Werner Koczwara
Einer flog übers
Ordnungsamt
Wilhelm Heyne Verlag
München
Werner Koczwara
Einer flog übers
Ordnungsamt
Wilhelm Heyne Verlag
München
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Copyright © 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
www.heyne.de
Redaktion: Elly Bösl
Umschlaggestaltung: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich, unter Verwendung eines Fotos von © Sang-Hun Kim/ Biegert & Funk
Illustrationen: Juliane Scholz, Biegert & Funk
Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering
ISBN 978-3-641-11243-1
V002
Folgende Flugbewegungen sind in diesem Buch verzeichnet:
1. Einer flog über die Schlaflosigkeit
2. Einer flog über den Bundesgerichtshof
3. Einer flog übers Reiserecht – Teil 1
4. Einer flog über den Erste-Hilfe-Kurs
5. Einer flog übers Reiserecht – Teil 2
6. Einer flog übers Steuerrecht
7. Einer flog über die terroristische Dackelvereinigung
8. Einer flog übers Bestattungsrecht
9. Einer flog übers EU-Recht
10. Einer flog übers Ordnungsamt
11. Einer flog über den Grenzstein
12. Einer flog über die Straßenverkehrsordnung
13. Einer flog über die Abseitsregel
14. Einer flog über die Weihnachtsfeier
15. Einer flog über die juristischen Folterinstrumente
16. Einer flog übers Jugendstrafrecht
17. Einer flog über juristische Kinderbücher
18. Einer flog übers Kuckucksnest
19. Einer flog über die Sicherungsverwahrung
20. Einer flog über das Bundesverfassungsgericht
21. Einer flog über die Opferbereitschaft
Anmerkungen und Fußnoten
Kurze Anweisung an den Leser
Sie müssen die folgenden 180 Seiten nicht chronologisch lesen. Sie sind ein freier Mensch! Sie können anfangen, wo Sie wollen. Ein bisschen Hilfe schadet aber nicht.
Wenn Sie sich durch die Einführung der Abseitsregel in der Straßenverkehrsordnung in Verwirrung stürzen möchten, blättern Sie gleich durch zu Kapitel 13.
Wenn es Ihnen dagegen eher spontan nach einigen erheiternden Piktogrammen über Erste Hilfe im Gerichtsaal ist, starten Sie bei Kapitel 4.
Rechtlich Abgrundtiefes zur Psyche des Urlaubers finden Sie gleich zweimal, nämlich in den Kapiteln 3 und 5.
Literarische Parodien zu juristischer Weltliteratur eröffnen sich dem Leser ab Kapitel 10. Und Freunde der aussagekräftigen Realsatire werden ab Kapitel 19 fündig, da in diesem und dem folgenden Kapitel geschildert wird, dass auch im Bundesverfassungsgericht nicht nur gescheite Juristen Recht sprechen.
Ein Einstieg mittels der Entgleisungen des EU-Rechts empfiehlt sich ab Kapitel 9. Wer hingegen aus dem Buch ein paar Seiten spontan herausreißen möchte, begebe sich unverzüglich zu Kapitel 17.
Mein Wunsch wäre, dass Sie Kapitel 1 lesen und dann über Ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Wenn Sie beim ersten Kapitel bereits einschlafen, wird es schwierig.
Wir starten daher sicherheitshalber mit der Schlaflosigkeit.
EINER FLOG ÜBER DIE SCHLAFLOSIGKEIT
Kurze Geschichte von den zwei Kindern, die nachts nicht einschlafen konnten
Zwei Kinder liegen nachts wach und können nicht einschlafen. Das erste Kind versucht es mit Schäfchen zählen: das erste Schaf hüpft über den Zaun, das zweite Schaf hüpft über den Zaun, das dritte Schaf hüpft über den Zaun ... nach dem zehnten Schaf ist das Kind eingeschlafen.
Auch das zweite Kind versucht es mit Schäfchen zählen: das erste Schaf hüpft über den Zaun, das zweite Schaf hüpft über den Zaun, das dritte Schaf hüpft über den Zaun. Nach dem dritten Schaf hüpft der Schäfer über den Zaun und versucht, die drei Schafe wieder einzufangen.
Das Kind findet die ganze Nacht keine Ruhe mehr. Weshalb haben die drei Schafe versucht, zu entkommen? Warum ist der Schäfer nachts noch wach? Hat er keinen Schäferhund? Wenn ja, warum?
Dieses Kind hat eine sehr komplizierte Denkweise.
Wenn es groß ist, wird es Jurist werden.
Noch eine Geschichte von einem Kind, das nachts nicht ruhig schlafen kann
Es gibt einen Ort, an dem vollständige Gerechtigkeit herrscht. Es gibt dort keinerlei Gewalt. Dort frisst kein Tier ein anderes. Nie hat man dort je ein Kind weinen hören. Es regnet da sogar niemals. Der Ort ist gar nicht so weit entfernt. Es waren schon Menschen dort und haben uns von ihm berichtet.
Dieser Ort ist der Mond. Der Mond: unbewohnbar, aber gerecht. Die Erde hingegen: bewohnbar, aber ungerecht. Frage: Wo möchten Sie lieber leben? Ein Kompromiss wäre: Irgendwo zwischendrin.
In diesem Buch verweilen wir im irdischen Bereich, dem bewohnbaren, dem ungerechten. Ein Ort allerdings, an dem seit Menschheitsbeginn verbissen an der Abschaffung des Unrechts gearbeitet wird. Mit einer Erfindung namens Recht. Aber was ist das Recht? Versuchen wir mal, es einem Kind zu erklären:
Dein Papa sitzt zu Hause im Garten, da kommt der böse Nachbar und haut ihm eine rein. Dein Papa steht auf und haut dem Nachbarn auch eine rein. Du sagst: Fall erledigt. Recht so.
Ja, schon, durchaus. Aber hast du dir den Papa und den Nachbarn mal genauer angeschaut? Dein Papa ist nämlich 1 Meter 60 groß und war bei den Bundesjugendspielen immer der Letzte. Der Nachbar hingegen misst 2 Meter 11 und war früher Boxweltmeister. Haut dein Papa dann immer noch zurück?
Natürlich nicht. Dein Papa sucht sich jemand, der stärker ist als er selbst und der den Nachbarn ordentlich vermöbeln kann. Dieser andere ist das Recht. Denn das Recht ist so stark, dass es noch den stärksten Mann umhaut.
Also geht dein Papa zum Rechtsanwalt und sagt: »Der starke Nachbar soll vom noch stärkeren Recht eins auf die Mütze bekommen.« Und so geschieht es dann: Der gewalttätige Nachbar wird vom Recht in seine Schranken gewiesen, bereut seine Sünden und wird fürderhin ein braver Mann. So geschieht es bei uns Tag um Tag, und nun schlafe wohl, mein Kind.
Was wir unterschlagen haben: Der Anwalt will einen ordentlichen Vorschuss, der Papa muss Prozesskostenhilfe beantragen, das Gericht ist überlastet und kann frühestens in 12 Monaten entscheiden, und der Anwalt des Nachbarn hat eine Gesetzeslücke entdeckt, die es Männern über 2 Meter 10 erlaubt, den Nachbarn zu vermöbeln.
Schlafe wohl, mein Kind. Unter deinem Bett sind keine Monster. Denn diese stehen allesamt wohlgeordnet in den Regalen der Justizbehörden.
Wo sie darauf warten, dass du erwachsen wirst, um dann ihr großes Theater aufzuführen: die Komödie des Rechts. Denn wo Ordnung zu Unfug wird, da wird Justiz zu Komik.
In diesem Buch geht es um derlei Unfug. Und um Humor als Notwehr.
EINER FLOG ÜBER DEN BUNDESGERICHTSHOF
Sägen wir mal etwas an den Wurzeln der Juristerei. Schauen wir uns einen Begriff an, einen sehr erhabenen Begriff. Den Begriff »Rechtsstaat«. Wer ihn in die Argumentation wirft, der ist automatisch auf der Seite der Guten. »Wir leben in einem Rechtsstaat«, will meinen: Das Gesetz gilt für alle. Wir haben ein Grundgesetz, wir haben ein Strafrecht, und da stehen die Sachen drin, die in unserem Land verboten sind und bestraft werden. Daran müssen sich alle halten, der Bürger wie auch die Justiz, und das ist alles in Ordnung. Da sind wir uns doch einig, oder?
Kurze Rückblende ins Jahr 1969. Sind wir der Meinung, dass wir im Jahr 1969 in Deutschland einen Rechtsstaat hatten? Jawohl, das sind wir allesamt.
Wie aber erklären wir uns die Tatsache, dass noch im Jahre 1969 Männer zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden, nur weil sie homosexuell waren? Also Männer, die nichts verbrochen hatten. Alle völlig rechtmäßig verurteilt nach § 175 Strafgesetzbuch, der jeden homosexuellen Kontakt mit Gefängnis bestrafte, auch bei gegenseitigem Einvernehmen. Es mussten also erst mal drei Jahre abgesessen werden, und bei ungünstiger Prognose drohten dann 10 Jahre Sicherungsverwahrung wegen gleichgeschlechtlicher Betätigung. Juristisch völlig in Ordnung. Wir lebten ja 1969 in einem Rechtssaat.
In einem solchen lebten wir übrigens auch im Jahre 1993. Unter dem Schutz eines Rechts, das die Verklappung von Atommüll erlaubte und dadurch insgesamt 114 726 Tonnen Atommüll im Meer landeten. Ganz legal. Wir lebten ja auch 1993 in einem Rechtsstaat. Mit Paragrafen, die festlegen, was Recht ist. Aber was, wenn diese Paragrafen schlecht sind? Oder die guten Paragrafen von den Richtern ignoriert werden? Denn wie lautete im Jahre 1985 Artikel 12 a Grundgesetz? Genau: »Die Dauer des Ersatzdienstes darf die Dauer des Wehrdienstes nicht überschreiten«.
Und wie lautete hierzu das Urteil des Bundesverfassungsgerichts? Exakt: Wer 1985 den Wehrdienst verweigerte, musste 150 Tage länger Ersatzdienst machen, nämlich 20 Monate statt 15. 20 gleich 15! Mein lieber Herr Juristen-Gesangsverein!
Die Mühlen der Justiz sind die unberechenbarsten Mühlen der Welt. Während bei einer normalen Mühle oben Weizen reingeschüttet wird und unten Mehl rauskommt, wird in die Mühlen der Justiz eine Rechtsfrage oben hineingeschüttet, und was dann unten rauskommt, ist bisweilen ein Grundstoff, aus dem sich ausschließlich jenes karge Brot backen lässt, das schon Goethe in seinem Wilhelm Meister wehmütig nur mit Tränen zu verspeisen vermochte:
»Wer nie sein Brot mit Tränen aß, Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saß, Der kennt euch nicht, ihr juristischen Mächte!«
Natürlich, bei Meister Goethe sind es nicht die juristischen, sondern die himmlischen Mächte. Dennoch dürfte der Jurist Goethe zustimmen, dass man auch mit Gerichtsurteilen kummervolle Nächte weinend auf dem Bett verbringen kann.
Zur Bekräftigung dieser These hier ein von den Mühlsteinen der Justiz besonders gründlich zermalmter Rechtsvorfall. Im Zentrum der folgenden Ausführungen steht das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. April 2008.1
Allgemeine Besorgnis ist die Kerndisziplin jeglicher Erziehung. Man setzt dem Kind einen Helm auf für den Fahrradweg zur Schule. Man schärft dem Kind ein, nicht mit Fremden mitzugehen. Man kann tun und lassen, was man will, vollständige Sicherheit gibt es für unsere Kinder dennoch nicht. Denn wovor sie niemand schützen kann, das ist die Rechtsprechung unserer obersten Gerichte.
Nähern wir uns einer wichtigen Frage: Darf ein Lehrer mit einer 14-jährigen Schülerin ins Bett? Instinktiv sagen wir: Nein, unter keinen Umständen. Unsere Gerichte sehen das weitaus differenzierter.
Schauen wir uns die Rechtslage an. Das StGB verbietet in § 174 Absatz 1 sexuelle Handlungen mit Jugendlichen unter 16 Jahren, wenn diese dem Täter »zur Erziehung anvertraut sind«. Ein leichtfertig urteilender Geist könnte angesichts dieser durchaus klaren Formulierung annehmen, dass ein Lehrer mit einer Schülerin, die ihm ja zur Erziehung anvertraut ist, nicht in die Heia steigen darf. Hierzu folgender Fall, über den die Rheinzeitung berichtet:
»22 Mal war es zu sexuellen Handlungen zwischen Lena W., der damals 14 Jahre alten Schülerin, und Dirk S., dem Klassenlehrer ihrer Parallelklasse, gekommen. Erst nach langem Leugnen hatte Lehrer Dirk S. die Taten gestanden. Das Neuwieder Amtsgericht hatte ihn im Januar vergangenen Jahres daraufhin zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.«
Der Bundesgerichtshof ist da allerdings anderer Meinung: Freispruch. Ob ein sexueller Missbrauch vorliegt, entscheidet sich nämlich juristisch an folgender Frage: War’s der Klassenlehrer oder war’s die Pausenvertretung? Denn der BGH sagt: Der Klassenlehrer darf nicht, die Pausenvertretung darf. Und Dirk S. war eben nur Pausenvertretung.
Kein mit der Lebenswirklichkeit vertrauter Geist käme jemals auf die Frage, ob beim Intimverkehr eines Pädagogen mit einer Vierzehnjährigen zwischen Klassenlehrer und Pausenvertretung zu unterscheiden ist. Sollte nicht eines der höchsten deutschen Gerichte zu einer Klarstellung fähig sein, dass nämlich der Beischlaf zwischen einer 14-jährigen Schülerin und einem Lehrer nicht zwingend dem Bildungsauftrag einer Schule entspricht?
Stattdessen zögert die Justiz nicht, ein weiteres Mal ums Eck zu denken. Nämlich mit der Logik, dass zwischen Schülerin und Lehrer kein Abhängigkeitsverhältnis mehr besteht, sobald der Beischlaf in den Ferien stattfindet. Der dahinter stehende Gedanke ist, dass ein Missbrauch nur dann vorliegt, solange der Lehrer auf die Schülerin durch die Notenvergabe einwirken kann. Was in den Ferien ja nicht der Fall ist.
Diese Logik denken wir doch mal rasch zu Ende. Wenn die Benotung ein Kriterium für Missbrauch ist, dann scheidet logischerweise Missbrauch aus in allen Fächern, die für die Versetzung nicht relevant sind. Demzufolge kann niemals ein Missbrauch stattfinden bei Lehrern aus folgenden Fächern: Sport, Bildende Kunst, Musik. Denn diese Fächer spielen versetzungstechnisch ja keine Rolle. Es dürfen zum straffreien Intimverkehr daher antreten: der Sportlehrer, der Kunstlehrer, der Musiklehrer. Und natürlich, wir wollen den Gedanken ja sauber zu Ende bringen: der Religionslehrer – wie übrigens Dirk S.2