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Claus Kleber · Cleo Paskal

SPIELBALL ERDE

Machtkämpfe im Klimawandel

C. Bertelsmann

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Redaktion: Angela Andersen, Boston (USA)

Fachlektorat: Dr. Eva Danulat, Hamburg

Lektorat: Eckard Schuster, München

Übersetzungen: Thomas Pfeiffer, Stuttgart

Grafiken: Peter Palm, Berlin

© 2012 by C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlaggestaltung: buxdesign, München

Bildredaktion: Dietlinde Orendi

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-08777-7
V003



www.cbertelsmann.de

Vorausgeschickt:

Es war Weihnachten 1968, ich ein Junge von dreizehn Jahren. Die Stimme des Astronauten Bill Anders im Fernseher klang verzerrt durch ein kosmisches Rauschen. Der Text war zu anspruchsvoll für mein Schulenglisch, aber ich wusste, dass diese Worte in einer Umlaufbahn um den Mond gesprochen wurden, und ich spürte, was für ein magischer Augenblick es war.

»Gleich wird die Sonne aufgehen über dem Mond«, sagte die Stimme, »und wir, die Crew von Apollo 8, haben eine Nachricht für alle Menschen unten auf der Erde, die wir mit Ihnen teilen wollen.« Nach einer kurzen Pause tauchte dieselbe Stimme wieder aus dem Rauschen auf, eine Lesung begann: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: Es werde Licht! Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis.«

Wieder füllte Rauschen eine Pause, als Bill Anders die Bibel weiterreichte an Jim Lovell. In unserem Wohnzimmer starrten meine Eltern, mein kleiner Bruder und ich atemlos auf das fast unbewegte Bild, das sich den Astronauten aus ihrer Kapsel bot: die trostlos graue Oberfläche des Mondes, um den sie kreisten. Dann begann erneut die Lesung. Nie zuvor hatte jemand eine menschliche Stimme aus solcher Entfernung gehört.

»Und Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es wurde Abend, und es wurde Morgen: erster Tag. Dann sprach Gott: Das Wasser unterhalb des Himmels sammle sich an einem Ort, damit das Trockene sichtbar werde. So geschah es. Das Trockene nannte Gott Land, und das angesammelte Wasser nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war.«

Auf diesem Flug entstand eines der berühmtesten Fotos aller Zeiten. Es zeigt leuchtend blau über dem Mondhorizont den Aufgang der Erde aus dem tiefen Schwarz des Weltraums. Für mich hatte dieser Anblick eine große Bedeutung. Meine Kindheit fiel in eine besonders kalte Zeit des Kalten Krieges. Die Gefahr, dass wir unseren Planeten in einen nuklearen Winter bomben würden, war jeden Augenblick präsent. Da erschien das Bild aus dem All wie ein Hilferuf. Es galt, diese zerbrechliche blaue Kugel vor dem kollektiven Wahnsinn der Menschen zu schützen.

Mehr als vierzig Jahre später stehe ich auf dem Dach eines Hochhauses in der Inneren Mongolei, auf der Hauptverwaltung des chinesischen Stahlriesen Baotou Iron and Steel und sehe die Folgen eines neuen Wahnsinns. So weit das Auge reicht: Kraftwerksblöcke, rauchende Schlote, schwarz-braune Löcher von gewaltigen Minen. Hierher wurde schmutzige Produktion verschoben, für die sich erst Europa und die USA, dann Japan, Taiwan, Hongkong und schließlich Chinas Städte an der Pazifikküste zu schade waren. Wir konnten uns einbilden, dass wir damit nichts zu tun haben, weil es so weit weg ist. Aber hier liegt eine Endmoräne unseres gemeinsamen Industriezeitalters. Wir haben unseren Planeten aufgewühlt und von Grund auf verändert. Nicht mit Atomwaffen, sondern mit Baggern und Schornsteinen, Sägen und Feuer. Es war ein gewaltiges Werk.

Würde die gesamte Masse der Erde unter ihren derzeit sieben Milliarden menschlichen Bewohnern aufgeteilt, bekäme jeder von uns einen Anteil von eintausend Milliarden Tonnen. Dieses Größenverhältnis lässt den Gedanken zunächst irrsinnig erscheinen, dass das Treiben von uns Winzlingen den Planeten nachhaltig verändern könnte. Und doch ist das passiert.

Die landwirtschaftliche Produktion ist in den letzten beiden Jahrhunderten durch den Einsatz von Stickstoffdünger geradezu explodiert. Über neunzig Prozent des Pflanzenlebens auf der Erde ist – so wird geschätzt – von Menschen gezüchtet oder beeinflusst. Die schiere Biomasse von Menschen und der von Menschen gezüchteten Rinder, Schweine und Hühner übertrifft bei Weitem die aller anderen großen Tiere. Bäume, Getreide, Gemüse und Tierarten, die allein nach menschlichen Nützlichkeitsmaßstäben gezüchtet wurden, dominieren die Biosphäre. Das in Jahrmillionen in fossilen Brennstoffen gebundene Kohlendioxid wird seit Beginn der Industrialisierung immer schneller freigesetzt und in die Luft geblasen.

Die Auswirkungen auf den Planeten sind so dramatisch, dass manche Erdwissenschaftler – Geologen, Klimatologen und Stratigrafen (Menschen, die die Erdgeschichte in Äonen, Epochen und Stufen einteilen) – ein neues Erdzeitalter ausrufen wollen. Das Holozän, das vor etwa 11500 Jahren begann, sei vorbei. Seinen letzten Abschnitt – das »neuzeitliche Klima-Optimum« der letzten hundertfünfzig Jahre – haben wir dafür genutzt, unseren Planeten mit Feuer und Maschinen umzubauen.

Der Niederländer Paul Crutzen, Nobelpreisträger der Chemie, sprach als Erster vom »Anthropozän«, einem von Menschen gemachten Erdzeitalter. Immer mehr Geologen und Stratigrafen finden Belege für seine These. Kongresse und Veröffentlichungen widmen sich dem Streit.1 Ein Ausschuss der International Commission on Stratigraphy (ICS)2 prüft nun, wann diese neue Epoche denn genau begonnen haben kann – mit der Industrialisierung? Und ob die Hinterlassenschaften unserer Zeit – abgebrannte Regenwälder, ausgeblutete Ackerböden, versandete Stauseen, ausgebleichte Korallenriffe – so erheblich sind, dass sie auch in Jahrmillionen noch im Erdboden erkannt werden. So was verlangen Stratigrafen, bevor sie bereit sind, ein neues Erdzeitalter anzuerkennen.

Mögen sie weiter um Begrifflichkeiten streiten, tatsächlich geht es um Handgreiflicheres als um wissenschaftliche Nomenklatur. So gewaltige Umbrüche haben die Welt noch jedes Mal in Sieger und Verlierer geteilt. Große Industrien und Mächte haben längst begonnen, sich darauf einzustellen. Was heißt das für unsere dicht vernetzten, hoch gezüchteten und gerüsteten Industriegesellschaften? Wo wird der Klimawandel Konflikte eskalieren? Wo wird er den nötigen Druck für eine friedliche Lösung lange vernachlässigter Krisen liefern? Welche Rolle kann Deutschland, kann Europa, da spielen? Es soll sich keiner einbilden, dass uns das Geschehen gleichgültig sein kann, bloß weil uns auf unserem wohltemperierten, geologisch ruhigen europäischen Kontinent die Probleme noch fern erscheinen. Was da geschieht, presst die Dynamik einer Erdepoche in zwei-, dreihundert Jahre. Das ist das Werk der Moderne – eine Revolution, die ihre Schöpfer fressen kann, wenn sie Menschen und Staaten überfordert.

»Wir handeln ohnehin wie Götter«, schrieb Stewart Brand, einer der verlachten Visionäre von 1968, in seinem legendären »Whole Earth Catalog«.3 »Wir sollten versuchen, wenigstens gut darin zu werden.« Wahrscheinlich bleibt uns kaum etwas anderes übrig. Es wird schwer, eine Weltbevölkerung, die nach Einschätzung der Vereinten Nationen bis Ende des 21. Jahrhunderts auf zehn Milliarden anwachsen wird, bei ständig steigenden Ansprüchen ohne massive weitere Eingriffe in die Natur auch nur zu ernähren und zu kleiden. Es wird auf das Wie ankommen.

Nach Gesprächen in Berliner Ministerien, im Pentagon in Washington, bei den Vereinten Nationen, im Austausch mit Thinktanks in China, Indien und Peru weiß ich, dass Militärs, politische Strategen, Städteplaner und Rohstoffexperten die rasanten Veränderungen des Planeten längst in ihr Kalkül einbeziehen. Auch wenn sie oft nur ungern darüber reden: Wir wollten erfahren, was da läuft.

Wir fragten an in Asien, Russland, Südamerika und Afrika. Selbst wenn wir nicht mit der Tür ins Haus fielen und von einer Bedrohung für den Weltfrieden redeten, waren viele nicht gerade wild darauf, uns für solch ein Projekt Rede und Antwort zu stehen. Dabei ist der Themenkomplex »Klimawandel und nationale Sicherheit« schon längst keine exotisch-akademische Angelegenheit mehr. Da geht es um akute Gefahren.

Wir trafen auf unseren Reisen Menschen, die sich unserer Arbeit in den Weg stellten, und solche, die aus Furcht vor Repressalien nicht mit uns sprechen wollten. Aber eben auch andere: Bauern in Äthiopien, chinesische Klimaforscher in Shanghai, Indianer in den Slums von Lima in Peru, den US-Generalstabschef und den Generalsekretär der Vereinten Nationen. Ihnen waren wir willkommen, weil wir Bewusstsein wecken wollen für ein Thema, das ihnen den Schlaf raubt.

Aus unseren Recherchen entstand zunächst eine große ZDF-Dokumentation und dann – den Bogen naturgemäß viel weiter spannend – dieses Buch. Es entstand auf einer Reise, die mich manches Mal zurückführte zu den Gefühlen des Dreizehnjährigen angesichts der leuchtend blauen Kugel im Weltall. Wenn wir den Begriff »Anthropozän« ernst nehmen, dann bedeutet er Verantwortung für unseren Planeten. Russell Schweickart, einer der NASA-Astronauten, deren Kollege ich als kleiner Junge werden wollte, hat seine Gefühle nach der Rückkehr vom Mond so eindringlich zusammengefasst, wie es wohl nur in großer Entfernung gelingt:

»Die Erde wird so klein und zerbrechlich und ein so kostbarer kleiner Punkt in diesem Universum. Du erkennst, dass auf diesem kleinen, blau-weißen Ding alles liegt, was für dich von Bedeutung ist. Die ganze Geschichte und die Musik und die Poesie und die Kunst und der Krieg und der Tod und die Geburt und die Liebe und die Tränen und die Freude und die Spiele – alles findet sich auf diesem Punkt da draußen, der so klein ist, dass dein Daumen ihn verdecken kann. Und dir wird klar, dass dieser Anblick dich verändert hat.«4

Wir können nicht alle so weit da rausfliegen, damit wir den gleichen Weitblick bekommen wie die Crews der Apollo-Raumschiffe. Wir müssen es auch so schaffen, die Folgen unserer eigenen Taten unter Kontrolle zu bekommen – gemeinsam und in Frieden. Das wird schwierig und wird nicht überall gelingen, weil die alten Mechanismen schon wieder greifen, das Recht des Stärkeren und die Aufteilung der Welt in Sieger und Verlierer. Wenn das so weitergeht, werden am Ende alle verlieren, weil wir im endlosen Schwarz eben nur diesen einen kleinen Ball haben, der uns (er)trägt.

Ich bin kein Astronaut geworden, nicht mal Pilot. Einen Blick aus dem All kann ich nicht bieten. Aber ich bin Reporter und bekam die Chance, über einen Zeitraum von fast zwei Jahren an viele Schauplätze einer Entwicklung zu reisen, die niemanden kalt lassen kann. Dieses Buch erzählt davon. Es soll helfen, den Blick dafür zu schärfen, wo die Konfliktlinien aufbrechen, wo von allen Aufmerksamkeit gefordert ist, und vielleicht auch die Bereitschaft wecken, eigene Ansprüche und Sichtweisen infrage zu stellen. Dafür wurde es geschrieben.

Seit vielen Jahren ist Angela Andersen – eine deutsche Journalistin, die in den USA lebt – meine Partnerin und Co-Autorin bei den meisten Filmprojekten. So auch bei der großen, zweiteiligen ZDF-Dokumentation Machtfaktor Erde, die sich 2011 ähnlichen Fragen widmete wie dieses Buch. Angelas Beiträge waren hier wie da unschätzbar wertvoll. An den verschiedensten Orten der Welt begegnete uns bei Recherchen und Drehreisen, zunächst als Name in Gesprächen und dann auch persönlich, die angesehene kanadische Strategie-Expertin Cleo Paskal. Sie hat 2010 mit ihrem bahnbrechenden Buch Global Warring den Blick darauf gelenkt, »wie«, so der englische Untertitel, »Krisen in Umwelt, Wirtschaft und Politik die Weltkarte neu zeichnen werden«.5 Ihre internationalen Verbindungen und Kenntnisse sind eine unverzichtbare Säule dieses Buchs. Sie hat den Inhalt ihres Werks für unsere gemeinsame Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Sollte das Buch in Ihren Händen Fehler enthalten, sind sie jedoch meine allein.

1http://www.atmosphere.mpg.de/enid/68acece8e68fce8eec5ea3c31b6ec2fe,0/
personal_Crutzen/antropocene_ey.html

http://www.anthropocene.info/en/anthropocene

2http://www.atmosphere.mpg.de/enid/68acece8e68fce8eec5ea3c31b6ec2fe,0/
personal_Crutzen/antropocene_ey.html

3http://www.wholeearth.com/issue/1340/article/189/we.are.as.gods:

»We are as gods and might as well get good at it.«

4http://settlement.arc.nasa.gov/CoEvolutionBook/SPACE.HTML

5Cleo Paskal: Global Warring – How Environmental, Economic and Political Crises Will Redraw the World Map, New York: Palgrave Macmillan 2010.