Märchen – die Welt hinter der Welt!

Für meine ganze wunderbare Familie und selbstverständlich auch für die Freundin Anna in Rom

Ein kleines Vorwort

Italienische Märchen? Warum schreibt ein deutscher Schriftsteller italienische Märchen? Ach, das ist ja so leicht erklärt: Aus Dankbarkeit! Ich habe Italien und seinen liebenswürdigen Menschen so viel zu verdanken, ich habe so viel Schönheit gesehen, so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft erlebt, dass mir das Land zur zweiten Heimat geworden ist. Seine traumhaften Landschaften, seine herrlichen Städte, seine unvergleichlichen Kunstwerke und seine beglückende Musik haben mein Leben unendlich bereichert. Nimm diese Märchen, lieber Leser, darum als eine Huldigung auf an ein Land, das schon seit Jahrhunderten das Sehnsuchtsland der Deutschen ist!

Es handelt sich bei diesen italienischen Märchen zwar offensichtlich um Kunstmärchen, aber es sind Märchen im Volkston, sie sind enger verwandt mit den uralten italienischen Volksmärchen als mit den mehr oder weniger kunstvollen Erzählungen des Boccaccio, des Straparola, des Basile oder auch des Calvino. Sie sind voller Sympathie für die kleinen Leute, die notleidenden Bauern, die liebenswürdigen Gauner, die armen Menschen mit irgendwelchen Behinderungen. Und sie sind stärker in bestimmten italienischen Landschaften verwurzelt als viele der eher anonymen Volksmärchen.

Es sind also Kunstmärchen, eigentlich geschrieben für erwachsene Leser, aber selbstverständlich sollen sie auch von Kindern gelesen werden. Märchen als Lektüre? Heutzutage? Unterschätzt die Märchen nicht! Sie zeigen uns eine Welt hinter der Welt.

Noch eine Bemerkung zu den italienischen Sprichwörtern: Sie sind überwiegend sinngemäß, nicht wörtlich übersetzt.

1.
Der Alte aus dem Wald

In Kalabrien, in einem Dorf so dicht an der Küste, dass man bei klarem Wetter über die Meerenge von Messina hinweg in den Häusern auf der anderen Seite, also auf Sizilien, die Fenster zählen konnte, lebte in seiner Burg der Barone Umberto. Die Burg war düster, und der Barone war es auch; die Burg war abweisend, und der Barone war es auch; es war eine freudlose, traurige Burg, und der Barone passte genau zu ihr.

Umberto war ein langer, hagerer Mann mit einem kalten, bleichen Gesicht. Er hatte stechende schwarze Augen, und seine Nase war lang, schmal und leicht gebogen. Die Leute im Dorf nannten ihn deshalb den Astore nero, den schwarzen Habicht, aber nur wenn er sehr weit entfernt war und sie nicht hören konnte. Seine Augenbrauen waren buschig und tiefschwarz, und auch sein spitz zulaufender Bart war noch mehr schwarz als grau, obwohl der Barone ein Mann weit über fünfzig war. Er liebte schwarze Kleidung, nein, andere Kleidung besaß er gar nicht, seine Reitpferde waren pechschwarze Rappen, und wenn er zu Kämpfen auszog, dann trug er einen schwarzen Harnisch, einen schwarzen Helm, und in den Händen, die immer von Handschuhen aus feinem schwarzen Leder geschützt waren, hielt er einen schwarzen Schild. Der Astore nero, der schwarze Habicht, war also von oben bis unten ein schwarzer Ritter.

Er zog zu Kämpfen aus, habe ich gesagt? Nun – Umberto kämpfte nicht mit anderen Rittern, er kämpfte auch nicht für den König oder den Papst oder für sein Heimatland Kalabrien oder für irgendeine gute Sache. Nein, er war ein unbarmherziger Raubritter, und wenn er seine Burg verließ, dann nur, um Kaufleute, um Reisende zu überfallen und auszuplündern. Wer sich das demütig gefallen ließ, kam meistens mit dem Leben davon, wer sich aber wehrte, der wurde unbarmherzig geschlagen, mancher wurde sogar umgebracht. Auf einen Mord kam es ihm nicht an. Es gab ja niemanden, der ihn zur Verantwortung ziehen konnte. Umberto kannte keine Gnade, und auch seine Gesellen kannten keine Gnade. Ja, die waren sogar noch schlimmer! Er hatte nämlich etwa ein Dutzend der übelsten Raufbolde um sich versammelt. Geübte Schwertkämpfer waren das, denen die Kaufleute, meistens friedliche und oft ältere Menschen, niemals gewachsen waren. Selbst wenn eine Kaufmannskarawane von bewaffneten Söldnern begleitet wurde, brauchten Umbertos wüste Gesellen beinahe nie eine ernsthafte Gegenwehr zu befürchten. Die Söldner dachten nicht daran, sich wegen ihrer Schutzbefohlenen in Gefahr zu bringen. Sie liefen gleich davon, wenn es brenzlig wurde. Überfiel die Bande aber einen Kaufmann, dessen Kleidung und dessen Waren einen gewissen Reichtum verrieten, dann wurde er gefangen genommen und in den Turm der Burg gesperrt. Einer der mitgefangenen Knechte wurde losgeschickt, ein hohes Lösegeld zu holen, und wenn das nicht rechtzeitig gebracht wurde, musste der Kaufmann in seinem Gefängnis elend verhungern. Eine üble Bande war das!

Man sagt wohl zu Recht und nach vielen traurigen Erfahrungen: L’occasione fa l’uomo ladro. (Gelegenheit macht Diebe.) Aber damit meint man doch in der Regel die kleinen Gauner, die kleinen Lumpen. Und da hat man möglicherweise sogar ein bisschen Verständnis, wenn da ein Mensch in Not ist, wenn er Hunger hat, wenn ein krankes Kind im Haus liegt und jammert. Aber ein Fürst, der die Gelegenheit zu jedem Verbrechen hat, der jede solcher Gelegenheiten schamlos nutzt, und den niemand hindern, niemand zur Rechenschaft ziehen kann, der ist furchtbar, der wird zum Teufel.

So einer war der Raubritter Umberto. An Opfern fehlte es ihm nicht. Er saß auf seiner Burg wie die Spinne im Netz, und er brauchte nur zu warten, bis die nächste Handelskarawane vorbeizog. Und die Händler mussten in der Nähe der Burg vorbeiziehen. Es gab damals ja nicht viele Straßen und Wege zur Auswahl. Wer hinüber nach Sizilien oder weiter in den Süden nach Reggio di Calabria wollte, der konnte keinen anderen Weg als den in der Nähe der Burg benutzen, und durch das dicht bewaldete Gebirge des Aspromonte hinüber zu den kleinen Häfen am Ionischen Meer führte nur ein einziger schmaler, stark gewundener, steiniger Pfad, der im Dorf des Barone abzweigte. Nein, die Händler konnten das Räubernest des Barone nur über große und beschwerliche Umwege meiden. Und wirklich sicher waren sie auch dann nicht, denn mit kleineren Räuberbanden musste man in den Gebirgen überall rechnen! Das waren schlimme Zeiten für Reisende! Und am schlimmsten waren solche Raubritter wie der Barone Umberto! Sie waren ohne Scham und ohne Gnade.

Es haust auf seinem hohen Schloss

der böse, der schwarze Baron.

Seht ihr im Tal den reichen Tross?

Oh weh, der Ritter erspäht ihn schon!

Gleich bricht mit Wut aus düstrem Tor

die Räuberschar beritten hervor.

„Drauf! Haut und stecht und raubt sie aus!

Von ihnen kommt keiner lebend nach Haus!“

Doch seht ihr überm dichten Wald

die schwarze Wolke stehn?

Der böse Ritter wird schon bald

dem schlimmen Ende entgegengehn!

Umberto war aber nicht bloß ein gefährlicher und gefürchteter Räuber, dem keiner der durchziehenden Handelsleute entkam. Nein, er war auch ein unbarmherziger Fronherr. In mehreren Dörfern rings um die Burg waren die Bauern ihm hörig, und er behandelte sie wie Sklaven. Die Hälfte ihrer Erträge mussten sie auf der Burg abliefern. Das war viel, das war viel zu viel, und für ihre Familien blieb ihnen viel zu wenig. Denn es gab nur selten richtig gute Ernten. Das Land war steinig, der Boden unfruchtbar, und die Sommer waren meistens sehr heiß und viel zu trocken. Immer herrschte Not in den Häusern, in den Dörfern. Vor allem im Winter wussten viele Eltern nicht, wie sie ihren Kindern genug zu essen geben sollten. Aber bei der Hälfte der Erträge als Abgabe an den schwarzen Ritter blieb es oft gar nicht! Ganz nach Gutdünken verlangte Umberto mehr, er verlangte mehr Wein, mehr Getreide, mehr Schafe, einen zusätzlichen Ochsen oder auch zwei. Und wer sich beschwerte, der wurde geprügelt, manchmal so grausam, dass er wochenlang nicht arbeiten konnte. Im weiten Umkreis hatten alle Menschen große Angst vor dem Barone, und alle hassten ihn, und alle wünschten ihn zum Teufel.

Umberto machte also in den Dörfern weit herum seit zwei oder drei Jahrzehnten, was er wollte, und er nahm sich, was er wollte, und seine Kumpane lachten, brüllten und klatschten dazu. Wer sich zur Wehr setzte, vielleicht nur ganz schüchtern und mit höflichen Worten, der wurde ausgelacht, geprügelt, mitsamt seiner Familie von Haus und Hof gejagt oder gar umgebracht. Ja, es gab im Lande viele Familien, in denen ein Vater, ein Onkel, ein Sohn ohne Grund, ohne eine Schuld totgeschlagen worden war.

Die Menschen sagten: Das Vieh hat es besser als wir. Ochs und Esel und Ziege und Schaf bekommen ihr Fressen und ausreichend Wasser. Selten wird eins von ihnen unnötig gequält, uns aber hält dieser wütige Menschenschinder Tag für Tag in Hunger und in Angst. Und es gibt keine Hilfe. Der Bürgermeister ist ein Knecht Umbertos, der Priester wird verlacht, und der König ist weit, er ist viel zu weit weg, um uns helfen zu können

„Wisst ihr noch“, sagte ein Mann aus dem Dorf, als einige Bauern in der Schänke beisammensaßen, vor sich ein Glas mit Wein, der mit Wasser verdünnt war, denn selbstverständlich konnte sich niemand richtigen Wein leisten, „wisst ihr noch, dass sich die Menschen in früheren Zeiten an den Alten aus dem Wald gewendet haben, wenn die Not zu groß geworden war?“

„Ach“, antwortete sein Nachbar, „das sind doch alles bloß Märchen! Den Alten aus dem Wald gibt es nicht. Und gäbe es ihn, dann würde er sich nicht um uns kümmern. Uns kann keiner helfen. Und uns selbst zu helfen“, und bei diesen Worten hob er seine Faust, „sind wir viel zu schwach. Der Barone ist immer von seinen Räubern und Mördern umgeben. Niemand kann sich gegen ihn wehren.“

„Sprich nicht schlecht von dem Alten aus dem Wald!“ warnte da eine alte Frau. Sie saß in einer Ecke des kleinen Raumes, nähte an einer Hose und hörte aufmerksam auf das Gespräch der Männer. „Er sieht alles, und er kann alles. Man müsste nur wissen, wo er zu finden ist. Aber die Wälder hier im Bergland sind unendlich. Wo soll man ihn suchen?“

„Wenn er alles hört, dann können wir ihn ja rufen!“ spottete der Nachbar, der nicht an den Alten aus dem Wald glauben wollte. „Hallo, du mächtiger Waldgeist, du siehst doch, wie es uns geht! Warum hilfst du uns nicht? Bist du eingeschlafen? Hast auch du Angst vor dem grausamen Umberto?“

„Sei vorsichtig!“ rief da die alte Frau. „Er lässt sich nicht verspotten. Zwar erzählen die alten Geschichten, dass er den Leuten immer nur Gutes getan hat, aber gewiss versteht er auch zu strafen.“

Der Spötter aber lachte nur: „Glaubt nur weiter an euren Waldgeist! Er wird sich nicht sehen lassen. Ich weiß nur eine Hilfe: Das bisschen Geld, das ich noch habe, muss ich vor den Schurken des Barone verstecken, und zwei von meinen drei Schafen weiden tief im Wald auf einer ganz unbekannten Wiese. Aiutati che il ciel t‘aiuta! (Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.) Glaubt mir: Wir müssen selbst sehen, wie wir zurechtkommen! Und am sichersten ist es, wenn man sich klein und unsichtbar macht!“

Ein anderer aus der Runde fügte hinzu: „Der Sohn des Barone, der junge Anno, scheint kein übler Kerl zu sein. Wenn dieser Anno einmal der Burgherr wird, dann hat unsere Not vielleicht ein Ende.“ Und dann sprachen die Bauern von dem jungen Anno und von der Frau des Barone, die vor vielen Jahren plötzlich verschwunden war, obwohl man doch gar nichts von einer Krankheit gewusst hatte. „Wahrscheinlich hat er sie in einem seiner Wutanfälle erschlagen und dann irgendwo verscharrt“, sagte einer. Aber er sagte es ganz leise, nur im Flüsterton, und alle nickten, hüteten sich aber, auch nur ein Wort hinzuzufügen.

Nun begab es sich eines Tages, dass ein Hirtenjunge, ein schlanker, zäher Bursche von etwa fünfzehn Jahren, mit den vier Schafen seines Vaters unterwegs war, weil sich in der Nähe des Hauses kaum noch ein Hälmchen fand. Er benutzte versteckte, schmale Pfade durch Felder und Buschwerk, um den Männern Umbertos nicht zu begegnen, und er war froh, als er den Rand des großen Waldes erreicht hatte, wo er sich, wenn es darauf ankam, vor den Reitern verstecken konnte. Er wusste ja, dass die ihm ohne Weiteres ein Schaf gestohlen hätten, um es am Abend auf ihrer Burg am Spieß zu braten. Er hatte es schon mehrfach erlebt, dass sie nicht fragten und nur mit Peitschenhieben bezahlten.

Nun saß er unter einer uralten Eiche auf einem weichen Moospolster, beobachtete seine Tiere, die am Waldrand genügend Gras und Kräuter fanden, lauschte dem Gesang der Vögel, hörte, wie irgendwo ein Specht auf einen Baum einhämmerte und aß das Brot, das er sich für den Tag eingesteckt hatte. Selbstverständlich war es hartes, trockenes Brot, denn Wurst oder Käse gab es nur an Feiertagen. Dazu trank er Wasser aus einer Tonflasche, die an einem ledernen Riemen an seiner Schulter hing. Da hörte er hinter sich Zweige knacken und Blätter rauschen, und als er sich umblickte, trat ein alter Mann unter den Bäumen hervor, grüßte und bat, sich setzen zu dürfen. Er war groß und kräftig, seine derbe Kleidung war ganz und gar grau, auch Bart und Haupthaar waren grau, aber ungemein dicht und schwer, und als er sich nun ins Gras setzte, tat er das nicht vorsichtig wie ein gebrechlicher Greis, sondern rasch und geschickt wie ein Jüngling.

„Ich bin durstig“, sagte er, „und ein Schluck Wasser aus deiner Flasche würde mir guttun.“

Der Hütejunge war ein freundlicher Bursche, der gelernt hatte, dass die armen Menschen zusammenhalten müssen, und ganz selbstverständlich reichte er dem Fremden seine Flasche hin.

„Trink nur aus!“ sagte er freundlich. „Dort am Bach kann ich mir frisches Wasser holen. Es ist ja genug da.“ Und dann fragte er: „Woher kommst du? Ich habe dich hier noch nie gesehen.“

„Ich komme aus dem Wald“, war die Antwort, „und tatsächlich bin ich schon lange nicht mehr in dieser Gegend gewesen. Gibt es noch die Burg in eurem Dorf?“

Und so kamen sie ins Gespräch, und schließlich klagte der Hirtenjunge dem Fremden sein Leid. Keine der Plagen ließ er aus, die der Barone sich einfallen ließ, um die Bauern weit und breit zu quälen. Und richtig zornig wurde er, als er von den Spießgesellen Umbertos erzählte, die in der ganzen weiten Gegend wie eine Horde von Räubern hausten. „Wir leben alle in Angst“, seufzte er, „Angst vor Prügel, Angst vor Raub und Verwüstung und Brandstiftung.“

„Und niemand ist da, euch zu helfen?“ fragte der Fremde.

„Niemand!“ sagte der Junge. „Die Regierung des Königs müsste helfen, aber die ist irgendwo sehr, sehr weit entfernt von unserem Dorf. Wer soll dahin kommen, um sich zu beklagen? Da müsste man tagelang durch eine unbekannte Gegend wandern. Und wer würde uns dort glauben? Wie kennen den König nicht, und er kennt uns nicht. Ich weiß nicht einmal seinen Namen! Einige der älteren Bauern sprechen manchmal vom Alten aus dem Wald. Der, sagen sie, könne helfen. Aber niemand weiß, wo dieser Waldgeist zu finden ist. Wie soll man ihn rufen, wenn er sich nicht sehen lässt? Und manche sagen gar, er sei nur eine erfundene Märchengestalt.“

„Glaubst du an ihn?“ fragte der graue Mann.

„Oh ja, ich glaube schon, dass es ihn gibt“, antwortete der Junge. „Meine Großmutter hat mir Geschichten von ihm erzählt, und das ist eine kluge Frau. Sie weiß viel von den alten Zeiten, und sie denkt sich solche Sachen nicht nur aus. Der Alte aus dem Wald, behauptet sie, hat oft den armen Leuten geholfen. Aber das ist lange her. Ach“, sagte er traurig, „wenn ich nur wüsste, wo er zu finden ist!“

„Nun – vielleicht finde ich ihn“, lächelte der alte Mann. „Ich weiß ja jetzt Bescheid und könnte ihm alles berichten. Und ich denke auch, so geht das nicht weiter mit diesem Umberto. Danke für das Wasser! Das hat mich erfrischt. Du bist ein guter Junge. Bleib so freundlich, dann wird das Leben auch freundlich zu dir sein!“

Damit stand der Fremde auf. Der Hirte schaute nach einem der Schafe, das hinter einen großen, gelb leuchtenden Ginsterbusch gelaufen war, und als er sich dann umsah, war der graue Mann schon im Wald verschwunden. Seltsam! dachte der Junge. Wer traut sich schon, ganz allein durch unser Land zu wandern? Und er hat auch gar keine Waffe getragen!

Erst am Abend bei hereinbrechender Dunkelheit, damit ihn Umbertos Leute nicht doch noch überraschten, trieb der Junge seine Schafe nach Hause. Er erzählte dem Vater von seiner Begegnung, und der wurde sehr ernst.

„Vielleicht war der graue Mann, den du gesehen hast, selbst der Alte aus dem Wald. Man erzählt, dass er sich den Menschen oft in allerlei Verkleidungen genähert hat. Oh, wenn er es doch gewesen wäre! Wenn er uns doch helfen würde!“ Und zu seiner Frau saget er wie an jedem Abend: „Verschließe die Tür gut und lösch‘ das Licht aus, damit die Räuber des Umberto nicht sehen können, dass wir zu Hause sind!“

Es waren nach dieser Begebenheit nur wenige Tage vergangen, als Barone Umberto wieder einmal mit seinen Spießgesellen ausritt. Sie hatten etwa eine Woche lang viel gegessen, viel getrunken und dann bis in den späten Vormittag wie ohnmächtig geschlafen, und jetzt stand ihr Sinn nach Bosheit und Streit. Sie scherzten, wobei ihre Scherze meistens übel waren, sie lachten unbändig über ihre Witze, und jeder, der sie von fern sah, suchte sich zu verstecken. Da, als der Weg an einer Stelle zwischen einigem Gesträuch enger wurde, stand mit einem Male ein groß gewachsener alter Mann, ein Mann mit dichtem grauen Haar und Bart, mitten auf dem Weg, breitete die Arme aus und rief gebieterisch: „Halt!“ Die Männer stutzten, einige lachten, die hinteren drängten nach vorn. Umberto rief: „Mach Platz, Alter, sonst bekommst du unsere Peitschen zu spüren!“

Doch der alte Mann blieb beherzt stehen und rief noch einmal: „Halt!“ Dann fügte er hinzu: „Umberto, du wirst jetzt zurückreiten in deine Burg, du wirst die Räuberbande, die dich hier umgibt, fortschicken, du wirst den Bauern ihr Eigentum, das du ihnen gestohlen hast, zurückgeben, und die drei Kaufleute, die in deinem Burgturm schmachten, wirst du mit allen ihren Waren entlassen!“

Der Barone Umberto glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Dann aber stieg die Wut in ihm hoch, die sein Leben schon immer beherrscht hatte.

„Carlo, schaff‘ mir den Kerl aus den Augen!“ schrie er.

Carlo war der wildeste und wüsteste seiner Knechte, baumlang, von stierhafter Kraft und Bösartigkeit. Er ritt auf den alten Mann los, der immer noch unverrückt mitten auf dem Weg stand, hob die Peitsche, wollte ungehemmt und voller Wut auf ihn einschlagen, aber da flog ihm die Peitsche aus der Hand, das Pferd bäumte sich hoch auf, der Reiter stürzte aus dem Sattel und blieb stöhnend liegen. Sein rechter Arm, der Arm, der die Peitsche geschwungen hatte, stand ganz unnatürlich vom Körper ab. Er war offensichtlich gebrochen.

„Ihr Brüder Renzi“, brüllte jetzt der Barone, „bringt den Kerl um! Die Schwerter gezogen! Hackt ihn in Stücke!“

Die Brüder Renzi, zwei Raufbolde, die sich vor dem Teufel nicht fürchteten und noch nie in einem Streit unterlegen waren, sprangen von ihren Rössern und stürzten sich mit blanken Schwertern auf den alten Mann. Sie erreichten ihn nicht! Wie von einer Riesenfaust gepackt und fortgeschleudert, flogen sie drei Pferdelängen zurück, stürzten hin, blieben liegen, beide mit verrenkten Gliedern.

„Hund!“ tobte Umberto. „Verfluchter Hund, jetzt wirst du sterben!“

Er sprang auf den alten Mann los, das Schwert in der Faust, aber schon flog auch er zurück, hoch durch die Luft, an den Reittieren vorbei, noch weiter als die stöhnenden Brüder Renzi, und dort blieb er liegen, regungslos. Er blieb für immer regungslos liegen. Der Barone Umberto hatte das Genick gebrochen.

Seine Männer, die nie einem Streit aus dem Weg gegangen waren, die nur Sieg und Triumph kannten, flohen in wilder Angst. Immerhin ergriffen sie noch hastig ihre stöhnenden, fluchenden Kumpane, hoben sie auf die ledigen Pferde und galoppierten davon.

„Ein Zauberer!“ schrie einer. „Das ist der Alte aus dem Wald!“ schrie ein anderer.

Nur einer blieb bei dem toten Umberto zurück. Das war sein Sohn Anno, ein junger Mann, einfach gekleidet. Er kniete bei dem Vater nieder, untersuchte ihn, und dann stand er auf.

„Darf ich näherkommen?“ fragte er.

Der Graue nickte. „Komm nur, ich muss mit dir reden!“

„Du hast mir den Vater umgebracht“, sagte Anno. „Aber ich kann dir nicht zürnen. Er hat nur Unheil, nur Sorge und Angst gesät. Ein solches Ende musste über ihn kommen.“

„Das ist nun vorbei“, sagte der Alte aus dem Walde, denn er war es wirklich. „Du aber bist nie gewesen wie die anderen. Du hast nicht geraubt und gefrevelt. Ja, glaube mir, ich kenne dich gut! Du bist kein Bösewicht. Lade deinen Vater auf sein Pferd und begrabe ihn, wie es sich gehört! Und dann wirst du tun, was ich ihm befohlen habe. Du hast mich gehört, und du hast mich verstanden. Gib das Gestohlene zurück, hilf den Bauern, damit sie mit ihren Familien endlich wieder leben können von ihrer Arbeit, und entlasse die Gefangenen aus dem Turm! Und arbeite! Du bist nicht Barone geworden, um zu prassen und zu verschwenden. Deine Burg ist schmutzig und verkommen. Du wirst sie zu einer freundlichen Burg machen. Das Dorf ist von Angst gelähmt, und niemand hatte den Mut, an seinem Haus zu arbeiten, weil er nicht wusste, ob es ihm am neuen Tag noch gehören wird oder ob die schurkischen Knechte des Barone es niederbrennen würden. Das muss sich ändern, und das wird sich ändern. Der Fürst eines Landes soll mit seiner Klugheit und Güte ein Abglanz der Liebe Gottes sein. Der Barone Umberto aber hat den Menschen ein Bild der Hölle gezeigt. Du wirst das Dorf nun zu einem freundlichen Dorf machen. Glück und Wohlstand sollen dort einziehen. Und ich werde dich beobachten, Barone Anno. Wehe dir, wenn du mir nicht gehorchst!“

Als Anno aufschaute, um zu antworten, war der alte Mann verschwunden.

„Du kannst dich darauf verlassen, dass ich alles so tun werde, wie du es willst!“ rief er.

Schon am nächsten Tag schickte er die Knechte des Vaters fort. Das ging nicht ab ohne wüstes Schimpfen, und es blieb Anno nichts anderes übrig, als ihnen einen ganzen Jahreslohn mit auf den Weg zu geben. Er war froh, als der letzte durch das Tor der Burg verschwunden war, denn er hatte durchaus Grund, Angst vor ihnen zu haben. Sie waren allesamt Räuber und Mörder, und Anno besaß nicht die wilde und rücksichtslose Macht, mit der sein Vater über diese Bande geherrscht hatte. Die Kaufleute aus dem Turm wurden sofort befreit. Sie bekamen ihre Warenballen zurück, die noch gar nicht ausgepackt waren. Sie durften die stinkenden Lumpen ausziehen, die sie am Leib trugen, und dafür bekamen sie anständige Kleider. Und bevor sie gingen, konnten sie zum ersten Mal seit Wochen wieder richtig essen, an gedeckten Tischen, in der großen Halle der Burg. Seit Wochen hatte Umberto ihnen nur trockenes Brot und abgestandenes Wasser geben lassen. „Sie sind an richtiges Essen nicht mehr gewöhnt“, sagte Anno zur Köchin. „Koche ihnen etwas Leichtes, damit sie nicht krank werden!“ Also wurden ihnen gebackene Hähnchen, ein Gemüse aus Melanzane, das sind Auberginen, und frische Brotfladen vorgesetzt. Wir wissen nicht, ob ihnen dieses Gericht bekommen ist oder ob es zu schwer im Magen lag, denn die Kaufleute bedankten sich nach dem Essen bei Anno und ritten gleich los. Wie waren sie froh, als sie mit ihren Eseln und Maultieren die Burg verlassen hatten, und wie erleichtert waren sie, als die Burg ganz und gar hinter ihnen verschwunden war!

Dann rief Anno die Bauern zusammen. Voller Angst, stumm und mit der Mütze in der Hand betraten sie die Burg. Welche neuen Lasten würde man ihnen diesmal auferlegen? Würde der Sohn des alten Barone barmherziger sein als der Vater, oder würde vielleicht alles nur noch schlimmer werden? Die Freude, die sie empfanden, als sie von den Plänen Annos erfuhren, kann ich hier nicht beschreiben. Also lasse ich es auch!

Einige Tage später trieb der Hirtenjunge seine Schafe wieder zum Wald hin, diesmal auf dem direkten, dem breiten Weg, der offen durch die Felder führte. Endlich, endlich war er ganz ohne Sorge vor Überfall und Raub! Er wollte sich bei dem Alten aus dem Wald bedanken, denn er wusste genau, wer den Wandel in der Burg und im Dorf herbeigeführt hatte. Aber der graue Mann war nirgends zu finden. Er wurde auch später nie mehr gesehen. Der junge Barone Anno aber erfüllte treu die Forderungen, die der graue Mann an ihn gestellt hatte. Er machte, wo es ging, die Schäden gut, die sein Vater Umberto angerichtet hatte, und er wurde der Bruder und, als er älter geworden war, der Vater der Bauern in seiner Umgebung. Und wenn er nicht gestorben ist… Na ja, ihr kennt sicher diesen Märchenschluss!

2.
Gepetto, der Dummling

In der Nähe von Rovereto, dort wo das Tal, das am Brennerpass beginnend, sich zur großen Ebene mehr und mehr verbreitert, lebte der Bauer Filippo auf dem Hof, den er von seinem Vater geerbt hatte. Und der Vater hatte den Hof von seinem Vater geerbt und der von seinem Vater und so fort. Der Hof war uralt. Das Wohnhaus bestand aus zugehauenen Felsblöcken, es war breit und geduckt, hatte kleine Fenster und eine Tür so niedrig, dass groß gewachsene Leute sich beim Eintreten bücken mussten. Das Dach war mit Felsbrocken beschwert, damit die Herbst- und Winterstürme die Schindeln nicht wegreißen konnten. Und tatsächlich hatte dieses Haus seit mehreren Jahrhunderten Regen und Sturm, Schnee und Eis, Hitze und Kälte ohne Schaden überstanden. Aus neuerer Zeit stammten die Ställe und ein kleines Gebäude, in dem Arbeitsgeräte aufbewahrt und die Vorräte gespeichert wurden. Das Anwesen lag am Hang, gut zu erreichen von der Straße, die im Tal am Fluss entlanglief, und weit genug entfernt vom Felsengebirge und darum gut geschützt vor Steinschlag und Sturzfluten. Die Vorfahren des Bauern hatten einen guten Platz für ihren Hof gewählt. Der Bauer Filippo baute auf seinen Feldern vor allem Wein an, besaß aber auch weiter unten im Tal eine stattliche Anzahl von Obstbäumen und oben auf einer großen Weide etwa ein Dutzend Milchkühe. Von dem Ertrag seiner Arbeit konnte er mit seiner Familie recht gut leben, obwohl die Abgaben an ein Kloster und an einen Grafen, der nicht weit entfernt auf einer Burg lebte, nicht gering waren.

Filippo war ein alter Mann, dem die viele Arbeit auf seinem Hof inzwischen nicht mehr leicht von der Hand ging. Seine Frau, an der er immer eine treue Stütze gehabt hatte, war schon vor einigen Jahren gestorben, aber er hatte zwei Söhne, die ihm halfen, die vor allem dort anfassten, wo seine Kräfte nicht mehr ausreichten. Außerdem gab es noch zwei tüchtige Knechte, die unter dem Dach des Hauses in einer winzigen Kammer wohnten und die vom Morgen bis zum Abend zu arbeiten hatten. Dafür bekamen sie das Essen und einmal im Jahr ein paar geringe Münzen. Manchmal noch ein Kleidungsstück aus grobem Stoff. Mehr nicht. Das war damals so.

Die Söhne des Bauern hätten nicht verschiedener sein können. Lorenzo, der Ältere, war groß, hübsch, braun gebrannt von der Sonne, mit einem schwarzen Lockenkopf und einem kleinen Bärtchen, und er war in allem, was er tat, geschickt und erfolgreich. Der Vater konnte sich schon lange ganz und gar auf ihn verlassen, ja, der Graf hatte sogar schon einmal einen Boten geschickt und anfragen lassen, ob der junge Mann nicht in seinen Dienst treten wolle, und die Mädchen der Umgebung sahen ihn mit Vergnügen lieber kommen als gehen. Der jüngere Bruder dagegen, Gepetto, war ein ungeschickter Bursche. Was er anfasste, das missriet. Er hatte, wie man so sagt, zwei linke Hände, es waren sogar sehr linke Hände, und was er dann doch einmal mit diesen Händen aufbaute, das stieß er gewiss mit dem rückwärtigen Teil seines Körpers wieder um. Wenn der Vater ihm einmal eine etwas schwierigere Aufgabe übertragen hatte, dann wartete er den Misserfolg seines Sohnes meistens gar nicht ab, sondern erledigte selbst, was getan werden musste. Da ist es kein Wunder, wenn dieser jüngere Sohn zu Hause, aber auch in der Nachbarschaft allgemein Gepetto der Dummling genannt wurde. Dabei war er gar nicht wirklich dumm. Er kannte seine Schwächen sehr wohl, er versuchte auch, sich zu bessern, aber trotzdem machte er immer wieder ärgerliche Fehler. Vater und Bruder mussten ihm alles dreimal sagen und dann noch gut aufpassen, dass er seine Arbeiten ordentlich ausführte. Hatte er aber einmal etwas richtig gut begriffen, dann war er ganz zuverlässig. Und fleißig und gutwillig war er sowieso. Vielleicht war Gepetto einfach nur ein Träumer. Es gibt ja Menschen, in deren Kopf sich stets Reisen durch die weite Welt und die aufregendsten Abenteuer abspielen. Im Grunde sind das die glücklichen Menschen!

Der Traum ergänzt die Wirklichkeit,

ist oft ihre bessere Seite.

Er trägt ein buntes Flitterkleid

und zeigt uns nie geschaute Weite.

Die Träumer, die sind glücklich dran,

sie haben gleichsam zwei Leben.

Wer offnen Auges träumen kann,

dem ist ein Stück Himmel gegeben.

Der Vater wurde mit zunehmendem Alter immer häufiger und immer ernster krank, dann trug Lorenzo die ganze Verantwortung für den Bauernhof. Es war übrigens auch längst abgesprochen, dass er den Hof nach dem Tode des Vaters bekommen würde. Gepetto der Dummling kam dafür gar nicht in Frage. Der tüchtige Lorenzo arbeitete immer von früh bis spät, sieben Tage in der Woche, irgendein Vergnügen, irgendeine Abwechslung kannte er nicht, für Gepetto dagegen gab es, wenn er seine Arbeit im Weinberg oder im Stall erledigt hatte, keine größere Lust, als durch Felder und Wälder zu streifen, sich an den vielfältigen Blumen zu erfreuen, den Bienen zuzuschauen, wie sie in die Blütenkelche krochen, und die Lieder der Vögel nachzupfeifen. Und manchmal lag er einfach in einer Wiese, sah den Wolken zu, wie sie über den Himmel zogen, irgendwohin, und dabei träumte er angenehme Träume.

Nun war er wieder einmal am frühen Abend unterwegs, und auf seinem Streifzug hielt er am Rande eines Wäldchens inne, von wo er auf die Dächer eines benachbarten Dorfs hinunterblicken konnte. Aus einigen Kaminen drang der Qualm der Herdfeuer, die Hammerschläge aus einer Schmiede tönten herauf, Kühe brüllten, weil sie gemolken werden wollten. Es war ein friedliches Bild. Ich sollte nun langsam zurückgehen, dachte er, es ist Zeit für ein gutes Abendessen. Da hörte er auf einmal laute Hilfeschreie. Sie waren schrill, und sie kamen von einer dünnen Stimme, vielleicht so, wie ein kleines Kind schreien würde.

„Hilfe! Hilfe!“ schrie die Stimme wie in höchster Not.

„Das ist ja nicht zum Aushalten!“ sagte Gepetto halblaut vor sich hin. „Da muss man doch helfen!“

Die Stimme kam aus einem Gebüsch ganz in der Nähe. Der junge Mann eilte hin, drang durch das Buschwerk und erblickte einen großen, gefleckten Hund, der ein Bündel im Maul hielt, das aussah wie ein bunter Lappen. Aber der Lappen zappelte und schrie, und als Gepetto den Hund erreicht hatte, sah er, dass der ein winzig kleines Männchen im Maul hielt. Er packte das Tier im Nacken und nahm ihm das Kerlchen ab, und als der Hund zornig knurrte, drohte er ihm mit der Faust. Da ließ der Hund von seinem Opfer ab, zog den Schwanz ein und verschwand hinter den Büschen, die sich da am Waldrand hinzogen.

Vorsichtig hob Gepetto das Männchen hoch. Er sah in ein winziges, bärtiges Gesichtchen. Unter einem wirren, grauen Haarschopf schauten ihn zwei sehr dunkle Augen an. „Danke!“ sagte der Knirps. „Vielen Dank! Das war Hilfe in höchster Not. Ich glaube, das Vieh hätte mich totgebissen. Vielleicht sogar aufgefressen! Eine scheußliche Vorstellung! Ekelhaft!“ Das Männchen schüttelte sich vor Entsetzen, doch das sah eigentlich ganz lustig aus, fand Gepetto.

„Aber sag einmal, wer bist du denn?“ fragte der junge Mann. „Einen so kleinen Menschen habe ich noch nie gesehen. Selbst Luigi, der kleinste Mann im Dorf, ist mindestens fünfmal größer als du.“

„Nun, ich bin natürlich ein Zwerg, du langer Kerl, ein ganz gewöhnlicher Zwerg. Was dachtest du denn?“

„Aber Zwerge habe ich mir immer deutlich größer vorgestellt“, sagte Gepetto. „So etwa bis zu meinem Gürtel. Allerdings ist mir noch nie ein Zwerg begegnet. Vielleicht habe ich ja auch eine ganz falsche Vorstellung von euch!“

„Nein, nein“, antwortete der Kleine, „du hast gar nicht Unrecht. Es gibt wirklich kleine und große Zwerge, weißt du! Ich gehöre zu den kleinen. Die großen arbeiten meistens als Fachleute für die Edelmetalle in den Berghöhlen. Sie suchen nach Gold und Silber, und sie finden solche Metalle dann auch, darauf kannst du dich verlassen. Sie verstehen ihr Handwerk. Wir sind einfach verschiedene Völker, weißt du? Unsere Sprache ist gleich, und wir vertragen uns auch ganz gut, aber wir gehen uns gewöhnlich aus dem Weg. Verschiedene Lebensgewohnheiten, weißt du? Wir kleineren Zwerge sind für schwere Arbeit nicht so besonders gut geeignet. Da musst du mich ja bloß ansehen, dann wirst du das verstehen. Meine Figur passt nicht zu einem schweren Hammer. Wie sollte ich denn mit meinen kleinen Händen die Edelsteine aus dem Fels heraushauen? Nein, wir sind eher Sammler, weißt du! Wir sammeln Edelsteine, und wir nehmen natürlich auch Goldbrocken mit, wenn wir sie zufällig finden. Und wir sind die Sänger und Dichter der Zwerge, und wenn du es nicht weitersagst, dann will ich dir noch verraten: Wir sind auch die Gescheitesten unter den Zwergen! Unser König gilt allgemein als der klügste unter den Zwergenkönigen. Wenn die Großen nicht weiterwissen und einen Rat brauchen, dann kommen sie zu ihm. Nun solltest du mich aber endlich auf den Boden setzen. Du packst mich zu fest! Ich kann kaum atmen, weißt du? Und außerdem: Hat dir schon mal jemand minutenlang so dicht ins Gesicht gesehen? Das ist ja peinlich, weißt du!“

Gepetto stellte den Zwerg also vorsichtig auf einen faustgroßen, flachen Stein, der dort in der Wiese lag, und setzte sich neben ihn ins Gras. Es war schon merkwürdig: Da wuchsen neben dem Stein zwei weiße Margeriten, und die ragten dem Männlein bis über seine Schultern! Der Kleine schaute den jungen Mann aufmerksam an. Aufmerksam und freundlich.

„Jetzt musst du mir aber auch erzählen, wer du bist!“ forderte er den Burschen auf.

Gepetto schüttelte den Kopf. „Ach von mir gibt es nichts zu erzählen. Ich bin ein ganz gewöhnlicher Bauernjunge. Wir leben unser Leben, wie es schon die Großeltern und die Urgroßeltern gelebt haben: Säen, pflanzen, ernten, Vieh versorgen. Und manchmal ein Glas Wein mit Freunden. È sempre la monotonia della vita quotidiana. (Es ist immer der graue Alltag). Die Tage gleichen sich, und auch die verschiedenen Jahreszeiten bringen keine Überraschungen. Da gibt es nichts, was man erzählen könnte.“

„Red‘ keinen Unsinn! Von jedem gibt es etwas zu erzählen, ob er nun ein Mensch ist oder ein Zwerg. Und wer noch nie etwas Großes erlebt hat, der hat doch bestimmt schon einmal etwas Großes gehört oder geträumt, weißt du. Fang mit deinem Namen an! Und erzähl dann von deiner Familie und deiner Arbeit und deinen Sorgen! Los, fang schon an!“

Und Gepetto fing wirklich an. Er erzählte und erzählte, und er wunderte sich selbst darüber: Ich kann ja sprechen! Ich kann ja erzählen! Und dabei halten mich alle für einen ausgemachten Dummkopf!

„Und wie es mit meiner Zukunft werden wird, das kann ich mir noch gar nicht vorstellen“, schloss er seinen Bericht. „Wenn mein Vater stirbt, wird mein Bruder der Bauer auf unserem Hof. Das ist ja immer schon so gewesen hier in der Gegend: Der Älteste wird der Nachfolger des Vaters. Dann habe ich nichts mehr, dann bin ich nichts mehr und kann im besten Fall als Knecht bei ihm bleiben. Und schön wird das nicht werden, denn er ist zwar kein übler Kerl, ganz bestimmt nicht, aber ich kann ihm nie etwas recht machen. Er wird jeden Tag einen Grund finden, mit mir zu schimpfen. Ich glaube, meine Zukunft wird recht trübe.“

„Ach, weißt du, das steht ja noch gar nicht fest! Wir kleinen Zwerge sind nämlich auch zuständig für das Zaubern. Du hast mir geholfen, und jetzt helfe ich dir, weißt du? Wir müssen nur noch überlegen, was für dich nützlich ist.“

„Da wüsste ich schon etwas“, sagte Gepetto. „Sieh mich an! Meine Jacke sieht erbärmlich aus, und meine Schuhe verdienen ihren Namen gar nicht mehr. Die trage ich schon seit Jahren bei der Arbeit. Ich habe sie immer wieder repariert, aber schau nur: Jetzt fallen sie wirklich bald auseinander. Und es ist bei uns leider nicht üblich, für den Dummling in der Familie neue Sachen zu kaufen. Kannst du Jacken und Schuhe zaubern?“

Der kleine Zwerg lachte. Das klang etwa wie das Zwitschern des Zaunkönigs. Vielleicht ein kleines bisschen lauter. Aber es war ganz entzückend, und das Gesicht des Kleinen strahlte dabei vor Freundlichkeit.

„Da denke ich schon an eine andere Hilfe“, sagte er. „Schließlich hast du mir das Leben gerettet. Da muss ich mir doch etwas Besseres für dich ausdenken, weißt du. Dein Bruder bekommt den Hof deines Vaters, und du gehst leer aus, hast du mir gesagt. Das ist zwar üblich bei den Bauern, aber schön ist es nicht. Für dich ist es sogar ziemlich schlecht. Da könnte man vielleicht etwas machen. Ich kenne da eine hübsche Bauerntochter, die das einzige Kind ihrer Eltern ist. Gar nicht weit von eurem Hof. Wenn du die heiraten könntest …“

„Ach, was soll ich mit einem Bauernhof, du lieber Zwerg?“ fragte Gepetto, und er sah recht traurig aus dabei. „Ich bin einfach zu dumm, um ein richtiger Bauer zu sein. Und die Mädchen hier in unserer Nachbarschaft stoßen sich an und kichern, wenn sie mich sehen. Nicht einmal die Allerhässlichste unter ihnen würde mich heiraten.“

„Oh, glaub mir, auch da kann ich nachhelfen. Eine gute Portion Bauernschläue kann ich dir schon anzaubern. Das ist für uns kleine Zwerge überhaupt kein Problem, weißt du. Dann würde dein Verstand schon ausreichen für einen Bauernhof. Ich glaube auch gar nicht, dass du dumm bist, Gepetto. Du bist bloß anders. Du bist ein Träumer, und gerade darum bist du ein besonders feiner Kerl. Wir müssen allerdings dafür sorgen, dass sich das Mädchen, an das ich denke, in dich verliebt, weiß du. Aber wenn wir dich ein wenig herausputzen, wird es schon gehen. Eigentlich bist du doch ein ganz hübscher Bursche!“

Der Zwerg kletterte ganz geschickt an Gepettos Kleidung hoch und legte ihm seine kleine, kleine Hand auf die Stirn. Der Bursche fühlte ein Kribbeln im Kopf, aber das war nicht unangenehm. Dann kletterte der Kleine genauso geschickt wieder an ihm hinunter.

„Ich glaube, jetzt habe ich dir schon ein bisschen geholfen, Gepetto. Das wirst du bald spüren. Aber das war noch nicht alles. Komm morgen um genau diese Zeit zu genau dieser Stelle, dann werde ich bestimmt noch andere Wege finden, um dir zu helfen!“

Als er das gesagt hatte, war er auch schon hinter einem Stein verschwunden, und als Gepetto aufstand, um nach ihm zu sehen, fand er nur noch den Stein und ein Loch dahinter, aber der Zwerg war verschwunden. Und als er an sich herunterschaute, weil seine Füße sich anders anfühlten, so fest, so gut, da sah er, dass er neue Schuhe an den Füßen hatte, und seine alte, halb zerrissene Jacke war auch verschwunden, und dafür trug er jetzt eine feine Jacke aus derbem Stoff mit geschnitzten Knöpfen. Meine Güte, dachte er, an der Zauberei scheint ja doch etwas dran zu sein!

Nachdenklich ging er nach Hause. Aber schon auf halbem Weg fragte er sich: Habe ich das wirklich erlebt oder bloß geträumt? Wer glaubt denn an Zwerge? Dann aber stand ihm sein Erlebnis doch wiederum so klar und deutlich vor Augen, dass er gar nicht zweifeln konnte. Ganz genau konnte er sich an das winzige Gesichtchen und an jedes Wort des Zwerges erinnern. Nein, sagte er sich, auch der wütende Hund war Wirklichkeit, und das kleine Männchen, das er beinahe totgebissen hätte, war ganz gewiss nicht erträumt. Und diese Jacke, diese Schuhe? Die habe ich doch nicht im Wald gefunden! Auf jeden Fall beschloss er aber, niemandem etwas von dieser Begegnung zu erzählen, auch dem Bruder nicht. Daran seht ihr, dass ihm der Zwerg, als er ihm die Hand auf die Stirn legte, doch wohl schon eine gute Portion Verstand in den Kopf gezaubert hatte. Und als sie beim Abendbrot am Tisch saßen und plauderten, da meinten Vater und Bruder, Gepetto habe noch nie so viel und so verständig gesprochen.

Am anderen Tag machte sich Gepetto am späten Nachmittag wieder auf den Weg zum Wald. An dem Gebüsch angekommen, wo er den Zwerg getroffen hatte, setzte er sich ins Gras, um zu warten. Geduldig beobachtete er, wie ein dicker Käfer einen Grashalm hochkletterte, wie der Halm sich bog, und wie der Käfer schließlich zu Boden fiel. Ein Schmetterling setzte sich auf sein Knie, schlug mit den Flügeln und flog wieder los, irgendwohin. Die Vögel sangen vielfältige Melodien. Als sich aber nach einer halben Stunde noch nichts ereignet hatte, dachte er: Du Narr, was hast du denn erwartet? Hast du wirklich geglaubt, da käme ein Zwerg, um dich glücklich zu machen? Altro e dire, altro e fare. (Sagen und Tun sind verschieden.) So sind doch die meisten Menschen, und die Zwerge sind wohl auch nicht anders.

Aber genau in diese Überlegungen hinein tönten das Knirschen von Wagenrädern und die Tritte von Pferden, und dann hielt eine schöne, eine geradezu herrschaftliche Kutsche vor ihm am Waldrand. Der Kutscher sprang vom Bock und rief: „Steig ein, Gepetto, und zieh dich um! Da drinnen warten anständige Kleider auf dich. Du musst vom Kopf bis zu den Füßen wie ein vornehmer Herr aussehen. Da reicht eine neue Jacke nicht aus, weißt du!“

Gepetto zog also die Kleider an, die er in der Kutsche fand: Hemd, Jacke, Hose, Strümpfe, blanke Schuhe, dazu einen Hut. Wie elegant das alles war! Solche Kleider hatte er ein einziges Mal in seinem Leben gesehen, als der Graf mit einer Jagdgesellschaft an ihm vorbeigeritten war. Um seine eigenen alten Kleider war es nicht schade. „Stopf sie unter den Sitz!“ sagte der Kutscher. „Du wirst sie nicht mehr brauchen, weißt du.“

Dann zogen die beiden Pferde an, und weil dies ein Märchen ist, muss man unbedingt erwähnen, dass es wunderschöne Pferde waren mit blankem Fell und stolz erhobenem Kopf. Die Kutsche rollte los, und das war ein ganz anderes Rollen als bei dem Fuhrwerk, mit dem der Vater die Weintrauben nach Hause brachte! So reisen vornehme Leute! dachte Gepetto. Auf seine Fragen gab der Kutscher keine rechte Antwort. „Warte ab, es ist eine Überraschung!“ sagte er nur.

Sie waren noch gar nicht weit gekommen, vielleicht eine Fußstunde von ihrem Dorf entfernt, da gab es vor einem schönen großen Bauernhof, an dem sie gerade vorbeikamen, auf einmal ein lautes, unangenehmes Krachen und einen heftigen Ruck, und Gepetto wäre beinahe von seinem Sitz gerutscht. Der Kutscher sprang von seinem Bock, Gepetto stieg aus, und gemeinsam besahen sie den Schaden. Und tatsächlich war Schlimmes geschehen: Ein Rad an der schönen Kutsche war gebrochen, das Fahrzeug hatte sich zur Seite geneigt, und die Weiterfahrt war unter diesen Umständen ganz unmöglich. Man sollte nicht glauben, dass so etwas in einem Märchen passieren kann! Aber wir werden gleich erfahren, wozu das gut war! Und da kamen auch schon die Bewohner des Hauses herbei und boten ihre Hilfe an.

„Das Rad ist zerbrochen. Heute können wir nicht weiter“, sagte der Kutscher. „Habt ihr einen Raum für meinen Herrn, dem diese Kutsche gehört? Und ein Abendessen? Morgen müssen wir sehen, was zu tun ist. Selbstverständlich werden wir euch für eure Mühe bezahlen.“

Und er griff in eine Tasche, die er vorher dem Gepetto umgehängt hatte, und holte einen Golddukaten hervor, den er dem Bauern in die Hand drückte, obwohl der deutlich sagte, dass Gäste bei ihm eigentlich nicht zu bezahlen hätten. Gepetto war ganz erschrocken, denn er sah und fühlte, dass die Tasche schwer von goldenen Dukaten war. Als er nun dem Kutscher, der da so freigiebig mit dem Gold umsprang, einmal genauer ins Gesicht sah, in ein Gesicht mit einem grauen Bart, einem wirren Haarschopf und dunklen, geradezu schwarzen Augen, da wusste er, wer der Kutscher war, und wem er Kutsche und Kleidung und Gold zu verdanken hatte. Aber er hütete sich, seinen Verdacht auszusprechen! Oft ist es ja wirklich besser, wenn man den Mund hält!

Die Bauersleute weigerten sich noch einmal, das Geld anzunehmen, obwohl das auch für sie ein Vermögen war. Dann aber bedankten sie sich überschwänglich, und selbstverständlich luden sie Gepetto und seinen Kutscher ein, mit ihnen zu essen, in ihrem Haus zu schlafen und nach Belieben noch länger zu bleiben. Alle fanden Gefallen an dem hübschen jungen Mann, besonders die Tochter kam gar nicht weg von seiner Seite. Beim Abendessen sorgte sie dafür, dass sie neben ihm sitzen konnte, sie legte ihm die besten Stücke vor und goss Wein in seinen Becher, wenn er ausgetrunken hatte.

„Wir haben dem Herrn leider nichts Besonderes anzubieten“, sagte die Bäuerin, dabei gab es Carne salada, also Rindfleischscheiben, tagelang in vielerlei frischen Gewürzen eingelegt, eine seltene Köstlichkeit, und dazu geröstetes Brot und natürlich Wein, einen feinen Rotwein, den der Bauer selbst gekeltert hatte. Eine Stunde oder zwei dauerte das Essen, so viel hatten sich die Bauersleute und die Gäste dabei zu erzählen, und Gepetto und die Bauerntochter plauderten und lachten, ohne aufzuhören. Nach dem Abendessen führte das Mädchen den jungen Mann überall auf dem Hof herum, und wir dürfen annehmen, dass die beiden sich dabei gut unterhalten haben, und wahrscheinlich haben sie auch nicht nur über Schafe und Hühner, über Weinpressen und Weinfässer gesprochen.

Es dauerte nur wenige Tage, da sagte die Bäuerin zu ihrem Mann: „Bauer, ich glaube, die beiden sind verliebt ineinander!“ Und es dauerte nur wenige Wochen, da wurde an einem schönen Sonnentag eine richtige Bauernhochzeit gefeiert mit gutem Essen, gutem Wein, mit Musik und Tanz, eine Hochzeit, zu der alle Nachbarn kamen, zu der selbstverständlich aber auch die Familie Gepettos eingeladen war. Das war der Tag, an dem der Diener, der, wie wir vermuten dürfen, in Wirklichkeit wohl der gerettete Zwerg war, für immer verschwand. Das war auch der Tag, an dem der alte Filippo sagte: „Ich kenne meinen Gepetto gar nicht wieder!“

Mit seinem kostbaren Wagen, mit den beiden prächtigen und wertvollen Pferden und mit einem Beutel, schwer vom Gold, war Gepetto ein Schwiegersohn geworden, wie sich die Bauersleute keinen besseren hätten wünschen können, und die Hand, die der Zwerg auf seine Stirn gelegt hatte, die hatte ihn zu einem tüchtigen Bauern gemacht. Er lebte noch lange mit seiner hübschen Frau auf dem Bauernhof, baute ihn aus, kaufte Land und Vieh hinzu und wurde der reichste, aber auch der beliebteste Bauer weit und breit. Denn er erinnerte sich sehr genau an seine traurige Jugend, als ihn alle für einen Dummling gehalten hatten, und er half den Nachbarn, wo er es konnte. Ab und zu besuchte er mit seiner Frau und den Kindern, die sich nach und nach einstellten, den Bruder und den Vater, der trotz einiger Leiden noch sehr, sehr alt wurde, und dann plauderten sie von vergangenen Zeiten. Und wenn sie nicht gestorben sind, naja, ihr wisst schon!

3.
Der schwarze Reiter

In einem Kloster nahe der heiligen Stadt Assisi lebte ein alter Mönch, der schon seit seiner Jugend als Maler weit und breit berühmt war. Er hieß Bernardo, hatte als Jüngling das Klostergelübde abgelegt, trug auch stets die Kutte seines Ordens, nahm aber wenig teil am Kosterleben, weil er täglich in seiner Werkstatt, die in einem kleinen Nebengebäude eingerichtet war, vor seinen Gemälden saß und arbeitete. Er malte Szenen aus der Bibel und Bildnisse von Heiligen, die sehr gerühmt und in vielen Kirchen der umliegenden Ortschaften aufgehängt wurden. Noch mehr Ruhm allerdings brachten ihm die Porträts von Adligen und von reichen Bürgern ein, die er jahraus, jahrein anfertigte. Das waren Bilder im großen Format, auf denen er die Menschen in prachtvoller Kleidung und mit kunstvollen Frisuren stets so vorteilhaft malte, dass sie immer sehr zufrieden waren mit seiner Kunst. So sind wir Menschen nun einmal: Wir wollen möglichst gut aussehen! Und da stört es uns auch gar nicht, wenn der Künstler unsere kleinen Mängel geschickt und liebevoll unsichtbar macht.

Bernardo fertigte aber auch Miniaturen an, Bildchen, die kaum die Größe einer Handfläche hatten oder sogar noch deutlich kleiner waren, so dass sie in eine Brosche passten, die man um den Hals tragen konnte. Eltern ließen so ihre geliebten Kinder oder Jünglinge die von ihnen heiß geliebten Mädchen als wunderschönes Andenken abmalen. Die Kunden kamen zu ihm ins Kloster, saßen still auf einem Stuhl, ihre Gesichter wurden zunächst sorgfältig abgezeichnet, dann mussten die Bilder fertig ausgemalt werden, was auch noch einmal viele Stunden Arbeit bedeutete, und schließlich wurden sie abgeholt und gut bezahlt. Das Geld bekam das Kloster. Bernardo selbst war und blieb arm. Aber das machte ihm nichts aus. Er hatte keinerlei Bedürfnisse, und für das Nötigste, das tägliche Essen oder alle paar Jahre eine neue Kutte, war im Kloster immer gesorgt. Besonders das