Kinder sind einfach wunderbar, auch wenn sie 15 Minuten lang an die verschlossene Schlafzimmertür klopfen und gerade wirklich, wirklich stören. Schlimm genug, dass Frauen und Männer von Natur aus schon ganz anders ticken. Richtig kompliziert wird es dann, wenn aus dem Duo ein Trio, Quatro oder mehr wird. Jetzt müssen plötzlich ganz neue Kompromisse geschlossen werden. Das Wohl des Kindes steht an erster Stelle und doch muss das Paar aufpassen, sich nicht zwischen Windeln wechseln und schlaflosen Nächten zu verlieren. Janine Kunze beschreibt in ihrer unverwechselbaren, humorvollen Art ihren turbulenten Familien-Alltag. Und sie hält ein flammendes Plädoyer für eine glückliche Zweisamkeit zum Wohle der Kinder.
Wer derzeit den Fernseher einschaltet, kommt an ihr kaum vorbei: Janine Kunze. Am Mittwochabend ist sie wieder in der Krimiserie »Heldt« (19.25 Uhr, ZDF), die jetzt schon in der fünften Staffel läuft, als Staatsanwältin Ellen Bannenberg zu sehen. Nicht nur im Krimi-Segment läuft Kunzes Karriere gerade richtig rund: In diesem Jahr hat die Schauspielerin die Sendungen »Promi-Shopping Queen« und »Das große Promi-Backen« gewonnen sowie einen großen Werbedeal mit einem Möbelhaus abgesahnt. Bekannt geworden ist die Kölnerin durch die Comedyserie »Hausmeister Krause«.
JANINE KUNZE
LIEBLING,
ICH HABE DIE
KINDER
VERSCHENKT!
Wie wir den Familienwahnsinn
als Paar überstehen
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Originalausgabe
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Lektorat: Angela Kuepper
Fotos Innenteil, Klappen: © Janine Kunze privat, © Guido Schröder
Titelfoto: © Guido Schröder, Köln
Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde
eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7325-6068-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für meine Familie
»Vor dem Anbeginn der Zeit war das Chaos, ein gähnender Schlund ohne Anfang und ohne Ende. Es bestand aus finsteren Nebeln, in denen schon die Urbestandteile allen Lebens lagen: Erde, Wasser, Feuer und Luft.«
Ja, liebe Leserinnen und Leser, schon die alten Griechen wussten:
Am Anfang stand das Chaos, und daraus entstand die Welt …
… und die Familie.
Seien wir ehrlich: Wer kennt sie nicht? Diese Titanen der Erziehung, Übermütter und Überväter, bei denen nach außen hin alles geplant und ordentlich verläuft? Bei denen nicht das Chaos regiert? Die immer alles richtig machen? Die Familien, in denen es nie Probleme gibt?
Die drei Kinder sind die besten in der Schule, machen gar kein Theater. Diskussionen um »Wer mit dem Hund geht« gibt es nicht, und die Partnerschaft läuft super. Sexuell ist alles ganz weit vorne. Man hat regelmäßig Sex. Alle essen nur gesund, und überhaupt – das Leben ist die reinste Zuckerwatte.
Ja …
Ich kenne diese Übereltern. Und ich sage Ihnen: Ich glaube denen kein Wort. Ich glaube, es ist normal, dass wir alle mal Stress miteinander haben und dass nicht immer alles so rund läuft.
Und wissen Sie was? Das ist auch gut so.
Wir müssen uns aneinander reiben, wir müssen uns austauschen, wir müssen unterschiedlicher Meinung sein, um aneinander zu wachsen. Wir müssen diskutieren, und wir müssen jeder um unseren Platz in der Familie kämpfen.
Das Ganze kann furchtbar viel Spaß machen, wenn man es positiv sieht.
Keine Angst, liebe Leser. Ratgeber im Sinne von »Das ist gut« und »Das ist schlecht« haben wir sicherlich mehr als genug. Und glauben Sie mir, als Ratgeber wäre ich sicherlich nicht sehr gut. Aber vielleicht gelingt es mir mit meinem kleinen Buch, Sie mal in mein kleines Chaos, in meine kleine Familienwelt zu entführen, Ihnen zu erzählen, wie unser Chaos mal mehr, mal weniger gut funktioniert und Ihnen so vielleicht ein kleines Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Und vielleicht gelingt es mir sogar doch, Ihnen ein paar Tipps und Tricks mit auf den Weg zu geben, die nicht alles besser machen, Sie aber eventuell ein klein wenig ablenken und Ihnen das Gefühl geben: »Hey! Wir sind nicht allein!«
Jede Familie hat ihre eigenen Regeln, ihre Eigendynamik, und jeder Vater und jede Mutter hat mit Sicherheit auch eine eigene Vorstellung und Denkweise vom idealen Vater- bzw. Muttersein. Und auch die Kinder haben ihre eigenen Vorstellungen, und die wollen sie auch durchsetzen. Und glauben Sie mir: Das ist nicht immer einfach und stimmt mit denen von uns Eltern meist nicht überein. Anstrengend.
Und dann gibt es ja auch noch etwas: Paarsein.
Ja, Sie haben richtig gelesen. Paarsein. Denn das wird sehr, sehr oft vergessen. Durch das Mama- und Papa-Dasein verändert sich alles, und – machen wir uns nichts vor – nicht immer nur zum Guten. Denn der Spagat zwischen Mutter und Partnerin und Vater und Partnersein ist mit Sicherheit nicht immer leicht. Wir müssen versorgen, Vorbilder sein. Wir sind die wichtigsten Bezugspersonen unserer Engel und wollen eigentlich immer alles perfekt machen und gehen mit den allerbesten Vorsätzen in das Projekt Elternsein. Wir wollen alles richtig machen, und dann geht doch so viel daneben. Und der Partner bleibt dabei auch oft auf der Strecke.
Auch ich habe mir, wie Sie sicherlich auch, viele Gedanken gemacht. Wie kann ich am besten agieren? Wie kann ich alles richtig machen? Und vor allen Dingen: Wie kann ich dabei, wenn ich eine gute Mutter bin, auch noch eine tolle Partnerin sein?
Glauben Sie mir, auch ich war schon oft in der Situation, dass ich gemerkt habe: So ganz funktioniert das nicht immer. Einer bleibt meistens auf der Strecke und fühlt sich vernachlässigt, und sehr, sehr oft ist das der Partner.
Für uns als Partner ist es nicht immer einfach, die Veränderung zu verstehen, anzunehmen und zu akzeptieren. Oft fühlen wir uns vernachlässigt und vergessen vielleicht, dass wir eigentlich alle nur eins wollen: ein glückliches Familienleben und dass alle happy sind – inklusive Haustier.
Und ist es nicht manchmal auch ganz schön, sich hinten anzustellen, um den anderen den Vortritt zu lassen? Vor allem, wenn es um die Familie geht? Das Leben ist ein steter Neuanfang. Veränderung und Dazulernen. Und ist das nicht wundervoll?
Cesare Pavese hat einmal gesagt: »Es ist schön zu leben, weil leben anfangen ist, immer, in jedem Augenblick.«
Und genauso sehe ich das auch.
Lassen Sie uns immer wieder neu anfangen und uns gegenseitig annehmen und akzeptieren. Wir sind alle anders, und das ist auch verdammt gut so.
Lassen Sie uns versuchen, voller Liebe und Glück auch die durchaus anstrengenden Zeiten anzunehmen und den Blick für das Wesentliche niemals zu verlieren.
Lassen Sie uns Spaß haben am Familienalltag, den Fehlern, die wir machen, den Fehlern des anderen, der Familie, dem einzelnen Kind und dem Partner.
Egal, wie sehr uns manchmal alles auf den Keks geht und wir uns wünschen würden, dass wir mal für zehn Minuten ganz weit weg sein könnten, so sollten wir trotz der Überväter und Übermütter nie vergessen: Im Grunde geht es allen gleich. Es ist niemals alles perfekt, und das sollte es auch gar nicht sein. Denn wachsen wir nicht an den Konflikten und auch an den Streitereien und den manchmal anstrengenden Situationen und Reibereien? Manchmal sind es doch gerade die kleinen und auch anstrengenden Dinge, die das Leben wirklich lebenswert und besonders machen. Die kleinen Dinge, die zu einem Gespräch führen oder uns sogar manchmal dazu zwingen und die sich nachher doch als wegweisend und lösend herausstellen.
Was haben wir mit unseren Kindern und unserem Partner nicht vielleicht später schon über diese Streitereien gelacht, wenn wir uns ausgetauscht haben, und was haben wir nicht auch voneinander gelernt.
Lassen Sie uns Spaß haben am Familienleben, am Chaos, am Lautsein, am Schreien, an diesen Dingen, die nicht funktionieren, denn die machen uns aus. Uns als Familie. Uns als Vater, als Mutter, als Kind und auch als Paar.
Lassen Sie uns versuchen, Freude zu empfinden an den Dingen, die schiefgehen. An den Situationen, die völlig nach hinten losgehen. Die uns aber gerade im Nachhinein so viel freudige Momente, so großes Lachen bescheren.
Und die Erkenntnis, dass wir genau dieses Chaos lieben und dass wir uns lieben. Dass wir genau das wollen, das chaotische Familienleben miteinander. Gerade das Unperfekte ist oft das Perfekte.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen meines Buches.
Hingebungsvoll beiße ich in meinen Vollkornbagel, der mit Käse und Tomaten belegt ist. Zum Glück habe ich gerade eine kurze Drehpause, die ich nutzen kann, um mich am Buffet zu bedienen. Heute ist wieder einer dieser Tage, an denen alles drunter und drüber geht. Eine Horde Kindergartenkinder, die über das Außengelände hüpft, das eigentlich leer sein sollte. Diverse Special-Effects, die nicht ganz so funktionieren wie erhofft. Ein Flugzeug, das genau im Moment der Aufnahme vorbeifliegt und damit zuverlässig sämtliche Dialoge übertönt.
Nach den ganzen unvorhergesehenen Zwischenfällen ist das Zeitraster so eng, dass jemand vom Team in Erwägung gezogen hat, mich auf die Toilette zu verfolgen, um weitere Zeit einzusparen. Keine Chance. Zumindest aufs stille Örtchen gehe ich noch alleine.
Ich liebe meine Arbeit, und ich genieße die Abwechslung, die sie mir bietet, aber heute kann ich es kaum erwarten, wieder bei meiner Familie zu sein. Manche Tage sind einfach so stressig, dass ich das Gefühl habe, gar nicht zu Atem zu kommen. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich auf zu Hause freue. Meine persönliche Oase der Harmonie. Mein Mann, unsere drei Kinder und – nicht zu vergessen – der Familienhund. Egal, wie fordernd der Tag war: Der Gedanke an meine Lieben zaubert mir zuverlässig ein Lächeln ins Gesicht.
Nach Drehschluss erledige ich ein paar Dinge, dann ist endlich Familienzeit angesagt. Schon während ich den Wagen in der Einfahrt abstelle, höre ich aus der Oase der Harmonie Türknallen und wildes Gekläffe. Geschickt raffe ich die Einkäufe aus dem Kofferraum und schwanke mit diversen Tüten und Taschen behängt zur Haustür.
Bevor ich die Sachen abstellen muss, wird die Tür aufgerissen. Vermutlich hat die Familie bereits ungeduldig auf mein Erscheinen gewartet und gespürt, wie sehr ich ihrer Unterstützung bedarf. Da besteht eine geradezu magische Verbindung zwischen uns, ganz sicher.
Ich lächle froh und bereite mich darauf vor, meine Liebsten in die Arme zu schließen.
»Hast du mir neue Schaumlotion mitgebracht?«
Mein Lächeln verliert ein wenig an Strahlkraft. Eigentlich hatte ich auf eine Begrüßung meiner großen Tochter gehofft, die vor mir im Türrahmen steht und mich abwartend mustert. Andererseits kann ich froh sein, dass sie überhaupt Notiz von mir nimmt. In ihrem Alter kommen Erwachsene auf der Liste der stressigen Dinge kurz nach Hausaufgaben und direkt vor Zimmer aufräumen. Wobei ihr Ausdruck eher darauf schließen lässt, dass ich gerade unangefochtener Anführer eben erwähnter Liste bin.
»Hallo, mein Schatz«, erwidere ich freundlich. Wie heißt es so schön? Wenn du lächelst, lächelt die Welt zurück. »Ich freue mich, dich zu sehen. Hattest du einen guten Tag?«
Die Älteste zuckt mit den Schultern und schenkt mir ein angedeutetes Lächeln. »Hi, Mama«, grüßt sie dann doch. »War ganz okay heute. Was ist jetzt mit der Schaumlotion?«
Statt mir einen Teil meines Gepäcks abzunehmen, folgt sie mir mit verschränkten Armen und sieht zu, wie ich beladen wie ein Frachtschiff durch den Flur balanciere. Dabei versuche ich, nicht über den Hund zu stolpern, der plötzlich mit einem enthusiastischen »Wuff!« um die Ecke biegt. Der vierbeinigen Frohnatur dicht auf den Fersen folgt die Mittlere, die wie immer leise vor sich hin singt.
Mit dem Fuß stoße ich die Küchentür auf. Mein Blick fällt auf den Jüngsten, der am Tisch sitzt und meinen Auftritt stumm beobachtet. Das ist eher atypisch, normalerweise liefert er sich mit dem Hund ein Wettrennen, wer zuerst bei mir ist.
Mit letzter Kraft schaffe ich es, die Einkäufe neben den Kühlschrank und mich selbst auf einen Stuhl fallen zu lassen. Der anstrengendste Teil des Tages wäre geschafft, nun beginnt der Feierabend. Zumindest in der Theorie.
Die Große beginnt sofort mit der Durchsuchung der Taschen und fördert nach wenigen Sekunden eine rosafarbene Dose zutage. Dass sie dabei verschiedene Gewürzpäckchen, einige Bananen und diverse Äpfel auf dem Küchenboden verteilt, ignoriert sie selbstredend. Da bekommt das Wort Streuobst eine ganz neue Bedeutung.
»Cotton Candy?«, ächzt sie empört. »Bist du wahnsinnig? Da kriegt man vom Einatmen schon Diabetes! Das Zeug riecht total kotzig!«
Mit einer verächtlichen Bewegung drückt sie mir die Dose in die Hand.
»Sei nicht so dramatisch«, sage ich amüsiert. »Für dich habe ich Melone mitgebracht. Cotton Candy ist für deine Schwester.«
Während die Mittlere den Duftschaum mit einem erfreuten Quietschen entgegennimmt, wühlt die Älteste weiter in den Einkäufen. Neben der gewünschten Lotion annektiert sie ein Netz Orangen, Abschminktücher, eine Flasche stilles Wasser und eine Packung Müsliriegel und verschwindet mit ihrer Beute aus der Küche.
Die Mittlere hat währenddessen die Dose geöffnet und verteilt den duftenden Schaum auf ihren Unterarmen. In Sekundenschnelle riecht die Küche so durchdringend nach Zuckerwatte, dass sogar der Hund, der hoffnungsvoll die Einkäufe beschnuppert, irritiert den Kopf hebt.
»Ich habe heute eine Eins auf mein Gedicht bekommen«, verkündet die Mittlere stolz.
»Eine Eins? Klasse!«, freue ich mich. »Die hast du dir verdient! Warst du sehr aufgeregt?«
Die Mittlere erwidert mein Lächeln. »Nein, gar nicht. Wir haben ja viel geübt.«
Bevor ich etwas antworten kann, erreicht mich eine neue Zuckerwattenwolke. Verzweifelt bemühe ich mich um eine möglichst flache Atmung. Obwohl ich die Wortwahl der Ältesten für äußerst fragwürdig halte, komme ich nicht umhin, ihr recht zu geben. Das Zeug riecht tatsächlich kotzig.
»Willst du es noch mal hören?«, reißt mich die Quelle des Geruchs aus meinen Gedanken.
Beklommen erinnere ich mich ans vergangene Wochenende, an dem ich die Geschichte um den Ribbeckschen Birnbaum so oft gehört habe, dass es mich in den Schlaf verfolgt hat.
Ich hasse Birnen.
»Jetzt n…«, setze ich an, doch die Mittlere kennt kein Erbarmen und startet in eine neue Obst-Balladen-Runde.
»Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland … von Theodor Fontane!«, kündigt sie in einer Lautstärke an, die unmittelbar für einen stechenden Schmerz in meinen Schläfen sorgt. Mit weit ausgebreiteten Armen läuft sie durch die Küche und verteilt ihre Duftwolke bis in die hinterste Ecke.
Schicksalsergeben wende ich mich dem Jüngsten zu, der am Küchentisch vor sich hin brütet und, ganz entgegen seiner sonstigen Gewohnheit, bisher keinen Laut von sich gegeben hat.
»Hey, Großer. Was ist los?«, frage ich und wuschle ihm durch die Haare.
»Wir haben verloren«, murmelt er dumpf.
»›Junge, wiste ’ne Beer?‹«, schmettert die Mittlere.
Hektisch durchforste ich mein Gehirn. War heute ein wichtiges Spiel? Habe ich das etwa vergessen? Musste mein siebenjähriger Sohn die Niederlage ohne mütterliche Unterstützung ertragen? Eigentlich habe ich die familiären Termine gut im Griff. Dachte ich zumindest.
Beklommen suche ich im Gesicht des Jüngsten nach einem Anhaltspunkt, um herauszufinden, wie bedenklich die Situation ist.
»Verloren?«, wiederhole ich mitfühlend.
»Das Trainingsspiel. Acht gegen acht«, äußert er düster. »Der Trainer sagt, man darf nie nachlassen. Man muss das Training genauso ernst nehmen wie ein richtiges Spiel!«
Trotz der finsteren Miene des Jüngsten erfüllt mich Erleichterung. Gott sei Dank. Nichts vergessen.
Aufmunternd streiche ich ihm über den Kopf. »Dafür habt ihr das letzte Spiel gewonnen.«
»›Ich scheide nun ab. Legt mir eine Birne mit ins Grab‹«, deklamiert die Mittlere salbungsvoll.
Der Jüngste runzelt die Stirn. »Mensch, Mama!«, tadelt er unwillig. »Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Das sagt der Trainer immer. Das bedeutet, man soll sich nicht auf dem Erfolg ausruhen.«
»Ja. Natürlich. Da hat der Trainer recht«, versichere ich schnell. Niemals dem Trainer widersprechen – eine der wichtigsten Lektionen, wenn einem der häusliche Friede am Herzen liegt. Das gilt übrigens auch für die besten Freunde, die Eltern der besten Freunde und für Lehrer, aber nur, wenn sie sympathisch sind.
»›He is dod nu. Wer giwt uns nu ’ne Beer?‹«, schluchzt die Mittlere mit einem Oscar-reifen Zittern in der Stimme. Beeindruckend, welch Durchhaltevermögen sie an den Tag legt, um uns die Geschichte von diesem verfluchten Birnbaum nahezubringen. Zum gefühlt hundertsten Mal.
»Wo ist eigentlich euer Vater?«, erkundige ich mich und massiere mir den Nacken. Allmählich könnte ich Unterstützung gebrauchen, zumal er so früh aus dem Haus musste, dass wir uns heute noch gar nicht gesehen haben.
»Am Telefon«, erwidert der Jüngste. »Hat gesagt, es ist wichtig, und er will nicht gestört werden. Was gibt’s zum Abendessen?«
»Meinen Big-Mac-Salat, nach dem ihr mich seit Tagen fragt. Aber zuerst muss ich auspacken.« Ich greife nach der Tüte mit den Tiefkühlwaren. »Ansonsten tauen mir die Sachen für die …«
»Big-Mac-Salat?« Die Älteste erscheint mit mürrischem Gesicht im Türrahmen. In den Händen hält sie ihr Spitzentop.
Oh, oh. Das wollte ich heute Morgen vor der Arbeit reparieren, bin aber nicht dazu gekommen, weil der Hund die große Bodenvase umgeworfen hat und ich den Teppich vorm Ertrinken retten musste. Ob sie das als validen Grund akzeptiert?
»Dann dauert es ja noch ewig, bis wir essen können! Bei Nina gibt’s heute Pfannkuchen. Wieso essen wir eigentlich nie was Tolles?«
Nie was Tolles? Obwohl mir klar ist, dass die Große toll hier im Sinne von schnell gebraucht, weil sie offensichtlich Hunger hat, knirsche ich mit den Zähnen. Ich bemühe mich redlich, den Essenswünschen der Familie gerecht zu werden. Oft kochen wir auch gemeinsam, was viel Spaß macht. Dass es heute dazu kommt, bezweifle ich bei der aktuellen Stimmung allerdings. Abgesehen davon sind auch Pfannkuchen nicht unbestrittener Platz eins auf der Liste toller Gerichte.
Bevor ich meiner Tochter lautstark mitteilen kann, was ich von ihrer Frechheit halte, betritt der Mann den Ort des Geschehens. Er drückt mich kurz an sich und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
»Du bist spät. Langen Tag gehabt?«
»›So spendet Segen noch immer die Hand des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland‹«, schließt die Mittlere zufrieden.
Müde winke ich ab. Einfach mal zehn Minuten Ruhe haben. Das wär’s.
»Oha. Schlecht gelaunt«, stellt der Mann fest, was unmittelbar dafür sorgt, dass meine Laune tatsächlich rapide sinkt.
»Bin ich nicht«, widerspreche ich griesgrämig, gehe einen Schritt zurück und stolpere über den Hund, der mich weiterhin wie ein Geier umkreist.
»Was ist bloß mit dem Vieh los?«, frage ich halb belustigt, halb verzweifelt, während ich mich nur durch einen beherzten Griff nach der Küchentheke vor einem Sturz bewahren kann.
»Der hat bestimmt Hunger«, kräht die Mittlere, die nach ihrem Ausflug ins Havelland wieder in der heimischen Küche angekommen ist. »Und wartet darauf, dass du mit ihm Gassi gehst.«
»Aber ich habe auch Hunger«, protestiert der Jüngste.
»Der Träger von meinem Top ist kaputt!« Mit anklagender Geste hält mir die Älteste den roten Stofffetzen entgegen. »Du hast gesagt, du würdest ihn annähen! Ich will das morgen anziehen!«
Jetzt reicht’s. Die Stimmen, die sich zu einem einzigen großen Summen verdichtet haben, sind einfach zu viel. Seit ich über die Türschwelle getreten – nein, geschwankt – bin, hatte ich keine ruhige Sekunde. Sogar der Hund kennt kein Mitleid und unterstützt das allgemeine Chaos mit forderndem Bellen.
»Stopp!«, rufe ich laut. »Könntet ihr mal für eine Sekunde damit aufhören, alle gleichzeitig zu reden, sodass ich eine Chance habe, anzukommen? Ihr wisst, ich liebe euch wahnsinnig und freue mich darauf, nachher alles über euren Tag zu erfahren, aber gerade brauche ich eine Auszeit.«
Für einen Moment herrscht Stille, während mich die Familie teils irritiert, teils mitleidig mustert.
Der Mann nimmt mich fest in den Arm.
»Hund oder Essen?«, fragt er.
»Hund!«, entscheide ich spontan, was mit einem erfreuten Schwanzwedeln zur Kenntnis genommen wird. Vom Tier, nicht vom Mann selbstverständlich.
Ich schnappe mir die Leine vom Haken, werfe meinem Mann einen Luftkuss zu und verlasse die Küche. Während ich durch den Flur gehe, höre ich, wie der Mann Aufgaben verteilt, damit das Abendessen in Kürze stattfinden kann. Dabei geht er sogar das Wagnis ein, die Große in die Vorbereitungen mit einzubeziehen. Dankbar schließe ich die Haustür hinter mir. Obwohl ich diesen Chaoshaufen über alles liebe, ist der Spagat zwischen Familie und Job manchmal unglaublich kräftezehrend – besonders nach einem übervollen Arbeitstag. Manchmal frage ich mich selbst, wie ich alles unter einen Hut bekomme.
Mit einem überglücklichen Vierbeiner an meiner Seite betrete ich den angrenzenden Wald und lasse die frische Luft in meine Lungen strömen. Nach dem ganzen Trubel verzichte ich bewusst auf Musik und andere Zerstreuung. Stattdessen genieße ich die Stille, die dafür sorgt, dass Stress und Anspannung langsam von mir abfallen. Gleichzeitig tanke ich Kraft für die Herausforderungen, die vor mir liegen, und spüre, wie ich mich schon wieder auf den kommenden Abend freue. Alltäglicher Wahnsinn, aber der schönste Wahnsinn, den es gibt. Familie.