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Patricia Schröder: Leni und Lotti - Ferien auf dem Ponyhof

Patricia Schröder, 1960 im Weserland geboren, wuchs in Düsseldorf auf, studierte Textildesign und arbeitete einige Jahre in diesem Beruf. Als ihre Kinder zur Welt kamen, zog sie in den Norden zurück. Dort ließ sie sich mit ihrer Familie und einer Hand voll Tieren auf einer kleinen Warft nieder und fing an, sich Geschichten auszudenken. Patricia Schröder liegt besonders die Leseförderung am Herzen. Sie hat das Konzept „Erst ich ein Stück, dann du“ entwickelt, um bei Kindern über das gemeinsame Lesen den Spaß an Büchern und Geschichten zu wecken.

Auf zum Lärchenhof

 

„Wo bleibt denn bloß dein Papa?“, fragte Emma und verdrehte stöhnend die Augen. Sie schüttelte ihren dunklen Lockenkopf und spazierte einmal um ihren Rollkoffer herum.

„Keine Ahnung“, brummte Leni. „Vielleicht sitzt er noch auf dem Klo.“

Auch ihr war vor Aufregung schon ganz kribbelig im Bauch. Unruhig lief sie vor der Garage auf und ab und schielte alle paar Sekunden zum Haus hinüber. Endlich wurde die Tür geöffnet und ihr Vater kam heraus.

„Und ich dachte, ihr seid noch mit dem Packen eurer Rucksäcke beschäftigt“, rief Herr Melzer, während er auf die Mädchen zueilte. „Wartet ihr etwa schon lange hier draußen?“

„Nö“, sagte Leni. „Bloß ein bisschen.“

„Ungefähr eine Ewigkeit“, setzte Emma finster hinzu.

„Wir kommen bestimmt zu spät.“

„Keine Sorge“, erwiderte Herr Melzer und zog einen Zettel aus seiner Jackentasche hervor. „Das ist der Informationsbrief, den uns die Leute vom Ponyhof geschickt haben. Und darin steht es schwarz auf weiß: Anreisezeit: 14 bis 17 Uhr.“

 

„Und wie spät ist es jetzt?“, fragte Emma.
„Guck doch selber“, sagte Leni.
„Geht nicht“, erwiderte Emma.
In der linken Hand trug sie ihren Rucksack
und mit dem rechten Arm hielt sie
ihren hellblauen Stoffhasen Püschel
fest umklammert.

 

Also sah Leni auf ihre Armbanduhr. „Es ist drei Minuten nach elf“, verkündete sie im höflichen Tonfall einer feinen Dame.

„Vielen Dank für die Auskunft.“ Emma machte einen Knicks. „Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen.“

„Keine Ursache“, entgegnete Leni kichernd. „Bitte geben Sie Ihre Sachen bei meinem Chauffeur ab.“

Herr Melzer war inzwischen in den Wagen gestiegen und hatte den Motor gestartet. Langsam setzte er den dunkelgrauen Seat in die Auffahrt zurück.

Leni und Emma warteten geduldig, bis er ihre Rollkoffer und die Rucksäcke im Kofferraum verstaut hatte, und schlüpften dann auf die Rückbank.

Der Stoffhase Püschel durfte zwischen ihnen sitzen.

„Aber du musst dich anschnallen“, sagte Emma und legte ihm den Gurt um.

Nachdem Herr Melzer das Garagentor wieder heruntergelassen und verschlossen hatte, konnte es endlich losgehen.

„Meine sehr verehrten Herrschaften“, sagte Leni und zwinkerte Emma zu. „Ich wünsche Ihnen eine angenehme Reise.“

Sie öffnete den Reißverschluss ihrer Westentasche und zog den Schlüsselanhänger hervor, den sie am Zipper befestigt hatte. Es war ein braunes Pony mit einer hellen Mähne und einer weißen Blesse auf der Stirn. Mama hatte es ihr geschenkt, nachdem sie die Reiterferien auf dem Lärchenhof gebucht hatte.

Leni war noch nie eine ganze Woche
von zu Hause weg gewesen.
Aber sie freute sich auf die Ponys.
Bestimmt würden Emma und sie
eine Menge Spaß
auf dem Lärchenhof haben.
Herr Melzer startete den Motor
und lenkte den Wagen auf die Straße.
Da bemerkte Emma
den Schlüsselanhänger in Lenis Hand.

 

„Wie süüüß!“, quietschte sie. „Darf ich das mal haben?“

„Klar“, sagte Leni. Sie löste den Anhänger von ihrem Reißverschluss und reichte ihrer Freundin das Pony.

„Hat Mama mir geschenkt.“

„Oh, du bist so … so … sooo süüüß!“, juchzte Emma, drückte das Pony gegen ihre Wange und übersäte es mit Küssen. „Ich nenne dich Flecki-Mausi.“

„Aber das ist doch mein Schlüsselanhänger“, protestierte Leni.

 

„Na und?“, gab Emma zurück. „Ich nenne das Pony trotzdem Flecki-Mausi. Du kannst ihm ja einen anderen Namen geben.“

„Okay“, brummte Leni. „Dann nenne ich deinen Püschel ab sofort Klaus-Dieter.“

„Ach, du bist blöd“, brummte Emma zurück. „Der Püschel ist der Püschel. Aber dieses Pony hier ist unser Lärchenhof-Freundinnen-Maskottchen. Es soll auf uns aufpassen und uns Glück bringen. Und wenn wir wieder zu Hause sind, bekommst du es zurück.“

 

Leni nickte.
Das war keine schlechte Idee.
Die Sache hatte nur einen Haken.
„Und wieso willst du ihn dann
die ganze Zeit behalten?“, fragte sie.

„Will ich doch gar nicht“, gab Emma kopfschüttelnd zurück. „Wir wechseln uns ab. Heute bleibt Flecki-Mausi bei mir“, entschied sie und hakte den Schlüsselring in der Gürtelschlaufe ihrer Jeans ein. „Morgen bekommst du ihn und übermorgen …“

„… baumelt er wieder an deiner Hose!“, rief Leni und hielt ihrer Freundin die Hand hin.

„Abgemacht!“, jubelte Emma und schlug ein. „Weißt du schon, wie du Flecki-Mausi an deinen Tagen nennen willst?“, erkundigte sie sich.

„Nö“, sagte Leni. „Das muss ich mir noch überlegen.“ Gedankenverloren blickte sie aus dem Seitenfenster. Saftige grüne Weiden, auf denen Kühe und Schafe grasten, und goldgelbe Getreidefelder zogen an ihnen vorbei. Bis auf ein paar wenige schneeweiße Haufenwölkchen war der Himmel strahlend blau und die roten Dächer der Häuser eines entfernt liegenden Dorfes leuchteten im Sonnenlicht.

Herr Melzer pfiff Yellow Submarine von den Beatles und steuerte den Wagen gemächlich über die Landstraße.

„Sind wir bald da?“, fragte Emma, nachdem die Mädchen eine Weile geschwiegen hatten.

„Da vorne ist es schon“, antwortete Lenis Vater und lächelte den Mädchen durch den Rückspiegel zu. Er deutete auf ein kleines Wäldchen, das sich am Horizont auftat. „Der Lärchenhof liegt genau dahinter. Wir sind fast anderthalb Stunden zu früh.“

Kurz darauf setzte Herr Melzer den Blinker, drosselte das Tempo und bog nach links in einen schmalen Schotterweg ein, der direkt auf das Wäldchen zuführte.

 

Er lenkte den Wagen durch ein großes Tor.
Darüber war ein Schild angebracht.

stand in großen Buchstaben darauf.