Dem den Russen teuren Gedenken
Nikolai Michailowitsch Karamsins
widmet dieses von seinem Genius
beseelte Werk in Ehrfurcht und Dankbarkeit
Alexander Puschkin
Palast im Kreml (1598, 20. Februar).
Die Fürsten Schuiski und Worotynski.
Worotynski. Wohl sind beauftragt wir, die Stadt zu hüten,
Doch jede Aufsicht, scheint es, ist hier unnütz.
Moskau ist leer; es zog ja alles Volk
Dem Patriarchen nach, zum Kloster hin
Was meinst du, wie wird dieses Treiben enden?
Schuiski. Wie’s enden wird? Das ist nicht schwer zu sagen:
Das Volk wird wieder heulen, wieder jammern –
Boris wird wieder das Gesicht verziehn,
Wie vor dem Glase Branntewein der Säufer,
Und wird zuletzt in seiner Huld die Krone
Demütig anzunehmen sich entschließen.
Und dann – dann herrscht er wieder über uns,
Wie ehedem.
Worotynski. Doch ist’s ein Monat schon,
Daß er ins Kloster schloß sich mit der Schwester
Und scheinbar allem Weltlichen entsagte.
Der Patriarch nicht, die Bojaren nicht
Vermochten ihn bis heute zu bewegen.
Er achtet keiner Mahnung, keiner Tränen,
Hört nicht ihr Flehn, hört nicht auf Moskaus Jammer,
Noch auf die Stimme der vereinten Stände.
Umsonst hat seine Schwester man beschworen,
Durch ihren Segen ihn dem Thron zu weihn;
Die schwergebeugte Zarin, Nonne jetzt,
Bleibt, wie ihr Bruder, fest und unerbittlich,
Als hätt’ er sie mit seinem Geist erfüllt.
Und wie? Wenn in der Tat nun der Regent
Der Herrschersorgen überdrüssig wäre,
Beharrlich den verlaßnen Thron verschmähte?
Was sagst du dann?
Schuiski Ich sage, daß umsonst
Des jungen Zarensohnes Blut geflossen –
Daß, wenn dem so, Dimitri leben könnte.
Worotynski Entsetzliches Verbrechen! Sag, hat wirklich
Boris das Kind gemordet?
Schuiski Wer denn sonst?
Wer dang vergebens denn den Tscheptschugow?
Wer sandte beide Bitiagowski aus
Und den Katschalow? Ich ward selbst nach Uglitsch
Gesandt, den Vorgang zu untersuchen.
Auf die noch frischen Spuren stieß ich hier –
Die ganze Stadt war Zeuge des Verbrechens;
Einmütig sagten’s alle Bürger aus.
Nach meiner Rückkehr konnte durch ein Wort
Ich den versteckten Bösewicht entlarven.
Worotynski Was hielt dich also ab, ihn zu vernichten?
Schuiski Ich muß gestehn, er wußte damals mich
Durch seine dreiste Ruhe zu verwirren.
Er sah mir fest ins Aug’, als wär’ er schuldlos,
Er fragte hin und her, berührte alles
Und ließ mich so das Märchen wiederholen,
Das er mir selber in den Mund gelegt.
Worotynski Du handeltest nicht recht.
Schuiski Was sollt’ ich machen?
Dem Zaren alles kundtun ? Aber Fjodor
Sah alles mit den Augen Godunows,
Hörte nur mit den Ohren Godunows,
Und hätt’ er heute mir geglaubt, schon morgen
Hätt’ ihm Boris den Glauben doch genommen;
Mich aber hätte man vom Hof verbannt
Und eines Tages mich, wie meinen Oheim,
In aller Still’ erwürgt im öden Kerker.
Ich will nicht großtun – wenn es einmal gilt,
Beb’ ich vor keiner Marter wohl zurück;
Ich bin kein Feigling – aber auch kein Dummkopf –
Und steck’ den Hals nicht töricht in die Schlinge.
Worotynski Ein grauser Frevel! Höre, sicherlich
Ist es die Reue, die den Mörder quält.
Es ist das Blut des unschuldsvollen Knaben,
Was ihn zurückscheucht von des Thrones Stufen.
Schuiski. Er schreitet drüber weg, er ist nicht blöde!
Ein schöner Ruhm für uns und für ganz Rußland,
Der Sklave, der Tatar, Maljutas Eidam,
Des Henkers Eidam, selbst geborner Henker –
Wird Kron’ und Halsband Monomachs ergreifen.
Worotynski Gering ist seine Herkunft, wir sind edler.
Schuiski Ich glaub’ es wohl!
Worotynski. Die Schuiski, Worotynski
Sind, leicht gesagt, geborne Fürsten.
Schuiski. Freilich!
Von Ruriks Blut!
Worotynski. Hör, Fürst, dann hätten wir
Doch wohl ein Recht auf Fjodors Thron –
Schuiski. Weit mehr
Als dieser Godunow!
Worotynski. Wahrhaftig!
Schuiski. Nun,
Gibt Godunow sein schlaues Spiel nicht auf,
So ist’s an uns, die Massen aufzustacheln,
Daß sie dem Godunow den Rücken wenden.
Fehlt’s ihnen doch an eignen Fürsten nicht –
Sie mögen einen sich zum Zaren wählen.
Worotynski. Wohl sind wir zahlreich vom Warägerstamme,
Doch schwer wird uns der Kampf mit Godunow.
Schon lange sieht das Volk in uns nicht mehr
Den Nachwuchs seiner kriegerischen Herrscher,
Schon lange sind wir unsrer Länder bar,
Schon lange sind wir nur der Zaren Diener;
Doch er verstand durch Schrecken und durch Milde
Sowie durch seinen Ruhm das Volk zu blenden.
Schuiski sieht zum Fenster hinaus.
Mut hat er, das ist alles. Wir dagegen …
Doch sieh, das Volk hat sich zerstreut, kehrt heim.
Komm, eilen wir, den Ausgang zu erfahren!
*
Der Rote Platz.
Volk.
Erster Nicht zu erweichen! Abgewiesen hat er
Bojaren, Priester und den Patriarchen.
Umsonst sind sie zu Füßen ihm gefallen,
Der helle Glanz des Thrones schreckt ihn ab.
Zweiter. Du lieber Gott! wer wird uns denn regieren?
Oh, weh uns!
Dritter. Sieh, es tritt der Oberschreiber
Heraus, des Rates Spruch uns zu verkünden.
Volk. Seid still, seid still – der Oberschreiber spricht.
St! höret zu!
Schtschtelkalow von der Haupttreppe aus.
Es hat der Rat beschlossen,
Die Macht der Bitte noch ein letztes Mal
An des Regenten Schwermut zu versuchen.
Der heil’ge Patriarch wird morgen früh
Im Kreml feierliches Hochamt halten –
Dann trägt man ihm voran die Kirchenfahnen,
Der Mutter Gottes von Wladimir Bild
Und das vom Don – so will er mit dem Rat,
Mit den Bojaren und den Deputierten
Und mit dem ganzen gläub’gen Volk von Moskau
Hinausziehn und die Zarin nochmals anflehn,
Daß der verwaisten Stadt sie sich erbarme,
Zum Thron Boris durch ihren Segen weihe.
So geht denn nun mit Gott in eure Häuser
Und betet, und zum Himmel steige auf
Der Christenschar inbrünstiges Gebet!
Das Volk geht auseinander.
*
Das Jungfernfeld. Das Neue Jungfernkloster.
Volk.
Erster. Jetzt weilen in der Zarin Zelle sie,
Boris, der Patriarch und viel Bojaren
Sind eingetreten.
Zweiter. Und was hört man?
Dritter. Immer
Noch sträubt er sich, doch kann man Hoffnung fassen.
Ein Weib mit einem Kinde.
Nicht weinen, Kind! Sonst kommt der schwarze Mann
Und schleppt dich weg! Hör auf zu weinen, Herzchen!
Erster. Kann man nicht in den Klosterhof hinein?
Zweiter. Wo denkst du hin? Schon auf dem Felde kommt man
Kaum durchs Gedräng’ – und drinnen erst! Ganz Moskau
Ist hier beisammen – sieh nur, Mauern, Dächer,
Des höchsten Glockenturmes Galerien,
Der Kirchen Kuppeln und die Kreuze selbst
Bekränzt mit Menschen!
Erster. Ja, ein schöner Anblick!
Einer. Was für ein Lärm ist dort?
Ein andrer. Horch, welch ein Lärm!
Es heult das Volk, sie stürzen auf die Knie
In Reih’n, wie Wellenschlag – und noch – und noch –
Jetzt kommt’s an uns, rasch, werfen wir uns nieder!
Volk kniend, Geheul und Schluchzen.
Erbarm dich doch, o Vater, nimm es an,
Sei unser Herr und Zar!
Erster leise. Was weinen sie?
Zweiter. Was wissen wir’s? Das wissen die Bojaren,
Nicht unsereins.
Weib mit dem Kinde. Jetzt, da es weinen soll,
Ist’s still. Wart nur, da kommt der schwarze Mann!
So wein doch, Range! Sie wirft das Kind auf die Erde, das Kind schreit. Endlich!
Erster. Alles weint –
Wir müssen’s auch.
Zweiter. Ich krieg’s nicht fertig.
Erster. Mir
Geht’s ebenso. Hast du nicht eine Zwiebel?
Zweiter. Woher? Mit Speichel geht’s am Ende auch.
Was gibt’s da wieder?
Erster. Ja, wer wird draus klug!
Volk. Er nahm die Krone an – will unser Zar sein –
Boris ist unser Herrscher! Heil Boris!
*
Kreml.
Boris, Patriarch, Bojaren.
Boris. Du, Vater Patriarch, und ihr, Bojaren,
Vor euch liegt meine Seele offen da;
Gesehn habt ihr, daß ich der Herrschaft Zügel
Mit banger Demut in die Hände nehme.
Schwer liegt auf mir die Bürde meiner Pflichten!
Der mächtigen Iwane Erbe bin ich
Und bin der Erbe des verklärten Zaren!
Du Seliger! Mein väterlicher Fürst!
Schau nieder auf die Tränen deiner Treuen
Und sende dem, den du so sehr geliebt,
Den du so wunderherrlich hier erhöht,
Zur Herrscherlaufbahn deinen heil’gen Segen,
Daß ruhmvoll ich mein Volk regieren möge,
In Milde und Gerechtigkeit, wie du!
Von euch erwart’ ich Beistand, ihr Bojaren,
Dient mir, so wie ihr ihm gedienet, als
Ich eure Arbeit noch mit euch geteilt,
Eh’ mir durch Volkes Willen ward die Krone.
Bojaren. Den Eid, den wir geschworen, halten wir.
Boris. Jetzt laßt uns gehn, zu beten an den Särgen
Der Herrscher Rußlands, die im Herrn entschlafen.
Und dann sei unser Volk zum Schmaus geladen
Vom Würdenträger bis zum blinden Bettler –
Sie alle sind als Gäste uns willkommen!
Er geht ab, die Bojaren folgen ihm.
Worotynski. hält den Schuiski zurück.
Du hattest recht!
Schuiski. Was soll’s?
Worotynski. Nun hier, vor kurzem,
Du weißt doch noch?
Schuiski. Ich? Nein, ich weiß von nichts.
Worotynski. Als auf das Jungfernfeld das Volk hinauszog,
Da sprachst du –
Schuiski. Alles darf man nicht behalten;
Zuzeiten ist es ratsam, zu vergessen.
Nur durch verstelltes Schmähen übrigens
Wollt’ ich dich damals prüfen und dein Denken,
Dein innerstes, mit Sicherheit erforschen.
Doch jubelnd grüßt den Zaren schon das Volk;
Man könnte leicht bemerken, daß ich fehle –
Drum geh’ ich hin.
Worotynski. O hinterlist’ger Höfling!
*
Nacht. Zelle im Tschudow-Kloster (1603).
Vater Pimen, Grigori (schlafend).
Pimen schreibt bei einer Lampe.
Nur ein Ereignis noch, es ist das letzte;
Und dann ist meine Chronik abgeschlossen,
Erfüllt die Pflicht, die Gott mir auferlegt,
Mir Sünder. Nicht umsonst hat ja der Herr
Zum Zeugen vieler Jahre mich gemacht
Und mich die Kunst des Schreibens lernen lassen.
Es wird dereinst ein arbeitsamer Mönch
Die treue, namenlose Chronik finden –
Er zündet dann, wie ich, die Lampe an;
Vom Pergament den Staub der Zeiten schüttelnd,
Verzeichnet er die wahrhaften Berichte,
Auf daß der Gläub’gen Enkel innewerden
Des Heimatlandes früheres Geschick,
Daß sie gedenken ihrer großen Zaren
Und ihres weisen, ruhmerfüllten Waltens –
Doch für ihr Unrecht, ihre dunkeln Taten
Demütig zum Erlöser beten mögen.
Im Alter leb’ ich jetzt ein neues Leben,
An mir vorbei zieht die Vergangenheit;
Ist’s lange denn, daß sie, geschwellt von Taten,
Hinrauschte wie ein wilder Ozean?!
Jetzt schweigt der Sturm, und tiefe Ruhe herrscht.
Nicht viel Gesichter hab’ ich im Gedächtnis,
Nicht viele Worte dringen an mein Ohr,
Das andre ist unwiederbringlich hin! …
Doch sieh, es tagt, die Lampe will erlöschen –
Nur ein Ereignis noch, es ist das letzte. Schreibt.
Grigori erwachend. Derselbe Traum! Und schon zum dritten Male?
Verwünschter Traum! … Noch immer vor der Lampe
Sitzt da der Greis und schreibt – kein Schlaf hat ihm
Die ganze Nacht das Auge schließen können.
Wie lieb’ ich seine ruhige Gebärde,
Wenn, ins Vergangene den Geist versenkt,
Er seine Chronik niederschreibt! Schon oft
Sucht’ ich zu raten, was er grade schildert –
Ob der Tataren düstres Herrschertum?
Oder Iwans entsetzlich grausam Wüten?
Das sturmerregte Wetsche Nowgorods?
Des Vaterlandes Ruhm? Vergebens frag’ ich!
Nicht auf der hohen Stirn, nicht in den Blicken
Ist, was er im geheimen denkt, zu lesen.
Dieselbe fromm-ehrwürd’ge Miene stets.
Ganz so blickt der im Amt ergraute Richter
Gelassen auf Gerechte wie auf Schuld’ge,
Vernimmt gleichmütig Gutes sowie Böses
Und weiß von Mitleid nichts und nichts von Zorn.
Pimen Erwacht, mein Bruder?
Grigori Gib mir deinen Segen,
Ehrwürd’ger Vater.
Pimen Segne dich der Herr,
So heute wie in alle Zukunft. Amen.
Grigori Du schriebst und schriebst, und dich beschlich kein Schlummer
Doch meine Ruh’ hat ein Gesicht der Hölle
Gestört, mich ängstigte der böse Feind.
Es träumte mir, daß ich auf steiler Leiter
Erstiegen einen Turm, von dessen Höhe
Moskau wie ein Ameisenhaufen dalag –
Da unten wogte auf dem Platz das Volk
Und mit Gelächter wies es auf mich hin;
Ich schämte mich und war zugleich erschreckt,
Und jählings stürzt’ ich nieder und erwachte;
Und dreimal träumte ich denselben Traum.
Ist das nicht sonderbar?
Pimen Es spielt das junge Blut.
Kasteie dich mit Beten und mit Fasten,
Und sanfte Bilder werden deine Träume
Erfüllen. Bis auf diesen Tag, wenn ich,
Vom Schlummer wider Willen übermannt,
Nicht auf die Nacht ein lang Gebet verrichtet,
So ist mein alter Schlaf nicht fest, nicht sündlos.
Bald zeigen sich mir lärmende Gelage,
Bald Heereszüge und bald Schlachtgetümmel,
Woran die tolle Jugend Freude hat!
Grigori Wie froh verlebtest du die jungen Jahre!
Du hast gefochten unter Kasans Mauern,
Du warfst Litauens Heer zurück mit Schuiski,
Du sahst den Hof Iwans und seine Pracht!
Du Glücklicher! Doch ich, von Kindheit an,
Muß durch die Klosterzellen einsam wandeln,
Warum könnt’ ich nicht auch am Kampf mich freun
Und auch mit schmausen an des Zaren Tafel?
Noch früh genug könnt’ ich wie du im Alter
Verzichten auf das Treiben dieser Welt,
Mich durch das strenge Mönchsgelübde binden
Und in die stille Klause mich verschließen.
Pimen Bedaure nicht, daß du die sünd’ge Welt
So früh verlassen, daß nicht viel Versuchung
Der Höchste dir gesandt. O glaube mir’s,
Von ferne locken Ruhm und Prunksucht uns,
Und ränkevoll umstrickt uns Frauenliebe.
Ich habe lang gelebt und viel genossen,
Doch von der Zeit an weiß ich erst, was Glück ist,
Da mich der Herr ins Kloster kommen ließ.
Die großen Zaren faß ins Auge, Sohn:
Wer steht wohl höher? Gott nur. Wer erhebt
Sich gegen sie? Niemand! Und doch – wie oft
Hat sie der goldne Reif zu schwer gedrückt,
Und sie vertauschten ihn mit der Kapuze.
So nahm auch Zar Iwan, nach Frieden suchend,
Der Mönche stilles Wirken sich zum Vorbild.
Sein Schloß, von stolzen Günstlingen erfüllt,
Nahm eines Klosters Ansehn plötzlich an:
Der Leibtrabant erschien als frommer Mönch
Mit Kappe und im härenen Gewand,
Der grimme Zar als gottesfürcht’ger Abt.
Hier sah ich ihn, in dieser selben Zelle
(Kyrill bewohnte sie damals, der Dulder,
Ein heil’ger Mann – Gott hatte zu der Zeit
Auch mich bereits die Eitelkeit der Welt
Erkennen lassen) – hier sah ich den Zaren,
Von Zorngedanken und vom Strafen müde.
So saß bei uns der Schreckliche, still sinnend,
Wir standen vor ihm, ohne uns zu rühren –
Und leis und milde klangen seine Worte.
Also sprach er zum Abt und zu den Brüdern:
»Ihr Väter, meiner Wünsche Tag wird kommen,
Erscheinen werd’ ich hier, nach Rettung dürstend.
Du, Nikodem … du, Sergej … du, Kyrill,
Ihr all empfanget mein geistliches Gelübde:
Als reu’ger Sünder will ich zu euch kommen,
Zu deinen Füßen knien, Vater Abt,
Und dann in frommes Bußgewand mich kleiden.«
So redete der hochgewalt’ge Herrscher,
Und lieblich floß das Wort von seinen Lippen,
Und weinen sahn wir ihn und flehten heiß
Zum Herrn in Tränen, daß er niedersende
Frieden und Liebe der gequälten Seele.
Und dann sein Sohn Fjodor? Auf dem Thron
Seufzt’ er voll Sehnsucht nach dem stillen Leben
Des stummen Klausners. Er verwandelte
Die Zarenhalle in ein Betgemach.
Da trübten seine reine Seele nicht
Der Herrschaft schwere, kummervolle Sorgen.
Dem Herrn gefiel des Zaren Frömmigkeit,
Und Rußland durfte ehrenvollen Friedens
Sich freuen unter ihm, und als er hinschied,
Begab ein unerhörtes Wunder sich:
Ans Lager trat, vom Zaren nur gesehn,
Ein Mann in außerordentlichem Glanz.
Mit ihm begann Fjodor ein Gespräch
Und nannte ihn erhabner Patriarch.
Und alle rings erfaßte großer Schreck –
Wohl spürten sie die himmlische Erscheinung,
Dieweil der Kirchenfürst in dem Gemach
Sich bei dem Zaren damals nicht befand.
Als er dann hingeschieden war, da füllte
Mit laut’rem Wohlgeruch sich der Palast,
Sein Antlitz aber glänzte wie die Sonne.
Solch einen Zar erblicken wir nicht wieder!
O schreckliches, noch nie erlebtes Leid!
Wir haben Gott erzürnt und schwer gesündigt,
Den Zarenmörder haben wir gesetzt
Zum Herrscher über uns.
Grigori. Schon lange, frommer Vater,
Trieb’s mich, um Auskunft dich zu bitten über
Dimitris, des Zarewitsch, Tod. Damals
Warst du, so heißt’s, in Uglitsch.
Pimen. Ach, jawohl!
Gott führte mich dahin, zu sehn die Untat,
Den blut’gen Frevel. In das ferne Uglitsch
Ward ich zu klösterlichem Dienst gesandt.
Nachts langt’ ich an. Frühmorgens um die Messe
Zieht plötzlich man die Glocke – Sturmgeläut,
Geschrei und Lärm. Man rennt zum Hof der Zarin.
Ich laufe mit. Schon ist die ganze Stadt
Versammelt – hingemeuchelt liegt Dimitri,
Ohnmächtig über ihm die Zarin-Mutter,
Verzweifelnd Klaggeschrei erhebt die Amme,
Her schleppt in wilder Raserei das Volk
Die ruchlose Verräterin, die Wartfrau.
Da zeigt sich plötzlich grimmig, bleich vor Wut,
In ihrer Mitte Judas-Bitiagowski.
Ein Zorngeheul bricht aus: »Das ist der Frevler!«
Im Nu ist er zerrissen. Und das Volk
Stürzt den entflohenen drei Mördern nach.
Aus dem Versteck reißt man die Bösewichter
Und stellt sie an des Knaben warme Leiche.
Und wunderbar – es zitterte der Tote.
»Bekennet!« tönt des Volkes Donnerstimme,
Die Beile drohn, Angst packt die Bösewichter,
Sie beichteten und nannten – den Boris.
Grigori. Wie alt war der Zarewitsch, als er fiel?
Pimen. Nun, sieben Jahre, und jetzt wär’ er schon –
(Zehn Jahre sind es her – nein mehr, schon zwölf)
Er stünde jetzt mit dir in einem Alter
Und wäre Zar – doch anders wollt’ es Gott.
Mit dieser Trauerkunde will ich denn
Auch meine Chronik schließen; seit der Zeit
Vernahm ich wenig von der Welt. – Hör, Bruder,
Durch Lesen und durch Schreiben ist dein Geist
Geweckt – ich übergebe dir mein Werk.
In Stunden, wo die fromme Übung ruht,
Da schreibe nieder, schlicht und ohne Klügeln,
All das, wovon du Zeuge wirst im Leben,
So Krieg als Frieden und der Herrscher Walten,
Geweihter Männer heil’ge Segenswunder,
Des Himmels Zeichen, voll von Vorbedeutung.
Für mich ist’s Zeit, ist’s hohe Zeit, zu ruhn,
Zu löschen meine Lampe. – Doch man läutet
Zur Morgenmesse. Segne du, o Herr,
Die Knechte dein! … Grigori, gib die Krücke. Geht ab.
Grigori. Boris, Boris! Es zittert vor dir alles,
Und niemand wagt es, dich an das Geschick
Des unglücksel’gen Kindes zu erinnern.
Inzwischen aber schreibt in dunkler Zelle
Der Mönch die schwere Klagschrift gegen dich,
Und du entrinnst dem weltlichen Gerichte
So wenig als dem göttlichen Gericht.
*
Palast des Patriarchen.
Patriarch, Abt des Tschudow-Klosters.
Patriarch. Also ist er davongelaufen, Vater Abt?
Abt. Davongelaufen, heiliger Herr, es ist heute der dritte Tag.
Patriarch. Bube, vermaledeiter! Und wo ist er her?
Abt. Er ist aus dem Geschlecht der Otrepjew, Bojarenkinder von Galitsch; wurde in früher Jugend schon Mönch, man weiß nicht wo; lebte dann in Susdal im Jefimjew-Kloster; ging von da fort, trieb sich in verschiedenen Klöstern um und kam endlich in meine Tschudowsche Bruderschaft; ich sah, daß er noch jung und unerfahren war und übergab ihn der Obhut des Vaters Pimen, eines sanften, frommen Greises; der Entflohene war in Büchern bewandert, las unsere Chroniken und machte auch Lobgesänge auf die Heiligen; aber nicht unser Herrgott scheint ihm verholfen zu haben zu seinem Wissen.
Patriarch. Ach geht mir mit diesen Wissenden! Was hat er sich da ausgedacht! »Ich werde Zar sein in Moskau!« Ach, du Gefäß des Satans! Wir wollen aber nicht darüber an den Zaren berichten – wozu unsern väterlichen Herrscher damit behelligen! Es genügt, dem Djak Smirnow oder dem Djak Jefimjew die Flucht zu melden. Solch eine Ketzerei! »Ich werde Zar sein in Moskau!« Man soll ihn einfangen, den Höllensohn, und ihn ins Solowezki-Kloster schicken zu lebenslänglicher Abbüßung. Ist es nicht Ketzerei, Vater Abt?
Abt. Ketzerei, heiliger Herr, wahre Ketzerei.
*
Gemächer des Zaren.
Zwei Hofleute.
Erster. Wo ist der Zar?
Zweiter. Er hat im Schlafgemach
Mit einem Zauberer sich eingeschlossen.
Erster. Ja, das ist seine liebste Unterhaltung:
Wahrsager, Hexenmeister, Zauberinnen –.
Er läßt sich prophezein wie eine Braut.
Was er wohl so herauszubringen sucht ?
Zweiter. Da kommt er selbst. Beliebt dir’s, ihn zu fragen?
Erster. Wie finster blickt er! Beide gehen ab.
Der Zar tritt ein.
Zar. Mein ist nun die Macht.
Fünf Jahre schon regier’ ich ungestört,
Doch Glück kennt meine Seele nicht. Ganz so
Erfaßt uns Liebesglut in jungen Jahren,
Wir schmachten nach Genuß – und stillten kaum
Durch flüchtigen Besitz des Herzens Hunger,
So fühlen Kälte wir und Überdruß!
Umsonst verheißen mir die Zeichendeuter
Ein langes Leben, ungetrübte Herrschaft:
Froh macht mich nicht die Herrschaft, nicht das Leben
Des Himmels Donner hör’ ich grollend nahn.
Mir wird kein Glück zuteil. Mein Volk gedacht’ ich
Durch Wohlstand und durch Ehre zu befried’gen,
Durch Spenden seine Liebe zu gewinnen –
Doch gab ich längst das eitle Mühen auf.
Die Menge haßt den Herrscher, der da lebt,
Zu lieben wissen sie die Toten nur.
Gleich töricht sind wir, wenn des Volkes Jauchzen,
Wie wenn sein Toben uns das Herz bewegt!
Gott sandte Hungersnot in unser Land,
Es jammerte das Volk, erlag den Qualen.
Ich schloß die Speicher ihnen auf und streute
Geld unter sie, ich schaffte ihnen Arbeit –
Sie aber fluchten mir in ihrem Wahnsinn!
Die Feuersbrunst verzehrte ihre Häuser,
Ich baute ihnen neue Wohnungen –
Auf meine Schulter wälzten sie den Brand!
So denkt das Volk – da wirb um seine Liebe!
In meinem Hause dacht’ ich Trost zu finden,
Die Tochter dacht’ ich glücklich zu vermählen –
Da rafft der Tod den Bräutigam hinweg,
Und wieder wirft das tückische Gerücht
Die Schuld an meiner Tochter Witwenschaft
Auf mich, auf mich, den unglücksergen Vater!
Wer immer stirbt – ich bin’s, der alle mordet.
An Fjodors frühem Ende bin ich schuld,
Ich tötete die Zarin, meine Schwester,
Die fromme Nonne! … Alles kommt von mir!
Weh mir! Ich fühl’s, in dieses Lebens Nöten
Kann nichts dem Herzen Frieden geben, nichts –
Es sei denn das Gewissen. Ist es rein,
Dann siegt es über Bosheit und Verleumdung.
Doch hat darin ein einz’ger Flecken nur,
Ein einz’ger sich zufällig eingenistet –
Dann wehe! Wie vom Pesthauch angeglüht,
Verbrennt die Seele, Gift durchströmt das Herz,
Wie Hammerschlag pocht Vorwurf an das Ohr,
Die Kehle ist wie zugeschnürt, mir schwindelt,
Und blut’ge Knaben hüpfen vor den Augen …
Man möchte fliehen – doch wohin? – entsetzlich!
Unselig, wer nicht rein weiß sein Gewissen!
*
Schenke an der litauischen Grenze.
Misail und Warlaam, wandernde Bettelmönche; Grigori Otrepjew in weltlicher Tracht; Wirtin.
Wirtin. Womit kann ich euch aufwarten, fromme Väter?
Warlaam. Was Gott gibt, Frau Wirtin. Habt ihr keinen Wein?
Wirtin. Wie sollten wir nicht, ehrwürd’ge Väter! Ich will ihn gleich holen. Geht ab.
Misail. Was läßt du denn so den Kopf hängen, Gesell? Da ist nun die litauische Grenze, nach der dich so verlangte.
Grigori. Erst muß ich in Litauen sein, dann bin ich ruhig.
Warlaam. Was hast du denn für einen Narren gefressen an dem Litauen? Da sieh mal uns an, den Vater Misail und mich armen Sünder: seit wir aus dem Kloster glücklich entschlüpft sind, denken wir an nichts weiter: Rußland oder Litauen – Krallen oder Klauen – das macht uns wenig Pein – gibt es nur Wein – da bringt man ihn herein!
Misail. Wie sich das prächtig reimt, Vater Warlaam.
Wirtin tritt ein. Hier, liebe Väter. Wohl bekomm’ es euch!
Misail. Danke schön, liebe Frau, segne dich Gott!
Sie trinken. Warlaam stimmt ein Lied an: »In der Stadt Kasan, der schönen …«
Warlaam. Nun, was singst du nicht mit?
Grigori. Ich will nicht.
Misail. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich.
Warlaam. Wer gut zecht, ist im Himmelreich!
Laßt uns ein Gläschen leeren –
der Frau Wirtin zu Ehren…
Singt: »Ward ein junger Mönch geschoren« usw.
Ja freilich, Vater Misail, wenn ich das Trinken treibe – halt’ ich mir Nüchterne vom Leibe. Ein andres ist die Becherei – ein andres die Großsprecherei; willst du leben so wie wir, so bist du willkommen, wenn nicht, so scher dich fort, pack dich: es passen die Laffen nicht zu den Pfaffen.
Grigori. Sauf, aber paß auf dich selber auf, Vater Warlaam! … Du siehst, zuweilen kann ich auch reimen.
Warlaam. Was soll ich aufpassen?
Misail. Laß ihn in Ruh’, Vater Warlaam.
Warlaam. Ja, was ist er denn für ein Betbruder? Hat sich selbst zu uns gedrängt, Gott weiß wer, Gott weiß woher – und tut groß! Er hat wohl an der Stute gerochen… Trinkt und singt.
Grigori zur Wirtin. Wohin führt dieser Weg?
Wirtin. Nach Litauen, Freund, nach den Lujowbergen.
Grigori. Und ist es weit bis zu den Lujowbergen?
Wirtin. Weit ist es nicht, man könnte bis zum Abend dort sein, wenn nicht des Zaren Schlagbäume wären und die Wachtposten.
Grigori. Wie, Schlagbäume? Was soll das heißen?
Wirtin. Es ist einer entflohn aus Moskau, und da ist Befehl gegeben, jedermann anzuhalten und zu untersuchen.
Grigori für sich. Da haben wir die Bescherung.
Warlaam. He, Genosse! Hast dich ja an die Frau Wirtin gemacht.
Fragst nicht nach dem Glase, sondern nach der Frau Base.
Auch gut, Bruder, auch gut! Jeder hat seine Gewohnheiten.
Dem Vater Misail und mir macht nur eines das Herz schwer:
wie kriegen wir den Becher leer? Wir trinken immer noch eins herum –
und stürzen zuletzt den Becher um.
Misail. Schön gereimt, Vater Warlaam.
Grigori. Wen suchen sie denn? Wer ist aus Moskau entflohn?
Wirtin. Ja, Gott weiß wer, ein Dieb, ein Räuber – genug, jetzt können auch die ehrlichen Leute hier nicht durch. Und was kommt dabei heraus? Gar nichts, keinen räudigen Hund werden sie fangen. Als ob es keine anderen Wege nach Litauen gäbe als die Landstraße. Da wendet man sich bloß links von hier und schlägt den Pfad durch den Kiefernwald ein, bis zur Kapelle, die am Tschekanbach steht, von da geht’s grade durch den Sumpf nach Chlopino und von da nach Sacharjewo – und ist man erst dort, so bringt einen jedes Kind nach den Lujowbergen. Von diesen Grenzwächtern hat man weiter nichts, als daß sie die Reisenden plagen und uns arme Leute schinden. Man hört ein Geräusch. Was gibt’s da wieder? Ach, da sind sie, die Verfluchten! Sie machen die Runde.
Grigori. Wirtin! Gibt es nicht noch einen anderen Winkel hier im Hause?
Wirtin. Nein, Bester, ich wäre selbst froh, mich zu verstecken. Da tun sie groß mit ihrer Besichtigung und wollen bloß Wein aufgetischt haben und Brot und was alles noch – daß sie die Pest holen möge, daß sie …
Zwei Grenzwächter treten ein.
Grenzwächter. Guten Tag, Wirtin.
Wirtin. Seid willkommen, werte Gäste. Bitte, tretet doch näher.
Ein Grenzwächter zum andern. Ach! hier wird gezecht; da fällt auch für uns was ab. Zu den Mönchen. Was seid ihr für Leute?
Warlaam. Wir sind gottgeweihte Greise, demütige Mönche, wandern in den Ortschaften umher und sammeln christliche Almosen fürs Kloster.
Grenzwächter zu Grigori. Und du?
Misail. Ist unser Reisegefährte …
Grigori. Ich bin ein Bürger aus der Vorstadt, habe die Alten bis an die Grenze begleitet und will jetzt wieder nach Haus.
Misail. So bist du andern Sinnes …
Grigori leise. Schweig doch!
Grenzwächter Wirtin, bring noch Wein, wir wollen hier mit den Alten eins trinken und plaudern.
Zweiter Grenzwächter. Der Bursch da scheint mir kahl zu sein, bei dem ist nichts zu holen; die Alten aber …
Erster. Nur ruhig, wir wollen ihnen gleich beikommen. Nun, ihr Väter, wie geht die Hantierung?
Warlaam. Schlecht, mein Sohn, schlecht! Die Christenmenschen sind dermalen karg geworden, sind aufs Geld erpicht und halten’s fest, wollen Gott wenig geben. Es ist große Sünde kommen über die Leute. Haben sich alle auf Handel und Wandel und Pfiffe und Kniffe verlegt, denken nur an die Schätze der Welt und nicht an das Heil ihrer Seele. Da wandert man und wandert, betet seinen Spruch her und schlägt in drei Tagen kaum drei Groschen heraus! Über die Sünde! Eine Woche vergeht und noch eine, man guckt in den Beutel, ja, da ist so wenig drin, daß man sich schämt, damit im Kloster zu erscheinen. Was geschieht? Aus Verdruß vertrinkt man auch das wenige. Es ist ein Jammer. Ach, es steht gar schlimm, man merkt, das Ende der Tage ist herangekommen …
Wirtin weinend. O Herr, sei uns gnädig und beschütz uns!
Während der Rede Warlaams hat der erste Grenzwächter den Misail aufmerksam betrachtet.
Erster Grenzwächter. Alexej, hast du des Zaren Befehl bei dir?
Zweiter. Jawohl.
Erster. Gib doch her!
Misail. Was starrst du mich so unverwandt an?
Erster Grenzwächter. Das will ich dir sagen: Aus Moskau ist ein gewisser böser Ketzer entlaufen, mit Namen Grischa Otrepjew. Hast du nicht davon gehört?
Misail. Nein.
Grenzwächter.. Nicht? Auch gut. Nun, diesen flüchtigen Ketzer hat der Zar befohlen, zu fangen und zu hängen. Weißt du davon?
Misail. Gar nichts.
Grenzwächter zu Warlaam. Kannst du lesen?
Warlaam. Ich hab’s in meiner Jugend gekonnt, hab’s aber verlernt.
Grenzwächter zu Misail. Und du?
Misail. Der Herr hat mich nicht erleuchtet.
Grenzwächter. Nun, siehst du, hier ist des Zaren Befehl.
Misail. Was soll er mir?
Grenzwächter. Mir will es vorkommen, daß der flüchtige Ketzer, Dieb, Spitzbube kein anderer ist – als du!
Misail. Ich? Gott bewahre! Was fällt dir ein?
Grenzwächter. Warte! Die Türen zugehalten … Das wollen wir gleich herausbringen.
Wirtin. Ach, die heillosen Plagegeister! Nicht einmal den alten Mönch lassen sie in Ruhe.
Grenzwächter. Wer kann hier lesen?
Grigori tritt vor. Ich kann lesen.
Grenzwächter. Sieh doch mal an!… Wer hat es dich denn gelehrt?
Grigori. Unser Mesner.
Grenzwächter reicht ihm das Blatt. Lies laut!
Grigori liest. »Vom Tschudow-Kloster der unwürdige Mönch Grigori, aus dem Geschlecht der Otrepjew, verfiel in Ketzerei und erfrechte sich, angestiftet vom Teufel, die fromme Bruderschaft durch allerlei Ärgernis und gottlose Reden aufzuhetzen. Aus den angestellten Nachforschungen hat sich ergeben, daß er, der gottlose Grischka, nach der litauischen Grenze zu entflohen ist …«
Grenzwächter zu Misail. Siehst du, daß du es bist?
Grigori. »Und hat der Zar befohlen, ihn einzufangen …«
Grenzwächter. Und aufzuhängen!
Grigori. Hier steht nicht: aufzuhängen.
Grenzwächter. Flunkere nicht! Es wird nicht jedes Wort ausgeschrieben. Du liest: einzufangen und aufzuhängen.
Grigori. »Und aufzuhängen. Und steht der Dieb Grischka im Alter über fünfzig Jahr’ er sieht dabei den Warlaam an, ist von mittlerer Größe, hat eine kahle Stirn, grauen Bart, dicken Bauch.«
Alle sehen auf Warlaam.
Erster Grenzwächter. Kinder! Hier ist der Grischka! Haltet ihn, bindet ihn! Das hätt’ ich nicht gedacht, das hätt’ ich nicht vermutet!
Warlaam reißt das Papier an sich. Halt, ihr Hurensöhne! Wie soll ich der Grischka sein? Wie? Fünfzig Jahre, grauer Bart, dicker Bauch! Nein, Brüderchen, du bist noch zu grün, um mit mir dein Spiel zu treiben. Ich hab’ lange nicht mehr gelesen, und es wird mir sauer, aber wenn es an den Hals geht, bring’ ich’s schon fertig. Liest, mühsam buchstabierend: »Steht – im Al–ter von – zwan–zig Jahren –« Was, Bruder, wo steht da fünfzig? Siehst du? – Zwanzig.
Zweiter Grenzwächter. Ja, ich erinnere mich, zwanzig; so wurd’ es uns auch gesagt.
Erster Grenzwächter zu Grigori. Du bist, scheint’s, ein Spaßvogel, Freundchen.
Während des Lesens steht Grigori mit gebeugtem Kopf, die Hand im Busen.
Warlaam fährt fort. »Von kleinem Wuchse, Brust breit, ein Arm kürzer als der andere, Augen blau, Haare rot, auf der Wange eine Warze, auf der Stirn ebenfalls.« Ja, mein Lieber, das bist am Ende gar du selber?!
Grigori zieht plötzlich einen Dolch; alle weichen vor ihm zurück; er springt zum Fenster hinaus.
Die Grenzwächter. Haltet ihn! Haltet!
Alles rennt in Verwirrung ihm nach.
*
Moskau. Wohnung Schuiskis.
Schuiski nebst vielen Gästen, beim Abendessen.
Schuiski Bringt noch mehr Wein! Er erhebt sich, alle stehen auf.
Wohlan, ihr werten Gäste,
Den Abschiedstrunk! Sprich, Knabe, das Gebet.
Knabe Des Himmels Herr, du, der allgegenwärtig
Und ewig thront, hör deiner Knechte Flehn:
Für unsern Herrscher beten wir zu dir,
Den frommen, den durch deine Gnad’ erkornen,
Den selbstgebietenden Herrn der Christenheit.
Schirm ihn in seinem Schloß und auf dem Schlachtfeld,
Auf seinen Wegen und auf seinem Lager.
Verleih ihm über seine Feinde Sieg,
Laß seinen Ruhm von Meer zu Meer ertönen.
Fröhlich erblühe ihm des Hauses Stamm,
Daß seine edlen Zweige überschatten
Die ganze Welt; uns aber, seinen Knechten,
Bleib er, wie früher, huldreich zugetan,
Voll Milde und langmütigen Erbarmens.
Aus seiner Weisheit unerschöpftem Born
Entquelle auch für uns heilsame Labung.
So bringen diesen Becher wir dem Zaren
Und bitten dich, o Gott, um deinen Segen.
Schuiski trinkt. Lang lebe unser edler, großer Herrscher!
Und nun lebt wohl, ihr meine werten Gäste;
Habt Dank, daß mein bescheidnes Mahl ihr nicht
Verschmähtet. Lebt denn wohl, und gute Ruh’.
Die Gäste entfernen sich; Schuiski gibt ihnen das Geleit.
Afanassi Puschkin. Endlich sind sie fort; nun, Fürst Wassili Iwanowitsch, ich dachte schon, es würde gar nicht möglich sein, mit dir ein Wort allein zu sprechen.
Schuiski zu den Dienern. Was habt ihr hier zu gaffen? Wenn ihr nur immer horchen könnt auf das, was die Herrschaft sagt. Räumt ab, und dann fort mit euch. Was ist es, Afanassi Michailowitsch?
Puschkin. Ja, Wunder sind es, wahre Wunderdinge! Von meinem Brudersohn, Gawrila Puschkin, kam heute früh aus Krakau ein Kurier.
Schuiski Nun?
Puschkin. Seltsam klingt die Botschaft meines Neffen. Der Sohn Iwans … Doch wart. Geht an die Tür und sieht nach.
Der edle Knabe,
Der auf Boris’ Befehl ermordet ward …
Schuiski Das ist doch gar nichts Neues.
Puschkin. Warte nur …
Dimitri lebt.
Schuiski Das nenn’ ich eine Mär!
Der Sohn des Zaren lebt! Fürwahr ein Wunder!
Und ist das alles?
Puschkin. Höre bis zu Ende:
Wer es auch sei, ob der gerettete
Zarewitsch, ob ein böser Geist in seiner
Gestalt, ob nur ein frecher Abenteurer –
Genug, Dimitri ist dort aufgetaucht.
Schuiski Unmöglich.
Puschkin. Puschkin hat ihn selbst gesehn,
Als eben er im Schlosse angelangt war
Und durch die Reih’n der litauischen Herren
Gerad ins Kabinett des Königs schritt.
Schuiski Wer ist er? Woher kommt er?
Puschkin. Das weiß niemand;
Bekannt ist nur, daß er beim Wischnewezki
Als Knecht gedient; daß auf dem Krankenlager
Er sich entdeckte seinem Beichtiger;
Daß, als der Herr vernommen das Geheimnis,
Er nicht zu stolz war, seinen Knecht zu pflegen,
Zu Sigismund zu bringen den Genesnen.
Schuiski Und was spricht man von diesem kecken Burschen?
Puschkin. Er soll verständig sein, freundlich, gewandt
Und allen recht. Die Flüchtlinge aus Moskau
Hat er bezaubert. Die latein’schen Pfaffen
Sind eins mit ihm. Der König schmeichelt ihm
Und hat, so heißt es, Hilf ihm zugesagt.
Schuiski. Das alles, Bruder, ist ein solcher Wirrwarr,
Daß mir der Kopf davon ganz schwindlig wird,
Ein falscher Dimitri ist es ohne Zweifel,
Doch die Gefahr ist freilich nicht gering.
Die Nachricht ist von Wichtigkeit, und dringt sie
Ins Volk, so kann es große Stürme geben.
Puschkin. So groß, daß Zar Boris die Krone kaum
Auf seinem klugen Haupt behalten dürfte.
Und recht geschah’ ihm – er regiert uns ja
Wie Zar Iwan – Gott schütze uns in Gnaden!
Was nutzt es, daß wir nicht mehr öffentlich
Gerichtet werden, nicht auf blut’gen Brettern
Vor allem Volk dem Heiland Psalmen singen?
Daß man uns nicht, wie einstmals, auf dem Marktplatz
Verbrennt, indes der Zar die glühenden Kohlen
Mit seinem Herrscherstab zusammenscharrt?
Sind wir drum unsres armen Lebens sicher?
Es warten unser jeden Tag Verbannung,
Sibirien, Kloster, Kerkerhaft und Ketten,
In öder Wildnis Hungertod und Strang.
Wo sind denn unsre edelsten Geschlechter?
Wo sind die Schestunow, die Fürsten Sizki,
Wo unsres Landes Hoffnung, die Romanow?
Sie leiden der Verbannung herbe Qual.
Hab nur Geduld, dich trifft das gleiche Los.
Sag selber, sind wir nicht im eignen Hause
Umstellt von falschen Knechten wie vom Feind?
Verräterische Zungen überall,
Schurken, die der Regierung sich verkauften!
Wir hängen ab vom ersten besten Sklaven,
Nach dessen Züchtigung der Sinn uns steht.
Da fiel’s ihm ein, den Juritag zu streichen –
Nun sind wir nicht mehr Herr auf unsern Gütern.
Den Faulpelz darfst du nicht vom Hofe jagen,
Du mußt ihn füttern! Keinen Fremden darfst du
Zu dir herüberlocken – das ist strafbar!
Sag, war – selbst unter Zar Iwan – dergleichen
Jemals erhört? Und hat das Volk es besser?
Frag es doch selbst! Laß diesen Schein-Zarewitsch
Ihm nur den alten Juritag versprechen,
Dann ist der Teufel los!
Schuiski. Ja, du hast recht.
Doch höre, Puschkin, über alles dies
Laß uns einstweilen schweigen.
Puschkin. Selbstverständlich
Behält man’s hübsch für sich. Du bist gescheit,
Mit dir zu reden macht mir immer Freude,
Und geht mir eine Sach’ im Kopf herum,
Kann ich es kaum erwarten, dir’s zu sagen.
Zudem hat auch dein Bier, dein würz’ger Met
Mir heut’ die Zunge so gelöst … Doch nun
Leb wohl, mein Fürst.
Schuiski. Leb wohl, auf Wiedersehen!
Geleitet den Puschkin.
*
Palast des Zaren.
Der Zarewitsch zeichnet eine Landkarte. Die Zarewna und ihre Wartfrau.
Xenia küßt ein Miniaturbild. Mein lieber Bräutigam, du schöner Königssohn, nicht mir bist du zu eigen geworden, deiner Braut; nein, dem dunkeln Grabe in fremder Erde. Nie werd’ ich Trost finden, ewig werd’ ich dich beweinen.
Wartfrau Ei, Zarewna! Mädchentränen sind wie Morgentau: die Sonne geht auf und verzehrt ihn. Du wirst einen anderen Bräutigam bekommen, der schön und leutselig sein wird; den wirst du liebhaben, holdes Kind, und wirst den Prinzen Iwan vergessen.
Xenia Nein, Mütterchen, ich werde auch dem Toten die Treue bewahren.
Boris tritt ein.
Zar. Nun, Xenia? Nun, mein liebes, gutes Kind?
Kaum Braut und schon von Witwenschmerz gebeugt!
Noch immer weinst du um den toten Bräut’gam.
Mein Kind, das Schicksal hat mir nicht vergönnt,
Der Stifter eures Erdenglücks zu sein.
Vielleicht hab’ ich des Himmels Zorn verdient,
Und er verwehrte mir, euch zu vereinen.
Doch warum mußt du schuldlos leiden, Kind?
Und du, mein Sohn, was treibst du? Was ist das?
Fjodor. Von unsrem Land ein Abriß: unser Reich
Von einem End’ zum andern. Hier liegt Moskau,
Hier Nowgorod, hier Astrachan. Die See hier,
Und hier die dichten Waldungen von Perm.
Das ist Sibirien.
Zar. Und was windet sich
In Schlangenlinien hier?
Fjodor. Das ist die Wolga.
Zar. Wie schön! Das ist des Lernens süße Frucht!
Du überschaust hier wie aus Wolkenhöhen
Das ganze Reich: die Grenzen, Städte, Flüsse.
Ja, lerne, lieber Sohn! Das Wissen kürzt
Uns die Erfahrungen des flücht’gen Lebens.
Es werden dermaleinst, und bald vielleicht,
Die Länder alle, deren Zeichnung du
So künstlich hier auf dem Papier entworfen,
Der Leitung deiner Hände anvertraut.
Drum lerne, lieber Sohn, du wirst dann leichter
Und klarer deine Herrscherpflicht erkennen.
Semjon Godunow tritt ein.
Sieh, da kommt Godunow mit einer Meldung.
Zu Xenia. Mein Herzenskind, geh jetzt in dein Gemach,
Gehab dich wohl, es tröste dich der Herr.
Xenia geht mit der Wartfrau ab.
Was bringst du mir, Semjon Nikitisch?
S. Godunow. Heute
In aller Früh’ kam Fürst Wassilis Schaffner
Nebst Puschkins Diener zu mir, zu berichten.
Zar. Nun?
S. Godunow. Puschkins Diener meldete, daß gestern
Ganz früh aus Krakau ein Kurier ins Haus
Gekommen und nach einer Stunde schon
Zurückritt ohne schriftlichen Bescheid.
Zar. Man nehm ihn fest!
S. Godunow. Er wird bereits verfolgt.
Zar. Was ist mit Schuiski?
S. Godunow. Er bewirtete
Die Freunde gestern, beide Miloslawski,
Die Buturlin, Michailo Saltykow
Und Puschkin, und noch einige andre mehr.
Man trennte sich erst spät. Puschkin allein
Blieb bei dem Herrn des Hauses noch zurück
Und hatte noch mit ihm ein lang Gespräch.
Zar. Schuiski soll augenblicklich kommen.
S. Godunow. Herr,
Er wartet draußen.
Zar. Rufe ihn herein. S. Godunow geht ab.
Verbindung mit Litauen? Was soll das?
Der Puschkin meuterische Sippschaft hass’ ich,
Und diesem Schuiski ist auch nicht zu traun,
Er ist geschmeidig, aber kühn und schlau …
Schuiski tritt ein.
Ich habe zwar mit dir zu reden, Fürst,
Doch scheint’s, du habest selbst was vorzubringen,
Und darum will ich dich zuvor vernehmen.
Schuiski. Ja, Herr, dir wicht’ge Botschaft kundzutun,
Treibt mich die Pflicht.
Zar. Ich höre dich.
Schuiski leise auf den Zarewitsch deutend. Doch, Herr …
Zar. Wovon Fürst Schuiski Wissenschaft besitzt,
Das darf auch der Zarewitsch wissen. Sprich.
Schuiski. Aus Litauen, Herr, kam Nachricht …
Zar. Wohl dieselbe,
Die gestern ein Kurier dem Puschkin brachte?
Schuiski. Er weiß um alles! … Herr, ich war der Meinung,
Daß dies Geheimnis dir noch nicht bekannt sei.
Zar. Das kann dir gleich sein. Die Berichte will ich
Zusammenhalten – nur auf diese Weise
Erfahren wir die Wahrheit.
Schuiski. Herr, ich weiß
Nur, daß ein falscher Zar in Krakau auftritt,
Vom König und vom Adel unterstützt.
Zar. Was sagt man denn? Wer ist der falsche Zar?
Schuiski. Ich weiß es nicht.
Zar. Wo liegt denn die Gefahr?
Schuiski. Dein Thron, o Zar, steht freilich fest – du hast
Durch Huld und treues Walten und durch Wohltun
Die Herzen deiner Knechte dir gewonnen.
Doch weißt du selbst: der blöde Pöbel ist
Veränderlich, rebellisch, abergläubisch,
Er überläßt sich eitler Hoffnung gern,
Gehorcht der Eingebung des Augenblicks,
Ist gegen Wahrheit taub und unempfänglich
Und saugt aus Fabeln seine liebste Nahrung.
Ein dreistes Wagen sagt ihm immer zu –
Darum, hat dieser unbekannte Strolch
Litauens Grenze einmal überschritten,
So treibt Dimitris auferstandner Name
Die Narren ihm in hellen Haufen zu.
Zar. Was sagst du da? Dimitris, jenes Knaben?
Dimitris? Wie? … Mein Sohn, laß uns allein.
Schuiski. Er ward ganz rot … Es ist ein Sturm im Anzug.
Fjodor. Herr, darf ich nicht? …
Zar. Nein, Sohn, es geht nicht, laß uns …
Fjodor geht ab. Dimitris! …
Schuiski. Ah! Er hat von nichts gewußt.
Zar. Hör, Fürst: Maßregeln sind sofort zu treffen,
Rußland ist gegen Litau’n abzusperren
Durch dichte Posten; es darf keine Seele
Die Grenze überschreiten, ja kein Hase
Aus Polen darf herüber, keine Krähe
Von Krakau hierherfliegen. Geh ans Werk.
Schuiski. Sogleich.
Zar. Halt, noch etwas. Nicht wahr, die Nachricht
Ist spaßhaft? Hast du jemals schon gehört,
Daß Tote aus den Gräbern auferstehn,
Um Zaren vor Gericht zu stellen – Zaren,
Die sich das Volk gesetzt hat und erwählt
Und die der heil’ge Patriarch gesalbt?
Das ist zum Lachen, wie? Was lachst du nicht?
Schuiski. Ich, Herr? …
Zar. Noch eine Frage, Fürst Wassili.
Als ich damals erfuhr, daß man den Knaben …
Daß dieser Knabe umgekommen sei,
Schickt’ ich dich hin, den Fall zu untersuchen.
Im Namen Gottes jetzt und bei dem Kreuze
Beschwör’ ich dich, die Wahrheit zu gestehn:
Hast den erschlagnen Knaben du erkannt?
Fand nicht Vertauschung statt? Gib Antwort!
Schuiski. Herr,
ich schwöre dir …
Zar. Nein, Schuiski, schwöre nicht,
Sag einfach: der Zarewitsch war es!
Schuiski. Ja!
Zar. Bedenk es, Schuiski. Ich will gnädig sein –
Ich will nicht frühre Lüge durch die Acht,
Die nichts mehr fruchtet, strafen. Aber wenn
Du jetzt mich hintergehst – beim Haupt des Sohnes
Schwör’ ich’s –, dann trifft so harte Strafe dich,
Daß selbst der Zar Iwan Wassiljewitsch
In seinem Grab erzittert vor Entsetzen.
Schuiski. Mich schreckt die Strafe nicht, mich schmerzt dein Zürnen!
Wie dürft’ ich’s wagen, falsch vor dir zu sein?
Und hätt’ ich wohl so grob mich täuschen können,
Daß ich Dimitri nicht erkannt? Drei Tage
Besucht’ ich in der hohen Kathedrale
Den Leichnam, von der ganzen Stadt begleitet.
Es lagen dreizehn Tote um ihn her,
Die in der Wut das Volk zerrissen hatte,
Und sie begannen merklich zu verwesen.
Doch des Zarewitsch kindlich Antlitz blieb,
Wie eines Schlummernden, frisch, klar und ruhig.
Es war die tiefe Wunde nicht geronnen,
Es hatten sich die Züge nicht verändert;
Nein, Herr, es leidet keinen Zweifel. Dimitri
Liegt tot im Sarg.
Zar. Genug, du kannst jetzt gehn.
Schuiski geht ab.
Oh, wie mir schwer ist. Ich muß Atem schöpfen!
Ich hab’ es wohl gefühlt, daß alles Blut
Mir ins Gesicht schoß und nur langsam wich.
Das also war’s, warum ich dreizehn Jahre
Im Traum stets das blut’ge Kind gesehn?
Ja, ja, das ist’s! Jetzt erst versteh’ ich’s ganz.
Wer aber ist denn dieser Widersacher?
Wer droht mir denn? Ein leerer Nam’, ein Schatten.
Entreißt ein Schatten wohl mir meinen Purpur?
Und raubt ein Schall ihr Erbe meinen Kindern?
Tor, der ich bin! Was bringt mich so in Schrecken?
Ein Hauch auf dies Gespenst, und es verschwindet!
So sei’s! Ich werfe jede Furcht von mir!
Doch heischt die Klugheit, nichts geringzuachten.
Schwer lastest du, o Krone Monomachs!
*
Krakau. Haus Wischnewezkis.
Der falsche Dimitri und Pater Tschernikowski.
Dimitri. Nein, würd’ger Pater, schwierig wird’s nicht sein.
Ich kenne meines Volkes Geist genau:
Frei ist sein Glauben von fanat’scher Wut,
Und heilig ist ihm seines Zaren Beispiel;
Auch ist ja Duldsamkeit gelaßnen Sinns.
Noch eh’ zwei Jahr’ vergehn, des bin ich Bürge,
Wird Rußland und die ganze nördliche Kirche
Des röm’schen Stuhles Hoheit anerkennen.
Pater. Es steh dir bei der heilige Ignatius,
Wenn einmal andre Zeiten kommen werden.
Inzwischen aber birg in deinem Busen
Des Himmelssegens Aussaat, edler Prinz.
Uns zu verstellen vor der blöden Welt,
Wird oft für uns ein geistliches Gebot.
Die Menschen richten, was man sagt und tut,
Die Absicht aber sieht nur Gott allein.
Dimitri. Amen. Wer kommt? Ein Diener tritt ein.
Sag nur, daß wir empfangen.
Die Türen gehen auf, eine Menge Russen und Polen treten ein.
Genossen! Morgen geht es fort aus Krakau!
Bei dir in Sambor, Mnischek, halt’ ich mich
Drei Tage auf; ich weiß, dein gastlich Schloß
Glänzt nicht allein durch seine edle Pracht!
Weit höhern Ruhm verleiht ihm seine Wirtin.
Die reizende Marina hoff ich dort
Zu sehn. Ihr aber, meine Freunde, Polen
Und Russen, die das Banner brüderlich
Erhoben gegen den gemeinsamen Feind,
Der mich voll Arglist zu vernichten trachtet –
Ihr Slawensöhne! Eure grimmen Scharen
Führ’ ich nun bald in den ersehnten Kampf.
Doch seh’ ich hier Gesichter, die mir neu.
Gawrila Puschkin. Sie kamen, um in deinem Dienst das Schwert,
Wenn du’s vergönnst, zu führen.
Dimitri. Freut mich, Kinder.
Zu mir, ihr Freunde! Aber sag mir, Puschkin,
Wer ist der schöne Jüngling dort?
Puschkin. Fürst Kurbski.
Dimitri zu Kurbski. Ein stolzer Name! Bist du ein Verwandter
Des Helden von Kasan?
Kurbski. Sein Sohn.
Dimitri. Er lebt noch?
Kurbski. Er starb.
Dimitri. Groß war im Feld er wie im Rat.
Doch von der Zeit ab, da man ihn gesehn
Als grimm’gen Rächer der erlittnen Kränkung
Mit Litau’ns Heer vor Olgas alter Stadt –
Vernahm man weiter nichts von ihm.
Kurbski. Mein Vater
Beschloß sein Leben in Wolhynien,
Auf Gütern, die Báthory ihm geschenkt.
Da hat er still und einsam dann gelebt
Und bei den Wissenschaften Trost gesucht.
Doch hat dies friedlich Tun ihm nicht genügt,
Stets mußt’ er seiner Jugend Heimat denken
Und sehnte sich nach ihr bis an sein Ende.
Dimitri. Beklagenswerter Feldherr du! Wie strahlte
Der Anfang deines sturmbewegten Lebens!
Ich freue mich, mein hochgeborner Kämpe,
Daß sich dem Vaterland sein Blut versöhnt.