»Lilli, komm schon. Trink noch einen mit!«, forderte die blonde Caro ihre Freundin auf.
»Ihr wisst genau, dass ich Alkohol nicht gut vertrage«, versuchte Lilli, sich aus der Affäre zu ziehen.
»Ich vertrag auch nichts«, kicherte Inga. »Und – lasse ich mich davon abhalten?«
Caro beendete die Diskussion, indem sie noch eine Runde Caipi für alle bestellte.
Lilli stöhnte auf und rief der Bedienung hinterher: »Ein Glas Leitungswasser für mich dazu, bitte!«
»Tröste dich, Lilli«, sagte Eva, die Vierte im Bunde, »ich muss morgen früh aufstehen, du musst an einem Samstag ja nicht arbeiten.«
»Stehen die Lünebürger schon so früh auf, um ihre Sextoys zu kaufen?«, fragte Lilli und trank mit schlürfenden Geräuschen den Rest ihres ersten Cocktails durch den Strohhalm aus.
»Ich verkaufe keine Sextoys oder, na ja, nur ein paar. Hauptsächlich geht es doch um Sinnliches und Erotisches, Lingerie zum Beispiel. Aber warum muss ich euch das immer wieder erklären?«
»Dein Laden muss doch boomen, seit dieser Sex-Roman Teuflisches Begehren – Dangerous Passion so bekannt wurde. Phänomenal, wie das ankommt. Aber der Autor Tom Black ist ja auch ein Schnuckelchen«, kommentierte Caro und zog sich anschließend die Lippen nach.
Lilli verzog den Mund. Von dieser Art Literatur hielt sie nicht viel. Genauer gesagt, würde sie es nicht mal als Literatur bezeichnen. Dieser frauenverachtende Erotikschund sollte überhaupt nicht veröffentlicht werden, wenn es nach ihr ginge.
»Auf jeden Fall trauen sich mehr Frauen in meinen Laden und die meisten suchen auch keine Kabelbinder«, lachte Eva.
»Ich hab’ in der Bunten gelesen …«, mischte sich Inga ein.
»Du liest die Bunte?«, unterbrach Eva ihre Freundin mit großen Augen.
»Natürlich liest Frau die Bunte«, warf Caro ein. »Man muss doch wissen, was in der High Society abgeht. Ich habe auch gelesen, das wolltest du doch sagen, Schätzelein, dass dieser T. C. Black ein ziemlich schlimmer Finger ist. Man munkelt, er vögelt mehr Frauen als Casanova seinerzeit.«
»Ekelhaft!«, kommentierte Lilli nun entgegen ihrer Vorsätze doch. »Wie kann man sich das nur antun? Das ist widerlich. Was ist mit all den Emanzipationsbestrebungen passiert, der Eigenständigkeit, für die unsere Großmütter und Mütter gekämpft haben!«
»Ach, du wieder!«, lachte Caro. »Du verstehst doch gar nicht, worum es geht. Hast du die Bücher gelesen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Lilli mit einem empörten Schnauben und nahm ihren Caipi entgegen, der soeben von einer jungen Bedienung gebracht wurde.
»Aber das ist doch dein Job! Die Trilogie gehört mittlerweile zur Allgemeinbildung!«, gab Caro nicht nach.
»Nein. Also wirklich nicht. Oscar Wilde oder die Brontë-Schwestern, die gehören zur Allgemeinbildung. Aber doch nicht die Aneinanderreihung von pornografischen Szenen, die die Psyche der Frauen mit Füßen treten!«
»Mädels, keinen Streit«, ging Eva dazwischen. »Ich kann wirklich sagen, dass seit dieser Reihe auch Frauen in meinen Laden kommen, die sich das vorher wahrscheinlich nie getraut hätten. Das ist doch auch eine Form der Emanzipation oder der sexuellen Befreiung.«
Lilli presste die Lippen aufeinander. Warum keine ihrer Freundinnen verstehen wollte, dass man sich als Frau nicht so erniedrigen lassen sollte, wie es von diesem Pfuscher Black beschrieben wurde, war ihr unverständlich. Natürlich hatte sie eine ganze Reihe von Kritiken über diese Bücher gelesen, ebenso wie Textausschnitte daraus, und sie hatte Diskussionen zum Thema verfolgt. Aber mehr Interesse hatte sie dem Phänomen ansonsten nicht entgegengebracht. Nicht entgegenbringen können, weil es ihr Übelkeit verursachte.
Inga trank einen Schluck und warf mit alkoholverhangenem Blick ein: »Ich muss schon sagen, dieser T. C. Black sieht echt scharf aus, also wenn ich Jan nicht hätte …«
»Nicht du auch noch, Inga!«, seufzte Lilli. Sie sog am Strohhalm und verzog das Gesicht, da sie vergessen hatte, vorher umzurühren, und nun Zuckerbrösel in ihrem Mund schwammen.
Caro beugte sich ein Stück vor und flüsterte: »Ich hab auch gelesen, dass Hollywood die Reihe verfilmen will, und angeblich hat man ihm die Hauptrolle seines eigenen Protagonisten angeboten. Ist das nicht hot?«
»Ich würde eher sagen not!« So einfach wollte Lilli nicht klein beigeben.
»Pah. Du musst mal ein bisschen lockerer werden.« Caro schüttelte den Kopf und widmete sich nun ebenfalls ihrem Drink.
»Ach, Caro. Nicht persönlich werden, nur weil ich keine Lust darauf habe, mein Selbstwertgefühl mit Füßen treten zu lassen.«
»Du musst dir den Kerl mal ansehen, Lilli«, pflichtete Eva den Anderen bei, »sein Image passt perfekt zu dem seines Protagonisten Vincent Skye. Er ist immer komplett in Schwarz gekleidet, trägt oftmals einen dunklen Hut, ist immer glattrasiert, seine Augen sind schwarz betont. Der Mann sieht aus wie die Fleischwerdung eines schwarzromantischen Helden. Der helle Wahnsinn!«
»Ich verstehe euch einfach nicht. Warum wollen auf einmal alle Bad Boys, die die Frauen schlecht behandeln? Wo ist die Sehnsucht nach dem Ritter auf dem Schimmel hin?«, entgegnete Lilli naserümpfend.
»Aber deinen Ritter, Lilli, müsste man auch erst noch backen. Du hast ja an jedem was auszusetzen«, warf Inga ein.
»Kann schon sein, aber sooo schlimm bin ich auch nicht.«
Caro prustete und ein Cocktailtröpfchenregen sprühte in Lillis Gesicht.
»Hey!«, schrie sie auf. »Igitt!«
»Entschuldige. Aber das war zu komisch! Du bist krass, die Männer, die Interesse an dir haben, bekommen Angst vor dir, weil du sie mit deinen exakt gewählten Worten erst mal in Grund und Boden stampfst. Bei dir hat ja kaum jemand eine Chance, der nicht selbst Dr. phil. oder so was ist.«
»Das nennt man korrekte deutsche Sprache! Ihr seid so fies. Meine Güte, dann lest doch eure schwachsinnigen Bücher über Männer, die Frauen schlagen, um sich aufzugeilen.«
»Lilli, nicht sauer sein. Caro hat es nicht so gemeint, nicht?« Inga warf Caro einen giftigen Blick zu.
»Ja, ja, schon gut. Tut mir leid, Lilli. Ich bleibe trotzdem der Meinung, dass du nicht über etwas urteilen kannst, das du nur anhand von Kritiken aus höheren literarischen Kreisen kennst. Hundert Millionen, hör hin, Lilli, hundert Millionen verkaufte Bücher lügen nicht.« Caro legte ihre Handflächen auf die Platte des kleinen runden Tisches, um ihrer Aussage mehr Nachdruck zu verleihen.
»Du kennst dich ja scheinbar gut aus«, gab Eva erstaunt zurück.
»Steht alles in der Bunten. Und in den sozialen Medien. Man muss sich nur ein wenig für das, was den Normalbürger bewegt, interessieren.«
Lilli rollte noch einmal mit den Augen, sagte aber nichts mehr zu diesem Thema. Bei ihren Freundinnen biss sie da anscheinend auf Granit. »Inga, was gibt es Neues zum Thema Michi?«, fragte sie stattdessen, um vom Erotikschund abzulenken.
Inga schaute mit einem Mal etwas bedrückt: »Jan ist in Kontakt mit der Staatsanwaltschaft, er hat die Beweise eingereicht. Mal sehen, was draus wird.«
»Wird echt Zeit, dass deinem Ex die Leviten gelesen werden«, kommentierte Caro trocken.
Inga holte tief Luft: »Kann sein, nur bin ich einfach nicht der Typ für einen Rechtsstreit.«
»Gut, dass du Jan hast«, meinte Eva. »Das ist schon richtig.«
»Ja, weiß ich ja auch. Aber immerhin war ich mit Michi mal zusammen. Es war ja nicht alles schlecht.«
Lilli zog eine Grimasse: »Hör doch auf, Inga, das Thema hatten wir hundertmal! Der Kerl gehört verurteilt. Basta.«
»Genau!«, riefen Eva und Caro gleichzeitig.
»Ja, das entscheidet dann das Gericht. Ich will da nicht weiter drüber sprechen, bitte. Außerdem bin ich echt müde.« Inga gähnte hinter vorgehaltener Hand, um ihre Aussage zu unterstreichen.
»Ladys, ich schlage vor, wir wechseln die Location. Ich muss mich noch etwas bewegen.« Lilli wollte los, obwohl sie ihren Cocktail noch nicht ganz ausgetrunken hatte.
»Also ich bin dabei!«, riefen Caro und Eva schon wieder wie siamesische Zwillinge.
»Ich nicht, ich muss morgen auch früh raus«, sagte Inga und zückte ihr Portemonnaie.
»Ha, ha. Du bist so eine schlechte Lügnerin. Du willst nur nach Hause zu Jan ins Bett. Hat dich unsere Unterhaltung über T. C. Black so heiß gemacht?«, lachte Caro.
»Du bist widerlich primitiv, Caro«, antwortete Lilli und zählte das Geld für ihre Drinks ab. »Vielleicht war es auch das Gerede über Michi. Inga?«
Inga schüttelte den Kopf: »Nein, ich bin wirklich einfach nur müde und muss morgen aufstehen.« Sie verabschiedete sich von allen mit einem Küsschen und wenige Minuten später marschierten die drei Freundinnen ohne Inga über Lüneburgs Kopfsteinpflaster. Sie steuerten direkt ihr Ziel am Stint, die Disco Kreisel, an. Lilli überlegte noch, ob Inga, indem sie nach Hause gegangen war, nicht die klügere Entscheidung getroffen hatte, als Caro sie schon durch den Eingang schob. Gut, jetzt war es auch schon egal, dachte Lilli und warf sich mit ihren Freundinnen ins Getümmel.
Ansgar hatte aufgehört zu zählen, die wievielte Lesung es war, bei der er Teile aus seinen Büchern vortrug. Es war jedenfalls mittlerweile so weit gekommen, dass er den Text im Schlaf hätte herunterrattern können. Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, hing ihm das ziemlich zum Hals raus.
Er sah sich im Publikum um und wie üblich waren hübsche Frauen keine Mangelware. Eine süße Rothaarige in der ersten Reihe erregte seine Aufmerksamkeit. Als er sie direkt ansah, leckte sie sich lasziv über die knallrot geschminkten Lippen und spreizte ihre Beine leicht. Ihm fiel auf, dass sie kein Höschen trug. Gut, sie hatte also Interesse dieser Art an ihm. Ein Lächeln schlich sich in sein Gesicht.
Wie üblich musste er sich nach der Lesung etlichen Fotografen stellen, die ihn für ihre Magazine ablichten wollten. Das Blitzlichtgewitter ließ seinen Puls schon seit Monaten nicht mehr in die Höhe schnellen, im Gegenteil, er fand es ermüdend.
Nachdem er die notwendige Öffentlichkeitsarbeit hinter sich gebracht hatte, musste er noch ein paar Bücher signieren, dann konnte er endlich abhauen. Meist ging er nicht alleine. Er hatte nicht vor, daran heute etwas zu ändern.
»Darf ick dich ´n Stückchen begleiten, Tom?« Die Höschenlose sah ihn erwartungsvoll mit klimpernden Wimpern an, ihre Wangen überzog ein roter Hauch. Sie nannte ihn beim Vornamen seines Pseudonyms T. C. Black, Tom, denn seine wahre Identität hielt er strikt geheim. Ausschließlich seine Agentin kannte seinen echten Namen und natürlich seine engsten Freunde. Trotzdem kommunizierte er mit Irmgard ebenfalls als Tom, um nicht irgendwann einen dummen Fehler zu begehen und sein wahres Ich versehentlich offenzulegen, wenn jemand anderes dabei war.
»Sehr gerne, wie heißt du?«, fragte er kühl. Die Frauen, mit denen er es als Tom zu tun hatte, erwarteten das von ihm so.
»Chantal«, hauchte sie und senkte verlegen den Blick.
Er verkniff sich ein Lächeln. Der Name passte zu ihr, genau wie das breite Berlinerisch. Aber reden wollte er sowieso nicht viel mit ihr. Ihnen war beiden bewusst, dass es nur um das Eine ging. Sex. Harten Sex. Dabei machte er sich keine Illusionen darüber, dass Chantal in ihm nicht mehr und nicht weniger als die Reinkarnation seines Protagonisten Vincent Skye aus Teuflisches Begehren – Dangerous Passion sah. Die Frauen kamen nicht her, um ihn als Ansgar kennenzulernen, sondern um ihren eigenen Phantasien, die durch seine Bücher entfesselt worden waren, Leben einzuhauchen.
BDSM war nicht seine Leidenschaft, nicht mal ansatzweise. Als er das Buch geschrieben hatte, war sein Anliegen, eine Geschichte zu kreieren, die Tabus aufbrach. Genau das hatte er geschafft. Mit dem Aufruhr durch seine Bücher und dem Trubel um seine Person hatte er jedoch nicht gerechnet. In kürzester Zeit hatte er sich ein düsteres Image als Tom zugelegt. T. C. Black trug grundsätzlich nur schwarz, seine Augen waren schwarz umrandet und er war blass geschminkt, was ihn noch verwegener und gefährlicher wirken ließ.
»Komm, Chantal, ich kenne da ein nettes Plätzchen«, sagte er zu ihr und nahm ihre Hand in seine.
Die Champagnerflasche steckte mit dem Hals nach unten im Eis und die enthemmende Wirkung des Alkohols zeigte sich auch heute deutlich bei seiner aktuellen Partnerin.
Ihre Kleidung lag verstreut auf dem Boden der Hotelsuite. Chantal kniete mit dem Oberkörper nach vorne gebeugt vor ihm und hielt sich mit beiden Händen am Bettpfosten fest. Das rhythmische Quietschen des Bettes war nervtötend, während er sich immer wieder in gleichmäßigem Takt in ihr versenkte. Ansgar wollte ihr Gesicht nicht sehen, es war nur eines von vielen, das er morgen ohnehin vergessen haben würde. Sie atmete schnell und warf ihren Kopf in den Nacken, als er in ihr Haar griff und daran zog. Lustvoll schrie sie auf.
Ansgar hatte es satt, es ständig auf die harte, wenig verspielte Art zu treiben, wie ihm in diesem Moment nur noch deutlicher wurde. Für ihn war es ein Fick nach Schema F, und ein mittelmäßiger noch dazu. Um die Sache schneller zu Ende zu bringen, klatschte er Chantal mit der flachen Hand in regelmäßigen Abständen auf das blanke Hinterteil. Er wollte sie damit anheizen und ihr so schneller zum Höhepunkt verhelfen.
»O ja, Tom, härter! Besorg’s mir!«, stöhnte sie in die Kissen und reckte ihm ihren prallen Arsch noch ein wenig mehr entgegen. Er kam ihrem Wunsch nach und stieß härter in sie, auch um sein eigenes Lustempfinden zu verstärken, sonst würde die Nummer ewig dauern.
Anfangs hatte es ihm Spaß gemacht, Frauen reihenweise zu vögeln. Er hatte die Bewunderung genossen, sich beinahe darin gebadet, und der Sex an sich war auch nicht zu verachten gewesen. Aber mittlerweile störte es ihn, dass es dabei nur um Tom ging. Selbst wenn es für seine Liebschaften so aussah, als ob er sie benutzen würde, um seine Lust zu stillen, wusste Ansgar, dass es genau andersherum war.
Rein, raus, rein, raus. Klatsch.
Ein dünner Schweißfilm bildete sich auf dem Körper der Rothaarigen und seinem eigenen.
Die Frauen schliefen mit ihm, um ihre Sexphantasien auszuleben. Gewissermaßen war er schuld daran, denn mit seiner dreiteiligen Bestseller-Reihe hatte er einen wahren Hype ausgelöst. Seine Bücher waren in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt worden, mehr als hundert Millionen Mal verkauft worden und vor nicht allzu langer Zeit hatte ein weiterer Agent vor seiner Tür gestanden und ihm eine horrende Summe für den Verkauf der Filmrechte an Hollywood geboten. Bis jetzt hatte er das Angebot weder angenommen noch abgelehnt, momentan konnte er sich allerdings nicht vorstellen, dass er in seinem eigenen Film mitspielte, denn er wusste ja, welche schauspielerischen Leistungen in den einzelnen Szenen er dann höchstpersönlich würde erbringen müssen. Chantal atmete immer heftiger und forderte wieder seine ganze Aufmerksamkeit.
»Ja, ja. O Gott, mir kommt’s gleich!«, rief die Rothaarige vor ihm und verlangte nach mehr. Er musste sich konzentrieren. Sie erwartete wahrscheinlich, dass er sie dreimal betteln ließ, bis sie schließlich kommen durfte, aber er wollte einfach nur fertig werden. Deswegen stieß Ansgar noch ein paarmal heftig in sie, beobachtete, wie sein erigierter Penis immer wieder in ihren feuchten Schoß eintauchte, und befahl ihr schroff: »Komm jetzt für mich, Baby!«
Das war alles, was sie brauchte, um ihren Orgasmus in die Hotelsuite zu schreien. Ihre Vagina krampfte sich immer wieder um seinen harten Schwanz und ihr Körper versteifte sich. Ansgar fickte sie weiter hart mit geschlossenen Augen, bis auch er endlich körperliche Erlösung fand. Sein Glied zuckte in ihrer feuchten Hitze und er verspritzte seinen Samen stöhnend in den Gummi. Chantal brach schließlich schwer atmend unter ihm zusammen und sank matt in die Kissen.
Ansgar entsorgte zuerst das Kondom, dann legte er sich einen Moment neben sie, auch, weil sie es von ihm erwartete. Wie lange musste er bleiben, bis er sich davonstehlen konnte, ohne wie ein Arschloch zu wirken? Der Geschlechtsakt ließ ihn einmal mehr leer zurück und das dumpfe Gefühl in seinem Inneren bereitete ihm beinahe körperliches Unbehagen.
Chantal schnurrte in sein Ohr: »Tom, das war der beste Sex meines Lebens!« Dabei strich sie ihm mit ihren rot lackierten, falschen Fingernägeln über seine glatte Brust. Er seufzte leise auf. Sie verstand es offenbar als Zustimmung und schmiegte sich noch enger an ihn, obwohl es genau das Gegenteil von dem war, was er wollte. Er musste weg. Weit weg.
Eine Viertelstunde später war sie endlich eingeschlafen und Ansgar schlich sich davon. Er hinterließ ihr eine Nachricht auf dem Nachttischchen, dass das Zimmer bezahlt sei und er ihr für das einmalige Erlebnis danke. Schnell verschwand er in die Nacht, zurück in seine eigene Wohnung.
Eine seiner überlebenssichernden Grundregeln: Niemals einen One-Night-Stand mit nach Hause nehmen, schon gar nicht, wenn er als T. C. Black unterwegs war.
Ansgar erwachte erschöpft und schlecht gelaunt, weil sein Smartphone klingelte. Diese sinnlose Herumhurerei musste ein Ende haben, bevor er sich selbst unwiederbringlich verlor.
»Ja?«, beantwortete er den Anruf verschlafen.
»Hi Tom.«
Irmgard Becker. Seine Agentin. Er wusste, was sie von ihm wollte. Aber er hatte nichts für sie.
»Was gibt’s, meine Liebe?«
»Tolle Lesung gestern. Wirklich. Aber ich bin ungeduldig, Tom. Wann kommt endlich das nächste Manuskript von dir? Du hältst mich jetzt schon seit Wochen hin! Wir müssen das Eisen schmieden, solange es heiß ist! Schreib irgendwas, von mir aus die Story aus ihrer Sicht oder die, bevor sie sich kennengelernt haben, oder was weiß ich!«
Er atmete hörbar aus und ließ sich tief in die Kissen zurücksinken.
»Bald, ich sitze dran«, log er.
Er hatte schon seit Wochen, ach was, seit Monaten kein einziges Wort mehr getippt, das er nicht nach wenigen Minuten wieder gelöscht hatte.
»Das will ich dir auch geraten haben! In fünf Jahren kräht kein Hahn mehr danach!«
Er verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Ist gut, Irmgard. Ich melde mich. Bald.« Genervt legte er auf und schloss die Augen.
Finanziell hatte er nach Teuflisches Begehren ausgesorgt, aber darum ging es ihm nicht. Er wollte, verdammt noch mal, beweisen, dass er kein One-Hit-Wonder war. Aber aus seiner Feder wollte einfach kein einziger vollständiger Satz mehr fließen. Es war wie verhext.
Er würde es an diesem Morgen jedoch kaum ändern, wenn er liegen blieb, also setzte er sich auf und begrüßte seine Mitbewohnerin.
»Du bist das einzige weibliche Wesen, das ich wirklich liebe, Josie. Weißt du das?« Seine Mischlingshündin lag in der Türschwelle und reckte den Kopf ein wenig in die Luft, ließ ihn dann wieder sinken. Natürlich hatte sie keine Ahnung, was er von ihr wollte, und da nicht die Begriffe »Gassi« oder »Fresschen« in seinem Satz vorgekommen waren, interessierte es sie nicht weiter. Er lächelte und schwang sich dann aus dem Bett, um die Vorhänge aufzuziehen.
Als er aus dem Fenster seines Penthauses sah, traf ihn beinahe der Schlag. Schnell zog er die dunklen Gardinen wieder zu. Unten standen tatsächlich eine ansehnliche Menge Frauen und einige Paparazzi.
»Scheiße!«, rief er, »ich bin aufgeflogen!«
Irgendjemand musste ihn nach seinem letzten Fick bis nach Hause verfolgt haben.
Selbst schuld. Irgendwann musste es ja so kommen, dachte er verärgert.
Ansgar rieb sich am Kinn, während er darauf wartete, dass die Kaffeemaschine grünes Licht anzeigte. Endlich! Er drückte auf die Taste und das vertraute Geräusch des Mahlwerks beruhigte seine Nerven ein bisschen.
Während er den Kaffee trank und sich das Koffein langsam in seiner Blutbahn verteilte, überlegte er, wie er aus dieser Sache wieder herauskam.
Ihm blieb wohl nichts anderes übrig, als sich eine neue Bleibe zu suchen. Er hatte absolut keine Lust auf ständige Belagerung durch weibliche Fans, die von T. C. Black genagelt werden wollten.
Ansgar lachte sarkastisch auf. Das hätte ihm mal jemand sagen sollen, als er mit einem Diplom in Sozialwissenschaften von der Berliner Humboldt-Universität abgegangen war. Sein Prüfungsgebiet war die Geschichte der Pornographie gewesen. Einer der Gründe, warum er sich so mit seinen Eltern zerstritten hatte, denn sie waren strikt dagegen gewesen, dass ihr Sohn sich mit etwas derart »Schmutzigem« befasste. Dass aus ihm kurz nach dem Studium ein Bestseller-Autor werden würde, dem die Frauenwelt zu Füßen lag, hätte ihm nicht einer seiner Professoren zugetraut. Kein Agent und kein Verlag hatte etwas von Ansgar Sieb wissen wollen. Nicht einer aus seiner Familie hatte ihn ermutigt, immer nur hatte er gehört, er solle doch was »Vernünftiges« machen. Er hatte sie alle überrascht, sich selbst wahrscheinlich am allermeisten. Nur war es nun zu viel des Guten. Er hielt es nicht mehr aus, wie ein Objekt behandelt zu werden.
Während er sich zwei Toastscheiben mit Erdnussbutter und Marmelade bestrich, hatte er eine Idee. Er kaute ein wenig darauf herum, bis er einen Entschluss fasste.
Das Geschirr stellte er in die Spüle, das konnte Olga, seine gute Seele, die nach dem Rechten sah, aufräumen. Die beklagte sich ohnehin ständig, dass sie nicht genug zu tun hatte in den vier Stunden, für die er sie bezahlte. Aber er war einfach zu selten zu Hause, als dass er viel schmutzig gemacht hätte. Natürlich würde sie sein Penthaus auch in drei Stunden blitzblank putzen können, aber sie brauchte das Geld. Manchmal war er einfach gutherzig. Beruhigend, dass das keine seiner Leserinnen wusste, überlegte er und verzog das Gesicht.
Ansgar warf eine Menge Klamotten in zwei Koffer, packte auch Josies Fressnapf und ihre Wasserschüssel, die Leine und das Kissen ein. Nur noch seine Kamera, das Laptop und ein Ladekabel. Mehr würde er nicht benötigen, alles Andere gab es auch vor Ort.
Die siebenjährige Hundedame sprang schwanzwedelnd neben ihm her, als sie auf dem Weg in die Tiefgarage waren. Auch wenn sie länger brauchte als andere Hunde, um sich in einer fremden Umgebung wohlzufühlen, war es für sie wichtiger, mit Herrchen wegzufahren als stressfrei von ihm getrennt zu sein. Josie war ein sehr anhängliches Tier, was auch daran lag, dass sie keinen guten Start ins Leben gehabt hatte. Als er sie mit sechs Monaten bekommen hatte, nachdem eine Agentur sie aus einer rumänischen Tötungsstation geholt hatte, war sie fast verhungert und zu Tode verängstigt gewesen. Es hatte Wochen gedauert, bis er sie hatte anfassen dürfen. Davon merkte man jetzt kaum noch etwas, nur bei Fremden gab es anfangs Probleme. Zum Glück hatte er in Berlin eine ganz liebe Nachbarin, die Josie für ihn versorgte, wenn er unterwegs war. Aber das würde in diesem Fall nicht nötig sein.
»Bitte schön«, sagte er zu Josie und hielt ihr die Beifahrertüre auf. Mit einem Satz war sie auf den braunen Ledersitz gesprungen und machte es sich bequem. Wenige Minuten später dröhnte der Motor des schwarzen Bugatti, als er viel zu schnell aus der Tiefgarage seines Wohnhauses fuhr, um Fotografen und Groupies zu entkommen.
Drei Stunden später bog Ansgar mit ambivalenten Gefühlen in die Auffahrt zum Haus seines Großvaters ein. Zu seinem Haus, korrigierte er sich. Er hatte früher oft die Ferien bei seinen Großeltern verbracht, er hatte sie als fürsorglich und liebevoll in Erinnerung. Sein Großvater war zwar als ziemlicher Querkopf durchs Leben gegangen, aber seine Enkel hatte er immer geliebt. Die Großmutter war eine herzensgute Frau gewesen, die leider an Brustkrebs gestorben war, als Ansgar gerade mit dem Studium begonnen hatte. Sie war seinerzeit die Einzige, die ihn in seinem Bestreben unterstützt hatte. Mittlerweile war Ansgar sich sicher, dass sie die Saat zu seinem späteren Erfolg in seinen Kopf gepflanzt hatte. Sie war immer eine passionierte Geschichtenerzählerin gewesen und das hatte Ansgar schon als Kind fasziniert.
Er stand neben seinem Wagen und sah sich um. Die Beete vor der Villa waren zugewuchert, Unkraut hatte das Kommando übernommen, abgebrochene Äste lagen überall verstreut. Der Zaun musste dringend neu gestrichen werden, sonst würde die Witterung ihm bald endgültig den Garaus machen. Hoffentlich sah es drinnen besser aus.
»Komm«, rief er Josie zu, als er die Beifahrertür für sie öffnete. Seine Hündin sprang schwanzwedelnd auf ihn zu, ließ sich kurz den Kopf tätscheln und machte sich dann zaghaft auf eine Erkundungstour. An der Haustür zog Ansgar die Post aus dem überquellenden Briefkasten, eine Menge kostenlose Wochenzeitungen kamen zum Vorschein, die gleich ins Altpapier wandern würden.
Als er die Tür öffnete, strömte ihm der vertraute Geruch aus Kindheitstagen entgegen, Staub, altes Holz und Liebe. Trotzdem war die Abwesenheit seiner Großeltern beinahe körperlich spürbar, die Seele des Hauses war nicht mehr da.
»Wollen mal sehen, ob wir das ändern können«, sagte er zu sich selbst, als er die Zeitungen auf den Boden warf. Darum würde er sich später kümmern. Die schwarzen und weißen Fliesen im Eingangsbereich waren abgestoßen und zerkratzt, sonst sah das Haus aber einigermaßen vernünftig aus, auf den ersten Blick zumindest. Er zuckte mit den Achseln. Was hatte er erwartet? Sein Großvater hatte die letzten Wochen seines Lebens in einem Hospiz verbracht, wo er schließlich friedlich eingeschlafen war. Alleine. Das war das Einzige, was Ansgar bereute. Aber es hatte keiner aus der Familie die Zeit aufbringen können, ihn zu Hause zu pflegen, und er selbst war auch nur unterwegs gewesen in den letzten Monaten. Er musste sich an die eigene Nase fassen, bevor er seine Eltern oder Geschwister beschuldigte, sie hätten den Großvater bei sich aufnehmen müssen. In den letzten anderthalb Jahren war Ansgar ausschließlich damit beschäftigt gewesen, sein Ego im Glanz seines strahlenden Erfolgs zu sonnen. Aber damit war jetzt Schluss, vielleicht war das der richtige Ort für einen Neuanfang. Eine Weile seine Identität alias T. C. Black abzulegen, würde ihm definitiv guttun.
Ansgar deponierte die Autoschlüssel auf die Anrichte in der Diele und machte einen kurzen Rundgang durchs Haus. Josie war nun auch hereingekommen, schnüffelte hie und da und lernte die neue Umgebung kennen.
Wenig später stand für ihn eines fest: Er brauchte dringend ein neues Bett. So gerne er seinen Opa auch gemocht hatte, aber das schreckliche alte Monstrum ging gar nicht. Auch die Vorstellung, die Schlafstätte eines Toten zu übernehmen, fand er abwegig und falsch. Ansonsten war das Haus weitgehend sauber, bis auf ein paar Spinnenweben und Staub da und dort.
Ansgar blieb schließlich in der Mitte der Bibliothek stehen und sah sich um. Als Kind hatte er sich oft gefragt, was seine Großeltern mit all den Büchern wollten, jetzt wusste er diese umfangreiche Sammlung besonders zu schätzen. Es waren einige wertvolle Erstausgaben bedeutender Schriftsteller dabei, aus denen sein Opa ihm manchmal vorgelesen hatte. Was würde der alte Literaturkenner wohl von ihm denken, er, ein berühmter Erotikautor? Sein Großvater war ein Feingeist gewesen, der Lessing und Rilke verehrt hatte, als wären sie die unvergänglichen Superstars. Was sie in ihrer Zeit vielleicht auch gewesen waren. Seine Oma hingegen war begeisterte Liebesromanleserin gewesen, ein Buch ohne eine gute Romanze war für sie einfach keine lesenswerte Geschichte. Kistenweise hatten sich bei ihr in der Küche die Heftchenromane gestapelt, während Opas Schinken einen Platz in der Bibliothek bekommen hatten. Heutzutage hatte sich an dieser Rollenaufteilung nicht viel geändert, bis auf den kleinen Unterschied, dass es seit seinen Werken schick war, Erotik zu lesen. Wären sie stolz darauf, was ihm gelungen war, oder wären sie enttäuscht gewesen, dass er der hohen Literatur mit seinen Werken den gestreckten Mittelfinger gezeigt hatte?
Er fuhr mit den Fingerkuppen über den Mahagonischreibtisch im georgianischen Stil. An den schweren Schubladen hingen glänzende Messinggriffe, das dunkle Holz glänzte und fühlte sich kühl unter seiner warmen Haut an. Seine Oma hatte ihm erzählt, wie sie dieses Möbelstück eigens aus England hatte kommen lassen, er war ihr ganzer Stolz gewesen. Auch wenn sie selbst nie literarisch geschrieben hatte, so hatte sie doch oft ihre Gedanken auf Papier festgehalten. Erinnerungen überwältigten ihn und machten ihm deutlich, wie alleine er tatsächlich war. Hastig wandte er sich ab.
Es würde sicher einige Tage dauern, bis er sich an sein neues Zuhause-auf-Zeit gewöhnen würde. Fürs Erste musste er ein paar Grundeinkäufe tätigen, um sich hier einrichten und halbwegs wohlfühlen zu können. Glücklicherweise war der Kühlschrank blitzblank und leer und nicht voller vergammelter Reste, die keiner entsorgt hatte.
Internetzugang gab es keinen, nicht mal einen funktionierenden Telefonanschluss, stellte er am Abend fest. Daran hatte er nicht gedacht, als er seinen PC hochfuhr, um Mails zu checken und ein paar Bilder auf seine Website hochzuladen. Seit einigen Jahren betrieb er eine kleine Website, auf der er eigene Fotografien verkaufte. Er verdiente nicht viel damit, aber es war ein schönes Hobby, das ihm neben dem Schreiben viel Spaß brachte – und das unter seinem echten Namen lief. Momentan war er mit der Digitalkamera jedenfalls wesentlich produktiver als beim Schreiben.
Um das Internet würde er sich morgen als Erstes kümmern, danach war ein Besuch bei einem Innenausstatter fällig, um das Schlafzimmer neu einzurichten.