Unter Bauern bin ich aufgewachsen und habe einen Beruf ergriffen, der mich, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vorwiegend mit der landwirtschafttreibenden Bevölkerung in Berührung brachte.
So konnte es nicht ausbleiben, daß ich schon früh Anteil nehmen lernte an den Freuden und Leiden unserer Bauernschaft. Meine Tätigkeit als Wanderlehrer gab mir aber erst ausgiebige Gelegenheit, unsere landwirtschaftlichen Verhältnisse in den höchsten Gebirgstälern wie im Flachlande kennen zu lernen, und die Sitten und den Volkscharakter auf dem Lande eingehender zu studieren.
Wenn ich aus meinen Beobachtungen in den einzelnen Kapiteln dieses Büchleins einiges mitteile, so hat mich dabei der Gedanke geleitet, daß neben den vielen Leitfäden und Lehrbüchern über die verschiedenen Landwirtschaftszweige auch einige Beispiele aus unserem Volksleben von Nutzen sein könnten. Die heutige Zeit stellt eben nicht nur große Anforderungen an die fachliche Tüchtigkeit eines Landwirts, sondern macht auch die weitestgehenden Ansprüche an den Charakter und die moralischen Eigenschaften eines solchen.
Weil ich kein Schriftsteller von Beruf bin, so erhebt mein Werkchen auch nicht Anspruch, als eine hervorragende Leistung taxiert zu werden. Meine Arbeit geht hervor aus warmem Herzen für unsere Landwirtschaft. Das Sprichwort sagt: Was von Herzen kommt, das geht zum Herzen. In der Hoffnung nun, daß sich dieser Satz bei dem vorliegenden Büchlein erfülle, lasse ich es seine Wanderung antreten durch die Ebenen und Täler unseres Schweizerlandes.
Plantahof, im Herbst 1903.
Der Verfasser.
Meine Ferien gingen zu Ende, sie waren mir dieses Mal besonders genußreich verlaufen. Bei dem denkbar günstigsten Wetter hatte ich seit einigen Wochen das Graubündner Oberland nach allen Richtungen durchstreift und dabei bald da bald dort mein Lager aufgeschlagen. Ich hatte mir vorgenommen, fernab von dem Getriebe großer Fremdenzentren irgendwo ein Stück Naturschönheit zu genießen und dabei Land und Leute eines mir bis jetzt ziemlich unbekannten Teils unserer an Abwechslungen so reichen Schweiz kennen zu lernen. Alles das hätte ich wohl nirgends besser erreichen können, als hier im Bündner Oberland mit seinen romantischen Tälern und Schluchten, seiner großartigen Gebirgswelt, seinen malerischen Dörfern und Höfen, bewohnt von einer ausgesprochen landwirtschafttreibenden Bevölkerung. Hier war ich so recht unter Bauern; denn Bauer ist da auch der Pfarrer, der Lehrer, überhaupt jedermann, und es ist nicht besonders notwendig, eine Unterhaltung oder ein Gespräch durch eine absichtliche Wendung auf landwirtschaftliches Gebiet hinüberzuleiten, das ergibt sich hier ganz von selbst.
Es herrschen hier zum Teil ganz eigenartige Zustände im Bauernwesen, so eigenartig, wie das Land selbst ist und auch die Leute, die es bewohnen. Eine allgemeine Schilderung des Bündner Oberlandes und der Art und Weise, wie da Landwirtschaft getrieben wird, wäre daher gewiß sehr interessant, doch davon vielleicht ein andermal; heute möchte ich vielmehr von einer Persönlichkeit etwas erzählen, deren Bekanntschaft ich ganz zufällig hier gemacht habe.
Es war, wie gesagt, am Ende meiner Ferienzeit; ich kletterte schon einige Tage in den Bergen der Tödikette herum. Es war mir darum zu tun, erstens mein Herbarium etwas zu bereichern, zweitens aber auch verschiedenen Alpen einen Besuch abzustatten, um deren Bewirtschaftung kennen zu lernen. War mir das Wetter bis jetzt äußerst günstig gewesen, so drohte es nun eine Wendung zum Schlimmern zu nehmen. Es zeigten sich am Himmel verdächtige Wolkengebilde und die Aelpler prophezeiten aus den verschiedensten Anzeichen, daß etwas besonderes in der Luft liege und zum mindesten ein Gewitter, wo nicht gar ein längerer Landregen im Anzuge sei. Doch bei mir hieß es: »Bange machen gilt nicht«, ich pochte auf mein gutes Glück und setzte ruhig meine Bergwanderungen fort. Zunächst schien es, als sollte ich Recht behalten, doch auf einmal war es da – es war am Spätnachmittage desjenigen Tages, von dem ich erzählen will – ich wollte noch eine Klubhütte erreichen, in welcher ich schon mehrere Nächte zugebracht hatte, um dann am Morgen einen jener Uebergänge zu benützen, die vom Kanton Graubünden hinüberführen ins Glarnerland.
Zuerst begannen sich im Norden einige dunkle Wolken zu ballen, der Calanda bedeckte sein felsiges Haupt mit einer Nebelkappe und graue Dünste stiegen aus den Schluchten des Rheintals empor. Es war ein seltsames Schauspiel, wie die verschiedenen Wölkchen und Wolken sich sammelten und verdichteten, bis sie einen einzigen bleifarbenen Vorhang bildeten, der die ganze unvergleichlich schöne Landschaft, die ich noch vor kurzem bewunderte, meinen Blicken entzog. Schon mehrere Male hatte ich Gelegenheit gehabt, Gewitter im Gebirge zu beobachten und mit Bewunderung dem Toben der entfesselten Natur zugesehen. Heute aber sah ich es mit einem gewissen Bangen heranziehen, denn ich hatte ungefähr noch eine Stunde bis zur Hütte zu gehen.
Das Terrain, das ich zu begehen hatte, war nicht besonders steil und erlaubte ein tüchtiges Ausgreifen, so daß ich anfangs hoffte, mein heutiges Ziel noch vor Ausbruch des Gewitters zu erreichen. Indessen schwand diese Hoffnung allmählich; denn die drohende Wolkenwand verdunkelte sich mehr und mehr, grelle Blitze zuckten immer häufiger über den stets sich verengernden Horizont, das Auge fast blendend und für Momente alles in gelben Feuerschein aufflammen lassend; das Rollen des Donners wurde bei jedem Schlage lauter und unheimlicher. Da setzte auf einmal mit einem unvermittelten heftigen Stoße auch der Wind ein und bald fielen die ersten Tropfen, vermischt mit kleinen Hagelkörnern, dichte Nebel jagten an mir vorüber, und bald war ich unfähig, auch nur fünf Schritte weit zu sehen. Zu all' dem kam noch, daß ich bald an der größern Steigung des Geländes wahrnehmen mußte, daß ich mich verirrt hatte, so daß ich gar nicht mehr wußte, wo ich mich befand. Dicht in meinen Lodenmantel gehüllt, trachtete ich jedoch immer vorwärts zu kommen, hoffend, irgendwo unter einem Felsen Schutz zu finden, bis das Gewitter sich verzogen habe. Als ich mich so ein gutes Stück aufwärts gearbeitet hatte, vernahm ich auf einmal Hundegebell; bald blitzte auch ein Feuerschein durch den Nebel, ein kräftiges »Hallo!« drang an mein Ohr, das ich freudig erwiderte, und bald saß ich wohlgeborgen am wärmenden Feuer in einer kleinen Schäferhütte, auf die ich ganz zufällig gestoßen war.
Der Schäfer, ein schon älterer, aber noch sehr rüstiger Mann mit grauem Bart und freundlichen, gewinnenden Gesichtszügen, tat alles mögliche, um es mir unter seinem einfachen Dache so bequem als möglich zu machen. Die durchgemachten Strapazen hatten mich hungrig gemacht, und die vorgesetzte Milch, samt Brot und Käse schmeckten mir so gut, als manchem verwöhnten Gaumen das feinste Essen an der Hoteltafel.
Unterdessen war wohl mehr als eine Stunde verflossen, der Regen hatte aufgehört und der Himmel begann sich wieder zu blauen, so daß ich daran dachte, meinen Weg fortzusetzen. Das aber ließ der alte Schäfer nicht zu. Er bedeutete mir, daß ich so weit von meiner Route abgekommen sei, daß ich vor Nacht kaum mehr die Klubhütte erreichen könne; außerdem sei es von seiner Hütte aus auch nicht weiter bis auf die Paßhöhe, als von dem Schirmhaus, und den Weg wolle er mir schon zeigen. Für ein Nachtlager sei schon gesorgt, es sei nicht das erste Mal, daß er Gäste habe. Weil ich auch ziemlich müde war, so ließ ich mich gerne überreden und blieb. Wir zündeten unsere Pfeifen an und setzten uns vor die Hütte, von diesem und jenem plaudernd.
Als der Alte hörte, daß die Landwirtschaft mein Fach sei, zeigte er sich sehr erfreut, und ich mußte ihm erzählen, was draußen im Lande vorgehe, wie die Ernteaussichten im allgemeinen seien u. s. w. Mit Staunen mußte ich im Laufe des Gespräches wahrnehmen, wie sehr der einfache Schafhirte auf allen Gebieten der Landwirtschaft zu Hause sei und gab meiner Verwunderung auch unverhohlen durch die Frage Ausdruck, wie es denn komme, daß er, der kenntnißreiche Bauer, auf einsamer Alp die Schafe hüte? Lächelnd gab er mir zur Antwort, daß es für einen Hirten auch Kenntnisse brauche, und wenn er sein jetziges Amt auch als eine Art Ruheposten betrachte, so sei er sich doch jeden Augenblick bewußt, daß er Pflichten zu erfüllen habe und verantwortlich sei für das Gedeihen seiner ihm anvertrauten Herde, er sei mehr als fünfzig Jahre Bauernknecht gewesen und habe ein an Erfahrungen reiches Leben hinter sich. Ich bat ihn, mir von seinen Erlebnissen mitzuteilen. Er zeigte sich auch bereit dazu, falls er mich nicht zu sehr langweile, wie er meinte, und als er seine Pfeife frisch gefüllt hatte, hub er zu erzählen an:
»Ich bin in dem Dorfe N. – von dem Sie von hier aus gerade noch den Kirchturm und einige Häuser sehen können – als der Sohn armer Eltern geboren. Mein Vater war Wegmacher und daneben taglöhnerte er da und dort bei den Bauern. So hatte er im Sommer, nach den damaligen Verhältnissen, einen leidlichen Verdienst, desto geringer aber war er im Winter und oft blieb er tagelang ganz aus. Der Ertrag aus dem Gemeindegut verschaffte uns wenigstens Kartoffeln, und dank dem unbeschränkten allgemeinen Weidgang konnten wir zwei Ziegen halten, welche uns einen großen Teil des Jahres mit Milch versahen. Ich hatte aber noch drei Geschwister – zwei Schwestern und einen Bruder – somit waren da sechs Mäuler zu stopfen. Die Kleider, so einfach sie auch waren, kosteten ebenfalls Geld. Also war auch die Mutter noch aufs Verdienen angewiesen, und oft war sie auch, wie der Vater, den ganzen Tag abwesend. Mir, als dem ältesten, war dann das ganze Hauswesen und namentlich die Obhut über die jüngern Geschwister anvertraut. So mußte ich denn schon als kleiner Knirps auf eigenen Füßen stehen, und ich glaube, daß das für mich nützlich war.
Als ich dann das zwölfte Altersjahr erreicht hatte, fand mein Vater, daß meine zehnjährige Schwester jetzt alt und anstellig genug sei, um die Stelle als Hausmütterchen zu übernehmen, für mich aber sei es an der Zeit, in die Reihe der Verdienenden einzutreten.
Mein Ideal wäre es nun gewesen, Gaishirt zu werden; denn die Berge und die grünen Alpen zogen mich mächtig an. So jeden Tag mit der Herde ausziehen zu dürfen und frei mich herumtummeln zu können, das wäre für mich das damalige Endziel meiner Wünsche gewesen. Aber erstens war ich dazu noch zu jung und zweitens brauchte man eben nur einen Ziegenhirten; der Bewerber waren aber viele. Es mußte also eine andere Verdienstquelle für mich gefunden werden, und ich konnte mich schon als kleiner Knabe darin üben, meinen eigenen Wünschen zu entsagen.
Zu jener Zeit war noch die Schwabengängerei stark im Schwunge, und jedes Frühjahr zogen ganze Karawanen von noch schulpflichtigen Knaben hinaus ins Württembergische und ins Baierische, um sich für den Sommer auf die dortigen Bauernhöfe zu verdingen und durch Viehhüten und andere leichte Arbeiten, wenn auch nicht gerade viel Geld, so doch Unterhalt und Kleider zu verdienen.
Oft hatte ich von den größeren Knaben, die schon einen oder mehrere Sommer im Schwabenlande gewesen waren, erzählen gehört, wie schön es dort sei, wie man gar nicht so streng zu arbeiten brauche und was für gute Sachen man zu essen bekomme etc. Diese kleinen Auswanderer machten es eben damals schon, wie es heute die großen auch noch machen: sie erzählten nur das Gute, das sie im fremden Lande erlebt, aber von dem Trüben, das sie durchzumachen hatten, und das sie die Fremde oft schwer ertragen ließ, sagten sie kein Sterbenswörtchen. So ist es denn sehr leicht begreiflich, daß ich mich für die Schwabengängerei begeisterte, als ich sah, daß ich einstweilen darauf verzichten mußte, Ziegenhirt zu werden. Ich bat deshalb meine Eltern, mich im Frühjahr ebenfalls mit den andern Knaben ziehen zu lassen, und nach langem Erwägen und Hinundherraten mit den Nachbarn erhielt ich auch die Einwilligung dazu.
Als der Tag der Abreise gekommen war, da überkam mich ein sonderbar banges Gefühl. Während ich vorher kaum diesen Tag glaubte erwarten zu können, fiel es mir nun auf einmal sehr schwer, meine Eltern und Geschwister, meine Heimat und alles, was mit ihr verflochten war, zu verlassen und hinauszuziehen in ein fremdes Land, unter fremde Menschen, einem ungewissen Geschick entgegen, das je nach den Umständen ebensowohl ein herbes, als ein freundliches sein konnte. Hätte nur jemand versucht, mich zum Dableiben zu bestimmen, wie gerne hätte ich gefolgt! Aber niemand sprach dieses Wörtchen und ich wollte mich tapfer zeigen und niemanden es merken lassen, wie es in meinem Innern aussah. Keine Träne wollte ich vergießen; denn alles sollte glauben, daß es mir nicht an dem nötigen Mute fehle, um in die Fremde zu gehen; doch als die Mutter mich schluchzend zum Abschied in die Arme schloß und mir das Versprechen abnahm, unter allen Umständen brav, treu und ehrlich zu bleiben, da rannen auch mir dicke Tropfen über die Wangen herunter. Mit halberstickter Stimme versprach ich den Eltern, auch in der Fremde an sie denken zu wollen und mich so aufzuführen, daß ich in Ehren im Herbst wieder zurückkehren könne. Dann riß ich mich los und eilte, ohne mich umzusehen, den andern nach, die schon ein Stück voraus waren.
Wir waren eine Truppe von sechzehn Knaben im Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren, unter Führung eines alten Mannes, der schon viele Sommer hintereinander draußen am gleichen Platze arbeitete, im Frühjahr immer eine Anzahl Knaben mitnahm und sie im Herbste auch wieder zurückbrachte.
Die Reise wurde natürlich vollständig zu Fuß ausgeführt und ging über Chur und die Luzisteig hinein ins Liechtensteinische, dann durchs Vorarlberg hinunter nach Bregenz und Lindau und von dort nach Ravensburg. In letztgenannter Stadt mußten wir an einem bestimmten Tage eintreffen, an welchem, wie das zu jener Zeit alle Jahre üblich war, der sogenannte Gesindemarkt abgehalten wurde. Auf diesen Märkten boten sich Dienstboten jeglicher Art den Bauern zum Verding an, und es ging da oft an ein Feilschen, an ein Herausstreichen und Heruntermachen, ärger als an unsern heutigen Viehmärkten.
Unser Führer hatte uns schon unterwegs instruiert, wie wir uns auf diesem Markte zu benehmen hätten, um einen guten Platz zu bekommen, und weil namentlich wir Neulinge uns noch nicht für unser Interesse zu wehren imstande waren, so versprach er, so gut als möglich für uns einzustehen. Wir machten auch aus, an welchem Ort und an welchem Tage wir uns im Herbste wieder treffen sollten zum Zwecke der gemeinschaftlichen Heimreise. Der gute Alte, dem an unserem Wohlergehen viel gelegen war, und der sich in väterlicher Weise um uns annahm, nannte uns dann noch seinen Aufenthaltsort während des Sommers, damit sich ein jeder an ihn wenden könne, wenn er eines Beistandes bedürfe. So betraten wir denn ohne Furcht den Markt und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Wir kamen etwas spät auf dem Marktplatze an, und die Geschäfte waren schon im Gange. Es schien aber, daß viele Bauern auf das Erscheinen unseres Führers gewartet hatten; denn wir waren bald umringt, und viele schüttelten dem Alten als einem guten Bekannten die Hände, ihn fragend, wie es ihm gehe und was er gutes mitbringe. In kaum einer Stunde waren denn auch schon 14 von uns versorgt und nur noch ich und ein anderer blieben zurück, weil wir anscheinend die schwächsten waren. Ich speziell war etwas hoch aufgeschossen und dabei schmächtig und bleich, niemand erkannte in mir den zähen Burschen, der ich in Wirklichkeit war. Es begann mir schon der Mut zu sinken, und ich glaubte, daß mich niemand annehmen wolle, doch der Alte machte uns darauf aufmerksam, daß viele, die er kenne, noch gar nicht erschienen seien und also noch lange keine Veranlassung dazu da sei, zu glauben, wir bekommen keinen Platz; er wolle einmal ein wenig Umschau halten und wir sollen nur ruhig warten, bis er wieder komme. Bald kehrte er auch in Begleitung eines uns freundlich anblickenden Mannes zurück, der nach kurzer Unterhandlung geneigt war, uns anzunehmen. So hatten also auch wir einen Meister, oder wie man das draußen kurzweg nennt, einen »Bauer«, gefunden. Wir dankten unserem Führer und verabschiedeten uns von ihm, dann folgten wir unserem Bauern ins Wirtshaus, wo er sein Gefährt eingestellt hatte. Dort erhielten wir zunächst etwas zu essen, was wir auch wirklich nötig hatten; denn wir waren unterdessen hungrig geworden. Nachher wurde eingespannt und wir fuhren dem zwei Stunden von Ravensburg entfernten Schachenhof zu, wie das Besitztum unseres Bauern hieß.
Als wir gegen Abend dort anlangten, empfing uns die Bäuerin, die uns eine Kammer anwies, unsere Habseligkeiten durchmusterte und alles in einen kleinen Kasten einräumte, den sie uns zur Verfügung gestellt hatte zum gemeinsamen Gebrauch.
Eine Beschreibung des prächtigen Hofgutes, welches nun unsern Aufenthaltsort und unser Tätigkeitsfeld ausmachte, will ich unterlassen. Die großen Bauernhöfe in jener Gegend gleichen sich, was die Art der Bewirtschaftung anbelangt, ja wie ein Ei dem andern. Die Hauptsache war zu jener Zeit immer der Getreidebau; auch Hopfen wurde schon angebaut, wenn auch noch lange nicht in dem Umfange wie heute. Daneben spielte auch die Viehzucht eine Rolle, und auf jedem Hof war eine mehr oder weniger zahlreiche Gänseherde vorhanden. Der Unterschied war aber vorhanden, daß das eine Gut sich vor dem andern durch rationelleren Betrieb hervortat; der eine Besitzer wirtschaftete gut, der andere schlecht. Das war damals schon so, wie es auch heute noch ist. Der Schachenhof nun war eine Musterwirtschaft in jeder Beziehung und wir hatten es also sehr gut getroffen. Wir mußten ja alle Arbeit erst lernen und waren also gewissermaßen nichts anderes als Lehrjungen, und lernen kann man, wie bekannt, da am meisten, wo jede Verrichtung, wenn sie an und für sich auch noch so gering ist, mustergiltig ausgeführt wird. Wir mußten nun aber nicht nur die Arbeit lernen, sondern auch die Sprache; denn die paar Brocken Deutsch, welche wir verstanden, reichten nicht weit. Da brauchte es Geduld von seite unserer Dienstherrschaft und großen Fleiß unsererseits, um sich möglichst schnell in alles hineinzufinden. Weil alles mit uns freundlich war und niemand mehr von uns verlangte, als wir wirklich leisten konnten, so verrichteten auch wir unsere Arbeiten mit Lust und Liebe und setzten alles daran, die Zufriedenheit der Meistersleute und der Nebendienstboten zu erwerben. Es gelang uns dies auch, und wir sahen alle Tage besser ein, daß es ein Glück für uns gewesen sei, gerade hier einen Platz gefunden zu haben.
Meinem Kameraden war die Stelle eines Gänsehirten zugefallen, er hatte sich den ganzen Sommer fast ausschließlich mit diesem Federvieh abzugeben. Das war keine schwere Arbeit, und das Gänsehüten bietet einem Knaben Gelegenheit, dabei faul und gedankenlos zu werden. Der Schachenbauer aber wußte es einzurichten, daß eine gewisse Verantwortlichkeit mit dem Hirtenstand verbunden war. Der Stall mußte immer sauber sein, er mußte pünktlich geschlossen werden, die Futterrationen waren genau einzuhalten, er belehrte den Hirten über den Wert der Tiere, so daß die Arbeiten nicht nur mechanisch verrichtet wurden, sondern man dabei auch unwillkürlich an etwas denken mußte, was den Zweck der Arbeit betraf. Mein Genosse entwickelte einen wahren Eifer, um seinen Pflichten so gut als möglich nachzukommen. Die Bäuerin – zu deren Departement eigentlich die Gänse, sowie sämtliches Geflügel gehörte – belohnte denn auch seinen Fleiß mit manchem Geschenk.