diskutieren zu müssen. Und dafür fehlt mir die Kraft.
»Wir sehen uns in ein paar Stunden.« Mehr sagt er nicht. Ohne darauf zu warten, ob ich etwas erwidern will, zieht er sich den Helm über den Kopf und startet den Motor seiner Maschine. Von einer Sekunde auf die andere wird die Ruhe, die sich über den Parkplatz gelegt hat, von dem dröhnenden Geräusch unterbrochen.
Ich schaue ihm nach, wie er auf die Straße fährt und im nächsten Moment verschwunden ist.
Eine Weile bleibe ich noch stehen. Dabei versuche ich zu begreifen, was gerade passiert ist. Doch es ist egal, wie sehr ich mir darüber den Kopf zerbreche, ich kann es einfach nicht. Deswegen habe ich auch keine Ahnung, wie ich darauf reagieren soll.
Seufzend greife ich nach meiner Tasche, werfe sie mir über die Schulter und gehe zum Empfang des Motels, der zum Glück noch besetzt ist.
Als ich eine Stunde später endlich in meinem Bett liege, bin ich so müde, dass ich kaum noch meine Augen offenhalten kann. Eine Ewigkeit stand ich unter der Dusche und habe das heiße Wasser über meinen Körper fließen lassen. Erst, als der Stress allmählich abebbte, habe ich den Hahn zugedreht und mir ein Höschen und ein weites Shirt angezogen.
Nun starre ich an die Decke und spiele dabei an meinem Handy herum. Von Anfang an hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich verschwunden bin, ohne meinen Freundinnen Bescheid zu geben. Und je näher ich meinem Ziel gekommen bin, desto größer wurde es.
Ich bin mir sicher, sobald ich das Telefon einschalte, werde ich unzählige Nachrichten von ihnen vorfinden. Mir ist klar, dass sie sich Sorgen machen. An ihrer Stelle würde es mir nicht anders ergehen.
Ich weiß, dass es wahrscheinlich ein Fehler ist, mein Handy einzuschalten. Doch ich muss ja keine anderen Nachrichten außer ihrer lesen. Ich möchte ihnen schreiben, damit sie wissen, dass es mir gut geht.
Bevor ich es mir noch mal anders überlegen kann, drücke ich den entsprechenden Knopf. Der Begrüßungsbildschirm leuchtet auf und bereits zwei Sekunden später trudeln die ersten Nachrichten und verpassten Anrufe ein.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich die Namen lese, die mir angezeigt werden.
Liz. Meine Freundin hat mir so viele Nachrichten geschickt, dass ich sie schon gar nicht mehr zählen kann. Vor allem in den letzten Stunden hat sie sich alle paar Minuten danach erkundigt, wo ich stecke.
In meinem Hals bildet sich ein Kloß, den ich krampfhaft versuche loszuwerden, aber so ganz klappt es nicht.
Ich habe deine Nachrichten gerade gesehen. Mein Handy war aus, sorry. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Mir geht es gut. Ich habe mir nur ein paar Tage freigenommen, um etwas anderes zu sehen. In den nächsten Tagen werde ich mich bei dir melden.
Abby
Ich bin mir sicher, dass sie sich damit nicht zufriedengeben wird. Vor allem bin ich mir aber darüber im Klaren, dass sie den Grund für meine hastige Abreise wissen wollen wird. Irgendwann werde ich es ihr sagen. Doch gerade kann ich es nicht.
Ich warte nicht ab, dass sie meine Nachricht liest, sondern schalte mein Handy sofort wieder aus. Vorsichtig lasse ich mich nach hinten fallen und schließe meine Augen. Es dauert nicht lange, bis ich einschlafe.
Erschrocken fahre ich hoch, als ich höre, wie die Tür so heftig aufgerissen wird, dass sie gegen die Wand knallt. Ich brauche einen Moment, um wach zu werden. Doch dann realisiere ich, dass ich in meinem Bett liege. Das Zimmer wird nur von dem Licht erhellt, das vom Flur hereinfällt.
Doch das reicht aus, dass ich Jacob erkennen kann. Seine bedrohliche Gestalt ragt mitten im Türrahmen auf. Mein Herz setzt vor Schreck aus, während sich eine unheilvolle Ruhe über dem Zimmer ausbreitet.
Er scheint dort eine Ewigkeit zu stehen, bevor er sich in Bewegung setzt und langsam auf mich zukommt. Er hat erst wenige Schritte hinter sich gebracht, als ich bereits den Alkohol riechen kann. Mir ist klar, was das bedeutet. Aus diesem Grund war ich auch froh, dass ich nicht mit zur Party gehen musste. Doch wie ich nun sehe, gönnt er mir nicht einen einzigen Abend Ruhe.
»Hi«, sage ich und versuche, die Angst zu unterdrücken, die in mir aufwallt.
Jacob erwidert nichts. Langsam schlage ich die Decke zur Seite und stehe auf. Da er ein Stück größer ist, muss ich meinen Kopf in den Nacken legen, um ihn anzusehen.
In der nächsten Sekunde landet seine flache Hand auf meinem Gesicht. Noch im gleichen Augenblick schießen mir die Tränen in die Augen. Doch ich versuche, mir meine Schwäche nicht anmerken zu lassen, da ich weiß, dass er sie ausnutzen würde.
»Zieh dich aus«, weist er mich an.
»Was?«, frage ich irritiert, nachdem ich mich einigermaßen gefangen habe.
Doch Jacob bleibt still. Stattdessen zerreißt er mein Shirt und wirft mich mit roher Gewalt aufs Bett, sodass ich mit dem Kopf an die Wand knalle. Mir wird schwarz vor Augen. Aber ehrlich gesagt wünsche ich mir auch gerade, dass ich das Bewusstsein verliere. Auf diese Weise würde ich wenigstens nichts davon mitbekommen. Doch so viel Glück habe ich nicht.
Noch bevor ich mich wehren kann, hat er mir bereits die Pyjamahose von den Beinen gezogen und ist mit voller Härte in mich eingedrungen. Dabei legt er seine Hand um meinen Hals und würgt mich, bis ich kaum noch Luft bekomme.
Nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, dass ich ihm niemals über den Weg gelaufen wäre. Doch ändern kann ich es nun auch nicht mehr.
Ein lautes Klopfen dringt an mein Ohr. Es dauert einen Moment, bis ich realisiere, dass es nicht zu meinem Traum gehört. Ich fahre erschrocken hoch.
Erneut pocht jemand gegen meine Tür. Kurz überlege ich, wer das sein könnte, doch dann erinnere ich mich an Lukas. Seine Ankündigung fällt mir wieder ein.
»Abby?«, ruft er nun. Am Klang seiner Stimme erkenne ich, dass er nicht vorhat zu verschwinden, selbst wenn ich so tue, als wäre ich nicht da.
Auf eine merkwürdige Art und Weise will ich das auch gar nicht. Auch wenn der Gedanke, den Tag im Bett zu verbringen, einfach zu schön ist. Doch ich will mir hier ein Leben aufbauen. Ein neues Leben. Und dazu gehören auch neue Freunde.
Deswegen schwinge ich meine Beine aus dem Bett, ziehe mir eine Hose über und gehe zur Tür. Mein Gefühl sagt mir, dass er erst dann Ruhe geben wird, wenn er sich davon überzeugt hat, dass ich hier bin.
»Hi«, begrüße ich ihn, nachdem ich die Tür geöffnet habe. Dabei streiche ich mir eine Strähne hinters Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hat.
Lukas sagt nichts. Er lässt seinen Blick über meinen Körper wandern.
»Habe ich dich geweckt?«, fragt er, nachdem er seinen Kopf wieder gehoben hat und mir in die Augen sieht.
Ich nicke.
»Oh«, sagt er und sieht mich schuldbewusst an. »Das tut mir leid. Zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass du in der letzten Nacht nicht sehr begeistert von der Idee schienst, etwas mit mir zu unternehmen. Deswegen habe ich beschlossen, dass ich lieber etwas früher komme. Schließlich wollte ich vermeiden, dass du auf Nimmerwiedersehen verschwindest.« Er wackelt mit den Augenbrauen und grinst mich dabei frech an.
Ich lache leise.
»Du weißt aber schon, dass du ein wenig verrückt bist, oder?«, frage ich ihn.
»Na ja, was soll ich sagen? Ich bin nicht gerade dafür bekannt, dass ich mich wie alle anderen verhalte. Ich würde nicht einmal behaupten, dass ich wie die meisten denke.« Er zuckt mit den Schultern und reicht mir einen Becher Kaffee. »Für dich, damit du auch wirklich wach wirst.«
»Danke«, murmle ich verlegen.
»Kein Problem. Ich kann dir ja nicht die Stadt zeigen, wenn du kaum etwas mitbekommst. Mach dich fertig. Ich werde draußen auf dich warten.«
»Und dann?«, frage ich gespannt. Dabei habe ich die Hoffnung, dass er mir sagt, was er geplant hat.
Doch Lukas grinst mich nur geheimnisvoll an.
»Das wirst du sehen.« Er lehnt sich ein Stück nach vorne, sodass nur ich seine Worte verstehen kann. Aber eigentlich wäre das überflüssig, schließlich befindet sich sonst niemand in der Nähe.
Mit diesen Worten dreht er sich um und verschwindet. Ich bleibe in der Tür stehen und schaue ihm nach, wie er zu seinem Motorrad geht.
Oh Mann, denke ich, da ich nicht so genau weiß, was ich davon halten soll.
Er hat mich neugierig gemacht. Trotzdem habe ich auch Angst vor dem, was mich erwartet. Ich kann ihn nur schlecht einschätzen. Klar, er war gestern nett zu mir und auch gerade hat er nichts gesagt, was unangemessen gewesen wäre. Doch das heißt nicht, dass es auch so bleibt.
Mein Ex hat mir schließlich eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich manche Dinge ändern können.
Mit gemischten Gefühlen schließe ich die Tür. Ich gehe auf meine Tasche zu, die auf der anderen Bettseite liegt, und suche ein paar Klamotten heraus. Da er mit dem Motorrad hier ist, entscheide ich mich für eine Jeans und ein Shirt. Mit den Sachen auf dem Arm verschwinde ich im Bad und mache mich fertig.
Eine halbe Stunde später verlasse ich mein Zimmer. Lukas und seine Maschine fallen mir sofort auf. Lässig sitzt er auf seinem Motorrad und schaut mir entgegen. Ein sexy Grinsen erscheint auf seinen Gesichtszügen.
Wie auf Kommando beginnt mein Herz wieder zu rasen. Um mich herum dreht sich alles, sodass ich die Augen schließen muss, damit ich nicht umkippe. Ich muss mir in Erinnerung rufen, dass ich nichts über ihn weiß und er wie Jacob sein könnte. Erst dieser Gedanke sorgt dafür, dass ich mich wieder in den Griff bekomme.
»Fertig?«, fragt er mich, während sein Blick erneut über meinen Körper wandert. Doch da ich mich dazu entschieden habe, nichts anzuziehen, was zu viel Haut zeigt, ist auch nicht viel zu sehen.
»Ja«, erwidere ich. Meine Stimme klingt nicht so, als würde sie auch wirklich mir gehören.
»Da wir genug Zeit haben, um die Stadt zu erkunden, habe ich mir überlegt, dass wir jeden Tag etwas anderes machen könnten. Vormittags muss ich auf der Arbeit sein, weil mein Chef und ungefähr zehn Fahrer sich auf mich verlassen. Allerdings nicht an allen Tagen.«
Mir kommen wieder seine Worte in den Sinn, dass ich ihn kennenlernen solle, damit ich seine neue Mitbewohnerin würde. Ich bin mir sicher, dass ich das auch noch in drei Monaten für eine bescheuerte Idee halten werde. Schließlich habe ich gerade erst eine Beziehung hinter mir. Da werde ich mich nicht direkt dem nächsten Mann ausliefern.
»Und was ist, wenn ich morgen keine Zeit habe?«, fordere ich ihn heraus.
Einen Moment sieht er mich überrascht an. Ich weiß, dass er keine Ahnung hat, wie er mit meinem Einwand umgehen soll.
»Es ist nur ein Vorschlag«, versucht er sich zu verteidigen. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen, doch das zeige ich ihm nicht.
Mehrmals atme ich tief durch, um mich wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen.
»Es tut mir leid. Nur habe ich hier einiges zu erledigen«, erkläre ich ihm. Dabei bleibt meine Stimme jedoch energisch, da ich ihm auf diese Weise klarmachen will, dass ich mir danach noch immer die Stadt ansehen kann.
Einen Moment ist es ruhig zwischen uns. In mir macht sich Panik breit. Panik davor, dass er genauso reagiert wie mein Ex-Freund.
Doch das ist nicht der Fall. Anstatt mich anzuschreien oder mir irgendwelche Vorschriften zu machen, lächelt er plötzlich.
»Mir tut es leid. Ich wollte nicht, dass du den Eindruck bekommst, dass ich dich von irgendetwas abhalte und dich völlig einnehme. Denn das will ich nicht. Doch ich möchte dir helfen, dich hier zurechtzufinden.«
Ich spüre, dass er es ernst meint und mich zu nichts drängen will. Und darüber bin ich froh.
»Okay«, gebe ich schließlich nach. »Aber ich entscheide, wann.«
»Damit kann ich leben.« Mit diesen Worten zieht er sein Handy aus der Hosentasche und löst seinen Blick von meinem. So gibt er mir Gelegenheit, ihn unauffällig zu beobachten.
Seine Bewegungen sind trotz seiner Größe geschmeidig. Die Muskeln spannen sich unter seinem Shirt und sorgen dafür, dass ich meinen Blick kaum von ihm abwenden kann.
Immer wieder rufe ich mir in Erinnerung, was ich gerade erst durchgemacht habe, und dass ich das nicht noch mal will.
»Hier«, sagt er und reicht mir einen zweiten Helm.
Ein wenig zögerlich nehme ich ihn entgegen.
»Keine Sorge, ich beiße nicht. Wir fahren in die Berge und gehen dort spazieren. Da oben hat man eine tolle Aussicht auf das Meer und die Umgebung. Dort sind auch immer viele andere unterwegs. Trotzdem ist es ruhig genug, sodass wir uns unterhalten können.«
»Okay«, murmle ich.
»Komm«, fordert er mich auf und hält mir seine Hand hin.
Zögerlich schaue ich sie an. Ich will nicht so sein. Doch alles, was ich in den letzten Jahren erlebt habe, sorgt dafür, dass ich vorsichtig geworden bin. Ich spüre seinen fragenden Blick auf mir, doch darum kann ich mich gerade nicht kümmern. Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, mein rasendes Herz wieder in den Griff zu bekommen.
»Du brauchst keine Angst zu haben«, beschwichtigt mich Lukas, als würde er wissen, was in mir vor sich geht. Doch das kann ich mir nicht vorstellen.
Schließlich ergreife ich seine Hand zitternd, nachdem ich mir meine Tasche quer über die Schultern gehängt habe. Kaum sitze ich hinter ihm, versuche ich ein wenig Abstand zwischen uns zu bringen. Doch wenn man bedenkt, dass wir auf einem Motorrad sitzen, ist das nicht ganz so einfach.
Sein leises Lachen dringt gedämpft an mein Ohr und eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Körper, obwohl wir uns in der Sonne befinden. Als Nächstes setzt er sich ebenfalls seinen Helm auf und startet die Maschine. Mit aufheulendem Motor fährt er vom Parkplatz.