Ebook Edition

Stefan Bach

Unsere Steuern

Wer zahlt? Wie viel? Wofür?

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ISBN 978-3-86489-573-9

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2016

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhaltsverzeichnis

Überblick Steuermythen
Überblick Steuerinfos
Einleitung: unsere Steuern, das Geld der Gesellschaft
1 Grundlagen: Steuern und andere öffentliche Einnahmen
Steuern: Zwangsabgaben ohne Gegenleistung
Kaum zu überblicken: Welche Steuern gibt es?
Unterschiedliche Belastung: direkte und indirekte Steuern
Steuerüberwälzung: Wer bezahlt tatsächlich?
Einkommensteuer: Umverteilung mit angezogener Handbremse
Unternehmens- und Kapitaleinkommen: Begünstigung durch duale Einkommensteuer
Mehrwertsteuer: Masse füllt die Kasse
Energiesteuern: pro Umwelt und Finanzkasse
Sündensteuern: rauchen, saufen, zocken, kiffen
Vermögensteuern: Schonung der wirklich Reichen
Sozialbeiträge: Versicherungsbeiträge statt Steuern
Gebühren und sonstige Beiträge: Entgelte für staatliche Serviceleistungen
Sonderabgaben und Quasi-Steuern: vom Kohlepfennig über die Filmabgabe bis zur Bankenabgabe
Örtliche Verbrauchs- und Aufwandsteuern: von der Hundesteuer über die Kurtaxe bis zur Sexsteuer
Markteinkommen, Schulden und Steuern
Steuern auf das Geld: Seigniorage, Inflationssteuer und finanzielle Repression
Steuerrechtsordnung: Ordnung muss sein
Internationales Steuerrecht: Steuern ohne Grenzen
2 Steuerziele und -ideologien: zwischen Neoliberalismus und Wohlfahrtsstaat
Fiskalisches Ziel: Finanzierung öffentlicher Güter
Steuern mit Steuern
Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
Optimale Besteuerung: Effizienz vs. Gerechtigkeit
Vollzugskosten des Steuersystems nicht vergessen
Marktversagen vs. Staatsversagen
Steuerpolitische Leitbilder
3 Steuerbelastung: Wie hoch ist sie, und wer trägt sie?
Gesamtwirtschaftliche Steuerbelastung: keine »Rekordeinnahmen«
Niedrigsteuerland Deutschland, hohe Sozialbeiträge
Wofür gibt der Staat das Geld aus?
Wer trägt die Steuerbelastung?
4 Steuerreform: eine ewige Baustelle
Warum sind alte Steuern gute Steuern?
Kalte Progression und Regression: Steuertarife auf Rädern?
Linear-progressiver Einkommensteuertarif statt Mittelschichtbauch: zurück zu Kohl und Waigel
Stufentarif bei der Einkommensteuer: von der FDP zur AfD
Familienbesteuerung »und das ganze Gedöns«: Ehegattensplitting, Kinderfreibetrag und Kindergeld
Kapitalertragsteuern: Stopp des Steuersenkungswettlaufs
Unternehmensteuern: Lässt sich der Steuerwettbewerb stoppen?
Mehrwertsteuersätze: Schnittblumen und Tierfutter ermäßigt, Kinderkleidung und Medikamente nicht
Energiesteuern vorsichtig erhöhen – Verbrauchsteuern regelmäßig an die Inflation anpassen
Gewerbesteuer: Zombie des Steuersystems
Grundsteuer: Einheitswerte von 1964 im Westen und von 1935 im Osten
Grunderwerbsteuer: Tobin-Tax der Häuslebauer und Mittelschichten
Erbschaftsteuer: schlummernde Reichensteuer
Vermögensteuer: Wie macht man es, ohne es zu tun?
Föderalismusreform: steuerpolitisch mutlose Länder
Integration von Steuer- und Transfersystem: von der negativen Einkommensteuer zum bedingungslosen Grundeinkommen
Wo kann der Staat sparen, und wo muss er mehr ausgeben?
5 Steuerpolitische Agenda 2020
Steuerpolitische Ideale und Konflikte
Reformkonzepte im Vergleich
Ausblick: Wohin entwickelt sich unser Steuerstaat?
Literaturempfehlungen
Anmerkungen
Dank
Literaturempfehlungen

Überblick Steuermythen

Überblick Steuerinfos

Einleitung: unsere Steuern, das Geld der Gesellschaft

»Les finances sont les nerfs de la République«, schrieb der frühmoderne französische Staatstheoretiker Jean Bodin 1576. Wenn die Finanzen die Nerven des Staats sind, dann sind es die Steuern, die nerven? Unser Staat ist »Steuerstaat«, denn er finanziert seine Ausgaben überwiegend mit Steuern. Die machen 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus, also des gesamtwirtschaftlichen Einkommens, zusammen mit den Sozialbeiträgen sind es sogar 39 Prozent. Von jedem erwirtschafteten Euro werden also 39 Cent vom Staat kassiert und wieder ausgegeben.

Die Steuern sind das Geld der Gesellschaft. Damit bezahlen wir die öffentlichen Dienstleistungen, die es auf dem Markt nicht zu kaufen gibt: Infrastruktur, Rechtsordnung, soziale Sicherung, Umverteilung, Polizei, Militär sowie viele Gesundheits-, Bildungs- und Kulturangebote. Das sind »öffentliche Güter«, von denen alle profitieren. Da man den einzelnen Bürger oder das einzelne Unternehmen nicht von deren Nutzung ausschließen kann, müssen sie kollektiv organisiert und über Steuern finanziert werden. Sonst gäbe es diese Leistungen nicht oder nur in geringem Umfang – der traurige Blick auf gescheiterte Staaten macht das deutlich. Die Steuern müssen daher mit hoheitlichem Zwang durchgesetzt werden, damit sich niemand drückt.

Der Steuerstaat ist Voraussetzung der privatkapitalistischen Marktwirtschaft, ihr Partner, aber auch ihr Gegengewicht. Gute öffentliche Leistungen sind unerlässlich für Wachstum und Wohlstand. Zugleich nimmt der Staat mit den Steuern den Bürgern und Unternehmen Teile ihres Einkommens weg, ohne unmittelbare Gegenleistung. Der Steuerstaat ist eine Kollektivwirtschaft in der Marktwirtschaft, ein Sozialismus im Kapitalismus, eine kleine DDR in der großen BRD. Daher sind die Neoliberalen, die das ideologische Rüstzeug für den modernen Kapitalismus liefern, grundsätzlich skeptisch gegenüber Staat und Steuern. Der Staat ist ihnen zu groß und zu verschwenderisch, die Steuern sind ihnen zu hoch, da sie vermeintlich die Wirtschaft bremsen. Diese Ideologie war zeitweise recht populär und hatte großen Einfluss auf die Steuer- und Finanzpolitik – in Deutschland bemerkenswerterweise unter der rot-grünen Regierung von 1998 bis 2005.

Die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 hat dem real existierenden Kapitalismus jedoch seine Grenzen aufgezeigt. Die Finanzmärkte standen vor dem Zusammenbruch und mussten vom Staat rausgehauen werden. Seitdem schwächelt die Wirtschaft in vielen Ländern, die Zentralbanken fluten die Kapitalmärkte mit unvorstellbar viel Geld, um »die Pferde wieder zum Saufen« zu bringen. Zinsen und Altersvorsorge der Mittelschichten schmelzen zusammen, während die Vermögen der Reichen und Superreichen durch den Börsen- und Immobilienboom kräftig steigen. Seitdem finden Linksliberale und Linke wieder mehr Gehör, wenn sie auf Marktversagen hinweisen und die Kapitalismuskritik wiederbeleben. Sie verlangen einen stärkeren Staat, mehr öffentliche Leistungen und höhere Steuern, vor allem für Wohlhabende. Politisch konnten sie damit aber bisher kaum durchdringen – profitiert haben in den letzten Jahren vor allem Rechtspopulisten, die zumeist staats- und steuerkritisch eingestellt sind.

Ihre große wirtschaftliche und ideologische Bedeutung machen die Steuern zu einem schier unerschöpflichen Thema für Diskussionen auf allen Ebenen, von der großen Politik bis zum Stamm- und Küchentisch. Gemessen daran ist der Informationsstand über unser Steuersystem eher bescheiden. Wissen Sie, wie hoch Ihre Steuerbelastung ist? Im Vergleich zu den Armen oder den Reichen? Wie viel Einkommensteuer zahlen Sie, absolut und relativ zum Einkommen? Kennen Sie den Unterschied zwischen Grenz- und Durchschnittsteuersatz? Sind die Sozialbeiträge Steuern oder eher Versicherungsbeiträge? Wie stark werden unsere Ausgaben mit indirekten Steuern belastet, also mit Mehrwertsteuer, Energiesteuern und anderen Verbrauchsteuern? Und vor allem: Wie wirken die Steuern? Sind sie gut oder schlecht für die Wirtschaft? Wer trägt die Steuerbelastung, wenn man die wirtschaftliche Überwälzung der Steuern berücksichtigt?

Um die Steuern ranken sich viele Mythen, Vorurteile und Irrlehren. Die wichtigsten sind, dass Steuern der Wirtschaft schaden, Steuersenkungen sich selbst finanzieren oder Reiche keine Steuern zahlen. Die skurrilsten sind, dass 80 Prozent der weltweiten Steuerliteratur deutsch sind oder der Steuerspartrieb in Deutschland stärker ausgeprägt ist als der Geschlechtstrieb – in den Medien oder am Stamm- und Küchentisch wird dergleichen immer wieder behauptet. Viele Bürger überschätzen ihre Steuerbelastung bei der Lohn- und Einkommensteuer. Häufig rechnen sie die Sozialbeiträge für Rente, Krankenkasse und Arbeitsamt dazu. Zugleich lehnen sie Steuererhöhungen für wirklich Reiche ab, weil sie sich überbelastet fühlen und fürchten, selbst davon betroffen zu sein. Daher ist die Erbschaftsteuer unpopulär, obwohl nur sehr wenige sie zahlen. Die indirekten Steuern, die vor allem die unteren und mittleren Einkommen relativ stark treffen, werden dagegen als weit weniger belastend wahrgenommen. Daher sollten die Normalbürger der Mittelschichten, die bei Sozialbeiträgen, indirekten Steuern und »kalter Progression« kräftig zur Kasse gebeten werden, eigentlich ein Interesse an höheren Steuern für die Reichen haben, vorausgesetzt, sie schaden Wirtschaft und Wachstum nicht.

Nicht nur Bürger und Medien, auch die Politiker hadern regelmäßig mit der Steuerpolitik. Sie glauben, damit punkten zu können, um dann häufig damit zu scheitern. So hätte Angela Merkel ihren sicheren Wahlsieg 2005 fast vermasselt, als sie mit Paul Kirchhof den damals bekanntesten Radikal-Steuerreformer als designierten Finanzminister in ihr Wahrkampfteam berief. Dessen romantisch-konservative Ansichten zu Wirtschaft und Gesellschaft verschreckten Mittelschichten und wirtschaftliche Eliten gleichermaßen. Die FDP hatte im Bundestagswahlkampf 2009 Steuersenkungen versprochen und damit ein sensationelles Wahlergebnis eingefahren. In der Koalition mit der Union konnte sie jedoch nichts davon durchsetzen – und verschwand danach in der politischen Versenkung. In den letzten Jahren wurde die Steuerpolitik ein linkes Thema. Angesichts von zunehmender Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen wollten die rot-grünen Parteien die Reichen im Land wieder stärker zur Kasse bitten. Das verunsicherte viele bürgerliche Wähler von SPD und Grünen, denen die Steuern eigentlich hoch genug sind. Das rot-grüne Debakel bei der Bundestagswahl 2013 hat auch damit zu tun.

Mythen und Fehleinschätzungen entstehen, weil das Steuersystem kaum zu überschauen ist, geschweige denn dessen Wirkungen. Im Steuerdschungel sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Da hält man sich gerne an einfachen Erklärungen fest. Apropos einfach: Steuervereinfachung wird in jedem Regierungsprogramm versprochen – tatsächlich wird es bei den Steuerreformen meist komplizierter als vorher. Auch die Steuerexperten streiten sich wie die Kesselflicker über das richtige Steuersystem. Neben der ideologischen Grundfrage, ob man mehr Wachstum oder mehr soziale Gerechtigkeit will, weiß man häufig gar nicht genau, wie die Steuern wirken. Denn wenn jemand Steuern zahlt, heißt das noch lange nicht, dass er sie wirklich trägt, unter Berücksichtigung von wirtschaftlichen Anpassungen. Steuern werden vor- und zurück-, kreuz- und quergewälzt, weil die Steuerpflichtigen darauf reagieren und ihnen ausweichen. Besonders erfolgreich sind dabei Großkonzerne und Superreiche, die ihr Geld gerne in Steueroasen parken und zwischen den verschiedenen Steuersystemen jonglieren. Die Steueroase von Otto Normalbürger ist die Schwarzarbeit oder der Minijob. Diese Wirkungen zu schätzen ist ziemlich schwer und nur mit großen Unsicherheiten möglich, weil man darüber nichts Genaues weiß. Daher nehmen Lobbyisten und Politiker die Experten nur bedingt ernst, nach dem Motto: fünf Experten mit sieben Meinungen. Sie picken sich aus den Forschungsergebnissen das heraus, was ihnen gut passt, und verlassen sich auf ihr Bauchgefühl. Meistens geht das gut, bisweilen hat es aber fatale Folgen.

In diesem Buch wird versucht, Sichtachsen durch den Steuer­dschungel zu schlagen. Fakten und Zahlen über Steuern und Wirtschaft zu kennen schadet nie. Wichtig zum Verständnis unseres Steuersystems ist auch seine Entwicklung, denn viele kuriose bis ärgerliche Steuerregeln sind nur historisch und politisch zu erklären. Außerdem kann die Steuerpolitik nicht einfach ein ideales Steuersystem am Reißbrett neu entwickeln, so wie Paul Kirchhof, sondern muss vom Bestehenden ausgehen und Bestandsinteressen berücksichtigen. Dabei muss verhandelt und gefeilscht werden, bis sich die Balken biegen, um die verschiedenen Interessen auszugleichen. Hier müssen harte Kompromisse gefunden werden. Und die sind nach Henry Kissinger, dem Altmeister der Realpolitik, dann gerecht, brauchbar und dauerhaft, wenn damit alle gleich unzufrieden sind. Kein Wunder also, dass viele über das Steuersystem schimpfen. Das ist völlig normal, das war immer schon so, und das wird immer so sein, da es nicht anders geht.

Zentral für die Steuerpolitik ist der klassische Zielkonflikt zwischen wirtschaftlicher Effizienz und Wirtschaftswachstum einerseits sowie Umverteilung und sozialer Gerechtigkeit andererseits, vornehm neudeutsch ausgedrückt: der »equity-efficiency trade-off«. Wir werden sehen, dass es diesen Konflikt tatsächlich gibt – aber er ist zumeist nicht so groß, wie viele glauben und wie es uns neoliberale Ideologen bis heute weismachen wollen. Gerade die Mittelschichten, die sich gerne an den Reichen orientieren oder von diffusen Abstiegsängsten geplagt sind, fallen häufig darauf rein. Sie merken nicht, dass seit zwanzig Jahren die Reichen immer reicher werden und zugleich steuerlich entlastet wurden, während sie selbst mit mickrigen Einkommenszuwächsen vorliebnehmen mussten, die von steigenden Verbrauchsteuern und kalter Progression aufgezehrt werden. Außerdem verfällt die öffentliche Infrastruktur, und die staatlichen Leistungen sind schlechter geworden. Langfristig werden die Staatsaufgaben nicht kleiner, sondern eher größer angesichts der sich abzeichnenden Herausforderungen des demografischen Wandels und der strukturellen Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Durchgreifende Steuersenkungen sind daher auf Jahrzehnte nicht zu erwarten. Umso wichtiger ist es, die Belastungswirkungen des Steuersystems im Blick zu behalten und seine Interessen zu wahren.

Zugleich sollten wir uns vor zu viel linksliberaler Sozialromantik hüten und es nicht übertreiben mit Umverteilung, Staatswirtschaft und Ökosozialismus. Das Grundeinkommen für alle ist eine schöne Utopie – und die soll es auch bleiben. Unsere Beamten und ihre Bürokratie sind zwar besser als ihr Ruf, aber eben auch nicht gerade ein Ausbund an wirtschaftlicher Effizienz. Natürlich kann und soll der Staat auch sparen – in allen Politikbereichen gibt es teure Symbolpolitik, die letztlich nicht viel bringt. Daher sollten wir immer wieder die öffentlichen Budgets durchforsten, die Ausgabenprogramme evaluieren und die Verwaltungsorganisation verbessern, um mehr Luft zu haben für notwendige Zukunftsinvestitionen. Dann kann man die Reichen auch wieder moderat höher besteuern. Denn wenn den Besitzbürgern und wirtschaftlichen Eliten signalisiert wird, dass die Steuergelder sinnvoll verwendet werden, sind sie eher bereit, hohe Steuerbelastungen zu akzeptieren, siehe Skandinavien.

Bei unserer Expedition durch den Steuerdschungel wird es nicht nur um Politik und Wirtschaft gehen. Auch der Servicegedanke soll nicht zu kurz kommen, denn wir wollen ja fürs Leben lernen. Bei der Einkommensteuer gibt es auch für Mittelschichtbürger immer noch viele Vergünstigungen und Gestaltungsmöglichkeiten, die man zum Steuernsparen nutzen kann. Nutzen Sie also die Pendlerpauschale oder das Ehegattensplitting, solange es diese Vergünstigungen noch gibt! Andere haben noch viel höhere Steuerprivilegien, etwa die schwerreichen Unternehmenserben, die Firmenbeteiligungen im Wert von zwei- bis dreistelligen Millionenbeträgen erbschaftsteuerfrei übertragen bekommen und zudem von den Steuergestaltungsmöglichkeiten der Firmen profitieren. Aber unterstützen Sie die Abschaffung dieser Steuerprivilegien, denn sonst kommt nie etwas heraus bei der Steuervereinfachung und beim Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen. Wenn Sie schon das Finanzamt betrügen, dann prahlen Sie nicht damit am Stammtisch oder beim Seitensprung, sondern schweigen und genießen Sie. Und wenn Sie dabei erwischt werden – bei der Steuerhinterziehung oder auch beim Seitensprung –, geben Sie alles zu und tun Buße, wie Uli Hoeneß.

1 Grundlagen: Steuern und andere öffentliche Einnahmen

Steuern: Zwangsabgaben ohne Gegenleistung

Deutschland ist ein ordentliches Land, in dem alles genau geregelt ist. Das gilt natürlich auch und gerade für die Steuern. Diese lenken einen erheblichen Teil unseres Einkommens in die Staatskassen. Damit sind sie staatliche Hoheitsverwaltung par excellence, mit der die meisten Bürger regelmäßig zu tun haben.

Das Grundgesetz unseres Steuerstaats ist die Abgabenordnung. Dort finden sich die zentralen Regelungen zum Besteuerungsverfahren bis zum Steuerstrafrecht. Die Steuern sind in Paragraf 3, Absatz 1, der Abgabenordnung definiert.

Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.

Das klingt erst mal furztrocken und respektheischend, wie es sich für Grundlagen der Rechtsordnung gehört, enthält aber knapp zusammengefasst alles Wichtige. Und im Vergleich zu den Bleiwüsten und Paragrafenverhauen, die unsere Gesetzgebungsmaschinerie ständig produziert, ist die Formulierung eine reine Wohltat. Gehen wir die einzelnen Elemente durch.

Steuern sind Geldleistungen, …

Klar, Steuern werden mit Geld bezahlt, wie sonst? Zum Beispiel in Form von realen Dienstleistungen. »Hand- und Spanndienste« nannte man das früher, wenn der Fürst vorfuhr und die Bauern Pferde stellen und Teile ihrer Ernte abliefern mussten. Restbestände davon gibt es heute noch: Die vor einigen Jahren abgeschaffte Wehr- und Zivildienstpflicht war die bedeutendste. Zum Schöffendienst bei Gericht kann man dienstverpflichtet werden, das gilt übrigens auch für die Feuerwehr – glücklicherweise finden sich dafür zumeist genügend Freiwillige.

Ansonsten beschäftigt der Staat eigene Leute, die sich um das Gemeinwohl kümmern, und der Bürger zahlt dafür mit Steuern. Das muss so sein in einer komplexen Wirtschaft und Gesellschaft mit vielen öffentlichen Aufgaben. Aber auf lokaler Ebene, etwa in der Kommunalpolitik oder in den gesellschaftlichen Organisationen und Vereinen, spielen Ehrenamt und freiwilliges Engagement der Bürger eine große Rolle. Und natürlich kann der Staat die Bürger und Unternehmen zwingen, öffentliche Aufgaben mitzuerledigen – zum Beispiel die Steuern einzubehalten und abzuführen oder bestimmte Gruppen oder Regionen mitzuversorgen, auch wenn das nicht lukrativ ist. Dieser »versteckte« öffentliche Bedarf ist durchaus bedeutend.

… die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen …

Mit den Steuern werden die öffentlichen Aufgaben finanziert. Insofern gibt es natürlich eine Gegenleistung, nur nicht unmittelbar für die Steuerzahlung. In den öffentlichen Haushalten werden bestimmte Steuereinnahmen nicht zweckgebunden für einzelne Ausgabenprogramme verwendet, sondern dienen zur Deckung aller Ausgaben – die Haushälter nennen das »Grundsatz der Gesamtdeckung« oder »Non-Affektationsprinzip«. Daher können zum Beispiel Pazifisten nicht den Steueranteil für die Militärausgaben verweigern.

Anders ist es bei Gebühren oder Beiträgen, die für eine staatliche Leistung erhoben werden, etwa für Dokumente oder Genehmigungen. Eine große wirtschaftliche Bedeutung haben die Sozialbeiträge, die große Teile der sozialen Sicherung finanzieren: Wer nichts oder nur wenig in die Rentenversicherung einzahlt, bekommt keine oder nur eine kleine Rente. Daher soll man die Sozialbeiträge nicht mit den Steuern verwechseln.

… und von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen …

Steuern erhebt der Staat mit hoheitlichem Zwang. Das muss so sein, weil der Einzelne dazu neigt, sich bei der Finanzierung des Gemeinwohls zu drücken. Denn von den staatlichen Leistungen profitiert er auch ohne Steuerzahlung, anders als bei Gebühren oder Sozialbeiträgen. Entsprechend gibt es Steuerwiderstand, von der klammheimlichen Steuerhinterziehung über legale Steuergestaltung bis hin zu öffentlichem und politischem Protest.

… allen auferlegt werden, …

Die formale Rechtsgleichheit ist ein zentrales Element des bürgerlichen Staats und der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung. Vorher gab es ständische Privilegien bei der Besteuerung, etwa für Adel und Klerus. Wobei formale Gleichheit natürlich nicht automatisch gesellschaftliche und wirtschaftliche Gleichheit bedeutet. »Quod licet Iovi, non licet bovi«, sagt der Bildungsbürger, und der Besitzbürger verteidigt sein Eigentums- und Erbrecht gegen die Umverteilungsambitionen der Linken.

… bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; …

Die Steuern sollen gleichmäßig erhoben werden. Wer ein bestimmtes Einkommen erzielt, muss darauf Einkommensteuer zahlen, wer als Unternehmer Produkte verkauft, muss Umsatzsteuer abführen. Willkürliche Privilegierungen und Diskriminierungen einzelner Personen, Gruppen oder Regionen sind nicht zulässig. Es gibt natürlich Steuervergünstigungen, aber auch die müssen sich an halbwegs sinnvollen Gemeinwohlzwecken orientieren. Dabei hat der Gesetzgeber einen großen Beurteilungsspielraum – aber wenn er den überzieht, greift das Bundesverfassungsgericht ein. Das kam in den letzten Jahrzehnten häufig vor, vor allem bei der Einkommensteuer und zuletzt wiederholt bei der Erbschaftsteuer.

Außerdem muss der steuerpflichtige Tatbestand gesetzlich hinreichend genau bestimmt werden, damit man sich darauf einstellen kann. Das ist ein zentrales Element des Rechtsstaats und für uns selbstverständlich. Ein Blick auf gar nicht so ferne Länder zeigt aber, welche große kulturelle Leistung das ist. Denn in vielen Staaten mit autoritären Regimes werden unklare Steuerforderungen gerne instrumentalisiert, um missliebige Kritiker auszuschalten oder Konkurrenten wirtschaftlich zu erledigen.

… die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.

Mit Steuern kann man steuern, das wussten schon die Fürsten der frühen Neuzeit. Um Ziele der Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zu fördern, kann man entweder die vorhandenen Steuern mit Steuervergünstigungen mindern, oder es werden Dinge und Verhalten besteuert, die schädlich für Sie und andere sind, etwa mit Ökosteuern oder mit Steuern auf Genussmittel und Drogen. Im ersten Fall sinkt das Steueraufkommen des Staats, die Steuervergünstigung ist eine versteckte Subvention in Höhe der Steuermindereinnahmen. Im zweiten Fall nimmt der Staat zusätzliches Geld ein – solange es das besteuerte Übel gibt.

Kaum zu überblicken: Welche Steuern gibt es?

In Deutschland gibt es dreißig bis vierzig Steuern, je nach Abgrenzung zu kleineren Sonderabgaben und Kommunalabgaben. In der sehr informativen Broschüre Steuern von A bis Z des Bundesfinanzministeriums sind sie alle aufgelistet und beschrieben. Die wesentlichen Steuern schauen wir uns in den nächsten Abschnitten näher an.

Abbildung 1: Steuereinnahmen 2015 (Quelle: Bundesfinanzministerium)

Fürs Erste und zum Überblick ist wichtig: Die beiden großen und zentralen Steuerarten sind die verschiedenen Einkommensteuern sowie die Umsatzsteuer, die auch Mehrwertsteuer genannt wird (Abbildung 1). Zu den Einkommensteuern zählen die »private« Einkommensteuer mit ihren Erhebungsformen Lohnsteuer, veranlagter Einkommensteuer sowie nicht veranlagten Kapitalertragsteuern und Zinsabschlag, ferner die Körperschaftsteuer auf das Einkommen der Kapitalgesellschaften, der Solidaritätszuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie die Gewerbesteuer, die eine Gemeindesteuer auf die lokalen Unternehmensgewinne darstellt. Die Umsatzsteuer wird als Mehrwertsteuer erhoben und belastet fast alle Konsumausgaben. Diese beiden Steuerarten sind die Stützpfeiler des deutschen Steuerstaats und machen zusammen mehr als vier Fünftel der gesamten Steuereinnahmen aus. Ein nennenswertes Aufkommen haben auch die speziellen Verbrauchsteuern auf Energie, Tabak, Kaffee und Alkoholika, die Versicherungsteuer und die Kraftfahrzeugsteuer sowie die vermögensbezogenen Steuern, also die Grundsteuer, die Grunderwerbsteuer und die Erbschaftsteuer. Daneben gibt es noch diverse kleinteilige Steuern, die kaum jemand kennt und die meist kein großes Aufkommen erzielen, etwa die Luftverkehrsteuer, die Feuerschutzsteuer oder die Zweitwohnungsteuer.

Deutschland ist ein föderalistisches Land – das Steueraufkommen wird auf Bund, Länder und Gemeinden aufgeteilt. Die großen und ertragsstarken Steuern sind »Gemeinschaftsteuern«, das sind die Einkommensteuer mit ihren Erhebungskomponenten Lohnsteuer, veranlagter Einkommensteuer, nicht veranlagten Kapitalertragsteuern und Zinsabschlag, ferner die Körperschaftsteuer sowie die Umsatzsteuer. Diese Gemeinschaftsteuern machen 72 Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus und werden nach festen Quoten auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt. Der Bund bekommt die gesamten Einnahmen der speziellen Verbrauchsteuern, der Versicherungsteuer, der Kraftfahrzeugsteuer und des Solidaritätszuschlags. Die Zolleinnahmen gehen an die EU. Die Länder erhalten die Einnahmen aus Erbschaftsteuer, Grunderwerbsteuer, Biersteuer, Feuerschutzsteuer, Rennwett- und Lotteriesteuer und Spielbankabgabe. Die Gemeinden bekommen die Grundsteuer und die Gewerbesteuer (nach Abzug einer Umlage an Bund und Land) sowie die kleineren Gemeindesteuern, zum Beispiel die Hunde-, Zweitwohnung- oder Vergnügungsteuer. Nach dieser Verteilung der Steuereinnahmen gibt es noch ergänzende Finanzausgleichssysteme, mit denen die Einnahmen von den reicheren zu den ärmeren Regionen umverteilt werden. Damit wird auch in den ärmeren Ländern und Gemeinden ein Mindeststandard an öffentlichen Leistungen gewährleistet.

Trotz der föderalen Aufteilung des Steueraufkommens ist die Steuergesetzgebung in Deutschland fast vollständig auf der Bundesebene konzentriert. Dadurch haben wir ein weitgehend einheitliches Steuersystem – anders als in den USA oder der Schweiz, wo Länder und Gemeinden ihre Steuern selbstständig gestalten dürfen. Die deutschen Bundesländer können nur bei der Grunderwerbsteuer die Steuersätze variieren, die Gemeinden bei der Gewerbesteuer und der Grundsteuer. Ferner dürfen die Gemeinden örtliche Verbrauchsteuern erheben. Die Bundesländer wirken über den Bundesrat an der Steuergesetzgebung des Bundes mit – aber nur als Gruppe insgesamt. Ein reiches Bundesland wie Bayern kann die Erbschaftsteuer oder Biersteuer nicht senken oder abschaffen, auch wenn die Bayern das wohl gerne täten. Bei Steuern, deren Einnahmen ganz oder teilweise an die Länder oder Gemeinden fließen, also auch bei den großen Gemeinschaftsteuern, muss der Bundesrat zustimmen. Bei den reinen Bundessteuern, zum Beispiel dem Solidaritätszuschlag oder den speziellen Verbrauchsteuern, kann der Bundesrat nur Einspruch einlegen, der aber vom Bundestag überstimmt werden kann. Die Ver­waltung der Gemeinschaftsteuern einschließlich des Solidaritäts­zuschlags liegt bei den Ländern, die speziellen Verbrauchsteuern und die Zölle erhebt der Bund mit seiner eigenen Finanzverwaltung.

Grundlagen der Steuertechnik

In den folgenden Abschnitten werden die Steuern im Detail behandelt. Hier werden die wichtigsten steuertechnischen Begriffe und Konzepte erläutert.

Steuerpflichtiger ist die Person, die zur Zahlung der Steuer verpflichtet ist. Es gibt natürliche Personen, also leibhaftige Menschen. Die Steuerpflicht beginnt mit der Geburt und nicht erst mit der Volljährigkeit. Schon ein Baby ist erbschaftsteuerpflichtig, wenn es hohe Vermögen erbt oder geschenkt bekommt, und muss dann die Vermögenserträge jährlich versteuern, Lehrlinge zahlen Lohnsteuer auf ihre Ausbildungsvergütung. Beim Besteuerungsverfahren müssen natürlich die Erziehungsberechtigten mitwirken und die Steuererklärung abgeben.

Unbeschränkt steuerpflichtig sind alle Personen mit Wohnsitz oder ständigem Aufenthalt im Inland, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Nicht im Inland Ansässige sind beschränkt steuerpflichtig mit ihren inländischen Einkommen oder Vermögen.

Steuerpflichtig sind auch juristische Personen wie Kapitalgesellschaften, also Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) und Aktiengesellschaften (AG), oder Vereine, Stiftungen sowie öffentliche Körperschaften und Anstalten.

Der Steuerschuldner ist die Person, die den steuerpflichtigen Tatbestand erfüllt, also zum Beispiel Einkommen verdient oder Waren verkauft, und den entstehenden Steuerbetrag schuldet. Bei Quellensteuern wie der Lohnsteuer oder der Kapitalertragsteuer werden die Arbeitgeber und Banken in das Besteuerungsverfahren einbezogen. Sie führen die Quellensteuer von den gezahlten Löhnen oder Kapitalerträgen für Rechnung der Arbeitnehmer oder Kapitalanleger ab und haften auch dafür.

Steuerträger ist derjenige, der letztlich mit der Steuer belastet wird, sie also wirtschaftlich trägt. Das muss nicht der Steuerpflichtige sein, der die Steuer tatsächlich zahlt. Die indirekten Steuern werden von den steuerpflichtigen Unternehmern an das Finanzamt bezahlt, sie sind durch ihre Steuertechnik aber zur Überwälzung auf die Verbraucher angelegt. Ob das vollständig gelingt, hängt von den wirtschaftlichen Verhältnissen ab, wie wir gleich sehen werden.

Das Steuerobjekt ist der allgemeine Steuergegenstand, der belastet werden soll, also zum Beispiel das Einkommen, der Umsatz, die Erbschaft oder der Energieverbrauch.

Die Bemessungsgrundlage spezifiziert und quantifiziert den Steuergegenstand, um die konkrete Steuerschuld zu berechnen. Bei der Einkommensteuer wird das zu versteuernde Einkommen aus den verschiedenen steuerpflichtigen Bruttoeinkommen und diversen Abzugsbeträgen abgeleitet. Bei der Mehrwertsteuer werden die steuerpflichtigen Umsätze sowie der Eigenverbrauch belastet, bei der Energiesteuer der Verkauf von steuerpflichtigen Energieträgern.

Bei den direkten Steuern auf Einkommen oder Vermögen oder bei der Mehrwertsteuer ist die Bemessungsgrundlage eine Wertgröße in Euro (Wertsteuer). Bei den speziellen Verbrauchsteuern werden zumeist physische Mengen besteuert, etwa der Liter Benzin, die Kilowattstunde Strom oder das Pfund Kaffee (Mengensteuer).

Der Steuertarif gibt den Steuerbetrag an, der auf die Bemessungsgrundlage zu entrichten ist. Im einfachsten Fall ist der Steuertarif ein einheitlicher Satz, unabhängig von der Höhe der Bemessungsgrundlage. So ist der Mehrwertsteuersatz einheitlich 19 Prozent für alle Umsätze, die dem Regelsatz unterliegen, die Benzinsteuer beträgt immer 65,45 Cent je Liter. Das nennt man proportionalen Steuertarif oder Flatrate auf Neudeutsch.

Wenn man Freibeträge einführt oder die Steuersätze mit steigender Bemessungsgrundlage anhebt, spricht man von einem progressiven Steuertarif. Das wird so bei der Einkommensteuer oder der Erbschaftsteuer gemacht, auch bei der Gewerbesteuer gibt es einen Freibetrag. Bei progressiven Steuertarifen ist es sinnvoll, zwischen Grenzsteuersatz und Durchschnittsteuersatz zu unterscheiden. Der Grenzsteuersatz ist die Steuerbelastung auf den letzten Euro. Er ist relevant für Entscheidungen zur Arbeitszeit oder ob man als Unternehmer noch einen Auftrag annimmt. Der Durchschnittsteuersatz ergibt sich als Verhältnis von Steuerbetrag zu Bemessungsgrundlage. Er gibt die gesamte Belastungswirkung an.

Beim proportionalen Steuertarif sind Grenz- und Durchschnittsteuersatz immer gleich. Beim progressiven Steuertarif – etwa bei der Einkommensteuer – ist der Grenzsteuersatz immer größer als der Durchschnittsteuersatz. Schon durch den steuerfreien Grundfreibetrag liegt der Durchschnittsteuersatz im Eingangsbereich des Tarifs zunächst deutlich unter dem Grenzsteuersatz. Bei konstantem Grenzsteuersatz würde der Durchschnittsteuersatz mit steigenden Einkommen schnell aufschließen, da der Anteil des Grundfreibetrags an der Bemessungsgrundlage sinkt. Das nennt man »indirekte Progression« bei einem proportionalen Steuertarif mit Freibetrag. Solch einen Flatrate-Einkommensteuertarif gibt es in vielen osteuropäischen Ländern, für Deutschland wurde er von Paul Kirchhof vorgeschlagen. Da aber beim deutschen Einkommensteuertarif die Grenzsteuersätze bei zunehmenden Einkommen steigen, von 14 Prozent bis 42 Prozent (45 Prozent bei sehr hohen Einkommen), bleibt die Durchschnittsbelastung weiter hinter der Grenzbelastung zurück – das nennt man »direkte Progression«. Erst wenn der Spitzensteuersatz erreicht ist und damit der Grenzsteuersatz konstant bleibt, schließt die Durchschnittsbelastung auf und nähert sich bei steigenden Einkommen immer stärker dem Spitzensteuersatz an.

Unterschiedliche Belastung: direkte und indirekte Steuern

Weit verbreitet ist die Einteilung in direkte und indirekte Steuern. Diese zentrale Unterscheidung der Steuern stellt auf die Steuertechnik und die beabsichtigte Belastungswirkung ab:

Apropos Ersparnis: Einkommen minus Ersparnis ergibt den Konsum. Daher kann man eine allgemeine Verbrauchsteuer auch im Rahmen der Einkommensteuer erheben, indem man die Ersparnisse von der jährlichen Bemessungsgrundlage abzieht. Das wird so gemacht bei der Altersvorsorge: Die Beiträge an Rentenversicherungen werden als Vorsorgeaufwendungen vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen, die Rentenleistungen im Alter besteuert. Das nennt man »nachgelagerte« Besteuerung. Das ist sinnvoll, weil dann aus dem unversteuerten Einkommen gespart werden kann. Außerdem glättet das die Einkommensteuerbelastungen über das gesamte Leben, was bei der progressiven Besteuerung der jährlichen Einkommen sinnvoll ist.

Des Weiteren gibt es die »Verkehrsteuern«, die auf Vermögenstransaktionen erhoben werden, etwa die Grunderwerbsteuer oder die Kapitalverkehrsteuern. Deren Belastungswirkungen sind schwer einzuschätzen. Soweit die Grunderwerbsteuer langfristig auch die Mieten erhöht, wirkt sie als Verbrauchsteuer, welche die Wohnungskosten verteuert: Soweit sie Grundbesitzer trifft, ist sie eine direkte Vermögensteuer. Mit der Finanztransaktionssteuer will man vor allem die Spekulanten und Hochfrequenzhändler treffen. Soweit davon auch die normalen Kapitalanleger in geringem Umfang getroffen werden, wird sie zur breiten Steuer auf die Ersparnisse.

Warum so kompliziert? Der Steuerstaat verteilt seine Belastungen auf verschiedene Steuern, um deren Vor- und Nachteile zu optimieren. Da direkte Steuern in aller Regel nicht überwälzt werden, kann man mit dem Einkommen die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ziemlich genau erfassen und progressiv besteuern, also die Armen steuerfrei lassen und den Reichen höhere Steuersätze auferlegen. Ergänzend kann man hohe Vermögen oder Erbschaften und Schenkungen mit entsprechenden Steuern belasten, denn die repräsentieren ja eine zusätzliche steuerliche Leistungsfähigkeit. An ihre Grenzen gelangt die progressive Besteuerung von Einkommen oder Vermögen, wenn hohe Steuersätze wirtschaftliche Aktivitäten der Steuerpflichtigen erlahmen lassen oder zur Steuervermeidung einladen.

Nachteilig an den direkten Steuern ist auch, dass sie komplizierter zu verwalten sind als die indirekten Steuern. Es gibt 40 Millionen Privathaushalte in Deutschland, von denen drei Viertel bei der Einkommensteuer erfasst sind und die jedes Jahr steuerlich veranlagt werden müssen. Als Steuerbürger schlagen wir uns damit herum, das kostet uns Stunden und mitunter Tage. Oder wir engagieren einen Steuerberater, der Geld kostet. Um die Steuerverwaltung zu vereinfachen und auch die Steuerhinterziehung zu unterbinden, gibt es deshalb Quellensteuern im Rahmen der Einkommensteuer – das sind die Lohnsteuer und die Kapitalertragsteuern. Dabei verpflichtet der Staat die Arbeitgeber und die Banken als seine Hilfsbeamten, um diese Steuern direkt an der Einkommensquelle abzuschöpfen. Selbstständige und Vermieter erwirtschaften ihr Einkommen selbst und bekommen es von niemandem ausgezahlt. Daher müssen sie eine Buchhaltung über Erträge, Aufwand und Gewinn machen und das Finanzamt kontrolliert das ab und zu. Hier gelten mitunter das elfte und zwölfte Gebot: Man darf es nicht übertreiben mit der Schummelei, und man darf sich nicht dabei erwischen lassen. Daher sind Steuergestaltung und -hinterziehung bei diesen Einkommensarten höher.

Die indirekten Steuern sind einfacher zu verwalten. Statt den Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen bei den 40 Millionen Privathaushalten zu ermitteln, hält man sich an die 3,6 Millionen Unternehmen. Dort erhebt man die indirekten Steuern und lässt diese über die Preise auf den Verbrauch überwälzen. Beim grenzüberschreitenden Warenverkehr werden die Importe belastet, damit sie den inländischen Gütern gleichgestellt sind, und die Exporte steuerfrei gestellt, damit sie im Bestimmungsland besteuert werden können.

Die Umsatzsteuer, die als Mehrwertsteuer alle Güter und Dienstleistungen breit belastet, ist bei der Erhebung etwas komplizierter, weil sie auch bei den vielen Kleinunternehmen erhoben werden muss und im europäischen Binnenmarkt für Steuerbetrug missbraucht wird. Günstig zu erheben sind die großen Verbrauchsteuern wie die Energiesteuer, die Tabaksteuer oder die Kaffeesteuer. Diese erzielen ein hohes Aufkommen bei wenigen steuerpflichtigen Unternehmen. Allerdings muss man den Schmuggel mit diesen Waren unterbinden, was bei Benzin und Diesel kein großes Problem darstellt, bei Zigaretten aber schon.

Als Einzelne spüren wir solche Verbrauchsteuern häufig gar nicht – solange sie nicht besonders hoch sind. Wie viel Kaffeesteuer zahlen wir auf ein Pfund Kaffee, wie viel Biersteuer für eine Flasche Bier? Bei der Benzinsteuer und Tabaksteuer ahnen die meisten, dass die Belastung ziemlich hoch ist. Bei der Mehrwertsteuer wird die Steuerbelastung auf Rechnung oder Kassenbon ausgewiesen. Wie viel Mehrwertsteuer haben Sie auf dieses Buch bezahlt, das 18 Euro für die gedruckte Ausgabe kostet, als E-Book 13,99 Euro?

Ein großer Nachteil der indirekten Steuern ist, dass man sie nicht nach den persönlichen Verhältnissen der Steuerzahler differenzieren kann. Denn der Buchhändler, der Ihnen dieses Buch verkauft hat, weiß ja nicht, ob Sie arm oder reich, alt oder jung sind, ob Sie verheiratet sind oder Kinder haben. Das Problem dabei ist, dass die indirekten Steuern häufig die armen Haushalte im Verhältnis zu ihrem niedrigen Einkommen viel höher belasten als die wohlhabenden, wie wir in Kapitel 3 sehen werden. Diesen Effekt kann der Staat mit gezielten Transfers an arme Haushalte ausgleichen. Das wird aber nur bei Haushalten gemacht, die Grundsicherungsleistungen erhalten, also Hartz IV oder die Grundsicherung im Alter. Diese Leistungen werden regelmäßig an die Preis- und Lohnentwicklung angepasst. Das hilft aber nicht den vielen armen Arbeitnehmern oder Rentnern, die knapp oberhalb der Grundsicherung liegen oder aus Scham oder Unwissenheit keine Hilfen beantragen. Man könnte noch die Steuerbelastungen nach Gütern ausdifferenzieren und Luxussteuern erheben, was aber nicht sehr zielgenau ist, kompliziert umzusetzen ist, zumeist gegen Europarecht verstößt und daher das Problem nicht löst.

Insgesamt sind daher indirekte Steuern ungerechter in der Verteilung, aber bei der Verwaltung und auch in ihren wirtschaftlichen Wirkungen günstiger. Direkte Steuern sind dagegen gerechter, aber schwieriger zu erheben und mitunter nachteiliger für die wirtschaftliche Entwicklung. Daher findet man in allen modernen Steuerstaaten eine Mischung beider Steuerarten und ihrer Komponenten. Das Mischungsverhältnis schwankt natürlich nach Ort und Zeit, entsprechend den wirtschaftlichen, politischen und ideologischen Verhältnissen.

Steuerüberwälzung: Wer bezahlt tatsächlich?

Die Überwälzungshypothesen bei direkten und indirekten Steuern entsprechen den Belastungsvorstellungen der Steuerpolitik und den Analysen der Ökonomen zur langfristigen wirtschaftlichen Belastungswirkung. Kurz- und mittelfristig muss das aber nicht so sein, wenn sich die Steuern oder die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern. So kann es den Unternehmen schwerfallen, Steuererhöhungen auf die Verbraucher zu überwälzen, wenn die Konjunktur insgesamt lahmt oder die eigene Branche gerade schlecht läuft. Dann bleiben sie auf der Steuerbelastung sitzen und müssen sie aus ihren Gewinnen zahlen, oder sie versuchen, die Steuerbelastung auf ihre Mitarbeiter oder Lieferanten zurückzuwälzen, indem sie niedrigere Löhne und Einkaufspreise fordern oder Personal abbauen und weniger Vorleistungen einkaufen. Wenn es dagegen gut läuft, können die Unternehmen die Preise stärker anheben, also neben der Weiterwälzung der Steuererhöhung gleich noch ihren Gewinn erhöhen. Auch die direkten Steuern auf die Unternehmensgewinne können so überwälzt werden, wenn der Wettbewerbsdruck nicht so stark ist und die Unternehmen einen gewissen Preissetzungsspielraum haben.

Letztlich repräsentieren die Standardüberwälzungshypothesen die langfristige wirtschaftliche Perspektive bei hinreichendem Wettbewerb. In der Realität gilt dagegen: Wer Marktmacht hat und flexibel reagieren kann, der kann die Steuern abwälzen, siehe Globalisierung, Steuerwettbewerb und Lohnzurückhaltung. Reiche, Manager und Unternehmen wurden steuerlich entlastet, und entsprechend wurden die wenig mobilen Arbeitnehmer und Mittelschichten belastet.

Wie funktioniert die Steuerüberwälzung?

»Dunkel und unergründlich sind die Wege des Herrn« schrieb einst der Apostel Paulus an die Römer. Schwer zu ergründen sind auch die Wege der Steuerbelastung, könnte man hinzufügen, wenn man sich den Erkenntnisstand zu den Steuerwirkungen anschaut.

Grundsätzlich muss man bedenken: Wenn jemand eine Steuer bezahlt, heißt das nicht, dass er sie auch wirtschaftlich trägt. Denn die Steuerpflichtigen reagieren auf die Steuerbelastung: Unternehmen können die Preise ändern, Investitionen und Arbeitsplätze anpassen oder ins Ausland gehen, Arbeitnehmer können mehr oder weniger arbeiten oder ihren Arbeitsplatz wechseln. Dadurch verändern sich dann die Einkommen, die Steuerbelastungen und damit auch die Steuereinnahmen.

In einer Marktwirtschaft mit Freizügigkeit und flexiblen Preisen hängt die tatsächliche Steuerbelastung letztlich von den wirtschaftlichen Wirkungen einschließlich der Einkommenswirkungen ab. Das nennt man materielle oder tatsächliche Steuerinzidenz, im Gegensatz zur formellen Steuerinzidenz, die sich steuertechnisch aus den Steuergesetzen ergibt.1 Dabei kommt es auf die Stärke der Ausweichreaktionen an. Hier gilt, wie auch sonst im kapitalistischen Wirtschaftsleben: Den Langsamen beißen die Hunde – er zahlt die Steuer.