und über den Tod hinaus
Mit einem Vorwort von Ruediger Dahlke
Herausgegeben von Trutz Hardo
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© Copyright Verlag »Die Silberschnur« GmbH
ISBN: 978-3-89845-378-3
eISBN: 978-3-89845-699-9
1. Auflage 2020
Gestaltung & Satz: XPresentation, Güllesheim
Umschlaggestaltung: XPresentation, Güllesheim; unter Verwendung verschiedener Motive aus: www.fotolia.com
Verlag »Die Silberschnur« GmbH · Steinstr. 1 · 56593 Güllesheim
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Ich widme dieses Buch Elisabeths Sohn,
dem Fotografen Kenneth Ross.
Er hat sie auf mehreren ihrer weiten Reisen
begleitet und ihr Beistand und Stärke gegeben.
Nachdem seine Mutter durch Schlaganfälle
immobil geworden war, hat er sie
bis zu ihrem Tod betreut.
Danke, Ken.
Vorwort von Dr. med. Ruediger Dahlke
“Der Tod existiert nicht!”
Wachsende Popularität
Kritiker und Anfeindungen
Das Buch Über den Tod und das Leben danach
Der Engel der AIDS-Kranken
Einsamkeit und schwere Krankheit
Warten auf das Ende
Über die Autorin
Unser Problem mit dem Sterben lässt sich gut am Leben und Sterben der Ärztin Elisabeth Kübler-Ross erkennen. Wohl keine Ärztin hat in diesem Jahrhundert so viel Bewusstheit im Hinblick auf den Tod erweckt. Begonnen hat sie ihren ärztlichen Weg als Landärztin in der Schweiz. Erst später, in den USA, machte sie die Sterbeforschung salonfähig und erlangte dadurch wissenschaftlichen Weltruf. Im Alter – angetrieben von ihrem unstillbaren Bedürfnis zu helfen und der unbeugsamen Ehrlichkeit gegenüber ihren Forschungsergebnissen – hat sie den Bogen noch weiter gespannt bis in Bereiche jenseits des Sterbens und des Todes. Doch damit hatte sie für viele Wissenschaftler den Bogen überspannt. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, mochte man ihr nicht mehr folgen und verwarf zum Teil auch Dinge, die vorher schon längst akzeptiert worden waren. So war sie immer unbequem für ihre wissenschaftlichen Kollegen, und manchmal konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie ihr Ehrendoktorhüte (etwa 20!) aufsetzten, um ihr anschließend nicht folgen zu müssen. Wohl kaum ein Forscher hat so viel Anerkennung erhalten bei so konsequenter Ignorierung seiner Ergebnisse. Dass viele ihr nicht folgen konnten auf ihren weiten Ausflügen in jene unheimlichen Bereiche jenseits der Schwelle des Todes, ist eine Sache, die mehr über die anderen als über die Autorin sagt. Die Vielgeehrte wurde manchmal gar als verrückt abgestempelt, was wohl der einfachste Weg war, um sich nicht mit ihren Forschungsergebnissen auseinandersetzen zu müssen. Besonders für die zumeist ängstlichen Gemüter im medizinischen Wissenschaftszirkel war das jener verlockende Ausweg, auf dem man schon versucht hatte, so große Geister wie Ignaz Semmelweis und Wilhelm Reich loszuwerden. Bis heute hat das Gerichtsurteil Gültigkeit, das jede Forschung im Bereich der von Reich entdeckten Orgon-Energie in den USA unter Strafe stellt. Das ist die Methode der Angst, die sich gern hinter Paragraphen verschanzt.
Als Sterbeforscherin machte Elisabeth Kübler-Ross aber nicht nur durch ihr Forschungsgebiet, sondern vor allem auch durch ihre radikale Menschlichkeit und Lebendigkeit Angst. Mit ihrem Versuch, aidskranken und damals todgeweihten Kindern jedweder Hautfarbe in ihrem eigenen Heim ein Zuhause zu schaffen, hat sie ihre Nachbarn in der amerikanischen Provinz so verängstigt, dass sie ihr das Haus niederbrannten. Wissenschaftler wissen ihre Angst subtiler zu bemänteln, und manchmal hängte man ihr auch das Mäntelchen einer Heiligen um, die so weit über anderen stand, dass es gar keinen Zweck hatte, ihr nachzueifern. Oder man schob ihre Vorstellungen in die Ecke idealistischer Versponnenheit: gut gemeint, aber nicht zu realisieren. Dabei hat sie beeindruckend vorgelebt, wie so vieles sogleich zu verwirklichen war. Ihre Wissenschaft hatte immer sehr schnell praktische Konsequenzen und war nie in jenem Elfenbeinturm angesiedelt, den manche ihrer Kollegen, die die Praxis in den Universitätskliniken bestimmen, zeitlebens nicht verlassen.
So kam es, dass Elisabeth Kübler-Ross – wie übrigens auch der andere große Geist auf diesem Gebiet, Raymond Moody – die Mehrheit ihrer Anhänger schließlich außerhalb wissenschaftlicher Kreise hatte. Ihr Wirken, das ganz um Sterbende kreiste, hatte vor allem Auswirkungen auf die Lebenden. Das Forschungsgebiet des Todes mit Gefühlen zu verbinden, verletzte wesentliche Tabus der herrschenden Universitätsmedizin. Zum Schluss war sie so dem Buddhismus näher als der Zunft jener Wissenschaftler, die peinlich bemüht sind, alle Gefühle und Emotionen aus ihrer Arbeit zu verbannen, um objektive Ergebnisse zu erzielen, die meist wenig mit den fühlenden Wesen zu tun haben, sondern mehr auf Patente und wissenschaftliche Anerkennung zielen.
Wir verdanken es Frau Kübler-Ross, dass Sterben überhaupt wieder zum Thema der Wissenschaft wurde. Laut einer Umfrage glaubt die große Mehrheit der Deutschen schon gar nicht mehr daran, sterben zu müssen. Auf die Frage, ob sie lieber zu Hause oder in der Klinik sterben wollen, antworten nämlich 93 Prozent der befragten Deutschen sinngemäß: “Wenn schon, dann zu Hause!” Dieses “Wenn schon, dann …” muss wohl als Zeichen erheblicher kollektiver Verdrängung gedeutet werden. Fast überflüssig zu erwähnen, dass dennoch über 90 Prozent der Großstädter – gegen ihren in der Umfrage erklärten Willen – in Kliniken sterben.
Elisabeth Kübler-Ross trat leidenschaftlich dafür ein, den Wunsch nach dem Sterben im eigenen Heim zu erfüllen, vor allem den Sterbenden, aber auch ihren Angehörigen zuliebe. Sie selbst erlebte – bei allem wissenschaftlichen Engagement – die Begleitung von Sterbenden als zutiefst beglückend. Dass diese Möglichkeit sich trotz allen Engagements nur so schleppend durchsetzen lässt, hat nicht nur mit der Angst der Angehörigen zu tun, sondern auch mit jener der niedergelassenen Mediziner. Sterben muss denjenigen, die angetreten waren, es zu verhindern, als Niederlage erscheinen. In dieser Hinsicht zu klassischen Verlierern erzogen, vermeiden sie es daher in der Regel lieber, Zeugen der eigenen Niederlage zu werden, und weisen die Patienten “rechtzeitig” in Kliniken ein, wo alles wenigstens hinter verschlossenen Türen stattfindet. Die dortigen Mediziner schützen sich in der Regel durch Abwesenheit im entscheidenden Moment vor der Erkenntnis der Niederlage und der Erinnerung an die eigene Sterblichkeit.
Sterben ist in deutschen Krankenhäusern im Allgemeinen noch immer eine schreckliche Erfahrung. Was sich im Gefolge der Arbeit von Elisabeth Kübler-Ross und der Hospiz-Bewegung als Alternative zum Abgeschobenwerden auf den Gang oder in angrenzende Zimmer entwickelt hat, ist zwar wundervoll, aber doch nur ein Tropfen (hoffentlich der erste und nicht der letzte!) auf den berühmten heißen Stein. Die Mehrheit der Patienten landet in Klinik-Mehrbettzimmern, wo schon die anderen Patienten dafür sorgen, dass sie zum Sterben auf den Gang geschoben werden.
Der Schlusspunkt unter dem beeindruckenden Leben der großen Sterbeforscherin zeigt, wie schwer diese ganze Thematik zu bewältigen ist. Elisabeth Kübler-Ross konnte ihre Erkenntnisse auf ihren eigenen Tod kaum anwenden und geriet zum Lebensende nach einem Schlaganfall in eine schreckliche Situation des Widerstandes, die ihren vielen Anhängern schwer zu schaffen machte und natürlich Wasser auf die Mühlen ihrer Gegner war. Aber anstatt dieses persönliche Scheitern am eigenen Anspruch zu nutzen, um ihre Arbeit rückwirkend zu entwerten, könnten wir daran vielmehr sehen, wie schwer diese Thematik für westliche Menschen ist. Elisabeth Kübler-Ross’ Werk bleibt dennoch ein wundervoller Schritt in die richtige Richtung, das Sterben mit dem Leben zu versöhnen.
(Dieses Vorwort entstammt mit der Genehmigung des Autors seinem Buch Von der großen Verwandlung – Wir sterben … und werden weiterleben. Crotona 2011)
“Ich kann mit absoluter Sicherheit sagen:
Es gibt keinen Tod.”
1982 besuchte ich meine amerikanische Freundin Judy in Birmingham im Staate Alabama. Als gelernte Krankengymnastin und nun auch als Ausbilderin in diesem Fach betreute sie gelegentlich den ehemaligen Gouverneur George Wallace, der nach einem Attentat nur noch im Rollstuhl gefahren werden konnte. Bei meinem Besuch fand ich in einem Stapel von Illustrierten in der Zeitschrift The CoEvolutionary Quarterly einen 1977 erschienenen Artikel über Elisabeth Kübler-Ross, den ich mit Spannung las und welcher in der Folge mein Leben verändern sollte. Ich hatte den Namen dieser Ärztin wohl gelegentlich vernommen, aber noch nichts von ihr oder über sie gelesen. Die Überschrift dieses Artikels lautete: Death Does Not Exist (“Der Tod existiert nicht”). Dieser wurde von der Herausgeberin Frau Ferguson mit folgenden Worten eingeleitet: “Charisma ist ein zu schwacher Ausdruck für die gefühlte Elektrizität, die die Zuschauer überkam, als Kübler-Ross mit ihrem Vortrag begann. Die meisten der 2300 Zuhörer wurden zu Tränen gerührt. Nach Beendigung ihrer Rede herrschte zuerst für einige Momente Schweigen. Doch dann erhoben sich alle gemeinsam und klatschten Beifall.”
Ich will hier die für dieses Buch wesentlichen Teile des Vortrags wiedergeben, der anlässlich eines Symposiums an der Universität von Kalifornien in San Diego unter dem Motto “Das Heilzentrum der Zukunft” gehalten wurde. Elisabeth Kübler-Ross stellte das Thema Liebe in den Vordergrund, denn “richtig zu leben heißt eigentlich, lieben zu lernen.”
Sie beginnt, über ihre Lebenslaufbahn zu sprechen, die als Drilling in der Schweiz 1926 begann. Als Medizinstudentin kam sie 1946 nach Polen, um dort beim Wiederaufbau zu helfen, und hier entdeckte sie in den Baracken des Konzentrationslagers “Majdanek”, wie Kinder vor ihrem Tod Schmetterlinge in die Bretterwände geritzt hatten, so als wüssten sie, dass sie nach dem Tod in etwas Höheres verwandelt werden. Somit wurde hinfort das Schmetterlingsmotiv für Elisabeth ein Symbol für die Verwandlung des Erdenmenschen in ein schöneres Wesen in der jenseitigen Welt.
Durch ihre Heirat mit Manuel Ross kam sie nach Amerika, wo sie in verschiedenen Hospitälern als Ärztin arbeitete, besonders mit Kindern. Die Kinder wurden, wie sie sagte, ihre größten Lehrmeister, denn sie berichteten ihr kurz vor ihrem Tod, dass jemand da sei, um sie abzuholen. Meistens handelte es sich um eine bereits verstorbene Person aus der Verwandtschaft oder auch um einen Engel. So erzählte eine Zwölfjährige, die man schon für tot gehalten hatte, ihrem Vater nach ihrem Aufwachen über ihr schönes Erlebnis in der jenseitigen licht- und liebevollen Welt. Dort begegnete sie einem Jungen, der sich ihr gegenüber als ihr Bruder ausgab und sie zärtlich und liebevoll umarmte. Zu ihrem Vater sagte sie: “Das einzige Problem, das ich mit diesem Erlebnis habe, besteht darin, dass ich gar keinen Bruder habe.” Und der auf einmal weinende Vater erklärte ihr, dass sie ein Brüderchen gehabt habe, das aber vor ihrer Geburt schon verstorben sei. Die Eltern hatten ihr gegenüber nie darüber gesprochen.
Zum Thema “klinischer Tod” sagte Elisabeth Kübler-Ross: “Nicht einer meiner Patienten, denen solch ein todesnahes Erlebnis widerfahren war, hatte danach noch irgendwelche Furcht vor dem Tod. Und ich möchte nochmals betonen: auch nicht ein Einziger! Viele dieser Patienten haben mir auch gesagt, dass sie außer dem Frieden, der sich bei ihnen einstellte, dem Gleichmut, dem Innesein sowie der Erfahrung, wohl wahrnehmen zu können, aber selbst nicht wahrgenommen zu werden, ein Gefühl des Ganzseins verspürten. Darunter ist zu verstehen, dass jemand, der bei einem Autounfall ein Bein verloren hat und dieses auf der Straße liegen sieht, nach dem Heraustreten aus seinem physischen Körper bemerkt, dass er wieder im Besitz seiner beiden Beine ist.
Eine unserer Patientinnen erblindete bei einer Explosion im Labor. Unmittelbar danach befand sie sich außerhalb ihres Körpers und konnte wieder sehen. Sie sah die weiteren Folgen dieses Unfalls mit an und beschrieb später, was geschah, als Leute hinzueilten. Als es den Ärzten später gelang, sie wieder ins Leben zurückzuholen, war sie völlig erblindet. Verstehen Sie nun, warum sich viele von ihnen gegen unsere Versuche wehren, sie ins Leben zurückzuholen, wenn sie sich doch an einem weit wunderbareren, viel schöneren und vollkommeneren Ort befanden?
Viele Leute werden nun sagen: ‘Dies ist eine aus dem Wunschdenken heraus erzeugte Gedankenprojektion. Denn jene, die sterben, sind einsam, fühlen sich verlassen und fürchten sich. Somit projizieren sie jemanden vor sich, den sie lieben.’ Wenn diese Behauptung wahr wäre, dann müssten neunundneunzig Prozent meiner Fünf-, Sechs- und Siebenjährigen ihre Mutter oder ihren Vater sehen. Aber nicht eines von all diesen Kindern, von denen wir über Jahre hinweg Fälle zusammengetragen haben, sagte, dass es bei seinem Scheintoderlebnis seine Mutter oder seinen Vater gesehen hätte, da diese ja noch lebten.
Zwei Bedingungen haben sich als ein gemeinsamer Nenner bei der Frage herausgestellt, wen man beim Scheintod sieht. Erstens: Der oder die Gesehene muss schon vor einem selbst ‘hinübergegangen’ sein, und handele es sich dabei nur um eine Minute. Und zweitens: Es muss zwischen beiden ein echtes Band der Liebe bestanden haben.”
Was, liebe Leser, hätten Sie beim Lesen eines solchen Artikels gedacht, gespürt, empfunden? Hier spricht eine Ärztin über ihren Werdegang, der sie auf wunderlichste Weise neues Territorium in der Medizin erforschen lässt und sie als die Sterben-und-Tod-Dame berühmt macht, die schließlich bei ihrer Arbeit auch Hilfe aus der Welt der Verstorbenen erhält, die in einer für uns unsichtbaren Welt leben, in welcher man einen neuen, gesunden Körper erhält, in einer Welt, die zugleich viel schöner als die unsere ist. Sollte es denn wahr sein, dass wir nach dem Tod weiterleben und auch die Möglichkeit haben, mit den Erdbewohnern zu kommunizieren oder uns ihnen gar zu zeigen? Wenn all das, was diese Ärztin sagt, der Wahrheit entspricht, wird sich bei jedem, der solch einen Vortrag hört oder liest, ein Umdenken einstellen. Man kann es fast als Paradigmenwechsel bezeichnen, denn die eigentliche Botschaft lautet: Wir müssen keine Angst vor dem Tod haben, denn es gibt ihn nicht. Nach unserem Tod leben wir in einer schöneren Welt weiter, und sollten wir als Erdenbürger alt, gebrechlich oder physisch versehrt gewesen sein, haben wir “auf der anderen Seite des Schleiers” wieder einen heilen, gesunden Körper. Das ist sicherlich eine “frohe Botschaft”.
Ich musste diese Frau unbedingt aufsuchen, fühlte ich mich doch mit dem, worüber sie sprach, sehr verbunden. Nach einigen Schwierigkeiten wurde mir gestattet, in drei Tagen abends an Elisabeth Kübler-Ross’ Workshop mit dem Titel Life, Death und Transition (“Leben, Tod und Übergang”) teilzunehmen. Ich erhielt die genaue Anschrift des Seminarzentrums und flog zwei Tage später nach San Diego. Dieses Zentrum ist versteckt in einem Wald aus Fichten gelegen. Dort parkte ich meinen Wagen und ging auf das Gebäude zu, aus dessen geöffneter Tür nun die Seminarteilnehmer kamen. Ich fragte sie, wo Elisabeth sei. Doch keiner wusste genau, wo sie sich gerade aufhielt. Während ich noch weitere Erkundigungen einholte, brauste ein Pick-up an mir vorbei. Dieser war voll beladen mit einem Berg von Kiefernzapfen – und oben drauf saß Elisabeth Kübler-Ross. Als sie herabgestiegen war, stellte ich mich ihr vor und dankte ihr für die Einladung. Sie sagte, dass sie jetzt keine Zeit für mich habe, winkte aber einen jungen Deutschen herbei, der mir erklärte, worum es in dem Seminar ging. Die Seminare, die Elisabeth Kübler-Ross weltweit gebe, seien immer auf siebzig, maximal fünfundsiebzig Teilnehmer begrenzt, wobei ein Drittel aus Sterbenskranken oder Eltern sterbenskranker Kinder bestehe. Ein weiteres Drittel bestehe aus Ärzten, Geistlichen, Sozialarbeitern, Therapeuten und Krankenschwestern, und das letzte Drittel setze sich aus jenen zusammen, die ganz “normale” Leute seien und unbedingt einen solchen Workshop miterleben wollten. Am heutigen Donnerstagabend finde auch eine Kiefernzapfenzeremonie statt, weshalb Elisabeth vorhin mit einer Ladung Kiefernzapfen zurückgekehrt sei, die sie mit anderen aufgesammelt habe.
Dann führte er mich zu dem Platz, wo diese Zeremonie nun stattfinden sollte. Vorne war eine Feuerstelle zu sehen, um die die Kiefernzapfen gelegt wurden, und allmählich strömten nun die Teilnehmer herbei und nahmen auf Bänken Patz. Ich suchte mir neben meinem neuen Freund einen Platz und wartete, was wohl geschehen möge. Schließlich wurde ein Haufen dieser Kiefernzapfen auf der Feuerstelle angezündet, und dann erschien in der vom Feuergeflacker gespenstisch erhellten Nacht Elisabeth. Hier sprach keiner mehr von Frau Dr. Ross. Denn sie war allen eine enge Vertraute geworden, die sich trotz ihres Doktortitels in nichts von anderen unterscheiden wollte. Sie stellte sich nun vor dieser Feuerstelle auf und erklärte, was jetzt stattfinden würde. Ein jeder habe sich in den ersten Tagen indirekt, aber vor allem direkt von alten mitgeschleppten und oft verdrängten Programmierungen, die mit Ängsten und vor allem Kindheitstraumata zusammenhingen, gelöst. Jeder nehme nun einer nach dem anderen einen der Kiefernzapfen und stopfe alles in ihn hinein. Dabei sage er laut und vernehmlich, von was er sich nun in diesem Workshop gelöst habe. Ein Rollstuhlfahrer beispielsweise nahm einen Zapfen in die Hand und sagte: “Ich vergebe Gott, dass er mich als Krüppel auf die Welt kommen ließ.” Ein anderer: “Ich hadere nicht mehr mit meinem Schicksal. Ich nehme es jetzt als wichtige Lernaufgabe an und befreie mich von meinen Depressionen.” Und daraufhin warf ein jeder seinen Zapfen in das Feuer. Einige Frauen waren als Kind missbraucht oder als junge Frau vergewaltigt worden. Nun vergaben sie ihren Übeltätern, da Elisabeth sie gelehrt hatte, dass es keine Zufälle gibt und dass aus höherer Sicht alles gerecht ist. Eine Frau, die sagte, dass sie sich nie getraut habe, vor anderen zu singen, stopfte diese Angst in den Zapfen, warf ihn in das Feuer, drehte sich wieder zu uns und sang eine wunderschöne Arie. Wir waren alle ganz bewegt.