Roy Rockwood

Bomba im Sumpf des Todes

Band 7

 

 

 

Etwas aus Bombas Leben

Wer Bomba bei seinen Abenteuern im Dschungel begleitet, wird sicher mehr von diesem interessanten Jungen erfahren wollen. Am besten stellen wir Bomba also vor, ehe seine neuen Erlebnisse beginnen.

Bomba ist vierzehn Jahre alt. Soweit er sich zurückerinnern kann, hat er im südamerikanischen Dschungel des Amazonas-Gebietes gelebt. Sein einziger Gefährte und Beschützer war ein alter Naturforscher, Cody Casson, der sich in ein weit abgelegenes Gebiet des Amazonas-Dschungels zurückgezogen hatte, um ganz seinen Forschungen zu leben.

Als Bomba in das Alter kam, in dem er mehr von seiner Vergangenheit und Herkunft zu erfahren wünschte, zog sich Cody Casson bei der Explosion eines Gewehres eine Kopfverletzung zu, durch die seine Gedächtniskraft geschwächt und später fast zerstört wurde. Von diesem Zeitpunkt an lastete die Verantwortung für den Lebensunterhalt auf Bomba.

In einem Alter, in dem andere Jungen ruhig und behütet bei ihren Eltern aufwachsen und die Schulbank drücken, musste sich Bomba mit den Gefahren und Härten des Dschungellebens vertraut machen. Seine strengen Lehrmeister waren die Erfahrung und die Not. Bald lernte Bomba die Weisheiten und Gesetze des Dschungels kennen, die es immer zu beherzigen galt. Er lernte die vielen Kampftricks, die Technik von Verteidigung und Angriff bei der Begegnung mit Raubtieren und Schlangen.

Seine schulmäßige und geistige Erziehung ließ natürlich zu wünschen übrig, da Cody Casson nicht mehr in der Lage war, den einmal begonnenen Unterricht fortzusetzen. Wie ein junger Indianer wuchs Bomba im Urwald heran. Auch äußerlich unterschied er sich wenig von den Eingeborenen. Seine Haut war dunkel gebräunt. Er trug einen Eingeborenenschurz und das Fell eines erlegten Pumas. Seine Waffen waren Pfeil und Bogen, die Machete und — als kostbarster Besitz — ein fünfschüssiger Revolver. Die Schusswaffe hatte er von zwei Weißen geschenkt bekommen, denen er bei einem nächtlichen Angriff von Jaguaren das Leben gerettet hatte.

Äußerlich glich Bomba also in vielen Dingen einem Indianer, und doch unterschied er sich in wesentlichen Anzeichen von den Eingeborenen. Er hatte eine gerade Nase und kastanienbraunes, welliges Haar. Die hellbraunen Augen leuchteten freundlich und oft mit einem Schimmer von Melancholie, denn die Einsamkeit machte Bomba zu schaffen. Je älter er wurde, desto mehr drängte sich ihm die Erkenntnis auf, dass er kein eingeborener Dschungelbewohner war. Sein Wunsch, etwas über seine Herkunft zu erfahren, wurde immer stärker.

Das einzige, was als Erinnerung an die Vergangenheit hin und wieder in Cassons Gedächtnis auftauchte, waren die Namen ‚Bartow‘ und ‚Laura‘. Aber der alte Naturforscher vermochte nie mit Bestimmtheit zu sagen, ob das die Namen von Bombas Eltern waren.

Im ersten Band — Bomba der Dschungelboy — wird erzählt, wie Bomba zwei weißen Gummisuchern das Leben rettete, wie er mit Raubtieren des Dschungels kämpfte, wie die Wohnhütte von Kopfjägern belagert wurde und wie ihm schließlich seine Freunde unter den Urwaldtieren zu Hilfe eilten und ihn befreiten. In einem Augenblick der Klarsicht erfuhr Bomba von seinem alten Gefährten, dass er weitere Kunde über seine Herkunft von Jojasta, dem Medizinmann des ‚Laufenden Berges‘ erhalten könnte.

Im zweiten Band — Bomba im Berg der Feuerhöhlen — machte sich Bomba auf die weite und gefahrvolle Reise zum ‚Laufenden Berg‘. Unterwegs rettete er eine weiße Familie vor den Kopfjägern und schloss Freundschaft mit dem gleichaltrigen Frank Parkhurst. Als Bomba schließlich nach Überwindung schlimmer Gefahren den ‚Laufenden Berg‘ erreicht hatte, erfuhr er vom sterbenden Jojasta nur, dass Sobrinini, die Hexe von der Schlangeninsel, ihm nähere Auskunft über seine Eltern geben könnte.

Nur stückweise vermochte Bomba also das Geheimnis seiner Herkunft zu lüften. Im dritten Band — Bomba am Großen Katarakt — fanden wir dann Bomba auf dem Wege zur Schlangeninsel. Unterwegs geriet er in die Hände der barbarischen und grausamen Kopfjäger, deren Häuptling Nascanora seit jeher sein persönlicher Feind und Widersacher war. Auch Casson und seine alte Pflegerin Pipina waren entführt worden. Bomba gelang die Befreiung, und er suchte Sobrinini auf der Schlangeninsel auf — doch wieder erhält er eine ungenügende Auskunft. In einem aufregenden Erlebnis erfuhr Bomba von Sobrinini, dass nur Japazy, der Herrscher auf der Jaguar-Insel, ihm mehr über seine Herkunft berichten könnte.

Im vierten Band — Bomba auf der Jaguar-Insel — erlebten wir mit Bomba den Wirbel der Ereignisse, der Gefahren und Abenteuer bei der beschwerlichen Suche nach Japazy. Eine schreckliche Naturkatastrophe machte der Reise ein vorzeitiges Ende.

Noch einmal finden wir Bomba im fünften Band — Bomba in der versunkenen Stadt — auf der Fährte des geheimnisumwitterten Japazy. Wir begleiten ihn bei der Suche nach der Stadt mit den goldenen Türmen, deren sagenhafte Reichtümer auch Japazy angelockt haben. Bomba erreicht die Stadt, überwältigt seinen Widersacher und wird später selbst von ihm gefangen genommen. Glück und Mut befreien den Dschungelboy und seinen Gefährten aus einer ausweglos erscheinenden Lage. Auf der Flucht findet der entscheidende Kampf mit Japazy statt. Juwelen und Diamanten von unschätzbarem Wert geraten in Bombas Besitz. Aber wichtiger ist für ihn ein kleines ledernes Tagebuch, in das Japazy seine Eintragungen gemacht hat.

Im sechsten Band — Bomba auf düsterer Fährte — haben wir den Dschungelboy auf dem Rückweg zu Cody Casson, zum Dorf der freundlichen Araos und Häuptling Hondura begleitet. Wir erlebten Bomba in einer Höhle, die sich düster, endlos und mit Abgründen und Schluchten unterirdisch hinzieht. Ein Schlangensumpf versperrt den Weg in die Freiheit. Wieder auf der Erdoberfläche, haben Bomba und Gibo aufregende Erlebnisse mit der Besatzung eines Flugzeuges. Die Gefährten müssen eine Wanderung unter dem Giftatem der Colopichi-Bäume durchmachen und geraten schließlich in die Hände von Kannibalen. Nach vielen Mühsalen erreichen Bomba und sein Gefährte endlich das heimische Dorf.

1 Von der Flut eingeschlossen

Züngelnde Blitze zuckten über den nachtschwarzen Tropenhimmel, und ein betäubender Donnerschlag ließ die Erde erbeben. Der Regen prasselte unablässig herab, aber in der einen Sekunde der Helligkeit hatte Bomba, der Dschungelboy, einen schnellen Blick in seine Umgebung geworfen.

Vor dem jäh hereinbrechenden Unwetter hatte er Schutz gesucht in der Mulde unter den Wurzeln eines umgestürzten Baumes. Das Gewitter war mit der Schnelligkeit und ungezähmten Wildheit der tropischen Unwetter über den Dschungel hergefallen und hatte Bomba bei seinem Jagdausflug überrascht. Da das Wild sich bei diesem Sturm zweifellos in seinen Schlupflöchern und Höhlen verborgen hielt, zähmte auch Bomba seine Ungeduld, so gut es gehen wollte, und kroch tiefer in sein Versteck hinein.

Noch tobte das Gewitter mit unverminderter Heftigkeit. Immer wieder zuckten die Blitze herab und erhellten augenblickslang die Silhouetten von Bäumen und Unterholz. Mit dem Geräusch eines Wasserfalles fiel der Regen in den Dschungel. Es wirkte so, als wollte er die Erde ertränken in einer neuen Sintflut, als wollte er das ganze üppige, sprießende und quellende Leben des Dschungels versinken lassen in einem Meer von Regen.

Allmählich wurde Bomba ungeduldig. Er konnte sich bei diesem Wetter nicht nach dem Stande der Sonne orientieren, aber sein Zeitsinn sagte ihm, dass es schon Nachmittag war. Auf keinen Fall wollte er mit leeren Händen in seine Hütte zurückkehren. Die Vorräte schrumpften schon bedenklich zusammen, und ein Großtier oder ein Jaboty wäre ihm jetzt eine willkommene Beute gewesen.

Aber nicht nur die Ungeduld machte ihm zu schaffen, sondern ein wachsendes Gefühl von Unbehagen breitete sich in seinem Innern aus. Wohl waren Kopf und Schulter vor den herabstürzenden Wassermassen einigermaßen gut geschützt, aber Bomba musste feststellen, dass die Mulde, in der er Schutz gesucht hatte, sich mehr und mehr mit Wasser füllte. Zahllose Rinnsale flossen hier zusammen und bildeten allmählich einen ekelhaften Tümpel.

In normalen Zeiten war der in der Nähe vorbeiströmende Fluss Aloya ein harmloses Gewässer. Doch wenn Wolkenbrüche ihn füllten, wurde er zu einem tobenden, gurgelnden Strom, der weit über seine Ufer trat und alles mitriss, was sich ihm entgegenstellte.

Vorsichtig versuchte Bomba seine Deckung zu verlassen, aber der Sturmwind presste ihm den Atem ab, und er hätte ihn umgerissen, wenn er auch nur einen Schritt weit gegangen wäre. Unwillkürlich zuckte der Dschungelboy zusammen, als ein Netz von gelbroten Blitzen die Landschaft in ein grelles, magisch-fahles Licht hüllte. Ein Krachen und Bersten folgte, das Bombas Trommelfell zu zersprengen drohte. Ein alter Baum war der Länge nach mittendurch gespalten worden, und die beiden Hälften stürzten mit Donnergetöse zu Boden.

Bomba verharrte noch eine Weile lang in seinem Unterschlupf. Die Gewalt des Sturmes ließ ein wenig nach, und der Junge wollte jetzt aufbrechen. Er schulterte seinen Bogen und watete aus dem Wasserloch heraus, in dem er zum Schluss bis über die Knie gestanden hatte.

Im gleichen Augenblick erstarrte seine Gestalt zu einer Haltung der Kampfbereitschaft und stählerner Spannung. Leicht vorgebeugt stand Bomba da und schaute dem Puma entgegen, der mit grimmigem Fauchen gerade auf ihn zukam. Offensichtlich war die riesige Raubkatze sehr schlechter Laune. Wahrscheinlich hatte sie bei dem Unwetter kein jagdbares Wild gefunden und war jetzt auf dem Rückweg zu ihrer Höhle.

In der nächsten Sekunde hatte Bomba einen Pfeil auf der Bogensehne. Die Bewegung war geräuschlos und so schnell, dass nur ein scharfes Raubtierauge sie erspähen konnte. Sofort ging der Puma zum Angriff über. Er duckte sich, und das Spiel der Muskeln an seinen oberen Läufen verriet seine Absicht zum Sprung.

Doch der Puma kam nicht mehr zum Springen. Als er sich vom Boden abschnellen wollte und Bomba die Bogensehne spannte, sauste ein langgestreckter, dunkler Körper von der Seite her auf die sprungbereite Raubkatze zu.

Als ob Naturelemente zusammenträfen, so ohrenbetäubend war das Gebrüll der kämpfenden Bestien in der nächsten Sekunde. Und es waren auch zwei Kräfte der ungezähmten Dschungelnatur, die sich im Kampfe am Boden wälzten. Eine andere Raubkatze war über den angreifenden Puma hergefallen, und die beiden Tiere hatten sich ineinander verbissen. Wütende Prankenschläge wühlten den Boden auf und rissen schmerzhafte Wunden in den Leib des Gegners. Unbeschreiblich war der Anblick dieser kämpfenden Urwaldgeschöpfe.

Jener Puma, der die Situation durch sein Eingreifen für Bomba so überraschend zum Guten gewendet hatte, war womöglich noch etwas größer als sein Gegner. Außerdem war der Vorteil der Überraschung auf seiner Seite gewesen. Im ersten Ansprung hatte er seinen Gegner niedergerissen.

Doch der neue Angreifer war älter als sein Artgenosse, und dadurch war die Kampfkraft der beiden ziemlich gleich. Gefährlich und hellschimmernd leuchteten die Raubtiergebisse auf. Immer ging der Biss in die Richtung der gegnerischen Kehle. Wem es gelang, dort seine scharfen Zähne in das weiche Fell zu schlagen, der würde als Sieger am Leben bleiben in diesem unbarmherzigen Kampf auf Leben und Tod. Keiner der beiden war bereit, nachzugeben oder das Feld zu räumen.

In dieser Lage wäre es für Bomba ein leichtes gewesen, die beiden Würger zu erlegen. In ihrer leidenschaftlichen Kampfbesessenheit hatten sie ihren menschlichen Beobachter vollkommen vergessen. Doch Bomba sagte sich, dass die Raubtiere die Arbeit des Tötens selbst besorgen mochten. Auf diese Weise schonte er seinen kostbaren Vorrat an Pfeilen.

Gerade wollte er den Schauplatz des wilden Gemetzels vorsichtig verlassen, als ihm etwas in der Fellzeichnung des großen Pumas vertraut erschien. Es war etwas lichter im Dschungel geworden, und Bomba konnte jetzt die Kämpfenden besser sehen. Er stutzte und verlor im nächsten Moment seine Haltung als unbeteiligter Zuschauer.

„Polu!“ rief er unwillkürlich laut. „Guter alter Polu!“

In leidenschaftlicher Anteilnahme sprang Bomba um die kämpfenden Raubkatzen herum, ohne auf seine eigene Sicherheit zu achten.

„Bist du mir zu Hilfe gekommen, Polu?“ rief er, obwohl er sich sagen musste, dass der Puma jetzt nicht auf seine Worte achten konnte. „Wolltest du mich retten, braver Kerl? Pack ihn, Polu! Ich stehe dir bei! Warte einen Augenblick!“

Der Dschungelboy riss seine Machete aus der Hülle, umkreiste die kämpfenden Katzen mit sprungbereiter Spannung und wartete auf eine Chance, seinem Freund aus dem Tierreich beizuspringen.

Noch schien das unmöglich. So schnell wirbelten die Körper der kämpfenden Riesenkatzen herum, dass jeder Sekundenbruchteil die Situation vollkommen änderte. So kam es auch, dass der Kampf zu Ende ging, ehe Bomba eingreifen konnte. Endlich hatte Polu seinen Gegner mit einem furchtbaren Biss an der Kehle. Vergeblich schlug der andere seine Krallen in die Schulter seines Feindes — vergeblich rissen die Hinterpranken den Boden auf. Polus Fänge hielten in eisernem Zupacken fest. Tiefer und tiefer bohrten sich die spitzen Reißzähne in die Kehle des Unterlegenen. Die Bewegungen wurden schwächer und schwächer — und schließlich sank der Kopf des Besiegten schlaff zur Seite.

Jetzt löste sich der Griff des Raubtiergebisses, und durch den Leib des verendenden Tieres ging ein Zittern. Noch einmal bewegten sich die Pranken in vergeblicher Anstrengung, und dann streckte sich der Körper: der feindliche Puma war tot.

Matt und abgekämpft erhob sich der Sieger und begann seine Wunden zu belecken. Zuerst achtete er nicht auf den Jungen. Doch dann, als Bomba auf ihn zueilte und ihm über das Fell streichelte, schmiegte er den Kopf an die Hüfte des Jungen und begann zu schnurren. Der Unterschied zwischen der wilden, kämpfenden Bestie und dem sanften Tier, das sich offensichtlich über die Anwesenheit seines jungen Menschenfreundes freute, war so erstaunlich, dass jeder Beobachter diese Szene für eine Vorspiegelung seiner Phantasie gehalten hätte.

Die Freundschaft des ungleichen Paares war schon einige Jahre alt. Damals hatte Bomba den hilflosen Puma gerettet, als dieser von einem umgestürzten Baum wie in einer Falle eingeklemmt gewesen war. Bomba hatte das Tier befreit, den gebrochenen Hinterlauf geschient und den Puma gepflegt, bis er wieder gesund war. Polu, so hatte Bomba seinen Freund aus dem Tierreich genannt, hatte diese Behandlung nie vergessen und dem Jungen durch Anhänglichkeit, Treue und Hilfsbereitschaft gedankt. Mehr als einmal hatte Polu dem Dschungelboy später in gefährlichen Situationen beigestanden, ja ihm das Leben gerettet.

Als die erste Begrüßung vorüber war, untersuchte Bomba die Wunden des Tieres. Er rieb sie mit einem Heilöl ein, das er immer bei sich trug, und hin und wieder leckte Polu dankbar die Hand Bombast

„Tapferer Polu“, lobte Bomba das Tier mit sanfter Stimme. „Keiner ist im Urwald so mutig wie du. Immer besiegst du deine Gegner. Du bist wirklich der stärkste von allen im Dschungel.“

Als hätte er die Worte verstanden, schnurrte der Puma zufrieden.

„Ich würde gern länger mit dir zusammenbleiben“, fuhr Bomba fort, „aber das Wasser steigt. Ich muss mich beeilen, von hier fortzukommen.“

Zum Abschied tätschelte der Junge noch einmal liebkosend den Kopf des Pumas und wandte sich zum Gehen. Einen Augenblick zögerte das Raubtier. Es schien, als wollte es dem Jungen folgen. Doch Bomba machte eine gebieterische Geste, und gehorsam wandte sich Polu ab und verschwand im Dickicht.

Nun eilte Bomba weiter. Der Regen fiel wieder stärker, und der Sturm hatte die Gewalt eines Hurrikans angenommen. Mit Mühe gelang es dem Jungen, sich auf den Beinen zu halten. Stellenweise watete er schon bis über die Knöchel im Wasser. Der tiefere Uferbezirk wurde mehr und mehr von dem ansteigenden Fluss überschwemmt, der die Wassermengen nicht mehr in seinem Flussbett halten konnte.

Gurgelnd und rauschend stieg der Wasserspiegel. Bomba keuchte und kämpfte sich voran. Wenn er stolperte und hinfiel, schlug das Wasser jetzt schon über seinem Kopf zusammen. Andererseits konnte er hier nicht schwimmen, ohne sich dauernd in dem Gestrüpp oder in den heimtückischen Lianen zu verfangen.

Eine Unsicherheit trieb Bomba vorwärts. Lauter und immer deutlicher drang ein unheilverkündendes Rauschen an sein Ohr. Eine Flutwelle von gewaltigem Ausmaß rollte den Fluss entlang. Was ihr auf dem Wege entgegentrat, riss sie mit sich. Oft hatte Bomba solche Situationen schon erlebt, und jedes Mal war er dabei knapp dem Tode entronnen. Wenn es ihm nicht gelang, sich auf ein höherliegendes Gebiet zu retten, war er verloren.

Lauter und lauter wurde das Wasserrauschen. Es glich jetzt dem Brüllen eines entfesselten Naturdämons. Windstöße jagten der Hochwasserwoge voran, und die Wipfel der gewaltigen Urwaldriesen neigten sich tief.

Zu spät!

Die Wasserwand rauschte heran. Sie packte den Jungen und hob ihn wie ein Holzstück auf einen Wellenkamm. Hilflos trieb Bomba dahin.

8 Die Bogensehne schwirrt

Der Affe warf nur einen flüchtigen Blick auf die drei Männer und wandte dann seine ganze zärtliche und liebevolle Aufmerksamkeit wieder dem Jungen zu.

„Viele Wochen lang habe ich dich nicht gesehen“, sagte Bomba freundlich. „Und es werden viele Wochen vergehen, bevor ich dich das nächste Mal Wiedersehen werde. Doch ich habe oft an Doto gedacht — sehr oft. Ich werde es nie vergessen, dass Doto mir geholfen hat, als die Kopfjäger unsere Hütte auf der Urwaldlichtung verbrennen wollten. Erinnerst du dich noch, Doto? Wie du die Tiere zusammengerufen hast und wie sie alle kamen, die großen Affenherden, die kreischenden Papageien — alle kamen sie!“

Das kluge Tier bewegte heftig den Kopf, als wollte es seine Zustimmung ausdrücken. Ein heftiges, schnelles Schnattern kam aus Dotos Maul, und er drückte liebevoll den Kopf an Bombas Wange. Dann schlug er die Hand an Bombas Hüftbeutel, als suchte er etwas.

„Die Mundharmonika!“ Bomba lachte. „Nein, die Musik, die dir zuerst so einen Schrecken eingejagt hat und die du nachher selbst gemacht hast, ist nicht mehr da. Sie ist mir einmal im Wald verloren gegangen.“

Der Affe schwadronierte in kurzen, heiseren Lauten auf Bomba ein, und der Junge musste ihn trösten. Er redete Doto lange zu und überzeugte ihn schließlich davon, dass er jetzt seinen Weg wieder allein gehen müsste. Davon wollte Doto allerdings noch nichts wissen. Auf eine gebieterische Geste Bombas hin, glitt er zwar auf einen Baum, aber er folgte der Expedition in den Ästen und ließ sich nicht abweisen.

„Grenzt das nicht an Hexerei?“, fragte Leeds seinen Gefährten Richardson, während sie weitermarschierten.

„Es sind schon viele Dinge geschehen, die an Hexerei grenzen“, antwortete der andere. „Seit der Junge bei uns ist, glaube ich wieder an Wunder.“

Yarrow mischte sich in das Gespräch, denn Bomba ging vor ihnen her und konnte die Unterhaltung nicht mit anhören.

„Gut für seine Freunde und ein Schrecken für alle Feinde“, ergänzte der Forscher. „Von Gestalt und der Entwicklung nach zu urteilen, ist er noch vollkommen ein Junge, aber er hat das Herz eines Helden. Wirklich: eines der seltsamsten Exemplare der Gattung Mensch, die ich je auf meinen weiten Reisen getroffen habe.“

Gegen Sonnenuntergang gelangte der Trupp an den Rand des Urwaldes, und eine Lichtung von beträchtlichem Ausmaß breitete sich vor ihnen aus. In der Ferne schimmerte mit silbrigem Glänzen das breite Band eines Flusses. Als sie näherkamen, erkannte Bomba die Umrisse eines Tapirs, der friedlich am Ufer äste. Der Wind stand gegen die Männer, so dass das Tier ihre Witterung nicht bekam. Sie hielten sich im hohen Gras verborgen, und Yarrow murmelte:

„Ein gutes Stück Frischfleisch könnten wir jetzt gebrauchen.“

„Aber das Tier ist außer Schussweite“, meinte Leeds bedauernd.

„Können die Gewehre mit ihren langen Rohren nicht so weit reichen?“, fragte Bomba verwundert. Er hatte schon Erfahrungen mit einem Revolver gesammelt und meinte, dass ein Gewehr wegen seiner Länge über unendlich weite Strecken schießen müsste.

„Ich glaube nicht, dass es so weit trägt“, meinte Yarrow zweifelnd. Dann sah er, dass Bomba seinen Bogen von der Schulter genommen hatte, und er fragte erstaunt: „Du wirst doch nicht etwa auf diese Entfernung mit einem Pfeilschuss den Tapir erlegen wollen?“

„Ich will es versuchen“, erwiderte Bomba ruhig und wählte einen Pfeil aus dem Köcher. „Tapirfleisch ist ein guter Braten.“

Der Junge zielte sorgfältig und setzte wieder ab.

„He?“, fragte Leeds spöttisch. „Nicht ganz so einfach, wie der junge Meisterschütze sich das vorgestellt hat!“

„Der Tapir muss sich drehen“, erklärte Bomba, ohne sich durch den Spott kränken zu lassen. „Der Pfeil muss die Seite treffen, an der das Herz liegt. Wenn ich das Tier nur verwunde, springt es ins Wasser, und wir können es nicht erreichen.“

Yarrow lachte.

„Anderen würde es genügen, das Tier überhaupt zu erlegen. Nein, das reicht Seiner Hoheit bei weitem nicht! Es muss ein Blattschuss sein!“

In diesem Augenblick wandte sich der Tapir langsam um. Die Sehne schwirrte — der Pfeil sauste davon. Der Tapir tat einen merkwürdigen Sprung zur Seite und fiel um, als hätte ihn ein Blitzschlag getroffen. Er zuckte nur noch einmal mit den Füßen und lag dann still.

„Was sagt ihr jetzt?“, Leeds warf vor Erregung die Arme in die Luft und blickte seine Gefährten mit einem hilflosen Blick an, als wollte er sie zu Zeugen machen für ein Geschehnis, das nur als Wunder zu deuten war. „He? Was sagt ihr beiden amerikanischen Meisterschützen jetzt? Braucht keine Munition — kein Zielfernrohr — keine Präzisionsgewehre! Macht das alles mit einem Bogen, einer lächerlichen Darmsaite und einem Pfeil, der wie ein großes Kinderspielzeug aussieht.“

Richardson war schon zum Ufer geeilt, und die anderen folgten ihm. Bomba ging langsam hinterher, und als er herankam, konnte er die Genugtuung erleben, dass ihm die Männer achtungsvoll Platz machten. Er nahm den Pfeil aus der Herzwunde, reinigte ihn und schob ihn in den Köcher zurück.

„Es ist gut, das Wild mit dem ersten Schuss zu töten“, erklärte er sachlich. „Dann leiden die Tiere nicht unnötig.“

„Eine alte Jägerweisheit“, bestätigte Yarrow seufzend. „Aber nicht jeder kann das vollbringen.“

„Unheimlich!“, stieß Richardson hervor und schüttelte immer wieder den Kopf.

An diesem Abend brauchte sich die Expedition keine Sorgen wegen ihrer Mahlzeit zu machen. Es gab saftige Steaks von dem erlegten Tapir, und sie konnten ihre eisernen Rationen sparen.