Gottfried Keller

Martin Salander

Roman

Gottfried Keller

Martin Salander

Roman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
1. Auflage, ISBN 978-3-962812-57-7

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Inhaltsverzeichnis

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1

Ein noch nicht be­jahr­ter Mann, wohl­ge­klei­det und eine Rei­se­ta­sche von eng­li­scher Le­der­ar­beit um­ge­hängt, ging von ei­nem Bahn­ho­fe der hel­ve­ti­schen Stadt Müns­ter­burg weg, auf neu­en Stra­ßen, nicht in die Stadt hin­ein, son­dern so­fort in ei­ner be­stimm­ten Rich­tung nach ei­nem Punk­te der Um­ge­gend, gleich ei­nem, der am Orte be­kannt und sei­ner Sa­che si­cher ist. Den­noch muss­te er bald an­hal­ten, sich bes­ser um­zu­se­hen, da die­se Stra­ßen­an­la­gen schon nicht mehr die frü­he­ren neu­en Stra­ßen wa­ren, die er einst ge­gan­gen; und als er jetzt rück­wärts schau­te, be­merk­te er, dass er auch nicht aus dem Bahn­ho­fe her­aus­ge­kom­men, von wel­chem er vor Jah­ren ab­ge­fah­ren, viel­mehr am al­ten Ort ein weit grö­ße­res Ge­bäu­de stand.

Die reich­ge­glie­der­te, kaum zu über­se­hen­de Stein­mas­se leuch­te­te auch so still präch­tig in der Nach­mit­tags­son­ne, dass der Mann wie ver­zückt hin­sah, bis er von dem Ver­kehrs­tru­bel un­sanft ge­stört wur­de und das Feld räum­te. Aber der er­ho­be­ne Kopf, die an der Hüf­te ge­lind sich hin und her wie­gen­de Rei­se­ta­sche lie­ßen er­ken­nen, wie er vom Schwun­ge der Ge­dan­ken be­wegt, von Ge­nug­tu­ung er­füllt da­hin­schritt, um Weib und Kin­der auf­zu­su­chen, wo er sie vor Jah­ren ge­las­sen. Je­doch ver­geb­lich forsch­te er zwi­schen der rast­lo­sen Über­bau­ung des Bo­dens nach Spu­ren frü­he­rer Pfa­de, die sonst zwi­schen Wie­sen und Gär­ten schat­tig und freund­lich hü­gel­an ge­lei­tet hat­ten. Denn die­se Pfa­de la­gen auch wei­ter­hin un­ter stau­bi­gen oder mit har­tem Kies be­schot­ter­ten Fahr­stra­ßen be­gra­ben. Ob­gleich das al­les sei­ne Be­wun­de­rung ste­tig er­höh­te, war er end­lich doch an­ge­nehm über­rascht, als er un­ver­merkt, um eine Ecke bie­gend, sich in einen Häu­ser­win­kel ver­setzt fand, den er au­gen­blick­lich an sei­ner ver­jähr­ten länd­li­chen Bau­art wie­der­er­kann­te. Die vor­sprin­gen­den Dä­cher, das rote Bal­ken­werk, die klei­nen Vor­gärt­chen wa­ren die näm­li­chen, wie seit Men­schen­ge­den­ken.

»Da ist ja der Zei­sig!« rief der Wan­ders­mann, in­dem er still­stand und mit war­mem Hei­mat­ge­fühl die alte Lo­ka­li­tät be­trach­te­te, »wahr­haf­tig der Zei­sig! ›Im Zei­sig‹, heißt es hier! Wer kann sa­gen, warum ei­nem eine sol­che Sa­che und ein sol­ches Wort wäh­rend sie­ben Jah­ren nicht ein ein­zi­ges Mal ein­ge­fal­len ist, und ha­ben wir doch als Schü­ler hier so schö­nen Ap­fel­most ge­trun­ken, wenn wir einen Bat­zen be­sa­ßen! Und der alte Brun­nen steht auch noch, mit wel­chem man den Zei­sig­bau­er auf­zog, dass er Most und Milch dar­aus spei­se!«

In der Tat spru­del­te aus der ur­al­ten Holz­säu­le das kla­re Berg­was­ser in den­sel­ben Trog, wie ehe­mals, und zwar durch den glei­chen ab­ge­säg­ten Flin­ten­lauf, der statt ei­ner ei­ser­nen Brun­nen­röh­re dar­in steck­te. Die­se Ent­de­ckung er­reg­te dem Mann eine neue Be­geis­te­rung.

»Sei mir ge­grüßt, ehr­wür­di­ges Zei­chen fried­li­cher Wehr­kraft!« dach­te er halb­laut; »dies Rohr, das einst Feu­er ge­sprüht, spen­det das lau­te­re Quell­was­ser für Mensch und Tier! Aber schon hängt in je­dem Hau­se, wie ich ver­neh­me, das ge­zo­ge­ne Ge­wehr und harrt der erns­ten Prü­fung; möge sie der Hei­mat lan­ge er­spart blei­ben!«

In die­sem Au­gen­bli­cke nä­her­te sich ein Trupp spie­len­der Kin­der dem Brun­nen, klei­nes Volk von zwei bis sechs Jah­ren. Letz­te­ren Al­ters konn­ten zwei Kna­ben und über­dies Zwil­lin­ge sein, weil sie ge­nau die­sel­be Grö­ße, ganz ähn­lich run­de Köp­fe mit di­cken Ba­cken und vor den Bäu­chen aus glei­chem Wachs­tuch ge­schnit­te­ne, mit Blüm­chen be­druck­te Schür­zen auf­wie­sen, of­fen­bar eben­so­wohl als Aus­zeich­nung wie zum Schut­ze der Klei­der. Et­was seit­wärts stand ein­sam ein blei­cher Jun­ge, der sei­nen ach­ten Som­mer zäh­len moch­te und An­lass zu ei­ner klei­nen Be­ge­ben­heit bot, wel­che die Auf­merk­sam­keit des heim­keh­ren­den Man­nes von dem al­ten Flin­ten­lauf ab­lenk­te.

Ei­ner der bei­den Schurz­trä­ger rief näm­lich den ein­sa­men Jun­gen hoch­mü­tig an: »Was tust du denn hier? Was willst du?«

Als der An­ge­ru­fe­ne nicht ant­wor­te­te und nur me­lan­cho­lisch her­über­blick­te, trat der an­de­re Zwil­ling, die Hän­de auf dem Rücken, den be­schürz­ten Bauch vor­stre­ckend, nä­her hin und sag­te pat­zig: »Ja, auf was war­test du hier?«

»Ich war­te auf mei­ne Mut­ter!« er­wi­der­te nun der Jun­ge, un­si­cher wer­dend, ob er das Recht habe, dort­zu­ste­hen. Der an­de­re aber ver­setz­te tro­cken und ver­ächt­lich wie ein Al­ter: »So, du hast eine Mut­ter?« wäh­rend sein Bru­der laut auf­lach­te und schrie: »Ha, ha! Der hat eine Mut­ter!«

So­gleich sang der gan­ze Kin­der­chor mit drol­lig nach­ge­ahm­tem Ge­läch­ter: »Der hat eine Mut­ter!«

Und nie hör­te man ein fröh­li­che­res La­chen so klei­ner Leu­te. Als ob das lus­tigs­te Er­eig­nis sie kö­nig­lich er­hei­te­re, hol­ten sie im­mer ein neu­es »Ha­ha­ha« aus der Tie­fe ih­rer arg­lo­sen Kin­der­herz­chen her­auf und stan­den da­bei im Krei­se bei­sam­men, in­ner­halb des­sen ein zwei­jäh­ri­ges Wat­schel­büb­chen, in­dem es sich mit den fet­ten Händ­chen die Sei­ten hielt, wie­der­hol­te: »Oh! eine Mo­der hat der!«

Als dies Ver­gnü­gen, wie al­les hie­nie­den, all­mäh­lich sein Ende er­reicht, frag­te der mit der Rei­se­ta­sche, der es wohl be­ob­ach­tet hat­te und nichts da­von ver­stand, mit freund­li­chen Wor­ten: »Wa­rum lacht ihr Kin­der so dar­über, dass der Kna­be eine Mut­ter hat? Habt ihr denn kei­ne Mut­ter?«

»Nein! Wir sa­gen Mama!« er­klär­te der eine Rä­dels­füh­rer der Klei­nen, und gleich­zei­tig nahm er einen Ton­scher­ben von dem Bo­den, schöpf­te Was­ser aus dem Brun­nen­be­cken und schleu­der­te es auf den In­ha­ber ei­ner Mut­ter. Der ver­lor aber die Ge­duld. Er sprang her­bei, um den bö­sen Zwil­ling ein we­ni­ges zu zau­sen, wor­auf bei­de Brü­der zu ze­tern und »Mama! Mama!« zu schrei­en be­gan­nen.

»Isi­dor! Ju­li­an! Was gib­t’s denn, was habt ihr wie­der?« ließ sich eine Stim­me ver­neh­men, und aus ei­nem der Häu­ser kam eine rüs­ti­ge Frau, un­zwei­fel­haft vom Wasch­zu­ber weg. Die feuch­te Schür­ze war zu­rück­ge­schla­gen, auf der einen Faust hielt sie einen mo­disch mit Blu­men und Sei­de auf­ge­putz­ten Stroh­hut vor sich hin, wäh­rend sie mit dem an­de­ren rot­brau­nen Arm den Schweiß von der Stirn zu wi­schen such­te und der ihr fol­gen­den Putz­ma­che­rin schmä­lend zu­rief, der Hut sei nicht ge­ra­ten, die Blu­men stell­ten nichts Rech­tes vor, sie wol­le eben­so schö­ne und große, wie an­de­re Frau­en­zim­mer, und wei­ße Bän­der statt der brau­nen. Sie wüss­te nicht, warum sie nicht eben­so gut wei­ße Bän­der tra­gen dürf­te, wie die­se und jene, und wenn sie auch kei­ne Rä­tin sei, so wer­de sie der­einst viel­leicht ei­nes oder zwei sol­cher Stücke zu Schwie­ger­töch­tern be­kom­men!

Die Mo­dis­tin, wel­che ihr den Hut in­zwi­schen ab­ge­nom­men, ver­setz­te be­schei­den schnip­pisch, es sei gut, dass die Bän­der nicht schon weiß ge­we­sen, sonst wür­den sie von den nas­sen Hän­den der Frau be­reits ver­dor­ben sein, und es fra­ge sich, ob die­se be­fleck­ten brau­nen sau­ber her­zu­stel­len sei­en. Sie woll­te se­hen, was die Meis­te­rin dazu sage. Hier­mit leg­te sie den Hut wie­der in die Schach­tel, in der sie ihn her­ge­tra­gen, und be­gab sich ver­drieß­lich hin­weg, in­des­sen die Wasch­frau ihr nachrief, sie sol­le nur ma­chen, dass sie den Hut bis nächs­ten Sonn­tag er­hal­te, denn sie wol­le da­mit zur Kir­che ge­hen. Dann sah sie end­lich nach ih­ren Bu­ben Ju­li­an und Isi­dor, wel­che zu schrei­en nicht auf­hör­ten, ob­gleich der frem­de Kna­be sich an sei­nen Stand­ort zu­rück­ge­zo­gen hat­te.

»Was ist denn mit euch? Wer tut euch was?« rief sie, wor­auf jene schri­en: »Der dort will uns hau­en!«

Nun aber misch­te sich der stets auf­merk­sa­me Wan­ders­mann in den Han­del und be­lehr­te die Frau, die bei­den Jun­gen hät­ten den an­de­ren zu­erst mit Was­ser be­gos­sen und ihn aus­ge­lacht, weil er nur eine Mut­ter und kei­ne Mama be­sit­ze.

»Das ist nicht schön von euch!« sag­te die Frau mit mil­der Zu­recht­wei­sung zu ih­ren Spröß­lin­gen; »er ist nicht schuld, wenn er arme oder un­ge­bil­de­te El­tern hat, und ihr könnt Gott dan­ken, dass es euch bes­ser geht!«

Der mit der Rei­se­ta­sche konn­te sich nicht ent­hal­ten, zu fra­gen, ob es denn hier­zu­lan­de ein Zei­chen von Ar­mut oder Ver­wahr­lo­sung sei, wenn un­ter dem Vol­ke die El­tern noch Va­ter und Mut­ter ge­nannt wer­den, und er tat die­se Fra­ge mit an­stän­di­ger Wiß­be­gier, ohne Spott, ge­wär­tig, schon wie­der et­was Neu­es, viel­leicht Güns­ti­ges und Rühm­li­ches zu er­fah­ren. Die Frau aber sah ihn groß an, be­sann sich ein we­nig, bis sie zu er­ken­nen glaub­te, dass es sich um einen un­vor­ge­se­he­nen un­be­fug­ten An­griff hand­le, und er­wi­der­te als­dann mit ge­schärf­ter Be­to­nung: »Wir sind hier nicht Volk, wir sind Leu­te, die alle das glei­che Recht ha­ben, em­por­zu­kom­men! Und alle sind gleich vor­nehm! Und für mei­ne Kin­der bin ich die Mama, da­mit sie sich nicht vor dem Her­ren­volk zu schä­men brau­chen und einst auf­rech­ten Haup­tes durch die Welt ge­hen dür­fen! Jede rech­te Mut­ter hat die Pf­licht, da­für zu sor­gen, weil es Zeit ist!«

»Was machst du denn für einen Lärm, Frau?« sag­te der hin­zu­ge­kom­me­ne Mann der­sel­ben; er setz­te einen großen Korb voll gel­ber Rüb­chen ne­ben den Brun­nen nie­der, in­dem er bei­füg­te: »Da ist Ge­mü­se zu wa­schen! Ich will gleich das Beet um­gra­ben und wie­der an­sä­en; die Bu­ben kön­nen das Zeug ab­spü­len! Da­mit sie das Was­ser im Trog nicht ver­un­rei­ni­gen, gib ih­nen einen Zu­ber, Frau, und ach­te doch dar­auf, dass dem Vieh das Trink­was­ser nicht im­mer ge­trübt wird von den Kin­dern!«

Hier­durch schi­en die wa­cke­re Frau, in Ge­gen­wart des Frem­den, noch ge­reiz­ter zu wer­den. Die Kna­ben sei­en jetzt or­dent­lich an­ge­zo­gen und sol­len sich nicht schon wie­der ver­sau­en! Sie wol­le die Rüb­chen nach­her schon ab­spü­len, wozu noch alle Zeit sei, denn sie wür­den erst am nächs­ten Mor­gen ge­holt.

Und die Zwil­lin­ge rie­fen ih­rer­seits: »Va­ter, die Mama sagt, wir dür­fen uns nicht ver­sau­en! Was sol­len wir nun tun? Kön­nen wir lau­fen, wo wir wol­len?«

Ohne die Ant­wort ab­zu­war­ten, spran­gen sie mit den an­de­ren Kin­dern da­von; der Frem­de aber, statt ih­rem Bei­spiel zu fol­gen, blieb im­mer noch ste­hen, in Nach­den­ken ver­lo­ren über die neue Tat­sa­che, dass der Mann der Mama doch ein ein­fa­cher Va­ter sei vor sei­nen Kin­dern, da­bei auch frei­lich nicht so­viel zu gel­ten schi­en, wie jene.

In die­sen Ge­dan­ken un­ter­brach ihn der Land­wirt oder Ge­mü­se­gärt­ner und frag­te: »Und was ist’s mit dem Herrn hier, was wünscht er?«

»Er wird wohl nichts zu wün­schen ha­ben!« rief die Frau da­zwi­schen; »er hat uns bloß Volk ge­nannt und sich ver­wun­dert, wie­so die Bu­ben mir Mama ru­fen sol­len!«

»Das war nicht so ge­meint!« sag­te der Frem­de lä­chelnd, »ich habe mich ja im Ge­gen­teil über die Ver­fei­ne­rung der Sit­te hier­zu­lan­de ge­freut, über die zu­neh­men­de Gleich­heit der Bür­ger; ge­wah­re nun aber doch, dass das Fa­mi­li­en­haupt noch Va­ter ge­nannt wird und nicht Papa! Wie darf ich mir nun das wie­der er­klä­ren?«

Die Frau blick­te är­ger­lich auf ih­ren Mann, der ihr in die­sem Punk­te ge­nug­sam Ver­druss ge­macht ha­ben moch­te, und ver­hielt sich im üb­ri­gen still. Der Mann sei­ner­seits be­trach­te­te den Fremd­ling nun eben­falls mit prü­fen­dem Bli­cke, wie vor­hin die Frau, und als er des­sen of­fe­nes und gut­mü­ti­ges Ge­sicht wahr­nahm, ließ er sich zu ei­ner ver­trau­li­chen Rede her­bei: »Seht, gu­ter Freund! Das ist eine Sa­che, wo­von man­ches zu be­rich­ten wäre! Die Gleich­heit ist al­ler­dings vor­han­den und alle stre­ben wir auf­wärts. Am eif­rigs­ten sind die Wei­ber da­hin­ter her; eine nach der an­de­ren nimmt je­nen Ti­tel an, wo­ge­gen wir Manns­leu­te bei un­se­rer Han­tie­rung der­glei­chen Zie­rat nicht brau­chen kön­nen. Wir wür­den uns selbst aus­la­chen, we­nigs­tens einst­wei­len noch, und dann, was die Haupt­sa­che ist, so wür­de man uns die Steu­ern hin­auf­schrau­ben, wenn wir den Pa­pa­ti­tel an­näh­men. So hat der Herr Pfar­rer in der Schul­pfle­ge zu ver­ste­hen ge­ge­ben, wo die Sa­che zur Spra­che kam, weil ein Schul­meis­ter einen Teil der Schü­ler mit Papa und Mama trak­tier­te, wenn er von ih­ren El­tern zu spre­chen hat­te. Es wa­ren dies na­tür­lich sol­che Kin­der, die schö­ne Ge­schen­ke brach­ten. Bei den Frau­en, sag­te der Pfar­rer, habe das nicht so­viel zu be­deu­ten, weil ihre Ei­tel­keit be­kannt sei; wenn aber die Manns­bil­der sich Papa ru­fen lie­ßen, so ur­kun­de­ten sie hier­mit, dass sie sich zu den Wohl­ha­ben­den und Für­neh­men rech­nen, und da sie oh­ne­hin zu we­nig ver­steu­ern, so wür­de man sie bald hö­her ein­zu­schät­zen wis­sen. Es wur­de dann auch so­fort al­len sechs Leh­rern strengs­tens be­foh­len, in der Schu­le von Gleich­heits we­gen das Wort Papa zu ver­mei­den und bei reich und arm nur Va­ter zu sa­gen!«

Die Frau war schon bei An­fang die­ser Rede zor­nig in ihre Kü­che zu­rück­ge­lau­fen; der Land­mann ging auch has­tig sei­ner Wege, in­dem er sich be­sann, dass er noch ge­nug zu tun und schon zu lang ge­schwatzt habe, und der Frem­de stand al­lein auf dem stil­len Plat­ze. Erst jetzt las er an dem al­ten Hau­se die In­schrift »Ge­mü­se­gärt­ne­rei und Milch­wirt­schaft von Pe­ter Wei­de­lich«. – »Also Wei­de­lich hei­ßen die­se Leu­te«, sprach er vor sich hin, ohne selbst dar­auf zu ach­ten. Er rieb sich sacht ein we­nig die Stir­ne, wie ei­ner, der nicht recht weiß, wo er sich im Au­gen­blick be­fin­det, bis er sich be­sann, dass er ja noch höchs­tens zehn Mi­nu­ten zu ge­hen brau­che, um die Sei­ni­gen zu se­hen. Doch wie er sich wand­te und den Fuß an­setz­te, fiel ihm eine Hand auf die Schul­ter und eine Stim­me frag­te: »Ist das nicht der Mar­tin Sa­lan­der?«

Er war es wirk­lich; denn er kehr­te sich wie der Blitz um da er auf dem hei­mi­schen Bo­den zum ers­ten Mal sei­nen Na­men hör­te und nun auch das ers­te be­kann­te Ge­sicht er­blick­te.

»Und du bist der Möni Wig­hart, wahr­haf­tig!« rief er. Bei­de schüt­tel­ten sich die Hän­de, ein­an­der auf­merk­sam, aber nicht un­er­freut be­trach­tend als gute alte Freun­de, von de­nen kei­ner dem an­de­ren et­was zu dan­ken oder je et­was von ihm ge­wollt hat­te. Das ist im­mer eine gute Be­geg­nung an der Schwel­le jeg­li­cher Hei­mat.

Der ge­nann­te Möni oder Sa­lo­mon schi­en um zehn Jah­re äl­ter als Herr Mar­tin Sa­lan­der, sah aber noch so frisch und sau­ber mit sei­nem Schnurr- und Ba­cken­bärt­chen aus, wie ehe­mals, und trug den­sel­ben Rohr­stock mit ver­gol­de­tem Hun­de­kopf, wie vor zwan­zig Jah­ren. Mit al­len or­dent­li­chen Leu­ten stand er auf Du und Du, ob­gleich kei­ner deut­lich wuss­te, seit wann. Trotz­dem hat­te er nie einen Feind; denn er war für je­den, der ihn traf, ein Ru­he­punkt und eine Pau­se in den Sor­gen und Ge­dan­ken, die ihn be­weg­ten, oder auch, wenn der Be­tref­fen­de just zer­streut da­hin­trieb, ein komm­li­cher An­halt zur Samm­lung.

»Mar­tin Sa­lan­der! Wer hät­te das ge­dacht! Und seit wann bist du wie­der im Land? Oder kommst du erst?« frag­te er aber­mals.

»So­eben komm ich vom Bahn­hof!« war die Ant­wort.

»Was du sagst! Ich kom­me doch auch da­her, trin­ke alle Tage mei­nen Kaf­fee dort und sehe, wer ab­ge­ht und an­kommt, und habe dich nicht be­merkt! Der Tau­send noch ein­mal! So so, da ist der Mar­tin Sa­lan­der wie­der! Nicht wahr, du kommst ge­ra­de­wegs aus Ame­ri­ka?«

»Aus Bra­si­li­en, das heißt ich habe mich sechs Wo­chen in Li­ver­pool auf­ge­hal­ten in et­was Ge­schäf­ten. Nun aber ist’s Zeit, dass ich mei­ne Frau auf­su­che, habe seit ei­nem hal­b­en Jah­re kei­ne Nach­richt von ihr und mei­nen drei Kin­dern, sie müs­sen mich längst er­war­ten. Hof­fent­lich steht es gut mit ih­nen!«

»Ja wo sind sie denn? Hier oben auf der Höhe?« Die­se Fra­ge tat der alte Freund nur mit hal­ber Si­cher­heit sei­ner Stim­me, und der an­de­re schi­en auch et­was be­tre­ten, in­dem er er­wi­der­te: »Ei frei­lich, sie hat ja seit Jah­ren eine klei­ne Som­mer­wirt­schaft und Frem­den­pen­si­on auf der Kreuz­hal­de ge­pach­tet, es kann nicht sehr weit von hier sein!«

Bei sich selbst dach­te er: Nun weiß der nichts da­von oder tut we­nigs­tens so; ein Zei­chen, dass er nicht ein ein­zi­ges Mal dort war, der ewi­ge Spa­zier­gän­ger und Schop­pen­ste­cher! Es muss also nicht glän­zend ge­hen, und je­den­falls hat die arme Ma­rie kei­nen vor­züg­li­chen Wein zu ver­zap­fen!

Die klei­ne Ver­le­gen­heit über­sprin­gend er­griff Wig­hart die Hand, wel­che Sa­lan­der zum Ab­schie­de bot, und hielt sie fest.

»Ich wür­de gleich mit­kom­men; das geht aber na­tür­lich jetzt nicht gut an bei eu­rem ers­ten Wie­der­se­hen, da kann man kei­ne Stö­rer und Gaf­fer brau­chen! Al­lein zehn Schritt von hier, um die Ecke, hat der alte Frie­dens­rich­ter Hau­ser im ›ro­ten Mann‹ einen Letzt­jäh­ri­gen, der trinkt sich wie Him­mels­luft. Ich neh­me bei schö­nem Wet­ter täg­lich ein Schöpp­chen da­von. Nun tu’ ich es nicht an­ders, Meis­ter Mar­tin, du musst zum Will­komm eine Fla­sche mit mir lee­ren! In ei­nem hal­b­en Stünd­chen, in zwan­zig Mi­nu­ten ist es ge­tan und der Nach­mit­tag ist noch lang! Komm! Mach kei­ne Um­stän­de! Ich will durch­aus das ers­te Glas mit dir trin­ken und ver­spre­che, dich nicht lan­ge auf­zu­hal­ten!«

Mar­tin Sa­lan­der, des­sen Hand der gute alte Freund nicht fah­ren ließ, sträub­te sich ernst­lich, vom Ver­lan­gen nach Frau und Kin­dern be­seelt, de­nen er so nahe war; als ein so Weit­ge­reis­ter je­doch, der oft grö­ße­re Um­we­ge und Auf­ent­hal­te ver­geb­lich ge­macht und den sie­ben Jah­ren sei­ner Ab­we­sen­heit leicht eine Vier­tel­stun­de hin­zu­fü­gen durf­te, um der un­ver­hoff­ten Be­geg­nung eine Ehre an­zu­tun, gab er end­lich nach. Er wuss­te zwar, dass es den ge­sel­li­gen Herrn vor­nehm­lich ge­lüs­te­te, in al­ler Eile et­was Nä­he­res von sei­nen Schick­sa­len zu er­fah­ren und nebst der An­kunft abends als der ers­te in der Stadt er­zäh­len zu kön­nen; aber auch er selbst emp­fand jetzt plötz­lich ein Be­dürf­nis, über die Din­ge in der Hei­mat von dem stets un­ter­rich­te­ten Man­ne Vor­läu­fi­ges zu ver­neh­men. So wand­te er sich denn, statt den Weg in die Kreuz­hal­de fort­zu­set­zen, mit dem Möni Wig­hart in an­de­rer Rich­tung hin­weg und folg­te die­sem nach dem »Ro­ten Mann«, ei­nem Bau­ern­gu­te, wo ein alt an­ge­ses­se­ner rei­cher Land­wirt ne­ben­her sein rein­ge­hal­te­nes Ei­gen­ge­wächs aus­schenk­te.

Der Platz um den Brun­nen war nun gänz­lich still und leer; nur in ei­ner Ecke stand noch der Kna­be, der auf die Mut­ter war­te­te und das jüngs­te Kind Sa­lan­ders war, der eben hin­weg­ge­gan­gen.

2

Die bei­den Män­ner hat­ten in der Tat nicht weit zu ge­hen, bis sie das hin­ter Obst­bäu­men ver­bor­ge­ne Haus fan­den. Die Wohn- und Gast­stu­be des Wir­tes war leer, als sie ein­tra­ten; eine Frau­ens­per­son, ir­gend­wo be­schäf­tigt, kam auf Wig­harts Klop­fen her­bei.

»Wo ha­ben wir den Herrn Frie­dens­rich­ter?« frag­te er, zu­gleich eine Fla­sche Wein be­stel­lend.

»Sie sind alle in den Re­ben,« gab die Magd zur Ant­wort, wäh­rend sie eine wei­ße Fla­sche aus dem Schran­ke nahm, sie ins Was­ser des blan­ken Kup­fer­kes­sels tauch­te, auf wel­chem ein halb­mond­för­mi­ger ge­schupp­ter Fisch ge­trie­ben war, zu bei­den Sei­ten die Na­mens­zü­ge ei­nes Vor­fah­ren und dar­un­ter eine Jahr­zahl aus dem acht­zehn­ten Jahr­hun­dert. Jene ging, den Wein frisch im Kel­ler zu ho­len, in­des die Gäs­te sich an den brei­ten Nuß­baum­tisch setz­ten.

Mar­tin Sa­lan­der schau­te sich um, hol­te tief Atem und sag­te: »Wie ru­hig und still ist es hier! Seit sie­ben Jah­ren bin ich nicht hin­ter ei­nem Tisch wie die­ser ge­ses­sen!«

Durch die Fens­ter sah man nur Grü­nes, Ap­fel­bäu­me, Wie­sen und statt der blau­en Luft, so­weit der Blick zwi­schen den Stäm­men und Äs­ten den Weg fand, im Hin­ter­grun­de den an­stei­gen­den Wein­berg, des­sen Erde so­eben sorg­fäl­tig ge­lo­ckert wur­de. Nur hier und da sah man von den ge­bück­ten Wer­kleu­ten einen Kopf aus dem Lau­be em­portau­chen, und man glaub­te die son­ni­ge Fer­ne selbst zu er­bli­cken, in die er hin­aus­schau­te.

»Sie­ben Jah­re, bei Gott! Ist es schon so lang, dass du fort bist,« sag­te Wig­hart.

»Und drei Mo­na­te!«

Die Magd brach­te den Wein und ein paar Schnit­te gu­tes Rog­gen­brot, und als die Gäs­te nichts wei­ter ver­lang­ten, ging sie wie­der an ihre Ar­beit. Wig­hart schenk­te bei­de Glä­ser voll.

»Also sei will­kom­men!« be­grüß­te er, mit ihm an­sto­ßend, wie­der­um den Heim­keh­ren­den, der noch nicht ganz zu Hau­se war und vor der Zeit die Ruhe kos­te­te; »auf dei­ne Ge­sund­heit! Aber gut siehst du ja schon aus, wirk­lich wie die Ge­sund­heit sel­ber! Also lass uns an­neh­men, es sei dir gut­ge­gan­gen und al­les wohl ge­lun­gen!«

»Auf jede Art ist es mir ge­gan­gen; doch habe ich mich ge­wehrt und ge­tum­melt und we­nig ge­schla­fen, das kann ich dir sa­gen, und end­lich mich von dem Schlag er­holt, der mich da­mals so schmäh­lich ge­trof­fen hat. Es dau­er­te frei­lich län­ger, als ich mein­te, dass es ge­hen wür­de!«

»Wenn ich nicht irre, so bist du durch eine Bürg­schaft ins Un­glück ge­kom­men? Ich war zu je­ner Zeit auf Rei­sen, und als ich wie­der­kam, hieß es, du sei­est fort.«

»Frei­lich, die Ge­schich­te mit dem Louis Wohl­wend!«

»Rich­tig! Je­der nahm teil an dei­nem Miss­ge­schick, aber all­ge­mein wur­de auch ge­fragt, wie du dein Ver­mö­gen durch eine so un­be­dach­te Hand­lung aufs Spiel set­zen konn­test?«

»Ich habe nichts aufs Spiel ge­setzt, ich woll­te nichts ge­win­nen, son­dern ein­fach ein Ge­bot der Freun­des­pflicht er­fül­len, das heißt – ich glaub­te eben nicht, dass es zum Zah­len käme, war viel­mehr der Mei­nung, so­viel mir noch vor­schwebt, die Sup­pe wür­de wohl nicht so heiß ge­ges­sen wer­den, wie sie ge­kocht sei, und je­der wah­re Freun­des­dienst sei mit ei­nem Wa­g­nis ver­bun­den, sonst wäre es kei­ner. Wir wa­ren im Leh­rer­se­mi­nar schon gute Freun­de. Er lern­te schwer und hielt sich des­halb an mich, dem es leich­ter ging; vor den an­de­ren schi­en es eher, als ob ich von ihm lern­te, Gott weiß, wie es zu­ging! Es mach­te mir je­doch Spaß, denn er war sehr drol­lig, zu­trau­lich und ge­scheit, und wo zwei bei­ein­an­der stan­den, trat er hin­zu, selbst un­ter den Leh­rern und Pro­fes­so­ren. Mit die­sen wuss­te er sich sehr er­götz­lich zu be­neh­men, wenn die Jah­res­prü­fun­gen da­wa­ren. Er forsch­te nicht etwa, wor­über sie ihn be­son­ders fra­gen wür­den, son­dern wuss­te ih­nen ge­ra­de­zu bei­zu­brin­gen, was er woll­te, das sie ihn fra­gen soll­ten, wor­auf er sich die be­züg­li­chen Ge­gen­stän­de ex­tra von mir ein­trich­tern ließ oder wie ich es nen­nen soll. Es war, wie wenn er eine Gabe hät­te, die Ge­dan­ken der Men­schen mit we­nig Wört­chen zu rei­hen, hin und her ge­hen zu las­sen und auf­zu­lö­sen, und doch war er nicht im­stan­de, selbst eine dau­ern­de Ge­dan­ken­ord­nung fest­zu­hal­ten. Aber al­les war, wie ge­sagt, spaß­haft, und je­der ließ ihn ge­wäh­ren. Er er­hielt auch rich­tig die Ver­we­se­rei ei­ner länd­li­chen Ele­men­tar­schu­le, wo es herr­lich und in Freu­den ging; als er aber Re­al­klas­sen über­nahm, das heißt den Un­ter­richt der grö­ße­ren Kin­der, be­gann er bald von Ort zu Ort zu rut­schen und gab in kur­z­er Zeit das Schul­meis­tern auf. Ich hat­te mich in­des­sen noch zum Se­kun­dar­leh­rer aus­ge­bil­det und or­dent­lich Fleiß dar­auf ver­wen­det; auch ver­wal­te­te ich die Schu­le, an die ich ge­wählt wur­de, nicht al­lein mit der üb­li­chen Be­geis­te­rung, son­dern auch mit ei­ni­gem Pf­licht­ge­fühl und be­müh­te mich red­lich, die Schü­ler so durch­ge­hend als mög­lich em­por­zu­ar­bei­ten. Ich freu­te mich schon der spä­te­ren Tage, wo ich man­chem Land­mann zu be­geg­nen hoff­te, der es mir dan­ken wür­de, wenn er eine rich­ti­ge Be­rech­nung an­stel­len, ein Stück Feld aus­mes­sen, sei­ne Zei­tung bes­ser ver­ste­hen und etwa ein fran­zö­si­sches Buch le­sen könn­te, al­les ohne die Hand vom Pflu­ge zu las­sen! Al­ler­dings hab’ ich es nicht er­lebt; denn die Bu­ben schwan­den ei­nem vor­weg aus den Au­gen und ver­kro­chen sich in alle mög­li­chen Schreib­stu­ben. Kei­nen sah ich je wie­der auf dem Feld und an der Son­ne!«

Sa­lan­der hielt inne und be­sann sich; dann tat er einen leich­ten Seuf­zer und re­de­te wei­ter: »Aber hab’ ich es denn bes­ser ge­macht? Bin ich nicht selbst vom Pflu­ge weg­ge­lau­fen?«

»Du meinst, als du den Lehr­er­be­ruf auf­gabst?« sag­te Wig­hart, da der an­de­re ein Weil­chen wie­der ver­stumm­te; »wie bist du denn dazu ge­kom­men?«

»Va­ter und Mut­ter star­ben mir in der Hei­mat in der­sel­ben Wo­che an ei­nem bös­ar­ti­gen Fie­ber. Im Stall war ih­nen ein kran­kes Kälb­chen zu­grun­de ge­gan­gen, das ha­ben sie ober­halb des Hau­ses in der Wie­se ver­gra­ben, un­fern un­se­rer gu­ten Brun­nen­quel­le, und sich so das Was­ser in al­ler Un­schuld ver­gif­tet. Knecht und Magd ent­ran­nen dem Tode mit Not. Die Ur­sa­che ward erst spä­ter ent­deckt. Mir aber wan­del­ten sich Schreck und Trau­er bald in eine große Un­ru­he, als ich mich im Be­sit­ze des el­ter­li­chen Ver­mö­gens sah, das nach dem Ver­kau­fe des Ho­fes für einen Schul­meis­ter ar­tig ge­nug aus­fiel. Ich hei­ra­te­te mei­ne Frau, die mir schon län­ger in die Au­gen ge­sto­chen, und auch sie be­saß bare Mit­tel. Da wur­de es mir plötz­lich zu eng in der fried­li­chen Schul­stu­be, in der ent­le­ge­nen Land­schaft; ich zog hier­her, in die Stadt dort hin­ter den Bäu­men, woll­te mit­ten im Ver­kehr ste­hen, un­ter Er­wach­se­nen, auf Frei­heit und Fort­schritt aus­schau­en, ein Ge­schäfts­mann, ein Mus­ter von Bro­therrn sein, ja so­gar noch den Mi­li­tär­dienst nach­ho­len und Of­fi­zier wer­den, um mei­nen Mann zu stel­len. Denn ich glaub­te al­les schul­dig zu sein, weil ich et­was Ver­mö­gen be­saß, das im Grun­de doch kein Reich­tum zu nen­nen war.

Zu­nächst be­tei­lig­te ich mich an ei­ner be­schei­de­nen Ge­we­be­fa­brik, die von ei­nem kun­di­gen Man­ne ge­lei­tet wur­de; da­ne­ben über­nahm ich einen her­ren­lo­sen Han­del mit Stroh­wa­ren; nun, das ist dir ja be­kannt, es ging gar nicht übel. Ich hielt mich flei­ßig und auf­merk­sam an die Sa­che, ohne der Welt den Rücken zu keh­ren. Da war denn auch der Louis Wohl­wend; der be­trieb ein Kom­mis­si­ons­ge­schäft, wie du auch weißt, nebst ei­ni­gen Agen­tu­ren und war im­mer noch der glei­che zu­tu­li­che und ver­trau­li­che Ge­sell und Hans in al­len Gas­sen, von dem je­der den Ein­druck emp­fing, dass es ihm gut gehe und er wohl wis­se, was er wol­le. Auch zu mir hielt er sich flei­ßig, so oft er Zeit fand, und bald stand ich im Rufe sei­nes Spe­zi­al­freun­des und wehr­te mich nicht da­ge­gen, ob­schon mir im stil­len man­ches auf­fäl­lig war, was ihm an­haf­te­te. In ei­nem Ge­sang­ver­ein, in den er mich ein­führ­te, be­merk­te ich, dass er im­mer falsch sang; ich dach­te aber, er kön­ne nichts da­für, und nach­her beim Gla­se Wein war er umso kurz­wei­li­ger und be­lieb­ter, und er be­haup­te­te sich, trotz­dem der Übel­stand of­fen­kun­dig, im zwei­ten Te­nor. Das är­ger­te mich zu­letzt ernst­lich; er tat aber, als ob er kei­ne Ah­nung hät­te, und am Ende sag­te ich mir, das sei ei­gent­lich auch ein Idea­lis­mus, wenn ein ar­mer Teu­fel, der kein Ge­hör habe, durch­aus sin­gen wol­le.

Als ich ei­nes Abends in der Weih­nachts­wo­che an mei­nem Rech­nungs­ab­schluss saß mit dem Vor­sat­ze, bis nach Mit­ter­nacht zu ar­bei­ten, kam er, mich in sei­nen Ve­rein ab­zu­ho­len, wo Christ­baum und Haupt­ver­gnü­gen sei. Ich woll­te nicht mit­ge­hen; er gab nicht nach, und da mei­ne Frau mich eben­falls zu ge­hen bat, mir die Er­ho­lung gön­nend, tat ich es. Dies war der Un­glücks­tag.

Un­ter­wegs kauf­te ich zum Über­flus­se auch noch eine Gabe für den Christ­baum, ein ar­ti­ges Bil­dungs­buch in Gold­schnitt, und er­hielt bei der Ver­lo­sung da­für einen west­fä­li­schen Schin­ken. Als das Es­sen, das folg­te, vor­über und die Renn­bahn für die ko­mi­schen Sän­ger, die De­kla­man­ten und Tra­ve­stan­ten er­öff­net war, be­stieg auch Louis Wohl­wend das Po­di­um, den Vor­trag der Schil­ler­schen Bal­la­de ›Die Bürg­schaft‹ an­kün­di­gend und so­gleich be­gin­nend. Er wuss­te das Ge­dicht zu mei­ner Ver­wun­de­rung aus­wen­dig und trug es mit ei­ner ge­wis­sen Er­re­gung oder Über­zeu­gung, mit halb zit­tern­der Stim­me vor, aber mit durch­ge­hend so ver­flucht falscher Be­to­nung, dass die Wir­kung mehr ver­drieß­lich als lä­cher­lich war. Un­be­wusst sprach er in je­nem Tone un­ge­bil­de­ter Leu­te, wel­che kla­gend oder kei­fend ein Schrift­stück vor­le­sen, da­bei auf den Tisch klop­fen und aus Lei­den­schaft die Rede ver­zer­ren, die Wor­te aus­ein­an­der­deh­nen und wie aus Wut die Ne­ben­sil­ben be­schrei­en, da ih­nen die Haupt­sil­ben nicht aus­rei­chen. Gleich den Schluss der ers­tem Stro­phe gab er mit stei­gen­den No­ten so:


Die Stadt vom Ty­ran­nen be­frei­en:
Das sollst du am Kreu­ze be­reu­en!

Dann schloss er die zwei­te Stro­phe:


Ich las­se den Freund dir als Bür­gen,
Ihn magst du, ent­rinn’ ich, er­wür­gen.

Ganz heil­los klang es, wie er fort­fuhr:


Da lä­chel­t der Kö­nig mit ar­ger List,

und dazu wirk­lich ein Lä­cheln und eine arge Ge­sin­nung auf sei­nem Ge­sich­te zu mi­schen such­te. Das Ende des Ge­dich­tes klang da­ge­gen ge­müt­lich aus:


Ich sei, ge­währt mir die Bit­te,
In eu­rem Bun­de der drit­te.

Es sind jetzt sie­ben Jah­re her und die Dumm­hei­ten mir den­noch so ge­nau im Ge­dächt­nis, als wä­ren sie ges­tern Abend ge­sche­hen.

Ich war et­was ver­stimmt, als Wohl­wend, von sei­nem er­höh­ten Auf­ent­hal­te her­un­ter­ge­stie­gen, sich wie­der ne­ben mich setz­te, und da es be­reits auf Mit­ter­nacht ging, er­hob ich mich, um Hut und Man­tel zu su­chen, und be­gab mich hin­weg. Kaum war ich aber auf der Stra­ße, so hol­te er mich ein, lief ne­ben mir her, räus­per­te sich, als wol­le er ein neu­es Stück re­zi­tie­ren. Ihn un­ter­bre­chend, frag­te ich, was er für eine Freu­de dar­an fin­de, ein Ge­dicht, über­haupt eine Rede, so schlecht her­zu­sa­gen, so auf­ge­regt und zu­gleich so grund­falsch zu de­kla­mie­ren?

Ja, ant­wor­te­te er mit im­mer noch nach­zit­tern­der Stim­me, auf­ge­regt sei er und schön wer­de er al­ler­dings nicht de­kla­miert ha­ben, weil er selbst der­je­ni­ge sei, der den Bür­gen su­che, und auf ei­nem kri­ti­schen Wen­de­punkt schwe­be.

Mit ganz ver­än­der­ter, ganz ver­nünf­ti­ger Stim­me gab er un­ver­weilt sei­ne An­ge­le­gen­heit kund. Er hat­te eine fol­gen­rei­che Un­ter­neh­mung ge­wagt, wel­che be­deu­ten­den Ka­pi­tal­ein­satz ver­lang­te, wäh­rend sein Bank­kre­dit durch das lau­fen­de Ge­schäft schon voll­stän­dig in An­spruch ge­nom­men war und fer­ner ge­nom­men wur­de. Auf kei­ner Sei­te durf­te er rück­wärts ge­hen ohne Scha­den an Gut und Ehre; das Vor­schrei­ten aber konn­te bei­des nur meh­ren; kurz, es han­del­te sich um Öff­nung ei­nes neu­en Kre­dits ge­gen Bürg­schaft, die mit drei Un­ter­schrif­ten zu leis­ten war. In fünf­zehn Mi­nu­ten hat­te ich als so­li­da­ri­scher Bür­ge und Selbst­zah­ler die ers­te Un­ter­schrift auf ein in Wohl­wends Hau­se be­reit­lie­gen­des Do­ku­ment ge­setzt und ging gleich dar­auf schla­fen. Die zwei an­de­ren Un­ter­zeich­ner habe ich nie ge­se­hen; es wa­ren ein paar stil­le or­dent­li­che Män­ner und Nicht­zah­ler, wel­che sich vor der Ka­ta­stro­phe ru­he­sam ver­zo­gen, nicht ohne ih­rer­seits selbst ver­schie­de­ne Bür­gen oder de­ren Gläu­bi­ger ge­schä­digt zu ha­ben, in­so­fern sol­che wirk­lich etwa be­zahl­ten.

»Gut also, vor Ablauf ei­nes Jah­res er­klär­te Louis Wohl­wend sich zah­lungs­un­fä­hig, und was gleich mit Be­ginn der Kon­kurs­ver­hand­lun­gen voll und un­wei­ger­lich ge­deckt wer­den muss­te, war der Be­trag mei­ner Bürg­schafts­leis­tung. Sie fraß auf, was ich und mein Weib be­sa­ßen, und zu­gleich li­qui­dier­te sich mein ei­ge­nes Ge­schäft eben­so rasch und rein­lich, dank der gu­ten Ord­nung, die dar­in herrsch­te, und ich konn­te ge­hen, wo ich woll­te! Ich war für ein­mal fer­tig! Jetzt wäre es Zeit ge­we­sen, in die Schul­stu­be zu­rück­zu­keh­ren; aber ach, es lag mir fer­ne! Wohl­wend aber leb­te noch Jahr und Tag in und von dem Kon­kur­se, der im San­de ver­lau­fen sein soll, ich weiß nicht auf wel­che Wei­se.«

»Aber wie moch­test du dein Frau­en­ver­mö­gen so preis­ge­ben?« un­ter­brach ihn Wig­hart, »die Frau konn­te es ja nach Ge­setz und Recht an sich zie­hen!«

»Die Frau woll­te nicht,« sag­te Sa­lan­der, »we­gen der Zu­kunft der Kin­der, denn ich wäre bank­rott ge­wor­den. Wir wa­ren jung und glaub­ten an un­se­re Zu­kunft, die wir nicht ver­der­ben moch­ten!«

»Aber warum nahmst du die Fa­mi­lie nicht mit oder hol­test sie nach­träg­lich, als es dir gut ging?«

»Weil ich im Va­ter­lan­de le­ben und ster­ben will, ich bin kein Aus­wan­de­rer! Und dann hät­te ich mich nicht dre­hen und tum­meln kön­nen, wie ich tun muss­te; hat­te auch zwei­mal das Fie­ber und be­zahl­te sonst ge­nug Lehr­geld, fing wie­der­holt von vorn an. Als ich hin­über­ging, nahm ich ei­ni­ge Kis­ten Stroh­hü­te mit, die man mir an­ver­trau­te; et­was leich­te­re Sei­den- und Baum­woll­sa­chen be­kam ich auch mit, und so mach­te sich not­dürf­tig ein An­fang, mit dem ich be­schei­den am Ufer hin­steu­er­te, bis ein jun­ger Mensch, den ich zu mir ge­nom­men, mich be­stahl und durch­ging, wäh­rend ich wehr­los im Fie­ber lag. Not­ge­drun­gen trat ich in den Dienst ei­nes grö­ße­ren Hau­ses und be­reis­te die bra­si­lia­ni­schen Pro­vin­zen mit Kauf und Ver­kauf. Ich lern­te da­durch den dor­ti­gen Bin­nen­han­del, den ich in der Fol­ge auf ei­ge­ne Rech­nung be­trieb, na­tür­lich nach Ver­hält­nis mei­ner Mit­tel. Nun, ich bin jetzt durch und habe den Scha­den er­setzt, mehr woll­te ich nicht, und kann die Ar­beit hier bei den Mei­ni­gen und in mei­nem Lan­de wie­der auf­neh­men. Hier habe ich Mo­sen und die Pro­phe­ten!«

Er schlug auf sei­ne treff­lich ge­ar­bei­te­te Rei­se­ta­sche, rief je­doch, sich end­lich be­sin­nend: »Sieh ein­mal, das ist eine schö­ne Heim­rei­se! Sechs Wo­chen in Li­ver­pool, und hier, fünf Mi­nu­ten von der Frau, bleib’ ich noch han­gen! Trink die Fla­sche al­lein fer­tig, Freund, du wirst wohl noch sit­zen­blei­ben! Der grü­ne Schat­ten­win­kel hier ist wirk­lich zu ge­lun­gen!« Der alte Freund hin­ge­gen, auf die Ta­sche deu­tend, hielt ihn auf.

»Du hast ge­wiss«, sag­te Wig­hart, »gute Pa­pie­re bei dir? Soll­test du etwa das eine oder an­de­re schö­ne In­ha­ber­stück ab­ge­ben wol­len, so bit­te ich, mir die Ge­le­gen­heit zu gön­nen; du weißt, man hat in die­sen pa­pier­nen Zeit­läuf­ten im­mer et­was zu be­sor­gen oder bes­ser­zu­stel­len!«

»Nichts Der­ar­ti­ges ist da!« ver­setz­te Sa­lan­der; »in der letz­ten Zeit ließ ich al­les Er­wor­be­ne bei der At­lan­ti­schen Ufer­bank in Rio de Ja­nei­ro zu­sam­men­lau­fen, ei­nem kräf­tig sich ent­wi­ckeln­den jun­gen In­sti­tut, und tra­ge nun den Wert mei­ner nicht ganz drei Dut­zend Con­tos de Reis in ei­ner An­wei­sung bei mir, bar zehn Tage nach Sicht!«

Aber­mals schlug er ver­gnügt auf die Ta­sche.

»Don­ner­wet­ter, ein saf­ti­ger Wech­sel!« mein­te Wig­hart.

»Seit zwei Mo­na­ten oder län­ger avi­siert, wie ich den­ke!« der an­de­re.

»Bei wel­chem Hau­se? Ge­wiss beim ›großen Kas­ten‹? Oder der ›al­ten Kom­mo­de‹? Oder bei der ›neu­en Kom­mo­de‹? Das sind näm­lich die neues­ten Scherz­na­men un­se­rer Ban­ken.«

»Xa­ve­ri­us Scha­den­mül­ler & Comp. heißt’s, wart, ich hab’s im Car­net!«

Er zog das Büch­lein aus der Sei­ten­ta­sche sei­nes Rockes.

»Ja, Scha­den­mül­ler, Xa­ve­ri­us & Comp.«

Wig­hart sah ihn mit wei­tauf­ge­sperr­ten Au­gen an, bis er das Wort fand.

»Scha­den­mül­ler, sagst du? Weißt du, wer das ist?«

»Je­den­falls eine rüh­ri­ge Fir­ma, wenn auch vor sie­ben Jah­ren noch un­be­kannt!«

»Un­glücks­mann! Es ist Louis Wohl­wend und kein an­de­rer!«

Mar­tin Sa­lan­der er­hob sich lang­sam hin­ter dem Ti­sche, ganz fahl und blass ge­wor­den, setz­te sich aber gleich wie­der und sag­te: »Es scheint, dass je­der Mensch einen Öl­göt­zen hat, der al­ler­orts wie­der da­steht und ihm ent­ge­gen­glotzt. Denkst du am we­nigs­ten dran, so ist er da. Das ist mir jetzt eine an­ge­neh­me Lage! Wer sagt in­des­sen, dass er nicht zah­len wer­de? Er wird sich er­holt und em­por­ge­schafft ha­ben, wie, kann mir gleich sein! Mei­ne At­lan­ti­sche Ufer­bank ist doch auch nicht von Stroh und weiß, was sie tut. Am Ende will das Schick­sal, dass ich wie­der zu mei­nem frü­he­ren Ver­mö­gen ge­lan­ge, wenn der Bur­sche so zu Kräf­ten ge­kom­men ist!«

»Un­glücks­mann noch ein­mal! Der, wel­cher Scha­den­mül­ler heißt, ist schon vor zwei Jah­ren fort, sein Nach­fol­ger, Wohl­wends Ge­sell­schaf­ter, vor sechs Mo­na­ten, und vom jet­zi­gen al­lei­ni­gen Ver­tre­ter der Fir­ma, Wohl­wend, heißt es seit ges­tern, er habe wie­der ein­mal ein­ge­stellt, die Pro­tes­te reg­nen nur so und das Kon­tor sei ge­schlos­sen!«

Sa­lan­der sprang auf und mit­ten in die Stu­be, wo er un­ent­schlos­sen sich um­schau­te, sei­ne Rei­se­ta­sche rückend. Er er­mann­te sich bald ein we­nig und seufz­te: »Die arme Frau! Ich hat­te ihr ver­lo­re­nes Wei­ber­gut so ver­gnüg­lich aus­ge­schie­den in mei­nem Bu­che und um die Zin­sen ver­mehrt, um es so­fort nach der Heim­kehr si­cher­zu­stel­len! Nun hat’s der Wohl­wend zum zwei­ten Mal! Ein Kerl, der so falsch singt und noch schlech­ter de­kla­miert!«

Der gute Mann wisch­te sich ein paar bit­te­re Trä­nen von den Au­gen. Wig­hart, von Teil­nah­me und Ent­rüs­tung un­ge­wöhn­lich be­wegt, stand bei ihm und re­de­te ihm zu, kei­ne Zeit zu ver­lie­ren.

»Vor al­lem«, sag­te er, »musst du ste­hen­den Fu­ßes in die Stadt hin­un­ter, Wohl­wends Kon­tor auf­su­chen und dich über­zeu­gen, wie’s dort steht. Es ist in der Win­kel­rieds­gas­se.«

»Wo ist denn die? So eine gab es frü­her nicht.«

»Es ist eine vor­neh­me, stil­le Sei­ten­stra­ße im Wes­tend; kei­ne Ver­kaufs­lä­den, nur blan­ke Me­tall­plat­ten an den Hau­stü­ren und da­ne­ben, da wirst du Scha­den­mül­ler & Comp. gleich fin­den. Ich wür­de mit dir ge­hen; al­lein es wird viel­leicht bes­ser sein, wenn ich un­ter­des­sen dei­ne Frau von dei­ner An­kunft be­nach­rich­ti­ge und auf ir­gend­ei­ne zweck­mä­ßi­ge Wei­se vor­be­rei­te.«

Sa­lan­der er­griff ihn beim Arm. »Nein!« rief er, »gehe nicht hin! Ich muss es selbst über mich neh­men. Seit ich in Eu­ro­pa bin, habe ich der Frau nicht ge­schrie­ben, weil ich sie im­mer über­ra­schen woll­te und nicht dach­te, so lan­ge in Eng­land hin­ge­hal­ten zu wer­den, wo ich noch ei­ni­ges zu ord­nen und Zu­künf­ti­ges ein­zu­lei­ten hat­te. Nun kann ich es nicht über mich brin­gen, die arme Frau ei­ner frem­den Mit­tei­lung aus­zu­set­zen. Es wird bes­ser sein, wenn sie mich zu­erst nur ein­mal wie­der­ge­se­hen hat.«

»Wie du willst! Dann komm ich aber mit dir und füh­re dich zum No­tar, wenn es nö­tig ist, wie ich glau­be; denn das nächs­te wird sein, für den Pro­test zu sor­gen. Am Ende hast du den Re­greß auf dei­ne Ozea­ni­sche Ufer­bank, oder wie sie heißt. Die No­ta­ri­ats­kanz­lei be­fin­det sich näm­lich auch nicht mehr, wo sie vor sie­ben Jah­ren ge­we­sen. Es nimmt mich nur wun­der, wo­her sie in Rio so be­deu­tend mit Wohl­wend in Ver­kehr ste­hen!«

Hier­auf rief Wig­hart die Wirts­magd, be­zahl­te die klei­ne Ze­che, und die Män­ner eil­ten ab­wärts nach dem schö­nen Stadt­teil mit der Win­kel­rieds­gas­se.

3

Wäh­rend der Zeit hat­te der Kna­be im so­ge­nann­ten Zei­sig noch eine Wei­le auf die Mut­ter ge­war­tet und war dann wie­der­holt ihr eine Stre­cke ent­ge­gen­ge­gan­gen, aber im­mer wie­der auf sei­nen Stand­punkt zu­rück­ge­kehrt, aus Furcht, sie zu ver­feh­len; denn der kür­zes­te Weg von der Kreuz­hal­de nach der Stadt führ­te ei­gent­lich nicht hier durch, wes­halb die klei­ne Fa­mi­lie von den Leu­ten im Zei­sig auch nicht ge­kannt war.

Frau Sa­lan­der hat­te zum ers­ten Male die­sen Weg ge­nom­men, weil am an­de­ren Wege der Bä­cker wohn­te, wel­chem sie zum ers­ten Male die auf­ge­lau­fe­ne Mo­nats­rech­nung nicht be­rich­ti­gen konn­te und das eine der Töch­ter­chen, wel­ches sie nach Brot ge­schickt, un­ver­rich­te­ter Din­ge heim­kam. Das hat­te sie, nach­dem sie in stünd­li­cher Er­war­tung des Gat­ten sich schon lan­ge kärg­lich be­hol­fen und ge­spart, wie ein Schimpf ge­trof­fen, und die har­te Not war plötz­lich gleich ei­nem ein­sil­bi­gen Ge­richts­bo­ten ein­ge­kehrt.

So un­ver­se­hens war der schwei­gen­de Gast da, dass sie den Kin­dern am heu­ti­gen Tage nichts als et­was lee­re Milch zu ver­tei­len im­stan­de ge­we­sen, am frü­hen Mor­gen; sie selbst hat­te noch nichts ge­nos­sen. Und heu­te ge­wär­tig­te sie dazu die bei­nah ein­zi­ge Fa­mi­lie, wel­che bei schö­nem Wet­ter zu­wei­len noch ge­gen Abend kam, um den Kaf­fee im Frei­en zu trin­ken. An­de­re Gäs­te hat­te sie seit Wo­chen nicht ge­se­hen und sie be­saß des­halb auch kein ba­res Geld mehr. An­statt die­ser Tat­sa­che lan­ge nach­zu­sin­nen, brauch­te sie ihre Ge­dan­ken, mit den Kin­dern durch den Tag zu kom­men, weil die an­de­re Tat­sa­che, die An­kunft des Man­nes, auch be­vor­ste­hen muss­te.

Sie lief da­her nicht, von ih­rem be­weg­li­chen Be­sitz­tum zu ver­kau­fen oder ver­pfän­den, son­dern ging zum be­kann­ten Klein­bä­cker in die Stadt, von wel­chem sie sonst die Sem­meln und der­glei­chen Ge­bäck be­zo­gen hat­te, und dem sie nichts schul­de­te. Ohne viel Wor­te zu ver­lie­ren, er­hielt sie den ge­wünsch­ten Vor­rat von Bröt­chen und Hörn­chen, eben­so beim Krä­mer ein Tüt­chen ge­rös­te­ten Kaf­fee und den dazu er­for­der­li­chen Zu­cker, bei ei­nem an­de­ren ein Stück gu­ten Schin­ken und ein hal­b­es Pfund fri­sche But­ter, und über­all war sie wohl­an­ge­se­hen, weil sie eine stil­le, zu­rück­ge­zo­ge­ne Frau war, die sonst nie borg­te. Nur der Bä­cker in der Nähe hat­te nicht mehr ge­traut, weil er am Wege wohn­te und sah, dass fast nie­mand mehr hin­auf­ging, und klüg­lich das Ende be­dach­te.

Trotz des wil­li­gen Ent­ge­gen­kom­mens der Leu­te in der Stadt nahm sie aber nicht ein Lot mehr von den Sa­chen, als das au­gen­blick­li­che Be­dürf­nis er­heisch­te, ob­gleich es in ei­nem hin­ge­gan­gen wäre, wenn sie sich auf ei­ni­ge Tage ver­se­hen hät­te. In die­sem un­schein­ba­ren Zuge moch­ten drei Din­ge sich ver­ei­ni­gen: ihre red­li­che Be­schei­den­heit, die Ge­wohn­heit des Ver­trau­ens auf die nächs­te Son­ne und wahr­schein­lich nicht am we­nigs­ten ein fei­ner, wenn auch un­be­wus­s­ter Sinn, den nächs­ten Zweck zu scho­nen.

So kam denn Frau Ma­rie Sa­lan­der, ein­fach und sau­ber ge­klei­det, ohne Blu­men auf dem Hut und eher schmal als breit, den Korb am Arme, end­lich den Weg über den Zei­sig her­an­ge­gan­gen.

»Gelt, du hast lan­ge war­ten müs­sen, Ar­nold!« rief sie dem Kna­ben ent­ge­gen, der sehn­lich aus dem Scheu­nen­win­kel her­vor­sprang, wo er schließ­lich sich auf ein Mäu­er­chen ge­setzt hat­te. »Ich habe die Ess­wa­ren er­hal­ten, wenn ich sie auch nicht be­zah­len konn­te. Nun wol­len wir schnell heim­ge­hen, da­mit wir be­reit sind, wenn wirk­lich Leu­te kom­men! Gott sei Dank muss ich heu­te noch nicht sa­gen, es sei nichts mehr im Hau­se!«

»Aber wenn sie al­les auf­es­sen,« sag­te der Kna­be, »müs­sen wir dann wei­ter hun­gern?«

»Ei, sie es­sen ja nie al­les, sie neh­men höchs­tens die Hälf­te zu sich, und mit dem üb­ri­gen müs­sen wir uns bis mor­gen be­gnü­gen, wo ich ja dann et­was Geld habe! Kom­men sie aber nicht, so trin­ken wir lus­tig den Kaf­fee und es­sen, so­viel wir mö­gen, und mor­gen ist auch ein Tag!«

Bald er­reich­ten sie die hö­her­ge­le­ge­ne Kreuz­hal­de, wo sich die Aus­sicht auf die Stadt und die wei­te Land­schaft öff­ne­te, in der sie lag oder liegt. So­gleich ka­men die bei­den Schwes­tern Ar­nolds her­bei, Set­ti und Net­ti, der Mut­ter den Korb ab­zu­neh­men; sie wa­ren zehn und neun Jah­re alt, von der­sel­ben fei­nen Bläs­se wie der Bru­der, näm­lich der Bläs­se ge­sun­der Kin­der, wel­che von ei­nem un­wil­li­gen Kum­mer be­fal­len sind, der ih­nen un­er­klär­lich ist. Doch glänz­ten die Au­gen der Mäd­chen un­ge­dul­di­ger und gie­ri­ger als die des Kna­ben, der ge­las­se­ner Art zu sein schi­en.

Frau Sa­lan­der ging den Kin­dern vor­an ins Haus, und sie folg­ten höchst neu­gie­rig. Ohne Ver­zug ent­le­dig­te sie sich des Hu­tes und leg­te eine rei­ne wei­ße Schür­ze um, wor­auf sie den Korb aus­pack­te, das Brot­ge­bäck auf ei­nem grö­ße­ren Tel­ler auf­bau­te, die But­ter auf einen klei­ne­ren leg­te, den Schin­ken schnitt und eine Schüs­sel da­mit be­klei­de­te, dass sie sich als reich­lich ge­füllt dar­stell­te. Dies al­les, ohne dass sie einen ein­zi­gen Bis­sen nach dem Mun­de zu füh­ren sich ver­gaß, um den ar­men Kin­dern, wel­che die El­len­bo­gen rings auf den Tisch ge­stützt zu­schau­ten, nicht ein bö­ses Bei­spiel zu ge­ben.

»Frisch, Kin­der!« sag­te sie mit ei­nem leid­lich mun­tern Lä­cheln, »nehmt euch zu­sam­men, habt Ge­duld! Al­les nimmt ein gu­tes Ende, wenn der Va­ter kommt! Jetzt müs­sen wir noch ein Weil­chen zu­se­hen, wie an­de­re es­sen; wir wol­len doch für den Spaß pro­bie­ren, ob wir trotz­dem et­was tun kön­nen! Habt ihr die Fe­ri­en­auf­ga­ben wirk­lich fer­tig, nichts mehr zu rech­nen, zu schrei­ben oder aus­wen­dig zu ler­nen? Nehmt ein­mal eure Bü­cher vor! Ich glau­be fast, die Sprü­che und Lie­der­ver­se blei­ben euch ge­ra­de we­gen die­ses merk­wür­di­gen Hun­ger­ta­ges bes­ser im Ge­dächt­nis als sonst.«

Die Mäd­chen wol­len vom Ler­nen nichts hö­ren; Set­ti nann­te das Hohl­ge­fühl ih­res Lei­bes alt­klug einen Ma­gen­krampf; Net­ti fürch­te­te Kopf­weh zu be­kom­men, und bei­de woll­ten lie­ber hä­keln, wenn sie durf­ten, da je­des für den Va­ter einen Geld­beu­tel an­ge­fan­gen hat­te. Nur Ar­nold fass­te ein tap­fe­res Ver­trau­en zu der Schwin­de­lei der gu­ten Mut­ter und er­klär­te, die Ge­le­gen­heit zu be­nut­zen und sein schwe­res Lied für die nächs­te Kir­chen­lehr­stun­de in An­griff zu neh­men; es ent­hal­te vier Ver­se von je zehn Zei­len, von de­nen jede sich so lang stre­cke, dass sie kei­nen Platz habe und das Ende um­ge­bo­gen sei, wie die Sch­lin­ge für die Kram­mets­vö­gel. Die Mut­ter bil­lig­te al­les und eil­te in die Kü­che, den Milch­vor­rat be­reit­zu­stel­len, den sie am Mor­gen streng ab­ge­teilt und für alle Fäl­le weg­ge­schlos­sen hat­te. Dann hol­te sie aus dem Schran­ke den Ho­nig­topf her­vor, der in­fol­ge der schlech­ten Be­gan­gen­schaft lei­der nur zu viel der Sü­ßig­keit ent­hielt. Sie füll­te dar­aus eine hüb­sche Kris­tall­scha­le, und zu­gleich fiel ihr bei, dass ein Löf­fel des di­cken kräf­ti­gen Saf­tes den Kin­dern ihr jun­ges Lei­den für eine kur­ze Zeit wohl­tä­tig ver­hül­len dürf­te. Ge­dacht, ge­tan, ging sie mit dem Top­fe von ei­nem Kin­de zum an­de­ren, hieß es den Mund auf­ma­chen und strich den Ho­nig hin­ein.

Er­mü­det ließ sie sich end­lich auf einen Stuhl nie­der und über­blick­te mit ei­nem Seuf­zer die son­der­ba­re An­stalt, mit der sie das dun­kel­wal­ten­de Schick­sal be­strei­ten oder we­nigs­tens auf­hal­ten woll­te. Nicht nur in Fein­des­hee­ren, Erd­be­ben und Ge­wit­ter­stür­men und all­ge­mei­nen Not­aus­brü­chen fährt ja das­sel­be ein­her; auch in den un­schein­bars­ten Vor­gän­gen im stil­len Le­ben ei­nes Haus­halts tritt es jäh­lings zer­stö­rend, eh­ren­rüh­rig her­vor. Wenn die heu­ti­ge Vor­sor­ge schei­tert oder am Ende doch eine Be­schä­mung her­bei­führt, kann sie als­dann die Vor­spie­ge­lun­gen wie­der­ho­len, dass sie eine wohl­ver­se­he­ne Wir­tin sei? Schon vor so vie­len Wo­chen muss das Schiff, das ih­ren Mann und sein Gut trägt, ab­ge­fah­ren sein; wenn es nun un­ter­ge­gan­gen ist? Mit die­sem blo­ßen Ge­dan­ken ver­gaß sie sich selbst und ihr Ge­schick, ein­zig und al­lein das dunkle Bild des lan­gent­behr­ten Gat­ten su­chend. So in sich selbst ver­sun­ken wie aus dem Grund ei­nes Mee­res, schrak sie auf, als drau­ßen Stim­men hör­bar wur­den und die Gar­ten­glo­cke er­scholl, auch die Kin­der schon an die Fens­ter lie­fen und ver­kün­de­ten, dass die Pro­fes­sors­fa­mi­lie da sei.

Auf dem Hof- oder ehe­ma­li­gen Gar­ten­land der Wirt­schaft war von ei­nem nun ver­schwun­de­nen Hain großer Bäu­me eine ein­zi­ge Pla­ta­ne ste­hen­ge­blie­ben, wel­che mit ih­ren aus­ge­brei­te­ten Äs­ten einen letz­ten Tisch über­schat­te­te. Eine Fa­mi­lie, be­ste­hend aus ei­nem weiß­haa­ri­gen Herrn und sei­ner Ma­tro­ne nebst zwei ält­li­chen Töch­tern, hat­te be­reits am Ti­sche Platz ge­nom­men. Die Kin­der am Fens­ter aber rie­fen: »O weh, es ist noch ei­ner da­bei, ein lan­ger Frem­der, der ge­wiss den Schin­ken auf­ißt!«

Und wirk­lich war so ein lan­ger Über­zäh­li­ger noch her­an­ge­stie­gen, bis Frau Sa­lan­der un­ten an­lang­te und die Herr­schaft be­grüß­te.

»Wie geht es Ih­nen, Frau Sa­lan­der?« emp­fing sie der alte Herr, »Sie se­hen, wir blei­ben Ih­nen treu, so­lang noch ein Baum da­steht! Brin­gen Sie uns den üb­li­chen Kaf­fee samt But­ter wie El­fen­bein und dem flüs­si­gen Bern­stein! Dies für die Da­men!«

»Papa meint mit dem Bern­stein den schö­nen Ho­nig, den Sie uns das letz­te Mal vor­setz­ten!« be­lehr­te die Frau Pro­fes­sor die Wir­tin, wel­che die­se Er­klä­rung eben­so oft ge­hört hat­te als das Gleich­nis, al­lein der­ma­len aus Zer­streut­heit zu lä­cheln ver­gaß.

»So­dann, was uns Män­ner be­trifft,« fuhr der Herr Pro­fes­sor fort, »so trin­ken wir al­len­falls zu­sam­men eine Fla­sche je­nes süß ab­ge­kel­ter­ten ro­ten Fün­fund­sech­zi­gers, der durch dies Ver­fah­ren zwar kein Goe­the, wohl aber ein Schil­ler ge­wor­den ist und an­ge­nehm pri­ckelt, so­bald er das Theat­rum der mensch­li­chen Zun­ge be­tre­ten hat, um sei­ne Spie­le auf­zu­füh­ren. Dazu neh­men wir der Be­schäf­ti­gung hal­ber ei­ni­ge Schnit­ten ge­räu­cher­ter Rinds­zun­ge, wenn Sie da­von noch so zar­te be­sit­zen wie neu­lich.«

»Zun­ge ist lei­der nicht mehr da,« sag­te die Frau leicht er­rö­tend, »da­für könn­te ich mit Schin­ken auf­war­ten.«

»Auch gut, brin­gen Sie uns Schin­ken!«

Sie eil­te ins Haus, Kaf­fee und Milch zum Ko­chen auf­zu­set­zen, und über­trug die Auf­sicht den Mäd­chen, wäh­rend sie mit weißem Zeug und Ge­schirr den Tisch so sau­ber deck­te, als wäre das Haus im bes­ten Flor. Bald stan­den auch die Spei­sen ein­la­dend da­zwi­schen, nur noch der Wein fehl­te. Im Kel­ler be­wahr­te Frau Sa­lan­der noch die letz­ten zwei Fla­schen des er­wähn­ten Wei­nes, sonst war über­haupt kein Ge­trän­ke mehr vor­han­den als ein hal­b­es Dut­zend Fla­schen ab­ge­zo­ge­nen Bie­res, von wel­chem sie nicht wuss­te, ob es noch trink­bar sei. Den Wein hin­ge­gen hat­te sie für den Mann bei­sei­te ge­legt, auf den sie harr­te. Mit ei­nem Seuf­zer nahm sie eine der Fla­schen und trug sie auf, er­sor­gend, dass nicht nur die zwei­te, son­dern auch eine drit­te ver­langt wer­den könn­te und so eine neue Ge­fahr er­wuchs der Of­fen­bar­wer­dung ih­res Un­ver­mö­gens. Dann trug sie den damp­fen­den Kaf­fee hin­aus und ver­säum­te nicht, eine Fla­sche küh­len Was­sers vom Brun­nen zu ho­len.

Schon aber führ­te die Sor­ge sie ins Haus zu­rück, um die Kin­der, wel­che aus der Türe ka­men, dort fest­zu­hal­ten und in die Stu­be zu ban­nen; denn sie be­fürch­te­te, die Ärms­ten wür­den sich mit gie­ri­gen Bli­cken um die Gäs­te her­um­stel­len und den ge­sprä­chi­gen Her­ren, so­wie der kri­ti­schen Neu­gier der Frau­en ih­ren Hun­ger ver­ra­ten. Doch konn­te sie nicht hin­dern, dass die Kin­der Kopf an Kopf durch das Fens­ter schau­ten und kei­nen Blick von dem Ti­sche der sich rüs­tig er­fri­schen­den Leu­te ver­wand­ten. Sie sa­hen, wie die Frau­en ihre But­ter­bröt­chen schnit­ten und be­stri­chen, zu Mun­de führ­ten und im eif­ri­gen Ge­sprä­che das glei­che Ge­schäft im­mer von neu­em vor­nah­men. Mit mehr Wohl­ge­fal­len be­merk­ten sie, dass der alte Herr sei­nen Tel­ler bald zu­rück­schob, um sei­ne Zi­gar­ren­ta­sche aus­zu­kra­men; aber mit Schre­cken sa­hen sie, wie der lan­ge Un­be­kann­te mit dem brei­ten Mau­le und dem Bocks­bar­te in den Spei­sen her­um­wü­te­te und eine förm­li­che Fa­brik von Schin­ken­bröt­chen be­trieb, die er auf sei­nem Tel­ler im Krei­se ne­ben­ein­an­der leg­te und dann ei­nes nach dem an­de­ren ganz in den Mund steck­te. Kin­der schau­der­ten, und auch der Mut­ter wur­de es nicht woh­ler, als durch die Schuld des Un­heim­li­chen die Wein­fla­sche früh leer stand und der Pro­fes­sor nach der zwei­ten rief.

Ein neu­es Un­heil tat sich in ei­ner Kin­der­schar auf, die lär­mend, mit ab­ge­ris­se­nen Zwei­gen und Ru­ten, über den of­fe­nen Ho­fraum ge­zo­gen kam und als­bald vor dem Ti­sche der klei­nen Ge­sell­schaft gaf­fend an­hielt. An der Spit­ze der Trup­pe stan­den die Zwil­lin­ge Isi­dor und Ju­li­an, die Hän­de auf dem Rücken und ihre be­schürz­ten run­den Bäuch­lein vor­stre­ckend; sie be­schau­ten sehr auf­merk­sam den Tisch, und die Bli­cke sa­ßen auch auf den Schin­ken­bröt­chen und fuh­ren mit ih­nen in den Ra­chen des Breit­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­