ISBN: 978-3-96861-168-6
1. Auflage 2020
© der deutschen Ausgabe: Aquamarin Verlag GmbH
Übersetzung aus dem Holländischen: Andrea Fischer
Umschlaggestaltung: Annette Wagner unter Verwendung von:
Lunatictm/1258944661 – shutterstock.com
Aquamarin Verlag GmbH, Voglherd 1, 85567 Grafing, www.aquamarin-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten
Allein. So kalt. Als würde dir niemals mehr
warm werden. Allein in der Nacht, allein
mit verlorenen Träumen. Allein mit all dieser Unruhe
in deiner Seele, mit Emotionen, die dir die Kehle zuschnüren –
Sie haben das Sagen über dich anstelle du über sie ...
Du spürst: Es gibt nur den einen Weg – und zwar nach vorn,
getreu dem Motto: „Augen zu und durch.” Gut gemeinte
Ratschläge in der Art wie: „Du brauchst nur zu denken,
du bist nicht der Einzige, der sich einsam fühlt”,
sind keine Hilfe. Sie verdeutlichen lediglich,
dass nur derjenige es begreift, der auch selbst
durch die tiefste Einsamkeit hindurchgegangen ist.
Jeden Tag für sich leben. Das ist schon schwer genug.
Denn jeder Tag hat genug eigene Finsternis.
Lass’ die Zukunft offen – sie liegt
außer Reichweite hinter dem Horizont verborgen.
Allein. Stille, die dich umhüllt. Du kannst versuchen,
ihr zu entrinnen, indem du dich in deine Arbeit stürzt.
Das hilft niemals wirklich, denn es bedeutet
lediglich einen Fristaufschub.
Die Stille will gehört und erhört werden.
Denn nur dann wirst du entdecken, dass die Stille
spricht. Zu dir. Und dann, wenn du endlich beginnst,
ihre Sprache zu verstehen, enthüllt sich in deiner Seele
ein höheres, tieferes Wissen. Ein Wissen, größer
als alles, wozu das Denken imstande ist,
ein Wissen, das Aussicht bietet auf eine Welt,
die größer ist als die irdische Wirklichkeit.
Nimm’ die Einsamkeit an, lausche in die
Stille und spüre, wie lebendige Kräfte der
Liebe beginnen, dich zu umhüllen und zu wärmen.
Kräfte der Liebe, die die ganze Zeit nur darauf gewartet
hatten, dass du ihrer gewahr wurdest,
damit sie dich umhüllen durften.
Nimm’ die Einsamkeit an, lausche in die
Stille und lebe von der lebendigen Liebe, die dich
unsichtbar umhüllt. Achte auf die Antworten auf all
deine Fragen, die nun in deinem Herzen aufkommen
und begreife: „Ich habe die Einsamkeit
als meinen Feind betrachtet,
doch nun erkenne ich,
wie sie für mich zum Segen geworden ist.”
Dieses Buch widme ich in tiefer Dankbarkeit
Harm Wagenmakers,
der Liebe meines Lebens und meinem Mann.
(28. Juni 1947 – 24. Dezember 2018)
Du umhülltest mich mit deiner Liebe.
Dein Vertrauen in mich hat mich tief berührt.
Deine Inspiration verlieh mir Flügel.
Nun erfahre ich deine Liebe auf eine andere Weise:
Du legst Worte in mein Herz.
Und wenn wir nun auch voneinander getrennt sind,
spüre ich dich dennoch so nahe bei mir.
So bleiben wir auch jetzt noch in Liebe
miteinander verbunden –
unsere Seelen sprechen miteinander,
unsere Herzen bleiben einander zugetan.
Immer mehr Menschen fühlen sich einsam. Für sie ist Einsamkeit keine Theorie und kein Begriff wie jeder andere, sondern die Umschreibung für die schmerzerfüllte Stimmung, in der sie sich tagtäglich befinden. Von Einsamkeit wird es einem kalt – man fühlt sich ausgekühlt bis in die Knochen hinein, so dass man das Gefühl hat, niemals wieder warm werden zu können. Viele erleben ihre Einsamkeit als beklemmendes, einengendes Gefühl, so dass sie ihr am liebsten entrinnen oder sie ganz tief verdrängen möchten, beispielsweise mit Alkohol. Doch wenn das gelingt, kommen sie im späteren Leben immer wieder zu der Erkenntnis, dass die unterdrückte, kalte Einsamkeit in den unerwartetsten Momenten wieder hochkommt – so lange bis sie lernen, ihre Einsamkeit endlich ernst zu nehmen und nicht mehr vor ihr zu flüchten. Dann – endlich – erkennen sie: Es gibt keinen anderen Weg, als durch die Einsamkeit hindurch zu gehen. Ich möchte Ihnen mit diesem Buch dabei helfen.
Auf die unterschiedlichste Art und Weise dringt die Wahrnehmung der Einsamkeit, die viele in unserer heutigen Zeit empfinden, bis ins öffentliche Leben durch. In manchen Kommunen wurden bereits spezielle Beauftragte, nämlich so genannte „Einsamkeitsmanager” und „Einsamkeits-Coaches”, eingestellt. Im Internet kann man alle möglichen „Tipps gegen Einsamkeit” finden. Es wird sogar schon „Technologie gegen Einsamkeit” angeboten. Andere organisieren Mahlzeiten für einsame Menschen: „Couscous gegen die Einsamkeit.” Eine andere Organisation, die die Einsamkeit bekämpfen möchte, verkauft Tickets für „Festessen gegen die Einsamkeit”. Alles in allem wird deutlich, dass Einsamkeit eine Erfahrung geworden ist, die viele Menschen kennen und die immer öfter auf Beachtung stößt. Wenn Sie einmal innehalten und in aller Ruhe über all das nachdenken, stellt sich automatisch die Frage: „Was steckt denn nun eigentlich hinter dieser auffälligen Entwicklung? Warum nimmt die Einsamkeit in unserer heutigen Zeit offensichtlich so auffällig zu?”
Auch in der Literatur stoßen wir immer öfter auf das Thema Einsamkeit. Die bekannte amerikanische Romanschriftstellerin Danielle Steel legt einer ihrer Romanfiguren, einem philosophisch angehauchten Arzt, folgende Worte in den Mund: „Unsere Mitmenschen verstehen sich darauf, uns im Stich zu lassen. Unsere Liebsten sterben, Partner laufen davon. Wir werden gleich mit Entlassung bestraft, auch wenn wir gar nichts falsch gemacht haben. Menschen, die einander lieben, verletzen einander immer wieder, auch wenn dies das Letzte ist, was sie möchten. Das Leben ist schmerzhaft, und es gibt keinerlei Garantien im Leben.”1
Immer öfter stoßen wir in der aktuellen Literatur auf Aussagen wie diese, die darauf hinweisen, dass viele Menschen in der heutigen Zeit durch alle möglichen Ereignisse und Erfahrungen auf sich selbst zurückgeworfen und infolgedessen mit einem Gefühl von Einsamkeit konfrontiert werden.
Einsamkeit tritt in vielen Formen und Varianten auf. Doch wenn wir uns mit der tieferen, intensiven Einsamkeit befassen, wird deutlich, dass diese äußerst heftig sein kann. Regelmäßig erhalte ich E-Mails von Menschen, welche die einsame Stimmung beschreiben, in der sie sich gerade befinden. So formulierte es jemand folgendermaßen: „Ich komme nicht aus meiner eigenen Dunkelheit heraus. Ich scheine ringsherum von Mauern eingeschlossen zu sein, und habe das Gefühl, dass ich nichts mehr wert bin!” Eine andere Leserin schrieb: „Ich bin jemand, die sich gewaltig bemüht, ihr Bestes zu geben, viel weint und sich wahnsinnig einsam fühlt. Ich glaube nicht, dass mein Umfeld noch Freude an mir haben kann.”
Das also macht Einsamkeit (unter anderem) mit uns: Sie beraubt uns unseres Selbstvertrauens und unseres Selbstwertgefühls. Dabei wird nahezu die gesamte Aufmerksamkeit des jämmerlich einsamen Menschen auf diese Einsamkeit und die Frage gerichtet, wie er diese überleben kann. Sich in einen anderen hineinzuversetzen, gelingt ihm daher nahezu nicht mehr. Dadurch kann die Einsamkeit einen Menschen ungewollt ziemlich egozentrisch machen.
Manche Menschen, die sich intensiv mit dem Problem der Einsamkeit beschäftigt haben, überlegen: „Wäre es möglich, dass es die Herausforderung unserer Zeit ist, diese Einsamkeit endlich ernst zu nehmen, weil wir nur dann lernen, den tieferen Sinn dieses irdischen Lebens zu ergründen und zu verstehen?” Es ist natürlich schon ein schockierender Gedanke, dass unsere Einsamkeit einen tieferen Sinn haben könnte ...
Doch wie kommen jene Menschen eigentlich auf diesen Gedanken? Sie kommen aufgrund folgender Erfahrung darauf: „Wenn unsere Einsamkeit uns Schmerzen bereitet und wir sie nicht mehr verdrängen, sondern ernst nehmen, tauchen automatisch alle möglichen Fragen in uns auf. Fragen wie: „Was ist der Sinn des Lebens, wenn es uns scheinbar nur noch Schmerzen bereitet und einsam macht? Warum überfällt diese beklemmende Einsamkeit ausgerechnet mich und nicht andere? Wie halte ich diese Einsamkeit aus, und wie kann ich sie überwinden?” Beim Durchleben der Einsamkeit und der Suche nach Antworten auf die Fragen, die sie quälen, kann in ihnen – so sagen sie – eine höhere Erkenntnis erwachen.
Manche Menschen stellen fest, dass sie mit all ihren Fragen auf sich allein zurückgeworfen waren und auf ihrer Suche nach Antworten zu entdecken begannen, dass die Einsamkeit ihnen letztendlich auch etwas geschenkt hatte – nämlich die Ahnung, dass es vielleicht doch eine höhere Wirklichkeit gibt. Daher, so sagt Renée Zeylmans, sind Einsamkeit und Leid vielleicht ein wichtiger Weg, auf dem wir uns dieser höheren Wirklichkeit bewusst werden können.2
Doch Renée Zeylmans erklärt auch: „Mein Leben ist von mehreren Formen von Einsamkeit gezeichnet. Nun, da ich den größten Teil meines Lebens hinter mir habe, kann ich auch erst darüber schreiben.”3
Das ist eine Feststellung, die ich auch von mir kenne. Einblick in die Einsamkeit zu nehmen und auf sinnvolle Weise lernen, damit umzugehen, ist, so betrachtet, eine Frage von Lebensweisheit und Lebenserfahrung.
Die Frage, die bei den eben erwähnten Überlegungen aufkommt, lautet: „Sollte es wirklich möglich sein, dass die tiefe Einsamkeit, die viele als dunklen Schatten erleben, der über ihr Leben fällt, nicht völlig sinnlos ist, sondern für uns auch zum Geschenk werden kann?” Clark E. Moustakas stellt fest, dass er dadurch, dass er seine Einsamkeit akzeptierte, begann, das Leben und die Natur tiefer und intensiver zu erfahren als jemals zuvor. Er schreibt: „Durch die Erkenntnis meiner eigenen fundamentalen Einsamkeit sah ich das Leben und die Natur in schillernderer Weise, als ich diese jemals zuvor erlebt hatte.”4Das heißt: Er begann, das Wesen der Natur zu entdecken, das hinter der äußeren Wirklichkeit verborgen liegt.
Wer Einblick in die verschiedenen Aspekte erhalten möchte, die mit dem Thema Einsamkeit verbunden sind, sieht sich mit verschiedenen Fragen konfrontiert:
Diese sowie viele andere Fragen rund um dieses Thema möchten wir gern in diesem Buch Schritt für Schritt durchdenken – in der Hoffnung, dass wachsende Erkenntnis uns helfen kann, auf sinnvolle Weise mit der eigenen Einsamkeit umzugehen. Dann nämlich – und das ist es, was ich von ganzem Herzen hoffe – werden wir vielleicht erfahren, wie Erkenntnis uns zum Trost wird.