Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte
Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.
Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2019.
ISBN 978-3-7437-3274-2
Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:
ISBN 978-3-8430-4911-5 (Broschiert)
ISBN 978-3-8430-4912-2 (Gebunden)
Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.
Der Text dieser Ausgabe folgt:
Gustav Falke: Ausgewählte Gedichte, Hamburg: Alfred Janssen, 1908.
Dieses Buch folgt in Rechtschreibung und Zeichensetzung obiger Textgrundlage.
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Nun um mich her die Schatten steigen,
Stellst du dich ein, willkommnes Schweigen,
Du, aller tiefsten Sehnsucht wert.
Sehr hab ich unter Lärm und Last
Des Tags nach dir, du scheuer Gast,
Wie einem lieben Freund begehrt.
Das wirre Leben ist verklungen,
In Höhen ging und Niederungen
Längst jeder laute Schall zur Ruh.
Urstimmen, die der Tag verschlang,
Erklingen, mystischer Gesang –
Ja, süßes Schweigen, rede du.
Was über deinen stillen Mund
Aus einem rätseltiefen Grund
Mit leisem Murmeln quillt herauf,
Ich halte zitternd meine Schalen
Und fang die feinen Silberstrahlen
Verborgner Quellen selig auf.
Der Wind, im dunklen Laube wühlend, bringt
Zu mir den Ruf der wachen Nachtigallen:
Dazwischen: welch ein Ton? Ein Fremdes singt.
Woher die Stimmen, die bald sacht,
Bald schwer aufklingen aus der Nacht
Und jetzt wie in sich selbst verhallen?
Der weiße Apfelzweig,
Der sich vor meinem offnen Fenster wiegt,[5]
Ans Glas die feuchten Blüten schmiegt,
Glänzt märchenhaft im Vollmondlicht,
Und heilig schimmern Büsche, Beet und Steig,
Mein Blick ist fassungslos geweitet:
O welches hohe Fest ist hier bereitet
Den feinen Seelen, die in Träumen leben
Und unter jedem leisen Ton erbeben,
Der von der Harfe der Gottheit klingt und kündet,
Daß sie noch immer
Zum alten Spiel die fleißigen Finger ründet
Und noch zu Ende nicht ihr Lied gebracht.
Sie endets nimmer,
Horch, welch ein Klang der Liebe durch die Nacht![6]
Nachts in der träumenden Stille
Kommen Gedanken gegangen,
Nachts in der träumenden Stille
Atmet, zittert ein Bangen,
Nachts in der träumenden Stille,
Ratlose quälende Fragen.
Weit über alles Sagen
Kommen Gedanken gegangen,
Atmet, zittert ein Bangen
Nachts in der träumenden Stille.
Wenn der Gott die Seinen ruft,
Priester und Propheten,
Schallts wie zwischen Felsenkluft
Dröhnende Drommeten,
Wirbelts wie Novembersturm
Über Wälder nieder,
Fährt wie Blitz in Dach und Turm,
Schüttelt Herz und Glieder.[6]
Wenn der Gott die Seinen ruft,
Klingts wie helle Flöten,
Zieht es wie durch weiche Luft
Sanfte Abendröten,
Taut es mild wie Sphärensang
Von den Sternen nieder,
Rührt zu rhythmisch höhern Gang
Herzen auf und Glieder.
Und so fährt es, Schlacht und Zorn,
Heut in uns wie Wetter,
Daß wir, wie ein Eichenknorrn
Ächzen im Geschmetter,
Fährt zum andern sanft und glatt
In uns wie ein Säuseln,
Daß wir wie ein Rosenblatt
Unterm Wind uns kräuseln.
Drum wenn ihr auf Gassen seht
Wie berauscht uns wanken,
Wenn ein Gottbesessner geht,
Ists ein trunknes Schwanken.
Wenn der Geist in Wirbeln kreist,
Werdewehn der Dichtung,
Gehen unsere Füße meist
Planlos aus der Richtung.[7]
Herr, laß mich hungern dann und wann,
Satt sein macht stumpf und träge,
Und schick mir Feinde, Mann um Mann,
Kampf hält die Kräfte rege.
Gib leichten Fuß zu Spiel und Tanz,
Flugkraft in goldne Ferne,
Und häng den Kranz, den vollen Kranz,
Mir höher in die Sterne.
Noch halt mit beiden Händen ich
Des Lebens schöne Schale fest,
Noch trink und kann nicht enden ich
Und denk nicht an den letzten Rest.
»Doch einmal wird die Schale leer,
Die letzte Neige schlürftest du.«
So trank ich doch, was will ich mehr,
Dem Tod ein volles Leben zu.
Der Morgen steigt und glüht und steigt,
Und frohe Herzen beben;
Ein Tag, und überschauert schweigt
Das trunken reiche Leben.
Und zwischen Auf- und Niedergang
Blutwellenheißes Schlagen,
Ein Hoffen tausend Leben lang,
Ein Schmerz und ein Entsagen.
Und ists nur einen Sonnenblitz,
Daß uns ein Glück bereitet,
Nur einen kurzen Sattelsitz,
Daß Freude uns begleitet:
Freiweg durchs Leben! Sprung und Sporn!
Und Schwert und Schlacht und Scherben,
Und Glück und Tück und Kranz und Dorn,
Und rauscht der Tod durchs reife Korn,
Ein Lächeln noch im Sterben.
Sitz ich sinnend, Haupt in Hand gestützt:
Schöner Tag, hab ich dich recht genützt?
Einen Kuß auf meines Weibes Mund,
Liebesgruß in früher Morgenstund.
Sorg ums Brot in treuer Tätigkeit,
Offnes Wort in scharfem Männerstreit.
Einen guten Becher froh geleert,
Kräftig einem argen Wunsch gewehrt.
Leuchtend kommt aus ewigem Sternenraum
Noch zuletzt ein seliger Dichtertraum.
Sinnend sitz ich, Haupt in Hand gestützt:
Schöner Tag, ich hab dich ausgenützt.
Am Abend zwischen Traum und Wachen,
Ich dachte nicht grad an heilige Sachen,
Vor mir der Nazarener stand.
Die schönen Gottesaugen lagen
Auf mir wie zwei freundliche Fragen.
Hielt eine Blume in der Hand,
Hochstengelig ein goldener Stern
Lehnt an der Schulter unserm Herrn,
Wie frommer Maler Engelsgestalten
Ihre Friedenspalmen halten:
Eine Sonnenblume, voll erschlossen,
Von einem lieblichen Licht umflossen,
Hob sich von seinem blauen Kleid
Als ein glänzendes Geschmeid.
So schwebte wie ein Nebel zart
Vor mir die göttliche Gegenwart,
Darauf ich holden Schreckens geblickt,
Bis ich darüber eingenickt.[9]
Am Morgen, nach gesundem Schlaf,
Stand mir der Sinn ins Feld hinaus,
Wo ich auf eine Hütte traf,
Ein leicht gezimmert hölzern Haus.
Drum ragten als ein Schirm und Zaun,
Als ein golden Gegitter anzuschaun,
Hochsäulig aufgereiht beisammen,
Sonnenblumen, zehn helle Flammen.
Das war ein dichterlicher Platz,
Wie nur am Wege hold versteckt
Ein Sonntagskind ihn einmal entdeckt.
Ein Wässerlein lief mit süßem Geschwatz
Durch eine schattige Wiese hin,
Sonst war die Stille hier Königin;
Ihr König, der Frieden, saß auf der Bank
Und putzte seine Krone blank.
So oft ich dem Häuschen vorübergeh,
Ein blau Gewand ich vor mir seh.
Geht nicht, steht nicht, schwebt vielmehr
In einiger Höhe vor mir her.
Schöne Gottesaugen schlagen
Sich nach mir auf mit freundlichem Fragen,
Und von der Schulter unserm Herrn
Nickt schwankend der goldne Blätterstern,
Die Sonnenblume, voll erblüht,
Von einem himmlischen Leuchten umglüht.
War nie diesen Blumen recht gut gewesen.
Schalt sie bäuerisch und gemein,
Kamen mir vor wie Küchenbesen,
Die gerne wollten Prinzessinnen sein.
Aber so läßt, was wir verachtet,
Ehs drüber getagt nur oder genachtet,
Oft plötzlich die schlichte Hülle sinken
Und uns seine heimliche Schönheit trinken.
Besonders Poeten kommen oft
Zu solchen Gnaden unverhofft.[10]
Ich träumte mich auf einem bangen Weg,
Auf einem hohen, schwindelschmalen Steg,
Der führte mich bis an das Himmelstor.
Da stand ich lange, ohne Mut, davor.
Und zitternd griff ich nach dem rostigen Ring,
Das Himmelsglöcklein an zu läuten fing,
Mein Herz erschrak vor seinem hellen Klang,
Ein armer Sünder auf dem letzten Gang.
Dann rasselte ein großes Schlüsselbund,
Ein Knarren, bis der Himmel offen stund,
Doch hascht ich nur von seiner Herrlichkeit
Mit scheuem Blinzeln einen Streifen breit,
Ein Wiesengrün und einen Engelsfuß.
Sankt Peter barg mir jeden weitern Gruß
Mit breitem Rücken und erschreckte mich
Mit barscher Frage: »Freund, wer schickte dich?«
Mich schickte keiner. »Und was suchst du hier?«
Nach Erdennot ein ruhiges Quartier,
Ein Flügelpaar und himmlisches Gewand,
Ein Tröpfchen Tau aus Gottes hohler Hand.
»Hast du zu solchen Dingen auch ein Recht,
Warst du auf Erden ein getreuer Knecht?«
Ich war Poet. »Und kommst zu Fuß hier an?
Wo hast du deine Flügel hingetan?«
Ich schämte mich, weil sie so sehr beschmutzt,
Und ihre schönsten Federn arg gestutzt,
Weil durch das Fliegen nach dem Flitterkranz
Des Menschenruhmes dunkel ward ihr Glanz.
»Und deinen Kranz?« Ich hab ihn abgelegt,
Daß man mit andern ihn zum Kehricht fegt,
Und komm nun nackt und ohne Glorienschein.
Da sprach der Pförtner gütig: »Komm, tritt ein.«
(Meinem Bruder)
Du wolltest, jung und hohen Sinns,
Paläste baun und Tempel,
Und sehntest dich, ein Haus zu sehn
Mit deines Geistes Stempel.
Was dir der Gott an Schönheit gab,
Das liegt nun all im dunklen Grab.
Der Tod, der Neidgeselle,
Nahm dir zu früh die Kelle,
Das Richtmaß und den Zirkel ab.
Ich aber lebe noch im Licht
Und bau auf meine Weise,
Und bau an einem Tempel fromm,
Darin ich bet und preise.
Aus Liedern soll ein Haus erstehn,
Draus meine Augen fröhlich sehn,
Darin vor allen Wänden
In stillen Opferbränden
Der Schönheit ewige Flammen wehn.
Und eine Tafel bring ich an,